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Zärtliche Kindesliebe hatte in Isabellas Jugend weder Anregung noch Pflege gefunden. Ihre ganze Erziehung befruchtete diese schöne Empfindung ebenso wenig, wie das kalte, blasierte Familienleben in Rovere. Dagegen flößten die Ausschweifungen des Grafen dem heranwachsenden Mädchen das Gegenteil von Hochachtung ein gegen den Vater.
Das Unglück hatte für den Grafen wohltätige Wirkungen. Die leichtfertige Auffassung des Lebens und die Sucht nach Genüssen verschwanden vor dem Ernste und den Schrecken der Zeit. In Coblenz las er die laufenden Zeitungsberichte über den schauerlichen Gang der Revolution. Die Dinge reizten zu Betrachtungen. Er fand die Ursachen des Umsturzes in ferner Vergangenheit, nämlich in dem Augenblicke, als die Regierung begann, die Religion sich dienstbar zu machen, die Kirche zu knebeln, den Klerus zu verweltlichen. Im Boden der Entchristlichung Frankreichs sah er die ersten Keime des Verderbnisses wuchern. Eine Förderung des Zersetzungsprozesses und der Sittenverwilderung erkannte Graf Wilhelm in der Frechheit einer grundfalschen Philosophie, Gottes Dasein zu leugnen und mit ihr jede berechtigte Grundlage der Autorität und Moral zu vernichten. Weiter folgernd kam er zu dem Schlusse, daß Prinzipien, falsch und verderblich für das Gesamtleben einer Nation, auch falsch und verderblich sein müssen für das Leben des einzelnen. Rovere brach vollständig mit seinen bisherigen Anschauungen. Aber zum Standpunkte des Christen und gläubigen Katholiken vermochte ihn seine negative Verfahrungsweise nicht empor zu heben.
Isabella gewahrte den Lebensernst des Vaters und achtete den Veränderten. – In treuer Liebe für den fernen Bräutigam verharrend, und von Gottes leitender Vorsehung eine Verbindung mit dem Geliebten hoffend, war sie stets bemüht gewesen, tiefer in das katholische Bewußtsein einzudringen und die erhabenen Lehren Christi durch Streben und Wandel zu verwirklichen. Sie fand Glück und Frieden in diesen Geistessphären und versuchte, den Vater für dieselben zu gewinnen; vergeblich. Der Graf geleitete sie zwar regelmäßig zum Gottesdienste, verharrte jedoch in einer trüben, matten Haltung, weit weg von jener schwungvollen Tatkraft, wie das praktische Christentum sie fordert.
Im Schutze der vordringenden deutschen Armee nach Frankreich zurückgekehrt, trafen sie Schloß Rovere in einem höchst kläglichen Zustande. Der Pöbel hauste in den eleganten Räumen. Betrunkene Bauern und blutbefleckte Mörder verhöhnten und bedrohten den Grafen. Henry versicherte, es gebe zur Rettung kein anderes Mittel als Bruderschaft mit dem Pöbel. Man müsse mit dem Strome schwimmen oder untergehen. Allein Graf Wilhelm machte an die Pöbelherrschaft kein Zugeständnis. Die Mißgriffe der untergegangenen Feudalgewalt leugnete er zwar nicht, aber dem aristokratischen Selbstbewußtsein konnte er nicht entsagen. Er wurde verhaftet und nach Paris geschleppt.
Isabella kannte nicht den Ankläger ihres Vaters. Die Nichtswürdigkeit Henrys entging ihr wohl nicht, aber sie hielt ihn doch nicht für so abschreckend tief gesunken, Ankläger und Mörder seines Vaters zu werden. Auf ihre Bitte, sie nach Paris zu begleiten, um die Rettung des Vaters zu versuchen, ging er bereitwillig ein. Fertig zu jeglicher Schlechtigkeit und erfinderisch in ruchlosen Anschlägen, gedachte er, die reizend gestaltete Schwester dem allmächtigen Wüstling Danton zu verkaufen, um den Preis eines öffentlichen Amtes, das ihn gegen Nachstellungen möglichst schützte und seiner Bosheit freien Spielraum gestattete.
»Retten will ich den Vater oder mit ihm untergehen,« hatte Isabella gesagt. »Wie könnte ich Einsame und Verlassene leben in diesen Schrecken? Der Tod wäre für mich eine Wohltat.«
Nach seiner Rückkehr von Danton in das Hotel »zur Gleichheit« berichtete Henry der ängstlich lauschenden Schwester von dem Erfolge seiner Bemühungen.
»Endlich gelang es mir, Danton zu sprechen. Sieben Gänge schlugen fehl, – der achte glückte. Ich bin zufrieden. Morgen früh kommt der Triumvir höchst persönlich hieher, – ein Wunder! Danton, der unerbittliche Danton, läßt sich herab, diejenige zu besuchen, die ihn bitten will.«
»Von welcher Gestalt ist der Mann? Wie sieht er aus? Entspricht sein Äußeres dem Schrecken seines Namens?«
»Vollkommen! Ein Mohr, – ein Othello! Sechs Fuß hoch, – häßlich von Angesicht, – furchtbar, – ein Geselle der Nacht! Ein Othello, – Fräulein Schwester! Fürchten Sie aber nichts. Vertrauen Sie kühn Ihrer allzeit siegreichen Macht über Männerherzen. Othello wird seiner Desdemona keine Bitte versagen. Der Mohr ist hochherzig, – auch grausam und schrecklich, je nachdem.«
»Mein Herr Bruder, Sie reden beängstigend!«
»Der Wahrheit gemäß, Fräulein Schwester! Ein Othello, – sage ich! Milde und gütig, grausam und schrecklich, je nach Liebe oder Haß. Und beide, Liebe oder Haß, liegen ganz bei Ihnen. – Entschuldigen Sie, – ein brennender Durst ruft mich nach der Schenke.«
Er nickte flüchtig mit dem Kopfe und verschwand aus dem Zimmer.
Isabella war betroffen stehen geblieben.
»Welches Benehmen, – welche Worte! Was mögen sie bedeuten?«
Ein Geräusch schreckte die Sinnende auf. Unter den offenen Eingang des Seitenzimmers trat David, die einzige Stütze der Verlassenen. Von jeder weiblichen Bedienung entblößt, war Isabella auf die treue Anhänglichkeit des Torhüters angewiesen. Er hatte sie von Rovere hieher begleitet, die Todesgefahr nicht scheuend, in das Geschick der Aristokratin verwickelt zu werden. Tag und Nacht hütete er sie, wie das Kleinod seines Herzens. Mit seltenem Feingefühl bediente er die Gräfin und sorgte mit der Zärtlichkeit einer Mutter für deren Bedürfnisse. Letztere waren allerdings leicht zu befriedigen; denn Isabella machte nur die notwendigsten Ansprüche an das Leben. Sie aß spärlich und genoß ohne Klage die rauhe und magere Kost der herrschenden Hungersnot. Dagegen vermochte ihre Geistesstärke nicht immer die Schrecken ihrer Seele zu bewältigen bei dem Gedanken, in steten Gefahren zu schweben am Herde blutiger Greuel und roher Ausschweifungen der niedrigsten Leidenschaften. Auch in dieser Beziehung war David eine starke Stütze der Unglücklichen. Unerschöpflich an sinnreichen und komischen Einfällen, entwickelte er eine bewunderungswürdige Unterhaltungsgabe, der es immer gelang, von der Gegenwart abzulenken und zu zerstreuen. Ein unfehlbar wirkendes Mittel für solche Augenblicke war die Erwähnung Valforts. Öffnete David seinen Mund, die Vorzüge des Barons zu rühmen, oder dessen Worte zu wiederholen, so schwanden regelmäßig die unheimlichen Schatten und Schrecken der Gegenwart. Die Wonne einer lauteren und tiefen Liebe beglückte das jungfräuliche Herz. Wohl hundertmal berichtete David ausführlich seine Sendung nach Valfort. Ergreifend wußte er die Leiden Pauls zu schildern, der seine Braut ermordet glaubte und deshalb geistig furchtbar litt, so daß er dem Tiefsinn zu verfallen drohte. Hiebei unterließ er nicht, die Erzählung mit der Bemerkung zu schließen: »Hieraus mögen Sie erkennen, gnädiges Fräulein, wie unaussprechlich groß die Liebe des stattlichen Barones zu Ihnen ist!« Oder: »Wenn ein junger Mann körperlich zusammenfällt und geistig kränkelt, weil er seine Braut ermordet und beschimpft wähnt, so beweist dies eine Zärtlichkeit und Liebe, die gar nicht größer und gewaltiger sein könnten.«
Diesen Bemerkungen folgte Davids Erzählung, wie er mit Paul zusammentraf, – wie dieser auflebte bei der Erklärung über Isabellas langes Schweigen, – wie er den Brief las und wieder las, zitternd und bebend vor Freude, – wie er ihn unablässig ausforschte über seine Braut, – wie ihn auch das unbedeutendste und geringfügigste von ihr lebhaft interessierte, – wie er sich namenlos glücklich pries, dieselbe in Sicherheit zu wissen. Kam David endlich zum Schlusse, so begannen Isabellas Fragen, die sich in das Endlose dehnten.
In dieser Weise vertrieb der kluge Torwächter die grausigen Gestalten der Schreckenszeit mit der lichten Persönlichkeit des Geliebten.
Die vernommene Rede Henrys über Danton erweckte ihm jetzt schwere Besorgnis. Er begriff den verhüllten Sinn der Worte und wußte, daß ein blutdürstiges Ungeheuer zu jeder Schandtat fähig sei. Mit Anstrengung bewahrte er seine äußere Ruhe, um nicht Isabella die schreckliche Wirklichkeit zu verraten.
»Was die Worte bedeuten, gnädige Gräfin? Nun, – Sie wissen ja, Leute reden allerlei verwirrtes Zeug, wann sie mehr getrunken haben, als ihr Kopf verträgt.«
»Halten Sie meinen Bruder für betrunken?«
»Meine Nase ist allerdings dieser Ansicht; denn sie roch im Nebenzimmer die Geister, welche aus ihm redeten.«
»Auch mir kam sein Benehmen seltsam vor,« erwiderte sie traurig. »Mein Gott, – er sinkt immer tiefer!«
»Um Vergebung, Gnädigste, – was ist das für ein Mensch, der Othello, der Mohr, – von dem Graf Henry sprach? Gehört der Mohr Othello auch zum Konvent?«
Die Frage erweckte ihr ein Lächeln.
»Doch nicht, mein Getreuer! Othello, der Mohr, ist ein Charakter, den ein englischer Dichter behandelte.«
»Ein Charakter, – von welcher Art, gnädiges Fräulein?«
»Von höchst leidenschaftlicher Art! Der Mann liebte sein Weib, die schöne Desdemona, wie sein Leben, ja – noch mehr als sein Leben. Dennoch tötete er sie in blinder Wut. – – Mein Bruder hat Danton verglichen mit Othello, – wie unheimlich!«
»Das Urteil eines Betrunkenen, Gnädigste! Bin doch begierig, den Othello des Herrn Grafen morgen kennen zu lernen.«
»Weichen Sie nicht aus meiner nächsten Nähe, guter David!«
»Natürlich! Wäre auch Danton Othello nicht sechs, sondern zwölf Fuß hoch, er sollte doch über meine vier und ein halb Fuß in die Ewigkeit hinüber stolpern, wenn er meine zwei Pistolen und meinen Dolch zwingen würde, freche Ungebühr zu strafen. Also keine Furcht, Gnädigste! Recht und Tugend stehen auf unserer Seite; wo diese beiden sind, versichert der »gute Christ« meiner Mutter, da waltet Gottes Hand.«
Dessen ungeachtet erwartete am folgenden Morgen die Gräfin nicht ohne Bangigkeit den Machthaber Danton. Sie glaubte zwar an Gottes väterliche Hut. Das Bewußtsein der guten Absicht bis zur Selbstaufopferung flößte Vertrauen ein und Mut. Nicht einmal den Tod fürchtete sie. Allein es gab Dinge, schrecklicher als der Tod. Eine Ahnung dieses Schrecklichsten war über sie gekommen.
Inzwischen gelangte Henry zu der Ansicht, Dantons freundschaftliche Beziehungen zur Schwester dürften seine Absichten wesentlich fördern, sogar bedingen. Das Präsidium von Limoges war ihm zwar versprochen; er wußte jedoch, daß kein Versprechen die Revolutionshäupter band, und dieselben lediglich nach den Eingebungen des Augenblickes, des Eigennutzes und der Leidenschaft handelten. Dantons Leidenschaft für Isabella verbürgte ihm daher weit mehr die Erfüllung seines Strebens, als das gegebene Wort des Revolutionshauptes. In diesem Sinne beriet er die Gräfin.
»Gelingt es Ihnen, Fräulein Schwester, Danton für das Ersehnen Ihrer Kindesliebe zu interessieren, dann ist der Vater gerettet. Seien Sie deshalb bestrebt, dem Gewaltigen Teilnahme einzuflößen. Der Mann erscheint zwar häßlich und rauh von außen, aber sein Herz und Gemüt sind doch nicht zarten Empfindungen unzugänglich. Mit Gründen und Beweisen für des Grafen Unschuld werden Sie rein gar nichts ausrichten. Die alten Gesetze, welche über Tod und Leben eines Menschen sprachen, sind unwiderruflich begraben. Nach den neuen Gesetzen ist der Vater unerbittlich der Guillotine verfallen. Seine Geburt, sein Name, machen ihn des Todes schuldig. – Deshalb erobern Sie Dantons Herz und wir haben alles gewonnen.«
»Welchen Einfluß besäße ich über das Herz eines Mannes, schrecklich wie das Verderben?«
»Diesen Einfluß verleiht Ihnen die Macht Ihrer Persönlichkeit, Fräulein Schwester! Sie sind dazu geboren und ausgerüstet, Männer zu erobern und zu beherrschen. Danton ist ein Mann, – also! – Ich bitte, den Mann nicht zu empfangen mit düsterer Trauermiene, welche abstößt; auch nicht in schwarzer Tracht, sondern in hellen Farben. Grabesflor müßte Danton verletzen, erbittern, weil im schwarzen Anzug gleichsam eine Anklage, ein Vorwurf läge gegen die Revolution. Erscheinen Sie hell und heiter, licht und lebensfroh, – und der Sieg ist unser.«
»Was verlangen Sie, mein Bruder?«
»Eine ganz unschuldige aber notwendige Kleinigkeit! Scheinwerk, – Flickwerk, – ein Nichts entscheidet heute über Leben und Tod. Ich sah Grafen und Fürsten in Lumpen gehüllt, Arm in Arm mit Proletariern, Schnaps trinkend mit dem Pöbel, in Duzbruderschaft mit der schmutzigsten Canaille, – Scheinwerk! Allein der Schein, die Lumpen, der Schnaps, retteten das Leben. Betrachten Sie mich! Welch ein Anzug! Ich verabscheue diese Proletariertracht, – dennoch wäre ich ohne dieses Flickwerk längst nicht mehr am Leben. – – Deshalb klug, Fräulein Schwester! Seien Sie liebenswürdig gegen Danton, weil Ihre Liebenswürdigkeit den Tiger zähmt und dessen bluttriefenden Krallen den Vater entreißt.«
»Liebenswürdig gegen einen tausendfachen Mörder? Liebenswürdig gegen ein Ungeheuer?«
»Gut, – schmähen Sie das Ungeheuer! Zeigen Sie demselben Ihren Abscheu, und Sie liefern nicht allein den Vater, sondern auch sich selbst und mich unter das Fallbeil.«
Sie fühlte die Wahrheit dieses Einwurfes.
»Schreckliche Lage, – furchtbare Aufgabe!« sprach sie leise.
»An Ihnen liegt es, die Aufgabe ohne Schwierigkeit zu lösen. Schenken Sie der Vernunft Gehör. Beherrschen Sie geistesstark die Umstände. Befolgen Sie meinen Rat, der Ihnen nichts vergibt und auch nichts Ihrer strenggläubigen Richtung. Teilnahme und Erbarmen für den Unglücklichen sind ja echt christliche Gefühle. Danton ist ein Unglücklicher. Versuchen Sie es, ihn zu retten. Zähmen Sie den Tiger, bändigen Sie das Ungeheuer, – Sie vermögen es.«
Henrys Vorstellungen bewogen Isabella, das Trauergewand abzulegen und in helle Farben sich zu kleiden. Nicht ohne Sorgfalt ordnete sie das glänzend schwarze Haar, von einem glühend roten Bande durchschlungen, reich Schulter und Nacken umwallend. Das vollendet schöne Ebenmaß der vollkommen entwickelten Körperformen, die wunderbare Schönheit ihres Angesichtes und die Anmut ihres Wesens verliehen ihrer Erscheinung allerdings eine Macht, die selbst einen Danton zu bändigen verhieß.
Eben hatte die Gräfin ihre Toilette beendet, als die Türe des Vorzimmers rasch geöffnet wurde und schwere Tritte den Boden stampften. Danton war mit Henry eingetreten.
Der soziale Bankrott des französischen Volkes hatte neben Atheismus und Vandalismus, Mordwut und Pöbelherrschaft auch Lächerlichkeiten erzeugt. Zu diesen gehörte die Sitte, antike Trachten der römischen Republik nachzuahmen. Die Toga, die Pänula, die Lacerna und das Sagum der Römer wurden sichtbar in den Straßen von Paris und anderen Städten. Mit der heidnischen Tracht legte man sich heidnische Namen bei. Auch Danton hatte den Frack abgestreift und seine athletischen Gliedmaßen in das Sagum gewickelt. Da er jedoch den Faltenwurf des weiten und langen Stückes Tuch nicht zu ordnen verstand, so machte der Anzug nicht den Eindruck des Malerischen, sondern einer lächerlichen Maskerade. Aber die blutrote Farbe des Sagums und der Gedanke an Macht und Blutgier seines Trägers verwandelte den Eindruck des Lächerlichen in jenen des Grausigen. Die rote Jakobinermütze bedeckte seinen Kopf und eine dunkle Glut das Gesicht. Forschend spähten seine rollenden Augen durch den Raum.
»Bürger, wo ist Deine Schwester?«
»Hier!« antwortete Henry mit einer Handbewegung.
Danton wandte sich. Kaum traf sein Blick Isabella, als er zurückwich, mit gefesselten Sinnen unbeweglich stand und der Ausdruck einer grenzenlosen Überraschung in seinen Mienen sich malte.
Auch Isabella stand unbeweglich und betroffen beim Anblick des Schrecklichen. Die riesige Gestalt, das zerrissene Gesicht, die unheimliche Gewalt der Augen, die gegenwärtige Starrheit, – alles erweckte ihr Gefühle bangen Zagens. Aber gerade die Berührung mit einem Wesen, das mit dem ihrigen in schreiendem Gegensatze stand, enthüllte mit einem Schlage den vollen Glanz ihrer Persönlichkeit und führte gleichsam das geistige und körperliche Vermögen der Gräfin zur Abwehr gegen den Widerspruch ihres Selbst. Bekämpft den Teufel ein Engel, so bedarf letzterer keiner anderen Waffen zum Siege, als die Enthüllung seines Wesens. Was von Reinheit, Jungfrauenwürde und Seelenadel in Isabella lag, prägte sich lebhaft in Blick, Mienenspiel und Haltung aus. Ihre natürliche Anmut steigerte sich zur Hoheit, die groß und licht herabschaut auf ein Gebilde der Tiefe. Hiezu kam die Macht ihrer Schönheit, gehoben und verklärt durch die erregte Spannung ihrer Seelenkräfte. Weit geöffnet waren die strahlenden Augen auf Danton gerichtet und das lilienweiße Angesicht war leise angehaucht von einer zarten Röte.
So standen sich beide gegenüber wie Licht und Nacht.
Henry beobachtete scharf. Er bemerkte Dantons Verwirrung und lächelte siegreich.
»Ich habe die Ehre, den ersten Bürger der Republik Ihnen vorzustellen,« sprach er, zwei Stühle rückend.
Danton sank mechanisch nieder, ohne seine Blicke von Isabella abzuwenden.
»Mein Herr,« begann sie, »ich danke für die Güte, einem Kinde Ihr Wohlwollen zu schenken, welches für das bedrohte Leben seines Vaters Ihren starken Beistand erflehen möchte.«
Der Wohlklang ihrer Stimme rief den Athleten aus seiner Betäubung. Und jetzt verkehrte er nicht in der rohen Weise der Sanscülotten, sondern in den feinen Umgangsformen der verhaßten Aristokraten. Dies tat er keineswegs mit Berechnung, vielleicht nicht einmal mit Bewußtsein, sondern in der unwillkürlichen Nötigung, womit Isabellas Persönlichkeit sein Verhalten vorschrieb. Wie verzaubert erschien der blutschnaubende Triumvir. Er dämpfte die Rauheit seiner Stimme, verwandelte die Heftigkeit seiner Bewegungen in anständige Manieren.
»Mein Fräulein, es macht mir Vergnügen, Ihnen dienen zu können! Sie verlangen zwar viel, – von Danton sogar Unerhörtes; dennoch bin ich bereit, mit dem ganzen Gewichte meines Einflusses für die Verwirklichung Ihres Wunsches einzustehen.«
Ein Blick des Dankes traf ihn aus den freudig aufleuchtenden Augen. Sie vergaß den blutbefleckten Machthaber und sah nur den Retter ihres Vaters.
»Mein Herr, Ihre Worte beglücken mich und Ihre Güte verpflichtet Ihnen mein ganzes Vermögen.«
Sie stockte plötzlich, ein jäher Schrecken verdrängte die freudige Erregung. Aus Dantons Augen flammte eine wilde Glut und ein Lächeln erschien auf seinem Gesichte, das sie weit mehr beängstigte, als das Medusenhaupt des Gräßlichen. Sie senkte den Blick und saß stumm vor Entsetzen.
»Sie zittern, mein Fräulein? Welcher Umstand veranlaßt diesen raschen Wechsel Ihrer Gefühle?«
»Zürnen Sie nicht!« bat die Gräfin. »Mich überfiel der furchtbare Gedanke, die nächste Stunde möchte meinen armen Vater vor Gericht fordern und sein Todesurteil sprechen. Zu spät käme Ihre Hilfe.«
»Fürchten Sie nichts! Mit dem Tode selbst würde ich ringen, ein Leben zu retten, das Ihnen teuer ist,« rief er leidenschaftlich. »Wäre auch das Todesurteil gesprochen, Danton vernichtet es. Hätte Ihr Vater die Guillotine bestiegen und der Henker schon die Hand nach ihm ausgestreckt, – Dantons Wink genügte, den Vollzug zu hindern.«
»Kämen Sie aber einen Augenblick später, – nur einen Augenblick, den wir müßig hier vergeuden, selbst Ihre Macht vermöchte es nicht, das getrennte Haupt dem Leibe anzufügen. Darum bitte und beschwöre ich Sie, keinen Augenblick zu zögern.«
»Wer kann Ihnen widerstehen, mein Fräulein?« sprach Danton sich erhebend. »An den Zufall, der Sie erschreckt, glaube ich zwar nicht, aber Ihre Kindesangst zu bannen, verzichte ich auf das Glück Ihrer bezaubernden Nähe. – In welchem Gefängnis?« wandte er sich an Henry.
»In der Abtei.«
»Ich eile dahin.«
»Wann dürfen wir nach dem Erfolg Ihrer Bemühungen forschen?« frug Isabella.
»Werde mir selbst die Ehre nehmen, Ihnen Nachricht zu bringen. – Auf Wiedersehen!«
Er verbeugte sich und verließ das Zimmer. Henry begleitete ihn.
»Nun, Bürger, hat »das schönste Mädchen der Republik« meines Zettels übertrieben?«
Danton blieb stehen und sah aus glühenden Augen auf den Fragenden.
»Übertrieben?« wiederholte er. »Dein Zettel war eine Schmähschrift! Sie, – ein Mädchen? Wie matt, – wie nichtssagend, – wie alltäglich! Eine Göttin, – sage ich! Ein Wunderwerk der Natur, – ein Wesen, berauschend, die Sinne umstrickend, bezaubernd!«
Er stürmte fort.
»Wußte es!« brummte Henry, mit Behagen die Hände reibend. »Was von Männlichkeit ihr nahe kommt, verfällt ihrer Macht. Und so rasch, – so im Handumdrehen, selbst einen Danton bändigen, verzaubern! Aus einem blutlechzenden Tiger einen verliebten Schäfer machen, – – ihr Meisterstück! – – Hm! Es war auch ein Anblick, wie sie dastand, im Lichte der Morgensonne, – im eigenen Lichte ihrer Schönheit, – so groß, – gekleidet in Anmut und reizende Majestät! So hab ich sie noch nicht gesehen. Seit der Aberglaube sie beherrscht und religiöse Ideen sie leiten, hat ihre Schönheit wirklich etwas Verklärtes, Überirdisches, Göttliches! Sonderbar, – will einmal später darüber nachdenken, wie Wahn und Einbildungen vermögen, dem Wesen des Menschen solch einen Zauber zu verleihen. – Vorläufig schmieden wir das glühende Eisen Danton nach unserem Interesse. Vielleicht kommt noch etwas mehr dabei heraus, als ein Präsident des Revolutionsgerichtes in Limoges.«
Danton stürmte durch die Straßen, den Oberkörper vorgebeugt, die Arme heftig schwenkend, Unruhe und Verwirrung in den Zügen. Wer den Schrecklichen erkannte, wich ihm aus, wie dem wandelnden Verderben. Nur die Proletarier riefen ihm Grüße zu. Er dankte niemand, sah niemand, nur selten vom Boden den Blick erhebend. An einer Stelle, wo die Straßen nach der Abtei und seiner Wohnung sich schieden, blieb er kämpfend stehen. Es wühlte und gärte in dem Kolossalen. Er biß die Lippen zusammen, ein wilder Grimm verzerrte sein Gesicht, Flammen sprühten seine Augen. – Er ging nicht nach der Abtei, sondern in seine Wohnung. Dort warf er das Sagum von sich und schüttete einige Gläser Wein hinab. Dann trieb es ihn ruhelos durch die Zimmer, gepeitscht von eingeschlossenen, kochenden Gewalten. Im letzten Zimmer, wo auf Tischen gefüllte Flaschen standen, rastete er flüchtig und trank Wein, als wolle er die glühende Lohe seines Innern löschen. Allein er goß Öl in die Flammen. Seine Leidenschaftlichkeit wuchs, sein Geberdenspiel wurde abschreckend, sein Gesicht furchtbar. Ein schallendes Gelächter ausstoßend blieb er stehen.
»Seht doch Danton, – seht einen feigen Schurken!« rief er höhnisch. »Ja, – einen Schurken, – sag ich! Noch mehr, – seht einen Verräter, einen Schwächling! Wer staunt nicht? Die reinste Wahrheit! Beweis: Danton, – derselbe Danton, welcher Aristokratenblut trank, dessen Donnerstimme in ganz Frankreich widerhallte und die Adelsbrut nach tausenden für die Guillotine forderte, – derselbe Danton, der sich rühmte, kein Gewissen zu haben, keinen Gott zu kennen und auch kein menschliches Gefühl, – derselbe Danton, welcher das Mitleid Schwäche schalt und die Zärtlichkeit der Empfindungen verspottete, – nun, so hört doch, derselbe Danton hat gesagt: »Mein Fräulein, ich stehe zu Ihren Befehlen, – ich bin bereit, auf Ihren Wink das Leben Ihres aristokratischen Vaters zu retten!« – Ist dieser Danton kein Schurke? Nicht Feigling und Verräter? Ha, – ha! Wer lacht nicht über Danton, den Simpel? Vermeinte der Kerl, mit seinen Zähnen die letzten Eingeweide aus dem Bauche des europäischen Königtums reißen, ein Meer von Aristokratenblut trinken, die halbe Welt verspeisen und verdauen zu können! Da sieht Euch der Tölpel ein hübsches Mädchen und schmilzt vor Rührung wie ein fünfzehnjähriger Knabe!«
Er lachte gräßlich, schüttelte wild seinen Kopf und stürmte durch die Zimmer.
»Hölle und Wetter! Schuft, – ersticke an Deiner Schmach! Der starke, furchtbare Danton, dem ein König das Haupt zu Füßen legen mußte, – vor dem alle Royalistenköpfe wackeln, die mutigsten Herzen beben, – dieser Danton wird zur Memme, zum verliebten Narren! Ha, – ha! Wer möchte solchen Blödsinn für möglich halten? Wer glaubt ihn, der nur eine Faser von Danton kennen lernte? Der nur einen Blick getan in Dantons Herz, in diesen kalten, starren Abgrund, der alles erbarmungslos verschlingen möchte? O Du Gauch, – Du weichherziger, ekelhafter Fant! Pfui, – schäme Dich, Halunk! Verkrieche Dich vor den Augen des Tages!« rief er, wie von Sinnen und wild den Boden stampfend. »Ehrloser Schuft, – Verräter an Mannhaftigkeit, – nichtswürdiger Geck, – verkrieche Dich!«
Aber kein Zorn vermochte die empfangenen Eindrücke zu vernichten, kein Hohn dieselbe hinwegzuspotten.
Ausschnaufend sank er nieder auf einen Stuhl und starrte vor sich hin. Der Sturm legte sich. Das Gesicht verlor seinen Grimm, der Blick die feuerspeiende Wildheit.
»Genau betrachtet, war die ganze Raserei weiter nichts, als der Ausbruch verletzten Stolzes,« sprach er, bitter lächelnd. »Gestehe es nur, Danton, – Du schämst Dich, von der Schönheit eines Weibes überrumpelt, gefesselt, gefangen worden zu sein! Das ist alles! – – Hm, – möchte einen sehen, der an meiner Stelle nicht geblendet worden wäre! Keine gewöhnliche Schönheit brachte mich außer Fassung, – lächerlich! Hübsche Mädchen kenne ich in Menge, – bis zum Ekel kenne ich sie. Aber diese Isabella, – wenn ich sie mir vorstelle, – die Anmut und Hoheit ihres Wesens, – den ganz unvergleichlichen Liebreiz! Wenn ich schaue in den Glanz ihrer Augen, – in das lichte, feine Mienenspiel ihres Antlitzes, – wenn mir aus diesem unbefleckten Spiegel die Herrlichkeit einer Gottheit entgegenstrahlt, – wenn ich von all dem überrascht, betroffen, hingerissen werde: – beweist dies Schwäche? Oder nur, daß ich ein Mensch bin? Ein Mensch mit offenen Sinnen und fähig, das Glänzende, das Erhabene zu bewundern? Bin ich mehr als Antonius und Julius Cäsar, die Weltbezwinger? Wurden nicht auch sie gefesselt, überwunden durch Kleopatra? Und ich schwöre, Isabella ist weit mehr als Kleopatra! Jene Königin triumphierte durch Körperformen, durch weibliche Reize, über Männer, welche sich der Erde unterwarfen. Isabella hingegen paart vollendete Schönheit mit dem Glanze eines Etwas, für das ich keinen Namen weiß. Wie ein Gewand hat sie Anmut angezogen und jungfräuliche Würde. Schaut man sie an, so muß man fast an Kräfte glauben, die jenseits der Sinnenwelt liegen. Sie ist wie ein Organ, wie ein sichtbares Ideal des Himmels. Obwohl ihr Leib von wunderbarer Schönheit, so erscheint dieselbe doch verdunkelt durch ein bezauberndes Ausstrahlen inneren Glanzes. Nein, – da hinauf reicht keine Kleopatra! Hemmte Kleopatras Wohlgestalt die Siegesbahn der Welteroberer, – Isabella würden sie angebetet haben als Göttin. Also, – wenn Kleopatra den Antonius und Julius Cäsar in müßige Buhlen, in schmachtende Liebhaber verwandeln konnte, warum sollte nicht die weit herrlichere Isabella den ersten Bürger der Republik bezaubern, in einen schmachtenden Schwärmer verwandeln können? – Wirklich? Ha, – mein Närrchen, – wirklich? Hört doch, wie ein Kerl seine Schande bemäntelt!« rief er, vom Sitze springend. »Julius Cäsar und Antonius waren betörte Schwächlinge, – warum sollte nicht auch Danton ein betörter Schwächling sein? Hölle und Teufel, – ich berste! Warum schwöre ich nicht bei Manneskraft und Gefühllosigkeit, sie nicht mehr sehen zu wollen? Ihr zu entsagen? Ihren Kopf zu fordern für die Guillotine? Warum schwöre ich nicht? Weil ich fühle und weiß, – Danton schwört einen Meineid. Danton, Schurke, – Verräter, – Aristokratenfreund, – fort zum Blutgerüst! Fort, dem Fallbeil gehört dein Kopf! Ha, – ha, – ha, – da seht, – seht einen, der Frankreich beherrscht und nicht einmal eine Leidenschaft zu bezwingen vermag, die ihn beschimpft!«
Er stürmte und tobte wie ein Rasender.
Simon, sein Diener, trat ein, keineswegs erstaunt über die wilde Art seines Herrn. Nach erlittenen Niederlagen im Konvent oder in den Ausschüssen pflegte er in gleicher Weise Grimm und Wut auszuschütten.
»Saint-Just wünscht den Bürger Danton zu sprechen.«
»Saint-Just, – wer ist das?« frug Danton, mit irren Blicken seinen Diener anstarrend.
»Saint-Just, der Konventsdeputierte, der Freund Robespierres, das Mitglied des Wohlfahrtsausschusses, kurz – eben Saint-Just.«
»Ah – richtig, – richtig, – Saint-Just!« sagte kopfnickend der Athletische. »Bringe das nette Kerlchen herauf!«
Danton fuhr einige Male durch sein wirres Haar, strich es von der Stirne zurück und taumelte wie ein Trunkener nach dem Zimmer, wo auf den Tischen die Weinflaschen standen. Er trank wieder und warf sich bequem auf ein Kanapee, die Augen nach dem Eingang gerichtet.
Der anständig gekleidete, steif zeremoniöse Saint-Just betrat mit einer Verbeugung das Zimmer.
Danton verharrte in seiner bequemen Lage, die Verbeugung des Besuches mit leichtem Kopfnicken erwidernd. Seine Glutaugen ruhten auf dem jungen Mann, der seinen Kopf mit einer gewissen affektierten gravitätischen Steifheit zu tragen pflegte. Der Gedanke, Robespierres Unterhändler in wichtiger Angelegenheit zu sein, mochte gegenwärtig diese angewöhnte Steifheit der Haltung noch verstärken. Danton sah die gezierte Überspanntheit und lächelte.
»Bürger, da fällt mir ein guter Witz ein, welchen Desmoulins vor ein paar Tagen über Sie gemacht hat,« sprach er, während sich Saint-Just ihm näherte.
»Ein guter Witz von Desmoulins? Dazu über mich? Bin sehr gespannt. Darf ich hören, wie das blinde Huhn eine Erbse gefunden?«
»Warum nicht? Ihr beide seid zwar Feinde, – weiß es! Dennoch hat der Witz gerade nichts Verletzendes. Desmoulins hat gesagt: »Saint-Just trägt seinen Kopf, wie das heilige Sakrament!« – Ist das nicht hübsch? Ha – ha!«
Ein Blitz verhaltener Wut loderte flüchtig in Saint-Justs Augen.
»Ich werde ihm das seinige zu tragen geben nach der Weise des heiligen Dionysius,« entgegnete er kalt.
»Wie trug Dionysius seinen Kopf?«
»In seiner Hand, tausend Schritte weit, nachdem er enthauptet worden,« antwortete Saint-Just. Einige Monate später erfüllte wirklich Saint-Just diese Drohung; Desmoulins wurde auf seinen Antrag enthauptet. Wachsmuth, Bd. II. S. 290.
»Gut pariert!« rief Danton lachend. »Nur wäre es schade um Desmoulins Kopf, weil er einer der besten Köpfe des Nationalkonvents und auch einer der durstigsten Republikaner nach Aristokratenblut ist.«
»Gestern versuchte ich zweimal, Sie zu sprechen in einer höchst wichtigen Angelegenheit, jedoch vergeblich.«
»Gestern war für mich ein Tag schwerer Arbeit, – dafür ruhe und schwärme ich heute,« entgegnete Danton. »In höchst wichtiger Angelegenheit? Dies wäre?«
»Robespierre schickt mich,« – und Saint-Just meldete des Genannten Vernichtungsplan gegen die Vendee und deren Häupter.
Danton lauschte mit Verwunderung und vielem Interesse dem Berichte.
»Das Ding hört sich fast an, wie ein abenteuerlicher Roman,« rief er jetzt. »Man sieht, Robespierre ist ein grundehrlicher und tugendhafter Mensch, weil er so schlechte Politik treibt; denn zu einem geriebenen Politiker braucht man weiter nichts als einen ausgezeichneten Spitzbuben. – Wie naiv! Die Insurgentenhäuptlinge würden so gutwillig in die Falle gehen, – meint Robespierre?«
»Sie befinden sich schon auf dem Wege in die Falle. Einer der einflußreichsten unternehmendsten Führer, der Aristokrat Valfort, traf bereits hier ein, im Namen der übrigen die Friedensunterhandlungen einzuleiten.«
»Höchst merkwürdig! Wie hat denn Robespierre dieses Kunststück fertig gebracht?«
»Er lernte Valfort zufällig kennen und benützte diese freundschaftlichen Beziehungen, denselben durch Gallois hieher zu locken.«
»Ich sagte es ja, – Robespierre ist der tugendhafteste Mensch von der Welt! Gefühle und Pflichten der Freundschaft gelten ihm nichts, wenn das Vaterland ruft. Er dreht aus dem Bande der Freundschaft einen Strick, seinen Busenfreund aufzuhängen, sobald das öffentliche Wohl dies fordert. Ich möchte ihn um diese starke Tugend beneiden, weil ich immer noch bisweilen den Menschen in mir ertappe.«
»Darf Robespierre auf Ihre und Ihrer Partei Mitwirkung zählen?«
»Wir stehen zu Diensten! Man kann die Sache im Klub und in den Ausschüssen verhandeln. Wir brauchen ja weiter nichts als Friedensliebe, zwei Konventskommissäre und eine Armee.«
»Auch Robespierres Ansicht! Die öffentlichen Verhandlungen im Konvent dürften nicht zweckmäßig sein.«
»Übrigens,« fuhr Danton nach einer Pause fort, »möchte ich aus der Spiegelfechterei fast Ernst machen. Wenn die Vendee aufrichtig die Republik anerkennt, warum sollten wir derselben nicht gestatten, einen Gott anzubeten, der ihr beliebt? Wir haben zwar den Herrgott abgesetzt, – nun, wir könnten ihn ebensogut wieder einsetzen und Kultfreiheit dekretieren. Die gleiche Ansicht glaube ich Robespierres Äußerungen entnehmen zu können.«
Saint-Just warf einen forschenden Blick auf den Herkulischen.
»Keine Finte, – wirkliche Meinung!« versicherte Danton, Saint-Just's spähenden Blick begreifend. »Man kann nicht ewig so fortmetzeln, ohne schließlich die Republik zu entvölkern. Bis heute flogen zweimalhunderttausend Köpfe, – abgesehen von jenen, welche ersäuft und durch Kartätschen niedergeschossen wurden.« Cantu, Bd. XIII. S. 142.
»Sie befinden sich heute in weicher Stimmung,« sprach der andere.
»Sie ist notwendig, um Robespierres Friedenspfeife mit der Vendee zu rauchen,« versetzte Danton. »Ich werde also meine Partei zu einer faction des indulgens machen. Wir predigen Milde und Schonung, verweigern der Guillotine jeden weiteren Kopf.«
Diese sarkastisch hingeworfene Versicherung erfüllte Danton einige Zeit später tatsächlich. Durch die Liebe zu einem schönen Weibe gefesselt, fanden menschliche Empfindungen in der Seele des Blutdürstigen Eingang. Er bildete wirklich eine Partei der Milde, sprach im Konvent für Einstellung des Mordens und für Nachsicht. Diese Umkehr zum Besseren kostete ihm den Kopf. Robespierre, nach Alleinherrschaft strebend, benützte Dantons Abfall von den Grundsätzen des Terrorismus, um ihn guillotinieren zu lassen. Wachsmuth, Bd. II. S. 267. Cantu, Bd. XIII. S. 152 f.
»Ohne Guillotine keine Schrecken, ohne Schrecken keine strafende und reinigende Gerechtigkeit,« sagte Saint-Just, indem er sich erhob. »Ich danke Ihnen, Bürger, Robespierres patriotischen Plan unterstützen zu wollen. Carnot versprach gleiches. Robespierre wird sich die Ehre geben, persönlich deshalb mit Ihnen Rücksprache zu nehmen.«
»Abgemacht!« rief Danton, der liegen blieb und Saint-Just's Abschiedsverbeugungen mit gleichgültigem Kopfnicken erwiderte.
»Wie das heilige Sakrament!« murmelte er, dem Weggehenden auf den Rücken lachend. »Die Katze eines Katers! Vor den Schlichen und Krallen dieses Katzengeschlechtes mag sich jeder hüten. – – O ihr Tölpel der Vendee! Bigotte Dummköpfe! Tapfer wie Löwen, einfältig wie Schafe, Gläubige des Evangeliums.«
Er schwieg. Seine Gedanken nahmen eine andere Richtung. Isabella trat wieder vor seine Einbildungskraft. Plötzlich sprang er auf.
»Das muß ich verhüten!« rief er beunruhigt. »Ein Lamm unter Wölfen, – ein Kleinod unter Dieben! Käme sie einem Barere, einem Billaud, einem Vadier und tausend anderen zu Gesicht, – ich hätte das Nachsehen. Mein ist sie!«
Er schlüpfte in den Frack, warf einen Hut auf den Kopf und stürmte nach dem Hotel »Zur Gleichheit«.
Dantons unerwartetes Erscheinen im Gastzimmer brachte auf die Anwesenden nicht geringe Bestürzung hervor. Zwei Reihen Speisender saßen an einer Tafel. Augenblicklich verstummte die Unterhaltung und jäher Schreck malte sich auf jedem Gesichte.
Fröstelnd und sich verbeugend trat der Wirt dem Furchtbaren entgegen.
»Gib mir zu essen und zu trinken!« sagte Danton, nach dem Seitenzimmer gehend, wo er sich an einem Tische niederließ. Mit unglaublicher Schnelligkeit wurde er bedient und aß rasch die vorgesetzten Speisen.
Er winkte den Wirt an seine Seite.
»Du beherbergst eine fremde junge Dame?«
Bei der Frage fuhr der entsetzte Wirt nach seinem Kopfe und überlegte, so gut dies seine Verwirrung gestattete, ob er das Leben verwirkt habe durch Unterlassung irgend einer Vorschrift. Es regnete nämlich vom Himmel des Konvents Gesetze und Verordnungen, weshalb ein Bürger ohne Wissen und Ahnung Handlungen begehen konnte, die ihn auf das Blutgerüst brachten. Namentlich erschreckte den Wirt das Wörtchen »fremd« in Dantons Frage, weil auf die Beherbergung von Fremden die Todesstrafe gesetzt war.
»Ihr Name steht auf der Tafel, Bürger!« stotterte er. »Eine Fremde ist sie nicht, – werde niemals einen Fremden aufnehmen, weil ich ein guter Patriot bin und meinen Kopf zum Wohle des Vaterlandes behalten möchte.«
»Wie heißt sie?«
»Isabella Rovere.«
»Allein?«
»Ihr Bruder und ein Diener sind bei ihr.«
»Sonst niemand?«
»Der Diener, – was für ein Mensch?«
»Ein gutmütiger Kerl und ausgezeichneter Patriot; denn ich beherberge nur Patrioten.«
»Geht die Dame aus?«
»Nein, – niemals!«
»Empfängt sie Besuche?«
»Nein! Den Besuch ausgenommen, womit sie heute der erste Bürger der Republik beehrte.«
»Hole mir sogleich den Diener herunter!«
Nach zwei Minuten betrat David das Zimmer. Die komische Erscheinung des Torwächters vom Schlosse Rovere rief den Schatten eines Lächelns in Dantons Gesicht. In der Voraussicht, David werde seiner Gebieterin von allem getreuen Bericht erstatten, und von dem Wunsche geleitet, Isabella eine günstige Meinung über sich einzuflößen, handelte und sprach Danton mit schlauer Berechnung. Mit freundlicher Handbewegung, begleitet von wohlwollendem Lächeln, das sich jedoch auf dem zerrissenen Gesichte keineswegs anziehend gestaltete, lud er den Torhüter ein, ihm gegenüber Platz zu nehmen.
»Wirt, eine zweite Flasche und noch ein Glas!«
Bevor sich David zurecht gesetzt und den Kolossalen einer stillen Prüfung seiner Scharfsicht unterworfen, erschien das Verlangte.
»Jetzt entferne Dich, Wirt, – schließe die Türe!« befahl Danton, die Gläser füllend.
Der Mann verschwand mit einer tiefen Verbeugung.
»Trinke zuerst, Bürger! Schmiere Deine Zunge, deren Dienst ich fordere,« sprach Danton, mit seinem Gegenüber anstoßend. »Du heißest?«
»David!«
»Bist Du allein in Diensten bei Isabella?«
»Ganz allein!«
»Seltsam! Frauen haben zur Bedienung gewöhnlich keine Männer.«
»Es fand sich keine Frau, welche den Mut hatte, Bürgerin Rovere nach Paris zu begleiten.«
»Bedarf es dazu besonderen Mutes?«
»Für Weibliches, – allerdings! In den Provinzen wimmelt es von allerlei Gefahren und Zufällen, denen sich eine Frau nicht aussetzen mag. Von Rovere ist aber ein weiter Weg nach Paris, mithin auch viel Gelegenheit für Spitzbuben, Freiheit und Gleichheit und Brüderlichkeit zu mißbrauchen.«
»Isabella kam niemals in Gefahr?«
»Weil sie den geschlossenen Wagen nur bei Nacht verließ und am Tage drei Schleier über dem Gesichte trug.«
»Sehr klug! Vorsicht schadet nicht. – Aber ich muß Bürgerin Rovere bedauern, nur auf die Dienste eines Mannes angewiesen zu sein. Du kannst sie nicht frisieren, ihr beim Ankleiden nicht behilflich sein, tausend andere kleine Verrichtungen nicht übernehmen, welche nur das Weib dem Weibe leistet.«
»Sehr wahr, Bürger! Isabella muß eben auf noch weit mehr verzichten. Wer große Opfer bringt und einen lebensgefährlichen Schritt unternimmt, der vermißt kaum den Mangel von Bequemlichkeiten.«
»Einen lebensgefährlichen Schritt?«
»Allerdings! Schon viele verloren den Kopf, weil sie es wagten, Verhaftete los zu bitten.«
»Du hast recht, Bürger! Wirst aber klug sein und Isabella die Gefahren nicht verraten, in denen sie fortwährend schwebt.«
»Natürlich!«
»Du kennst mich?«
»Der Wirt sagte, Du wärest Danton.«
»Der bin ich! – Noch etwas! Ich habe nämlich diesen Morgen die Bürgerin besucht und ein ganz ungewöhnliches Weib in ihr gefunden, das meine regste Teilnahme verdient. Gern bin ich behilflich, ein Kammermädchen für sie zu finden. Dies würde nicht schwer fallen. Lege ihr den Wunsch nahe, – verschweige aber meine Beihilfe; denn es widerstrebt mir der bloße Schein, für irgend ein Weib zärtliche Neigungen zu verraten. – Du verstehst mich?«
»Sehr wohl, Bürger!«
»Sodann muß ich Dir im Vertrauen gestehen, daß ein Aufenthalt in Paris für ein so schönes Mädchen überaus gefährlich ist,« fuhr Danton mit Nachdruck fort. »Wenn es in den Provinzen von Schurken wimmelt, die sich keiner Gewalttat gegen Frauen schämen, so gibt es in Paris noch weit mehr Mädchenjäger von dieser Sorte. Deshalb ist die strengste Zurückgezogenheit für Isabella notwendig. Sie darf weder Besuche machen, noch annehmen, – nicht einmal bei Tage zum Fenster hinausschauen, damit kein Falke die weiße Taube erspäht.«
»Darüber sei beruhigt! Bürgerin Rovere ist stets unsichtbar.«
»Und Du wirst sie mit tausend Augen bewachen, wenn Du Treue hast für Deine Herrin und Verständnis für deren höchst gefährliche Lage.«
David rückte an seiner hohen Mütze.
»Als ich Isabella hieher begleitete, tat ich es mit dem Gedanken an die Möglichkeit, eine Reise auf das Schafott zu machen. Daraus schließe auf den Grad meiner Treue und Anhänglichkeit, Bürger, und urteile, ob ich Schutz und Hut vernachlässige.«
»Du gefällst mir, – ein grundehrlicher Mensch! Dies alles nebenbei. Was ich bisher gesprochen, davon sagst Du Isabella kein Wort. Was jetzt folgt, hievon machst Du ihr getreue Mitteilung. – – Du sagst ihr, die Rettung ihres Vaters stoße auf bedeutende Schwierigkeiten, die ich jedoch mit Einsetzung meines vollen Einflusses und nicht ohne Gefahr für mein eigenes Leben zu überwinden hoffe. Ich habe sie jetzt noch nicht sehen und sprechen wollen, meldest Du ihr, weil meine Bemühungen noch nicht entscheidend seien. Aber ich sei bereits dahin gelangt, die Vorladung Roveres verschieben zu können und werde heute noch imstande sein, dessen Haft in der Abtei zu erleichtern. Morgen werde ich ihr nähere und jedenfalls günstige Nachrichten bringen. – Hast Du mich verstanden?«
»Sehr gut, Bürger! Bürgerin Isabella wird es beruhigen und trösten, Dich für die Rettung ihres Vaters tätig zu wissen.«
Danton öffnete die Türe und winkte den Wirt herein.
»Unsere Zeche?«
»Ist schon bezahlt!«
»Von wem?«
»Von den Verdiensten des Bürgers Danton für das Vaterland.«
Der Mann gebrauchte eine gewöhnliche Phrase, welche die Schulden einflußreicher Persönlichkeiten der Schreckensherrschaft tilgte. Danton selber machte von seiner Stellung den weitesten selbstsüchtigen Gebrauch. Er und seine Genossen im Amte bestahlen die öffentlichen Kassen und nahmen Geschenke. Bis zu einem solchen Grade gediehen Unterschleife und Raubgier der Konventshäupter, daß selbst ein Herbert in seinem Journal in die Klage ausbrach: »Wenn die Währwölfe, die uns regieren, statt uns wie Geier zu zerreißen, arbeitsam wären, würden die Sachen besser gehen. Nun aber raubt jeder seines Teils.« – Während seines Aufenthaltes bei der Armee in Belgien trieb Danton das Rauben in solchem Maßstabe, daß er einige Frachtwägen für sich beladen und nach Paris schicken konnte. Wachsmuth, Bd. II. S. 274.
Indessen machte er gegenwärtig von den Freiheiten der habgierigen Revolutionshäupter keinen Gebrauch. Er wollte sich Isabella empfehlen und warf eine Assignate von fünfzig Franken auf den Tisch, die jedoch bei der entsetzlichen Entwertung des republikanischen Papiergeldes kaum vier Franken galt.
»Mache Dich bezahlt, Bürger Wirt!«
Der Mann war verständig genug, die fast wertlose Assignate einfach in Silber umzuwechseln, ohne für die Zeche einen Centime anzurechnen. Danton strich das Geld ein und tat, als merke er den Handgriff nicht.
»Eine Kutsche wohl, – aber meine Pferde opferte ich dem Wohle des Vaterlandes.«
»Du hast sie der Armee geschenkt?«
»Nicht der Armee, sondern den Armen, Bürger! Oder vielmehr den Hungrigen. Bei dieser Hungersnot, hervorgerufen durch Kornwucherer und andere Vampyre, welche das Blut des Volkes saugen und vom Elende der Besten des Vaterlandes sich mästen, – ich sage, bei dieser Hungersnot darf ein echter Patriot kein Vergnügen haben und keine Lust. Deshalb warf ich mein Vergnügen in die brennenden Flammen meiner Vaterlandsliebe, entsagte meinen Pferden, schlachtete sie gleichsam auf dem Altare des Vaterlandes und setzte sie gekocht und gebraten meinen hungrigen Gästen vor.«
»Natürlich umsonst!« warf Danton ein, welcher in dem Hotelbesitzer einen jener schwülstigen Phrasenmacher fand, die unzählbar umgingen und in der widerlichsten Weise die Revolution verherrlichten.
»Fast umsonst, Bürger, – fast umsonst! Nicht auf Vorteil geht mein Streben, – ich schwöre es beim Tempel der Vernunft und bei der Majestät der Volkssouveränität!« Hiebei rückte er an seiner Mütze, geziert durch eine Guillotine von Blech, damals eine Mode, die sogar von Damen nachgeahmt wurde. »Mein Streben geht vielmehr dahin, der Brüderlichkeit der freien, souveränen Bürger Gut und Blut zu weihen. Freiheit ist meine Losung, – Gleichheit mein Gebot, – Brüderlichkeit mein Herrgott, – oder Tod mein Wunsch! Männer braucht das Vaterland!«
»Und ich brauche jetzt eine Kutsche mit einem guten Pferd,« unterbrach Danton den Phrasenmacher.
»Du sollst sie haben! Bevor zehn Minuten vergehen, steht sie dem ersten Bürger des Vaterlandes zu Gebote,« rief der Mensch und verschwand.
David hatte von dem ganzen Sanscüllotenjargon nichts vernommen. Mechanisch nach einer vor ihm liegenden Zeitung greifend, hatte er kaum einige Zeilen darin gelesen, als sich des Torwächters eine heftige Erregung bemächtigte. Er faltete schließlich das Papier zusammen und schob es unbemerkt in die Tasche.
»Trinke, Bürger!« sagte Danton, mit dem Glase anstoßend. »Bürgerin Rovere leidet doch keinen Mangel?«
»Sie hat geringe Bedürfnisse,« antwortete David.
»Äußert sie irgend einen Wunsch, – mein ganzes Vermögen steht ihr zur Verfügung.«
»Du bist sehr gütig, Bürger!«
»Beruhige sie wegen des Vaters. Ich hoffe, ihn sicher zu retten. Bin sogar entschlossen, meine eigene Sicherheit für das Wagnis einzusetzen.«
Der Wirt kehrte zurück.
»Die Kutsche steht bereit und ist stolz darauf, die teuerste Last des Vaterlandes aufzunehmen.«
Danton verabschiedete sich von David und verließ mit dem Wirte das Zimmer.
David eilte zu Isabella, die ihn ängstlich erwartete.
»Meine Gnädigste, was bringe ich?« rief er, die Zeitung emporhaltend. »Nachrichten von dem größten Helden der Gegenwart, von Paul von Valfort.«
Sie stieß einen Freudenschrei hervor und bebte an allen Gliedern. Dantons Kommen, das sie in Schrecken und bange Erwartung versetzt, – der Zweck ihres gefahrvollen Hierseins, – die zweifelhafte Rettung des Vaters, – alles war vergessen.
David las:
»Der Bürgerkrieg in der Vendee nimmt einen ganz unerwarteten und höchst ungünstigen Verlauf infolge der Tapferkeit und ausgezeichneten Führung der Insurgenten. Namentlich ragt über alle Bandenführer ein gewisser Paul Valfort durch Umsicht und kriegerischen Scharfblick hervor. Fortwährend organisiert und schult er die plumpen Bauernmassen und weiß von der bekannten Scharfschützenkunst des Bocage die furchtbarste Anwendung zu machen. Seine persönliche Tapferkeit und Kühnheit übersteigen alle Begriffe. Sein Beispiel des Mutes und der Todesverachtung reißt die Insurgenten fort und begeistert dieselben zu Unternehmungen, die an Tollkühnheit und blinde Verwegenheit grenzen. Die Insurgenten vergöttern ihn und vertrauen unbedingt seiner geschickten Leitung. Valforts Persönlichkeit soll auch ganz jene Eigenschaften in sich vereinigen, welche geeignet sind, die Massen zu begeistern. Er ist jung, von männlich schöner Gestalt, freundlich, herablassend und leutselig. Selbst den gefangenen Soldaten des Vaterlandes begegnet er mit Achtung. In der blutigen Schlacht bei Fontenay wurden viertausend Patrioten gefangen. Sämtliche Häuptlinge der Insurgenten forderten deren Tod. Valfort allein sprach für Milde und Schonung. Seinem Einflusse und seiner Beredsamkeit gelang es, die Viertausend zu retten, welche gegen den Eid entlassen wurden, ferner nicht gegen die Vendee zu kämpfen. Schade, daß ein Mann von solchen Vorzügen einer so schlechten Sache dient.«
Jedes Wort zum Ruhme des Geliebten hatte Isabella in sich aufgenommen wie ein Kleinod. David mußte die Lektüre wiederholen. Darauf sank sie nieder auf den Sitz und weinte Tränen der Freude, des Glückes und der Wehmut.
»O mein Paul, – mein Leben, – werde ich Dich wiedersehen?«
»Daran zweifle ich so wenig wie an dem Walten der Vorsehung,« versicherte im Tone fester Überzeugung der Torhüter. »Nun hören Sie, Gnädigste, was Danton sagen läßt!«
Er berichtete ausführlich. Aber es ist zweifelhaft, ob die Gräfin auch nur ein Wort von dem langen Berichte vernahm.
»Aus allem geht hervor,« – schloß David, »daß Othello Danton für meine Gnädigste wirkliche Teilnahme zeigt. Übrigens bleibt die Teilnahme eines Othello Danton doch eine fast gefährliche Sache. Wer traut blutdürstigen Ungeheuern? Die Bestie verleugnet niemals ihre Natur. Freilich, – Danton scheint mehr Löwe als Tiger zu sein. Der Löwe verrät zuweilen Großmut gegen Schwache, Edelsinn gegen Hilfsbedürftige. Dennoch hat er seinen Rachen, seine Krallen, seine blutlechzende Zunge und hört nicht auf, ein Ungeheuer zu sein.«
Allein der Warner mahnte eine Taube. Die Gräfin war dem Orte entrückt, sie weilte in der Vendee bei dem Helden Paul von Valfort.