Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VII.
Die politische Wochenstube

Um den großen Webstuhl ging es nun gar geschäftig zu, aber die meisten der Männer, die ihn bedienten, waren etwas verschnupft. Die Politik Europas machte nämlich eigentlich ein einziger – Kaiser Napoleon I. –, und mit ihm war weder gut Kirschen essen noch gut Politik machen. In einem Punkte aber stimmten sie alle mit ihm überein, und es bereitete ihnen Vergnügen, den Ausdruck dieser Übereinstimmung an die Frauen weiterzugeben. Sie sprachen: »Verehrte Damen (trotz des Rüpeltones der Revolution sagten sie nicht mehr wie in alten Zeiten »liebe Frauen«, sondern mit weltmännischem Schwung »verehrte Damen!«), wir haben die Überzeugung, daß Ihre gesamte politische Tätigkeit für absehbare Zeit erledigt ist. Es wird jetzt nur Kriegspolitik gemacht, ausschließlich Kriegspolitik, und die dürfte Ihnen doch nicht besonders liegen, wenngleich die weiblichen Herrscher nicht eben Pazifistinnen waren. Insbesondere aber kann der Obergott von Europa – Kaiser Napoleon – die politischen Frauen nicht ausstehen und hat erst neulich der Frau von Staël, der berühmten Schriftstellerin, eine gehörige Abfuhr erteilt. Als sie ihn nämlich, stolz auf ihre literarischen Erfolge und politischen Schriften, fragte, welche Frau er für die beste hielte, antwortete er ihr bündig und nicht eben höflich: ›Diejenige, welche die meisten Kinder hat!‹ Auch hat er nicht gezögert, diese Dame ob ihrer politischen Wirksamkeit aus Frankreich zu verbannen und ihr Buch ›Über Deutschland‹ einstampfen zu lassen … Er selber hat eine Frau gewählt, der Politik so gleichgültig ist, wie der Mann im Mond, und die nur darauf bedacht ist, sich schön anzuziehen und neben dem jüngeren Gatten nicht alt zu wirken. Da der Obergott in Europa den Ton angibt, wäre es auch Kasernenton, so können Sie ermessen, verehrte Damen, daß Sie in unserem Geheimkabinett nichts mehr zu suchen haben. Die Zeiten der Pompadour und der Cabarrus sind vorüber. Das Feld Ihrer Wirksamkeit sei künftighin die Wochenstube, in der Sie sich, wenn möglich jedes Jahr einzufinden haben, damit die Welt genug Soldaten bekommt, um die Kriege des Obergottes zu führen.« Und als sie so gesprochen hatten, verbeugten sie sich, setzten ein wenig ironisch hinzu: »Es war uns sehr angenehm, meine Damen!«, und geleiteten höflich, aber bestimmt, die Frauen aus dem Geheimgemach hinaus. Als sie nun wieder ganz unter sich waren, rieb sich der eine die Hände und meinte: »Gott sei Dank, daß wir die Weiberpolitik los sind! Aus ihrer Wochenstube heraus können sie uns nicht mehr in das Handwerk pfuschen!« Ein anderer aber, der nicht so optimistisch aufgelegt war, schüttelte den Kopf und entgegnete: »Wer will das so bestimmt sagen?! Auch Wochenstuben haben uns schon genug Kopfzerbrechen gemacht. Erinnert euch nur, wie folgenschwer die Wochenstube der englischen Maria I. hätte werden können – –«

Sie mußten erst ein wenig in ihrem Gedächtnis suchen, um sich der englischen Fanatikerin auf dem Throne zu erinnern, denn die Große Revolution hatte es in zwei Teile zerschnitten, so daß ihnen alles, was vor 1789 geschehen war, wie graue Vorzeit erschien. Als dann aber das ungleiche Paar Maria und Philipp wieder deutlich vor ihrem geistigen Auge stand, lächelten sie und begriffen nicht mehr recht die Spannung, mit der sie damals nach England und auf die Hoffnung seiner Königin geblickt hatten. Und doch hätte das Kind, das Maria erhoffte und, wie sie sagte und meinte, bestimmt erhoffen durfte, nichts weniger bedeutet, als die Rekatholisierung Englands, den festen Zusammenschluß Spanien-Englands und damit eine Stärkung der katholischen Mächte auf dem ganzen Festland. Dies war ja der politische Gedanke, der Maria begeisterte, als sie dem jungen Philipp die Hand reichte, und ihr Glück schien vollkommen, als bald nach der Hochzeit alle Anzeichen dafür sprachen, daß der Erlöser, den sie ersehnte, nach der vorschriftsmäßigen Frist eintreffen würde. Das Königspaar war erfüllt von froher und stolzer Zuversicht. Obwohl es nicht Sitte war, daß eine Königin, die ein Kind unter dem Herzen trug, sich in der Öffentlichkeit zeigte, erschien Maria dennoch bei großen Kirchenfeierlichkeiten, und flugs wurden auch Geburtsanzeigen vorgedruckt, (man kann heute noch eine im Britischen Museum in London sehen!), die den fremden Höfen mitteilen sollten, daß durch die Gnade Gottes usw. usw. So kam die Zeit heran, die für die Ankunft des Erlösers ausgerechnet war, und alle am Hofe befanden sich in weihevoller Erwartungsstimmung, aber der Erlöser zögerte und ließ warten. Zögerte auch dann noch, als ein ebenso patriotischer wie voreiliger Kapitän, der in irgendeinem Hafen lag, Freudensalven abfeuern ließ, worauf die Glocken der Hafenstadt zu läuten begannen, weil man meinte, daß nun endlich das Königskind geboren sei. Aber auch da war es noch nicht geboren, wurde überhaupt niemals geboren, obgleich die Königin nicht aufhörte zu glauben, zu hoffen, und sogar Wehen empfinden wollte. Ach, Hoffnungen, Träume, Wehen, Geburtsanzeigen, Freudensalven und Glockengeläute, – alles war vergebens! Der Erlöser erschien nicht, konnte niemals erscheinen, denn Königin Maria war nicht, wie sie gemeint hatte, guter Hoffnung, sondern litt an beginnender Wassersucht, an der auch ihr Vater gestorben war. Diese Lösung des königlichen Mißverständnisses rief natürlich auf dem Kontinent wie in England geteilte Gefühle hervor. Die Katholiken sahen einen stolzen Traum zerrinnen, die Protestanten atmeten erleichtert auf, die Königin, jeder menschlichen und politischen Zukunft beraubt, verfiel in Tiefsinn, Philipp reiste, indigniert und blamiert, wenn auch äußerlich beherrscht, nach den Niederlanden ab, wo sein Vater, Kaiser Karl V., eben die Krone niedergelegt hatte, die nun auf Philipps Haupt saß. Diese Krone, der ein Kinderhändchen die englische hätte vermählen sollen, und die nun, gleich Maria, einsam blieb, weil in der englischen Wochenstube eine leere Wiege stand – –

Kaum hatten die Männer sich dieser alten Geschichte entsonnen und ein wenig darüber gewitzelt, da zog schon wieder eine Wochenstube, die durchaus nicht erscheinen wollte, ihre Aufmerksamkeit auf sich. Kaiserin Josefine von Frankreich, die ihrem ersten Gemahl, dem enthaupteten Marquis Beauharnais, zwei Kinder geboren hatte, war in ihrer zweiten Ehe kinderlos geblieben, obgleich sie seit Jahren in Frauenbädern herumreiste. In allen Kabinetten sah man ein, daß der Obergott zur Begründung seiner Dynastie einer Wochenstube bedurfte, und die Frage war interessant, welches Land sie ihm zur Verfügung stellen würde. Die Wochenstube seiner zweiten Frau, Marie Louise von Österreich, gewann dann für kurze Jahre höchste Bedeutung, denn in der Silberwiege, welche die Stadt Paris gestiftet hatte, lag ein Prinz, ein leibhaftiger Prinz, und schien den Fortbestand des Hauses Bonaparte zu verbürgen. Doch auch dieser stolze Traum war bald zerronnen. Napoleon starb auf St. Helena, die alte Dynastie der Bourbonen war auf Frankreichs Thron zurückgekehrt, allerdings nur, um im Jahr 1830 abermals verjagt und durch den bösen Vetter Orleans ersetzt zu werden, der Ludwig Philipp, der Bürgerkönig, hieß. Die letzten Bourbonen, der greise Karl X. (jüngster Bruder Ludwig XVI.), sein ältester, unpopulärer, kinderloser Sohn, der Herzog von Angoulème samt seiner verbitterten Frau (Tochter Ludwigs XVI.) und die junge Witwe eines jüngeren Sohnes, die Herzogin von Berry, waren nach England geflüchtet und machten sich dort vermutlich ihre eigenen Gedanken über die Wandelbarkeit menschlicher Gefühle und Zustände. Die junge Herzogin von Berry aber, eine italienische Prinzeß, war weder ihren Jahren noch ihrem Temperament nach geeignet, sich mit einem Leben im Exil abzufinden, und da es in Frankreich immer noch eine Partei der Bourbonen gab, und die Herzogin ein Söhnchen besaß, das besagte Partei »unser König, Heinrich V.« nannte, sah die Herzogin, die Jugend, Unternehmungsgeist, Optimismus und keinen übergroßen Verstand besaß, nicht ein, warum sie nicht versuchen sollte, ihrem Söhnchen Thron und Herrschaft zurückzugewinnen. So reist sie denn vergnügt, durchdrungen von ihrer politischen, ja historischen Sendung, zunächst nach Italien, wo sie Anhänger um sich sammelt und nebenbei auch einen hübschen, eleganten jungen Mann, den Marchese Lucchesi-Palli kennenlernt. Ein hübscher, eleganter junger Mann, nichts weiter! Und doch sollte an ihm die politische Sendung und der historische Traum der Herzogin zuschanden werden!

Man denkt nun vielleicht an die alte, rührselige Geschichte, in der die Liebe ein ehrgeiziges Herz überrennt, so daß es nichts mehr begehrt, als zu lieben und geliebt zu werden. Aber die kleine Herzogin von Berry war nicht von so ausschließlich-sentimentaler Art, dachte wohl auch, daß Liebe und Ehrgeiz einander nicht naturnotwendig auszuschließen brauchen, fand also den Marchese hübsch elegant, liebenswert, schiffte sich aber trotzdem nach Frankreich ein, gewann auch wirklich vier Departements für ihre Sache, entging mit erstaunlicher Geschicklichkeit, durch allerlei Listen in allen möglichen und unmöglichen Verkleidungen den Nachstellungen Ludwig Philipps, der in Maueranschlägen ihre Festnahme angeordnet hatte. Einmal verbrachte sie sogar eine ganze lange Nacht im Rauchfang eines offenen Kamins, kam aus dem rußigen Versteck erst herunter, als die Soldaten, die das Haus umstellt hatten und froren, Feuer anzündeten, so daß der Herzogin nur die Wahl blieb, gleich einer Wurst geräuchert zu werden oder sich ihren Feinden zu ergeben. Ludwig Philipp ließ sie nun nach der Festung La Blaye bringen und war der Prätendentschaft ledig. Der Prätendentschaft, nicht aber der Schwierigkeiten! Denn mochte man zuerst auch über das Unternehmen der Herzogin gelächelt oder die Achseln gezuckt haben, nun, da sie eine Gefangene war, rührte sie die Herzen, und das allgemeine Interesse für sie wurde so groß, daß die französische Regierung in arge Verlegenheit kam. In früheren, gewissenloseren Zeiten hätte man die Herzogin vielleicht verschwinden lassen, aber im Jahr 1831 schien die Sonne der Öffentlichkeit doch zu hell in politische wie höfische Küchen hinein, als daß man einen kleinen Mord hätte wagen können, und so saßen sie in Paris in einer richtigen Zwickmühle, konnten die Herzogin weder freilassen noch auf die Dauer festhalten, ohne sich selber die Stellung zu untergraben. Doch wenn die Not am größten, ist Gott am nächsten, und so flatterte alsbald ein Gerücht auf, ein kleines, pikantes Gerücht … Die Gesichter der Männer um den großen Webstuhl, die bis jetzt besorgt oder auch teilnahmsvoll nach La Blaye geblickt haben, erhellen sich, sehen mit ungläubigem Lächeln drein. Fragen einander leise: »Ist sie's?« »Ist sie's nicht?« Ludwig Philipp aber schickt ein stilles Stoßgebet empor: »Wenn sie es doch wäre! Wenn das Gerücht doch wahr spräche! Wenn die Herzogin von Berry sich doch wirklich und wahrhaftig im Zustand der Schwangerschaft befände!« Und wiederum will die Wochenstube zu politischer Bedeutsamkeit wachsen, nur mit dem Unterschied gegen früher, daß die Frau, die in sie einziehen soll, den Eintritt weigert, und sich darauf versteift, daß die Wiege leer bleiben müsse, da sie kein Kind zur Verfügung habe oder haben werde, um es hineinzulegen … Ein äußerst amüsantes Duell, dem die Kabinette Europas gespannt und schmunzelnd zusehen, hebt zwischen Ludwig Philipp und seiner Gefangenen an. Entschlossen, radikal vorzugehen, wie es die Wichtigkeit der Sache erheischt, schickt der König Ärzte und Hebammen nach La Blaye, die feststellen sollen, was an dem Gerücht Wahres ist. Die Herzogin aber findet hundert Vorwände, um der Untersuchung zu entgehen, denn so unbedacht, und optimistisch sie auch ist, begreift sie doch ebenso gut wie Ludwig Philipp, daß eine verwitwete Prätendentin in Kindesnöten sogar in Frankreich eine unmögliche Erscheinung wäre. Und so leugnet sie, bis endlich ihre Gestalt verrät, was der Mund nicht zugestehen wollte.

Da braust unlöschliches Gelächter durch ganz Europa. Man lacht von Hammerfest bis Palermo, man lacht von London bis Konstantinopel, und Ludwig Philipp, der Sieger in dem amüsanten Duell, senkt ritterlich den Degen, tritt beiseite und spricht: »Madame, Sie sind frei! Ich kämpfte gegen eine politische Frau, nicht aber gegen eine Wöchnerin. Ich wünsche Ihnen und Ihrer künftigen Familie alles Gute, insbesondere dem Herrn Marchese, der mich auf so einfache und wirkungsvolle Weise aus einer heiklen Situation befreit hat!« Unter dem Gelächter von ganz Europa sinkt »die Heldin von La Blaye« dem Marchese in die Arme, heiratet ihn und scheidet aus Politik und Geschichte aus, um sich in einem glücklichen Familienleben zu verlieren … –

So endete ergötzlich in einer politischen Wochenstube die große Sendung einer Frau, die auszog, eine Krone zu gewinnen, und statt ihrer ein Kind bekam –


 << zurück weiter >>