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I.
Ausgesperrt!

Der Staat ist eine Schöpfung des Mannes. Männer haben ihn ausgedacht, haben ihn aufgebaut, haben seine Grenzen gezogen, seine Gesetze bestimmt, haben ihn mit Krieg belastet oder mit Werken des Friedens beglückt. Männer haben Waffenbündnisse und Handelsverträge geschlossen, Männer leiteten von jeher die Staatsgeschäfte, gleichviel ob es sich um äußere oder innere Politik handelte. Die Frau, die den Staatsgedanken nicht ausdachte, hat auch, nach dem Gebot der Männer, an seinem Ausbau keinen Anteil haben dürfen. Zum Waffendienst durch ihre körperliche Beschaffenheit untauglich, blieb sie auch von jeglichen politischen Rechten ausgeschlossen, genau so, wie die Unmündigen, Verbrecher und Irrsinnigen, und es hatte beinahe den Anschein, als ob innerhalb des Staates überhaupt kein Raum für sie wäre. Weil aber auch der beste und volkreichste Staat ohne Frau schon in der zweiten Generation aussterben müßte, entschlossen sich die Männer, ihr ein Fleckchen innerhalb der Männerschöpfung einzuräumen, den kleinen Bezirk der praktischer Bevölkerungspolitik, denn Kinderproduktion ohne Beihilfe der Frau ist bis auf den heutigen Tag ein unmögliches Ding geblieben. So sagten die Männer denn zu den Frauen: »Eure einzige und hohe Aufgabe ist es, dem Staat möglichst viele und möglichst kräftige Kinder zu schenken. Die Frau, welche die meisten Kinder gebiert und säugt, hat ihre Lebensaufgabe am besten erfüllt und kann unseres Dankes sicher sein!« Versuchten die Frauen zu entgegnen, daß sie, die Mütter, doch auch mitreden wollten, wenn es sich um das fernere Ergehen ihrer Kinder handelte, meinten sie, daß sie, denen der Fortbestand des Staates oblag, auch seinen wichtigsten Geschäften nicht ferne bleiben dürften, dann sagten die Männer lächelnd: »Ach nein, liebe Frauen, Staatsgeschäfte taugen nicht für euch! Für den Webstuhl der Politik sind eure Hände zu schwach (Galante setzten hinzu: »und zu zart!«), er bedarf der starken Hand der Männer. Ihr gehört nicht in das Geheimkabinett, wo Politik gemacht wird, sondern in das Frauengemach. Wenn es nach orientalischem Geschmack eingerichtet ist, könnt ihr dort den ganzen Tag auf seidenen Kissen herumliegen, euch mit Schmuck behängen und Süßigkeiten lutschen. Ist es europäisch, so mögt ihr, umgeben von euren Mägden, spinnen, köstliche Stickereien fertigen und sanftmütig warten, bis der Eheherr vom Kreuzzug, von der Jagd oder auch nur vom Wirtshaus heimkehrt. Im Lauf der Zeiten und der veränderten Lebensbedingungen wird zwar das Frauengemach zu einem einzigen Zimmer und einer Küche zusammenschrumpfen, aber auch dieser Wirkungskreis genüge einem bescheidenen Herzen! Hier wie dort bleibe eure wichtigste Aufgabe das Kind, und euren Schnabel (Galante sagten: »euren holden Schnabel«) sollt ihr nur auftun, um ein Wiegenlied zu singen, über die teuren Zeiten und die Dienstbotennot zu jammern und zu fragen: ›Was ist das Leibgericht meines Mannes?‹ In allem übrigen aber bleibe er stumm, denn schon der Apostel Paulus hat gesagt: ›Das Weib schweige in der Gemeinde.‹« Da die Frauen vom Apostel Paulus hörten, wurden sie recht niedergeschlagen, denn sie wußten ja, daß die Apostel und die Kirchenväter im allgemeinen nicht gut auf das weibliche Geschlecht zu sprechen sind, und seit der Geschichte mit dem Apfel im Paradiese behaupten, daß alles Böse auf der Welt nur von der Frau herrühre … Als nun die Männer dem Apostelwort noch ernsthaft hinzufügten: »die Politik verdirbt den Charakter«, konnten etliche weibliche Spottvögel ein kleines Lächeln nicht unterdrücken und meinten, an ihrem, der Frauen Charakter, sei doch nichts mehr zu verderben, da sie ohnehin schon als die Wurzel alles Übels betrachtet würden … Die Männer aber, entsetzt über solchen Vorwitz, und des Hin- und Herredens müde, drängten nun die Frauen von der Schwelle des politischen Geheimkabinetts fort, schlossen die Türe und schoben hörbar den schweren Riegel vor. Da standen nun die ausgesperrten Frauen, ließen traurig die Köpfe hängen und träumten davon, wie schön es wäre, wenn auch sie mitweben dürften an den Geschicken des Staates, die heute Politik und morgen Geschichte heißen … –

Während sie noch in Betrübnis standen, ging die Sage vorbei, und weil auch sie eine Frau ist, jammerte sie das Los ihrer Geschlechtsgenossinnen, und um sie ein wenig aufzuheitern, erzählte sie ihnen die seltsame Fabel vom Amazonenstaat. Der war in grauer Vorzeit von klugen und tapferen Frauen, den Amazonen, aufgebaut, regiert und verwaltet worden, genau wie ein Männerstaat, und alles war dort wie im Männerstaat, nur gerade umgekehrt. Frauen herrschten, Frauen bildeten das Heer, Frauen leiteten die Staatsgeschäfte. Die Männer dagegen mußten alles besorgen, was im Männerstaat den Frauen obliegt, mußten Wolle weben, die Kinder hüten, den Frauen gehorchen und durften sich weder um Kriegs- noch um Staatsgeschäfte kümmern. Auch noch von einem anderen Frauenreich erzählte die Sage, das aber nicht in grauer Vorzeit, sondern ums siebente Jahrhundert herum bestanden haben soll. Es war das Weiberreich der böhmischen Königin Wlasta, die mit ihren Frauen den sogenannten »Mägdekrieg« führte, in dem sie aber gegen die feindlichen Männer unterlag, so daß ihr Reich zerstört wurde. Solange die Sage sprach, leuchteten die Gesichter der Frauen, doch als sie zu Ende war, sahen sie wieder niedergeschlagen aus. Sie sagten: »Ach, was du uns da erzählt hast, ist ja wunderschön, aber es ist doch nur ein Märchen! Niemals hatten wir solche Macht und niemals werden wir sie haben!« Die Sage aber lächelte und sprach: »Törichte Kinder, wißt ihr denn nicht, daß in allem, was ich erzähle, ein Körnchen Wahrheit ist, daß alle meine Geschichten einmal Wirklichkeit gewesen sind oder sein werden, wenn auch in anderer Gestalt?! Ich erfinde ja nicht ins Blaue hinein, – in mir spiegeln sich immer wieder Träume, Wünsche und Sehnsucht der Menschheit! Und wenn ihr meint, daß die Frauen niemals so große Macht hätten, wie in einem Frauenstaat, so will ich euch noch eine dritte Geschichte erzählen, von der Macht, die eine einzige Frau über Staaten und Staatengeschick besaß.« Und sie erzählte den aufhorchenden Frauen die Geschichte von der Königin Helena von Griechenland, die so wunderschön war, daß man sie die schönste Frau der Welt nannte, und die darum ihrem Gatten, dem König Menelaus, von dem jungen Trojaner Paris entführt wurde, worauf Griechenland und Troja zwanzig Jahre lang miteinander Krieg führten, bis Troja zerstört und die entführte Helena zu ihrem Gatten zurückgekehrt war. Als die Sage diese Erzählung beendet hatte, fragte sie die atemlos-lauschenden Frauen: »Zwanzig Jahre lang hat diese Frau die Gesamtpolitik von zwei Staaten beherrscht! Zwanzig Jahre lang haben Troja und Griechenland kein anderes, wichtigeres Staatsgeschäft gekannt, als den Besitz dieser Frau! Glaubt ihr eigentlich nicht, daß diese Helena noch mächtiger war, als Wlasta und die Amazonen, obgleich sie keinen Finger um Politik gerührt hat?!« Die Frauen schwiegen, aber es war kein zustimmendes Schweigen. Sie spürten, daß die Sage mit dieser letzten Geschichte sie, die Frauen, auf ihre eigentliche, natürlichste Frauenmacht zurückverweisen wollte und darum gefiel ihnen die Geschichte von der schönen Helena nicht so gut wie die beiden anderen, wenngleich jede einzelne der Frauen natürlich wünschte, so schön und so begehrt wie Helena zu sein … Während sie aber noch sinnend standen, träumten und wünschten, war die Sage lautlos entschwebt … –

Nun waren sie der Wirklichkeit zurückgegeben und mußten sich mit ihr abfinden. Seufzend und beklommen machten sie sich auf die Suche nach einer Wegtafel zum Frauengemach, getröstet von einigen Zuversichtlichen, die gerne alles durch rosenfarbene Gläser sahen und meinten: »Wir wollen nicht den Kopf hängen lassen, sondern an die Worte der Sage denken. Wer weiß, wie sich unser Los wandeln kann, und ob uns nicht die Männer selbst einmal herüberbitten in ihr geheimes, fest verriegeltes Kabinett!« Die anderen lächelten ungläubig oder schüttelten abweisend die Köpfe, und doch behielten die Zuversichtlichen recht. Für diesmal zwar waren die Frauen ausgesperrt, aber schon in Bälde entriegelten die Männer die fest verschlossene Tür und winkten Frauen herein in das allerheiligste Gemach, in dem die hohe Politik gesponnen wird. –


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