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Wiederum steht in Versailles eine Frau an dem großen Webstuhl. Wahrhaftig, dies Volk scheint nicht leben zu können, ohne daß eine weibliche Hand seine Geschicke lenkt! Sie ist kein stolzes Königsliebchen wie die Pompadour, und keine frömmelnde, heimliche Majestät wie die Maintenon, sondern eine richtige Königin, Tochter der großen Maria Theresia. Sie erhält von der Mama Instruktionen, (die sie allerdings verlacht!), ist lebhaft, ehrgeizig und hat eine ganz bestimmte Vorstellung vom Staat, d. h. vom Königtum. Außerdem hat Marie Antoinette einen phlegmatischen, nicht eben geistvollen Mann, Ludwig XVI. (1754-1793), der in seinen Mußestunden mit Vorliebe Schlosserei und Feinmechanik betreibt, aber trotz dieser Künste weder das Tor der neuen Zeit aufzuschließen, noch den versagenden Staatsmechanismus des Landes wieder in Gang bringen kann. Da greift denn seine Frau ein, allerdings nicht, um Tore aufzuschließen, sondern um sie, wenn möglich, noch fester zu verriegeln, und der Staatsmechanismus kracht unter ihren feinen, blaugeäderten Händen in allen Fugen, daß den Männern, die um sie und den Webstuhl her stehen, angst und bange wird.
»Majestät, der Herr Finanzminister Necker hat dem König ein rotgebundenes Heft überreicht, auf dem steht ›Rechenschaftsbericht an den König‹. O, es ist ein erschütternder Rechenschaftsbericht! Er legt klar, wie Kriege, verschwenderische Baulust, schlechte Bodenverteilung, drückende Steuerbelastung der Minderbemittelten, die tote Hand und schließlich auch noch schlechte Ernten Volk und Land an den Abgrund gebracht haben. Nicht Ihre Schuld allein ist es, Majestät, und nicht die Ihres Königs, nein, es sind die Schulden einer langen Ahnenreihe und das Volk, das seit Jahrzehnten als geduldiger Gläubiger gewartet hat, wird ungeduldig, mahnt an Wechsel, die eingelöst werden müssen. Wir brauchen eine andere Politik, Majestät, eine, die berechtigten, ach, so bescheidenen Wünschen des Volkes Rechnung trägt. Wir brauchen Reformen, brauchen eine friedliche Revolution von oben, und dies Land wird wieder froh und dankbar sein, wie zu der Zeit des guten Königs Heinrich IV., der wollte, daß jeder Bauer am Sonntag sein Huhn verspeise, ein Wunsch, für den ihn der Herr noch im Grabe segnen möge!«
Marie-Antoinette hört nicht hin auf das, was die besorgten Männer sagen. Sie denkt: »Bah, einen unbequemen Finanzminister kann man durch einen anderen ersetzen!«, und beugt sich tiefer über ihre verantwortungsreiche Arbeit, denn ihr Auge ist ebenso kurzsichtig wie ihr Geist. Auf ihrem Haupte schimmert das rötliche Haar im Sonnenlicht gleich einer Königs- oder einer Märtyrerkrone …
Die Männer horchen mit gespannten Gesichtern hinaus, als vernähmen sie in weiter Ferne etwas, was sie beunruhigt. Sie sehen einander an, und wenn sie auch schweigen, so liest doch einer dem andern von der Stirne ab, was er da aus der Ferne erlauscht hat. Ein Murren … ein Grollen … eine unheimliche Regsamkeit …
»Majestät, wir können die Politik von heute nicht fortsetzen. Das Volk fühlt sich mündig und verlangt sein bißchen Mündigkeitsrecht. Der dritte Stand ist erwacht und wird sich nicht abweisen lassen, ehe er dem Land eine Verfassung erzwungen hat. So wurde es in einer Versammlung im Ballhaus feierlich beschworen –«
Marie-Antoinette unterdrückt ein geringschätziges Lächeln, denkt: »Der dritte Stand?! Schwüre des dritten Standes?! Bah, damit wird man fertig!« Die Männer aber werden blasser und angstvoller, denn das Murren und Grollen kommt näher und es ist ihnen, als vernähmen sie den stampfenden Schritt einer Masse, die sich auf das Schloß zu bewegt.
»Majestät, die Bastille ist unter Jubel von der Bevölkerung von Paris gestürmt worden. Keinen Stein der alten Festung lassen sie mehr auf dem andern, denn sie erschien ihnen wie ein Symbol der Zwingherrschaft, von der sie sich nun befreiten. Halten Sie ein, Majestät, nehmen Sie ein neues, ein ganz neues Muster für Ihre Politik, vielleicht das Muster der englischen Verfassung, nach der unser Volk mit Neid blickt.«
Marie-Antoinette schüttelt unwillig den Kopf. Ihr habsburgisches Gesicht, das so bezaubernd aussieht, wenn es lächelt, wird jetzt verächtlich und hart. Sie denkt: »Mögen sie die Bastille stürmen, – was liegt daran?! Sie hatte längst ausgedient und die ganze Ausbeute, die sie darin fanden, waren zwei vergessene Gefangene. Mögen sie das Symbol zerstören … – wenn nur die Wirklichkeit bleibt!« Eifriger noch als zuvor schlingen die feinen, blaugeäderten Hände Schuß und Kette, und in dem Antlitz der Königin liegt jetzt ein Wille, dessen Ziel zur Wut reizen kann und dessen Festigkeit Bewunderung abzwingt.
Die Königin macht ihre ganz besondere Politik – – Hofpolitik!
Nun aber schlagen Gewehrkolben an die Türe, die zerkrachend ins Gemach fällt. Entsetzt stehen die Männer, und trotz ihres Willens und ihres Mutes steht auch die Königin entsetzt, starrt mit ungläubigen Augen auf die Weibermeute, die hereinbricht. Die Fischweiber von Paris sind es, diese, nach altem Brauch von der Monarchie verhätschelte Gilde, die das Recht besaß, dem König zu Neujahr zu gratulieren, ihm ungeschminkt zu sagen, was sie dachten und wünschten, bei Gratisvorstellungen ihre besonderen Plätze hatten, – diese Fischweiber sind es, die jetzt brüllend, mit verzerrten Mienen auf die Königin losstürzen, Kämpfe zwischen Wachen und Soldaten entfesselnd, bis es ihnen gelingt, die königliche Familie in heulendem Triumph aus Versailles nach Paris zu führen. Aber auch dann ist ihre politische Mission noch nicht beendet. Sie müssen weiterhetzen, Waffen herbeischleppen oder wegnehmen, bejubeln, wer gegen, massakrieren, wer für die königliche Familie spricht oder handelt. Ja, sie werden, zum Zuge gesellt, mit Trommelwirbel an den Straßenecken verkünden, daß sie die Köpfe von Leibwachen mit hereingebracht haben, und daß diese gräßlichen Trophäen im Palais royal zu sehen sind! Und später, wenn der rote Schrecken sich entfesselt durch Frankreich wälzt, werden sie, gemütlich strickend, wie brave Familienmütter auf der Galerie des Revolutionstribunals sitzen, murren, wenn, was selten genug vorkommt, ein Freispruch erfolgt, Beifall klatschen, wenn wiederum ein Haupt dem Henker zugesprochen wird. Die Fischweiber von Paris machen ihre besondere Politik, – Politik der Straße.
Doch siehe, in jedem Sinne abseits von ihnen tritt schon wieder eine einzelne Frau an den großen Webstuhl und versucht, ihn zu meistern. Hübsch und frisch sieht sie aus, wie eine Kleinbürgerin, und man merkt ihr die naive Eitelkeit an, daß sie, die gestern noch ganz einfach Madame Roland, die Frau eines braven Fabrikinspektors war, heute die Gattin eines Ministers und von bewundernden Parteigängern Rolands umdrängt ist. Denn über Nacht, wie das bei Revolutionen zu gehen pflegt, ist der brave, langweilige, ältliche Roland Minister geworden, und da seine hübsche Frau klug, ehrgeizig und wohlbeschlagen in den römischen Klassikern ist, liegt es auf der Hand, daß sie mindestens ebensosehr, wenn nicht stärker Minister ist, als er. So wird sie die Seele der Girondisten, der gemäßigten Partei, die von einer Republik im altrömischen Sinne träumt, und ein wenig altrömische Pose ist von Madame Roland, Verzeihung, der Bürgerin Roland, nicht zu trennen, und alles, was sie sagt und verkündet, atmet den Stil der Kornelien, Senekas und Brutusse. Zuerst nur Sekretärin ihres Mannes entwirft sie bald selbständig seine Erlässe und Manifeste, glaubt mit rührender Überzeugungstreue an das goldene Zeitalter, das die besagte römische Republik heraufführen wird, ist eine graue und zugleich kindliche Theoretikerin, Parteiweib vom Scheitel bis zur Sohle, ohne einen eigenen politischen Gedanken, aber die Männer um sich her überzeugend, beflügelnd, über sich selber hinaushebend, durch die Kraft und die Hingebung ihres politischen Glaubens. Wie eine echte Königin ist diese ungekrönte Herrscherin keineswegs pazifistisch gestimmt, und wäre sie nicht so gutgläubig, so müßte man ein wenig erschrocken sein über die Selbstverständlichkeit, mit der sie Waffengewalt und Bürgerkrieg fordert, und zum größten Mißtrauen gegen den König stachelt. Aber alles, was sie denkt, tut, will, geschieht für die Freiheit, von der diese regierende Kleinbürgerin trunken ist, für die Freiheit, die nach ihrem holden Irrtum das Allheilmittel für alle menschlichen Schwächen und Leiden ist, für die Freiheit, deren Glückseligkeit Frankreich dem noch in Tyrannenketten schmachtenden Europa verkünden soll, für die Freiheit, deren Sonnenblick aus Menschen Götter machen wird –
Arme, kleine Politikerin Roland, wie rasch ist dein Menschheitsbeglückungstraum ausgeträumt! Wie bald ist die Gironde gestürzt, dein Mann samt seinen Anhängern auf der Flucht, du selbst von deinem kleinen Kinde getrennt im Gefängnis, das du nur verlassen wirst, um zum Schafott zu gehen!
Doch das letzte Wort dieser kleinbürgerlichen Heldin nach altrömischem Zuschnitt wird keinem gehören, der ihrem Herzen teuer war, sondern ihrem Idol, der Freiheit. Denn da der Henker sie festbindet, fällt ihr Auge auf die Statue der Freiheit, und sie stirbt mit dem Ausruf schmerzvoller Enttäuschung: »Freiheit, welche Verbrechen werden in deinem Namen begangen!«
Die Bürgerin Roland ist für lange Zeit die Letzte, der es genügte, Politik zu machen, die nur auf Männerinteressen gerichtet war. In dieser Hinsicht war sie, trotz alles Freiheitslärms und alles Republikanismus, durchaus Frau des von ihr so sehr verpönten ancien régime. Doch ihr drängten andere Frauen nach mit neuen Ideen: Rose Lacombe, Théroigne de Mericourt und Olympe de Gouges sind die Führerinnen der neuen Richtung, die zum ersten Male versucht, die Frau als Staatsbürgerin zu betrachten und sie in ein rechtliches und dauerhaftes Verhältnis zur Politik zu setzen. Ob die drei wohl bittere alte Jungfern gewesen sind, wie etwa hundert Jahre später die bekannte Anarchistin Louise Michel, genannt »die bittere Luise«? Oder ob sie Fischweiber der Geistigkeit waren, die mit geiferndem Munde Männerhaß predigten? Ob sie Rechte begehrten, weil sie selber niemals begehrt worden waren? Für den Philister liegen solche Fragen nahe, und er wird sicherlich staunen, daß sie alle verneinend beantwortet werden müssen. Denn diese drei Führerinnen waren jung und schön, und die Liebe, oder was man so nennt, war ihr Beruf … Ein Beruf, zu dem sowohl Not wie Temperament sie getrieben hatte, ohne daß sie deswegen ihre hochgemuten Herzen erniedrigt oder den Stolz ihrer Seelen verloren hätten. Mit allem Gold, das reiche und verschwenderische Liebhaber über sie ausschütteten, ließen sie sich die Überzeugung nicht abkaufen, daß die Frau an allem Anteil haben müsse, was den Staat betrifft, und der Inhalt, der wirklichste Inhalt ihres Lebens war nicht die Liebe, sondern das Ringen um das staatsbürgerliche Frauenrecht. Die Anfänge ihrer politischen Tätigkeit waren fast immer die gleichen. Sowohl die Théroigne wie die Gouges trat beim Ausbruch der Revolution in einer etwas maskeradenhaften Uniform bewaffnet auf, verlangte, daß die Frauen ein Amazonenkorps bilden sollten, und wurde in diesem Bestreben sonderbarerweise von Marat, dem allmächtigen Revolutionsführer unterstützt, der die Frauen mit Dolchen bewaffnen wollte und eigens für sie achttausend kleine Dolche anfertigen ließ. Das Amazonenkorps erwies sich aber in der Führung dieser Waffe, mit der es nur sich selber verwundete, so ungeschickt, daß ihnen die Dolche wieder abgenommen wurden. Und dennoch sollte Marat durch den Dolch einer Frau sterben – –
Mit der Bildung des Amazonenkorps war es also nichts, – um so eifriger mußten die Führerinnen der Frauenpolitik darauf bedacht sein, sich ihre Rechte auf eigene Faust zu erkämpfen, und zu beweisen, daß sie in jeder Hinsicht aller Rechte würdig wären. Die Théroigne, eine ungestüme Natur, verläßt ihre Maskerade lange Zeit nicht, will überall, wo es Gefahr, Befreiung und Blut gab, dabei gewesen sein, und ihre Feinde beeilen sich zu bestätigen, daß sie den bekannten Journalisten Suleau eigenhändig abgetan und gleich darauf einen Aristokraten, einen ihrer früheren Liebhaber, niedergeknallt habe. Sie selber flunkert anfänglich, daß sie, sie ganz allein, einen Turm der Bastille erobert habe und bei dem Weiberzug nicht nur hoch zu Roß mitgeritten, sondern ins Gemach der Königin eingedrungen sei, aber später stellt sich heraus, daß fast alles eben nur Flunkerei war, an die sie mit ihrer ausschweifenden Phantasie wohl auch selber glaubte. Kurtisane und Phantastin ist sie dennoch nicht abzubringen von dem nüchternen Geschäft der Politik, das sie nach ihrer Art bunt ausstaffierte und das ihr denn auch ein nicht ganz gewöhnliches Schicksal brachte. Nachdem sie in Paris eine Weile sowohl durch ihre Reden wie durch die unablässigen, teils sehr boshaften, teils sehr witzigen Angriffe, die von der royalistischen Presse auf sie gemacht wurden, Aufsehen erregt hatte, zog sie, als Mann verkleidet, im Luxemburgischen umher, sang aufreizende Lieder, versuchte überall und auf jede Weise Propaganda für ihr Freiheitsideal zu machen, wurde schließlich der österreichischen Regierung verdächtig und unbequem, und sah sich eines schönen Tages als Staatsgefangene in der Festung Kufstein. Dort entsetzt sie zunächst den Untersuchungskommissar durch ihre antimonarchistischen Haßgefühle, scheint ihn aber später gründlich bezaubert zu haben, (sie war eben doch eine hübsche, kleine Pariserin!), geradeso wie den Kaiser Leopold II., der durchaus kein Frauenfeind war, und der ihr, nachdem er sie auf Fürsprache des Kufsteiner Kommissärs in Audienz empfangen hatte, (ei, ei!), sogar die Rückreise nach Paris bezahlte. Wenn man die Reden liest, die sie hielt und die ihr Ansehen verschafften, wundert man sich ein wenig, daß diese schwülstigen Worte, hinter denen eigentlich nichts steckt, soviel Bewunderung und Gegnerschaft hervorrufen konnten. Es war aber bei ihr wohl, wie es bei vielen Rednern ist: sie überzeugte durch die Kraft der eigenen Überzeugung, die sich eben nicht in tote Buchstaben einfangen läßt, hauptsächlich nicht, wenn man, wie die Théroigne, als armseliges Bauernkind geboren wird, das nur mühselig schreiben und lesen erlernt hatte …
Ganz anders als sie wirkten für Frauenpolitik Olympe de Gouges und Rose Lacombe. Sie waren ja, wenn auch im bescheidensten Maßstabe, Künstlerinnen und ernsthaft arbeitende Frauen. Die Lacombe war, ehe sie nach Paris kam, Schauspielerin in der Provinz gewesen, und in die Hauptstadt gezogen, um ein Engagement zu finden, die Gouges war Schriftstellerin, vor allem politische Schriftstellerin in frauenrechtlerischem Sinne, wenngleich auch bei ihr die mangelhafte Bildung sie nicht über einen banalen, zuweilen sogar kläglichen Stil hinauskommen ließ. Aber sie beide begriffen, nachdem sie die Kinderkrankheit des weiblichen Waffendienstes und des Amazonenkorps überwunden hatten, daß man sich das Geheimkabinett der Männer nicht mit Kanonen erzwingen könne, sondern daß man versuchen müßte, es geistig zu erobern. So gründeten sie, sowohl in Paris wie in der Provinz, politische Frauenklubs aller Art, deren Mitglieder schwören mußten, für die Republik zu leben und zu sterben, ein Eid, den sie um so leichter leisten konnten, als sehr bald die Männer dafür sorgten, daß Frauen scharenweise für die Republik und durch sie starben … Die Tendenzen dieser Klubs, deren Programme zum Teil noch erhalten sind, sehen wesentlich anders aus, als der verstiegene Schwulst der »Amazone der Revolution«, wie man die Théroigne gerne nennt. Hier wird in vernünftiger, klarer, und darum nicht weniger eindringlicher Weise gefordert, daß die Frau, die Staatsbürgerin, in ganz anderer Weise als bisher für das tägliche wie politische Leben herangebildet werde, um in allem gleiche Rechte mit dem Mann beanspruchen zu können. Lyon ist auch tatsächlich einmal einen Tag lang in den Händen der Frauen, die ihre Macht aber nicht politisch mißbrauchen, sondern sich damit begnügen, dem durch die Teuerung hervorgerufenen Lebensmittelwucher enge Grenzen zu ziehen. Sie setzen Höchstpreise fest, sichern allen, die willig sind, dem Gemeinwohl zu dienen, Schutz zu, und behalten sich weitere Maßnahmen bis nach der Ernte vor, die man erst abwarten müsse, um zu sehen, wie die Volksernährung geregelt werden könne. Es wäre aber ganz verfehlt zu glauben, daß die Frauen sich damit begnügten, Sozialpolitik oder volkswirtschaftlich zu wirken. Nein, ihr großes und letztes Ziel blieb immerfort die politische Gleichstellung mit dem Manne, vor allem die Berechtigung zum Richteramt. Die Théroigne verlangt für die Frauen eine Art Voruntersuchungsrecht, das sie ermächtigen soll, die Kerker zu besichtigen, die politischen Gefangenen zu verhören und, sofern sie als unschuldig befunden werden, zu entlassen; die Gouges ruft pathetisch und treffend: »Die Frauen haben ein Recht auf das Schafott, also haben sie auch ein Recht auf die Tribüne!« Die Männer sind von dieser logischen Verkettung zweier Rechte nicht zu überzeugen. Der eine oder andere von ihnen ist zwar schon vor der Revolution für die gleichen politischen Rechte der Geschlechter eingetreten, aber im großen Ganzen verhält sich die Revolution den Frauen gegenüber undankbar und ablehnend. Sie benutzte sie, um Stimmung zu machen, sie waren ihr ganz recht, um gefühlsmäßig auf die Massen zu wirken, sie hatte auch nichts dagegen einzuwenden, daß die Politik den Frauen Todesurteile schrieb, aber sie war sehr dagegen, daß diese Frauen erfuhren, warum und wieso solche Urteile ausgefertigt wurden. Mochten die Frauen voll eingeborener Würde zum Schafott gehen, wie Marie Antoinette, oder voll gräßlicher, heulender Angst wie die alternde Dubarry, mochten sie den Tod in heldischer Pose erwarten, wie die Roland, oder in rührender Verklärung wie die süße Lucile Desmoulins, der er Wiedervereinigung mit dem Gatten bedeutete, – sobald es sich darum handelte, ihnen neben dem Recht auf die Guillotine auch das Recht des Staatsbürgers einzuräumen, wurden die Männer schwerhörig. Sie versuchten zuerst, die Frauen mit den üblichen leeren, schönen Redensarten abzuspeisen, daß die Frau der Schmuck des Hauses sei, daß ihr Stolz ihre Söhne sein müßten, daß die Natur selber sie von den Geschäften der Männer ausschließe, und was derlei Phrasen mehr sind. Als die eigensinnigen Frauen sich durch solch wohlgesetzte Worte nicht überzeugen ließen, wurde man unhöflicher und ging den politischen Frauenklubs zuleibe, indem man behauptete, daß sie staatsgefährlich seien oder sein könnten. Als die Frauen im Konvent dagegen Einspruch erhoben, ging die Versammlung unter Applaus zur Tagesordnung über. Dann schadete auch noch die Gouges der eigenen Sache, indem sie sich, ganz von ihrem mitleidigen, ach! so wenig politischen Herzen hinreißen ließ, und begehrte, als Verteidigerin des Königs auftreten zu dürfen, dem sie, trotz ihres Republikanismus, tiefes Mitgefühl nicht versagen konnte. Der Zorn, den dieser Antrag erregte, war groß. In revolutionärer Verbissenheit überhörte man das schöne Bekenntnis: »Es liegt in meiner Natur, daß ich immer von der Partei der Schwächsten bin«, ein Bekenntnis, das dem Herzen der Gouges alle, ihrem politischen Verstand aber gar keine Ehre macht, schleppte sie ins Gefängnis und dann aufs Schafott, von dem aus sie der Menge noch zurief: »Kinder des Vaterlandes, rächt meinen Tod!« Die Lacombe, die weniger aufreizend als die Gouges hervorgetreten war und sich hauptsächlich in radikalen Frauenklubs betätigt hatte, entrann zwar nicht dem Kerker, aber doch dem Tod, und verschwand aus dem öffentlichen Leben, während die Théroigne bald nach ihrer Rückkehr von Kufstein ins Irrenhaus kam, in dem sie noch bis zum Jahr 1817 lebte, körperlich vertiert, wirren Geistes, aber immer noch Worte murmelnd, die mit dem großen Ziel ihres Lebens – der Politik – zusammenhingen.
Nach dem Tode Marats und der unklug-edelmütigen Bitte der Gouges wurde die Stimmung gegen die politischen Frauen ausgesprochen feindlich. Schon forderte (o Schande!) eine Frau, daß alle politischen Frauenklubs aufgehoben werden sollten, weil Marat von einer Frau getötet worden war! In der Kommune werden Bürgerinnen, die sich mit der roten Jakobinermütze präsentieren, angeschnauzt, daß das heutige Frankreich keine Jungfrau von Orleans nötig habe, und daß sie sich erinnern sollten, welches Schicksal zu Recht die elende, verräterische Olympe de Gouges getroffen habe, die sich's in den Kopf gesetzt hatte, ein Staatsmann sein zu wollen.
Zu derselben Zeit, da die Männer der Kommune meinten, daß Frankreich keiner neuen Jungfrau von Orleans bedürfe, besteigt in Caën ein junges, wohlerzogenes Fräulein aus bestem Hause die Postkutsche, um nach Paris zu fahren. Sie ist so anmutig und von so gewinnendem Wesen, daß ein Mitreisender alsbald sein Herz an sie verliert und ihr einen Heiratsantrag macht. Sie aber ist nicht auf Liebe und Ehe gestimmt, denn sie ist Trägerin einer Sendung. Gleich dem Mädchen von Orleans fühlt auch sie sich zur Befreiung des Vaterlandes berufen. Wenn der Feind für jene »England« hieß, so heißt er für das Mädchen aus Caën »Marat«, und ihre Sendung lautet auf Marats Tod.
Politische Mörderinnen sind seltene Erscheinungen. Man kann die Geschichte durchblättern, wie man will, – man wird kaum auf eine Frau stoßen, die mit der Waffe in der Hand ihrem politischen Haß den stärksten Ausdruck gab. Sicherlich haben in Epochen besonderer Skrupellosigkeit auch Frauen politisch gemordet, aber dann taten sie es feige, mit Gift, oder legten die Ausführung der Tat, die sie wollten, in eine männliche Hand. Man muß schon in sagenhafte Zeiten zurückgehen, bis zur Judith, die in der Brautnacht den Holofernes tötete, um eine richtige politische Mörderin aufzuspüren. Allerdings hat Judith in modernsten Tagen Nachfolgerinnen gefunden, in den russischen Nihilistinnen, die immer wieder, hauptsächlich aber vor dreißig, fünfunddreißig Jahren, mit Bomben und Revolver gegen die Bedrücker ihres Vaterlandes losgingen. Zwischen der hebräischen Judith und der russischen Nihilistin steht einsam Charlotte Corday, das Mädchen aus Caën, die ungewöhnliche Tochter einer ungewöhnlichen Zeit. Wie kam dies wohlerzogene, stille, junge Fräulein zu seinem grausigen Entschluß? Auf sehr einfache Weise. Die Provinz sah ja schon lange mit einem Abscheu, von dem man sich in der Hauptstadt kein richtiges Bild machte, auf die Schreckensherrschaft in Paris, denn die Provinz war, wenn nicht königstreu, dann republikanisch im Sinn der girondistischen Abgeordneten, und als etliche von ihnen, verjagt und blutig verfolgt, nach Caën flüchteten, schwollen in Charlottens Herzen tiefstes Mitleid und unbändiger Zorn empor. Sie war jung, patriotisch, und wohl von phantastischen Vorstellungen erfüllt, wie sie gerade jungen Menschen eignet, die ihr ganzes Gefühlsleben tief in sich verschließen. Sie betrachtet sich als Sendbotin der Gerechtigkeit; in ihre Hand ist es gegeben, die Girondisten zu rächen und ihren größten Peiniger zu treffen. Still und umsichtig bereitet sie die heimliche Reise nach Paris vor, steigt in einem bescheidenen Gasthof, der den bedeutungsvollen Namen »Hotel zur Vorsehung« führt, ab, und schläft sich eine Nacht lang in ruhigem Kinderschlaf Mut und Kraft für das Werk des kommenden Tages an. Keine Aufregung, ja nicht die leiseste Nervosität ist an ihr zu bemerken. Sie geht aus, kauft ein Messer, klingelt an Marats Türe, wird das erstemal nicht vorgelassen, kommt wieder, und wird, da sie vorgibt, wichtige Mitteilungen für ihn zu haben, zu ihm geführt, obschon er gerade im Bade sitzt. Fällt sie Zaudern an bei dem Anblick des schrecklichen Menschen, der jetzt die höchste Gewalt Frankreichs darstellt? Muß sie sich erst ins Gedächtnis rufen, daß er kürzlich verkündigte, noch zweimalhunderttausend Menschen müßten nach seinem Gebot sterben; ehe die Republik gereinigt und unerschütterlich dasteht? Wohl kaum. Sie spricht ein paar Worte, reicht ihm ein Blatt, das die wichtigen Mitteilungen enthalten soll, und stößt ihm mit einer fast unbegreiflichen Kaltblütigkeit und Sicherheit das Messer in die Brust, daß er kaum mehr zu röcheln vermag und verblutet, noch ehe ärztliche Hilfe zur Stelle sein kann. Sie macht dann einen Fluchtversuch, aber nur einen ganz schwachen, einen, der eigentlich nur wie eine Reflexbewegung ist. Sie hat ihre Sendung erfüllt und nimmt die Folgen ebenso ruhig auf sich, wie sie die Tat unternahm. Da sie im Verhör gefragt wird, ob sie von irgendwelcher Seite zu dieser Tat angestiftet worden sei, entgegnet sie verächtlich: »Ich brauchte keinen fremden Haß, ich hatte meinen eigenen!«, und ist erstaunt, entsetzt, daß die Richter »Mord« nennen, was ihr doch nur als rächende Gerechtigkeit erscheint. Ohne Todesfurcht endet sie auf dem Schafott …
Und doch war das Opfer dieses jungen Lebens umsonst gebracht. Denn auf Marat folgte Danton, auf Danton Robespierre, und jeder von ihnen warf sich zum Richter über Frankreichs Geschicke auf. Jeder schlachtete, ohne sich zu besinnen, Tausende und Abertausende für das Glück der Nation und im Namen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit!
Die glorreiche Republik will alles, aber auch alles anders haben, als es unter der »Tyrannei« war. Frankreich hat darum auch eine andere Zeitrechnung als die übrige Welt, und in dem neuen Kalender stehen neue Monatsnamen, denen man anmerkt, daß ein dichterischer Kopf sie ausgesonnen hat. Auch der eingefleischteste Monarchist wird nicht leugnen können, daß »Thermidor« bild- und klangkräftiger ist als »Juli« oder »August«. Hochsommerliche Hitze schwält in dem Wort, um das unheimlich-lautlos das Mittagsgespenst zu schleichen scheint, das nicht dem Ruf der Mitternacht folgt, sondern der Sonne, wenn sie im Zenit steht …
Ungewöhnlich heiß brütete der Sommer dieses Jahres (1794) über Paris. Auf den Feldern vor der Stadt lagen die Halme braun und früchteschwer und harrten des Schnitters. Die vertrocknete Erde lechzte nach Erlösung von dem Glutengürtel, mit dem Thermidor sie flammend umspannte …
Beuge auch du dein Haupt, Maximilien Robespierre, denn es ist reif zum Schnitt, und die Welt lechzt nach Erlösung von dem Blutbann, den du über sie verhängt hast! Aber wo ist das Wort, das ihn zerreißen könnte? Wo ist der Arm, der sich unverraten, ungestraft gegen Robespierre erheben dürfte? Mißtraut doch nun jeder jedem, schwebt doch über allen das entsetzliche, sich täglich noch steigernde Mißtrauen Robespierres, dessen krankhaft verstörte Einbildungskraft Frankreich bevölkert von Spionen und umstellt von Verrat sieht. Und eben jetzt, in diesen glühheißen Tagen des Thermidor, plant er neue Massenhinrichtungen, die auch seine sogenannten Freunde und Tischgenossen nicht verschonen sollen, denn er weiß oder ahnt wohl, daß im Konvent Verrat umgeht, Verrat an Frankreichs heiliger Republik, die sich, so denkt er, in seiner, Maximilien Robespierres Gestalt, verkörpert. Verrat geht um, muß umgehen, denn das Land kann die Marter der Schreckensherrschaft nicht lange mehr ertragen, und Jeder spürt, daß Umsturz nahe ist …
Verzweifelter als alle ist der junge Abgeordnete Tallien. Die schönste Frau von Paris, Therese Cabarrus, ist seine Geliebte, und Robespierre hat sie ihm aus den Armen gerissen, hat sie, weil sie Tallien zur Milde stimmte, ins Gefängnis geworfen, und wird sie morgen schon oder übermorgen köpfen lassen, wenn nicht ein Wunder geschieht, wenn nicht – – Tallien wagt nicht, den Gedanken auszudenken. Wer dächte an Robespierres Fall und fürchtete nicht, daß schon der bloße Gedanke ein Todesurteil für den bedeutet, der ihn zu denken wagt … Und doch muß ein Wunder geschehen, denn Therese hat gestern einen Brief an ihren Liebhaber gesandt, einen Brief, in dem sie voll bitterem Hohn frägt, ob es in ganz Frankreich denn keinen Mann mehr gäbe. Zugleich mit dem Brief schickte sie einen Dolch – –
Dann kommt die grauenvolle Konventsitzung des 9. Thermidor, diese Sitzung, in der Robespierre nach wochenlanger Abwesenheit zum erstenmal wieder erscheint und die anderen belauert, wie sie ihn. Mit fürchterlicher Spannung blicken sie auf ihn, denn wenn sein gekniffener Juristenmund, noch ehe ihr Plan Wirklichkeit werden kann, die Namen nennt, die sich gegen ihn, den Allmächtigen, verschworen haben, dann sind sie alle verloren … Er öffnet den Mund und im Saale herrscht eine Stille, beklemmend und angstgeschwängert, wie man kaum je eine erlebt hat. Doch nicht lange währt sie, denn schnell merken alle, daß Robespierre nichts Bestimmtes weiß, daß er nur allgemeine, drohende Phrasen ausstößt, die sie schon oft gehört haben. Da wird seine Schwäche zu ihrer Stärke. Tallien umklammert den Dolch, den Therese ihm schickte, rennt über den Saal weg auf Robespierre zu … Und wie einst zwei Königreiche einander um Helenas willen bekriegten, so bekämpfen sich jetzt tagelang zwei Parteien, weil das schöne Haupt der Cabarrus nicht dem Henker verfallen durfte. Nach zwei Tagen ist alles entschieden. Robespierre geht mit seinem Anhang den Weg, den seine Opfer gegangen sind. Aus dem Kerker heraus hat der weiße Arm der Cabarrus an dem großen Webstuhl gewoben und dem Lande Befreiung gebracht. Ist es da ein Wunder, daß es sie gleich einer Himmelskönigin verehrt? Wo immer sie sich an Talliens Seite zeigt, grüßt brausender Jubel sie mit dem zärtlichen Namen: »Unsere liebe Frau vom Thermidor«.