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Zerwürfnisse.

Das Glück blendet und verleitet gerne, ein anfänglich erstrebtes Ziel zu überschreiten. In ähnlicher Lage befanden sich die kühnen, von Siegen gleichsam berauschten Führer des Aufstandes. Zur Verteidigung des religiösen Glaubens, für Gewissensfreiheit, hatten sie vorzüglich die Waffen ergriffen. Nun aber reizten glänzende Erfolge die Siege zu Unternehmungen, deren Verwirklichung die Kräfte der Vendee überstieg, und deren Mißlingen die gewonnenen Vorteile zu vernichten drohte.

Als Paul von Valfort in Cholet, einem Flecken bei Nantes eintraf, fand er die Anführer vollzählig. Bereits waren einige weitgehende Beschlüsse gefaßt. Catelinau war zum Oberbefehlshaber der gesamten Streitkräfte des Bocage erhoben worden. Den vereinten Heereshaufen hatte man den Namen »große königliche und katholische Armee« gegeben. Die erste Aufgabe dieser Armee sollte sein, die höchst wichtige Stadt und Festung Nantes zu erobern, deren Gewinn von außerordentlichem Einfluß sein mußte auf das Schicksal des westlichen Frankreichs. Die »große königliche und katholische Armee« betrug 40 000 Mann und eben so viel die Armee des Marais, die gleichzeitig von General Charette gegen Nantes geführt werden sollte. Nach Erstürmung der Veste sollten die siegreichen Armeen nach Paris marschieren, der Schreckensherrschaft ein Ende machen und das alte Königtum wieder herstellen. Wachsmuth. Bd. II. S. 150.

Diese Dinge erfuhr Paul schon am Abend seiner Ankunft in Cholet von Baron Martel, seinem tapferen Waffengefährten. So erwünscht ihm auch der Sturz einer Regierung von Mördern und die Einsetzung eines gerechten und weisen Königs sein mußte, fand er doch augenblicklich die Lösung einer so schwierigen Aufgabe mit den gegebenen Mitteln ganz unmöglich.

»Nun, was halten Sie von der Sache?« frug Martel, da Paul schweigend saß und mit den Fingern auf der Tischplatte trommelte.

»Vorläufig möchte ich jedes Urteiles mich enthalten,« antwortete Valfort, in dessen Mienen lebhaftes Mißvergnügen über das Vernommene geschrieben stand. »Jedenfalls haben die Führer Alles genau erwogen, bevor sie Pläne schmiedeten, die zwar großartig und kühn aussehen, aber der Lächerlichkeit verfallen müssen, wenn sie nicht auf solider, den Verhältnissen entsprechender Grundlage aufgebaut wurden.«

Martel nickte beifällig mit dem Kopfe.

»Unverständlich ist mir, weshalb man plötzlich unsere heilige Sache eine »königliche« tauft,« fuhr Paul fort. »Nicht für den Thron griffen wir zu den Waffen sondern für weit Höheres. Das Wort »katholisch« findet sich zwar auch auf dem neuen Kriegsbanner, aber erst nach dem »königlich«, – was leicht zur Annahme verleiten könnte, nach den Absichten der Vendee habe das königliche Interesse einen Vorrang vor jenem der Religion und Gewissensfreiheit.«

»Wie dies kam, will ich Ihnen sagen«, flüsterte Martel, sich vorsichtig umschauend, obwohl sie allein im Zimmer des Wirtshauses saßen. »In der Geschichte stecken die Prinzen, welche von England herüber Agenten schickten. Catelinau, d'Elbee, Bonchamps und namentlich Charette sind ganz für die Absichten der Bourbonen gewonnen. Nach der Einnahme von Nantes werden sich die Prinzen an die Spitze der Armee stellen, mit uns nach Paris marschieren und Ludwig XVII. auf den Thron setzen.«

»Die Prinzen haben Eile,« versetzte Valfort. »Allein ich fürchte, man hat einen Turmbau geplant, zu dessen Vollendung die nötigen Kräfte fehlen. Höchstwahrscheinlich kömmt es nicht einmal zur Fundamentierung, sondern zu etwas ganz Anderem. Ich halte es für meine Pflicht, morgen bei der Versammlung den Führern meine Ansicht frank und frei heraus zu sagen. – – Sind viele Barone unseres Bezirkes hier?«

»Außer mir noch vierzehn. Wir erwarten stündlich Befehl, heimzukehren, unsere Mannschaft zu sammeln und nach dem Standorte der Armee aufzubrechen.

»So weit ist es schon?« rief Paul betroffen. »Mir hat man keine Silbe von der ganzen Bewegung anvertraut, – Nebensache! Persönliche Kränkungen bedeuten hier nichts. Dagegen bitte ich Sie, lieber Martel, unseren Waffenfreunden zu sagen, sie möchten der Versammlung beiwohnen, meine Gründe hören und dann ihre Entschlüsse fassen. Vorläufig handelt es sich um einen ehrenvollen Frieden, nicht um Krieg.«

»Einverstanden, mein Freund! Auch ich und Andere haben kein Vertrauen zu Plänen, die Alles verheißen, aber nichts oder wenig erreichen.«

Nach Martel's Entfernung durchschritt Valfort nachdenkend das Zimmer. Je eingehender er das Vernommene prüfte, desto unausführbarer und tollkühner dünkte ihm die Sache.

Diese Prinzen, – diese dynastischen Interessen, – dieses königliche Blut, seit langer Zeit kein Lebenselement für Frankreichs siechen Leib! Was haben Glück, Frieden und Väterglauben meiner Heimat gemein mit den Bourbonen? Unsere heilige Sache wollen sie vermengen mit ihren Herrschergelüsten, – unsere bescheidenen Streitkräfte, bisher von Gott im Kampfe für das Höchste gesegnet, werden sie auf dem Wege zum Throne verderben, – das ist frevelhaft!«

Mit dem Entschlusse, seinen ganzen Einfluß gegen abenteuerliche Pläne aufzubieten und die Führer von aussichtslosen, für die Vendee verderblichen Unternehmungen abzuhalten, begab er sich endlich zur Ruhe.

Am folgenden Morgen erwarteten ihn Martel und vierzehn Barone jenes Bezirkes, dessen Vorstand Paul war. Die gegenseitige Begrüßung war herzlich. Das Benehmen der Edelleute zeigte, daß sie in Valfort's Einsicht das größte Vertrauen setzten und mit seiner Auffassung der Dinge einverstanden seien. Nach einem gemeinsamen Frühstück begaben sich die Barone zum Gemeindehause, in dessen Saal die Häuptlinge des Aufstandes ihre Versammlungen hielten. Da bereits alle Beschlüsse von Wichtigkeit gefaßt waren und nur einige Förmlichkeiten zu erledigen blieben, so wurden Paul's Begleiter ungehindert in den Saal gelassen.

Die Anführer standen in Gruppen umher, in lebhafter Unterhaltung begriffen. Laroche begrüßte den Vetter, jedoch mit einiger Verlegenheit, die Paul nicht entging. Der riesig gestaltete und heldenmütige Catelinau trat gleichfalls heran, dem Baron seine breite Hand zum Gruße reichend. Die übrigen Führer hingegen empfingen Valfort mit augenscheinlicher Kälte. Sie blickten auf ihn, wie auf eine Gefahr, die bei seinem Erscheinen Beschlüsse bringen konnte, welche man tollkühn nennen durfte.

Die meisten Anführer hatten sich um einen jungen Mann geschart, welcher die Seele und treibende Kraft der gegenwärtigen Bewegung bildete, Baron La Charette. Er war ein begeisterter Royalist und befähigt, selbst eine aussichtslose Sache wirksam zu vertreten. Ebenso klug und vorsichtig, wie unternehmend und kühn, schienen unübersteigliche Hindernisse und Gefahren nur dazu da, um diesen außerordentlichen Charakter zu verherrlichen. Seine Bewegungen im Felde waren so unglaublich und rasch, daß er an Orten plötzlich erschien, von denen man ihn weit entfernt wähnte, und zu Stunden, in denen seine Gegenwart entscheidend wurde. Oft überfiel er mit seinen tapferen Scharen die Republikaner, wie ein verheerender Wettersturm, der plötzlich und ohne vorausgegangene Anzeichen losbricht. Eines Tages hatten die Blauen von einem Dorfe Besitz genommen. Der Kommandant der Republikaner dachte an Charette, wie an einen Mann, der zwanzig Meilen von ihm entfernt ist. Er saß am Tische seines Quartiers und ließ sich von der Hausfrau bedienen.

»Ich möchte diesen berühmten Charette doch einmal sehen!« äußerte er.

»Dort ist er!« antwortete die Frau, durch das Fenster deutend.

In der Tat, es war Charette, an der Spitze einer fliegenden Kolonne, die urplötzlich aus dem Boden gewachsen schien. Die Republikaner wurden ungestüm angegriffen, niedergemacht oder gefangen. – Als die Vendee längst der Übermacht erlegen und verwüstet war, führte Charette den Aufstand in der Bretagne fort. Schließlich wurde er gefangen und erschossen.

Um diesen Mann gruppierten sich die Häuptlinge, wie um einen Mittelpunkt, nachdem Valfort den Saal betreten.

»Es freut mich sehr, Eure Gnaden gesund wieder zu sehen,« sagte Catelinau, dem jungen Mann die Hand drückend. »Schon fürchtete ich, die Köpfer in Paris hätten sich an Ihnen vergriffen; denn Sie waren lange, – sehr lange, – und es hat sich,« schloß er mit verlegenem Lächeln, »mittlerweile Einiges verändert.«

»Veränderungen scheinen allerdings vorgegangen zu sein,« erwiderte Paul, mit einem vorwurfsvollen Blicke auf die zurückhaltenden Häuptlinge. »Allein die Veränderungen dürfen mich keineswegs abhalten, von einer Mission Rechenschaft zu geben, die ich im Auftrage des Kriegsrates übernahm.«

»Das ist wahr, Herr Baron! Wir haben Sie nach Paris geschickt, darum ist's billig und anständig, zu hören, was Sie dort ausgerichtet haben. Meine liebwerten Waffenbrüder,« wandte sich der biedere Catelinau an die Versammelten, »Herr Baron Valfort möchte uns sagen, was er in Paris fertig gebracht hat. Ich schlage vor, zuerst die Botschaft unseres Abgesandten zu hören, bevor wir im Übrigen weiter fahren.«

Die Führer ließen sich auf Stühlen und Bänken nieder, und zwar in der Haltung von Menschen, die mit Überwindung Mißfälliges hören und Widerstand entgegenzusetzen entschlossen sind.

Valfort stand in Mitte des Kreises, ausführlich über seine Tätigkeit und seine Erfolge in Paris berichtend.

»Mithin,« schloß er, »sind wir in der glücklichen Lage, einen ehrenvollen Frieden zu erlangen, – einen Frieden, der uns jene unschätzbaren Güter bewilligt, zu deren Verteidigung wir die Waffen ergriffen haben. Danken wir Gott für den Segen des Friedens und für die Möglichkeit, unsere geliebte Heimat gegen die Verwüstungen eines Krieges zu schützen, der in weiterer Folge, bei der Übermacht der Republikaner, für uns verderblich und verhängnisvoll werden könnte.«

Nach Valfort's Rede entstand eine schwüle Pause des Schweigens. Alle mochten die Richtigkeit der Schlußbemerkungen fühlen. Keiner hatte den Mut, zuerst gegen den Friedensapostel das Wort zu ergreifen. Da erhob sich Charette, freundlich lächelnd, mit einer achtungsvollen Verbeugung gegen Valfort.

»Mir scheint,« begann er, »es habe der Friedensvorschlag einer revolutionären Regierung eine sehr bedeutende Lücke. Von Wiedereinsetzung des rechtmäßigen Königs verlautet kein Wort. Ich weiß, bei Ihrer Abreise von Fontenay nach Paris, war man fast geneigt, den Frieden unter der Bedingung vollständiger Gewissensfreiheit zu wünschen; – seitdem hat sich manches geändert. An erster Stelle darf ich meine Zweifel an der Aufrichtigkeit des Konventes nicht unterdrücken, den Frieden ernst zu nehmen und den Vertrag halten zu wollen. Indem ich den Verdacht eines möglichen oder selbst wahrscheinlichen Vertragsbruches vonseite des Konventes ausspreche, erhebe ich keine überraschende Anklage gegen eine Versammlung von Elenden, denen es Vergnügen macht, das Heiligste zu verhöhnen, in Strömen unschuldigen Blutes zu waten, die Fahne der Empörung gegen Gott selber aufzupflanzen. Meineid und Vertragsbruch sind bei solchen Leuten Kleinigkeiten. Dagegen mag allerdings für den Augenblick der Mörderkonvent wirklich Frieden wünschen, aus dem einfachen Grunde, weil das erschreckte Europa im größten Maßstabe rüstet gegen die Mordbrennerregierung Frankreichs. In dieser bedenklichen Lage mögen die Unholde von Paris wenigstens einen Feind zum Schweigen bringen wollen, und zwar durch einen Vertrag, den Gottesleugner und Meineidige brechen können, wann es ihnen gelegen dünkt. Hat erst französische Tapferkeit das Ausland überwunden, dann bleibt immer noch Zeit, die vertrauensselige Vendee mit vereinigten Kräften niederzuwerfen. – Seit Ihrer Abreise nach Paris, Herr Baron, hat sich die Lage wesentlich geändert. Die errungenen Siege, an denen auch Sie ruhmvollen Anteil genommen, müssen Früchte tragen. Eine glückliche Verkettung der Umstände verpflichtet zu entscheidenden Unternehmungen. Wir verlassen die Defensive und ergreifen die Offensive. Um es kurz zu sagen, wir nehmen vorerst Nantes. Dann marschiert die große königliche und katholische Armee nach Paris, macht der Schreckensherrschaft des Mörderkonventes ein Ende und gibt den Thron seinem rechtmäßigen Könige zurück.«

Hätte nicht Paul bereits von dem merkwürdigen Plane gewußt, er würde den Redner für einen tollen Abenteurer gehalten haben. Nun verkündeten ihm die wiederholten Zeichen des Einverständnisses, womit die meisten Häuptlinge Charette's Rede begleiteten, daß Alle für das tollkühne Unternehmen gewonnen seien. Mit geringer Hoffnung, auf einen Erfolg seiner Bemühungen, unternahm es Valfort, die Beschlüsse des Kriegsrates zu bekämpfen.

»Wenn sich die Gesinnung meiner tapferen Waffengenossen geändert, und dieselben heute nicht mehr Frieden, sondern Krieg wünschen, so beklage ich dies, weil mir ein ehrenvoller Frieden, der freie Ausübung des religiösen Bekenntnisses gewährleistet, ein höheres Gut zu sein scheint, als der ungewisse Ausgang des fortgesetzten Krieges. Ich bitte dringend, kalten Blutes zu prüfen, ob wir in der Lage und stark genug sind, so großartige Unternehmungen zu wagen, wie Baron Charette in Aussicht stellte. Man will Nantes nehmen, und spricht davon, wie von einer leichten Sache. In Nantes kommandiert General Canclaux, ein sehr tüchtiger und erfahrener Offizier. Die Stärke der Besatzung kenne ich nicht, weiß aber, daß die Festungswerke stark, die Gräben tief, Wälle und Bastionen mit zahlreichen Geschützen bewehrt und von geübten Kanonieren bedient sind. Der kühne Mut und die Todesverachtung meiner tapferen Waffenbrüder werden nun allerdings weder die Festungsmauern, noch Wälle, Gräben und Feuerschlünde beachten. Sie werden stürmen und sich schlagen wie Löwen. Haben sie ja, nur mit Stöcken bewaffnet, Batterien angegriffen und genommen, – freilich auf freiem Felde. Wo aber die tausend Hindernisse und Schutzwehren einer Festung gegenüberstehen, hilft auch der kühnste Mut über Schwierigkeiten nicht hinweg, die nur durch eine regelmäßige Belagerung überwunden werden können. Die Kanonenschlünde werden ganze Ströme von Kartätschen auf die anstürmenden Massen ausspeien, und die tiefen Gräben mit den Leichen meiner nutzlos geopferten Landsleute anfüllen. Selbst angenommen, Nantes würde erstürmt, – wäre ein Marsch nach Paris möglich? Nein! Hier sind meine Gründe, die ich unbefangen zu erwägen bitte. – Unsere Siege erkämpften wir in der Defensive, auf dem Boden unserer geliebten Heimat, deren Terrainverhältnisse unsere besten Bundesgenossen waren. Sobald wir die Vendee verlassen, den Schutz der Schluchten und Hohlwege, das Labyrinth zahlloser künstlicher Wälle, sobald wir die freie Ebene betreten, gestaltet sich die Sache ganz anders. Den weiten Weg nach Paris marschiert die Armee auf Kunststraßen, sie marschiert durch freies, ebenes Land. Die Hügel, Schluchten, Wälle, Büsche und Wälder der Vendee schirmen nicht mehr gegen Reiterei und Artillerie des Feindes. Wir besitzen keine Reiterei und Artillerie. Nicht einmal das Bajonett gebrauchen unsere Landsleute mit Erfolg, die keine geschlossenen Linien zu bilden verstehen. Was wird die unausbleibliche Folge sein? Geschütze, Reiterei und geschlossene Angriffe des Feindes werden uns vernichten. Nach Paris gelangt nicht ein Mann. – Deshalb beschwöre ich Sie, meine Freunde, von einem Unternehmen abzustehen, das beinahe lächerlich erscheint. Führen Sie nicht die tapferen Söhne der Vendee auf die Schlachtbank, in das sichere Verderben.«

Die Rede machte sichtlich Eindruck. Namentlich waren die fünfzehn Barone von Valfort's Ausführungen so lebhaft durchdrungen, daß sie laut ihren Beifall ausdrückten. Aber die einflußreichsten des Kriegsrates, der standhafte und hochherzige l'Eskure, der unternehmende d'Elbee, der kühne Bonchamps und der feurige, verwegene Charette, suchten Paul's Einwürfe zu entkräften. Hiebei wirkten sie nicht durch stichhaltige Gründe, sondern durch die Macht glühender Begeisterung, welche fast niemals ihren Eindruck auf Gleichgesinnte verfehlte, und auch jetzt die Häuptlinge fortriß.

»Ich muß gestehen,« sagte Catelinau, »was der gnädige Baron Valfort vorbrachte, hat Kopf und Fuß. Dennoch können wir einen so hübschen Plan nicht aufgeben. Eine innere Stimme sagt es mir, daß wir siegreich in Paris einziehen werden.«

»Diese innere Stimme, mein Freund, ist die unerschütterliche Kraft Ihres Heldenmutes, der auch Unbesiegbares überwinden zu können glaubt,« versetzte Paul.

»Mein Herr,« unterbrach ihn Charette, »wenn kluge Berechnung Ihnen verbietet, an einer beschlossenen Sache Teil zu nehmen, so unterlassen Sie wenigstens, Andere davon abzuhalten.«

»Mein Herr,« entgegnete Valfort beleidigt, »was Sie kluge Berechnung nennen, ist das Ergebnis meiner Überzeugung, die ich begründet habe und die keineswegs widerlegt wurde. Für meine Heimat zu kämpfen bin ich jederzeit bereit, nicht aber zu aussichtslosen und verderblichen Unternehmungen, die weniger unsere höchsten Interessen, als die Wünsche des Hauses Bourbon zu berühren scheinen.«

La Charette, ein leidenschaftlicher Royalist und eine feurige Natur, fuhr auf und seine Augen blitzten. Allein er sprach kein Wort und überwand sich mit wunderbarer Selbstbeherrschung.

»Nur die ganze Wahrheit wird meinen Vetter befriedigen,« sagte Laroche, »weil eben nur die volle Wahrheit unseren Plan rechtfertigen kann. So wisse denn, lieber Paul, daß wir nicht allein marschieren. Die Alliierten des königlichen Hauses Bourbon werden uns begleiten, namentlich England, welches die Einsetzung Ludwig's XVII. eifrig anstrebt. Diese Andeutungen werden genügen, Dir einen Plan nicht aussichtslos und verderblich erscheinen zu lassen, der mächtige Förderer und Teilnehmer hat.«

»So warte man, bis die englische Hilfsmacht an unserer Küste landete,« erwiderte Paul. »Hüten wir uns aber, mit bloßen Versprechungen englischer Minister und mit guten Wünschen bourbonischer Prinzen nach Paris marschieren zu wollen, – beide werden nicht den sicheren Untergang abwenden, welcher die Armee der Vendee auf dem Flachlande erwartet. Deshalb beschwöre ich Sie noch einmal, Unausführbares zu unterlassen und einen ehrenvollen Frieden anzunehmen.«

»Herr Baron, ich staune!« rief Charette. »Wie können Sie einen Frieden »ehrenvoll« nennen, der uns verpflichtet, die Republik anzunehmen? Kein Ausgleich, kein Friede, bis Ludwig XVII. den Thron seiner Väter bestiegen.«

»Ich protestiere gegen die Vermengung der heiligsten Güter mit den Interessen eines Geschlechtes,« rief Paul von Valfort. »Wir haben für unendlich Höheres die Waffen ergriffen als für die Rechte der Bourbonen. Glaubensfreiheit erstrebten wir, ungehinderte Ausübung unserer Religion, Unabhängigkeit des Gottesdienstes von der weltlichen Regierung, – Menschenrechte sind dies, die unsere Heimat immer besessen, und die jeder Katholik fordern muß. Der Frieden mit der republikanischen Regierung gewährleistet uns dies Alles, und dies Alles hat mit den Hausinteressen der Bourbonen ganz und gar nichts gemein.«

»Ah, mein Herr, ich merke, Sie sind kein besonderer Freund des Königshauses!« rief Charette erregt.

»Die Regierungsweise unserer Könige seit dem vierzehnten Ludwig kann in der Tat keine Begeisterung einem Manne einflößen, der Königsdienst dem Gottesdienste nachstellt,« rief Paul, gleichfalls erregt. »Widersacher unseres Heiles waren die absoluten Könige, Bedrücker und Feinde unserer Kirche. Dem entsittlichenden Beispiele der Könige, ihrer faulen Regierungsweise verdankt Frankreich seinen Ruin, seinen Bankrott, sein jammervolles Elend. Ich verdamme und verabscheue die Bluttaten der Revolution, – aber Despotie und religionsfeindliches Regiment der Bourbonen haben die Revolution erzeugt. Nein, ich habe keine Sympathie für Könige, die Frankreichs Staatsschiff in den Abgrund steuerten! Volle Hingabe aller leiblichen und geistigen Kräfte schulde ich nur meinem Herrn und Schöpfer, – keinem Menschen. Zur irdischen Wohlfahrt und zum ewigen Heil bedürfen die Menschen der Religion, nicht aber der Könige. Um der Könige willen den Zweck unseres Daseins verscherzen, wäre sündhaft und töricht zugleich. Unsere Kirche ist an keine Staatsform gebunden, nur Freiheit fordert sie, Ausübung ihres göttlichen Lebens. Die Monarchie hatte die Kirche geknebelt, unterjocht, – gewährt ihr die Republik Freiheit, dann ziehe ich die Republik einer despotischen Monarchie vor.«

Aber den erhabenen, weitausschauenden Standpunkt Valfort's teilte mit ihm keiner der Häuptlinge. Daher Mißfallen und bedenkliches Kopfschütteln.

»Ich bin der Meinung«, sagte d'Elbee, »einen Gegenstand nicht weiter zu besprechen, über den wir uns mit Baron Valfort nicht verständigen können. Dennoch steht es Ihnen frei, mein Herr, durch Ihre erprobte Tapferkeit das beschlossene Werk zu unterstützen oder sich zurückzuziehen«.

»Ich wähle das Letztere, weil es keinem Manne gestattet ist, gegen seine Überzeugung zu handeln,« sagte Valfort. »Mögen Sie niemals bereuen, meine Warnungen mißachtet zu haben! Werden Sie gezwungen, den Angriff in Verteidigung zu verwandeln, dann werde ich keinen Augenblick säumen, für meine liebe Heimat Gut und Leben einzusetzen«.

Nach diesen Worten verbeugte er sich und verließ, mit den fünfzehn Baronen seines Bezirkes, den Saal.


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