Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Indessen die Frauen ausgesperrt blieben, standen die Männer mit hochwichtigen Mienen um den mächtigen Webstuhl der Politik, freuten sich, wenn die Fäden glatt und fehlerlos liefen, machten einander heftige Vorwürfe, wenn es einmal einen Webeknoten gab, den natürlich keiner verschuldet haben wollte. Ungemein emsig waren sie bei ihrer Arbeit und setzten nur ein Weilchen aus, als draußen, vor der verriegelten Türe, die Sage zu erzählen begann. Denn was die Sage erzählt, interessiert zuweilen auch ernsthafte Männer und dringt durch jede noch so fest verschlossene Türe … Und als sie die drei Geschichten gehört hatten, meinten sie: »Natürlich, das könnte unseren Frauen passen! Regieren, das große Wort führen, uns das Hauswesen und die Kinder aufbürden und inzwischen mit einem hübschen Laffen scharmuzieren! Gott sei Dank, daß dies alles nur Märchen für große Kinder sind! Wir, die Männer der Wirklichkeit, werden niemals dulden, daß eine Frauenhand in unsere eigensten Angelegenheiten hineingreift. Und zwanzig Jahre lang Krieg führen um eine Frau, – Gott soll uns davor bewahren! So etwas wird uns nie einfallen, schon deshalb nicht, weil innerhalb dieser zwanzig Jahre keine Frau schöner oder jünger wird! König Menelaus muß ein Einfaltspinsel gewesen sein, daß er nicht schon nach fünf Jahren dem Entführer sagte: ›Behalte sie, ich reflektiere nicht mehr auf sie!‹«
Alle lachten und beugten sich wieder mit gespannter Aufmerksamkeit über den Webstuhl, dessen Behandlung bald immer komplizierter, immer schwieriger wurde. Denn immer neue Staaten bildeten sich, immer klüger und umsichtiger wurden die Staatsmänner, immer mühevoller wurde es, Bündnisse oder Verträge zu gewinnen, aus denen beide Teile Vorteil ziehen konnten. Waffenbrüderschaft, Handelsvertrag, Machtzuwachs durch Eroberung und Friedensschluß waren schöne Dinge, aber man mußte trachten, sie inniger zu festigen, als durch Handschlag, oder ein langstieliges Aktenstück. Die Männer sannen und erwogen und schließlich sagte der eine: »Wie wär's …?« Und der andere, ohne ihn ausreden zu lassen, pflichtete ihm bei: »Ich habe auch schon gedacht …«, und ein dritter meinte: »Ja, dies scheint mir ein gangbarer Weg …«, und der vierte faßte die Worte der drei anderen zusammen und rief fröhlich: »Jawohl, das ist das Richtige! Die politische Heirat ist ein wichtiges Moment, das wir nicht mehr aus dem Auge lassen dürfen! Die politische Heirat gewährt uns als Selbstverständlichkeit nicht nur Bündnisse und Verträge, sondern je nachdem auch Machtzuwachs ohne Blutvergießen. Merkwürdig, daß wir nicht gleich, als wir den Staat ersannen, auch an die politische Heirat gedacht haben!« Wie es nun im Geheimkabinett Brauch war, behauptete jeder, daß er von jeher die politische Heirat erwogen und vorgeschlagen habe, aber von den andern stets abgelehnt worden sei, und nachdem sie ein Weilchen Vorwürfe und Stichelreden getauscht hatten, stand einer von ihnen auf, entriegelte die verschlossene Türe und ließ Botschaft hinübersagen ins Frauengemach.
Da erscheint in dem Geheimgemach ein langer Zug bräutlich geschmückter Frauen. Es sind Königs- und Fürstentöchter, die bestimmt sind, die Politik ihrer Heimat mit der eines fremden Staates zu verbinden. Ihnen voran schreitet eine kleine Gruppe junger Mädchen, die Kronreife um die weißen Stirnen tragen, und vor ihren blonden oder dunklen Scheiteln neigen sich die Männer im Geheimgemach bis zur Erde. Das sind die großen Erbtöchter, die bevorzugten Prinzessinnen jener Staaten, in denen das Salische Gesetz nicht gilt, und also auch Frauen den Thron besteigen dürfen. Sie verkörpern nicht nur Haus- und Vaterlands-, sondern unter Umständen auch Weltpolitik, und darum soll von ihnen ein wenig später ausführlicher die Rede sein. Jetzt aber wollen wir von der Durchschnittsprinzessin sprechen, und von der Brautfahrt, die sie auf Geheiß der Politik unternehmen muß. Brautfahrten von Norden nach Süden, von Osten nach Westen, Brautfahrten von überfeinerten Höfen zu solchen, an denen man noch das Fleisch mit den Händen zerreißt, Brautfahrten von Spanien nach England, von Dänemark nach Frankreich, von Griechenland nach Aachen, von Mailand nach Wien, von Polen nach Bayern, Brautfahrten ohne Ende, daß Europa beinahe einer hochzeitlichen Völkerwanderung im Kleinen gleicht. Niemand fragt das Mädchen, das der Politik verschrieben worden ist, ob es ihm schwer wird, Eltern, Gespielen und Heimat zu verlassen, ob es vielleicht eine heimliche Liebe im Herzen trägt, ob es nicht im fremden Lande sich halbtot sehnt nach der Heimat, ihrem Klima, ihren Sitten und ihren Menschen. Niemand kümmert sich darum, ob der Freier, den die Politik ihr bestimmt hat, zu ihr paßt, und ob sie mit ihm glücklich werden kann, denn die Politik hat nichts übrig für Herzensangelegenheiten oder -wünsche junger Mädchen. Vielleicht erwartet das junge Ding ein wüster, verlebter Lüderian, vielleicht ein grauhaariger Mann, der ihr Vater, wenn nicht gar ihr Großvater sein kann, vielleicht ein unreifer, wenn nicht gar ein halb blödsinniger Junge, – die Politik sieht nicht auf Gestalt und Antlitz, sondern nur auf das Wohl des Staates. Und darum verlobt sie nicht nur Backfische mit Greisen, und Vollerblühte mit Halbwüchsigen, sondern ruft auch Kinder heran, damit die Patschhändchen, die kaum zu bitten gelernt haben, als Unterpfand oder Siegel für Bündnis und Vertrag gelten sollen. Ein Austauschen von kleinen Prinzessinnen hebt an, als spielten sämtliche Höfe »Kämmerlein vermieten«. Denn nach dem Grundsatz »doppelt genäht hält besser«, ist man in den meisten Fällen bestrebt, eine Doppelverlobung, zuweilen sogar eine Tripelverlobung zustande zu bringen, in deren Verlauf die Prinzeßchen zu den künftigen Schwiegereltern gebracht werden, damit sie dem kindlichen Bräutigam Spielgenossin sind und auch, damit man sie ganz so für ihn erziehen kann, wie man sie haben will. Bei diesen Kinderverlöbnissen und -reisen gibt es natürlich allerlei komische Zwischenfälle. Eine dreijährige Spanierin wird von ihrem elfjährigen französischen Bräutigam zwar, wie man es ihm eingelernt hat, mit den Worten begrüßt: »Madame, ich bin entzückt Sie zu sehen«, aber gleich darauf kehrt ihr der kleine Bursche unbekümmert den Rücken, was sie aber gar nicht kränkt, denn sie erhält zum Willkomm eine märchenhaft schöne Puppe, die sie mit lautem »ah, ah« begrüßt und über der sie den künftigen Eheherrn völlig vergißt … Eine kleine Bretonin dagegen erhebt, da die künftigen Schwiegereltern zu Besuch kommen, ein derartiges Gebrüll, daß die Erzieherin sie tief beschämt schleunigst beiseite bringen muß … Zuweilen führten diese Kinderverlöbnisse zu einer wirklichen Heirat, nicht selten aber wurden sie nach einiger Zeit von der Politik wieder aufgelöst, denn Politik ist ja nichts Feststehendes, ändert alle Augenblicke das Gesicht, und so war es kein ungewöhnlicher Vorgang, daß die kleinen Austauschprinzessinnen abermals ausgetauscht und ihren Eltern zurückgegeben wurden. Solche Rücksendung vollzog sich bisweilen in höflicher, bisweilen in unhöflicher Form, und niemand fragte die Heimgekehrte, ob ihr Herz sich nun gekränkt oder erleichtert fühlte. Politik hatte sie fortgeschickt, Politik brachte sie heim und schaute alsbald nach einer anderen passenden Partie aus; passend für den Staat, und nur nebenbei für das Fräulein …
Wie die Ehen der politischen Bräute ausfielen? Nun, manche von ihnen wurde sicher glücklich, führte ein Paar zusammen, das in Liebe vollendete, was Staatskunst begonnen hatte, so daß die junge Frau in Güte und Zärtlichkeit den Einfluß gewann, den die Politiker ihres Landes von ihr erhofft hatten. In anderen Bräuten erwachte vielleicht statt Liebe Ehrgeiz, und sie brachten es fertig, sich aus eigener Kraft eine hervorragende Stellung zu schaffen, und Politik aus eigener Machtvollkommenheit zu treiben. Wieder anderen freilich fiel ein dunkleres Eheloos, wie jener Eleonore von Schottland, die Ludwig XI. von Frankreich (1423 bis 1483) geheiratet hatte. Sie starb mit neunzehn Jahren und ihre letzten Worte, die ihr ganzes Elend offenbaren, lauteten: »Pfui über das Leben, ich will nichts mehr davon hören!« Schlimm, überaus schlimm wird die Lage der um der Politik willen Gefreiten, wenn eine andere Frau eine andere politische Gestaltung, die auch nur eine politische Laune sein kann, in Betracht kommt. Heinrich VIII. von England (1491-1547) hatte aus Politik Katharina von Aragon geheiratet und über zwanzig Jahre lang in guter Ehe mit ihr gelebt, bis sie zu altern begann und neben ihr der Reiz einer jungen Hofdame, Anna Boleyn, erstrahlte. Da fiel es dem König plötzlich ein, daß seine Ehe eigentlich Sünde gegen die heilige Kirche sei, weil seine Frau in erster Ehe mit seinem verstorbenen Bruder vermählt gewesen war, und er verlangte in Rom die Scheidung. Da der Papst sie weigerte, spürte Heinrich am eigenen Leibe, daß Roms Fessel schwer auf England lastete, und nun versagte er dem Papst den Gehorsam, schied seine Ehe aus eigener Machtvollkommenheit, und riß damit sein Land von Rom los. So wurde Englands Unabhängigkeit mit dem Herzblut einer Frau erkauft … Komischer dagegen gestaltete sich Heinrichs andere Ehe- und Scheidungsgeschichte, mit und von Anna von Kleve, die seine vierte Frau und von ihm gewählt wurde, weil sie protestantisch war, und seine Politik damals Anschluß an die protestantische Bewegung in Deutschland suchte. Doch bis die Prinzessin in England eintraf, war sein Anschlußbedürfnis schon wieder geschwunden, und als er obendrein sah, daß Anna beileibe nicht so hübsch war, wie Frau Politik und Hans Holbein sie gemalt hatten, wurde er enttäuscht und zornig. Er mäkelte, daß die Prinzessin das Gesicht eines Sonntagspredigers und die Gestalt einer flandrischen Stute habe; außerdem sei sie gefräßig, und er könne Frauen mit großem Appetit nun einmal nicht ausstehen … Man kann sich denken, wie angenehm diese Eröffnungen für die Braut waren, zudem er sich nur mit Mühe davon abhalten ließ, sie alsbald wieder nach Kleve zurückzuschicken. Die Ehe wurde denn auch, kaum geschlossen, gleich wieder geschieden, doch wehrte sich Fräulein Anna, die um der Politik willen nach England geschickt worden war, mit aller Macht dagegen, daß sie nun ohne triftigen Grund wieder heimbefördert werden sollte. Sie setzte es durch, daß sie als »des Königs gute Schwester« in England bleiben, eine ansehnliche Jahresrente beziehen und ihrem gesegneten Appetit nach Herzenslust frönen konnte … –
Man denkt vielleicht, solch schmähliche Behandlung wäre einer schönen Frau nicht passiert, aber die politischen Bräute wurden ja nicht nach ihrem hübschen Äußeren ausgesucht. Wohl mochte es für jeden Herrscher oder Staatsmann angenehmer sein, eine Prinzessin anzubieten, die man »die schöne Else« nannte, als eine, die »Johanna das Hinkebein« hieß, zuweilen aber waren gerade körperliche oder geistige Vorzüge keine Empfehlung für die Heirat. Das scheint sinnwidrig, ist aber doch mehr denn einmal vorgekommen, besonders an Höfen, wo, gleichviel ob mit oder ohne Recht, eine Frau die Herrschaft führte und weder in der Gunst des Mannes noch in den Staatsgeschäften eine einflußreiche Nebenbuhlerin haben wollte. Als die Zarin Elisabeth (1709-1762) für ihren Thronfolger, den jungen Peter, eine Frau suchte, wurden ihr aus aller Herren Länder schöne, gebildete Prinzessinnen angeboten. Ihre Wahl aber fiel auf ein scheinbares Nichts, auf die kleine Prinzessin Sofie Friederike von Anhalt-Zerbst (nachmals Katharina die Große), von der Preußens Gesandter rühmend erzählt hatte, daß sie nichts sein werde und sein wolle, als die Frau ihres Mannes und die Mutter ihrer Kinder. Außerdem sei ihr Vater ein ungewöhnlich einfältiger Mann, so daß politische Einflüsterungen und Zettelungen von dieser Seite her ausgeschlossen sein dürften. Und wahrhaftig, die Einfältigkeit des alten Herrn von Zerbst gab den Ausschlag, und seine Tochter wurde dem Thronfolger angetraut …
Nein, Schönheit war nicht immer eine Empfehlung und auch nicht immer ein sicherer Schutz für die aus Politik gewählte Frau. Ihr bester Schutz, der sie beinahe unantastbar machte, war immer der Sohn, den sie dem Gatten schenkte. Wenn ihr das Schicksal den Sohn versagte, war ihre politische Sendung gefährdet, wenn nicht gar vernichtet. Denn wenn ihm der Sohn fehlte, sah sich der Mann vielleicht nach einer anderen Gattin um, oder mußte zum mindesten einen Erben anerkennen, der nicht aus eigenem Blut entsprossen war. Der Sohn, auch wenn er noch in den Windeln lag, gab seiner Mutter erst die befestigte Stellung, und williger duldeten die Politiker, daß die Hand der Frau in die Staatsgeschäfte eingriff, wenn sie es mit dem Sohn, für den Sohn tat. Kamen statt seiner Töchter und immer wieder Töchter, so erschienen sie den Staatenlenkern wie eine Fopperei des Geschicks, wenngleich man sie natürlich für politische Heiraten verwenden konnte. Nur in vereinzelten Ländern verzieh man der Frau, die statt eines männlichen Erben eine Tochter zur Welt brachte, ein Mädchen, das späterhin um die weiße Stirne einen Goldreif tragen wird, – eine große Erbtochter.