Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Eine große Erbtochter sein, heißt: Politik sein, passive oder aktive, aber immerfort Politik. Eine große Erbtochter ist für die Staatengebilde und für die Staatenlenker gar keine Frau, sondern ein Komplex politischer Möglichkeiten und Machenschaften. Wo sie am Staatenhimmel auftaucht, gleicht sie beinahe einem Kometen, einer seltenen, glanzvollen Erscheinung, zu der jeder emporstarrt, und die doch Zwietracht, Krieg, Katastrophen aller Art ankündigen kann. Allerdings bedeutet dieser mädchenhafte Komet nicht für alle Unheil, kann, muß sogar für den einen oder andern der wahre Glücksstern werden. Es kommt nur darauf an, den Weg von Fräulein Komet im richtigen Augenblick erfolgreich zu kreuzen und den entzückend-gefährlichen Irrstern so zu leiten, daß er nicht mehr die Ordnung des ganzen politischen Planetensystems bedroht, sondern als braver Fixstern sich einem anderen Fixstern vermählt. Da begegnet die hochzeitliche Völkerwanderung der politischen Bräute bald einer Schar festlichgeschmückter Prinzen, die wie Hans-guck-in-die-Luft mit zum Himmel gewandten Augen einherschreiten und emsig das Firmament absuchen, ob nicht irgendwo das Flammenschweiflein eines holden Kometen sichtbar wird. Oder vielmehr, sie wissen schon, wo der Komet erscheint, denn die Mühe der Kometensuche haben ihnen ja die Staatsmänner abgenommen, die genau Buch führen über jede Erbtochter, und jedes Prinzeßchen, das zur Welt kommt, daraufhin begucken, ob es nicht vielleicht später einmal eine Erbtochter werden könnte. Die Hauptsache ist, so denken die Politiker, daß man für jede gleich den richtigen Freier zur Hand hat, damit einem nicht ein anderes Herrscherhaus, ein anderer Staat zuvorkommt. Die ganze Zukunft eines Landes kann verpaßt werden, wenn man den günstigen Moment versäumt oder der Freier nicht entspricht, die Größe und Weltbedeutung eines Staates kann davon abhängen, daß ein hübscher, prächtig gekleideter Prinz in der entscheidenden Minute graziös ins Knie sinken und überzeugend flöten kann: »Ich liebe Sie!« Ich liebe Sie, – das heißt in diesem Fall und in der Sprache nüchterner Wahrheit soviel wie: »Mein Land möchte gerne das Ihre und darum sollen Sie mich heiraten!« Weniger noch als bei den politischen Durchschnittsbräuten spielen bei der großen Erbtochter äußere oder innere Vorzüge eine Rolle. Sie ist ein Komplex politischer Möglichkeiten oder Machenschaften, – wer will da nach ihrem Gesicht, ihrem Geist oder ihrer Seele fragen?! Man freit um sie, wie man eben um alles Seltene und Kostbare freit. Man freit um das Mannweib Christine von Schweden, man freit um die häßliche und liederliche Margarete von Maultasch, man freit, auch da ihr Geist schon umnachtet ist, um die Unglückliche, die als »Johanna die Wahnsinnige« durch die Geschichte schreitet, und man würde um Teufels Großmutter freien, sofern diese alte Dame ein Erbland zu vergeben hätte … – Es gibt Staaten und Herrscherhäuser, deren Politiker hervorragendes Geschick für die Heiratsvermittlung mit Erbtöchtern besitzen. Für Österreich wurde ja der Spruch gemünzt: »Andere mögen Krieg führen, du, glückseliges Österreich, heirate!«, und Frankreich dankt sein festgeschlossenes Staatsgefüge nicht zuletzt klugen Heiraten seiner Dynastien mit stammverwandten Erbtöchtern … –
Während die Politiker sich eifriger noch als sonst und in herzklopfender Angst vor einem Fehlschlag über das hochwichtige Gewebe beugen, dem plötzlich ein Myrtenmuster eingewebt werden soll, steht die große Erbtochter mit dem Krönchen auf dem Haupte und wartet ergeben, wer sie im Wettbewerb der Freier als Beute erringen wird. Sie ist ja nicht nur ein Komplex politischer Möglichkeiten und Machenschaften, sie ist ja auch eine Frau, eine schutzlose Frau, die eigentlich froh sein muß, wenn der Freier, der Gatte sie und ihren Besitz schützt, auch wenn es ein ähnlicher »Schutz« ist, wie ihn kolonisationslüsterne Nationen wilden Eingebornen angedeihen lassen … Die Erbtochter »schützen« heißt zwar soviel wie »Besitz von ihr ergreifen«, aber das ist immer noch besser, als Stück für Stück Macht und Land verlieren. Nur eine so große Erbtochter, wie Maria Theresia von Österreich, deren ungeheurer Länderbesitz sich zu dem anderer Erbtöchter verhält, wie der Chimborasso zum Wendelstein oder zum Brocken, kann auf den ehelichen Schutzherrn verzichten und nach ihrem Herzen einen kleinen Fürsten heiraten, obwohl sich auch bei ihr späterhin zeigen wird, daß es für das Land besser gewesen wäre, wenn sie statt des Herzogs von Lothringen den Kronprinzen von Preußen genommen hätte. Die kleineren Erbtöchter aber, die trotz ihrer Krone so hilflos sind, müssen trachten, möglichst früh und möglichst lange Zeit verheiratet zu sein. Gelingt es nicht mit dem ersten Gatten, dann mit einem zweiten oder einem dritten. Die Politik hat ihnen nicht gestattet nach ihrem Herzen zu wählen, sie gestattet ihnen auch nur eine kurze Witwentrauer. Will einmal eine starke und eigenwillige Erbtochter Selbständigkeit oder Treue wahren, so gibt es ein sehr einfaches Mittel, um sie zu Vernunft und Nachgiebigkeit zu bringen: man flötet nicht mehr »ich liebe Sie«, sondern man überzieht sie mit Krieg. So war es bei Anna von der Bretagne (1476-1514), um die nach ihres Vaters Tod Karl VIII. von Frankreich warb, obschon man sie als Halbwüchsige mit Maximilian von Österreich verheiratet hatte. Annas Herz hing vielleicht an dem fernen Gemahl, den man »der letzte Ritter« nennt, und ihrem stolzen Sinn gefiel es, schon jetzt, noch ehe die Ehe vollzogen war, sich als »römische Königin« zu betrachten und zu unterzeichnen. Aber Karl VIII. verstand keinen Spaß, und sprach ungefähr wie die Tochter des Erlkönigs: »Und bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt!« Schickte auch gleich seine Heere nach der Bretagne, besiegte natürlich die kleine bretonische Armee, die der jungen Herrin die Treue wahrte, und brachte Anna in solche Not, daß sie nicht nur aus ihrer Hauptstadt fliehen, sondern auch all ihre Kleinodien bis auf die goldenen Hostienschalen verpfänden mußte. Und damit noch nicht genug, verlangte er von ihr, daß sie zu seinen Gunsten ihrem Land und ihrer Macht entsage, wofür er als Entgelt eine Jahresrente von hunderttausend Talern zahlen und ihr außerdem drei Freier aussuchen würde, unter denen sie den künftigen Gemahl wählen könne. Da Anna erklärte, daß sie nur einen König oder einen Königssohn heiraten würde, vereinfachte sich die Sache. Karl VIII., der bisher nur als Sieger gesprochen hatte, stimmte nun eine holdere Schalmei an, und wenn er vielleicht auch nicht graziös ins Knie sank und sprach »ich liebe Sie«, so wurde Anna dennoch seine Frau. Da sie ihm keinen Sohn gebar und nach seinem frühen Tod doch wieder einen König haben wollte, heiratet sie seinen Nachfolger, Ludwig XII., so daß sie also in ihrem kurzen Leben drei Könige als Gatten gehabt hatte. Doch trotz dreier Kronen hat diese willensstarke Frau innerlich eine große Tragödie erlebt: die Tragödie der geopferten, politischen Selbständigkeit, oder wenn man will, die Tragikomödie des Partikularismus. Sie hing an ihrer Bretagne mit ganzem Herzen, war immerfort bestrebt, ihrem Herzogtum sein eigenes Wesen und seine eigene Macht zu erhalten, und stieß dabei auf den ebenso begreiflichen wie für sie schmerzlichen Widerstand der Gatten, insbesondere Ludwigs XII. Und wenn er auch lächelnd zusah, wie Anna sich in der Bretagne als Herzogin betrug und dort Souveränitätsrechte ausübte, wenn er sie, in zärtlicher Anspielung auf ihren und ihrer Landsleute Eigensinn »meine Bretonin« nannte, so gab es doch schwere Kämpfe zwischen dem Königspaar, als die Erbtochter dieser Ehe, Claudia, nicht wie Anna wünschte, mit einem Habsburger, sondern mit dem Herzog von Angoulême, dem Thronfolger Frankreichs, verlobt werden sollte. Es war der Verzweiflungskampf ihres bretonischen Partikularismus, den Anna da kämpfte und verlor, wenn auch die Ehe mit dem Herzog und die Einverleibung der Bretagne erst nach dem Tode der Königin vollzogen wurden … – Und eine Tragödie anderer aber nicht geringerer Art hat die schöne Jacobäa von Holland (1401-1436) erlebt, die mit siebzehn Jahren schon den ersten Gatten begraben hatte, dann der Politik zuliebe mit einem täppischen Herzog von Brabant, dann mit dem englischen Herzog von Gloucester verheiratet wurde, und der trotz dieser zahlreichen Ehen die eigenen Sippen Stück für Stück des Landes aus den Händen rissen, weil der Gemahl bald zu schwach, bald nicht genügend von seiner heimischen Heeresmacht gestützt wurde. Schließlich mußte sie nach langem, heldenmütigem Widerstand ihre Grafschaften an Philipp den Guten von Burgund abtreten (ob er ihr wohl sehr »gut« vorgekommen ist?) und sich außerdem verpflichten, keine neue Ehe ohne seine Zustimmung einzugehen. Als sie, der leidigen Politik müde, trotzdem ihrem Herzen folgen und einen einfachen Edelmann heiraten wollte, zwang der »gute« Herzog, der von der heimlichen Liebesehe erfahren hatte, die tapfere, hartgeprüfte Frau, auf sämtliche Länder zugunsten Burgunds zu verzichten! … –
Ein Spielball der Politik und politischer Heiratsvermittlung war auch die Erbtochter Tirols, Margarete Maultasch (1318-1369), die ebenfalls zuerst einem läppischen Jungen, dem Königssohn von Böhmen vermählt wurde, von dem sie sich bald wieder trennte, da sie keine Kinder von ihm zu erwarten hatte. Nun vermählte Kaiser Ludwig der Bayer sie seinem Sohne Ludwig, dem sie einen Sohn gebar, der späterhin einer österreichischen Prinzessin verlobt wurde. Doch trotz der starken Faust des bayrischen Schwiegervaters war sie, nachdem Gatte und Sohn schnell nacheinander starben, außerstande, ihre Herrschaft zu behaupten, und so entsagte sie, wie Jacobäa von Holland entsagt hatte, gab ihr schönes Land an die Habsburger und beschloß ihr nach keiner Seite hin rühmliches Leben in Wien …
Politikerin ganz anderen Stils und in gewissem Sinn auch ganz anderen Erfolgs war die Herzogin Annemarie Luise von Montpensier (1627-1693), die Base Ludwigs XIV. von Frankreich, die durch ihre Mutter Güter von so unermeßlichem Werte geerbt hatte, daß sie, ohne Herrschergewalt zu haben, großes Gewicht im Staate besaß. Man kann sich denken, daß auch dieser Komet allen Kabinetten Europas signalisiert war, und daß die Prinzen aller Höfe sich vor »dem großen Fräulein« (dies war ihr Name) graziös ins Knie sinken ließen und flöteten: »Ich liebe Sie!« Sie alle übertraf freilich der englische Prinz Karl Stuart, dessen Vater der enthauptete Karl I. war. Der nach Frankreich geflüchtete junge Prinz erklärte nämlich dem großen Fräulein nach seiner Rückkehr von einer unglücklichen Expedition, die er zur Wiedergewinnung des väterlichen Thrones gemacht hatte, daß er auch in den allerkritischsten Situationen nur an sie gedacht habe, und sein Königreich leicht verschmerze, da er sie, die Angebetete, wiedersehen dürfe. Und als sie meinte, daß sie doch keinen Protestanten heiraten könne, antwortete er feurig, er schätze sich glücklich, ihr sein Gewissen und sein Seelenheil zu opfern. Kann ein Freier eigentlich mehr versprechen und bieten? Gewiß nicht! Aber dieses große Fräulein war wahrscheinlich nur nebenbei ein eitles Mädchen, in der Hauptsache aber eine ehrgeizige Politikerin, und so fand sie diesen scheinbar verliebten und opferwilligen Prinzen Ohneland vielleicht ganz nett und unterhaltsam, aber doch für eine Heirat nicht recht geeignet. Ihre Wünsche gingen höher, viel höher, gingen bis zu ihrem königlichen, noch unvermählten Vetter, und nicht ganz so, aber doch ähnlich wie Karl VIII., dachte auch sie an eine Gewaltpolitik. Sie rechnete ganz richtig, daß ein Mächtiger immer wieder von Macht angezogen wird, und nun ging ihr Trachten dahin, ihrem großen Güterbesitz politische Macht zu gesellen. Ein ungewöhnlicher Traum für ein junges, weibliches Wesen, aber das große Fräulein träumte ihn, und der Bürgerkrieg der Fronde, den Frankreichs Adel gegen das Königtum führte, kam ihr zu Hilfe. Gleich anderen vornehmen Damen, stürzte sie sich nicht nur mit Feuereifer hinein, sondern verteidigte auch geschickt und mutvoll die Stadt Orleans gegen die Königlichen, brachte die Bürger von Paris dahin, daß sie ihre Tore den aufständischen Truppen öffneten. So ist sie sicherlich eine Persönlichkeit geworden, an der man in Frankreich nicht vorübersehen konnte, aber das Ziel ihres politischen Strebens – die Königskrone – hat sie doch nicht erreicht. Der König verfolgte nämlich ihr gegenüber eine sehr schäbige Politik: er verhinderte jede Heirat, die sich ihr bot, weil er ihre Ländereien und ihren Reichtum für sein eigenes Haus, insbesondere für die illegitimen Kinder, die ihm die Gräfin Montespan geboren hatte, bewahren wollte. Schließlich wurde das große Fräulein der Quertreibereien des Vetters müde, verliebte sich als schon Alternde in einen jungen, hübschen und leichtfertigen Edelmann, den sie heimlich heiratete, allerdings nur, um sich bald wieder von ihm scheiden zu lassen, da sie merkte, daß auch er es nur auf ihren Reichtum abgesehen hatte …
Der Reif, der um die weißen Stirnen der großen Erbtöchter lag, war aus echtem Golde, aber der andere, den das Glück für sie bereit zu halten schien, war nur aus Truggold. Vielleicht hatten jene das beste Los gezogen, die, gleich der burgundischen Erbtochter Maria, jung starben, noch ehe das Truggold zerronnen war. Und gewiß waren die Glücklichen unter ihnen nicht die Starken, sondern die Schwachen, die gar keine Politikerinnen, sondern nur Frauen sein wollten, wie jene Claudia, die ihr Erbland an Frankreich schenkte, »die gute Königin« hieß und im Namen der grünen Pflaume »Reine Claude« unsterblich fortlebt. Nach der flackernden Kometenunruhe anderer großer Erbtöchter erholt sich das Auge beim Anblick einer Königin, die nichts anderes sein will, als ihres Königs Ehehälfte und bei einer grünen Pflaume Paten steht –