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Siebentes Kapitel

Cathy blieb fünf Wochen in Grange, bis Weihnachten. Inzwischen war ihr Fußknöchel geheilt und ihre Umgangsart hatte sich gebessert. Unsere gnädige Frau besuchte sie in dieser Zeit häufig und begann ihre Erziehung, indem sie ihr Standesbewußtsein mit hübschen Kleidern und mit Schmeicheleien zu heben suchte. Dies nahm Cathy bereitwillig an, und so kam keine ungezügelte hutlose kleine Wilde ins Haus gesprungen, die uns alle mit ihren Umarmungen halbtot drückte: Von einem prächtigen schwarzen Pony stieg eine vornehme Erscheinung, braune Ringellocken fielen unter dem Rand des mit Federn geschmückten Biberhutes herab, und sie mußte den langen Tuchrock mit beiden Händen raffen, um hereinrauschen zu können. Hindley half ihr vom Pferd und rief begeistert:

»Cathy, du bist ja eine richtige Schönheit! Fast hätte ich dich nicht erkannt, du siehst jetzt aus wie eine junge Dame. Isabella Linton kann sich nicht mit ihr vergleichen, nicht wahr, Frances?«

»Isabella hat nicht die natürlichen Vorzüge Cathys«, erwiderte seine Frau, »sie muß sich nur davor hüten, hier wieder zu verwildern. Ellen, hilf Miß Catherine aus ihren Sachen – halt still, Liebling, du bringst deine Locken in Unordnung. Laß mich deinen Hut aufbinden.«

Ich nahm ihr den Mantel ab, und darunter kamen ein prachtvolles buntgewürfeltes Seidenkleid, weiße Hosen und polierte Schuhe zum Vorschein. Ihre Augen leuchteten, als die Hunde zu ihrer Begrüßung heransprangen, aber sie wollte sie nicht berühren, um das feine Kleid vor den Pfoten zu bewahren. Sie küßte mich zurückhaltend, denn ich war ganz mit Mehl bestreut vom Backen des Weihnachtskuchens. Dann schaute sie sich nach Heathcliff um. Dieser Wiederbegegnung sahen Mr. und Mrs. Earnshaw mit Besorgnis entgegen. Jetzt mußte es sich zeigen, ob Hoffnung bestand, die beiden Freunde voneinander zu trennen.

Heathcliff war schwer aufzufinden. Wenn er schon vor Catherines Abwesenheit vernachlässigt und verkommen war, so hatte sich dies seitdem noch zehnmal verschlimmert. Außer mir nahm keiner an ihm soviel Anteil, ihn einen schmutzigen Jungen zu nennen. Niemand ermahnte ihn, sich einmal wöchentlich zu waschen. Kinder seines Alters haben meistens eine natürliche Abneigung gegen Seife und Wasser. Sein Gesicht und seine Hände waren furchtbar schmutzig, gar nicht zu reden von dem dichten ungekämmten Haar und der Kleidung, die er drei Monate lang in Schlamm und Staub getragen hatte. Vielleicht versteckte er sich irgendwo, als er ein so liebliches glänzendes Fräulein ins Haus treten sah, statt des erwarteten ungehobelten Gegenstückes zu sich selbst.

»Ist Heathcliff nicht hier?« fragte Cathy, zog die Handschuhe aus und zeigte Hände, die vom Nichtstun und vom Hausaufenthalt wunderbar weiß geworden waren.

»Heathcliff, du kannst herkommen«, rief Mr. Hindley. Er freute sich schon auf die Verwirrung des Jungen; es würde ein Genuß sein, diese zerlumpte Gestalt hier vorzuführen. »Hierher und heiße Miß Catherine willkommen, wie das übrige Gesinde.«

Cathy hatte ihren Freund in seinem Versteck erblickt. Sie flog auf ihn zu und gab ihm sieben, acht Küsse auf die Backe. Dann hielt sie ein, trat zurück und fing an zu lachen: »Ach, du siehst ja schmutzig und verboten aus! Und komisch und grimmig! Aber das ist nur, weil ich an Edgar und Isabella gewöhnt bin. Also, Heathcliff, hast du mich vergessen?«

Sie hatte Grund zu dieser Frage. Scham und Stolz jagten zwiefach über sein Gesicht. Er stand regungslos.

»Gib die Hand«, bemerkte Mr. Earnshaw herablassend, »für diesmal sei es dir gestattet.«

»Ich will nicht«, entgegnete der Junge und fand die Sprache wieder. »Ich will nicht dastehen und mich auslachen lassen.«

Er wäre aus unserem Kreise ausgebrochen, wenn Cathy ihn nicht wieder festgehalten hätte.

»Ich wollte dich nicht auslachen, Heathcliff. Es überkam mich nur so. Gib mir endlich die Hand. Du bist recht unfreundlich! Es war nur, weil du so eigenartig aussahst. Wenn du dir das Gesicht wäschst und die Haare bürstest, ist alles in Ordnung. Aber du bist wirklich schmutzig!« Besorgt sah sie auf die schwärzlichen Finger, die sie in der Hand behielt, und auf ihr Kleid; sicherlich würde es durch seine Berührung nicht schöner werden. Er folgte ihren Augen und zog seine Hand zurück: »Du brauchst mich nicht anzufassen. Ich werde so schmutzig sein, wie es mir paßt. Ich bin gern schmutzig und ich will schmutzig sein.«

Den Kopf vorstoßend, lief er aus dem Zimmer, zum Vergnügen des Herrn und der Frau. Catherine aber war ehrlich verwirrt. Sie begriff nicht, warum ihre Bemerkung einen derartigen Ausbruch verursacht hatte.

Als ich bei der Zurückgekehrten Kammerzofe gespielt, meine Kuchen in den Ofen geschoben und in Haus und Küche weihnachtlich helle Feuer angezündet hatte, wollte ich mich hinsetzen und ganz allein für mich ein paar fröhliche Lieder singen. Es war mir gleichgültig, daß Josef immer behauptete, meine erbaulichen Weisen klängen wie Gassenhauer. Er hatte sich zu andächtigem Gebet in seine Kammer zurückgezogen, und Mr. und Mrs. Earnshaw beschäftigten das Fräulein mit der Besichtigung kleiner Geschenke, die sie den Kindern Linton zum Dank für die Gastfreundschaft geben sollte. Diese waren für morgen nach Wuthering Heights eingeladen, und Mrs. Linton hatte nur eine Bedingung gestellt: Ihre Lieben möchten sorgsam von dem »fluchenden üblen Jungen« ferngehalten werden. So konnte ich denn für mich bleiben. Ich roch den starken Wohlgeruch der heiß werdenden Gewürze; ich freute mich an den schimmernden Küchengeräten, an der blanken, mit Stechpalmenzweigen besteckten Wanduhr, den silbernen Krügen auf einem Tablett, die fürs Nachtmahl mit Warmbier gefüllt werden sollten; vor allem an der fleckenlosen Sauberkeit meines besonderen Lieblings, des gescheuerten und gefegten Fußbodens. Ich spendete jedem Gegenstand innerlich meinen Beifall. Dann mußte ich daran denken, wie der alte Earnshaw nach solcher großen Säuberung hereinzukommen pflegte, mich ein frömmlerisches Mädchen nannte und mir einen Schilling als Weihnachtsgabe in die Hand drückte. Von dieser Erinnerung wanderten meine Gedanken zu seiner Vorliebe für Heathcliff und zu seiner Besorgnis, man würde nach seinem Tode den Jungen zurücksetzen. Da mußte ich über die Lage des Armen nachdenken, und aus dem Singen wurde Weinen. Aber ich sagte mir bald, ich sollte vernünftigerweise lieber etwas von dem Unrecht gutmachen, statt nur Tränen darüber zu vergießen. Ich stand auf und ging in den Hof, um ihn zu suchen. Er war nicht weit; er striegelte das glatte Fell des neuen Ponys und fütterte wie gewöhnlich die anderen Tiere im Stall.

Ich sagte: »Beeile dich, Junge. In der Küche ist es gemütlich, und Josef ist oben. Wenn du bald fertig bist, helfe ich dir, dich hübsch anzuziehen, ehe Miß Cathy herauskommt. Dann könnt ihr beisammensitzen und bis zum Schlafengehen recht lange plaudern, der ganze Herdplatz ist für euch.«

Er fuhr mit der Arbeit fort und drehte nicht einmal den Kopf nach mir um.

»Komm! Kommst du nicht? Für jeden von euch gibt es einen kleinen Kuchen, aber groß genug. Und du brauchst eine halbe Stunde zum Ankleiden.«

Ich wartete fünf Minuten auf seine Antwort; dann verließ ich ihn. Catherine aß mit Bruder und Schwägerin zu Abend. Josef und ich setzten uns zu einer höchst ungeselligen Mahlzeit zusammen, die von ihm mit Vorhaltungen, von mir mit Anzüglichkeiten gewürzt wurde. Heathcliffs Kuchen und Käse blieben während der ganzen Nacht auf dem Tisch für die Feen. Er richtete es so ein, daß er mit der Arbeit erst um neun Uhr fertig wurde, und ging dann starr und stumm in seine Kammer. Cathy blieb lange auf, um die vielen Sachen zum Empfang ihrer neuen Freunde vorzubereiten. Einmal kam sie in die Küche und wollte mit ihrem alten Freunde sprechen. Da sie ihn nicht fand, fragte sie nur, was mit ihm sei, und ging zurück.

Am Morgen erhob sich Heathcliff sehr früh, und da es Feiertag war, ging er ins Moor und trug dort seine schlechte Stimmung spazieren. Erst nachdem die Familie sich in die Kirche begeben hatte, erschien er wieder, und Hunger und Überlegung hatten ihn wohl zugänglicher gemacht. Denn er rief plötzlich, nachdem er eine Weile um mich herumgestrichen war:

»Nelly, mach mich fein, ich bin wieder vernünftig!«

»Höchste Zeit, Heathcliff. Du hast Catherine sehr betrübt. Vielleicht bedauert sie, daß sie überhaupt heimgekommen ist. Es sieht ja aus, als ob du neidisch wärst, daß man von ihr so viel mehr hermacht als von dir!«

Die Annahme, er könne Catherine beneiden, war ihm unbegreiflich; aber daß er sie betrübt habe, verstand er nur zu gern.

»Hat sie gesagt, daß sie traurig sei?« fragte er mit ernstem Blick.

»Sie hat geweint, als ich ihr sagte, du seiest auch heut morgen wieder weggegangen.«

»Schön, und ich habe gestern abend geflennt und hatte mehr Grund als sie.«

»Ja, aber nur deshalb, weil du mit hochmütigem Herzen und leerem Magen zu Bett gegangen bist. Hochmütige Menschen schaffen sich selbst Kummer. Wenn du dich jetzt über deine Empfindlichkeit schämst, mußt du auf sie zugehen, wenn sie hereinkommt, und ihr einen Kuß anbieten. Dazu mußt du sagen – ach, du wirst selbst wissen, was. Aber mach es herzlich und nicht so, als hätte sie sich in deinen Augen durch ihre schönen Kleider in eine Fremde verwandelt. Und obwohl ich das Essen vorbereiten muß, will ich dich jetzt so anziehen, daß Edgar Linton neben dir wie eine Puppe aussehen soll; so sieht er auch aus. Du bist jünger, aber bestimmt doppelt so breit und bist größer als er. Ich glaube, du könntest ihn im Nu niederschlagen, was?«

Heathcliffs Gesicht erhellte sich für einen Augenblick und verdüsterte sich wieder. Er seufzte:

»Aber wenn ich ihn zwanzigmal niederschlüge, Nelly, das würde ihn nicht häßlicher und mich nicht schöner machen. Ich wünschte, ich hätte blondes Haar und feine Haut und wäre so gut angezogen und betrüge mich so herrlich wie er und hätte Aussicht, so reich zu werden, wie er einmal sein wird.«

»Und würdest bei jeder Gelegenheit nach Mama schreien und zusammenfahren, wenn ein Bauernjunge dir mit der Faust drohte, und den ganzen Tag im Zimmer sitzen, wenn es regnen will. Oh, Heathcliff, wie kannst du dich als so jämmerlich hinstellen! Komm zum Spiegel und laß dir zeigen, was du dir wünschen solltest. Siehst du die beiden scharfen Linien zwischen deinen Augen und die dichten Brauen, die sich in der Mitte senken, statt sich hoch zu wölben? Und die zwei schwarzen Teufel, die in den Höhlen darunter vergraben niemals offen herausschauen, sondern stets lauern wie Späher? Wünsche dir und lerne, die bösen Falten zu glätten, die Lider freimütig zu heben, die mißtrauischen Teufel in Menschenfreunde zu verwandeln, die eher Wohlwollen sehen, wenn sie nicht sicher sind, Feindschaft vor sich zu haben. Schleiche nicht wie ein Köter herum, der die erhaltenen Schläge als verdient hinnimmt und zugleich doch alle Welt und den Schlagenden vor allem für seine sämtlichen Leiden haßt!«

»Mit anderen Worten, ich soll mir Edgars große blaue Augen und glatte Stirn wünschen. Jawohl, das tue ich. Aber es hilft mir nichts.«

»Ein gutes Herz wird dir zu einem hübschen Gesicht verhelfen, und wenn du ein richtiger Neger wärst! Mit einem bösen Herzen wirst du nicht nur häßlich, sondern noch viel schlimmer aussehen. Aber jetzt sind wir gewaschen und gekämmt und grollen nicht mehr: Sieh einmal hin, ob du nicht ganz hübsch bist? Ich sage dir, du könntest ein verkleideter Prinz sein. Wer weiß, vielleicht war dein Vater der Kaiser von China und deine Mutter eine indische Fürstin, und jeder von ihnen so reich, daß sie mit dem Einkommen einer Woche Wuthering Heights und Thrushcross Grange, alles beides, kaufen konnten! Und du bist von Seeräubern entführt und nach England geschleppt worden. Ich an deiner Stelle würde mir eine wunderbare Vorstellung von meiner Herkunft machen, und so würde ich die schlechte Behandlung eines kleinen Gutsbesitzers wie nichts ertragen!«

So schwatzte ich, und Heathcliff begann allmählich heiterer zu werden, als unsere Unterhaltung plötzlich bei einem von der Straße herkommenden und im Hofe endenden Poltern abbrach. Er lief ans Fenster und ich war rechtzeitig an der Tür, um zu sehen, wie die beiden Lintons, in Mäntel und Pelze gehüllt, aus der Familienkutsche und die Earnshaws von ihren Pferden stiegen; im Winter ritten sie oft zur Kirche. Catherine holte die jungen Leute ins Haus und führte sie zum Feuer, das ihre weißen Gesichter bald rötlich färbte.

Ich drängte Heathcliff, sogleich mit mir hinunterzugehen und sich von seiner freundlichsten Seite zu zeigen. Er ließ sich gern darauf ein, aber als er die Küchentür öffnete, wollte es das Unglück, daß Hindley von der anderen Seite hindurchgehen wollte. Der Herr, gereizt, weil er ihn so sauber und fröhlich sah, vielleicht auch, um sein Versprechen gegenüber Mrs. Linton zu halten, stieß ihn heftig zurück und befahl dem Josef:

»Du hältst den Burschen vom Wohnraum fern. Schick ihn in die Dachkammer, bis das Mittagessen vorüber ist. Er wird die Finger in die Torten stecken und das Obst stehlen, wenn man ihn eine Minute allein läßt.«

»Nein, Herr«, ich konnte die Antwort nicht unterdrücken, »er faßt nichts an, bestimmt nicht. Er müßte doch ebensogut wie wir etwas von den guten Sachen abbekommen.«

»Er bekommt sein Teil von meiner Hand, wenn ich ihn bis zum Dunkelwerden noch einmal hier unten antreffe!« schrie Hindley. »Verschwinde, Landstreicher! Willst du hier vielleicht den Stutzer spielen? Warte, ich werde dich bei deinen eleganten Locken fassen und sehen, ob ich sie nicht etwas länger ziehen kann!«

»Sie sind schon lang genug«, bemerkte Edgar Linton, durch die Tür schielend, »ich wundere mich, daß sie ihm keine Kopfschmerzen machen. Fallen ihm wie eine Ponymähne über die Augen.«

Er hatte offenbar keine besondere Beleidigung im Sinn. Aber Heathcliff wollte nicht einmal den Schein einer Dreistigkeit von jemandem hinnehmen, den er jetzt als Nebenbuhler haßte. Er griff nach dem ersten, was er fassen konnte, nach einem Gefäß voll heißer Apfeltunke, und schleuderte sie Linton ins Gesicht. Linton brüllte, Isabella und Catherine eilten herbei. Mr. Earnshaw zerrte den Schuldigen in sein Zimmer und wandte gegen den Jähzorn des anderen ein nachdrückliches Mittel an; denn Heathcliff kam atemlos mit rotem Gesicht zurück. Mit dem Tellertuch rieb ich Edgars Nase und Mund ab, aber ich sagte, ihm sei recht geschehen, wegen seiner Einmischung. Seine Schwester weinte und wollte heimgehen. Cathy stand verblüfft dabei, errötete für alle und sagte zu Linton:

»Du darfst ihn nicht anreden. Es war ihm nicht gut zumute. Jetzt hast du mir das Vergnügen an eurem Besuch verdorben und er bekommt Prügel. Ich will nicht, daß man ihn schlägt. Ich kann zu Mittag nichts essen. Warum hast du ihn angeredet?«

»Habe ich gar nicht getan«, stöhnte der Junge, machte sich von mir frei und säuberte sich selbst mit seinem Batisttaschentuch. »Ich versprach doch Mama, kein Wort an ihn zu richten, und so war es auch!«

»Dann jammere nicht«, erwiderte Catherine verächtlich. »Er hat dich nicht umgebracht. Mach jetzt nicht noch mehr Dummheiten, mein Bruder kommt, sei still. Isabella, Ruhe – hat dir jemand etwas getan?«

»Also los, Kinder, auf die Plätze!« Hindley stürzte lärmend herein. »Dieser ekelhafte Bursche hat mich ordentlich warm gemacht. Das nächste Mal, lieber Edgar, vertritt deine Sache mit eigenen Fäusten, das wird deine Eßlust steigern!«

Das wohlriechende Mahl stellte die freundliche Stimmung bereits wieder her. Nach Fahrt und Ritt waren sie hungrig, und sie trösteten sich rasch, denn in Wirklichkeit war ihnen ja weiß Gott nichts geschehen. Mr. Earnshaw füllte die Teller reichlich; die Dame des Hauses unterhielt sie mit munterem Plaudern; ich stand zur Bedienung hinter ihrem Stuhl. Es betrübte mich, mit wie trockenen Augen und gleichgültiger Miene Catherine ihren Gänseflügel zerlegte. Ein gefühlloses Mädchen, dachte ich, wie leicht sie über die Behandlung ihres Kameraden hinweggeht; für so selbstsüchtig habe ich sie nicht gehalten. Aber als sie jetzt einen Bissen zum Munde führen wollte, legte sie ihn wieder auf den Teller, und ihr kamen die Tränen. Rasch ließ sie die Gabel auf den Boden fallen und bückte sich unter den Tisch. Und ich nannte sie nicht mehr herzlos, denn ich beobachtete, wie sie sich während des ganzen Tages nach Heathcliff umsah, von den anderen sich fernhielt und sich redlich abquälte. Heathcliff war vom Herrn eingeschlossen worden; ich suchte ihn, um ihm eine kleine Mahlzeit zuzustecken.

Am Abend wurde getanzt. Cathy bat, man solle ihn nun freilassen, da Isabella keinen Tanzherrn hatte; vergeblich, und ich mußte den Fehlenden ersetzen. Im Eifer des Balls vergaßen wir die Trübsal. Unser Vergnügen wuchs durch das Eintreffen der Gimmerton-Kapelle. Sie war fünfzehn Mann stark, Trompete, Posaune, Klarinetten, Fagotte, Waldhörner und Baßgeige, dazu noch Sänger. Sie machen in allen wohlhabenden Häusern die Runde und erhalten zu Weihnachten Geldgeschenke. Wir waren begeistert, sie zu hören. Nach den üblichen Weihnachtsmelodien baten wir um Lieder und Rundgesänge. Da Mrs. Earnshaw Musik liebt, gaben sie viel zum besten.

Catherine liebt Musik auch, aber sie sagte, es höre sich am schönsten an, wenn man oben auf der Treppe stünde, und sie ging im Dunkeln hinauf. Ich folgte ihr; unten schloß man die Haustür, und niemand bemerkte in dem Gewimmel unsere Abwesenheit. Catherine blieb auf der Treppe nicht stehen, sie stieg bis zu Heathcliffs Gefängnis hinauf und rief ihn. Trotz seines Stillschweigens verharrte sie vor der Kammer und erreichte, daß er sich durch die Latten mit ihr unterhielt. Ich ließ die armen Dinger ungestört plaudern, bis die Sänger endeten und eine Erfrischung erhielten. Um Cathy zu holen, kletterte ich die Leiter empor. Aber statt Cathy oben zu treffen, hörte ich ihre Stimme jetzt im Innern. Am Dach entlang war das Äffchen aus der Luke der einen Bodenkammer in die der anderen geklettert. Nur mühsam konnte ich sie dazu bringen, wieder herauszukommen. Mit ihr erschien Heathcliff. Sie bestand darauf, daß ich ihn in die Küche mitnahm. Josef war zum Nachbarn gegangen, um sich unserem »teuflischen Psalmensingsang« zu entziehen. Ich wollte ihre Streiche eigentlich nicht unterstützen, aber da der Gefangene seit gestern mittag nichts gegessen hatte, mochte Mr. Hindley dies eine Mal hintergangen werden.

Ich schob Heathcliff einen Stuhl ans Feuer und setzte ihm allerhand gute Dinge vor. Er war so schwach, daß er wenig essen konnte, und alle Versuche, ihn zu unterhalten, mißlangen. Die Ellbogen auf die Knie gestützt, das Kinn in den Händen, so verharrte er in dumpfem Brüten. Auf meine Frage, woran er denn dächte, sagte er nachdrücklich:

»Ich versuche, mir vorzustellen, wie ich es Hindley einmal heimzahlen kann. Ich will lange warten, wenn ich nur dahin komme. Hoffentlich stirbt er nicht vorher.«

»Schäme dich, Heathcliff. Wir müssen es Gott überlassen, schlechte Menschen zu bestrafen; wir selbst sollen lernen, zu verzeihen.«

»Nein, diese Freude werde ich Gott nicht machen. Wüßte ich nur, wie ich es am besten erreiche. Laß mich allein, ich will über diesen Plan immer nachdenken, denn während ich das tue, vergesse ich alle Schmerzen.«

 

»Aber, Mr. Lockwood, diese Geschichten können Ihnen doch gar nichts sagen! Es tut mir leid, daß ich überhaupt daran gedacht habe, so lange darüber zu schwatzen. Und Ihre Hafersuppe ist kalt geworden, und Sie wollen lieber zu Bett gehen. Was Sie von Heathcliffs Geschichte wissen müssen, könnte ich Ihnen in ein paar Worten erzählen.«

Während sich die Haushälterin unterbrach, legte sie ihr Nähzeug beiseite und erhob sich. Ich aber konnte mich vom Feuer nicht hinwegrühren und war durchaus wach.

»Bleiben Sie sitzen, Mrs. Dean, noch eine halbe Stunde! Ich liebe es sehr, eine Geschichte so ausführlich zu hören, wie Sie sie erzählt haben. Sie müssen sie in der gleichen Art und Weise fortsetzen. Ich bin mehr oder weniger für jede Person interessiert, die darin vorkommt.«

»Die Uhr schlägt elf, Herr.«

»Das macht nichts, ich bin gar nicht gewöhnt, früh schlafen zu gehen. Ein oder zwei Uhr ist das Richtige für jemanden, der bis zehn Uhr im Bett bleibt.«

»Sie sollten nicht so lange liegen. Die schönste Zeit des Morgens geht vorbei! Wer bis zehn Uhr nicht die Hälfte seiner Arbeit getan hat, muß fürchten, daß die andere Hälfte ungetan bleibt.«

»Aber morgen werde ich die Nacht sogar bis zum Nachmittag verlängern, denn ich prophezeie mir mindestens eine heftige Erkältung. Darum setzen Sie sich wieder in Ihren Stuhl, Mrs. Dean.«

»Erlauben Sie mir nur, etwa drei Jahre zu überschlagen. In dieser Zeit war Mrs. Earnshaw –«

»Nein, nein, das erlaube ich nicht. Denken Sie daran, wie eine Katze vor uns ihre Jungen ableckt und wir sehen so gespannt zu, daß wir es unbedingt vermissen würden, wenn sie auch nur ein einziges kleines Ohr vernachlässigte!«

»Ist das nicht pedantisch?«

»Im Gegenteil, es ist unterhaltsam. Ebenso geht es mir mit den Einzelheiten Ihrer Erzählung. Denken Sie daran, wieviel wertvoller eine Spinne im Gefängnis für den Gefangenen ist als die Spinne in einem beliebigen Hause für dessen Bewohner. So erscheinen mir die Menschen in dieser Gegend merkwürdiger als die in den Städten. Aber dies liegt nicht nur an mir, dem Zuschauer: sie leben auch wirklich ernsthafter, innerlicher, tiefer, ohne die Sucht nach Abwechslung und leichtfertigen Äußerlichkeiten. Hier würde ich eine Liebe fürs Leben beinahe für möglich halten; früher hätte ich kaum an Verliebtheiten für die Dauer je eines Jahres geglaubt! Jene Liebe ist mit dem Zustand eines hungrigen Menschen zu vergleichen, der sich vor ein einziges Gericht setzt, seine ganze Eßlust darauf richtet und sie wirklich stillen kann. Die vielen Verliebtheiten aber führen den Menschen an einen üppigen, von französischen Köchen bestellten Tisch, und er wird dem Ganzen vielleicht ebensoviel Genuß abgewinnen wie jener andere, aber jeder einzelne Gang hinterläßt in seiner Empfindung und Erinnerung nur einen atomhaft flüchtigen Eindruck.«

»O nein, wir sind hier ganz die gleichen Menschen wie anderswo, wenn Sie uns erst kennengelernt haben!« entgegnete Mrs. Dean, etwas verlegen über meine Betrachtungen.

»Entschuldigen Sie, meine Beste, Sie selbst sind ein schlagender Beweis. Sie hier haben bestimmt tiefer nachgedacht als die Menschen Ihrer Klasse im allgemeinen anderswo. Sie haben ganz einfach Ihre geistigen Fähigkeiten sorgfältiger gepflegt, da Sie keine Gelegenheit hatten, Ihr Leben in Nichtigkeiten zu verzetteln.«

Mrs. Dean lachte. »Ich halte mich allerdings für eine solide, vernünftige Person. Nicht gerade deshalb, weil ich zwischen diesen Hügeln gelebt und die gleichen Gesichter und Geschehnisse von einem Ende des Jahres zum anderen gesehen habe. Aber ich mußte eine strenge Zucht durchmachen, und dadurch lernt man! Außerdem habe ich mehr gelesen, als Sie vielleicht glauben, Mr. Lockwood. In dieser Bibliothek können Sie kein Buch aufschlagen, in das ich nicht hineingesehen und aus dem ich nicht etwas herausgeholt hätte, abgesehen von den Reihen griechischer, lateinischer und französischer Werke. Auch diese kann ich immerhin voneinander unterscheiden; mehr soll man von der Tochter eines armen Mannes nicht erwarten. – Also wenn ich meine Geschichte so erzählen soll, daß ich auf die Einzelheiten eingehe, will ich nicht drei Jahre, sondern nur den nächsten Sommer übergehen. Es war der Sommer 1778, vor dreiundzwanzig Jahren.


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