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Um den großen Webstuhl ist ein ewiges, leises Surren und Schwirren, wie von einem unsichtbaren Bienenschwarm. Ein Raunen und Rascheln, ein endloses Kommen und Gehen, ein Flüstern und unterdrücktes Lachen, und leichte, huschende Schritte, die sich schnell entfernen, sobald einer der Männer forschend den Kopf hebt. Dieser unsichtbare Bienenschwarm macht sie nervös. Ärgerlich versuchen sie, ihn durch Kopfschütteln abzuwehren, ziehen schließlich die Taschentücher und schlagen nach ihm, wie nach lästigen Insekten. Aber das hilft nichts. Der einzige Effekt ihrer Abwehr ist ein Wölkchen Puderduft, das um ihre Nase flattert, vielleicht auch eine zierliche Bandschleife, die, in Eile verloren, auf dem Rahmen des Webstuhls niedergeglitten ist. Einen Augenblick lang herrscht dann wohl Stille, doch kaum meinen die Männer, daß sie den unsichtbaren Bienenschwarm nun endgültig verjagt haben, so beginnt sein Summen und Surren aufs neue. Sie begreifen nicht, wie das sein kann. Sie fragen: »Wer ist es, der hier unter dem Schutz einer Tarnkappe sein Wesen treibt?« Allmählich haben sie nämlich gemerkt, daß es kein Bienenschwarm ist, denn an dem großen Webstuhl fällt ihnen da und dort ein Schlag auf, der nicht von ihnen und nicht unter ihren sehenden Augen gemacht worden ist. Und sie versuchen, die Unsichtbaren zu haschen, die da raunen, flüstern und ungesehen den Faden schlagen, wie sie wollen. Versuchen immer wieder, sie zu haschen, doch immer wieder entgleiten sie wie kleine Nebelgespenster. Bis endlich einer von ihnen resigniert sagt: »Gebt euch keine Mühe, wir fangen sie doch nicht! Es sind ja die Unverantwortlichen –«
Die Unverantwortlichen – voll Mißachtung und Haß haben die Männer das Wort geprägt und der Frau angeheftet, die ohne verbrieftes Recht sich ihren Platz an dem großen Webstuhl erobert hat. Voll Mißachtung und Haß hat es die Menge nachgesprochen, ohne daran zu denken, daß gerade die Frauen, für die es gemünzt worden ist, nur dem Buchstaben nach für ihre Politik unverantwortlich waren, in Wirklichkeit aber die Verantwortung dafür tragen mußten und getragen haben. Über der Marlboroughschen Politik stürzte die Lady selber, nicht etwa Königin Anna, die Pompadour wurde nach dem unglückseligen Ausgang des Krieges nicht weniger, ja noch mehr gehaßt, als Ludwig XV., Marie-Antoinette ist nicht weniger geköpft worden, als ihr Mann, der ihre Politik mit seinem Namen deckte, und Kaiserin Eugenie von Frankreich, die 1870 gesagt haben soll: »Das ist mein kleiner Krieg!«, verlor den Thron ganz ebenso wie Napoleon III. Die Unverantwortlichkeit hört eben da auf, wo die Macht tatsächlich, wenn auch ungesetzmäßig, beginnt, und wo diese Macht gestürzt und gerichtet werden kann. Voll Mißachtung und Haß münzten die Männer das Wort und bedachten nicht, daß ihr eigener Wille es war, der von der Frau jede politische Verantwortlichkeit genommen hatte. Oder hatten sie im Ernst geglaubt, daß die eine Hälfte des Menschengeschlechts kraft eines Gesetzes die andere Hälfte von den großen Rechten des Erdballs ausschließen könne? Haben sie im Ernst geglaubt, daß mit der Aussperrung der Frauen auch die Ausmerzung politischen Instinktes, politischen Ehrgeizes vollzogen sei?! Wußten sie nicht, daß dies Gesetz den Paragraphen mancher Verträge gleicht, die wohl auf dem Papier stehen, in Wahrheit aber niemals durchgeführt werden können?! Sie selber haben ja in das Salische Gesetz eine Bresche gelegt, durch die vereinzelte Herrscherinnen in das Geheimgemach schreiten und in ihm wirken durften. War es da nicht selbstverständlich, daß durch diese Bresche auch Frauen nachdrängten, die zwar keine Krone und kein Reich, wohl aber politischen Instinkt und Ehrgeiz besaßen? Bei Engländerinnen und Französinnen war und ist dieser Instinkt, dieser Ehrgeiz ungleich stärker ausgebildet, als bei der Deutschen. Er hat sich bei der Engländerin, die nicht durch das Salische Gesetz beengt war, mächtig entwickelt, und so konnte sich in England das seltene und ungemein charakteristische Schauspiel entfalten, daß eine königliche Frau nicht von Männern, sondern wiederum ausschließlich von einer Frau beherrscht wurde, wie es bei Königin Anna und Lady Marlborough der Fall war. Die Französin, gebunden durch das Salische Gesetz, mußte den Schleichweg der linken Hand einschlagen, und hat ihn mit solchem Erfolg beschritten, daß das Salische Gesetz eigentlich nur noch dem Buchstaben nach bestand. Der Ehrgeiz der Französin konnte nicht nach der Krone zielen, darum zielte er nach ihrem Träger, und wenn dieser Träger nicht König war, so nahm man auch mit einem kleineren Herrn vorlieb, wie die Clairon (1723-1803) tat, die berühmte Schauspielerin der Comédie Française, die, als sie in die Vierzig kam, nach größerem Ruhm verlangte, als den Applaus von Theaterbesuchern, und darum dem Markgrafen von Ansbach-Bayreuth als Geliebte folgte, um seine politische Beraterin zu sein. Der Tausch von Paris gegen Ansbach mag ja für eine verwöhnte Frau nicht ganz leicht gewesen sein, aber nicht nur für ein glücklich liebend Paar, sondern auch für eine ehrgeizige Politikerin ist Raum in der kleinsten Hütte, noch dazu, wenn die kleinste Hütte in einem markgräflichen Schlosse besteht und darum blieb Fräulein Clairon in ihrer markgräflichen Hütte, bis sie eine alte Frau und der Markgraf der Gatte einer anderen geworden war.
Die Deutsche, die nach der linken Hand des Herrschers griff, war dagegen kaum je von politischem Ehrgeiz beseelt, ließ sich's meist daran genügen, Geld zu erraffen oder auch zu verschwenden, persönlichen Einfluß zu gewinnen, die rechtmäßige Frau möglichst zu demütigen und – höchstes, aber kaum je erreichtes Ziel! – vom Herrscher geheiratet zu werden. Doch wäre es verfehlt zu glauben, daß die deutsche Frau alles politischen Instinktes und Ehrgeizes ermangelte, weil beide den deutschen Mätressen fehlten oder sich nur in bescheidenen Verhältnissen auswirken konnten. Über alle Grenzen weg leuchteten ja die Vorbilder der Maintenon, der Marlborough, der Pompadour, machten kleine, deutsche Prinzessinnen rebellisch, die ohne jene Vorbilder wohl nur von einem bescheidenen Winkelprinzchen oder einer Stiftsdamenstelle geträumt hätten. Da wuchsen dann Eitelkeiten empor, auf die zunächst niemand achtete, und die doch in aller Stille das prinzeßliche Spatzenhirn völlig benebelten, daß es sich für etwas Großes und zu Großem ausersehen hielt. So ging es der Fürstin Johanna Elisabeth von Anhalt-Zerbst, der Mutter Katharinas der Großen, die immer schon gefunden hatte, daß sie nicht in das bescheidene Heim des Anhalt-Zerbsters gehöre, sondern an den großen Webstuhl, und die nun, da ihre Tochter für den Thronfolger von Rußland gewählt worden war, ihre eigene historische Stunde für gekommen wähnte. Da sie die kleine Braut nach Moskau bringen sollte, ging die Reise über Berlin, wo die beiden Damen von Friedrich dem Großen sehr freundlich empfangen wurden. Vermutlich hat er auch ein paar Worte fallen lassen, daß eine deutsche Prinzeß am russischen Hof für Preußen günstig wirken könne, denn der Kanzler Bestuscheff sei nicht eben sein Freund. Alsbald stand es bei der politisch-rabiaten Fürstin fest, daß ihrer in Rußland eine große Mission harre und kaum in Rußland angelangt, ging sie daran, Bestuscheff zu stürzen, legte ihr Intrigenspiel aber so ungeschickt an, daß beinahe die Verlobung der Tochter rückgängig gemacht worden wäre, und die Frau Fürstin kniefällig die Verzeihung der wütenden Zarin erbat. Die politische Quacksalberei dieser einen ist bekannt geworden, aber über die Pfuschereien vieler anderer, deren Töchter eben nicht zu großem Ruhm gelangten, breitet die Geschichte gnädig den Schleier. Blieb doch trotz aller Gesetze, Verordnungen und Aussperrungen die Lust zur Politik in den Frauen lebendig und drängte zur Betätigung ohne Verantwortlichkeit, da man ihnen nun doch einmal Verantwortlichkeit nicht zugestehen wollte. Zuerst fand sich die unverantwortliche Politikerin nur in den Hofkreisen, dann in einer gesellschaftlich-dünnen Oberschicht, arbeitete dort aber schnell mit solcher Intensität, daß ein alter Diplomat mit Fug und Recht einer Frauenrechtlerin sagen durfte: »Warum streiten die Frauen eigentlich noch um politische Rechte, da sie sie doch längst ausüben! Jede Gesandtensfrau macht doch Politik!« Jawohl, in jedem Gesandtschaftspalast, in jedem diplomatischen Konsulat saß und sitzt eine tatenfrohe Politikerin, genau so, wie in Königs- und Fürstenschlössern. Da taucht denn wohl die interessante Frage auf, welcher Grundzug all dieser Frauenpolitik zu eigen ist, und man kann wohl ruhig sagen, daß diese kleinen Unverantwortlichen ebensowenig pazifistisch gesinnt sind, wie die Herrscherinnen oder die machtvollen Politikerinnen zur linken Hand es waren. Das mag auf den ersten Blick seltsam erscheinen, ist aber gar nicht seltsam, sondern nur logisch. Eine Frau, die von Weltfrieden träumt, findet wohl an Politik überhaupt keinen sonderlichen Gefallen, zum mindestens nicht an der Politik, die in Gesandtschaftspalästen und diplomatischen Konsulaten gemacht wird … Die Männer behaupten freilich, daß die unverantwortlichen Politikerinnen stets Kriegshetzerinnen gewesen seien, und zitieren als Beweis gerne die vorhin schon erwähnte Äußerung der Kaiserin Eugenie, stellen ihr aber niemals die alte Kaiserin Augusta gegenüber, die im Jahre 1870 ebenso dringend wie erfolglos für die Schonung von Paris bat. Doch wenn hinter der einen Kaiserin Augusta auch eine ganze Phalanx von Friedensbitterinnen stünde, bliebe die tiefe Abneigung gegen jede unverantwortliche Politikerin bestehen, denn die Männer um den großen Webstuhl haben es geschickt verstanden, sie als Blitzableiter für den regierenden Herrn oder auch nur für die Fehler seiner Politiker und Diplomaten hinzustellen. Weil sie vor der Welt keine Verantwortung zu tragen hat, bürden sie ihr eine zweifache auf, schreiben alles Gute, das unter einer Regierung geschieht, auf das eigene Konto oder auf das des Herrschers, buchen schadenfroh-lächelnd Mißerfolge auf das Konto der Unverantwortlichen, die, so sagen sie, durch ihre Einflüsterungen alles verdorben hat. Sollte es sich wirklich so verhalten, wie sie sagen? Sollte, solange die Welt steht, die Frau in der Politik immer nur falsch und böse, niemals aber richtig und gut beraten haben? Haben nicht vielmehr die Männer mit hundert schadenfrohen Zungen es laut verkündet, wenn die Politik einer Unverantwortlichen Schiffbruch erlitt, während sie beim Erfolg ihrer Politik taub, stumm und blind, ganz besonders aber stumm wurden? Immerhin haben sich zwei unverantwortliche Politikerinnen so großes Verdienst erworben, daß selbst die Geschichte es ihnen zuerkennt und es für immer mit ihrem Namen getauft hat. Das war im Jahre 1529, da Kaiser Karl V. und Franz I. von Frankreich (1494-1547) seit Jahren miteinander Krieg führten und nicht zum Frieden kommen konnten. Da dachten zwei gescheite Frauen, Margarete von Savoyen, die Tante des Kaisers, und die Herzogin von Angoulême, die Mutter des Königs, denselben Gedanken, der ungefähr so aussah: »Der erlauchte Neffe und der erlauchte Sohn sind so verbissen ineinander, daß sie meinen, der Krieg dürfe nie mehr aufhören. Wenn wir, zwei bedächtige Frauen, diese jungen Rappelköpfe nicht zur Ruhe bringen können, sieht die Welt überhaupt keinen Frieden mehr, und darum werden wir in unserer Fraueneinfalt fertigbringen, was unserem erlauchten Neffen und erlauchtem Sohn unmöglich erscheint!« So kamen denn die beiden Frauen, jede mit ihrem Gefolge, nach Cambrai, sprachen einander angeblich nicht, ehe offizielle Verhandlungen durch Diplomaten und Politiker anberaumt und vorbereitet waren, wohnten aber in Häusern, die aneinander stießen, und ließen nächtens heimlich die Mauer durchschlagen, die beide Häuser trennte. Da schlüpfte denn ungesehen die Savoyerin zur Angoulême und diese wiederum zur kaiserlichen Tante, und weil sie beide zwar unverantwortlich, aber klug und gut waren, und König Franz, der Besiegte, zärtlich an seiner Mutter hing und ihr immer noch gehorchte wie ein braver, kleiner Junge, brachten die Frauen zustande, was die Männer bislang nicht fertiggebracht hatten. Schlossen den Frieden, der ihnen zu Ehren den zierlichen Namen trägt »Der Damenfrieden von Cambrai«.