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Zeitläufige Mönche.

Seit Ludwig XIV. gab es für die Willkür des absoluten Königtums keine Schranken. Sogar die Schwelle des Gotteshauses überschritt die allgebietende Machtvollkommenheit der königlichen Majestät. Ludwig nannte sich zwar den »allerchristlichsten König«, – in Wirklichkeit aber tyrannisierte er die Kirche ebenso wie den Staat. Die oberhirtlichen Einflüsse des Papstes zu brechen und nach fürstlichem Gutdünken zu beschneiden, wärmte er die gallikanischen Freiheiten für den französischen Klerus auf. In vier Artikeln bezeichnete der allerchristlichste König dem Statthalter Christi jenen kirchlichen Wirkungskreis, in dem er sich bewegen durfte. Hiezu kamen bald auf des Königs Befehl noch einige andere Freiheiten für den Klerus.

Die Bischöfe fanden, daß ihnen der Papst ohne des Königs Erlaubnis wenig mehr zu sagen habe.

Für Befreiung aus römischer Abhängigkeit hatte die Majestät huldvoll gesorgt, dafür jedoch der gesamten Geistlichkeit das Joch königlicher Knechtschaft aufgelegt.

»Der König ist in Wirklichkeit mehr das Oberhaupt der französischen Kirche als der Papst,« schreibt Bischof Fenelon.

Mithin war die von Jesus Christus angeordnete geistliche Regierungsgewalt des Papstes in Frankreich zerstört. Nicht der Nachfolger des heiligen Petrus weidete die große französische Herde, sondern Nimrods Nachfolger, – ein König.

Und allgemach nahm die unglückliche Herde den Charakter ihres königlichen Hirten an. Eine schmachvolle Maitressenwirtschaft besudelte zwar die meisten Fürstenthrone jener Zeit, namentlich aber den französischen. Der vierzehnte Ludwig frönte dem Laster noch mit einigem Anstande und verbarg vor den Augen des Volkes seine Schande. Sein Nachfolger in der Regierung hingegen, Herzog Philipp von Orleans, war ein so schamloser Wüstling, daß er grundsätzlich und planmäßig der Verworfenheit frönte. Eine ganze Rotte Gleichgesinnter sammelte er um sich zur Aufführung jener unnatürlichen Scheußlichkeiten, die man sonst nur aus heidnisch-römischen Satyrikern kannte. Schöne und geistvolle Damen beteiligten sich an höfischen Orgien, in denen alles Ehrwürdige und Heilige der Religion und des Familienlebens mit Füßen getreten wurde. Je gotteslästerlicher die Gespräche, je abscheulicher die Szenen, je heiliger die gewählten Tage, je verrufener die Gesellschaft, desto mehr entsprach es dem Geschmacke des fürstlichen Wüstlings. – Nicht besser trieb es Ludwig XV., dessen Schandleben ganz Frankreich verpestete. Während das Volk unter Steuerlasten seufzte und Hungers starb, verschwendete er ungeheuere Summen an seine Maitressen. Und nicht allein Sitte und eheliche Treue verriet der König an die Verworfensten ihres Geschlechtes, sondern auch Szepter und Krone; denn nicht der König regierte, sondern dessen Buhldirnen. Cantu, Bd. XII. S. 27 f., S. 958 f. Wachsmuth, Bd. I. S. 3 f.

Und aus dem sittlichen Sumpfboden eines solchen Hofes gingen die Bischöfe und Prälaten der französischen Kirche hervor! Nicht Frömmigkeit, Wissen und persönliche Würdigkeit empfahlen für das Bischofsamt, sondern hohe Geburt und eine Gesinnung, welche mit dem verderbten Hofgeiste harmonierte. So empfingen nichtswürdige Menschen die Insul. Die Bischöfe waren Geschöpfe des Hofes, und der Hof setzte Kreaturen nach seinem Geschmack auf die Hirtenstühle. Selbst der schamlose Abbe Dubois, der stete Genosse bei den Ausschweifungen des Regenten von Frankreich, durfte nach den höchsten kirchlichen Würden streben.

»Wo finde ich wohl den Schuft, der sich herbeiläßt, Dich zum Bischofe zu weihen?« frug ihn der Regent, Philipp von Orleans.

Er fand wirklich den Schuft. Dubois wurde Erzbischof von Cambray. Cantu, Bd. XII. S. 29.

Die Sache ist klar und natürlich: – wenn ungläubige Minister und Wüstlinge die Bischöfe ernennen, so werden feige Mietlinge und verworfene Menschen die Hirtenstühle schänden. Deshalb waren Tugend, Gelehrsamkeit und heiliger Eifer nicht allzu häufige Eigenschaften der hohen Geistlichkeit. Den Prälaten gefiel der Glanz des Hofes, die Lebensfreuden in Paris, nicht aber bischöfliche Tätigkeit in ihren Diözesen. Das faire residence betrachteten die lebenslustigen Herren als Verbannung. Vielfach boten sie den spitzigen Federn freigeistiger Philosophen reichen Stoff, die Religion verächtlich und deren Diener lächerlich zu machen. Wachsmuth, Bd. I. S. 16.

Auch jene Klöster, welche von den gallikanischen Freiheiten Gebrauch machten, hatte das Leichengift allgemeiner Fäulnis ergriffen. Manche Orden schafften die geistlichen Regeln ab, die Fastenspeisen, das Beten in der Nacht, das Singen im Chor. Dafür widerhallten die Klostermauern von geräuschvollen Festen, von Konzerten, Bällen und Banketten. Die Kapuziner von Paris erfreuten durch Skandale das frivole Publikum. Die Benediktiner von St. Germain baten den König, sie vom Ordenskleide zu befreien, das sie nur lächerlich mache, ebenso vom Fasten und Chorgebet. Die Abbes der Schlösser waren elegante Salonmenschen. Sie bildeten die Zierden der Damengemächer, dichteten Liebeslieder, machten Späße, wußten pikante Dinge und witzige Einfälle zu erzählen, und waren stets erbötig, hochgeborenen Modegecken als Zielscheibe des Spottes zu dienen. Cantu, Bd. XII. S. 961.

Wohl gab es noch würdige Bischöfe, die sich berufen fühlten, dem unglücklichen Volke getreue Hirten zu sein. Aber die herrschende Strömung widerstrebte, und der Absolutismus der Staatsgewalt unterband den Lebensnerv ihrer apostolischen Tätigkeit. Jene göttlich weise Ordnung, welche das katholische Priestertum als eine Armee geistiger Streiter darstellt, war vom Königtum vernichtet worden. Zugleich hatte der Klerus beim Volke fast allgemein das Ansehen und die Würde seines Amtes verloren. Deshalb ist es leicht verständlich, daß die Landpfarrer, unter denen es noch sehr viele berufstreue und würdige Männer gab, vergeblich mit der reißenden Strömung des Verderbnisses rangen.

Thomas Gilbert hatte Frau Sibylle Duval ausführlich über sein mißglücktes Unternehmen im Schlosse Rovere berichtet.

»Da sehen Sie, Frau Mutter, was die Feudalen für schamlose Wichte und Schurken sind!« schloß er mit zornig funkelnden Augen. »Nicht allein Hab und Gut, sondern auch Fleisch und Blut und Ehre der Untertanen fordern sie.«

»Dies kommt daher, mein Sohn, weil die Feudalen aufgehört haben, Christen zu sein. In meiner Heimat, der frommen Vendee, ist's ganz anders. Dort betet der Edelmann so gut seinen Rosenkranz wie der Bauer. Dort ist Religion nicht Aberglaube und Schwärmerei, sondern Offenbarung Gottes. Dort sind die Priester keine Betrüger und Fanatiker, sondern Gottes Stellvertreter und Verkünder des Evangeliums. Darum gibt es auch in der Vendee keine Elenden, welche junge Mädchen auf ihre Schlösser zu nichtswürdigen Dienstleistungen locken.«

Die Rede klang Thomas wie eine Strafpredigt; denn auch er huldigte dem Zeitgeiste und wußte viele Zeitungsphrasen über religiösen Fanatismus, Verdummung des Aberglaubens und andere Schlagwörter.

»Schon gut, Frau Mutter, – schon recht!« sagte er unwillig. »Wir sind nicht in der frommen Vendee, sondern in dem aufgeklärten Limousin, und zwar in der Gewalt des Tyrannen Rovere. Was fangen wir an? Wissen Sie keinen anderen Weg der Rettung?«

»Doch, mein Sohn, doch! Einer nach dem anderen. Nach Tisch gehen wir hinüber zur Abtei St. Martin. Der Abt ist auch ein Grafensohn und ein Freund unserer Herrschaft. Ihm erzählen wir den Fall und bitten um seine Hilfe.«

»O weh', Frau Mutter, da gehen wir zum Rechten!« sagte Thomas verächtlich. »Abt Armand ist aus demselben Holze geschnitten wie Graf Henry und Herzog Chatel.«

»Er ist aber doch ein Geistlicher und muß dem Grafen Unrecht geben,« erwiderte Sibylle. »Er wird Rovere Vorstellungen machen. Der Graf wird sich schämen und weiter nicht auf seinem schändlichen Ansinnen bestehen.«

»Nun, wie Sie meinen, Frau Mutter! Man kann's ja probieren.«

»Gehen Sie jetzt in die Stube, mein Sohn! Reden Sie aber nichts von der Sache über Tisch; Sie kennen ja meinen Mann, den Hitzkopf.«

Gilbert verließ die Küche, wo dieses Gespräch stattgefunden, und Frau Sibylle war um den Herd tätig.

Die Abtei St. Martin lag im anmutigen Tale der Vienne, von Nod etwa eine Stunde entfernt. Das Hauptgebäude war im Palaststile erbaut, die Kirche gotisch und alt. Die Mönche huldigten der philosophischen Zeitrichtung. Sie hatten mit Dispens des Königs die Ordenstracht abgelegt, erschienen nicht mehr zum Chorgebet und mißbrauchten die reichen Einkünfte zu Festlichkeiten, Konzerten und Bällen, an denen der umwohnende Adel teil nahm.

Nach vollendetem Mahle lustwandelten die Benediktiner wie gewöhnlich in den Gängen und Lauben des weitläufigen Klostergartens. Sie sprachen lebhaft, scherzten und lachten. Bisweilen hörte man auch einige Strophen des neuesten Liedes. Sie alle trugen die stutzerhafte Laientracht ihrer Zeit und Haarzöpfe mit Bändern am Hinterhaupte. Vorbild in allem war Abt Armand, ein junger Mann, aus altem Geschlecht, ohne jeglichen Beruf zum geistlichen Stande, locker in seinen Sitten bis zu groben Ausschweifungen. – Von einigen Mönchen umgeben, geht er langsam einen schattigen Weg hinab, der zu einer künstlichen Felsgrotte führt. Dort sitzt im Dämmer müde und altersschwach, der neunzigjährige Bonaventura, halb erblindet, aber bei vollen Geisteskräften. Er allein trägt das rauhe Kleid des heiligen Benedikt und lebt genau nach der Strenge der Ordensregeln. Seinen Standesgenossen ist er Schwärmer und Fanatiker, den man gewähren läßt und lächerlich findet. Regelmäßig kurz vor Mitternacht erhellt Lichtschein jenen Klostergang, der zur Kirche führt, – Bonaventura geht nach dem Stiftschor, der Ordensregel gemäß Matutin und Laudes zu beten. Und wenn er mit lauter Stimme die Versikel spricht, so antwortet ihm das Echo der leeren Kirche, zuweilen auch rauschende Musik aus dem Ballsaale. Geistig leidet der Mann furchtbar! Er fühlt sich wie ein Prophet in Babylon, öfter auch wie Lot in Sodoma. Der Zeitgeist hatte das Heiligtum des Herrn geschändet, die Söhne des seligen Benedikt verderbt, aus dem Kloster eine Stätte der Sünde gemacht. Wenn die Zügellosigkeit ausschweifender Festlichkeiten durch die Klosterhallen gellte, kniete Bonaventura in seiner Zelle und rang die Hände zum Himmel.

»Erbarmen, Herr, mein Gott, Erbarmen!« rief er in solchen Stunden mit dem Psalmisten. »Zerbrochen ist meine Seele, – und Du, o Herr, wie lange zögerst Du? Rette meine Seele! Im Totenreiche ist niemand, der noch deiner gedenkt. Abgemattet bin ich durch mein Seufzen, jede Nacht benetze ich mit Tränen mein Lager, – mit Tränen bade ich meine Ruhestätte!«

So äußerte sich in ergreifender Klage der Schmerz des frommen Mönches über sein jammervolles Geschick, Zeuge des tiefsten Zerfalles des Ordensgeistes sein zu müssen.

Das Dunkel der Felsgrotte tat seinen fast blinden Augen wohl, aber die ungeistlichen Reden der nahenden Benediktiner empfand er wie Geißelstreiche.

»Alle Schönheiten werden sich zusammenfinden,« sprach Abt Armand. »Festessen und Ball werden einzig und glänzend. Zu den Vorbereitungen haben wir gerade noch zehn Tage, welche Pater Küchenmeister klug ausnützen wird. Die feinsten Leckerbissen dürfen nicht fehlen, – ich kenne den Geschmack unserer Damen.«

»Pater Küchenmeister hat deshalb nach Marseille und Paris geschrieben,« entgegnete der Prior. »Die Naschmäulchen der Schönen sollen befriedigt werden.«

»Die Kavaliere lieben starke Weine,« fuhr der Abt fort. »Nun, – im Weinpunkte können wir mit jedem Schlosse der Nachbarschaft siegreich in die Schranken treten. Unsere Keller bergen Altes, Feuriges und Feines. Die Damen nippen gerne vom Süßen, – auch diese Sorte fehlt nicht. Kurz, im Weinpunkte werden wir dem Glanze unseres alten Hauses Ehre machen.«

»Die Neigung der Damen, vom Süßen zu nippen,« sagte ein junger Benediktiner, »ist eine sehr schätzenswerte Eigenschaft ihres Geschlechtes; denn niemals können die Damen von Süßigkeiten zu viel haben.«

Die Mönche lachten.

»Pater Simon ist kundiger Feinschmecker im Reiche der Süßigkeiten,« sagte der Abt.

Abermals lachten die Mönche.

»Dazu ein gefährlicher Jäger, seiner Beute immer sicher,« stachelte ein anderer.

»Weil er stets auf Wild jagt, das gerne in seine Netze läuft,« sagte lachend der Prior.

»Redet, was ihr wollt, – Simons Geschmack bleibt maßgebend,« versetzte Armand. »Er soll auch beim nächsten Feste Musterung halten und Schönheitsrichter sein.«

»Erscheint Gräfin Isabella,« sagte der Prior, dann wird sein Spruch abermals lauten: »Wie eine Lilie in Mitte der Dornen, so ist meine Freundin in Mitte der Töchter.«

»Wer die vollendete, unübertreffliche Schönheit Isabellas bestreitet, der hat keinen Sinn für weibliche Wohlgestalt,« behauptete Simon. »Hätte die Philosophie nicht alle neun Chöre der Engel weggeblasen, mit dem Fürsten der Cherubim dürfte sich Isabella messen.«

»Das einzige Dogma, an das Pater Simon noch glaubt,« scherzte Armand.

»Und wir haben keinen Grund,« schaltete Pater Bernhard ein, »an das Dogma nicht zu glauben, weil uns der Augenschein von dessen Wahrheit überzeugt.«

»Dagegen ist es eitel Prahlerei, wenn Simon die Gräfin seine ›Freundin‹ nennt,« sagte der Prior. »Sie haßt ihn gründlich wegen der kupferigen Nase.«

»Doch nicht, – sie hat ihm erlaubt, ihre Fingerspitzen zu küssen,« behauptete Bernhard.

»Um Vergebung, – die Spitzen ihrer Fußzehen gab sie ihm zu küssen oder vielmehr den äußersten Rand ihres Schuhes,« neckte der Prior.

»Was sie noch keinem von euch gestattete,« erwiderte Simon.

Plötzlich verstummte das faule Gerede. Die Benediktiner waren der Felsgrotte auf drei Schritte nahe gekommen, ohne deren gegenwärtigen Bewohner zu bemerken. Da stand hochaufgerichtet, auf einen langen Stab gestützt, der neunzigjährige Bonaventura. Voll und lang fiel der weiße Bart des Greises über die Brust herab, seine Augen glühten vor Entrüstung, ein heiliger Zorn brannte in den hageren Zügen.

»Bst, – stille!« flüsterte Abt Armand. »Es gibt wieder etwas zum Lachen.«

Die Mönche standen schweigend und ihre Blicke ruhten erwartungsvoll auf der greisen Gestalt.

»Wehe dem boshaften Geschlechte, – den verderbten Söhnen, wehe!« hob mit strafender Stimme der Neunzigjährige an. »Verlassen haben sie den Herrn, gelästert ihren Gott, geschändet sein Heiligtum. Gebrochen haben sie ihren Eid, mit Füßen getreten in den Kot ihre heiligen Gelübde. Zum Ärgernis sind sie geworden und zur Schmach dem ganzen Volke. Hinweg aus dem Heiligtum mit den Hunden, mit den Unkeuschen, mit allen, die der Lüge hold sind!« Offenbarung XXII, 15.

»Eine harte, unverdiente Rede, Pater Bonaventura!« sprach Simon mit verhaltenem Lachen. »Ihre böse Laune hat uns überfallen, wie hohläugiger, grämlicher und lebenssatter Neid die lustig scherzende Jugend überfällt.«

»Zugleich hat er den Bibeltext mißbraucht; denn nicht der Lüge sind wir hold, sondern der Wahrheit,« fügte Bernhard bei. »Philosophen sind wir, und Philosophen sind Liebhaber der Weisheit, Freunde der gesunden Menschenvernunft, – dagegen Feinde aller Irrtümer, sogar Feinde heiliger Betrügereien.«

»Und aus dem Heiligtum hat er uns gewiesen,« sagte der Prior, »da wir doch mit unserem hellen Vernunftauge nirgends ein Heiligtum wahrnehmen.«

»Wie können Sie alle diese Beleidigungen verantworten, Pater Bonaventura?« frug der Abt.

»Vor Gott will ich meine Rede verantworten, hochwürdiger Abt, dem auch Sie bald Rechenschaft geben müssen über Ihre Verwaltung,« antwortete ernst der Greis. »Sie spotten eines alten Mannes, dessen Herz brechen möchte vor Gram über die schweren Beleidigungen Gottes.«

»Sie grämen sich höchst überflüssig, Pater Bonaventura!« sprach Simon. »Ich dächte, Sie sollen es Gott überlassen, seine Beleidiger Raison zu lehren.«

»Welche Vermessenheit, Pater Simon!« sagte strafend der Greis. »Wissen Sie, ob nahe oder fern ist der zermalmende Arm des göttlichen Zornes? Es bedarf nicht der Fluten der Tiefe, auch nicht des Feuers vom Himmel, ein entartetes Geschlecht zu vertilgen. Es bedarf nur der Zulassung Gottes, daß jene Saat der Bosheit wächst und reift, welche der Unglaube gesäet. Gezüchtigt wird der Unglaube durch seine eigenen Kinder, – die Söhne werden ihre Väter fressen.«

»Sie prophezeien uns Kannibalen?« rief lachend der Abt.

»Seine Prophezeiung muß falsch sein, weil sie auf falscher Anklage gründet,« sagte der Prior. »Gott wird beleidigt durch Dummheit und Aberglauben, nicht aber durch Vernunft und frohen Lebensgenuß. Zeigen Sie uns die Beleidigungen Gottes, Pater Bonaventura!«

»Zur erschöpfenden Darstellung ist meine Schwäche unvermögend; denn wie Meeresflut haben Sünde, Laster, Unglaube und Bosheit das Land überschwemmt,« antwortete der Greis. »Geheiligte Stätten der Entsagung, des Gebetes, der Tugend, der Wissenschaft, der Arbeit, sollen die Klöster sein. Heiligen sollen die Mönche durch ihr Vorbild das Volk, und was die Frömmigkeit vergangener Zeiten an irdischen Gütern ihnen geschenkt, das sollen sie barmherzig den Armen reichen. Gottes Wort sollen die Mönche predigen, das Reich Christi auf Erden sollen sie ausbreiten, die Gnadenmittel der Kirche spenden. Unwissende sollen sie belehren, Zagende ermutigen, Wankende festigen, Betrübte trösten, Kranke besuchen, Sünder bekehren, – damit die Mönche heilsam wirkende Glieder seien in der menschlichen Gesellschaft und ihr Dasein Berechtigung habe vor der Weltleitung Gottes. So soll es sein! – – In Wirklichkeit aber? O, Du mein Gott, – mein Gott!« rief er schmerzlich bewegt aus. »Stätten der Ausschweifung sind die Klöster geworden, Höhlen des Unglaubens und der Sünde. Was spricht der Herr von den Priestern? »Ihr seid das Salz der Erde! Wenn aber das Salz schal wird, womit soll man salzen? Es taugt zu weiter nichts, als ausgeschüttet und von den Menschen zertreten zu werden. Matthäus, V, 13.« So wird es geschehen! Mit Füßen zertreten wird das entartete Mönchtum. Und die geschändeten Klöster? Öde werden sie und wüst!«

»Dank für die Predigt, Pater Bonaventura!« sprach mit verächtlichem Lächeln der Abt. »Ihr Standpunkt ist jedoch ein veralteter, eine baufällige Ruine im neuen Baustile der Gegenwart. Deshalb müssen Ihre Worte auf Männer wirkungslos bleiben, die im hellen Lichte des aufgeklärten Zeitgeistes und der Wissenschaft wandeln. Fühlen Sie nicht mehr die Kraft in sich, Philosoph zu werden und die Fabeln des Aberglaubens zu belächeln, so empfangen Sie die Versicherung unseres aufrichtigen Mitleids.«

Er wandte ihm den Rücken und schritt mit den Mönchen weiter.

»Ein widerwärtiger Greiner und Sittenprediger!« sagte Bernhard, auf den Bonaventura's Worte einigen Eindruck hervorgebracht. »Würde uns doch einmal der Tod von dieser Plage erlösen, – von dieser Stimme aus der Wüste überwundener Vorurteile!«

»Ich teile nicht Ihren Wunsch!« entgegnete Simon. »Der Alte mag leben, als traurige Reliquie einer untergegangenen düsteren Zeit, – desto angenehmer empfindet man die Freiheit der Gegenwart und schlürft die Genüsse der Lebensfreuden.«

Ein Laienbruder trat heran.

»Da ist ein junger Mensch und eine Frau, welche den gnädigen Herrn Abt zu sprechen wünschen.«

»Was für eine Art Leute sind es?« frug Armand.

»Ein Seidenweber aus Limoges und Frau Duval aus Nod.«

»Aha, – der dritte Stand macht sich auch hier bemerklich!« sprach mit anfliegendem Ärger der Grafensohn. »Was mögen sie wollen? Nach dem Gartenhause!« befahl er dem Laienbruder.

»Duval, – Duval!« murmelte Simon, den Finger an der Nase. »Duval, – richtig! Wissen Sie auch, meine Herren, daß Frau Duval die glückliche Mutter der schönsten Bauerndirne in der Runde ist? Scherz bei Seite, – voller Ernst!«

»O ich zweifle gar nicht daran!« rief lachend der Prior. »Simon muß dies ja wissen; denn Nod gehört zu seinem Jagdrevier.«

»Wo er schon manchen Haushahn aus dem Nest getrieben und sich darin festgesetzt hat,« neckte Bernhard.

Während die Meldung den zeitläufigen Mönchen Anlaß zu derben Anspielungen wurde, führte der Laienbruder Frau Duval und Thomas Gilbert nach dem Gartenhause, einer Rotunde mit vielen hohen Fenstern. Wegen des Kuppeldaches nannten die Mönche den Rundbau scherzweise St. Peter. Das Gartenhaus war im Zopfstil aufgeführt und möglichst geschmacklos dekoriert. Plumpe Stuckarbeit belastete Wände und Deckengewölbe. Man sah halbnackte Götter und Göttinnen, Apollo mit der Lyra, auf einem Wagen von Delphinen gezogen, den Pfeilschützen Amor, unsaubere Nymphen und Wassergöttinnen mit Fischschwänzen, nebst ähnlichen Gebilden des herrschenden Zopfes. Von Symbolen christlicher Ideen nirgends eine Spur. Dagegen gab anderes Zeugnis von der Gesinnung aufgeklärter Mönche. Auf dem großen Tische, in Mitte der Halle, standen geleerte Flaschen und Gläser, und ein starker Weinduft erfüllte den Raum. Spielkarten lagen zerstreut um einen Würfelbecher. Auf dem Brett einer Wandnische lag ein Frauenhut, mit Federn und gebackenen Blumen geziert, ebenso flüchtig dort niedergelegt, wie Jagdgewehr und Waidmannstasche auf dem Tische in der nächsten Wandnische.

Frau Duval und Thomas Gilbert spähten erwartungsvoll durch ein Fenster nach dem Abte. Die ungeistlichen Dinge umher schienen für sie keine Gegenstände des Anstoßes. Thomas gehörte selbst zur großen Armee der Freigeister, und besaß kein Verständnis für die Hoheit der geschändeten Priesterwürde. Und Frau Sibylle war bereits durch skandalöse Erscheinungen des Zeitgeistes dermaßen abgestumpft, daß sie Kleinigkeiten übersah.

»Eben kommt er!« sagte Frau Duval. »Das Wort lassen Sie mir, Thomas, damit Ihr Hitzkopf nichts verdirbt.«

»Schon recht, Frau Mutter! Ich will schweigen, wenn ich nicht reden muß.«

Sibylle's tiefe Verbeugung mit einem flüchtigen Kopfnicken erwidernd, schritt Armand nach seinem gewöhnlichen Sitze am Tische, den ein bequemer Sessel bezeichnet^

»Entschuldigen Euere Gnaden, Monseigneur,« begann Frau Sibylle, »wenn wir so frei sind, Sie mit einer Angelegenheit zu belästigen. Aber die Sache ist von sehr großer Wichtigkeit, wenigstens für uns und auch für unsere gnädige Herrschaft, weil es ja der gnädigen Herrschaft nicht einerlei sein kann, was die Welt redet und denkt, besonders in der gegenwärtigen Zeit, die immer trauriger und gefährlicher wird. Wenn's Feuer glimmt unter der Asche, soll man nicht hineinblasen, auch kein Holz darauf legen oder Öl dazu gießen, – man soll vielmehr das glimmende Feuer löschen, sonst gibt's einen Brand, der alles hinwegfrißt. Aus allen diesen und anderen Gründen haben wir Hoffnung, daß Sie uns gnädig anhören, Monseigneur, und Ihren mächtigen Beistand uns nicht versagen werden; denn Sie vermögen alles bei unserer gnädigen Herrschaft.«

Eine ungeduldige Handbewegung unterbrach den Redestrom Sibylle's.

»Gute Frau, kommen wir zur Sache! Wie heißen Sie und Ihr Begleiter?«

»Ich bin Sibylle Duval, das Eheweib des Schmiedes von Nod, nicht aus dieser Gegend, sondern aus der frommen Vendee, wo noch mehr Gottesfurcht ist, als« –

»Schon recht! Ihr Begleiter?«

»Heißt Thomas Gilbert, Seidenweber aus Limoges, der Bräutigam meiner Tochter Madelon, ein herzguter Mensch, nur etwas angesteckt vom schlechten Geist, der jetzt überall rumort, aber sonst« –

»Alles übrige ist überflüssig! Zur Sache Frau Duval, – aber kurz und ohne alle Randglossen.«

Sie berichtete umständlich den Vorgang zwischen Madelon und den beiden Kavalieren. Sie vergaß den zugeworfenen Handkuß Chatel's nicht und hob das Anstößige und Verfängliche des gräflichen Ansinnens kräftig hervor. – Kaum hatte sie den Gegenstand berührt, als die gleichgültige Haltung Armand's der gespanntesten Aufmerksamkeit wich. Ein feines Lächeln spielte um seinen Mund und in den Augen glänzte es sympathisch. Für das Unschickliche des gräflichen Gebotes hatte der Abt kein Wort, nicht einmal eine Miene der Mißbilligung.

»Das ist die Sache, Monseigneur!« schloß Frau Sibylle. »Was dahinter eigentlich steckt, brauche ich Euerer Gnaden nicht erst zu sagen. Sie sind verständig genug, die Nichtswürdigkeit einzusehen. Darum bitten wir Sie inständig, Monseigneur, dem gnädigen Grafen Henry in das Gewissen zu reden, damit er unterläßt, was nicht zu seinem Heile ausschlagen kann. In Ehren hab' ich mein Kind erzogen, in Ehren soll Madelon die Frau Gilbert's werden.«

Der Abt nickte beifällig mit dem Kopfe. Er saß einige Augenblicke überlegend, wie der verfängliche Knoten möglichst anständig könne gelöst werden, ohne seinem herzoglichen und gräflichen Freunde ein philosophisch erlaubtes Vergnügen zu verderben.

»Aber, gute Frau Duval,« hob er an, »ich finde gar nichts Unerlaubtes in dem Wunsche des Grafen Henry, – im Gegenteil! Ich meine, ein Ruf zur Dienstleistung der gnädigen Herrschaft sei für Sie und Ihre Tochter höchst schmeichelhaft.«

»Merkt denn Euere Gnaden nicht, was für Dienstleistungen gemeint sind?« versetzte lebhaft Sibylle. »Wenn junge Herren solche Reden mit einem jungen Mädchen führen, wenn sie ihm Kußhände zuwerfen und es in ihr Haus fordern, was kann dabei herauskommen? Ehrenhaftes doch gewiß nicht.«

»Bst – bst, – Frau Duval!« hob der Abt warnend den Finger. »Man soll vom Nächsten nichts Böses argwöhnen, so lange nicht Gründe vorliegen.«

»Hier liegen aber doch Gründe vor, Monseigneur!« entschied Frau Sibylle.

»Nach Ihrem beschränkten Dafürhalten, nach der wirklichen Sachlage keineswegs,« sprach der Abt. »Graf Henry ist ein gebildeter Kavalier und wird nichts Unerlaubtes verlangen.«

»Dies glaube ich gern, Monseigneur!« erwiderte Sibylle. »Graf Henry wird handeln, wie ein gebildeter Kavalier. Er wird gar nichts Unerlaubtes von meiner Tochter begehren, nämlich nichts, was einem gebildeten Kavalier nicht erlaubt wäre. Aber die Bildung der ungläubigen Kavaliere ist leider nicht nach den Geboten Gottes eingerichtet, – und ich, Monseigneur, bin eine christliche Mutter!«

»Gut, Frau Duval! Sind Sie eine gläubige Christin, dann wissen Sie auch, was die Bibelworte bedeuten: »Gehorchet der Obrigkeit, denn sie ist von Gott! Und wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widersetzt sich den Anordnungen Gottes.« Da nun Graf Henry Ihre Obrigkeit ist, so werden Sie, als fromme Christin, der Anordnung Ihres Feudalherrn widerspruchslos gehorchen.«

Ein zornsprühender Blick flammte aus Gilbert's Augen nach dem Abte.

Frau Sibylle stand verwirrt und wußte nicht sofort, die umgeworfene Schlinge zu beseitigen.

»Das ist doch merkwürdig, Monseigneur, – sehr merkwürdig!« sagte sie. »Hätte nicht gedacht, daß man die Worte der Heiligen Schrift gegen die Gebote Gottes anwenden könne.«

»Das ist auch nicht geschehen, gute Frau! Wollte Ihnen nur zeigen, daß man der Obrigkeit gehorchen müsse, weil dies Gottes Gebot ist.«

»Es kann nicht sein, – es kann unmöglich sein!« sagte sie kopfschüttelnd. »Ah, – nun hab' ich's, Monseigneur! Die Sache verhält sich mit der Obrigkeit wie mit den Eltern. Die Kinder sind auch vor Gott verpflichtet, den Eltern zu gehorchen. Befehlen aber die Eltern Unerlaubtes, etwa zu stehlen, so dürfen die Kinder nicht gehorchen. Befiehlt Graf Henry Unerlaubtes, so verbietet Gott den Gehorsam.«

»Graf Henry hat aber nichts Unerlaubtes befohlen,« entgegnete Armand. »Sie haben kein Recht, ihm böse Absichten zu unterschieben.«

»Doch, wir haben dieses Recht!« sagte Gilbert, bleich vor Zorn.

Armand betrachtete den jungen Mann, welcher heftig seinen Hut in den Händen drehte und nach erklärenden Worten suchte, die ihn seine Gemütserregung sofort nicht finden ließ.

»Thomas, schweigen Sie, – mich lassen Sie reden,« sagte Frau Duval. »Ihr Hitzkopf würde doch alles verderben!«

»Nein, reden will ich!« brach der Seidenweber los. »Merken Sie denn nicht, daß Sie der Herr da nur zum besten hält?«

»Was ist dies für ein Mensch, der sich in unserer Gegenwart eines höchst ungeziemenden Benehmens schuldig macht?« sprach strenge der Abt. »Vergessen Sie einen Augenblick die Roheiten jener Kreise, in denen Sie sich zu bewegen pflegen. Beobachten Sie Anstand vor dem Grafen Armand und dem Abte von St. Martin.«

Thomas lächelte verächtlich.

»Die Roheiten sind durchaus nicht auf meiner Seite; denn ich benütze den religiösen Aberglauben nicht, um irgend jemand eine Nase zu drehen. Um Ihnen alles zu sagen, mein Herr, – ich habe Rousseau's Emil gelesen und noch anderes. Sie werden nun begreifen, welchen Eindruck der Schafspelz des Pharisäismus auf mich hervorbringen muß, den Sie umzuhängen für gut finden.«

Frau Sibylle stöhnte leise; denn sie fürchtete eine sehr ungnädige Entlassung. Sie täuschte sich. Der hochfahrende Grafensohn zeigte nicht die mindeste Erbitterung.

»Ich habe mich in der Tat geirrt, mein Herr!« entgegnete er in einem von Spott und Laune gemischten Tone. »Ich wußte nicht, daß die Anhänger und Verehrer der Philosophie bereits hinter den Webstühlen der Fabriken sitzen.«

»Sie sehen, die Welt ist aufgeklärter und nicht mehr so dumm, als Sie vermuten,« sagte Gilbert. »Der religiöse Aberglaube hat aufgehört, ein Stück zu sein, mit dem man die Menschenrechte erwürgt.«

»Eine ganz ausgezeichnete Phrase!« gestand Armand.

»Eine Wahrheit, mein Herr!« entgegnete trotzig der Seidenweber. »Ich bin Ihnen den Beweis schuldig, daß Graf Henry gegen meine Braut Schändliches im Schilde führt. Hier ist der Beweis: – Graf Henry hat mir in's Gesicht hinein gestanden, daß er die hübsche Madelon für Dienstleistungen nach seinem Gefallen begehre.«

»Das nennen Sie schändlich, – Sie, der ein Philosoph sein will?« rief lachend der Abt. »Wenn Madelon mit Vergnügen die geforderten Arbeiten leistet, was ist Schändliches dabei? Nur Frömmler und Anhänger des religiösen Aberglaubens können Anstößiges darin finden. Der Philosoph Gilbert hingegen wird allen Lebensfreuden ihre Berechtigung gestatten müssen, – oder nicht?«

»Wenn mir's gefällt, mein Herr!«

»Demnach verlangen Sie, daß Graf Henry sein Benehmen nach Ihrem Gefallen einrichte? Sie verlangen zu viel. Wer sein Tun emanzipierte von den Geboten Gottes, soll der sich dem Gefallen eines Seidenwebers unterwerfen? Das ist unmöglich, weil es lächerlich wäre! – – Demnach werden Sie gütigst erlauben, daß Graf Rovere ebenso unabhängig und frei von Vorurteilen handelt, wie der Seidenweber und Philosoph Thomas Gilbert.«

»Genug ist's, – genug, mein Herr!« rief Thomas, bebend vor Zorn. »Feudale sind überall sich gleich, – ob sie eine Grafenkrone, oder einen Abtshut auf dem Kopfe tragen. Rovere hatte mich zum Gespötte, und Sie unternehmen es gleichfalls, mich zu hänseln. Doch warten Sie, meine Herren, – warten Sie! Das Spotten wird Ihnen vielleicht sehr bald vergehen!«

Er griff Frau Duval heftig beim Arm und zog die Betroffene aus dem Gartenhause.


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