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Der Sessel der Herrscherin steht verwaist. Vielleicht hat der Tod sie abberufen, vielleicht hat sie, wie Christine von Schweden, freiwillig der Krone entsagt, um ihr Leben nach ihrem persönlichen Geschmack einzurichten. Die Männer um den großen Webstuhl her sehen einander an und nicken befriedigt. Gott sei Dank, man ist wieder einmal unter sich! Und schon stürmt auch ein neuer Herr im Jagdanzug herein, ein junger Franzose, schlägt mit der Reitgerte auf den Rahmen des Webstuhls, daß die Männer erschrocken zusammenfahren, und ruft mit einer stolzen Bewegung des königlichen Jünglingshauptes: »Der Staat, das bin ich!« Und ehe sie noch überlegen können, daß für diesen temperamentvollen jungen Mann, den die Geschichte Ludwig XIV. nennt und der sie von 1638-1715 beherrschen wird, ein neues, ein ganz neues Muster in den Webstuhl eingeschoben werden muß, ist er schon wieder draußen, und durchs Fenster sehen sie, wie er in verliebtem Ungestüm zu irgendeiner schönen und vornehmen Geliebten läuft. Er verbirgt sein heißes Gesicht in ihren rosenduftenden Haaren und ist in ihren Armen kein König, kein Sonnenkönig mehr, sondern nur noch ein glückseliger Mann …
Den Herren im Geheimkabinett liegt zwar der Schrecken noch in den Gliedern, aber trotz allem, – man ist wieder unter sich, und wird es wohl auch bleiben, denn Herr Ludwig läßt sich zwar von Frauen, von geliebten Frauen, gerne leiten, von der Gräfin Montespan sogar tyrannisieren, aber Einmischung in Staatsgeschäfte, o nein, Madame! Nur ein schwacher Mann wie Heinrich II. (1519-1559) konnte seiner Geliebten, der schönen Diane von Poitiers, und ihrer politischen Partei Reichs- und Gemeindeverwaltung, wie den Staatsschatz überlassen, ein Mann aber, der mit der Reitgerte auf den Tisch schlägt: »Der Staat, das bin ich!«, wird solcher Schwäche niemals Untertan sein. Niemals!
O ihr gescheiten, schmunzelnden Herren, glaubt ihr wirklich an dies Niemals?! Wißt ihr nicht, daß die Zeit, die Ludwigs Schönheit und Ruhm benagt, auch vor seinem »Niemals« nicht haltmachen wird? Wißt ihr nicht, daß es über ein kurzes in eurem Geheimgemach wieder von Frauenkleidern rauschen wird und daß Frauen eintreten, die zwar nicht das Diadem der Legitimität, wohl aber das der Liebe auf der Stirne tragen?! Der Germane sagt dann in verächtlich-grobem Ton: »Mätressenpolitik!«, der Romane aber, und besonders der Gallier lächelt milde, wie über eine liebenswürdige Schwäche, die jedem anhaftet, anhaften kann, der ein Franzose und obendrein ein König ist. Und darum, ihr Herren, werdet ihr euch eures frauenlosen Alleinseins nicht lange erfreuen, denn die Politikerin zur linken Hand wird bei euch eintreten, und Herr Ludwig selber wird euch die erste und einflußreichste zuführen! Ihr denkt nun vielleicht, daß da ein langer Zug verworfener, geldgieriger Weiber eintritt, die nichts wollen als Genuß, übermütige Macht, schrankenlose, persönliche Willkür und schamlose Ansammlung von Schätzen aller Art? Ja, wenn die Politikerin zur linken Hand eine so einfach-gemeine Erscheinung wäre, dann hätte der Germane mit seiner groben Verächtlichkeit recht. Wäre sie so gewöhnlich, dann würde sie aber gar nicht nach politischer Macht geizen, sondern sich damit begnügen, den königlichen Liebhaber auszubeuten und sich, wenn sie in die Jahre kommt, in den Schoß der Kirche und ihres klug aufgesparten Reichtums zurückziehen. Wäre sie so gewöhnlich, dann schriebe nicht Herr Friedrich von Preußen der Gräfin Châteauroux, der habsburgfeindlichen, »dem Gefühl der Bewunderung, das ich stets für Sie hegte, gesellt sich jetzt aufrichtige Dankbarkeit«, dann redete die stolze Maria Theresia nicht Frau von Pompadour mit »liebe Cousine« an, dann ließe nicht der Papst insgeheim Ludwig XIV. eine Bulle überreichen, die der Höflichkeit wegen an den König adressiert, in Wahrheit aber für die Augen der Frau von Maintenon bestimmt ist. So jedoch tritt, scheinbar gegen den eigenen Willen, nur auf ausdrücklichen Wunsch Ludwigs XIV., Franziska von Maintenon, verwitwete Scarron, an den großen Webstuhl. Die Männer rundum blicken ein wenig überrascht, denn diese Frau im dunklen Kleide, mit dem Goldkreuz auf der Brust, ist beinahe klösterlich anzusehen. Die erste Jugend liegt weit hinter ihr, ja, wenn man ihr die Jahre nachrechnet, ist von Jugend überhaupt nicht mehr die Rede, denn sie ist schon Mitte der Vierzig, da der König sie erwählt. Aber sie prangt noch in herbstlicher Fülle und ihre großen Augen flammen wie in jungen Tagen. Sie ist ja auch nicht eine große Dame des Hofes, die Liebe, Eitelkeit oder ein skrupelloser Gatte dem König zugeführt haben, sie war die Gouvernante der Montespanschen Kinder, und gewann das zärtliche Vaterherz des Königs wohl zunächst dadurch, daß sie diese Kinder, die er abgöttisch liebte, nicht nur er- sondern auch verzog. Und dann ist sie so klug, so durchaus beherrscht, niemals launisch, niemals heftig, immer gleichmäßig-sanft respektvoll, immer die Frau, die sich unterordnet, die nie ungefragt Rat erteilt, die im Staatsrat am liebsten mit dem Strickstrumpf erschiene, um zu beweisen, daß sie nur eine Frau und gar keine Politikerin ist. Dies alles ist nur Schein, ist Komödie, so geschickt und beharrlich durchgeführt, daß sie schließlich den Wert der Wahrheit beanspruchen darf. Niemals merkt Ludwig, wie ehrgeizig diese Frau im Innern ist, niemals erfährt er, wie oft ihr seine Gegenwart lästig ist, und wie sie sich nach Alleinsein sehnt. Eine harte Jugend und eine starke, wenn auch etwas trockene pädagogische Veranlagung haben sie gelehrt, streng gegen sich selber, nachsichtig gegen andere zu sein, und sie führt dies Programm, sofern es sich nicht um religiöse Dinge handelt, konsequent durch. Von alledem wußte Frau von Montespan nichts, wollte nichts davon wissen, der König aber, allmählich ermüdet vom Leben, von Kriegen, Siegen, Verlusten und zahllosen Liebschaften, fühlt sich geborgen in der Nähe der sanften, klugen und pädagogischen Franziska, hängt ihr bald mit einer Liebe an, die von Zauber herzurühren scheint und für die Frau von Maintenon hundert Jahre früher sicher als Hexe verbrannt worden wäre … Und schon sehen sich die Männer im Geheimkabinett fragend an, sind unschlüssig, ob man nicht am Ende den Sessel mit der Krone auf der Rücklehne für die klösterliche Dame bereitstellen soll, denn es geht das Gerücht, daß der König sie heimlich, in tiefverschwiegener Nacht, geheiratet habe. Sie selbst weist jedes Wort, das auf diese heimliche Trauung anspielt, entschieden zurück, lächelt wohl insgeheim über die Kurzsichtigkeit von Menschen, die meinen, ein Trauring würde ihre Macht vergrößern oder befestigen. Sie braucht weder Erhöhung noch Befestigung. Ludwig, der einst sprach »der Staat, das bin ich«, Ludwig, der wie kein zweiter an sein Gottesgnadentum glaubt, Ludwig legt, als wäre sie seine Vorsehung, des Staates Geschick in ihre wunderschönen Hände und billigt das Unheil, das diese Frau über Frankreich heraufbeschwört. Unter ihrer Herrschaft wird die Religionsfreiheit der Protestanten aufgehoben, jeder »Ketzer« auf das grausamste verfolgt, so daß die fleißigsten und geschicktesten Bürger aus Frankreich auswandern, um in weniger bigotten Ländern Arbeit und eine neue Heimat zu suchen. Unter ihrer Herrschaft wächst ein widerliches Zelotentum empor, das den einst so fröhlichen, glänzenden Hof und das heitere Land mit Trübseligkeit und Heuchelei behängt, unter ihrer Herrschaft wird, weil sie den katholischen Prätendenten protegiert, das protestantische England zum Kriege gereizt. Und der König, der selber immer mehr in Trübsinn versinkt, hängt, je weiter das Unheil voranschreitet, um so fester an der Frau, der sein Glauben gehört. Zu ihr flüchtet er, wenn ihn die Angst vor dem Jenseits packt, vor ihr weint er, vor ihr demütigt er sich, ihr gesteht er ein, daß er Fehler und Schwächen hat, ihr ist es erlaubt, ihn auf Irrtümer hinzuweisen. Und obschon er allmählich in die Sechzig gekommen und die Frau seines Herzens noch etliche Jahre älter ist als er, bedrängt er sie mit einer Zärtlichkeit, die auf Frau von Maintenon offenbar etwas beängstigend wirkt, so daß sie, allerdings mit leiser Eitelkeit, bei ihrem Beichtvater anfragt, ob so etwas sich überhaupt für sie noch schickt … –
Dem trübseligen, frömmelnden alten Paar folgt ein junges, lebensfrohes; Ludwig XV. (1710-1744) und Frau von Pompadour, die er nach dem frühen Tode der Gräfin Châteauroux erkoren hatte, und die er, oder richtiger, die ihn nicht mehr verlassen wird bis zu ihrem Tode. Denn diese zarte, blonde Schönheit besitzt nicht weniger Ehrgeiz, als Frau von Maintenon, und hat sich's in den reizenden, klugen Kopf gesetzt, Ruhm, größten Ruhm für sich und den König zu erwerben, für diesen König, der sie schon bald nicht mehr liebt, sondern nur noch fürchtet, und ihr die Staatsgeschäfte willig überläßt, damit er um so ungestörter seinen Liebesangelegenheiten nachgehen kann. Größten Ruhm will sie ihm erwerben, und welch größeren gäbe es für Frankreich, als Preußens Zerstückelung?! Also Platz, meine Herren, Platz am großen Webstuhl für Frau von Pompadours antipreußische Politik! Und da steht sie nun im mächtig gebauschten Reifrock, im spitzenumsäumten Leibchen mit koketten Schleifen, und einem entzückenden Lächeln, und ist zuversichtlich, o so zuversichtlich! Sie hat ja mit Maria Theresia und Elisabeth von Rußland eine so mächtige Koalition zusammengebracht, daß Preußen unbedingt den Krieg, den schrecklichen Krieg von sieben Jahren, verlieren muß. Muß, – es geht gar nicht anders. Frau von Pompadour wählt und stürzt Minister, ernennt Generäle und Oberbefehlshaber, markiert auf Plänen und Karten die Schlachtlinien mit den Schönheitspflästerchen, die sie in der Eile von ihrem Toilettentisch nimmt. Man hat diese Markierung mit Schönheitspflästerchen der Frau von Pompadour sehr übel vermerkt, und sie wird immer noch gerne zitiert, um darzutun, daß diese Frau leichtfertig und zynisch war. Leichtfertig war sie gewiß nicht, denn sie ist buchstäblich am gebrochenen Herzen über den Ausgang des Krieges gestorben, der ja auch nicht durch die kleinen Schönheitspflästerchen, sondern durch den Großen Friedrich für Frankreich verloren ging. Ebenso wie die Revolution auch dann hereingebrochen wäre, wenn die Nachfolgerin der Pompadour, die Gräfin Dubarry, sich ihren Kaffee in der Küche bestellt hätte, statt in geschmacklosem Übermut zu ihrem königlichen Hansnarren zu sagen: »Frankreich, koche mir Kaffee!«
Dies blendend schöne, von dem sich immer tiefer erniedrigenden König aus einem üblen Haus ins Schloß geführte und zur Gräfin erhobene Mädchen stand wohl ab und zu am großen Webstuhl, war aber immer nur das Werkzeug eines politischen Klüngels und hat es nie zu selbständiger Webearbeit gebracht. Dazu war sie viel zu ungebildet, viel zu oberflächlich, wenngleich sie mehrfach bewies, daß ihr Herz vornehmen Regungen nicht verschlossen blieb … Aber als sie sich nach dem Tode des alten Königs auf ihr Schloß zurückgezogen und ein junger, sehr tugendhafter König den Thron bestiegen hatte, da waren die Männer des Geheimkabinetts dennoch froh und sprachen zueinander: »Die Politik zur linken Hand ist nun wohl für allezeit vorbei und das ist gut. Die Frauen machen ihre Politik immerfort zu gefühlsmäßig, auch wenn sie gar kein Gefühl haben oder zu haben scheinen. Die Maintenon hat aus religiösen Gefühlen heraus Politik gemacht und sich eingebildet, es sei ihre Mission, den König für den Himmel herauszubeten. Die Pompadour hat aus Liebe, nachträglicher Eifersucht und verletzter Eitelkeit antipreußische Politik gemacht, weil sie ihren Ludwig erhöhen, die Châteauroux noch im Grabe kränken, und sich an Herrn Friedrich von Preußen für einen sehr taktlosen Witz rächen wollte, den er sich, wie so manch anderen, durchaus nicht hatte verkneifen können. Nein, es ist nichts mit diesen Politikerinnen zur linken Hand! Sie sind wurzellos, denn sie sind der Staatsgewalt nicht eingeboren, und sie haben warmes Gefühl nur für den Herrscher, nicht für den Staat, weil der Herrscher ihnen gehört, der Staat aber nicht … Wir wollen ihnen darum nicht gram sein, denn es war mitunter doch ganz hübsch, den weißen Arm der Pompadour zu streifen oder den süßen Duft zu atmen, der von dem aschblonden Haar der Dubarry ausging, – aber nun ist's genug! Nun sind wir wieder unter uns, und die Mätressenpolitik gehöre der Vergangenheit an!« … –