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Der Zivilkommissär.

Zu den merkwürdigsten Ländern gehört die Vendee. Man darf sagen, zur Zeit der großen Revolution war die Vendee ein Land des Außerordentlichen und Wunderbaren. Selbst die Beschaffenheit des Bodens und die landschaftlichen Verhältnisse sind einzig. Obwohl hundertvierzig Quadratmeilen groß und von Viermalhunderttausend Menschen bewohnt, hatte die Vendee doch nur eine Fahrstraße, nämlich jene von Nantes nach La Rochelle. Alle übrigen Wege sind höchst dürftig, meistens Hohlwege oder aufgeschüttete Dämme, grundlos in nasser Jahreszeit, bei trockenem Wetter höchst unbequem und für schweres Fuhrwerk darauf kein Fortkommen. Dagegen durchschneiden zahllose Pfade den Landstrich und zwar in so labyrinthischen Verschlingungen, daß Fremde in dem Netze sich verwickeln müssen. In der ganzen Vendee gab es nur eine Stadt, nämlich Fontenay, und dieses zählte nur siebentausend Einwohner. Auch Dörfer waren selten. Bescheidene Adelssitze, Höfe und einsame Wohnungen der Bauern lagen über das Land zerstreut. Jeder Hof hatte Wall und Graben. Sogar die Felder waren durch Hecken und Erdwälle umgrenzt. Flüsse und Bäche durchschneiden die Vendee nach allen Richtungen. Den nördlichen Teil, Bocage genannt, bedecken dichte Wälder und durchfurchen zahlreiche Schluchten. Den Küstenstrich, vom Ozean bespült und Marais geheißen, durchkreuzen sehr viele Kanäle, über welche die Einwohner mittels Springstangen hinwegsetzen.

Die Vendee ist sehr fruchtbar. Sie bringt Korn in Menge hervor, Obst, Gemüse und guten Wein in Überfluß. Einen bedeutenden Reichtum besitzt der nördliche Teil in seinen ungeheuren Viehherden, die auf ausgedehnten Weideplätzen und ergiebigen Triften des waldigen Hügellandes zur Ausfuhr gezüchtet werden. Als die Vendee unterließ, ihr Schlachtvieh nach Paris zu senden, entstand Hungersnot daselbst.

Die Bewohner dieses merkwürdigen Landes sind von Natur einfach, gutmütig, sanft, gastfreundlich und treu. Gegen Fremde vorsichtig bis zum Mißtrauen, geht der Vendeer nicht leicht eine Verpflichtung ein. Hat er jedoch sein Wort einmal gegeben, so hält er dasselbe, sogar mit dem Einsatze des Lebens. Von Jugend auf an Arbeit und Mäßigkeit gewöhnt, sind die Leute von starkem Körperbau und bei Strapazen ausdauernd. Ein lebhafter, stark ausgeprägter Freiheitssinn beseelt Bauern wie Edelleute. Niemals beugten sie den Nacken vor dem Absolutismus. Als höchstes irdisches Gut betrachten sie den religiösen Glauben, für dessen Erhaltung und Verteidigung sie freudig in den Tod gehen. Pünktlich und gewissenhaft in Erfüllung religiöser Pflichten, gewähren sie nebenbei den Geistlichen eine sehr einflußreiche Stellung im sozialen Leben. Der Pfarrer ist nicht bloß Berater in Gewissensdingen, sondern auch bei Familienangelegenheiten, und Schiedsrichter in Streitigkeiten, die nicht vor den Lehensherrn gebracht werden müssen. Von der seichten Philosophie und dem modischen Unglauben, welcher Frankreich und ganz Europa beleckte, wußten die Bewohner der Vendee nichts. Ihr gläubiges Gemüt und die unerschütterliche Überzeugungstreue waren absolut unempfänglich für die Aussaat des modernen Heidentums. Deshalb mußte die Verletzung des religiösen Gefühles eines so festgläubigen Volkes von den schlimmsten Wirkungen sein. Als die Revolution den Väterglauben der Vendee angriff und mit Gewalt das Unchristentum daselbst einzuführen unternahm, da entbrannte ein Krieg, so mörderisch, hartnäckig und furchtbar, wie ihn die Weltgeschichte selten zu verzeichnen hat.

Zwischen Adel und Bauernschaft bestanden so innige, freundschaftliche und brüderliche Verhältnisse, wie solche nur die christliche Idee erzeugen kann. Die starre, heidnisch angehauchte Beziehung zwischen Herr und Knecht, zwischen feudal und leibeigen, kannte man in der Vendee nicht. Meistenteils war der Edelmann Eigentümer, der Landmann Bebauer des Bodens. Zur Zeit der Ernte teilten beide den Ertrag. Ebenso geschah es mit den Viehherden. Der Bauer weidete und zog die Tiere heran, trieb das Preiswürdige nach dem Markte der Hauptstadt und teilte mit seinem Baron den Erlös.

Freilich waren die Erträgnisse bescheiden genug und für den Edelmann keine Versuchung zur Ausschweifung und üppiger Lebensweise. Seltene Ausnahmen abgerechnet, empfing der reichste adelige Grundbesitzer als jährlichen Reingewinn höchstens fünfzehnhundert Franken. Nicht wenige Baronien ertrugen sogar nicht mehr als drei bis vierhundert Franken, – selbstverständlich Reingewinn, nachdem alle übrigen häuslichen Bedürfnisse befriedigt waren. Niemand litt Mangel. Man erhob keine besonderen Ansprüche und lebte von den reichlichen Erträgnissen des Landes. Luxuriöse Ausgaben kannten die Barone ebensowenig wie deren Bauern. Im ganzen Lande gab es keine Kutsche. Die Herren gingen gewöhnlich zu Fuße, die Damen fuhren auf Wagen, welche von jungen Ochsen gezogen wurden.

Diese Einfachheit der Sitten und Lebensweise bewahrte urwüchsige Kraft und stets regen Unabhängigkeitssinn. Höchst selten gelüstete einen Edelmann nach Versailles oder Paris zu gehen und höfische Gewohnheiten und Orden anzunehmen. Bei seiner Rückkehr in die stolze, nüchterne Heimat, schämte er sich des Abfalles von urväterlicher Einfachheit und legte geschwind den Plunder beiseite.

Die innigen Beziehungen zwischen Grundherren und Bauern erstreckten sich auf alle gesellschaftlichen Verhältnisse. Rat und Hilfe fand der Bauer ebenso bereitwillig im Schlosse, wie Schlichtung entstandener Zwiste, die man vertrauensvoll dem Baron zur Entscheidung vorlegte. Selbst die Vergnügungen waren gemeinschaftlich. Gegen Abend an Sonn- und Feiertagen begaben sich Alt und Jung der Weiler nach dem Schloßhofe, zur Unterhaltung oder zu ländlichen Belustigungen, an denen gewöhnlich die Familie des Edelherrn teil nahm. Auch das Jagdvergnügen genoß der Baron gemeinsam mit seinen Bauern. In den ausgedehnten Wäldern des Bocage hausten viele Wölfe und Wildschweine. Zu bestimmten Zeiten brach der Baron an der Spitze seiner Pächter auf, zur Vertilgung des Raubgesindels. Dieser stete Krieg mit Wölfen und Ebern hatte jene Scharfschützen herangebildet, deren sichertreffende Kugeln später so große Verheerungen in den Reihen der republikanischen Soldaten anrichteten.

Einen erhabenen Ausdruck fanden diese freundschaftlichen Beziehungen durch die Gemeinsamkeit kirchlicher Übungen. Die Schloßbewohner besuchten mit den Bauern denselben Gottesdienst in strenger Regelmäßigkeit. Sie empfingen zusammen die heiligen Sakramente an hohen Festen, nahmen teil an denselben religiösen Festlichkeiten und Prozessionen. Während die Gleichheit irdischer Interessen Edelmann und Bauer zusammenkettete, verlieh diesem materiellen, äußerlichen Bande die Religion eine höhere Weihe und inneren Gehalt. Herren und Pächter betrachteten sich als Glieder derselben Kirche, als Kinder desselben Vaters und derselben Mutter. Man kann sagen, ein Familiengeist beseelte die ganze Vendee und zwar in solchem Maße, daß ihre Bewohner mit Gut und Leben begeistert eintraten für das höchste gemeinsame Familiengut, den religiösen Glauben und die Gewissensfreiheit. La Rochejaquelein, memoires. Wachsmuth, B. II. S. 221 f. Cantu, B. XIII. S. 121 f.

In diesen einfachen patriarchalischen Zuständen lebten die Vendeer glücklich und zufrieden durch Jahrhunderte. Das Evangelium war ihr höchstes Gesetz und die Kirche eine liebevolle, weise leitende Mutter. Frommer Sinn und Tugend verbürgten ewiges Heil, Fleiß und Arbeitsamkeit ein behäbiges, notfreies Erdendasein. Während das übrige Frankreich immer tiefer sank, der Zeitgeist des Unglaubens alle sozialen Bande zerfraß und wachsendes Elend die innerlich faule Gesellschaft nach dem Abgrunde hintrieb, blühten in der Vendee idyllische Zustände. Selbst der Revolutionssturm änderte nichts an dem ruhigen Gange der Dinge, bis die Nationalversammlung, vom Geiste der Tiefe gestachelt, das Gebiet des religiösen Glaubens und der Gewissensfreiheit antastete. Jetzt begann es, in der Vendee zu gären. Der Klerus erkannte seine Pflicht, das Volk über die Tragweite der revolutionären Strömung aufzuklären. Er predigte wider den religionsfeindlichen Geist der Konstitution und verbreitete Broschüren in diesem Sinne. Die wachsende Bewegung beunruhigte die Nationalversammlung. Sie beschloß am 17. Juli 1790 zwei Zivilkommissäre, Gallois und Gersonne, mit weitgehenden Vollmachten nach der Vendee zu schicken. Wachsmuth, B. I. S. 329.

Kommissär Gallois bereiste das waldreiche Hügelland des Nordens, durch unmittelbare Anschauung die Verhältnisse kennen zu lernen, die Stimmung zu erforschen und die Einflußreichsten für die Errungenschaften der Revolution zu gewinnen. Er fuhr in einer bequemen Kutsche, von drei starken Pferden gezogen. Bei der Schlechtigkeit der Wege gedieh das Fortkommen sehr langsam. Die Kutsche neigte bald nach der rechten, bald nach der linken Seite, je nach den Löchern, die sich im Fahrgeleise befanden. Fortwährend gingen die Pferde im Schritt, weil der bescheidenste Trab unfehlbar die Kutsche umgestürzt haben würde. Erschien die Beschaffenheit des Weges so bedenklich, daß ein Umwerfen des Wagens unfehlbar drohte, so verließ der Kommissär die Kutsche, was nicht selten geschah.

Für diese Unbequemlichkeiten entschädigten reichlich die Schönheiten der Landschaft. Das Hügelland bot einen reichen Wechsel der anmutigsten Bilder. Die Wälder waren prächtig, von stolzen Hochstämmen oder von kräftig emporstrebendem Jungholzbestand und gewürzt vom Dufte der Kräuterwelt. Auf den Matten der Talgründe weideten Herden von Schafen und Hornvieh, deren Glocken in die Waldesstille hineinläuteten. Zuweilen unterbrachen Bauernhöfe die Herrschaft des Forstes, umgeben von einigen Hundert Morgen Ackerland, von lebendigen Zäunen durchschnitten oder von Erd- und Steinwällen umgrenzt. Verlor die Gegend den Charakter des Waldlandes, so bedeckten Weinberge die Hügel und reiche Fruchtfelder die Täler. Zahlreiche Bauernhöfe lagen in kurzen Zwischenräumen und auf Anhöhen bescheidene Schlösser, aber selten gruppierten sich die Wohnungen zu einem kleinen Dorfe, aus dessen Mitte der Kirchturm emporragte, den man wie einen stets zum Himmel weisenden Finger ansah.

Die Kutsche schaukelte stöhnend durch einen Hohlweg, der in ein breites, reich angebautes Tal führte. Nur selten stieg der Wald bis zur Sohle herab, er lief eine weite Strecke am Hügelrücken hin, um sich in der Ferne wieder vollständig der Landschaft zu bemächtigen.

Gallois hatte die Karte hervorgezogen, den Namen des Dorfes zu erforschen, das blank und hübsch inmitten des Tales lag.

»Ah, – St. Jean!« sprach er gedehnt und feindselig. »St. Jean, ein Hauptnest des Aberglaubens und der Bigotterie, – folglich eine Brutstätte royalistischer Gesinnung.«

Er blätterte in seinem Notizbuche und las.

»Sehr schwarz angeschrieben, – vollkommen beherrscht durch seinen Pfarrer Pampin, der in Predigten und Broschüren die Revolution befehdet,« murmelte Gallois. »Hätte Lust, den Pfaffen davonzujagen oder nach Paris zu schicken. Wollen sehen! – – Aber, was ist denn das? Empfehlung Robespierres an den Baron Paul von Valfort, – seltsam! Ah, – ich erinnere mich! Robespierre machte dessen Bekanntschaft zu Rovere. Jedenfalls ein freisinniger Baron, dessen Aufschlüsse über Land und Leute dienlich sein können. – Aber ich sehe kein Schloß,« und seine Augen spähten durch das Tal.

Dafür sah der Kommissär etwas anderes, gerade nicht geeignet, sein gestrenges Urteil über die Bewohner von St. Jean zu mildern.

Auf den Fluren waren die Leute beschäftigt, Stoppelfelder zu pflügen, die Herbsternte zu bestellen, den letzten Hafer zu schneiden. Ihrer ländlichen Tätigkeit mit Eifer hingegeben, gewahrte niemand die herantaumelnde Kutsche, obwohl dieselbe schon einige Minuten den Wald verlassen hatte. Da hallte plötzlich ein lang gedehnter Schrei durch das Tal. Der Schrei klang traurig, warnend, wie das Signal eines bevorstehenden Unglückes. Die Arbeitenden richteten sich empor, sahen die Kutsche, standen einige Augenblicke betroffen und liefen, wie auf ein gegebenes Zeichen nach dem Dorfe. Viele zogen hiebei die Holzschuhe von den Füßen, mit denen alle Bewohner der Vendee bekleidet sind, um desto schneller vom Platze zu kommen. Andere ließen sogar Pflüge und Zugtiere im Stiche und flüchteten nach St. Jean.

Das allgemeine Ausreißen legte die Stirne des Zivilkommissärs in finstere Falten.

»Ein hübscher Willkomm!« brummte er. »Es fehlt noch, daß die Schufte Sturm läuten. Je weiter man in dieses verdammte Land eindringt, desto widerspenstiger und gesinnungsloser wird das dumme Bauernpack. – Schon gut! Wir wollen die Kanaille Raison lehren.«

Er lehnte in die Kissen des Wagens zurück, dessen heftige Stöße den Gewaltigen rücksichtslos schüttelten.

»Das ist einmal ein hübsches Schloß!« sagte der Kutscher, mit dem Peitschenstiel nach einem hohen Gebäude weisend, das bei einer Krümmung des Weges hervortrat. »Was wir von Schlössern bisher gesehen, waren eigentlich nur große Bauernhäuser. Aber das dort oben bedeutet was.«

Das Gerühmte lag auf mäßiger Anhöhe, von Fluren und Weinbergen umgeben, im Hintergrunde waldige Hügelketten.

»Valfort!« sagte Gallois, flüchtigen Blickes den stolzen Herrensitz betrachtend, dessen wettergraue Türme trotzig zu Tal schauten.

Am Eingang des Dorfes erwarteten zwei Gendarmen und der Brigadier von Montfaucon den bereits angemeldeten Zivilkommissär. Die Kutsche hielt. Der Brigadier trat salutierend heran.

»Gibt es in St. Jean ein gutes Wirtshaus?« frug Gallois.

»Zu dienen, Herr Kommissär! Im Elephanten ißt und trinkt und schläft man ganz respektabel.«

Die Kunde erhellte einigermaßen die trüben Mienen des Reisenden.

»Brigadier, schicken Sie einen Ihrer Leute zum Bürgermeister mit der Weisung, er habe unverweilt im Elephanten vor dem Zivilkommissär zu erscheinen.«

Der kommandierte Gendarm trug im Sturmschritt den Befehl nach der Wohnung des Ortsvorstandes. Das Kettengehäng seines Säbels rasselte, die dumpfen Tritte der Stulpstiefel dröhnten durch die Gasse, hinter ihm her flatterten die Flügel seines langen Rockes, über ihm schrie in grellen Farben die Revolutionskokarde am Hut, der ein Gesicht mit höchst wichtig gestelltem Mienenspiel beschattete.

Die Kutsche fuhr langsam durch St. Jean. Einwohner ließen sich keine sehen. Das Dorf schien ausgestorben. Die einzigen menschlichen Wesen waren zwei Knaben, welche ihr Spiel einstellten und die Kutsche, sowie deren Insassen genau betrachteten.

»Weißt Du, wer das ist?« rief der eine.

»Nein! Wer denn?«

»Das ist der Zuvielkommissär, – mein Vater hats gesagt.«

Gallois vernahm seinen neuen Titel, der genau die Stimmung bezeichnete, mit der ihn die Vendee empfing.

Bei der Kirche versperrte eine dichte Menge die Straße. Sämtliche Bewohner von St. Jean waren dort versammelt. Alle sahen nach der heranfahrenden Kutsche. Auf den Gesichtern lag erwartungsvolle Spannung, Ängstlichkeit, zuweilen auch trotzige Entschlossenheit.

»Was bedeutet jener Zusammenlauf?« frug Gallois den Brigadier, welcher dienstbeflissen neben dem Wagen herging.

»Die Leute meinen, ihr Pfarrer solle verhaftet werden. Sie rotteten sich deshalb zusammen und bewachen das Pfarrhaus. Auf Ihren Befehl werde ich sie auffordern, auseinander zu gehen.«

Der Zivilkommissär war indes klüger als der Brigadier.

»Nicht notwendig! Lassen wir die Esel stehen, so lange es ihnen beliebt,« antwortete Gallois, mit geringschätzender Miene.

Die Bauern zogen Hüte und Mützen und öffneten eine Gasse. Der Kommissär berührte grüßend seinen Hut und musterte die Versammelten. In den Zügen der Frauen las er bebende Angst, auf den wetterbraunen Gesichtern der Männer entschlossene Ruhe. Die Bauern würden der Gewalt ohne Zweifel Gewalt entgegensetzen, – dies erkannte Gallois deutlich.

Bei lautloser Stille fuhr die Kutsche durch die Menge und hielt vor dem Elephanten. Mit kalter Höflichkeit empfing der Wirt den Kommissär.

»Haben Sie ein Zimmer mit einem guten Bett für mich?«

»Nach Wunsch, mein Herr!«

»Vor allen Dingen eine Flasche guten Wein und dann ein vorzügliches Mittagessen. – Der Bürgermeister noch nicht da?«

»Nein, mein Herr!«

»Brigadier, Sie bringen mir den Mann, sobald er kommt!«

Fünf Minuten später durchschritt Gallois sein Zimmer, nachdem er rasch einige Gläser Wein getrunken.

»Also, – eine Verhaftung des Pfarrers erwarteten die Bauern! Was folgt daraus? Daß sich der Pfaffe wühlerischer Umtriebe gegen die Regierung schuldig machte, – abermals eine Bestätigung seines schlechten Rufes, – für mich ein weiterer Bestimmungsgrund, die Entfernung des Agitators zu beantragen. Genau betrachtet ist der ganze Klerus der Vendee von gleicher Sorte. An diesen rauhhaarigen Bauernaposteln findet sich keine Spur jener toleranten Galanterie, welche einen großen Teil des französischen Klerus auszeichnet. Sollen in der Vendee die neuen Ideen der Freiheit und Aufklärung zur Geltung kommen, dann müssen vor allen Dingen die Verkünder des Aberglaubens beseitigt werden.«

Der Eintritt eines gebeugten Greises unterbrach die Betrachtungen des Kommissärs. Der Alte trug seinen Sonntagsstaat, Tuchwams, rote Weste mit vier Reihen silberner Knöpfe, kurze Beinkleider, weiße Strümpfe und Schuhe mit silbernen Schnallen. In der Hand hielt er einen jener gewaltigen dreieckigen Hüte, die man »Wetterverteiler« nannte. Er machte eine steife Verbeugung, blieb an der Türe bescheiden stehen und erwartete die Ansprache des Abgeordneten der Nationalversammlung.

»Seid Ihr der Bürgermeister von St. Jean?« begann Gallois, nachdem er flüchtig den greisen Bauern gemustert.

»Der bin ich, Herr Kommissär!«

»Warum tragt Ihr nicht die dreifarbige Kokarde am Hut, die jeder Patriot zu tragen pflegt?«

»Was Kokarde ist, weiß ich nicht, Herr Kommissär! Mein Hut ist so, wie ihn alte Leute meiner Heimat seit unvordenklichen Zeiten zu tragen gewohnt sind.«

»Alter Esel!« murmelte Gallois zwischen den Zähnen. – »Ihr werdet die Kokarde schon kennen lernen und auch die Pflicht, dieselbe zu tragen,« fuhr er laut fort. »Dies nebenbei. – Ihr wißt bereits durch schriftliche Mitteilung, daß mich die Regierung nach dem Bocage sandte, um an Ort und Stelle zu prüfen, ob wirklich in diesem zurückgebliebenen Lande jene unpatriotische Gesinnung herrscht, wie man behauptet. Ihr werdet mir deshalb auf meine Fragen wahrheitsgetreue Auskunft geben.«

Durch einen Wink lud er den Alten zum Niedersitzen ein.

»Wer ist vor dem 4. August vorigen Jahres Feudalherr von St. Jean gewesen?« hob der Kommissär an.

»Verzeihen Sie, – die Bauern von hier besitzen eigene Felder, Wald und Weide seit alten Zeiten, dazu Haus- und Hofrecht. Nur drei Familien sind Pächter des Barons Valfort, welcher weitaus der reichste Edelmann in der ganzen Vendee ist. Seinen übrigen Grundbesitz läßt der gnädige Baron durch gedungene Knechte bauen. Dazu hat er noch zwei Höfe mit eingesessenen Pächtern.«

»Zahlen die Pächter die herkömmlichen Abgaben?«

»Ganz gewiß, – nach Recht und Herkommen!«

»Wißt Ihr nicht, daß schon im vorigen Jahre die Nationalversammlung alle Hörigen und Leibeigenen aus der Knechtschaft der Feudalen befreite?«

»Hörige und Leibeigene gibt es in der Vendee nicht, sondern nur Pächter, welche das Feld der Edelleute bauen und davon ebenso großen Nutzen haben, wie die Barone selbst.«

»Jede Abgabe an die Feudalen ist ungesetzlich und muß aufhören. Sonderbar, daß ihr Bauern die Knechtschaft mehr liebt, als die Freiheit!«

»Verzeihen Sie, Herr Kommissär! Von Knechtschaft wissen wir gar nichts. Unsere Barone sind christliche Leute, die keinen Menschen drücken.«

»Wie heißt Euer Pfarrer?«

»Pampin!«

»Wie steht's mit dem Zehnten?«

»Wir liefern ihn regelmäßig und gewissenhaft.«

»Obschon er durch Beschluß der Nationalversammlung aufgehoben wurde?«

»Wir haben davon gehört, – bleiben jedoch beim Alten. Wovon sollte unser hochwürdiger Herr leben? Jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert.«

»Der Pfarrer bekommt seinen Gehalt.«

»Bis dato noch keinen Sou. Und den Gehalt müßte das Volk am Ende doch auch bezahlen.«

»Erfüllt der Pfarrer gewissenhaft seine Pflichten?«

»Ganz gewissenhaft, – ein frommer Herr!«

»Predigt er nicht zuweilen über die neuen Gesetze und Beschlüsse der Nationalversammlung?«

Der Greis schwieg.

»Nun? – Antwort!«

»Unser Hochwürden tut seine Schuldigkeit, und wir verlangen, daß er sie tut.«

»Hat er nicht gepredigt, die Nationalversammlung wolle die Religion zerstören und den christlichen Glauben ausrotten?«

»Herr Kommissär, darüber gebe ich Ihnen keine Auskunft!«

»Ihr habt sie dennoch gegeben. Eure Weigerung bestätigt vollkommen den schlechten Leumund und die unpatriotische Gesinnung des Pfarrers Pampin.«

Der herbe Tadel verletzte den Alten.

»Herr Kommissär, ich meine, Sie sollten dermaßen hart über einen Mann nicht reden, den Sie nicht kennen, – über einen Mann, der unser Seelsorger ist, dazu ein frommer, eifriger Seelsorger.«

»Dummes Zeug!« rief wegwerfend Gallois. »Die Revolution braucht aufgeklärte Männer, – keine Fanatiker. Dieser Umstand soll Euch zurückgebliebenen Leuten in der Vendee klar werden.«

Der Alte machte große Augen, aus denen ein jäher Blitz auf den Kommissär fiel.

»Auf morgen früh, Punkt sieben Uhr, versammelt Ihr die Bürger der Gemeinde, ich werde zu ihnen sprechen. Verstanden?«

»Sehr wohl!«

»Auf Wiedersehen, Bürgermeister!« sagte Gallois, indem er sich erhob und durch eine Handbewegung den Greis entließ.

»Hier muß durchgegriffen werden!« fuhr er zu sich selbst fort. »Milde und Nachsicht wären pure Verschwendung. Mit den Kerlen muß man kurzen Prozeß machen und ihnen derbe Brocken an die harten Köpfe werfen, – das will ich morgen. – – So fest sind diese tölpelhaften Leute mit den Ketten der Feudalität und Gewissenstyrannei gefesselt, daß sie den schimpflichen Zustand gar nicht mehr fühlen, ihn sogar liebgewonnen haben. Nun, – die Revolution wird ihnen diese Liebhaberei bald vertreiben! – – Jede Spur von Despotismus und Aberglauben muß gründlich ausgerottet werden. Wer nicht frei sein will, der sterbe! Für Knechte und Sklaven gibt es in Frankreich keine Lebensluft mehr.«

Ein bescheidenes Pochen an der Türe unterbrach den Erguß des Zivilkommissärs. Den Suppentopf in der Hand erschien ein junges Mädchen mit blühenden Wangen, sehr reinlich gekleidet, von anmutigen Manieren und wohlgestalteten Körperformen. Die lichte Erscheinung verwandelte die Wetterwolken auf Gallois' Stirne in Sonnenschein.

»Ah, – wahrscheinlich die Tochter des Hauses?«

»Doch nicht, Herr Kommissär! Ich gehöre zum Gesinde des Schlosses Valfort. Die Frau Wirtin ist krank, deshalb bin ich hier zur Aushilfe.«

»Wie heißen Sie, schönes Kind?«

»Hanna!«

»Wie kommt es, daß Schloßbedienstete in Wirtshäusern aushelfen?« frug Gallois, wohl in der Absicht, die anziehende Gestalt festzuhalten.

»In der Vendee ist es Brauch, sich einander bei Notfällen zu helfen. Da heute viele Gäste im Elephanten einzukehren pflegen, so ließ die kranke Frau meine Gnädige um meine Dienste bitten.«

»Weil in ganz St. Jean keine so flinke, gewandte und hübsche Köchin aufzutreiben war als Jungfer Hanna?«

»Weil jene, die flinker, gewandter und hübscher sind als ich, in den Feldern arbeiten.«

»Wirklich? Sind alle Mädchen hier so hübsch wie Sie, reizende Hanna?«

»Das werden Sie besser beurteilen können, Herr Kommissär! Guten Appetit!«

Fort war sie.

»Wie schlagfertig, – wie kurz angebunden!« sagte Gallois, indem er zu essen begann. »Ein merkwürdiges Land, in dem kranke Wirtsfrauen in Feudalschlössern Aushilfe suchen und finden!«

Die folgenden Schüsseln setzte der Elefantenwirt selber dem Gaste vor. Zum Nachtisch, der in Kuchen, feinem Steinobst und Trauben bestand, erschien Hanna abermals.

»Sie kochen ausgezeichnet, mein Kind!«

»Ich habe etwas gelernt bei der gnädigen Frau.«

»Die selber kocht?« frug Gallois verwundert.

»Gewiß! In der Vendee läßt sich das Kochen keine Edelfrau nehmen.«

»Ist es weit nach dem Schlosse?«

»Ein halbes Stündchen.«

»Der Baron zu Hause?«

»So viel ich weiß – ja!«

»Wird er den Zuvielkommissär gnädig empfangen?«

»In Valfort ist jeder Gast willkommen.«

»Was denken Sie von dem Zuvielkommissär, schöne Hanna?«

»Davon steht nichts im Kochbuch,« erwiderte sie und verschwand.

»Bigott, – wie schade!« murmelte er, schrieb einige Bemerkungen in sein Notizbuch, ergriff seinen Hut und lenkte seine Schritte nach Valfort.

Beim Durchschreiten des Dorfes entging ihm nicht, daß er Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit sei. Die Leute beobachteten ihn durch die Fenster, ohne sich den Schein des Beobachtens geben zu wollen. Beim Nahen des Kommissärs traten sie tiefer in die Stuben zurück und spähten aus dem Versteck mit unfreundlichen Mienen. Die Begegnenden grüßten kalt und knapp. Gesichtsausdrücke und argwöhnische Blicke verrieten deutlich die Gefühle gegen den Abgeordneten der revolutionären Regierung.

»Hier, wie überall in der Vendee, – Glut unter der Asche!« brummte Gallois. »Man wird die Glut ersticken, – vielleicht auch mit Blut auslöschen.«

Leise die Marseillaise pfeifend, stieg er die Anhöhe empor, auf der sich Schloß Valfort erhob. Er ging durch Weinberge, die mit Saatfeldern wechselten. Obwohl kein Fachmann des Ackerbaues, erkannte er dennoch Umsicht und Fleiß, womit der Baron die Landkultur betrieb. Dann fesselte ihn das Schloß, ein alter, massiver Steinbau von zwei Stockwerken, offenbar ein trotziger Sohn des Mittelalters. An den vier Ecken erhoben sich eben so viele runde Türme mit durchbrochenen Zinnen oder Mauerkronen. Die Fenster hatten runde Scheiben, zuweilen bemalt und regelmäßig durch steinerne Pfeiler geteilt. Die frühere Ringmauer war abgetragen und an deren Stelle eine niedere Mauer getreten, die einen sehr großen, von alten Linden beschatteten Hof umschloß. Im Hintergrunde sah man die Giebel von Scheuern und Ökonomiegebäuden. Selbst der Schloßhof enthielt Gegenstände und Geräte der Landwirtschaft.

Am Pfeiler des offenen Tores lehnte rauchend ein Mann, welcher den heraufsteigenden Fremden beobachtete. Er trug dasselbe einfache wollene Gewand, in dem Paul von Valfort in Rovere erschienen war, und auch dieselbe schildlose Mütze. Der Mann war von kräftigem Bau, hatte scharfblickende Augen, und Züge, die an Pauls Gesichtsbildung erinnerten. Seine beschmutzten Stulpstiefel verrieten, daß er die Felder durchschritten, und seine starken, gebräunten Hände, daß sie ländlicher Arbeit nicht ganz fremd seien. Als er die Revolutionskokarde am Hute des Nahenden bemerkte, reckte er sich aus der nachlässigen Haltung auf, strich den Schnurrbart, und ein Zug des Unmutes glitt über sein Gesicht.

»Gehört Ihr zum Schlosse?« frug Gallois.

»Ich gehöre zum Schlosse!« antwortete der Mann am Torpfosten, augenscheinlich verletzt durch die Unhöflichkeit des Fremden, der ohne Gruß ihn anredete.

»Dann könnt Ihr sagen, ob der Baron zu Hause ist.«

»Dies könnte ich allerdings!« erwiderte der Mann, eine dicke Tabakswolke hervorstoßend.

»Nun?«

»Was beliebt?«

»Ob der Baron zu Hause ist?« frug Gallois barsch.

»Man ist hierzulande nicht gewohnt, den Befehlen eines Fremden zu gehorchen,« versetzte gleichgültig der Mann.

»Ah so! Wisset demnach,« rief Gallois, indem er sich in die Brust warf, »ich bin Gallois, Zivilkommissär der Nationalversammlung für die Vendee.«

Der Kommissär täuschte sich jedoch in der Annahme, ein so hoher Beamter werde nicht verfehlen, auf den Mann am Torpfosten bedeutenden Eindruck hervorzubringen.

»Dem Baron Gottfried von Valfort macht es Vergnügen, Sie kennen zu lernen,« sagte er mit demselben Gleichmut.

Gallois betrachtete, im höchsten Grad überrascht, den Mann in der einfachen Tracht, mit den schmutzigen Stiefeln und den Händen eines Arbeiters.

»Wie? Ist es möglich, – Sie wären?«

»Wie gesagt, Baron Gottfried von Valfort!«

»Herr Baron, ich bitte tausendmal um Vergebung! Welches Mißverständnis!«

»Das Mißverständnis verschuldet meine Tracht, die allerdings keinen Respekt hat vor dem Pariser Modejournal,« erwiderte lächelnd der Freiherr. »Die Edelleute meiner Heimat sind von jeher der Meinung gewesen, nicht der Schneider mache den Adel, sondern Gesinnung und Tüchtigkeit.«

»Eine höchst respektable Ansicht! Weniger Ihnen, Herr Baron, gilt mein Besuch, als vielmehr Ihrem Sohne Paul, für den ich Grüße eines alten Bekannten vom Schlosse Rovere bringe.«

Diese Worte waren von weit mächtigerem Eindruck, als die Vorstellung des Zivilkommissärs der Nationalversammlung. Freudige Überraschung belebte Gottfrieds männliche Züge und zwar in so hohem Grade, daß auch Nichteingeweihte folgern konnten, es möchten zwischen Valfort und Rovere innige Beziehungen bestehen.

Nach seiner Rückkehr von Rovere hatte Paul dem Vater alle Vorgänge mitgeteilt. Seine tiefe Neigung für Isabella verschwieg er nicht, erwähnte die Hindernisse einer ehelichen Verbindung und gedachte des Jahres der Prüfung. Herr Gottfried fand im Verhalten des Sohnes zum Tadel keinen Grund, rühmte vielmehr dessen Vorsicht und Klugheit bei einer so wichtigen Lebensfrage. Als im Laufe der Zeit viele Umstände Pauls wahre und tiefe Liebe zur Gräfin verrieten, wünschte er sogar ein Zustandekommen des sehnlichst angestrebten Bundes. In den ersten drei Monaten wechselten Paul und Isabella häufig Briefe. Dann mußte der Briefwechsel bei der Unsicherheit und Störung des Postwesens unterbleiben. Seit sieben Monaten war man ohne Nachricht von Rovere und Paul in großer Unruhe. Man hörte von Aufständen, vom Niederbrennen der Schlösser, von Ermordungen der Edelleute, und fürchtete für Rovere das Schlimmste. Der tödlichen Ungewißheit und verzehrenden Angst um Isabella ein Ende zu machen, wollte Paul die gefährliche Reise nach Rovere wiederholt antreten. Allein der Vater, noch mehr die besorgte Mutter, untersagten dieselbe. Das verabredete Prüfungsjahr und noch einige Monate darüber vergingen, – Isabella kam nicht. Für Paul stand eine Bluttat, eine Ermordung der gräflichen Familie fest. Schloß Rovere und dessen Bewohner teilten mit vielen hundert Adelssitzen das grausige Geschick, von den empörten Bauern niedergebrannt und ermordet worden zu sein. Diese Überzeugung versetzte den jungen Mann in namenlose Trauer. Von Isabella sprach er kein Wort mehr, obwohl er stets derselben gedachte und beständig ihre Briefe las, welche die zärtlichste Neigung für ihn und die rührendste Freude über ihre Fortschritte im katholischen Leben atmeten. Vermehrt wurde sein Schmerz durch landläufige Schilderungen über die Grausamkeiten des Pöbels gegen seine Schlachtopfer, – namentlich über die Schandtaten der Elenden gegen adelige Frauen. Was mochte Isabella Schreckliches erduldet haben, bevor sie von den Unholden getötet wurde? Bei der Lebhaftigkeit seiner Phantasie fand diese Frage eine Beantwortung, die sein Herz zermalmte und schließlich eine Gemütsstimmung erzeugte, welche das Schlimmste befürchten ließ. – Daher die Freude des Schloßherrn über vermeinte Grüße aus Rovere.

»Ihre Botschaft von der gräflichen Familie überrascht mich in der angenehmsten Weise, mein Herr!« sagte Valfort. »Wenn Sie mit den näheren Verhältnissen bekannt sind, werden Sie begreifen, daß ein Vater innigen Anteil nimmt an Lebensfragen seiner Kinder.«

Gallois sah den Baron befremdet an.

»Es erscheint hier ein Mißverständnis zu walten, mein Herr! Nicht von Rovere bringe ich Grüße, sondern von dem Deputierten Robespierre, den Herr Paul zu Rovere kennen lernte. Ich darf Ihnen schmeicheln, Herr Baron, daß Robespierre, die einflußreichste Persönlichkeit in Regierungskreisen, mit der größten Hochachtung und Bewunderung für Ihren Sohn erfüllt ist.«

So empfindlich war die Enttäuschung Valforts, daß er kaum die zweifelhafte Wertschätzung Robespierres für Paul vernahm.

»Seien Sie willkommen, Herr Kommissär!« sprach er. »Darf ich bitten!«

Er geleitete den Gast durch das Tor in den Schloßhof, wo Paul zwischen seinen Brüdern auf einer Bank im Schatten der Linde saß. Er hatte ein Buch auf den Knieen, aus dem er den Brüdern vorlas. Im Angesichte des jungen Mannes lag ein stilles, verzehrendes Leiden, selbst seine Haltung hatte die frühere Spannkraft verloren.

»Herr Gallois, Zivilkommissär der Nationalversammlung, – meine Söhne Paul, Heinrich und Karl,« sagte vorstellend der Baron.

Stark und schlank standen die Jünglinge vor dem Fremden, verbeugten sich förmlich und schienen die Stimmung des Dorfes bezüglich des Zuvielkommissärs zu teilen.

»Mein Herr,« wandte sich Gallois an Paul, »ich bringe Ihnen Grüße von Robespierre, der zu Rovere Ihre Bekanntschaft zu machen das Glück hatte und mich bat, Sie seiner Hochachtung zu versichern, falls meine amtliche Reise Valfort berühre. Mit Vergnügen entledige ich mich dieses angenehmen Auftrages.«

»Dank, Herr Kommissär!« entgegnete Paul, bei dem Worte Rovere zusammenzuckend. »Wie befindet sich Herr Robespierre?«

»Ziemlich wohl, – in stets wachsendem Einfluß auf die weitere Ausgestaltung unserer Reichsverhältnisse.«

»Ein Beruf, der ihm nicht leicht werden mag,« versetzte Paul. »Das sanfte Naturell und bescheidene Wesen Robespierres sind kaum geeignet, an politischen Kämpfen Freude zu gewinnen.«

»Aber die grenzenlose Vaterlandsliebe dieses Mannes bringt jedes Opfer,« sagte Gallois.

Man war in das Schloß getreten. Ein großes Zimmer mit getäfelten Wänden und altfränkischen Möbeln empfing den Gast, bei dessen Eintritt sich eine Frauengestalt vom Arbeitstisch erhob. Ihre Kleidung war einfach, ihr Angesicht von großer Schönheit, mit sanften Zügen und seelenvollen Augen. Am Gürtel trug sie ein kleines Täschchen und am eingehackten Ring einige Schlüssel. Benehmen und Haltung kennzeichneten die umsichtige Hausfrau. Aus einem bretonischen Grafengeschlecht stammend und sehr reich machte sie durch Zärtlichkeit und seltene Eigenschaften den Baron Valfort nicht allein zum glücklichen Gatten, sondern auch durch ihre Mitgift zum reichsten Manne der Vendee.

»Herr Zivilkommissär Gallois aus Paris, – mein liebes Weib Salome,« sagte Valfort.

»Seien Sie uns willkommen, Herr Kommissär!« sprach Frau Salome, den Gast zum Sitze geleitend. »Kommen Sie zum ersten Male nach der Vendee?«

»Zum ersten Male, gnädige Frau!«

»Land und Leute werden Ihnen neu und von dem übrigen Frankreich etwas abweichend erscheinen.«

»Dem Fremden begegnet allerdings Ungewöhnliches und Überraschendes. Der Menschenschlag ist durchweg stark, die Wälder sind prächtig, Fluren und Weiden vorzüglich, aber die Wege abscheulich. Man wird in der Kutsche nur so um und um geworfen und fürchtet jeden Augenblick, an die Felsen der Schluchten oder an die Wände der Hohlwege geschleudert zu werden.«

»Unsere Wege sind allerdings nicht für Kutschen,« sagte Paul. »Dagegen finden die zahlreichen Viehherden darauf besser ein Fortkommen als auf den harten Landstraßen, welche das Schlachtvieh der Vendee nach Paris führen.«

»Ohne Zweifel, Herr Baron!« erwiderte Gallois, lächelnd über Pauls treffende Verteidigung des heimatlichen Bodens. »Ohne das Schlachtvieh der Vendee müßte Paris Hunger leiden.« Cantu, Bd. XII. S. 151.

»Darf ich mir eine Frage erlauben, Herr Kommissär?« sagte der zurückkehrende Baron, welcher die schmutzigen Stiefel mit blanken Hausschuhen vertauscht hatte.

»Bitte, mein Herr, – ich stehe mit Vergnügen zu Diensten!«

Der Schloßherr nahm den Platz seiner Gattin ein, die sich erhob und das Zimmer im Dienste der Gastfreundschaft verließ.

»Welchen Zweck hat eigentlich Ihre Sendung nach der Vendee?«

Die Frage verriet allerdings ein bedeutendes Maß gerader Offenheit und heischte eine gerade Beantwortung. Gallois gab dieselbe nach flüchtigem Schwanken.

»Die Regierung möchte sich Gewißheit verschaffen über die Stimmung des Landes bezüglich der revolutionären Bewegung. Man hat nämlich behauptet, die Vendee sei verstockt royalistisch oder vielmehr absolutistisch gesinnt, sie gestatte den freisinnigen Errungenschaften der Gegenwart keine Aufnahme.«

»Falsch, – grundfalsch!« rief lebhaft Herr Gottfried. »Die Vendee huldigte niemals dem Absolutismus. Niemals ertrugen wir Eingriffe der Krone in unsere Rechte und Freiheiten. Wir sind stolz darauf, von den Königen keine Gnaden zu erbetteln, keine Auszeichnungen anzunehmen. Dagegen forderten wir stets Gerechtigkeit und Achtung verbrieften Herkommens. Was die Revolution in Frankreich anstrebt, Befreiung von erdrückendem Absolutismus, von Monopolen, von Volksverarmung, von Hunger und Elend, – dies alles kennt die Vendee nicht. Wir sind zwar nicht reich, wir haben keine Städte, keinen Luxus, keine verfeinerten Sitten, wir machen geringe Ansprüche an das Leben, – aber frei sind wir, haben keine Armen und niemals Mangel. Unsere Bedürfnisse liefert der Boden, auch unser Wein ist trinkbar, unverfälscht und kräftig, wovon der Herr Kommissär sich überzeugen möge.«

Er griff zum Glase und stieß mit dem Gaste an.

»Ein ganz vorzüglicher Wein!« rühmte Gallois. »Ihr eigenes Gewächs, Herr Baron?«

»Natürlich! Auch dieser Kapaun war ein Bewohner unseres Hühnerhofes,« scherzte Herr Gottfried, das Geflügel geschickt zerlegend. »Sie finden überhaupt in der ganzen Vendee kein Bauernhaus und kein Schloß, deren Bewohner zur Befriedigung des Magens ausländischer Hilfe bedürfen. Unsere einzigen Luxusartikel sind Tabak und Kaffee und diese zahlen wir mit den Überschüssen unseres Taschengeldes.«

»Gibt es nicht auch Baronien mit sehr geringen Erträgnissen?«

»Gewiß! Manche Adelsfamilie bezieht kaum vierhundert Franken jährlich, ohne sich deshalb von den herkömmlichen Bedürfnissen etwas versagen zu müssen oder den Gewinnanteil ihrer Pächter zu schmälern. Man lebt von den Bodenprodukten, ist genügsam, ehrlich und zufrieden.«

»Beneidenswertes Land!« sagte Gallois.

»Wenn Sie der Regierung berichten, die Vendee sei glücklich beim alten und wünsche durchaus keine Neuerungen, so treffen Sie das richtige, Herr Kommissär!«

»Glück und Zufriedenheit dürften wohl Güter Ihres edlen Herzens sein, Herr Baron, nicht aber Güter der Allgemeinheit,« erwiderte Gallois.

»Fanden Sie in der Vendee einen Mißvergnügten? Einen Gegner unserer Zustände? Einen Freund der revolutionären Bewegung?« frug der Baron.

»Dies gerade nicht! Dagegen fiel mir die Bereitwilligkeit der Bauern auf, Zehnten an die Pfarrer und Abgaben an die Grundherren zu bezahlen, obschon sie von diesen Lasten durch die Beschlüsse der Nationalversammlung vom vierten August vorigen Jahres befreit wurden. Mir scheint, die Bauern haben sich in Abhängigkeit und Druck so hineingelebt, daß sie nicht geboren zu sein glauben für die Wohltaten der Freiheit und Gleichheit.«

Eine dunkle Glut schoß in das Angesicht des Schloßherrn.

»Und Sie, bester Kommissär, scheinen sich dermaßen in Absolutismus und Tyrannei hineingelebt zu haben, daß Sie an freie, unabhängige Bauern nicht glauben und sich den Adel nur denken können, als Bedrücker und Bauernschinder.«

»Um Vergebung, Herr Baron! Verletzen wollte ich nicht, sondern nur den Eindruck meiner Beobachtungen aussprechen.«

»Eine sehr klare und bedeutungsvolle Erscheinung hätte Ihnen aber doch sagen können, daß Ihre Ansicht falsch sein muß,« entgegnete Herr Gottfried. »Weshalb ahmen die Bauern der Vendee nicht das Beispiel ihrer Standesgenossen im jenseitigen Frankreich nach? Weshalb ermorden sie nicht den Adel und stecken die Schlösser in Brand? Weshalb haben wir in der Vendee nicht ein einziges Beispiel von Gewalttat der Bauern gegen einen Baron? Aus dem einfachen Grunde, weil unsere Bauern zufrieden sind und zu Klagen keine Ursachen bestehen.«

»Die Gründe könnten auch anderswo liegen, nämlich in botmäßiger Unterwürfigkeit und serviler Gesinnung, wodurch die ländlichen Bewohner der Vendee sich auszeichnen,« sagte Gallois.

»Wie, mein Herr!« rief Valfort mit blitzenden Augen. »Sklavischer Gesinnung zeihen Sie uns? Für Lasttiere halten Sie unsere Bauern, die servil jeden Druck aushalten? Die Nationalversammlung möge es doch einmal versuchen, jene Artikel der revolutionären Konstitution in der Vendee einzuführen, die unsere religiöse Überzeugung kränken, die unseren Glauben, unsere Freiheit gefährden, und sie wird erfahren, daß wir keineswegs gefügige Knechte sind. Wie ein Mann wird sich das ganze Land erheben und einstehen mit Gut und Leben, für die Güter der Heimat.«

Der Baron hatte mit Heftigkeit gesprochen, sogar die geballte Faust geschwungen und seine starke Gestalt drohend aufgerichtet. Paul fürchtete erbitterten Wortwechsel und griff rasch in die Unterhaltung.

»Unbestreitbar segensreich sind die Beschlüsse der Nachtsitzung vom vierten August vorigen Jahres,« sprach er. »Eine Menge Ungerechtigkeiten und erdrückende Lasten wurden abgewälzt von den Schultern des niedergetretenen Volkes. Was die Tyrannei großer und kleiner Herren in vielen Jahren zu einer Zwingburg für das Volk zusammengetragen, das zerstörte in wenigen Stunden eine heroische Begeisterung der Nationalversammlung. Für uns hat jedoch die Beseitigung arger Mißstände deshalb keine Bedeutung, weil dieselben niemals in der Vendee existierten.«

»Der Adel hat doch Standesvorrechte?« wandte Gallois ein.

»Aber keine solchen, die einen materiellen Druck auf die Bauern üben,« antwortete Paul. »Hat der Landmann die Güter eines Barons in Besitz, so teilt er mit demselben die Erträgnisse der Ernte und Viehzucht. Fronden und Feudallasten gibt es nicht. Der Adel lebt mit den Bauern auf dem Fuße christlicher Gleichheit und brüderlicher Vertrautheit. Das einzige Vorrecht des Edelmannes besteht darin, durch Ehrenhaftigkeit und Rechtlichkeit seine Bauern zu überragen.«

Die Ruhe und Bescheidenheit des jungen Mannes, sowie dessen treffende Bemerkung über die Verhältnisse in diesem merkwürdigen Lande machten auf den Kommissär den besten Eindruck. Er bat um Aufschlüsse über manche Punkte, und erhob sich endlich zum Abschied. Herr Gottfried geleitete den Gast bis zum Hoftor. Paul mochte in der geheimen Absicht, über Rovere etwas zu erfahren, sein Geleite bis nach St. Jean ausdehnen. Bei dieser Wanderung, die sehr langsam geschah und durch häufiges Stehenbleiben unterbrochen wurde, hatte Gallois Gelegenheit, den Scharfblick des Jungherrn zu bewundern, zugleich die Gesinnung der Landleute gegen die Herrschaft kennen zu lernen. Die begegnenden Bauern grüßten freundlich und achtungsvoll. Waren sie in der Nähe des Weges auf den Feldern tätig, so stellten sie die Arbeit ein, richteten sich empor und zogen tief Hüte und Mützen. Kinder liefen herbei und küßten Paul die Hand, der nicht unterließ, einige liebevolle Worte an die Kleinen zu richten. Gallois traute seinen Sinnen kaum. Ein solches Verhältnis, das beinahe den Charakter einer großen Familie trug, hätte er zwischen Adel und Bauern nicht für möglich gehalten.

»Glauben Sie wirklich,« frug der Kommissär, »daß sich die Widersetzlichkeit der Vendee gegen die Konstitution bis zum Bürgerkriege steigern könnte?«

»Unter Umständen – ja!« antwortete Paul von Valfort. »Die Vendeer sind gutmütig, sanft und harmlos. Aber es liegt im Volkscharakter eine gewaltige Kraft, eine Tapferkeit bis zum Heldenmut, eine Kühnheit bis zur Verwegenheit. Würde versucht, den religiösen Kultus nach Grundsätzen philosophischer Doktrinen zu beugen, würde die Regierung auf dieser Absicht beharren, – dann wäre ein Bürgerkrieg unvermeidlich. Möge uns die Vorsehung schützen gegen ein solches Unglück! Ein Kampf würde entbrennen, welcher das Vaterland zerfleischen und nur mit dem Siege oder mit gänzlicher Vernichtung der Vendee enden möchte.«

»Selbstverständlich könnte nur der letztere Fall eintreten, weil ein Sieg der Vendee über die französische Armee nicht denkbar ist.«

»So scheint es, Herr Kommissär! Denken Sie an die Thermopylen! Eine Handvoll Spartaner hielten dort die ungeheueren Heeresmassen des Perserkönigs auf. Die Vendee besitzt viele Thermopylen, das heißt, noch weit schwierigere Bodenverhältnisse für die Bewegungen einer großen Armee. Unsere Wege kennen Sie. Für Artillerie sind dieselben bei nasser Witterung gar nicht zu passieren. Dazu reiht sich Hügel an Hügel. Bäche, Flüsse, Schluchten, Hohlwege und zahllose Erdwälle durchschneiden das Land, machen das Manöverieren der Kavallerie unmöglich. Dieselben Ursachen gestatten dem Fußvolke keine Entfaltung strategischer Künste. Denken Sie eine Armee, unter so kläglichen Verhältnissen, von einem tapferen Feinde angefallen, – von einem Feinde, der genaue Terrainkenntnisse besitzt, der sich in den verschlungenen Pfaden des Buschlandes und der Wälder zurechtfindet. Nehmen Sie hiezu die Scharfschützen der Vendee, deren Kugeln nie das Ziel fehlen, die aus sicheren Verstecken ihre Feinde niederstrecken. Vergessen Sie den weiteren Umstand nicht, daß eine Erhebung der Vendee, um des bedrohten Väterglaubens willen aus jedem Bewohner einen Helden macht, der begeistert sein Leben einsetzt für das Höchste. Nehmen Sie alle diese Umstände zusammen, und auch Ihnen dürfte ein siegreicher Bürgerkrieg dieses Landes nicht unmöglich erscheinen.«

Gallois war mit Überraschung der Rede des jungen Mannes gefolgt.

»Offen gestanden, Herr Baron, Ihre Ausführung hat meine Siegeszuversicht etwas erschüttert. Aber ich begreife nicht das Geheimnis, welches die Bewohner dieses einzigen Landes so fest an die Interessen des Klerus kettet.«

»Nicht an die Interessen des Klerus, sondern an ihre eigenen Interessen,« versetzte Paul. »Nach landläufigen Anschauungen ist der Klerus weiter nichts, als der Träger und Prediger göttlicher Heilswahrheiten. Die Geistlichen sind Missionäre Gottes. Sie lächeln, weil Sie an den vielfach entarteten, vom modernen Zeitgeiste angesteckten Klerus Frankreichs denken. Freilich, – hätten wir einen lockeren, übermütigen, vom Unglauben angeleckten und dazu trägen Klerus, dann würde dessen Ansehen und Einfluß ebenso tief gesunken sein, wie im Reiche. Allein unsere Geistlichkeit genießt allgemeine Hochachtung, wie sie dieselbe verdient. Unsere Pfarrer sind fromme, für das Seelenheil ihrer Gemeinde glühende Männer. Sie sind bescheidene, demütige, opferwillige Hirten, dabei arm und froh in dieser Armut. Stellenjägerei und fette Pfründen kennen sie nicht. Nach der Gunst weltlicher Großen streben sie nicht. Ihr einziger Lebenszweck besteht darin, dem Volke das geistige Brot göttlicher Wahrheiten und Heilsgnaden zu spenden, – durch reinen Wandel ihren Schäflein leuchtende Vorbilder zu sein, und durch Erfüllung ihrer Pflichten das ewige Leben zu erringen. Das ist unser Klerus. – Sie werden begreifen, daß ein so erhabener Stand der Selbstaufopferung und väterlichen Liebe verdienten Einfluß besitzt.«

»In der Tat, mir völlig neu, – ganz unerwartet!« gestand Gallois, sichtlich überrascht. »Hätte mir eine solche Naivität des klerikalen Bewußtseins im achtzehnten Jahrhundert nicht träumen lassen. Die Vendee scheint vom aufklärenden Luftzuge der Philosophie unberührt geblieben zu sein, – das heißt, wenn Geist und Streben der Hirten jenem der großen Herde gleichen.«

»Vollkommen!« versicherte Paul. »Die christlichen Ideen haben in der Vendee Fleisch und Blut angenommen. Sie werden im ganzen Lande nicht einen Ungläubigen finden, – dagegen alle Verhältnisse durchdrungen und getragen vom Geiste der Religion. Von Mord und groben Vergehen weiß die Vendee nichts. Allerdings entstehen zuweilen Streitigkeiten, die jedoch, bei der Versöhnlichkeit unseres Volkes, sehr leicht und rasch vom Pfarrer oder Grundherrn beigelegt werden. An Sonn- und Feiertagen finden Sie in der Kirche die ganze Gemeinde versammelt. In Erfüllung religiöser Pflichten geht der Adel den Bauern voran. Die Arbeit fällt manchmal schwer. Oft wird im Schweiße des Angesichts dem Boden die Frucht abgerungen. Allein die Arbeit erbittert nicht, sie geschieht aus Pflichtgefühl, sie ist gleichsam ein Gottesdienst, dem sich der Bauer in der frohen Zuversicht unterwirft, hiedurch seine ewige Bestimmung, die Seligkeiten des Himmels, zu verdienen. Daher kein Mißvergnügen, keine Verbitterung, keine ausschweifende Genußsucht im Bauernstande. Unvermeidliche Widerwärtigkeiten und Lasten des irdischen Daseins sind Prüfungen, in denen sich gottgefällige Treue und Frömmigkeit bewähren. Überhaupt ist die ganze Richtung unserer Bevölkerung vom religiösen Glauben beseelt. Um es kurz zu sagen, – man lebt und strebt und arbeitet, um des ewigen Lohnes willen, den Gott, der Herr, seinen getreuen Knechten verheißen hat. – Das ist Volksstimmung und Volksstreben in der Vendee. Man ist glücklich und zufrieden in Erfüllung seiner Pflichten, und in der Hoffnung auf die ewigen Güter des Jenseits.«

»Wunderbar, – höchst wunderbar!« sagte Gallois. »Man wirft der Vendee vor, sie halte sich verschlossen gegen die Kulturentwicklung der Neuzeit; – man könnte uns mit gleichem Rechte vorwerfen, die Verhältnisse der Vendee nur ganz oberflächlich zu kennen.«

»Ich hoffe und wünsche, Herr Kommissär, die Ergebnisse Ihrer Beobachtungen möchten die Regierung bestimmen, das Glück meiner Heimat nicht zu stören.«

»Auch mein Wunsch, Herr Baron! Jene Ursachen, welche im Reiche die Revolution notwendig machten, bestehen nicht in der Vendee. Deshalb gestatten Sie mir eine Bitte, – veranlaßt durch Ihre sachkundigen Erörterungen. Schreiben Sie gefälligst eine Denkschrift, ausführlich und eingehend in alle Verhältnisse der Vendee. In etwa vierzehn Tagen würde ich Ihre Arbeit durch den Brigadier von Montfaucon abholen lassen und der Regierung vorlegen.«

»Gerne bin ich dazu bereit, Herr Kommissär!«

»Also – abgemacht! Sie verdienen sich den Dank des Vaterlandes,« rühmte Gallois.

»Graf Rovere sitzt nicht mehr in der Nationalversammlung?« frug Paul nach einer Pause.

»Er wurde nicht wiedergewählt.«

»Hat Ihnen Herr Robespierre keine Mitteilungen über den gegenwärtigen Aufenthalt der Familie Rovere gemacht?«

»Keine, mein Herr! Fürchten Sie nicht das schlimmste,« fuhr er fort, in den bangen Zügen des jungen Mannes lesend. »Manchen Feudalsitz fraßen allerdings die Flammen, die empörten Bauern mordeten ihre Quäler. Hoffen wir, daß Rovere nicht gleiches Geschick traf, – wenigstens ist mir nichts bekannt.«

Sie standen vor dem Dorfe.

»Freundliche Grüße an Herrn Robespierre, wenn ich bitten darf,« sagte Valfort, sich verabschiedend.

»Dank, Herr Baron, – auch Dank für Ihre gütigen und wertvollen Mitteilungen. Die Denkschrift erwarte ich mit Sehnsucht.«

Der Zivilkommissär schritt gedankenvoll nach dem Elefanten.

»Ein verständiger Mensch!« murmelte er. »Finde ich die Vendee wirklich nach seinen Schilderungen, dann gibt es schwere Arbeit.«

Am folgenden Morgen erschienen die Bauern von St. Jean pünktlich zur Gemeindeversammlung. Auch die Männer umliegender Höfe hatte Neugierde herbeigezogen. Man redete mancherlei, vermutete Gefährliches von den Absichten der Nationalversammlung, und hoffte, aus dem Munde des Kommissärs das richtige zu hören.

Die Bauern von St. Jean unterschieden sich in nichts von jenen der ganzen Vendee. Sie waren starkknochige, wohlgenährte Leute, einfach und solid gekleidet in Wämse und Hosen von Tuch. Sie trugen alle rote Westen mit Frankenstücken als Knöpfe, und Hüte, deren breite Krempen gegen Wind und Wetter schirmten. Die Gesichtszüge hatten zwar das Gepräge natürlicher Gutmütigkeit, allein der feste Blick ihrer lebhaften Augen deutete auf schlummernde Reizbarkeit und kühne Verwegenheit.

Die Bauern standen auf dem freien Platze vor dem Gemeindehaus, geschart um eine alte Linde. In den mächtigen Stamm war eine Nische geschnitten, in der sich ein kleines Liebfrauenbild befand, gekleidet in Seide von schreienden Farben, eine Krone von Flittergold auf dem Haupte, im Arm das Jesuskind. Jeden Abend knieten Andächtige um die Linde, ihre Herzensangelegenheiten der Milde und Güte Marias zu empfehlen, deren mächtige Fürsprache die Erfahrung erprobt hatte. Wer an der Linde vorbeiging, unterließ nicht, die Kopfbedeckung zu lüften oder sich zu bekreuzen. – Und dieser Marienkult war keine hohle leere Form, sondern ein Ausdruck der Bewunderung für Marias erhabene Tugenden, denen man nachstrebte.

Die angesagte Stunde war längst vorbei. Der Zivilkommissär kam nicht. Erwartungsvoll spähten die Bauern nach dem Elefanten. Aber kein Wort des Unwillens wurde laut. Die Männer harrten geduldig und schweigend. – In die Stille klang das Rollen von Rädern. Ein hochgetürmter Wagen, von vier Ochsen gezogen und von einer Plache überdeckt, fuhr die Gasse herauf. Durch kleine Öffnungen unter der Plache konnte man wahrnehmen, daß die Fracht in roher Wolle bestand, einem bedeutenden Ausfuhrartikel der herdenreichen Vendee. Neben dem Wagen gingen zwei Männer. Den einen zeichneten gewaltige Gliedmaßen und riesiger Wuchs aus. Über dem Wams trug er eine blaue Bluse und an den Füßen schwerfällige Stiefel mit hohen Schäften. Er hatte das gutmütige Gesicht der Vendee, aber im Blick der sinnenden Augen lag eine seltene Strenge und Entschlossenheit. Dieser Mann war Catelinau aus Pin en Mauge, ein echter Volksheld, später berühmt durch seine kühne Führung der aufständischen Bauern und seine glänzenden Siege über die Revolutionsarmee. Gegenwärtig betrieb er einen lebhaften Wollhandel, war in der ganzen Vendee bekannt und allgemein geschätzt um seiner Biederkeit willen. Cantu, B. XIII. S. 122.

»Guck, – guck, Catelinau!« sagten die Bauern, durch Winke und Lächeln hinüber grüßend.

»Was gibts denn da?« brummte Catelinau. »Gewiß der Zuvielkommissär! – Baptist, fahre zum Elefanten weiter,« gebot er dem Knechte. »Will mal da hinübergehen.«

Mit freundlichen Grüßen und Handschlägen empfingen die Bauern den Wollhändler.

»Woher, Catelinau?«

»Aus dem Unterland! – Was gibts hier? Was hat Euch in die Feiertagsmontur gesteckt und da zusammengeführt?«

»Der Zuvielkommissär!«

»Dachte mirs! Im Unterland reist auch einer herum, – Gersonne heißt er. So hübsche Reden soll er halten, daß den Leuten der Mund wässert. Aber das Mundwasser soll nicht lange anhalten und sich in Galle verwandeln, sobald man ein Licht anzündet und mit scharfen Augen die hübschen Reden des Kommissärs betrachtet.«

Die Bauern lächelten.

»Möchte gar zu gerne mal so 'ne hübsche Rede hören, welche uns die Kommissäre aus Paris bringen,« fuhr Catelinau fort. »Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sollen darin so dick aufmarschieren wie fette Ochsen. Aus den Reden soll man auch erfahren, daß wir alle zusammen in der Vendee recht dumme Leute seien, weil wir von den Herrlichkeiten der Revolution gar nichts anrühren wollen. Mir kommt das verwunderlich vor. Ich kenne nicht bloß die Vendee, sondern ganz Frankreich und hab' immer gemeint, gerade bei uns seien Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit daheim. Darum möcht' ich gar zu gern von dem Kommissär mich belehren lassen und Eurer Versammlung beiwohnen, wenn Ihr nichts dagegen habt.«

»Was sollen wir dagegen haben?« versetzte der Bürgermeister. »Du bist so gut ein Kind der Vendee wie wir. Bleib' da! Weil Du der größte bist, auch mit Worten besser umzugehen weißt, als wir, so tätest Du uns dazu einen großen Gefallen, wenn Du, sollte dies notwendig sein, dem Kommissär Red' und Antwort stehen wolltest.«

»Daran solls nicht fehlen, Freunde!« versetzte Catelinau. »Wir wollen nicht warten, bis der Kommissär fort ist, sondern gleich das Licht anzünden und die hübschen Worte betrachten, was daran ist.«

»Er kommt!« sagte ein Bauer.

Vom Elefanten herüber schritt Gallois, den Hut mit der Revolutionskokarde auf dem Kopfe, in der Hand ein Schriftstück, in Gang, Haltung und Mienenspiel das Gepräge amtlicher Würde und Wichtigkeit. Die Männer zogen schweigend Hüte und Mützen. Gallois grüßte herablassend. Er schritt durch die geöffnete Gasse nach dem Stamme der Linde.

»Bürger von St. Jean!« hob er an. »Die Nationalversammlung beehrte mich mit dem Auftrage, den Bocage zu bereisen, um wahrzunehmen, ob auch hier die Konstitution mit derselben Freudigkeit aufgenommen wird wie im übrigen Frankreich. Wer könnte an freudiger Aufnahme zweifeln? Die Konstitution proklamiert ja Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit aller französischen Bürger. Die Konstitution vernichtet die Vorrechte des Adels und des Klerus. Die Konstitution hebt alle Privilegien auf, verbietet Fronden, Zehnten und sämtliche Feudallasten, welche bisher das unterjochte Volk quälten. Mithin habt Ihr ferner weder an den Pfarrer Zehnten zu entrichten, noch dem Grundherrn Fronden oder andere Abgaben zu leisten. Frei und ledig seid Ihr aller Dienstbarkeit. Die Barone müssen aufhören, Eure Schinder und Blutsauger zu sein. Ebenso proklamiert die Konstitution volle Gleichberechtigung aller Bürger.«

Er öffnete das Schriftstück und las:

»Alle Bürger sind berechtigt zu jeder Stelle, zu jedem Geschäft, ohne andere Beschränkung, als jene der Leistungsfähigkeit und der Begabung. Constitution française; Titre I, §. 1. sp. – Noch mehr, die Konstitution vollendet Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit durch Proklamierung der Volkssouveränität. Begreift Ihr die Tragweite Eurer Souveränität, Mitbürger? Souverän seid Ihr, das heißt, – unabhängig von jedermann. Niemand hat Euch zu befehlen als Ihr selbst. Ihr seid Inhaber der höchsten Gewalt. Es gibt keine Macht, kein Amt, keine Würde, die nicht vom Volke ausgeht. Mithin hat kein König, kein Minister, kein Papst, kein Bischof, kein Pfarrer ein Amt, eine Gewalt, außer das Volk hat ihm dieselbe übertragen. Deshalb bestimmt die Konstitution, daß alle Bischöfe nicht mehr vom Papste, sondern von den Abgeordneten des Volkes in jeder Provinz ernannt werden. Das nämliche gilt von den Pfarrern. Euere Pfarrer macht Ihr, sonst niemand. Die Konstitution verbietet strenge alle Bischöfe, die ihr Amt vom Papste und nicht vom souveränen Volk oder dessen Vertretern annahmen. Ebenso verbietet die Konstitution alle Pfarrer, welche vom Bischof und nicht von der Gemeinde ihr Amt empfingen. Um es kurz zu sagen, – die Konstitution will, daß aller geistige und materielle Druck vom Volke abgewälzt werde. Niemand regiert, als Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Abgeschafft ist alles, was Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit widerspricht. Ich hoffe, Ihr werdet verständig genug sein, Mitbürger, die Errungenschaften der Revolution zu würdigen! Ihr werdet dankbar sein Euren Vertretern in der Nationalversammlung, die Euch vom Joche des Adels und Klerus befreiten. – – Aus allen diesen Gründen fordere ich Euch auf, mit mir begeistert zu rufen: Es lebe die Konstitution! Es lebe die Revolution!«

Allgemeines Stillschweigen. Auf manchen Gesichtern erschien ein Lächeln, während die meisten Zuhörer in ernster Zurückhaltung verharrten.

Geärgert sah der Kommissär auf die Stummen. Abermals schwang er seinen Hut und rief noch lauter: »Es lebe die Konstitution!«

Wieder rief er ganz allein. Kein Bauer öffnete seinen Mund.

»Was soll das heißen?« brach Gallois unmutig los. »Seid Ihr etwa so tief heruntergekommen, daß Ihr die alte Knechtschaft mehr liebt, als die Freiheiten und Menschenrechte der Revolution?«

Auch der Vorwurf weckte keinen Laut in der Menge. Gallois fluchte in den Bart und warf zornige Blicke auf die Schweigsamen, deren Verhalten den Ausdruck kalter Verachtung anzunehmen schien.

»Ah, – ich verstehe Euer Schweigen!« rief er höhnisch. »Euer Knechtssinn und Euer Fanatismus fürchten die Errungenschaften der Revolution und Ihr habt nicht den Mut, dies zu gestehen.«

»Langsam, Herr Kommissär, – nur langsam!« rief eine starke Stimme und Catelinau bewegte sich nach dem Mittelpunkte der Versammlung. »Unser Stillschweigen haben Sie falsch ausgelegt. Ob wir den Mut haben, Ihnen Red' und Antwort zu stehen, das werden Sie gleich erfahren. Mich haben die Bürger zu ihrem Wortführer bestimmt, aber ich kann nicht so in den Tag hinein schwätzen, – mußte mir zuerst überlegen, was Sie gesagt haben, und was, im Sinne und in der Meinung der Bürger, darauf zu erwidern ist. Jetzt merken Sie eben so ruhig auf unsere Antwort, wie wir auf Ihre Rede gehorcht haben.«

Der Riese rückte an seinem Hut und dehnte die Glieder, als gelte es eine schwierige Arbeit.

»Sie haben geredet, Herr Kommissär, von »Blutsaugern und Schindern, die uns drücken, vom Joche, das uns Adel und Klerus auferlegen.« Davon wissen wir nichts. Wir spüren kein Joch. Blutsauger und Schinder, die uns drücken, kennen wir nicht. Wir bauen die Felder und weiden die Herden unserer Barone, – aber nicht umsonst. Ist die Ernte eingetan, so wird geteilt zwischen uns und den Baronen. Treiben wir Viehherden nach Paris, so wird geteilt zwischen uns und den Baronen. So ist alles gemeinschaftlich zwischen Grundherren und Pächtern. Gemeinschaftlich essen und leben wir von den Erträgnissen des Bodens, – gemeinschaftlich teilen wir den Reingewinn von allem. Reich sind wir zwar nicht, die Barone nicht und wir nicht, – doch haben wir mehr als genug, um behäbig leben zu können und niemals Not zu leiden. – Mitbürger, hab' ichs genau getroffen, wie's ist?«

»Getroffen, – genau getroffen!« bestätigten die Bauern.

»Jetzt komm' ich an das Joch, welches uns der Klerus auferlegt,« fuhr Catelinau fort. »Wahr ists, die Pfarrer legen uns ein Joch auf, – nämlich das Joch der Gebote Gottes. Aber dieses Joch ist notwendig, wenn man ein rechtschaffener, braver und ehrlicher Mensch sein will. Das Joch wird uns auch gar nicht besonders schwer, dieweilen schon unser Herrgott gesagt hat: »Mein Joch ist süß, meine Bürde ist leicht!« Ebensowenig sind wir gegen das Joch ärgerlich oder zornig, – wir gehen recht gern unter demselben, weil es uns, nach diesem Leben, in den Himmel führt. – – Sie brauchen darüber nicht spöttisch den Mund zu verziehen, Herr Kommissär! Ja, – wir wollen in den Himmel, weil wir Christen sind! Bei uns gibt's keine Freimaurer, keine Aufgeklärten, die nicht an Gott glauben und auch nicht an den Himmel. Bei uns gibt es nur Christenmenschen, die festhalten auf Leben und Tod an ihrer Religion. – Mitbürger, ich frag' Euch, hab' ichs wieder getroffen?«

»So ists, – alles richtig!« riefen beifällig die Bauern.

»Jetzt komm ich an den Zehnten, den wir unseren Pfarrern geben,« fuhr der Riese fort. »Haben wir Knechte und Mägde, so bezahlen und verköstigen wir sie; denn sie sollen nicht umsonst arbeiten. Haben wir Ochsen und Kühe, so geben wir ihnen zu fressen und halten sie gut wegen der Arbeit. Wenn nun Knechte und Mägde, sogar Ochsen und Kühe ihren verdienten Lohn kriegen, weshalb sollen jene hochwürdigen Männer keinen Lohn haben, die Gott zu uns geschickt hat, das Evangelium zu predigen und andere heilige Verrichtungen vorzunehmen? In der Bibel heißt es doch: »Wer dem Altar dient, soll vom Altar leben!« – Glaub' schon, es wäre den Ungläubigen und Freimaurern ganz recht, wenn wir unsere Seelsorger verhungern ließen! Daraus wird nichts, Herr Kommissär! Den Zehnten geben wir gern. Er tut keinem von uns weh. Man wird davon nicht arm, – im Gegenteil, Gottes Segen ruht darauf. Auch sollen Sie nicht meinen, daß unsere Pfarrer vom Zehnten reich und fett werden. Sie haben gerade genug zum Leben, – mehr nicht. In der Vendee gibt es keine lustigen Abbes, keine leichtfertigen, üppigen Domherren, die nur auf Lustbarkeit denken und viel Wind machen. In der Vendee gibt es nur fromme Priester, eifrige Seelsorger, vor denen man Respekt haben muß. – – Mitbürger, hab' ichs gesagt, wie's ist?«

»Ja wohl, – den Nagel auf den Kopf getroffen!« bestätigten beifallnickend die Bauern.

»Aus all' dem können Sie merken und verstehen, Herr Kommissär,« schloß Catelinau, »daß wir in der Vendee ganz zufrieden und glücklich leben. Bei uns ist eine Revolution ganz und gar nicht notwendig; denn Knechtschaft, Blutsauger, Schinder und Bauernquäler gibt es in der Vendee nicht. Bleiben Sie uns mit der Konstitution vom Leibe, – wir brauchen sie nicht! Die Nationalversammlung, in der so viele Gottesleugner und Freimaurer hocken, mag beschließen, was sie will, – uns geht das nichts an. Dazu kommts uns recht dumm und anmaßend vor, wenn Freimaurer gegen Gott und unsere Religion Gesetze machen und gar verlangen, wir sollen diesen Gesetzen gehorchen. Das wäre schön! Gesetze gegen unser Gewissen, gegen unsere Religion verdammen wir, – niemals werden wir ihnen gehorchen. Wer unsere Gewissensfreiheit unterdrücken will, der ist der größte Tyrann! In Ruhe lasse man uns! Wir haben nur einen Wunsch, nämlich den, – man soll uns leben lassen wie bisher. Glücklich und zufrieden sind wir und wollen wir bleiben. – – Mitbürger, hab' ich Eure Meinung ausgesprochen?«

»Jawohl, – wir bleiben beim alten!« riefen die Bauern.

Gallois drehte die zusammengerollte Konstitution heftig in den Händen. Er fand zwar in der Vendee allenthalben Mißvergnügen und feindselige Stimmung gegen die Revolution, bisher aber keinen so entschiedenen Widerspruch.

»Demnach verwerft Ihr eine Konstitution, welche der König bestätigt hat?« rief er mit kaum verhaltenem Zorn. »Ihr nennt Euch Christen und verweigert der Obrigkeit den Gehorsam?«

»Mit Verlaub, Herr Kommissär, – Sie sollen die Sachen nicht verdrehen!« erwiderte Catelinau. »Dem König sind wir allerdings treu und gehorsam, aber nur so lange, als er Sachen befiehlt, die mit unserem Gewissen und mit unserer Religion zusammenpassen. Verlangt dagegen ein König, wir sollen die Geistlichen verhungern lassen, wir sollen vom Papst keine Bischöfe und von den Bischöfen keine Pfarrer annehmen, sondern nur von Volksvertretern, so ist das gegen unsere Religion, – unsere Religion aber ist von Gott. Kein Parlament, keine Nationalversammlung und kein König werden uns gehorsam finden solchen Gesetzen, die gegen Gottes Kirche gerichtet sind. In dem Stück denken und tun wir, wie St. Petrus vor dem Parlament in Jerusalem, wo der Apostel der Obrigkeit den Gehorsam verweigert und gesagt hat: »Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen.« – – Mitbürger, ist das Eure Meinung?«

»Ja, – wir stimmen bei!« riefen die Männer von St. Jean.

»Gut! Ich werde der Nationalversammlung berichten,« versetzte der Kommissär. »Ihr seid trotzig und widerspenstig bis zum Aufruhr.«

»An Aufruhr denken wir nicht,« rief eine Stimme. »Er kann aber kommen, wenn man uns dazu treibt.«

»Nach solchen Äußerungen bin ich fertig,« sagte Gallois. »Was kommen wird über St. Jean, – Ihr habt es zu verantworten.«

Er wandte sich ab und verließ ohne Gruß mit heftigen Schritten den Platz.


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