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Der erste Frühling des neuen Jahrhunderts war in das Land gezogen. Im Schloßgarten von Rovere blühten und dufteten die Blumen. Auch die Ziersträucher prangten im jungen Laub, die säuberlichen Pfade waren mit Sand bestreut, die Matten lagen wie grüne Teppiche zwischen dem Buschwerk, aber die Figuren von Stein, die Götter und Göttinnen, hatte der Revolutionssturm hinweggefegt.
Die inneren Schloßräume hatte Paul wüst und leer gefunden. Die eleganten Möbel waren von den Bauern fortgetragen worden, um Hütten und Häuser von Nod zu schmücken. Dort entdeckte sie Valfort, kaufte sie um geringe Preise zurück und stellte die Geräte an ihren alten Plätzen wieder auf.
So traf Isabella das stattliche Vaterhaus wenig verändert und in mancher Beziehung gereinigt. Pichat, Henry und Chatel waren fort, mit ihnen die ungesunde Atmosphäre ihrer Denkweise. Die geräuschvollen Feste, die üblichen Schwelgereien mit ihrem losen Gefolge, kehrten nicht wieder. Auch die lockeren Reden und religiösen Spötteleien philosophierender Herren waren verstummt. Fast allen hatte gewaltsamer Tod den Mund geschlossen. Und der Herr des Schlosses, der ausschweifende Freidenker Rovere, war ein zerknirschter Büßer geworden, der in der frommgläubigen Vendee ein Asyl des Friedens gefunden.
Durchwandelte Isabella die hohen Räume, so fand sie bei jedem Schritte Anlaß zu ernsten Betrachtungen, für sie ebensoviele Aufforderungen, der göttlichen Vorsehung zu danken, für eine weise und väterliche Leitung. Aus tausend Gefahren war sie gerettet worden. Zum Heile des Glaubens war sie gelangt aus trostlosem Unglauben, zu einem beneidenswerten Familienglück aus den vernichtenden Wettern der Revolution. Wenn sie der Geistesöde und Seelenleiden gedachte, welche das herangewachsene Mädchen in denselben Räumen folterten, die sie jetzt in Frieden mit sich selbst und mit Gott, sowie im freudigen Bewußtsein einer bestimmten und erhabenen Lebensaufgabe bewohnte, dann fand sie den Wechsel lichtvoll, ihr Los beneidenswert und ihr Glück vollkommen. – So war für Isabella der Aufenthalt in Rovere von den besten Wirkungen. Das Gemütsleiden verschwand spurlos, sie wurde heiter und ihr reiches Frauenherz war unerschöpflich an zärtlicher Fürsorge und Liebe für Kinder und Gemahl.
Nach bekannten Punkten der Umgebung machten Paul und Isabella häufige Ausflüge. Oft standen sie erschüttert vor den Verheerungen des vorübergebrausten Sturmes. Schloß Chatel, vormals eine Stätte des Glanzes und auch zeitgemäßer Ausschweifungen, war jetzt eine rauchgeschwärzte Ruine. Die Abtei St. Martin hatten zwar die Flammen nicht hinweggefressen, dennoch war auch sie Ruine, ein vollständig ausgeleertes und verlassenes Haus. Alles war geraubt und fortgeschleppt worden, selbst die Fenster und die Dachziegeln. Durch die langen Gänge blies der Wind, in den verödeten Zellen hausten Eulen und nisteten Käuzlein. Die prachtvollen Ornamente der gotischen Kirche waren zerschlagen, in den Schiffen lagen Trümmer von Altären und Heiligenfiguren. An der Decke des Kapitelsaales hingen zwar noch Reste des jüngsten Gerichtes, auch die Wände hatten noch einige Gemälde bewahrt, aber nichts war unversehrt. Was die Vandalen mit ihren Zerstörungswerkzeugen nicht erreichen konnten, das machten sie zur Zielscheibe ihrer Kugeln. Bis auf den Klostergarten dehnte sich die Verwüstung. Der Rundbau, in dem zuweilen die entarteten Mönche ihren Stand beschimpften, lag in einem wüsten Trümmerhaufen. Die Laubgänge waren niedergerissen und auch jene bemalte Wand, auf welcher Herzog Chatel sein »gemeines Bubenstück« verübt hatte. Aller Beete hatte sich das Unkraut bemächtigt, es bildete ein greuliches Gewirr und kletterte an den Zwergbäumen empor, als wolle es die letzten Reste ehemaliger Kultur ersticken.
Valfort durchwanderte mit seiner Gattin das leere Haus. Oft überkam Isabella ein Bangen und Grauen, sie schmiegte sich fest an den Gemahl. Sie betraten den Kapitelssaal, wo sie Öde und Trümmer empfingen, und eine heftige Luftströmung, die geisterhaft durch den verwüsteten Raum fuhr und heulend durch die gähnenden Fensteröffnungen verschwand.
»Eine Mark und Bein durchdringende Predigt!« sprach Isabella. »Wenn ich der Vergangenheit gedenke, – der Bewohner dieses Hauses und ihrer Lebensweise, so ruft mir jeder Stein zu: Strafgericht des heiligen, zürnenden Gottes!«
Er nickte ernst und bestätigend mit dem Haupte.
»Das Strafgericht sieht aber nur der Glaube; dem Unglauben entgeht sogar der Segen der Züchtigung,« versetzte Paul.
Sie verließen die Ruinen der Abtei und kehrten nach Rovere zurück, das stattlich und froh der glücklichen Herrschaft von der Anhöhe entgegengrüßte. Sie durchschritten langsam ein junges Gehölz und wandelten eine Strecke längs einem klaren Bache, der nach der Vienne eilte. Den Wiesengrund bedeckten frischgrüne Matten, mit vielen und verschiedenartigen Blumen geziert. Am Frühlingshimmel teilten lichte Wolken die milde Bläue, nach der sich singende Lerchen emporschwangen. In den Büschen schlugen Nachtigallen, und aus dem Kastanienwald klang das schöne Lied der Drossel.
Sie gingen schweigend in Betrachtungen über Vergangenheit und Gegenwart versenkt. Da fühlte er ein Beben und Zittern ihres Armes. Er blieb stehen. Sie blickte zu ihm auf, schwere Tränen in den Augen, während ihr Mund lächelte.
»O mein Paul!« sprach sie leise, das Haupt an seine Brust lehnend.
Er sah den dankerfüllten, hingebenden und glücklichen Ausdruck ihres Blickes, und begriff den inhaltreichen Sinn der wenigen Worte.
»In allem Gott die Ehre, meine Isabella!«
Sie beschritten die Landstraße und gelangten bald zur Stelle, wo der Weg zum Schlosse emporführt. Dort standen im Schatten einiger Linden mehrere Bänke im Kreise, wo das Kind Isabella bei Spaziergängen unter Aufsicht der Zofe sich zu tummeln pflegte. Sie sah die Linden, deren Kronen im Laufe der Jahre sich gedehnt hatten, und gedachte der kindlichen Spiele. Dann haftete ihr Blick an einem Krüppel, der auf einer der Bänke saß, ein alter, gramgebeugter Mann. Neben ihm lagen zwei Krücken. Ein Teil des rechten Beines fehlte; das linke Auge hatte eine leere Höhle. Sein Gesicht war von tiefen Falten durchfurcht, darin fressende Schmerzen krochen, während um den zusammengekniffenen Mund bitterer Groll und das Ächzen eines zerbrochenen Gemütes stöhnten. Zerlumpt war die Kleidung, der einzige Fuß ohne Bedeckung. Ergrautes Haar fiel unter dem wetterscheinigen Hut über das Gesicht herein, und steigerte noch das Kümmerliche und auch das Unheimliche der ganzen Erscheinung. Finster starrte er vor sich hin, wie festgehalten von qualvollen Erinnerungen.
Beim Nahen der Schloßherrschaft hob er den Kopf. Die zusammengekniffenen Lippen verloren den Ausdruck der Bitterkeit, das dunkle Auge funkelte, es wurde größer und heller, und ruhte achtungsvoll auf dem Baron. Er nahm die Krücken, richtete sich empor, zog den Hut vom Kopfe und erwartete die Nahenden.
»Der arme Mensch!« sagte Isabella.
Valfort zog die Börse und legte ein Fünffrankenstück in den Hut. Allein der Krüppel beachtete das reichliche Almosen nicht. Er nickte grüßend mit dem Kopfe, wie ein Bekannter, indem ein mattes Lächeln die Trostlosigkeit der Züge erhellte.
»Sie kennen mich nicht mehr! Natürlich, – heute ist Schmied Duval nur eine Ruine von dem, was er vor zwölf Jahren gewesen!«
Valfort stand überrascht. Der Name Duval erinnerte ihn an Madelon und Henry. Auch Isabella kannte das Verhältnis ihres entarteten Bruders zur Tochter des Jakobiners Duval.
»Sie sind Duval, der Schmied? Ich erinnere mich, beim Betreten des Gartens, worin die Versammlung gehalten wurde, Ihnen begegnet zu sein.«
»Und ich hab schon oft an Ihre gescheite Rede von damals gedacht, – gedacht hätt ich aber damals nicht, daß Frankreich und Duval in zwölf Jahren Krüppel seien. – Mit Verlaub, auf einem Bein steht sich's schlecht!« sagte er, und ließ sich auf der Bank nieder.
»Wie kamen Sie in dieses Unglück?« frug teilnehmend der Baron.
»Unser Weg war falsch; denn er führte zu keinem guten Ziel,« sagte Duval, welcher die Frage überhören mochte. »Notwendig war die Revolution allerdings, aber gleich hatte der Teufel seine Krallen drin und verdarb alles. Die Feudalen und Bauernschinder sind zwar fort, – aber das Elend ist nicht fort und der Hunger auch nicht. Die Steuerpächter schnüren den Leuten nicht mehr die Hälse zu, – dafür gibts andere Spitzbuben, welche die Bauern aufs Stroh legen. Wir haben freilich die Republik, – aber der bloße Name macht eine schlechte Sache nicht gut, und eine gute Sache nicht schlecht. Der König hat niesen müssen, die großen und kleinen Tyrannen sind tot, – aber die Tyrannei ist nicht tot. Das Volk ist heute noch dasselbe Lasttier wie vor neunundachtzig, – Wenns auch ein freies, republikanisches Lasttier ist, macht nichts. Druck und Hunger und Elend schmecken ebenso bitter. Jawohl, – wir haben Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, drei große, dicke Lügen, welche nicht verhindern, daß es heute noch mehr Schurken gibt, als früher. Wenn man Zeit hat, über alles nachzudenken, wie ich, so möchte man sich selbst und die ganze Welt verfluchen.«
Er ballte die Fäuste, und sein Auge funkelte grimmig.
»Sie haben recht, Duval! Die Revolution hat das Elend nicht gehoben, den Hunger nicht gestillt, die Bosheit der Menschen nicht ausgetilgt. Sie aber sollten nicht stehen bleiben bei dieser Erkenntnis, sondern weiter forschen, was dem einzelnen und dem ganzen Volke Glück und Segen bringt. Mord und Brand haben es nicht getan, Freigeist und Gottesleugnung auch nicht. Wären die Feudalen gute Christen gewesen, die Bauern hätten zur Klage niemals Ursache gehabt, mithin auch nicht zur Empörung. Hätten die Könige im Geiste des Christentums regiert, die schönsten Perlen ihrer Krone wären Gerechtigkeit und weise Fürsorge für das Volk gewesen. Wenn heute den Häuptern der Republik fehlt, was den Königen und Feudalen fehlte, so wird das Volk zwischen Republik und Despotie keinen Unterschied finden.«
»Ich verstehe, wo Sie hinaus wollen,« sagte Duval. »Das nämliche haben Sie schon vor zwölf Jahren in Ihrer hübschen Rede behauptet, – nämlich, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit seien nur echt im Christentum, – ein Volk nur glücklich durch die Herrschaft des christlichen Geistes. Beinahe glaube ich, Sie haben recht! Seitdem es in Frankreich keine Religion mehr gibt, keinen Gottesdienst, keine Priester, und jedermann leben darf nach seiner Vernunft, seitdem hat jedermann die Erlaubnis, der pfiffigste Spitzbube zu sein. »Tue, was Dir nützt und gefällt, nur laß Dich nicht erwischen,« – ist das einzige und höchste Gebot. Was dabei herauskommt, wenn keiner mehr ein Gewissen zu haben braucht, war mir früher nicht so klar, wie heute. Dennoch, – fort, – keine Religion!« sagte er mit einer häßlichen Verzerrung des Gesichtes.
»Weshalb – dennoch? Warum stemmen Sie sich gegen die Erkenntnis des Besseren?«
»Warum? – Nun, – sehen Sie, Herr Baron, diese Frage könnte ganz Frankreich an mich stellen, und ganz Frankreich bekäme keine Antwort! Sie aber sind der einzige Mensch, vor dem ich Respekt haben muß. Was Sie dem Pest-Lapussier getan, hab ich noch nicht vergessen. Ja, Sie sind ein edler Mensch! Sie haben damals Ihr junges Leben eingesetzt für einen armen, elenden Sklaven. Das haben Sie getan aus christlicher Nächstenliebe. Sie haben mich und ganz Nod beschämt; denn Sie waren besser und rechtschaffener, als wir alle zusammen.«
»Was Sie an mir rühmen, verdanke ich den Lehren und Pflichten der christlichen Religion.«
»Ganz gut! Christen von Ihrer Sorte könnte man sich gefallen lassen. Allein der Name tuts auch hier nicht. Viele nannten sich Christen, und waren dennoch Schurken.«
»Keinen richtigen Denker wird der Mißbrauch einer guten Sache bestimmen, dieselbe zu verwerfen.«
»Gewiß nicht! Aber die Religion war auch eine Handhabe der Tyrannei, um das Volk durch Gewissenszwang unter das Joch zu beugen. Das könnte sich wiederholen. Darum fort mit jeder Religion! Keine Zwangsjacke für das Volk in der Hand allerchristlichster Tyrannen! Und dann, – vor Ihnen will ich offen sein, – Ihre Frage ganz beantworten. Ich bin Philosoph. Den Voltaire kenne ich, den Rousseau und andere. Was mich diese großen Denker lehrten, blieb nicht unfruchtbar in mir liegen. Für mich war die Philosophie ein Samenkorn, das aufging in Werken. Ich wußte mich frei, unverantwortlich für meine Handlungen vor einem Gott, den es nicht gibt. Tot ist tot. Ein Jenseits gibt es so wenig, wie eine unsterbliche Seele. Nun, – sehen Sie, dieser Freiheit gemäß handelte ich während der Revolution. Manchen Kopf ließ ich fliegen, in manches Schloß warf ich den Brand. Sogar meinem eigenen Weibe, wegen seiner Bigotterie mir verhaßt, schnitt ich die Kehle ab. – Sie erschrecken, entsetzen sich vor mir! Ganz natürlich; denn Sie urteilen und empfinden nach der Religion. Vor Ihnen bin ich ein ganz abscheulicher Mensch, ein Verbrecher. Der Philosoph hingegen weiß nichts von Sünden und Verbrechen. Wenn kein Unterschied ist zwischen Tier und Mensch, kann ich ebenso gleichgültig Menschen erschlagen wie Tiere. Nehme ich aber Religion an, weil dieselbe gut und wahr ist, dann muß ich mich selbst für schlecht und verworfen halten, – ganz dasselbe Entsetzen vor mir haben, welches Sie empfinden. Und nicht allein dies! Gibt es einen heiligen Gott, der straft und rächt, – was steht mir bevor? Nein, – nein, – keinen Gott! Keine Religion! Ha, – ha, – fort mit solchen Hirngespinsten des Aberglaubens!«
Er streckte abwehrend beide Hände aus, und furchtbare Gewissenspeinen malten sich in den zerrissenen Zügen.
»Ich beklage Sie, Duval!«
»Immerhin!« versetzte er finster.
»Wenn es aber doch eine ewige Vergeltung gäbe?«
»Schweigen Sie davon, es gibt keine!« rief der Schmid heftig. »Und wenn es eine gäbe, wäre dies nicht genug?«
Hiebei deutete er mit der Rechten nach dem Beinstrunk, mit der Linken nach der leeren Augenhöhle.
»Wie kam dieses Unglück?«
»Auf dem Wege der Vergeltung,« antwortete Duval, indem er den Kopf schwer auf die Brust fallen und dort einige Sekunden liegen ließ. »Ja, – es gibt eine Vergeltung, wenn man die natürlichen Folgen seiner Handlungen so nennen will. Nehme ich einen Wolf in mein Haus und der Wolf reißt mir ein Glied vom Leibe, so ist der Verlust meines Gliedes die ganz natürliche Folge meiner Dummheit, einen Wolf beherbergt zu haben. Ziehe ich eine Schlange groß, nähre dieselbe mit der Milch meines Schweißes und bin stolz auf die hübsche, schillernde Haut meiner Schlange, – der giftige Wurm aber sticht mir ein Auge aus: – so ist dies abermals eine Vergeltung für mein unvernünftiges Denken. Wölfe und Schlangen soll man töten, nicht aber aufnehmen als Hausgenossen. Nun sehen Sie, genau auf diesem Wege verlor ich mein halbes Bein, mein Auge und dazu meine ganze Manneskraft!«
Er warf den Kopf nach dem Nacken und blickte Valfort schweigend an, wobei ein wilder Schmerz und dumpfe Wut durch sein Mienenspiel zitterten.
Der Baron las in den Zügen des Unglücklichen und ein Gemisch von Erbarmen und Grauen überkam ihn.
»Das Bild von Wolf und Schlange verstehe ich nicht.«
»Aber ich verstehe, was in Ihrem Gesicht geschrieben steht, junger Mann! In Ihrem Gesicht, das so hell ist wie ein klarer Spiegel von Krystall, durch den man sehen kann bis in das tiefe, edle, gute Herz hinein. – – Weil Sie nicht fragen aus Vorwitz, sondern aus Mitleid, darum will ich Ihnen ganz kurz eine lange Geschichte erzählen, die ich noch keinem Menschen erzählte. – – – Ich hatte eine Tochter, sie hieß Madelon. Das Kind war geweckt, verständig und sehr hübsch. Ich war in die Kleine vernarrt, erzog sie gleichsam auf meinen Händen. Da sie mein Herz und meinen Kopf hatte, so begriff sie alles leicht, was mir vom Herzen und aus dem Kopfe kam. Was in beiden lag, nämlich in meinem Herzen und in meinem Kopfe, das gab ich ihr, das heißt, eine vortreffliche Erziehung nach der Vernunft. Wer Rousseaus Emil auswendig weiß wie ich, der weiß auch, wie man Kinder groß ziehen muß. So wurde Madelon ein Freigeist wie ihr Vater. Sie war ein lustiges Ding, das lacht und lebt nach den Forderungen der Natur. Dann kam der republikanische Kultus mit der Vernunftgöttin. Weil nun Madelon sehr hübsch war, so bestimmte sie das Revolutionskomitee zur Vernunftgöttin. Sie hatte viele Anbeter, unter denen sich ein starker Kerl auszeichnete, von Gewerbe ein Schlächter. Weil aber kein Gottesdienst etwas taugt und am Ende zu allerlei Narrheiten führt, so mußte dies auch mit dem republikanischen Kultus der Vernunftgöttin der Fall sein. Die hübsche Göttin machte ihre Anbeter fanatisch verrückt. Mir wurde die Sache am Ende zu toll. Ich versuchte, die Göttin Raison zu lehren. Wer jedoch an Huldigungen und Anbetungen gewöhnt ist, der wird taub gegen die Stimme der Vernunft. Auch Madelon war taub. Sie erwiderte meine Vorstellungen mit übermütigen Reden und ich beantwortete eines Tages ihre Unverschämtheiten mit einer tüchtigen Maulschelle. Aufschrie sie da, wie eine rasende Furie, ergriff einen Stock und schlug auf mich los. Ich fing den Stock mit den Händen auf und gab ihr mit dem Fuße einen Tritt, der sie in die Ecke schleuderte. Dort lag sie wie eine zertretene Schlange. Aber die Schlange war nur betäubt. Bald kroch sie aus der Ecke nach ihrer Kammer, wo sie anfänglich heulte, dann schmähte und fluchte. Zwei Tage darauf kam ich von Limoges heim, wohin wir einen Haufen Verdächtige zur Guillotine getrieben hatten. Es war spät am Abend und ich im Kopfe nicht recht hell. Gerade will ich mich niederlegen, da tritt Madelon herein, hinter ihr der Schlächter und noch drei Kerle. Sie stellen sich vor mich in eine Reihe.
»Man sagt, Du habest unsere Göttin getreten, – ist's wahr?« fragt der Schlächter.
»Allerdings hab ich sie getreten und beinahe zertreten.«
»Warum?«
»Weil mir die Anbeterei zu dick wird.«
»Da hört Ihr's, – da hört Ihr's!« schreit Madelon und ihre Augen glitzern wie Schlangenaugen.
»Du bist ein Tyrann, dem man das Treten vertreiben muß,« sagte der Schlächter.
»Die Kerle fielen über mich her, banden mir Hände und Füße zusammen. Madelon hielt mich bei den Haaren fest und zerkratzte mir das Gesicht. Dabei geriet ihr Finger zwischen meine Zähne; ich biß ihr ein Stück davon ab. Der Schmerz steigerte ihre Wut. Während sie die Wunde verband, schimpfte sie und trieb die Kerle an, dem Tyrannen, welcher beißt und tritt, ein Denkzeichen anzuhängen. Die Schurken ergriffen ein Beil und hieben mir den Fuß ab. »Von mir muß er auch ein Denkzeichen haben,« schrie meine Tochter. Heute noch sehe ich, wie das Ungeheuer eine Nadel von ihrem Busen zog, – die Nadel aber bohrte sie tief in mein Auge.«
Ein leiser Schrei unterbrach Duval. Isabella rang entsetzt die Hände.
»Tuts wehe, Madame? Mir hats auch wehe getan und tuts noch. – – So verlor ich Aug' und Fuß. Ich würde das Leben verloren haben, wären nicht Nachbarn herbeigekommen und hätten das Blut gestillt. Das Bein mußte bis zum Knie abgeschnitten werden, weil die Knochenröhre zerschmettert war. – So bin ich jetzt eine Ruine, in der Molche, giftige Nattern, zuweilen auch schreckliche Gespenster hausen.«
»Armer Mann!« sprach tiefbewegt der Baron.
»Das bin ich, – aber dennoch reicher als die meisten mit zwei Augen und zwei Beinen; denn ich bekam Zeit, so viel Grimm, Wut und Elend zusammenzutragen, daß ich tausend Jahre davon zehren könnte.«
»Und Ihre Tochter?«
»Die Göttin ging zugrunde an den Folgen ihrer Anbetung.«
»Duval, erlauben Sie mir einige Bemerkungen?«
Der Schmied nickte stumm.
»Sie sammeln Grimm und Wut aus Vorgängen, die Ihnen Rettung und nicht Verzweiflung bringen sollten. Nach den Grundsätzen Rousseaus, im Geiste des Unglaubens, erzogen Sie Madelon. Auch Ihr Kind hatte deshalb ein Recht, ein Tier, eine Bestie gegen den Vater zu sein. Hätte Madelon dieses Recht gehabt, wenn Sie aus Ihrer Tochter eine fromme Christin erzogen haben würden? Wäre Madelon zu solchem Frevel fähig gewesen, wenn ihr von Jugend auf das Gebot des heiligen Gottes, »Vater und Mutter sollst du ehren«, wäre eingeprägt worden?«
»Schweigen Sie davon!« rief Duval heftig. »Was hilft es, mich zu erinnern, daß ich einen Satan großgezogen?«
»Dahin geht nicht meine Absicht. Mein Bemühen zielt vielmehr dahin, Sie von der Schlechtigkeit und Verworfenheit einer Richtung zu überzeugen, die aus Kindern Teufel macht.«
»Und aus Vätern doppelt gehörnte Teufel« ergänzte der Schmid gezwungen auflachend. »Schon gut! An mir ist nichts zu bekehren. Behalten sie Ihren Gott, der nicht heilig sein müßte, wenn er so einen Bösewicht aufnehmen wollte, – und auch nicht weise, wenn er mit dem Krüppel sich begnügte, da ihn der kräftige Mann jeden Augenblick verleugnete.«
»Verzweifeln Sie nicht, Duval! Gott ist barmherzig.«
»Lassen sie mich sterben in der Verzweiflung, – sie ist auch eine Wollust. Kein Wort mehr davon, oder Sie treiben mich fort!«
»Von was leben sie, mein Freund?«
»Ah, – ich merke, jetzt werfen sie das Netz des Wohltuns nach mir aus! Hilft nichts! Ich bin sehr reich: denn ich lebe vom Elend.«
»Darf ich Sie bitten, wenigstens einige Kleidungsstücke von mir anzunehmen?«
»Unter der Bedingung, daß Sie mich jetzt in Ruhe lassen,« antwortete Duval, mit abweisender Kopf- und Handbewegung.
»Ich werde mir also das Vergnügen machen, Ihnen morgen einige Kleinigkeiten an Geld und Kleidern zu schicken.«
Der Schmied hing den Kopf und schwieg. Valfort grüßte und stieg mit Isabella zum Schlosse empor.
Duval hob den Kopf und sah den Weggehenden nach.
»Das fehlte noch!« stöhnte er. »Was in mir zusammengeballt liegt, wie tausend Nattern und Drachenzungen – er hat es auseinandergeringelt. Das gibt wieder eine Nacht! Gegen die Schrecken meiner Nächte hilft keine Vernunft, keine Philosophie. Oh, – oh, – diese entsetzliche Reihe! Zweihundertfünfundsiebenzig, – an der Spitze mein Weib, – dieses grausige Weib! In der Hand trägt sie ihren Kopf, – hält ihn mir vor die Augen und krallt mir das Wort ins Herz: Gattenmörder!« – – Dann kommen die übrigen, jedes seinen Kopf in der Hand, – jeder Kopf grinst mich an und brüllt mit einer Stimme schrecklicher als die Hölle: »Mörder, – Mörder, – sei verflucht!« – – Ist die blutige, schauderhafte Reihe vorbei, hat mir der Letzte seine Flüche in die Seele gedonnert, dann erwache ich. Es war nur ein Traum, – sag ich mir, – ein wüstes Gesicht aufgeregter Phantasie, – ein Nichts, – ein Trugbild! Mit diesen und anderen Vernunftgründen verwandle ich die schauervolle Reihe in Schatten, die vor dem Lichte der Philosophie nicht bestehen. Was hilfts? Mein Leib ist dennoch in Schweiß gebadet, – in Angstschweiß! Meine Glieder schüttelt dennoch der Schrecken. Oh, – oh, – diese Nächte! – – Und jetzt kommt er, – er, dessen Worte ich nicht hinweghöhnen kann, weil ich ihn achten muß, – er kommt und spricht von – Vergeltung! Ha, – diese Nächte, sind auch sie Vergeltung? Habe ich jene zweihundertfünfundsiebenzig deshalb gemordet, um jede Nacht auf der Folterbank des Entsetzens zu liegen? – – Er kommt und spricht vom heiligen, gerechten, vergeltenden Gott! Ja, dies fehlte noch, meine Höllennächte mit fressenden Flammen zu schüren! – – – Mach ein Ende, Duval, – mach ein Ende! Liegt es nicht an Dir, die giftige, nagende Brut in Deiner Brust zu töten? Die furchtbare Reihe für immer zu verscheuchen? Ein Strick erlöst Dich! Und die Hölle, wenn es eine gibt, wird nicht so schrecklich sein wie Deine Nächte.«
Er griff zu den Krücken und schleppte sich fort.
Am folgenden Morgen schickte Valfort einen Diener mit Geld und Kleidungsstücken für Duval nach Nod. Der Bediente kehrte mit der Kunde zurück, der Schmied habe sich in verflossener Nacht erhängt.
»Verzweifelt also, – der Unglückselige!« sagte Paul ernst bewegt.
Bald war Duvals nächtige Erscheinung am sonnigen Friedenshimmel in der Familie Valfort verschwunden wie eine dunkle Wolke. Nichts störte ferner das Walten glücklicher Verhältnisse, deren sich Paul und Isabella erfreuten. Die unheilspinnenden Gewalten schienen ihre Tücke erschöpft und die Herrschaft jenen lichten Mächten überlassen zu haben, deren Huld und Hilfe schwere Prüfungen erkämpfen und Tugenden festhalten.
Eine Fülle des Segens ergoß sich fortan über das Haus Valfort. Und je mehr Paul bemüht war, dem Drange des edlen Herzens und auch der Christenpflicht durch Wohltun zu genügen, desto reicher sprudelten ihm die Quellen materieller Wohlfahrt.
Treu den einfachen Sitten und auch der Arbeitsamkeit seiner Heimat schaltete er als tätiger Landwirt in der Vendee und im Limousin. Nach einigen Jahren kaufte er die Herrschaft Chatel, und wieder einige Jahre später die Abtei St. Martin. Er gehörte zu den hervorragendsten Großgrundbesitzern des Reiches.
Zur Ausdehnung des Besitzes drängte ihn zugleich die Vermehrung seiner Familie. Den drei ersten Kindern, welche Mädchen waren, folgten im Laufe von acht Jahren sechs Knaben, deren Dasein Ansprüche erhob und den fürsorgenden Vater an die Zukunft denken ließ.
Den größten Teil des Jahres lebte die Familie auf ihren Gütern in der Vendee, einige Wintermonate in Rovere, wo sich um die glückliche Isabella ein stiller, vertrauter Kreis einiger Glieder alter Adelsgeschlechter bildete, die sich aus dem Sturm gerettet.
Auch an Ehren fehlte es dem wackeren Baron nicht.
Napoleon legte bedeutendes Gewicht auf die Stimmung der Vendee. Jenem tapferen Volke gegenüber wünschte er, seine Macht durch die Weihe der Kirche legitimiert zu sehen. Er ließ sich deshalb vom Papste Pius VII. die Kaiserkrone auf das Haupt setzen. Cantu, Bd. XIII. S. 427.
Gleichem Streben des Kaisers entsprang Valforts Erhebung in den Grafenstand. Dem Scheine nach galt die Auszeichnung dem Lebensretter, in Wirklichkeit sollte Einer der einflußreichsten Männer der Vendee durch das Band der Dankbarkeit an den Thron gefesselt werden. – Paul nannte sich Graf von Rovere-Valfort.
Indessen bedurfte es nicht kaiserlicher Huld, um Paul Bewunderung und Dankbarkeit für einen Mann einzuflößen, dessen Machtgebot die Geister des Chaos in staatliche Ordnung gebannt, dessen religiöser Glaube die Kirchen wieder geöffnet, die zerschlagenen Hirtenstühle wieder aufgerichtet, und ein Konkordat mit dem Oberhaupte der Kirche geschlossen hatte. Die geheimen Zusatzartikel, welche sich zum Konkordate Napoleon auf eigene Faust erlaubte, kannte Valfort noch weniger als der Papst. In Hirtenbriefen an das Volk priesen die Bischöfe Napoleon als »Gesandten des Allerhöchsten, als den Mann nach dem Herzen und vor der Rechten Gottes.« Wachsmuth, Bd. III. S. 313.
Aber nach wenigen Jahren verfiel auch Napoleon dem kläglichen Geschicke jener Sterblichen, die sich zwar auf die Höhe des Ruhmes und den Gipfel der Macht emporgeschwungen, dort aber eine Beute der Hoffart werden. Obschon Bonaparte selber gesagt: »Für das Genie gibt es keine größere Gefahr als die Eitelkeit,« verfiel er doch in hohem Grade dieser Schwäche. Auch an ihm äußerte die Eitelkeit ihre zerstörenden Wirkungen. Das beständige Weihrauchgewölk abgöttischer Verherrlichungen, welches den allmächtigen Herrn Europas umhüllte, verdunkelte allmählich den sonst so scharfen Geistesblick Napoleons. Eine maßlose Eitelkeit bemächtigte sich des Imperators. Sein Ehrgeiz und seine Herrschsucht wurden grenzenlos. Er allein wollte von allem die belebende Seele sein. Nichts durfte in Europa ohne seinen Willen geschehen. Er wollte neben sich und außer sich weder eine sittliche, noch eine physische Gewalt bestehen lassen. Alles und alle mußten ihm dienen. Für ihn existierte kein Volk mehr in seiner moralischen und weltgeschichtlichen Bedeutung. Sogar die freiesten Geister schlug er in Fesseln. Der Künstler sollte und durfte nicht selbst denken noch schaffen; innerhalb der ihm vorgeschriebenen Grenzen sollte er einfach Hervorbringen. Der Dichter mußte seine Lobgesänge, so wie selbe von ihm verlangt wurden, abliefern. Es gab nicht eine öffentliche Rede oder irgend ein gedrucktes Werk, in welchem nicht dem Kaiser Weihrauch gestreut wurde. Die gefügigen Schriftsteller wurden von den Journalen der Regierung gelobt, ihre Werke erfuhren die günstigste Kritik. Bildhauer und Maler stellten den Kaiser dar als Helden, ja als einen Halbgott. Auf Denkmünzen ließ die Schmeichelei sich vollends die Zügel schießen, hier wurde noch überboten, was auf diesem Gebiete der plastischen Kunst unter Ludwig XIV. geleistet worden. In glänzenden Phrasen mit bombastischer Beredsamkeit wußte Herr von Fontanes die Größe und Erhabenheit des Herrschers zu schildern. Aber dem großen Manne genügte es nicht, daß man ihn lobte, seinen Ruhm zu den Sternen erhob, man mußte zugleich seine Feinde mit Hohn und beißenden Vorwürfen überschütten. Der Moniteur diente ihm dazu, mißliebige Schriftsteller herabzusetzen, Fürsten und ganze Staaten zu beschimpfen und so auf den bewaffneten Angriff gleichsam vorzubereiten. Paris, dieser Herd, dessen prasselnde Flammen die Welt in Brand gesetzt hatte, Paris, das Herz Frankreichs, war verstummt. In Beziehung auf Presse und literarische Erzeugnisse gab es außer der Willkür des Kaisers und den Launen seiner dienstbeflissenen Knechte kein Gesetz. Werke, denen man schon die Genehmigung zum Drucke gegeben, wurden unterdrückt. Verlegern und Druckern, wenn sie mißfielen, wurde die Berechtigung entzogen Cantu, Bd. XIII. S. 419..
Nicht einmal der öffentliche Kultus war ausgeschlossen von der allgemeinen Knechtschaft. Die Priester mußten von der Kanzel des Kaisers Ruhm verkünden, die Gemüter für den Krieg entflammen und Hymnen zu Napoleons Siegen anstimmen, wollten sie nicht ihrer Absetzung gewärtig sein. Bis in den Katechismus erstreckte sich dieser Kultus des in Napoleon verkörperten Kaisertums; denn es war darin die Liebe zum Kaiser als ein Glaubensartikel vorgeschrieben Ibid. .
Für gekrönte Häupter hatte Napoleon eine Behandlung, noch verletzender und gefährlicher als die Mordgier der Jakobiner. Die Revolution hatte den König nur guillotiniert, Bonaparte machte die Könige verächtlich. Wie Spielbälle seiner Laune behandelte er die Fürsten. Er stürzte Throne und richtete sie wieder auf, ganz nach Belieben. Kein Regent konnte bestimmt sagen, ob er morgen seine Krone noch tragen werde, oder ob nicht ein Machtspruch Napoleons sie ihm vom Kopfe blase. Der Kaiser schmolz alte Gebiete zusammen, machte daraus Großherzogtümer und Königreiche, verschenkte sie an Günstlinge Und ließ die Völker wie eine Ware von Hand zu Hand gehen.
So glich Europa unter den ehernen Tritten des Eroberers einem Chaos von Ruinen, endlosen Trümmern von Nationen, Volksstämmen und Dynastien. Die Fürsten Europas und Millionen ihrer Untertanen hatten sich losgesagt von Gott, dem Allerhöchsten Glaube und Gehorsam gekündigt, – jetzt waren sie alle zusammen Knechte eines brutalen Menschen.
Nebenbei forderte Napoleon beständig das Mark der Länder für seine Kriegszüge. Er hörte nicht aus, die Blüte der männlichen Bevölkerung auf den Schlachtfeldern seiner Herrschgier zu opfern. Selbst Knaben von zwölf Jahren nahm er den trostlos jammernden Eltern weg, um Schiffsjungen daraus zu machen. Wer sich der Konskription entzog, den schickte er wie einen schweren Verbrecher auf die Galeeren.
Wie bei allen Despoten, kehrte auch bei Napoleon die alte Geschichte wieder: – Kampf und Streit mit dem Wächter sittlicher Weltordnung und Völkerfreiheit, mit dem Statthalter Gottes auf Erden, dem Papste.
Europas allmächtiger Gebieter wollte auch die Religion und den Gottesdienst, wie jeden anderen Verwaltungszweig, aufgefaßt und behandelt wissen. Die Kirche sollte eine Dienstmagd der kaiserlichen Regierung und der Papst Napoleons erster geistlicher Beamte sein.
Pius VII. protestierte gegen die Entwürdigung der Religion und gegen die Knechtung der Braut Christi. Aber ein Mann, vor dem Könige und Völker im Staube lagen, der sich wie einen Halbgott gefeiert wußte und seinem Machtgebot keine Schranken setzte, empfand den Ungehorsam des Statthalters Christi wie eine Beleidigung. Der Papst, ein schwacher Greis, wurde verhaftet, durch die Kreuz- und Querzüge einer mühseligen Reise gepeinigt, nach Frankreich geschleppt und wieder ausgewiesen, um schließlich in Savona in das Gefängnis geworfen zu werden. Da er sich beharrlich weigerte, die Freiheit der Kirche zu verraten und aus der Religion eine Staatsmaschine machen zu lassen, so drückte immer schwerer des Kaisers Zorn auf den »starrköpfigen Alten, der nicht parieren« wollte. Zu seinem täglichen Unterhalt empfing der vollständig ausgeraubte Papst zwei Franken und einige Zentime. Auf das strengste wurde er bewacht und durfte mit niemand verkehren. Alle Schriften wurden ihm genommen, sogar Feder und Papier. Hiezu kamen die Brutalitäten seiner Kerkermeister, Gesinnungsverwandte roter Jakobiner, die eben noch mit Vorliebe die Köpfe frommer Geistlichen abgeschlagen hatten. Standhaft ertrug alle diese Drangsale der schwergeprüfte Greis.
»Ich will sterben würdig der Leiden, die über mich ergangen sind,« sagte Pius VII.
Dieser Starkmut steigerte Napoleons Zorn. Dem Statthalter Christi wurde die unwürdigste Behandlung, verbunden mit schweren Drohungen.
»Ich will des Kaisers Drohungen zu den Füßen des Gekreuzigten niederlegen«, sprach der päpstliche Dulder. »Ich überlasse es Gott, meine Sache zu rächen; denn sie ist seine eigene.«
Der einmal unternommene Mißbrauch der Gewalt treibt immer weiter, bis zur nackten Despotie. – Napoleon begann eine Hetze gegen alle Priester, welche dem Papste Treue bewahren. Fünfhundert Geistliche wurden in Gefängnisse geworfen, wo man ihnen statt des Breviers höhnisch einen Band von Voltaire in die Hände gab. Andere wurden von ihren Stellen vertrieben oder des Landes verwiesen. Alzog, S. 955 ff. Cantu, Bd. XIII. S. 435.
Die Gefangennahme des Papstes rief eine große Erbitterung hervor namentlich in der Vendee.
Durch seine geheimen Korrespondenzen von allen Vorgängen unterrichtet, erhielt Napoleon sofort Kunde von der bedenklichen Stimmung in der Vendee. Und er, dessen Wort Könige entstehen und vergehen ließ, dessen Fuß knechtend auf dem Nacken unterjochter Völker ruhte, – er empfing die Kunde mit großer Unruhe. Dem Staatsmann konnte die Wiederholung eines beispiellos blutigen Bürgerkrieges und die Verwüstung eines fruchtbaren Landes nicht gleichgültig sein. Bonaparte überlegte und dachte an den einflußreichen Valfort.
Wohl keinen Menschen drückten Napoleons folgenschwere Verirrungen mehr als den Grafen Valfort. Auch er hatte in Bonaparte einen Gesandten des Allerhöchsten gefunden, einen Mann nach dem Herzen Gottes, ein Werkzeug der Vorsehung, dem eine erhabene Mission geworden. Selbst für die Eroberungskriege hatte Paul noch eine Erklärung.
»Napoleon hat die Aufgabe« sagte er, »durch die Geißel des Krieges die entarteten Völker Europas zu strafen und dieselben Fürsten durch Knechtschaft zu demütigen, welche gegen ihren Herrn und Gott sich aufgelehnt.«
Als jedoch der Kaiser unternahm, die Kirche als seine Dienerin für politische Zwecke zu behandeln, den Papst zu bedrängen und schließlich in Gefangenschaft zu führen, da litt Paul unaussprechlich. Napoleons Tyrannei bildete die einzige dunkle Wolke in dem sonnigen Leben des glücklichen Grafen. Seit einiger Zeit drängte es ihn sogar, dem Kaiser persönlich das Abschüssige seiner Regierungsweise vorzustellen. Aber die Unbeugsamkeit und der starre Eigenwille des stolzen Monarchen waren ihm nicht unbekannt. Wie mochte das Wort edler Freundschaft einen Mann erreichen, den sklavischer Gehorsam umgab, den Schmeichler verdorben, und den jeder Widerspruch heftig erzürnte?
Da erschien zu Valfort ein Kurier mit einem kaiserlichen Handschreiben, welches den Grafen nach Paris einlud.