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Gärung.

Vom Flügelschlage des Zeitgeistes getragen entfaltete die Nationalversammlung eine merkwürdige gesetzgeberische Tätigkeit. Es regnete und stürmte Gesetze. Auch der Klerus sollte sein veraltetes Kostüm nach katholischem Schnitt ablegen, und sich in zeitgemäße revolutionäre Fasson kleiden.

Am siebenundzwanzigsten September 1790 dekretierte die Nationalversammlung, jeder Geistliche habe den Bürgereid auf die Konstitution zu leisten. Da jedoch diese Konstitution Dinge enthielt, welche den religiösen Dogmen widersprachen, so war der befohlene Bürgereid gleichbedeutend mit Abfall vom Glauben.

Dennoch war für die Kirche das Revolutionsgesetz von heilsamen Folgen. Es hatte die Wirkung eines Reinigungsmittels. Die toten, faulen, vom Zeitgeiste durchfressenen Glieder am Leibe der Kirche fielen ab, die gesunden erstarkten, die schlafenden erwachten, die angesteckten heilte das belebte Pflichtgefühl. Dreißig Bischöfe und sehr viele Geistliche schwuren den Bürgereid, aber die Mehrzahl schwur ihn nicht.

In der Vendee blieb das Gesetz völlig unbeachtet. Glaubenstreue und Frömmigkeit des Klerus beharrten fest bei Pflicht und Amt. Das Volk hörte auf die Stimme seiner Hirten, und ließ sich in seiner ländlichen Tätigkeit und in dem Frieden der Heimat durch revolutionäre Geister nicht stören.

Am neunten Oktober 1791 erschienen die Zivilkommissäre Gallois und Gersonne in der Nationalversammlung zum Berichte. Sie schilderten die Zustände in der Vendee, sprachen von der Macht des Klerus und der Widersetzlichkeit des Volkes gegen die Errungenschaften der Revolution. Die Widersetzlichkeit schrieben sie auf Rechnung priesterlicher Umtriebe. Wachsmuth, B. I. S. 407.

Die Schilderungen der Zivilkommissäre kamen der Nationalversammlung gelegen. Ungläubige Sinnesart, sowie Haß gegen Religion und Priestertum, welche die meisten Deputierten erfüllten, drängten zu Gewaltmitteln. Es gab stürmische Sitzungen. Das Gesetz vom siebenundzwanzigsten Januar 1791, welches jeden eidverweigernden Priester des Amtes verlustig erklärte, sollte in der Vendee rücksichtslos durch Gendarmen und Nationalgarden vollzogen werden.

Mit Blitzesschnelligkeit gelangte die Kunde hievon nach der Vendee. Das Volk wurde unruhig. In dem engen Gesichtskreise ländlichen Berufes hatten nur wenige eine klare Vorstellung von der Sachlage. Man wollte sich verständigen, unterrichten. In allen Dörfern, Schlössern und Höfen verhandelte man lebhaft über den Gegenstand. Allein der Eifer für die Tagesfrage und die Anhänglichkeit an den Klerus machte den Bauern die Sache nicht klarer, vielfach sogar verworrener. Darin stimmten jedoch alle zusammen, daß man die Seelsorger an Gendarmen und Nationalgarden nicht ausliefere, sondern Gewalt mit Gewalt vertreiben werde. Naturgemäß drängte die wachsende Bewegung zu öffentlichen Versammlungen. Begeistert für den Glauben der Väter und die Freiheit der Heimat, stellte sich der Adel an die Spitze der Volksbewegung. Im ganzen Lande wurden Versammlungen organisiert.

Zu einer Bezirksversammlung war auch Schloß Valfort ausersehen und Paul der ehrende Auftrag geworden, Sprecher der Tagfahrt zu sein.

Von St. Jean und allen Höfen und Schlössern, auf sechs Stunden im Umkreise, eilten Barone und Bauern am bezeichneten Tage nach Valfort. Der Zusammenlauf war außerordentlich. Vom Adel des Bezirkes fehlte nicht ein Mann. Geraume Zeit vor Beginn der Versammlung strömten die Geladenen von allen Seiten herbei. In Gruppen und Scharen stiegen sie den Schloßhügel empor, an ihrer Spitze die Barone mit den Jungherren. Am Hoftor stand Herr Gottfried, froh die Gäste empfangend und begrüßend. Den weiten Hof belebten einige tausend Männer. Sie saßen auf Bänken und Stühlen, standen in Gruppen zusammen, oder lagen am Boden, öffneten kleine Bündel und verzehrten den mitgebrachten Mundvorrat. Herr Gottfried hatte seine großen Weinfässer angezapft. Das Schloßgesinde trug emsig volle Krüge durch die Menge. Die Gäste empfingen dankend die edle Gabe und zeigten beim Genusse die landesübliche Mäßigkeit.

Die Edelleute aßen, tranken und verkehrten mit den Bauern; denn jene verletzenden Standesunterschiede und herrische Kastenhoffart, welche im feudalen Frankreich die Grundherren von den Bauern trennten, kannte die Vendee nicht. Die ganze Versammlung machte den Eindruck freundschaftlicher Beziehungen und fast brüderlicher Vertrautheit. Gleiche Anschauungen und gleiche Interessen schlangen um alle ein festes Band der Zusammengehörigkeit.

Obwohl die Pfarrer den größten Einfluß besaßen und die Priesterwürde vor der Gläubigkeit die gebührende Hochachtung fand, mißbrauchten sie doch niemals ihre Stellung zu selbstsüchtigen Zwecken. Sie hatten sich vollzählig zur Versammlung eingefunden, bescheidene Männer in langen Talaren und breitkrämpigen Hüten, einfach und schlicht. Wie geistliche Väter und Hirten wandelten sie durch die Menge, Vertrauen, Ehrfurcht und Freude erweckend, wo sie erschienen.

Herr Gottfried war allgegenwärtig. Näheren Bekannten drückte er warm die Hand und grüßte mit freundlichen Worten.

Pater Oheim war von seinem Turmzimmer herabgestiegen. Er saß unter einer Linde, ihm zur Seite zwei greise Pfarrer, mit denen er sich lebhaft unterhielt.

An passender Stelle war die Rednerbühne errichtet, wie eine Kanzel mit einem Schalldeckel versehen, mit roten Tüchern behängt und geschmückt mit Kränzen von Eichenlaub.

In der Nähe der Bühne stand Paul im Gespräche mit seinem Vetter, dem jugendlichen Baron Laroche-Jaquelin, jenem glänzenden Helden, der sich in den Vendeekriegen unsterblichen Ruhm erworben.

»Man ist seinen Freunden die ganze Wahrheit schuldig,« sagte Paul. »Das Verschweigen der Wirkungen einer Ursache wäre aber nicht die ganze Wahrheit.«

»Sei folgerichtig, wie der Flug einer Büchsenkugel, die mitten in das Schwarze trifft,« versetzte lächelnd der Vetter.

Valfort sah nach dem Zifferblatt der Schloßuhr.

»Der Augenblick ist da!«

»Mit dem Schwerte Deines Wortes die Wahrheit zu verfechten,« ergänzte Laroche.

Paul bestieg die Bühne und klingelte. Die Unterhaltung verstummte. In dichter Masse umdrängten die erwartungsvollen Zuhörer die Rednerbühne.

»Meine Freunde!« begann die klangvolle Stimme Pauls. »Wir sind hier zusammengekommen in der Absicht, einen klaren Blick in eine höchst wichtige Angelegenheit zu gewinnen. Die revolutionäre Regierung verlangt von unseren Geistlichen den Bürgereid. Wer den Eid nicht leistet, soll abgesetzt und verhaftet werden. Die Sache hat zwei Seiten, eine religiöse und eine politische. Bei der Gegenwart hochwürdiger Pfarrer wäre es unbescheiden von mir, die religiöse Seite der Angelegenheit zu behandeln. Ein hochwürdiger Herr wird die Güte haben, uns darüber zu belehren. Ich spreche daher von der politischen Seite des Bürgereides für die Geistlichen.«

Der Redner machte eine kurze Pause. Die Zuhörer standen lautlos in gespannter Erwartung und in den Zügen das lebhafteste Interesse für den Gegenstand.

»Ein Geistlicher, welcher den geforderten Bürgereid leistet, verpflichtet sich, alle Gesetze der revolutionären Regierung zu befolgen,« fuhr Paul fort. »Der Bürgereid macht die Geistlichen zu Staatsdienern. Sie sind gehalten, sämtliche Maßregeln, Verordnungen und Gesetze der Regierung zu unterstützen mit dem Ansehen ihrer priesterlichen Würde. Sie müssen ihren geistlichen Einfluß dazu aufbieten, allen Befehlen und Bestimmungen der Regierung im Volke Geltung zu verschaffen. Um es kurz zu sagen, – der Bürgereid macht unsere Bischöfe und Pfarrer zu willenlosen Werkzeugen der Regierung. Sie werden Staatsbeamten wie jeder, der die Uniform des Königs trägt. Räder sind sie im Staatsmechanismus. Sie haben aufgehört, freie, unabhängige Sendboten Gottes und Prediger des Evangeliums zu sein, insofern Gesetze und Verordnungen des Staates dem Evangelium widersprechen.«

»Meine Freunde, bedenket, welche ungeheure, tief einschneidende politische und soziale Folgen der Bürgereid für den Klerus haben muß! Blicket in das Frankreich jenseits der Vendee! Dort gibt es seit Ludwig XIV. solche Staatsgeistlichen, – man nennt sie Gallikaner. Die Gallikaner gehorchen mehr dem Könige als dem Papste, – mehr dem Staate als der Kirche, mehr den Regierungsverordnungen als dem Evangelium. Welche Wirkung hatte dieser Zustand? Eine namenlos traurige und verderbliche. Die Könige und Minister machten die Bischöfe. Aber die Könige waren zuweilen lasterhaft, die Minister Ungläubige und Freimaurer. Kinder desselben Geistes waren auch gewöhnlich die von ihnen ernannten Bischöfe. Nicht fromme Hirten erhielt das Volk, sondern Mietlinge, manchmal sogar Wölfe. Die Nachfolger der Apostel waren Hofbischöfe, welche im Glanze des Königsthrones sich sonnten, das Vergnügen liebten und für die Herde keine Sorgen trugen. Gar viele Abbe und Pfarrer ahmten das Beispiel der Hofbischöfe nach. War ein Geistlicher fromm und pflichtgetreu, so wurde er als Fanatiker ausgeschrieen und verachtet.«

»Welche Früchte trugen diese kläglichen Zustände dem Volke? Naturgemäße. Wie die Hirten, so die Herde. Immer tiefer sank das verlassene Volk. Es verwilderte in seinen Sitten, es wurde eine Beute der Philosophen und Freimaurer. Habt Ihr gehört, wie gegenwärtig diese Söhne des Unglaubens in Frankreich hausen mit Mord und Brand? Wer hat teilweise dieses Mördervolk verschuldet? Die Staatspfaffen des Gallikanismus.«

»Meine Freunde, ganz dieselben Wirkungen müßten auch bei uns eintreten, wenn der Klerus aufhörte, seine erhabene Mission zu erfüllen, wenn er zu willfährigen Staatsdienern herabsänke, zu Werkzeugen einer gottlosen Regierung. Weshalb leben wir zufrieden und glücklich in unserer geliebten Heimat? Weil wir eine würdige Geistlichkeit haben, eifrige Diener Gottes, pflichtgetreue Seelenhirten, die uns lehren, das Irdische für Nebensache und die ewige Bestimmung für das Höchste zu betrachten. Daher gibt es bei uns keine Mißvergnügten, keine Verzweifelten, keine Männer des Umsturzes. Wir sind glücklich in der Einfachheit unserer Sitten. Luxus und Schwelgerei kennen wir nicht, weil erleuchtete Hirten, durch Vorbild und Gottes Wort, unsere Schritte festhalten auf der richtigen Bahn. Von Not und Armut wissen wir nichts, weil uns stets die Seelsorger einprägen, die Arbeit zu üben als christliche Pflicht, nach den Worten des Apostels: »Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen.« Ebensowenig kennen wir den ausschweifenden und hochmütigen Adel Frankreichs, welcher die Bauern drückt, quält und aussaugt. Unsere Barone verkehren mit den Bauern wie Brüder, behandeln dieselben als Freunde, – warum? Weil die guten Hirten nicht aufhören, die Barone zu erinnern, daß die Bauern vor Gott ihre Brüder seien, denen sie Wohlwollen und Liebe schulden.«

»So ist seit undenklichen Zeiten die Vendee ein Land der Eintracht, der Verbrüderung und des Glückes. Wem verdanken wir diese beneidenswerten Zustände? Unserer heiligen Religion, deren Geist in allen Verhältnissen lebt, alles durchdringt.«

»Aber, meine Freunde, diese glücklichen Zustände müßten aufhören, sobald die Geistlichkeit den Bürgereid leistet und aus Sendboten Gottes zu Staatsdienern herabsänke. Gibt es nicht Minister, die Ungläubige und Freimaurer sind? Wohlan, – in welche Stellung geraten Bischöfe und Pfarrer, wenn sie Religionsfeinden gehorchen müssen? Können sie noch getreue Hirten und fromme Seelsorger sein? Unmöglich! Die Sache liegt ja auf der Hand! Wenn die Ursache unseres irdischen Wohlergehens in religiösem Sinn und Wandel, in Gottesfurcht und Tugend begründet ist, was muß werden aus unserer Wohlfahrt, wenn die Geistlichkeit aufhört, Gottesfurcht und religiösen Wandel zu verbreiten, – die Tugenden uns gleichsam vorzuleben durch eigenes Beispiel? O, meine Freunde, wenn das Salz schal geworden, womit soll man salzen? Wird nicht die Fäulnis der französischen Lande auch uns ergreifen? Müssen wir nicht entarten und verkommen? Werden nicht Zufriedenheit und Glück von uns weichen, weil die guten Hirten verschwanden oder sich gar in Wölfe verwandelten?«

»Dies, meine Freunde, ist in kurzer Andeutung die politische und soziale Seite des Bürgereides für den Klerus. Betrachtet diese folgenschwere Seite genau und ihr alle werdet mit mir sagen: Nein, unsere Geistlichen dürfen niemals den Bürgereid leisten!«

Der Redner verbeugte sich und stieg herab.

Die Zuhörer hatten mit gespannter Aufmerksamkeit den Worten gelauscht, beistimmend mit den Köpfen genickt. Jetzt riefen und klatschten sie Beifall, überzeugend und allgemein war der Eindruck, weil die Rede mit der religiösen und politischen Überzeugung der Zuhörer zusammenklang.

Laroche drückte seinem Vetter die Hand.

»Du hast Deine Aufgabe ausgezeichnet gelöst, mein lieber Paul! Bedeutung und Folgen des Bürgereides hast Du so handgreiflich dargestellt, daß sie auch von den Fäusten des hartköpfigsten Pächters angefaßt werden konnten.«

Ein alter Baron beglückwünschte Pauls Vater.

»Gottfried, Dein Sohn verstehts! Betrachte unsere Bauern, wie ihnen der Bürgereid die Zungen löst und die Fäuste ballt! Die Tücke der revolutionären Sippschaft empört auch die Gutmütigsten. Wird auf allen Versammlungen die Sache so klar und verständlich gemacht, dann weiß das Volk der Vendee, was die Antichristen anstreben und was es zu tun hat.«

Frau Salome, Pauls Mutter, hatte am offenen Fenster gestanden, der Rede ihres Sohnes lauschend. Ihr Mund lächelte und strahlende Freude berechtigten Mutterstolzes glänzte in ihrem Angesichte.

Pfarrer Pampin aus St. Jean, ein hochbetagter Mann, bestieg die Bühne. Sofort verstummte der Lärm einer lebhaften Unterhaltung. Schlicht war die Redeweise des Pfarrers und kräftig seine tief tönende Stimme:

»Meine lieben Freunde!« hob er an. »Der gnädige Jungherr Paul hat uns die politische und soziale Seite des Bürgereides für die Geistlichen geschildert und zwar in meisterhafter und wahrheitsgetreuer Weise. Jetzt will ich Euch kurz die religiöse Seite zeigen.«

»Ihr wißt alle schon aus dem Katechismus, daß unser Herr Jesus Christus eine Kirche oder Gemeinschaft der Gläubigen gestiftet hat. Seine Kirche hat er gebaut auf einen unerschütterlichen Felsen, der Fels aber ist Petrus, das sichtbare Oberhaupt der Kirche und dessen Nachfolger, die Päpste. Ferner wißt ihr, daß Christus Apostel und Jünger ausgewählt und in alle Welt gesendet hat, mit dem Auftrage, das Evangelium zu predigen, die heiligen Sakramente zu spenden und die christliche Herde als gute Hirten zu leiten. Mithin hat Gott seiner Kirche eine Organisation, das heißt eine innere Einrichtung gegeben. Er hat ein Lehramt, ein Priesteramt und ein Hirtenamt eingesetzt. Wohl gemerkt, Christus hat nicht den König Herodes oder den Kaiser Augustus oder sonst eine weltliche Regierung beauftragt, sie möchten Apostel, Jünger, Bischöfe, Priester und Hirten für seine Kirche anstellen, – er hat dies selber getan. Und bei dieser Einrichtung soll es bleiben bis zum Ende der Welt. Vom Statthalter Gottes auf Erden, vom sichtbaren Oberhaupte der Kirche, vom Papste, geht alle geistliche Gewalt und alle Vollmacht in der Kirche aus. Das ist katholisches Dogma, das ist Glaubenslehre. Wer dies leugnet, der trennt sich von der Kirche Gottes, er wird Ketzer oder Irrlehrer.«

»Was befiehlt nun die Konstitution oder das Gesetz, welches die Nationalversammlung gemacht hat? Dieses Gesetz befiehlt, daß die Bischöfe nicht vom Papste ernannt oder bestätigt werden, sondern von weltlichen Beamten, von den Wahlversammlungen der Bezirke. Desgleichen sollen die Pfarrer nicht von den Bischöfen, sondern von denselben weltlichen Beamten gewählt und mit geistlichen Vollmachten ausgerüstet werden. Da nun auch Juden, Ungläubige und Freimaurer zu den Beamten gehören, so werden unsere Bischöfe und Pfarrer von Juden, Ungläubigen und Freimaurern gemacht.«

»Wie ihr deutlich sehet, meine lieben Freunde, so widerspricht dieser Gesetzesartikel der Konstitution schnurstracks der Lehre Christi und seiner Einrichtung in der Kirche. Wenn daher ein Geistlicher den Bürgereid schwört, so fällt er ab vom katholischen Glauben. Käme ein solcher Geistlicher in eine Gemeinde, so wären alle seine priesterlichen Amtshandlungen nichtig, sogar im höchsten Grade sündhaft. Er dürfte weder predigen, noch Messe lesen, noch die heiligen Sakramente spenden. Täte er's dennoch, so beginge er ebensovielmal Gottesraub. Warum? Weil er von der Kirche nicht gesendet ist, weil er keine Vollmachten hat, weil er vom katholischen Glauben abgefallen ist. Wie kann jemand Vollmachten erteilen, die er selber nicht besitzt? Die Regierung, die Bezirksbeamten, haben aber keine Vollmachten in religiösen Dingen, – mithin können sie dieselben auch nicht erteilen. Nur der Oberhirt der Kirche, der Papst, und die mit ihm vereinten Bischöfe, haben von Gott die Vollmacht, seine Kirche zu leiten, zu regieren, Hirten und Seelsorger aufzustellen.«

»So verhält sich die Sache, meine lieben Freunde! Mithin kann ein Geistlicher unmöglich den verlangten Bürgereid leisten. Hat ers aber dennoch getan, so darf ihn die Gemeinde nicht annehmen, nicht als ihren Hirten und Seelsorger betrachten.«

Der alte Pfarrer von St. Jean verließ die Rednerbühne. Seine schlichten Worte, so inhaltsschwer für ein gläubiges Gemüt, hatten bange Befürchtungen für die Zukunft in den Herzen geweckt. Die Hörer standen ernst und nachdenkend. So gefährlich und religionsfeindlich hatten sich nur wenige den Bürgereid gedacht.

Abermals erschien Paul auf der Rednerbühne, Papierstücke und einen Bund Bleistifte in der Hand.

»Meine Freunde, wir müssen uns organisieren!« rief er. »Man weiß nicht, was kommt. Es könnten noch viele Zusammenkünfte notwendig sein. Da es nun aber den Bürgern vieler Gemeinden schwer fiele, die Versammlungen zu besuchen und ihre Arbeiten zu unterbrechen, so mache ich einen Vorschlag. Jede Gemeinde wählt aus ihrer Mitte zwei einsichtsvolle Männer, als ihre Vertreter. Unser Bezirk zählt fünfzehn Gemeinden, mithin gäbe es dreißig Vertreter. Diese dreißig Gewählten bilden einen Bezirksausschuß, besuchen im Namen ihrer Gemeinden die Versammlungen und fassen die notwendigen Beschlüsse. Da Schloß Valfort in Mitte des Bezirks liegt, so stellt mein Vater sein Haus zur Verfügung. – Seid Ihr mit diesem Vorschlage einverstanden?«

»Ja, – ganz klug erdacht, – einverstanden!« lautete die tausendstimmige Antwort.

»Wohlan, meine Freunde, tretet nach Euren Gemeinden zusammen!« rief Paul. »Hier ist Papier und Bleistift. Ich bitte die hochwürdigen Pfarrer, die Namen der Gewählten aufzuzeichnen.«

Papierstreife und Stifte wanderten durch die Menge. Die Wahl begann und war in fünf Minuten vollendet. Paul verlas die Namen der Gewählten, unter denen auch er sich befand. Jede Gemeinde hatte einen Bauer und einen Adeligen erkoren.

»Ich ersuche die Gewählten,« schloß Paul, »um eine kurze Besprechung und danke in ihrem und meinem Namen den Wählern für das geschenkte Vertrauen. – Meine Freunde, die heutige Versammlung ist hiermit aufgelöst. Kehret in Eure Gemeinden zurück und vertrauet auf Gott, sowie auf unsere gute Sache.«

Bevor die Masse in Bewegung kam, rief eine gewaltige Stimme: »Wir danken alle der gnädigen Herrschaft für die gute Aufnahme. Hoch, – Valfort hoch!«

»Hoch, – dreimal hoch, – Valfort hoch!« riefen Bauern und Barone, indem sie Hüte und Mützen schwenkten.

Bei der eingetretenen augenblicklichen Pause nach den Hochrufen, ließ sich eine Stimme hören: »Bürger, singen wir das schöne Lied: »Wir stehen fest!« – und vorwärts marsch!«

Das Lied begann, von einigen tausend kräftigen Männerstimmen gesungen. Zu gleicher Zeit setzte sich die Menge in Bewegung und zwar im Taktschritte einer religiös kriegerischen Melodie. Auch der Text des Liedes trug den Charakter gläubigen Selbstbewußtseins, fast trotziger Entschlossenheit. Die Männer sangen:

Wir stehen fest im Christentum,
Der Glaub' ist unser Heiligtum,
Den soll uns Niemand rauben!
Die böse Welt, der Lügengeist,
Und was sonst Gottes Feinde heißt,
Wir schlagen sie im Glauben.

Der echte Christ lebt frohgemut,
Weil er nichts Schlechtes, Frevles tut,
Er steht in hohen Ehren.
Den falschen Christ trifft arge Schmach,
Verdammnis einst am jüngsten Tag,
Weil er sich ließ bethören.

Die Menge marschierte den Schloßhügel hinab, in Reih' und Glied, in schlagfertiger Haltung, wie in den Kampf. Ihr Singen hatte einen kriegerischen, stürmischen Klang, es brauste durch das Tal und brach sich in donnernden Tonwellen an den Hügeln. Dieses tausendstimmige Lied, mit Kraft und Begeisterung vorgetragen, war von erschütternder Wirkung und zugleich der Ausdruck einer tiefgehenden Volksstimmung. Ein Volk aber, das für eine erhabene Idee zu kämpfen und zu sterben sich aufrafft, ist unüberwindlich.

Hanna stand vor dem Tor, folgte mit Aug' und Ohr den Abziehenden und trocknete mit der Schürze herabrollende Tränen.

»Ich mein' gar, Du greinst?« rief der nahende Pierre.

»Es ist gar zu rührlich!« antwortete sie. »Horch nur, was für ein Singen! Es braust wie das Meer und fährt wie Donner um die Berge. Das greift mir in die Seele!«

»Schön ist's, – prächtig und andächtig, – man kann's nicht leugnen!« gestand Pierre. »Und mein Baron, – he! Hast Du ihn gehört?«

»Freilich hab' ich ihn gehört!«

»Nun, – was sagst Du dazu?«

»Der Herr ist nach allen Seiten vollkommen.«

»Nicht wahr? Gelt, – mein Baron, der kann reden?«

»Aber der Knecht, – hm!«

»Was ist's mit dem Knecht? Du meinst doch mich?«

»Ganz gewiß!«

»Was ist's mit dem Knecht?«

»Gar nicht weit her,« antwortete sie schalkhaft.

»So, – gar nicht weit her? Warum? Weil ich Dir so nahe bin. Ich kann ja gehen,« und er schritt von dannen.

»Aber – Pierre!« rief sie ihm nach.

Er wandte sich um, schwenkte die Mütze und rief: »Mein Baron soll leben!«

Durch das ganze Land wurden Versammlungen gehalten und Bezirksausschüsse gewählt. Die Pläne des Unglaubens enthüllten sich und die Gläubigen rafften sich auf zur Abwehr.

Die Zivilkommissäre beobachteten die Bewegung und sammelten Material. Wiederum hielt Gersonne einen Vortrag in der Nationalversammlung. Die Wirkung des Berichtes war eine folgenschwere. Es dekretierte nämlich die Nationalversammlung, binnen acht Tagen habe jeder Geistliche den Bürgereid zu schwören, wer sich dessen weigere, sei als Empörer zu verhaften und mit zweijährigem Kerker zu bestrafen. Wachsmuth, Bd. I. S. 408.

Dessenungeachtet beharrte die Geistlichkeit der Vendee in ihrer Pflicht. Es gab nicht einen Abtrünnigen.

Mit Argusaugen bewachte das Volk die Haltung seiner Pfarrer. Die Regierung hatte erledigte Pfarreien mit beeidigten Geistlichen besetzt, mit feilen Knechten, die man aus Paris nach der Vendee geschickt. Allein das Volk mied deren Gottesdienst. Es bezeichnete dieselben als Judasse und verabscheute sie in solchem Maße, daß ihnen die Gemeinde die Bezahlung des Lebensunterhalts verweigerte. An Sonn- und Feiertagen blieben die Kirchen der Beeidigten leer. Bauern und Barone gingen meilenweit zum Gottesdienste pflichtgetreuer Geistlichen. Wachsmuth, Bd. II. S. 145.

Nach einigem Zögern schritten Gallois und Gersonne zur gewaltsamen Durchführung der Regierungsverordnung. Sie taten es vorsichtig, wie Menschen, die höchst gefährliche Zündstoffe berühren. Der erste Schlag sollte den alten Pfarrer Pampin von St. Jean treffen.

Paul saß im Turmzimmer, dem Pater Oheim über die letzte Bezirksversammlung berichtend.

»Man ist zu jedem Opfer bereit und entschlossen, den Glauben der Väter und die Freiheit der Heimat mit dem letzten Blutstropfen zu verteidigen. Die gleiche Begeisterung herrscht in der ganzen Vendee. »Gut und Blut für unsere Religion und Freiheit!« – das ist die Losung allenthalben. Unsere Bezirksausschüsse stehen mit einander in enger Verbindung. Wenn es gilt, verwandeln sich dieselben in eben so viele Kriegsausschüsse.«

»Deine feurig blitzenden Augen scheinen diese Möglichkeit herbeizuwünschen,« sprach lächelnd der Greis.

»Ich wäre allerdings bereit, für Glauben, Recht und Freiheit zu kämpfen.«

»Zum Kampfe wird es kommen, mein Sohn!« versetzte ernst der Pater. »Der Aufhebung unseres Ordens wirst Du entnommen haben, daß er nicht der Laune eines Mächtigen, sondern dem religionsfeindlichen Zeitgeiste zum Opfer fiel. Die Vernichtung der Gesellschaft Jesu bedeutet den ersten Triumph der Revolution. Bei diesem ersten Schritte wird Belial nicht stehen bleiben. Ein Vorwerk der Kirche hat er genommen; nun schreitet er zum Sturm gegen die ganze Kirche. Die Gesetze der Nationalversammlung zeigen klar diese Absicht. Mächtig sind die Pforten der Hölle, – die Gegenwart ist ihre Stunde, sie werden dieselbe benützen. Vielleicht schreitet der entfesselte Satanismus fort bis zur Entthronung Gottes. Ich halte diesen Blödsinn sogar für wahrscheinlich, weil ihn die Vergangenheit entwickelt und gereift hat. Gottesleugnung gilt ja längst in vermeintlich gebildeten und wissenschaftlichen Kreisen als Merkmal zeitgemäßer Aufklärung. Deshalb wird sich die Revolution keineswegs auf Frankreich beschränken, sondern auch jene Länder ergreifen, die bereits von der falschen Philosophie Frankreichs erobert wurden. Religionshaß und Gottesverachtung haben Dämonen und Bestien erzeugt, deshalb werden Dämonen und Bestien durch die Länder wüten. Die Vendee aber, dieses fromme Kind unserer heiligen Mutter, wird die Rasenden zum wildesten Grimme entflammen.«

»Sie mögen kommen, Pater Oheim!« rief Paul mit blitzenden Augen und brennenden Wangen. »Der Wolfsjagden sind wir kundig, – zur Abwechslung jagen wir Bestien und verkörperte Dämonen. Wir stehen nicht allein im Kampfe, – Gott ist mit uns! Auch die Wälder, Berge, Schluchten und Gewässer der lieben Heimat sind mit uns.«

In die Worte des jungen Mannes hallten gellende Glockenschläge.

»Was ist das?« unterbrach sich Paul.

Er trat lauschend zum Fenster.

»Bei Gott, es stürmt in St. Jean!« rief er in wilder Aufregung. »Die Unholde sind da, es schreien die Glocken um Hilfe!«

Er stürmte hinaus. In weiten Sätzen sprang er die Wendeltreppe hinab nach dem Hofe, wo das bestürzte Gesinde nach dem Schloßtore lief.

»Pierre, mein Pferd!« rief Valfort, seinem Getreuen zu. »Mein Pferd, – nicht lange gesattelt, – gleich heraus!«

Als Pierre gegen die Sattellosigkeit Einwendungen machen wollte, lief der heftig erregte Baron nach dem Stalle und löste eigenhändig den Renner. Zur Not warf noch Pierre das Riemenzeug des Zügels über den Kopf des Rappen und drückte ihm das Gebiß ins Maul; denn schon hatte sich Paul auf dessen Rücken geschwungen. Jetzt trabte er über den Hof und galoppierte den Hügel hinab.

Pierre stand einen Augenblick unentschlossen, die Hand am Kopfe, mit den Augen dem Enteilenden folgend.

»Da muß ich auch dabei sein!« rief er, bestieg seinen Klepper und jagte nach.

Als die Glocken in St. Jean zu stürmen begannen, liefen alle Bewohner nach den Fenstern und spähten nach emporwirbelnden Rauchsäulen des vermeinten Brandes.

»Wo brennt's?« rief ein Bauer einem laufenden Burschen zu.

»Es brennt nicht, – zehn Gendarmen sind da, – wollen unseren Hochwürdigen holen,« antwortete der Junge, ohne das Laufen einzustellen.

»Himmel – Herrgott!« schrie der Bauer, fand den Umweg durch die Türe zu weit, sprang zum Fenster hinaus und rannte nach dem Pfarrhause.

Dort war in kurzer Frist die ganze Gemeinde versammelt, Männer, Weiber und Kinder. Den freien Platz vor Kirche und Pfarrhaus besetzte eine dicht gedrängte Menge. Über den Köpfen ragten drohend Heugabeln, Äxte, wuchtige Prügel und was sonst gerade in die Hände fiel. Nicht wenige Männer trugen Büchsen, eine sicher treffende Feuerwaffe geübter Wolfsjäger. Eine heiße Gärung kochte in der Masse. Kinder weinten, Frauen schmähten auf die Henkersknechte der Revolution. Die Männer blickten drohend und schienen zum äußersten entschlossen.

Die Türe des Pfarrhauses war verriegelt. Bewaffnete Bauern hatten die Treppe besetzt.

Der Brigadier von Montfaucon, zwei Gendarmen und sieben Nationalgarden mit aufgepflanzten Bajonnetten hielten ratlos vor dem Hause. Sie betrachteten die grimmen Gesichter, die geschwungenen Waffen, hörten kräftige Schmähreden und fanden es gefährlich, das Gesetz zu vollziehen.

»Galibert,« redete der Brigadier einen Breitschulterigen an, welcher dräuend vor der Türe stand, »ich habe Sie als einen verständigen Mann kennen gelernt. Ich appelliere auch jetzt an Ihren gesunden Verstand. Urteilen Sie: – die Gemeinde St. Jean lehnt sich auf gegen die Obrigkeit, – was muß hievon die Folge sein?«

Aber Galibert, von nicht geringem Ansehen in der Gemeinde und in den Bezirksausschuß gewählt, fand sich keineswegs geschmeichelt durch die Anrede des Brigadiers.

»Sie scheinen von meinem Verstande gerade keine hohe Meinung zu haben,« rief er entgegen. »Ihre Worte spekulieren auf meine Dummheit. Was reden Sie von Auflehnung? Wir verteidigen unsere Freiheit, unser Recht, unseren Pfarrer, den man fortschleppen und wahrscheinlich an die Laterne hängen will, – und das nennen Sie Auflehnung gegen die Obrigkeit?«

»Von Aufhängen kann durchaus keine Rede sein!« versicherte der Brigadier.

»Nicht? Sie halten uns für so einfältig, Brigadier? Ist das Aufhängen jetzt nicht Mode in Frankreich?«

»Ich sage Ihnen, Galibert, von Aufhängen kann und darf hier keine Rede sein! Pfarrer Pampin wird verhaftet, weil er den Bürgereid verweigert.«

»Nichts da!« schrieen die Bauern. »Wir lassen unseren Pfarrer nicht verhaften. Wer ihn anrührt, den schlagen wir tot!«

»Aber, gute Leute, weshalb beschwört Pfarrer Pampin die Konstitution nicht?«

»Weil er kein Judas werden will! Weil die Konstitution gegen unsere Religion ist!« antworteten die Bauern.

»Der König hat die Konstitution bestätigt, – wollt Ihr Euch empören gegen den allerchristlichsten König?«

Bei dem Einwurf standen die königstreuen Bauern verblüfft.

»Das sind Kniffe!« rief Galibert. »Der König hat tun müssen, was er nicht gewollt hat. Und angenommen, – freiwillig hätte er die Konstitution bestätigt, was kümmert das uns? Wir sind Katholiken, – wir verwerfen ein Ding, das gerichtet ist gegen unsere Religion. In Glaubenssachen hat der König gar nichts zu befehlen, – der Papst ist unser Kirchenoberhaupt, nicht der König. – So steht der Handel, Brigadier! Seid gescheidt, – zieht ab mit Euren Bajonnetten! Unseren Seelsorger lassen wir nicht fortschleppen. Eine schöne Herde, die ihren Hirten Revolutionswölfen in den Rachen wirft!«

»Bravo, Galibert, bravo!« riefen die Bauern.

»Bürger von St. Jean, seid klug!« rief der Brigadier. »Hört mein letztes Wort! Ich meine es wahrhaftig gut mit Euch! Die Regierung befiehlt die Verhaftung Eures Pfarrers. Ihr verhindert die Ausführung des Befehles. Was wird demnach geschehen? Die Regierung wird ein ganzes Regiment schicken, und die Soldaten werden hier so hausen, wie es Euch nicht lieb sein kann. Darum sage ich, nehmet Vernunft an!«

»Die Regierung mag tun, was sie will, – wir tun was wir können und müssen,« antwortete Galibert.

»Unser Jungherr Paul!« rief eine Stimme. »Platz für den gnädigen Baron!«

Glühenden Gesichtes nahte Valfort der Treppe, wo ihn der Brigadier salutierend empfing.

»Was gibt es hier? Weshalb der Zusammenlauf?«

»Mir wurde der Befehl, Pfarrer Pampin zu verhaften,« antwortete der Brigadier. »Die Gemeinde widersetzt sich, ohne die schlimmen Folgen ihrer Handlungsweise zu bedenken. Ich bitte Sie, Herr Baron, mich zu unterstützen, und zwar im Interesse der Gemeinde.«

Paul stand überlegend.

»Ich begreife, Brigadier!« sagte er. »Folgen Sie mir, – ein Wort im Vertrauen!«

Er ging mit dem Brigadier bei Seite, beobachtet von der staunenden Menge, die ein ganz anderes Verhalten des Jungherrn erwartete. Nur Galibert lächelte; er ahnte eine List.

Allein die Worte Valforts an den Mann des Gesetzes enthielten keine Spur irgend eines listigen Anschlages.

»Dieser Handel könnte blutige Folgen haben,« sprach er. »Sie tun einfach Ihre Schuldigkeit, – natürlich! Allein die Regierung sollte vorsichtiger sein. In meiner Denkschrift hatte ich doch ausführlich den Charakter meiner Landsleute geschildert. Sendet die Regierung eine Armee nach St. Jean zur Durchführung ihrer Befehle, so haben wir einen Aufstand in der ganzen Vendee.«

»Was Sie sagen, ist nicht unwahrscheinlich, Herr Baron! Ich kann von der Starrköpfigkeit und Verwegenheit dieser Bauern erzählen. Aber die Regierung muß Ernst zeigen, wenn's gilt, dem Gesetze Achtung zu verschaffen.«

»Begreiflich, Brigadier! Indessen unbegreiflich, wie man solche Gesetze machen konnte. Die Leute wollen nicht einsehen, daß ihr Widerstand ein Unrecht sei, weil die Volksvertretung das Unrecht zum Gesetz machte. Die Bauern meinen, ihrer Pflicht zu gehorchen, wenn sie den Geistlichen schützen, der gerade deshalb ein höchst achtungswerter Priester sei, weil er den Eid nicht leistet. Nebenbei halten sie es für die größte Schmach, ihren Seelsorger auszuliefern.«

»Das merke ich!« bestätigte der Brigadier.

»Geht die Regierung auf dieser Bahn weiter, so wird sie das Volk der Vendee zum Aufstande treiben.«

»Ich glaube dies selbst, habe jedoch dem Kommando meiner Vorgesetzten zu gehorchen.«

»Selbstverständlich, Brigadier! Faßt man jedoch die Sache klug an, so könnte Blutvergießen gemieden werden.«

»Dürfte ich um Ihren Rat bitten, Herr Baron?«

»Hören Sie einen Vorschlag!« antwortete Paul. »Die Bauern beunruhigen und empören vorzüglich die blitzenden Gewehrläufe und aufgesteckten Bajonnette vor dem Pfarrhause. Rufen Sie Nationalgarden und Gendarmen zurück. Trinken Sie mit den Leuten im Elefanten einige Schoppen, während ich alles aufbieten will, die Menge zum Auseinandergehen zu bewegen. Dann müssen wir auf ein Mittel sinnen, den Pfarrer unbemerkt aus dem Dorfe zu bringen.«

»Ihr Rat klingt verständig. Man könnte die Sache probieren.«

»Im Elefanten erwarten Sie meinen Bericht.«

»Sehr gut, Herr Baron!«

Die Bewaffneten verließen ihre Stellung und gingen nach dem Elefanten.

Valfort stand auf der Treppe und musterte forschenden Blickes die Menge. Er hob die Hand und winkte Stille.

»Die Bürger, deren Namen ich nenne,« rief er, »lade ich zu einer Besprechung im Glockenturm ein. Galibert, – die beiden Levin, – Manuel, – Dumont der erste, der zweite, der dritte und vierte, – Fabret, – Gavat, – die beiden Clery.«

Paul hatte die Glieder der angesehensten Familien gerufen. Er schritt nach der Kirche. Die Männer folgten ihm, kräftige Gestalten.

Die Menge stand überrascht.

»Was soll dies bedeuten? Aufgepaßt, – es geht was vor! Wir wollen sehen, – wir weichen nicht von der Stelle.«

Ähnliche Reden gingen um. Wäre nicht Pauls Gesinnung makellos und sein Ansehen unerschütterlich gewesen, Argwohn gegen die Redlichkeit seiner Absichten hätte die erregten, bei solchen Anlässen zum Mißtrauen geneigten Gemüter beschleichen müssen.

Die Beratung in der Turmhalle dehnte sich. Die außen stehenden Bauern lauschten. Aber die geschlossene Türe ließ nur dumpfe Laute hervordringen. Man hörte Pauls Stimme in langer Rede, dann Gemurmel des Einverständnisses und des Beifalls. Als sich die Türe öffnete und die Männer heraustraten, lagen Freude und Befriedigung auf ihren Gesichtern. Während Paul nach dem Elefanten ging, mischten sich die übrigen unter die erwartungsvolle Menge. Mit gedämpften Stimmen erklärten sie den atemlos Lauschenden Zweck und Inhalt der Beratung. Da und dort schlugen halbunterdrückte Rufe freudigen Einverständnisses empor. Ein Mitteilen, Flüstern und Kopfnicken ging durch die Versammlung. Manche rieben vergnügt die Hände, sahen lachend nach dem Elefanten und geheimnisvoll nach dem Pfarrhause. Nur einige alte Weiber schüttelten bedenklich die Köpfe.

»Wenn's glückt! Es könnt' auch fehlschlagen,« meinten sie.

Sofort wurden sie überstimmt.

»Fehlschlagen? Kein Gedanke! Unser Jungherr hat einen Kopf! Die werden Augen machen, – ha – ha! Was können wir dafür? Die Leute von St. Jean sind ganz unschuldig!«

»Nur stille, – schweiget!« mahnten andere. »Ein Wort, – ein Laut könnte alles verderben.«

Inzwischen hatte Paul mit dem Brigadier eine geheime Unterredung.

»Ich habe die einflußreichsten Männer zur Beruhigung der Gemeinde gewonnen,« erklärte er. »Nun müssen wir den Pfarrer bestimmen, eine Ansprache in gleichem Sinne an die Leute zu richten. Schließlich werden wir ihn bereden, freiwillig mit Ihnen zu gehen.«

»Das wird er nicht, Herr Baron!«

»Gewiß! Der Mann ist opferwillig. Er wird die härtesten persönlichen Mißgeschicke zu erdulden bereit sein, um schweres Unglück von der Gemeinde abzuwenden.«

»Sie meinen wirklich, Herr Baron?«

»Wirklich, Brigadier! Herr Pampin wird den Bibelspruch befolgen: ›Jeder gute Hirt läßt sein Leben für seine Schafe‹.«

»Das wäre doch merkwürdig!« gestand der Gendarm.

»Sogar bewunderungswürdig, Brigadier! Folgen Sie mir. Damit uns die Bauern nicht bemerken, gehen wir durch den Garten in das Pfarrhaus.«

Zehn Minuten später empfing der greise Pfarrer den Besuch.

Beim Beginn des Zusammenlaufes hatte er sich am Fenster gezeigt, die geängstigten Pfarrkinder zu beruhigen gesucht. Als er jedoch die entgegengesetzte Wirkung seiner Bemühungen sah und wahrnahm, daß sein Erscheinen die Leute noch mehr aufrege, hatte er sich zurückgezogen. Schließlich war er auf den Betschemel hingesunken, sich und die Seinigen dem Schutze des Allerhöchsten empfehlend.

»Ah, – Herr Baron! Ich wußte, daß Sie auch in der Not mein Freund sein werden,« sprach er treuherzig, dem jungen Mann die Hand reichend. »Wüßte ich nur ein Mittel, aus dem Tumult herauszukommen! Allein der Brigadier muß, – und die guten Leute wollen nicht.«

»So liegt die Sache wirklich, Hochwürden!« sagte Valfort. »Würde auch der Brigadier mit den Bewaffneten abziehen, – was hätten wir gewonnen? Gar nichts! Im Gegenteil, die Sache müßte sich verschlimmern. Die Regierung würde ein Bataillon nach der rebellischen Gemeinde schicken.«

»Ein ganzes Regiment,« versicherte der Brigadier.

»Die Gemeinde würde geplagt, zertreten, ruiniert!«

»Mein Gott, welche Aussichten!« klagte Pampin.

»Furchtbare Aussichten!« bestätigte der Brigadier. »Man könnte nicht gut dafür stehen, daß die erbitterten Nationalgarden die Bauern mißhandeln, erschießen, erstechen.«

»Entsetzlich! Das müssen wir verhüten,« rief der Greis.

»Sie allein könnten dies Unglück abwenden, Hochwürden!« versetzte Paul.

»Ich bin bereit, – zu allem bereit, – reden Sie! Jeder gute Hirt läßt sein Leben für seine Schafe.«

Paul sah lächelnd auf den staunenden Brigadier.

»Ich erlaube mir, Ihnen den einzigen Rettungsweg zu empfehlen«, begann Valfort. »Die Gemeinde beharrt mit solcher Entschiedenheit auf ihrer Pflicht, daß sie eher Gendarmen und Nationalgarden erschlagen, als die Gefangennahme ihres Geistlichen gestatten würde. Deshalb müssen wir die guten Leute täuschen. Ich denke so! Der Brigadier zieht unverweilt mit den Bewaffneten ab. Darauf ersuchen Sie die Menge, nachhause zu gehen, was ohne Widerspruch geschehen wird, indem ja die Gendarmen das Dorf verlassen haben. Hochwürden stecken nur das notwendigste zu sich, – etwa Ihr Taschenbrevier und die Tabaksdose; alles übrige werde ich Ihnen morgen nach Montfaucon senden. Sie nehmen Rock und Hut, und ich begleite Sie auf Ihrem gewöhnlichen Spaziergang. Inzwischen erwartet uns der Brigadier im Walde, – etwa beim alten Kreuze. Dorthin geleite ich Sie, Herr Pfarrer, und die große Gefahr für St. Jean wurde glücklich abgewendet.«

»Sehr gut, – ausgezeichnet!« rühmte der Brigadier. »Bin vollständig mit dem Herrn Baron einverstanden. Beim alten Kreuz erwarte ich Sie.«

Pampin saß schweigend und sah vor sich hin.

»Ich habe meinen Vorschlag nur in der Voraussetzung gemacht, Hochwürden, daß Sie bereit sind, für die Gemeinde sich zu opfern,« erklärte Valfort. »Haben Sie Bedenken oder keine Lust, möglicherweise das Leben für St. Jean einzusetzen« –

»Ich bin bereit, Herr Baron!« unterbrach ihn der Greis. »Ich überlegte nur, ob es erlaubt sei vor Gott, meine Pfarrkinder zu täuschen.«

»Ohne Zweifel eine erlaubte, unschuldige List!« sagte Paul. »Wohl und Wehe einer ganzen Gemeinde hängt ja von der Ausführung unseres Planes ab. Die Regierung würde ohne Zweifel St. Jean zu Grunde richten.«

»Keine Frage!« bestätigte der Brigadier. »Die Nationalgarden würden in dem rebellischen St. Jean hausen wie Türken und Tartaren.«

»Zögern wir nicht länger,« sprach entschlossen der Pfarrer. »Erwarten Sie mich am alten Kreuz, Brigadier!«

»Auf Wiedersehen, meine Herren!« sagte der Gendarm, und verließ das Haus durch die Hintertüre.

»O mein Gott!« seufzte der Greis. »Wie schwach ist doch ein Mensch! Die Vorsehung hat mich gewürdigt, für meine Herde das Leben zu lassen, – dennoch fällt meiner Gebrechlichkeit das Opfer nicht leicht.«

»Vom Lebenlassen ist keine Rede, Hochwürden! Man wird Sie einige Zeit einsperren und dann Ihrem Wirkungskreis zurückgeben.«

Pampin bewegte schmerzlich das Haupt.

»Ich werde nicht mehr zurückkehren, – meine lieben Schäflein nicht wiedersehen!«

»Fassung, Hochwürden! Ich höre Ihre Schwester kommen. Lassen Sie nichts merken, sonst ist alles verloren.«

Fräulein Pampin trat ein, Bestürzung in den Zügen. Der Pfarrer verschwand eilig in seinem Schlafzimmer.

»Was ist meinem Herrn Bruder, gnädiger Baron?« frug sie ängstlich.

»Etwas angegriffen, Fräulein Schwester! Jede Gefahr ist übrigens vorbei. Der Brigadier hat eben erklärt, mit seinen Leuten abzuziehen, wenn Hochwürden auf der Weigerung beharre, ihn zu begleiten.«

Ein anhaltendes Freudengeschrei der Menge vor dem Hause unterbrach Valfort. Er öffnete das Fenster und forschte nach der Ursache des Lärms.

»Ah, – Gendarmen und Nationalgarden marschieren ab,« sagte er.

»Gott sei Dank!« rief die Schwester. »Das waren Schrecken! Meine Glieder sind mir wie zerbrochen. – Herr Bruder, die Gendarmen sind fort, – Gott lob!«

»Wünschen wir ihnen Glück auf die Reise, meine Gute!« erwiderte Pampin, der in zweifelhafter Haltung zurückkehrte. »Nun können auch meine Schäflein heimgehen, – jede Gefahr ist ja für sie vorbei.«

»Für sie bloß, – nicht auch für den Herrn Bruder?« frug befremdet das Fräulein.

»Ich denke zuerst an meine Schäflein, – ist für sie jede Gefahr vorbei, dann auch für mich, das versteht sich doch von selbst; denn persönliche Gefahren gibt es für den Hirten nur, wenn Wölfe die Herde bedrohen.«

Valfort bewunderte im Stillen die Ängstlichkeit des Pfarrers, selbst jede Notlüge zu vermeiden.

Pampin öffnete das Fenster. Die Bauern entblößten ihre Köpfe und riefen: »Unser Hochwürdiger soll leben!«

Der Greis winkte Stille.

»Meine lieben Pfarrkinder!« hob er mit schwankender Stimme an. »Ich danke herzlich für Eure Teilnahme. Gott möge Euch Treue und Anhänglichkeit zu Eurem Seelsorger tausendmal vergelten. Kann mein Leben von Euch Unglück und Verderben abwehren, – ich bin bereit, mein Leben zu lassen für meine Schäflein. Da nun die Gendarmen fort sind, so kehret ruhig in Eure Wohnungen und zu Euren Arbeiten zurück.«

Er nickte grüßend mit dem Haupte und schloß das Fenster; dies tat er rasch, wie jemand, der seiner Haltung nicht sicher ist.

Die Menge zerstreute sich. Nach wenigen Minuten war jede Spur des Zusammenlaufes verschwunden.

Der Greis schritt unablässig durch das Zimmer. Seine Schwester beobachtete ihn mit wachsender Aufmerksamkeit.

»Sie sind aufgeregt, Herr Pfarrer!« sagte Paul. »Ein Spaziergang dürfte beruhigend wirken.«

»Sie haben Recht, Herr Baron!«

»Ich nehme mir die Ehre, Sie zu begleiten.«

Der Greis nickte dankend mit dem Kopfe; denn auf den gewöhnlichen festen Klang der Stimme war kein Verlaß.

»Sie kommen doch zum Abendessen, mein Herr Bruder?«

Die Frage der Besorgten, im Zusammenhalt mit dem Scheiden für immer, brachte auf den alten Mann eine erschütternde Wirkung hervor.

»Zum Abendessen?« wiederholte er kaum hörbar, und verschwand abermals im Schlafzimmer.

»Sie speisen gewöhnlich um acht Uhr, – nicht wahr?« frug Paul die Schwester.

»Um acht Uhr, – zu dienen!«

»Wenn Sie das Mahl um eine Stunde weiter hinausschieben wollten, so würde ich meine Wenigkeit dazu einladen.«

»Mit Vergnügen, Herr Baron! Sie sind uns sehr angenehm,« versicherte die Schwester in Abwesenheit des Bruders. »Da alles so glücklich ablief, werde ich ein Huhn schlachten. Es gibt also Huhn mit Reis.«

»Mein Lieblingsgericht!« versicherte Paul.

Im Nebenzimmer klopfte der Pfarrer mit dem Stock auf den Boden. Valfort begriff das Zeichen, bei der Unzuverlässigkeit der Stimme für den bewegten Bruder das einzige Mittel, sich verständlich zu machen.

»Also, – auf Wiedersehen heute Abend, Fräulein Schwester!« sagte Paul und verließ mit dem Geistlichen das Haus.

Nationalgarden und Gendarmen hatten bereits den Waldessaum erreicht. Ein Weg mit tiefen Löchern führte den Hügel hinan. Nach etwa tausend Schritten gelangten sie zu einer Lichtung, in deren Mitte sich ein verwettertes Kreuz von Stein erhob. Die Bewaffneten machten Halt. Sie stellten die Gewehre in Pyramiden zusammen und zündeten ihre Tabakspfeifen an.

»Das wird ein sauerer Marsch!« sagte ein Nationalgarde. »In einer Stunde ist es völlig Nacht. Und was für eine Nacht in diesem Urwald, wo es niemals heller Tag wird? Man wird die Finsternis mit Messern schneiden können. Nehmet dazu die gräßlichen Wege, die Schluchten, die Abgründe! Dies alles bedeutet, daß wir die Hälse brechen müssen.«

»Man geht langsam und vorsichtig,« sagte der Brigadier. »Von hier bis Montfaucon sind vier Stunden, – wir nehmen uns Zeit und werden in acht Stunden heimstolpern. Die Hauptsache ist, daß wir den Pfaffen einbringen.«

»Ich hätte Lust, ihn gleich da aufzuhängen,« sagte ein Nationalgarde. »Die Äste sind gar zu einladend, – ein Fanatiker müßte prächtig hier baumeln.«

»Entgeht er auch dem Aufhängen, die Guillotine wird ihn sicher finden,« sagte ein anderer. »Überhaupt muß die Guillotine mehr Mode werden. Seit ich in der Vendee bin, wo die Leute Knechte des Unglaubens und Feinde der Freiheit sind, wird es mir klar, daß die Köpfmaschine fleißig arbeiten muß, wenn die Luft rein werden soll.«

»Wir bringen der Freiheit das größte Opfer, in diesem verdammten Lande auszuhalten,« sagte ein anderer. »Würde einmal Ernst gemacht gegen diese Lümmel und Starrköpfe der Vendee, man hätte doch seinen Spaß. Die Nationalversammlung schickte uns in diese Waldwüste, dem Gesetze Achtung und Gehorsam zu verschaffen. Was vermögen aber einige hundert Nationalgarden? Wir fangen zur Not einen Pfaffen, schießen hie und da einen Tölpel nieder und singen die Marseillaise, – das ist alles! Kommt nicht eine ganze Armee und predigt mit Kanonen den Schuften Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, so wird es nicht besser.«

»Soll die Vendee zur Freiheit bekehrt werden, so kann die Armee nicht ausbleiben,« versicherte der Brigadier. »Ah, – da kommt ja der Alte!«

Pampin und Valfort traten heran. Gendarmen und Garden griffen zu den Gewehren.

»Brigadier,« mahnte Paul, »ich empfehle Ihnen gegen den hochwürdigen Herrn ein Benehmen, das seinem Alter und seinem Stande gebührt.«

»Die Stände sind abgeschafft, – es gibt nur Bürger,« brummte feindselig ein Nationalgarde.

»Was sich von selbst versteht, bedarf keiner Erinnerung«, versetzte der Brigadier. »Herr Baron, Sie haben sich den Dank des Vaterlandes verdient!«

»Dies war gerade nicht meine Absicht,« entgegnete Paul trocken. »Wollte nur ein großes Unglück von der Gemeinde St. Jean abwenden. – – Hochwürden, von Ihnen nehme ich keinen Abschied. In den nächsten Tagen werde ich Sie besuchen.«

Er zog grüßend den Hut und verschwand eiligen Schrittes.

Der Brigadier ordnete den Zug. Paarweise gingen die Nationalgarden voraus. Dann folgte der Brigadier mit dem Pfarrer. Die beiden Gendarmen schlossen die Reihe. Man schritt rüstig voran, so lange noch der Dämmer des Abends ein rasches Fortkommen gestattete. Zuweilen gingen die Garden im Sturmschritt, vielleicht in der boshaften Absicht, den greisen Priester über seine Kräfte anzustrengen. Allein Herr Pampin, an die Pfade seiner Heimat gewöhnt, und von kräftigem Körperbau, überwand leicht und sicheren Trittes Schwierigkeiten des Weges, die seinen Begleitern lästig fielen. Anfänglich wurde kein Wort gesprochen. Nur derbe Flüche stolpernder Garden unterbrachen die Stille. Bei zunehmender Dunkelheit wurde das Stolpern so häufig, daß sich der Marsch in vorsichtiges, langsames Gehen verwandelte.

Paul von Valfort war keineswegs heimgekehrt. Etwa fünfzig Schritte unterhalb des alten Kreuzes schlug er einen kaum bemerkbaren Wildpfad ein, der in bedeutender Abkürzung dieselbe Richtung nach dem Kamme der Hügelkette nahm, in welcher die Bewaffneten gingen. Wie ein flüchtiges Wild, sicher und gewandt, eilte der junge Mann dahin. Nur genaue Ortskenntnis, sowie Gewohnheit und Übung, sich in den Wäldern zu bewegen, ermöglichten die Schnelligkeit des Barons. In kurzer Frist hatte er den Kamm erreicht. Dort blieb er stehen. Er wölbte beide Hände vor dem Munde und stieß einen Schrei hervor, dem Rufe der Nachteule täuschend ähnlich. Dreimal wiederholte er den Schrei. Jetzt stand er lauschend. Von Ferne wurde das Zeichen in gleichen Tönen beantwortet. Valfort ging auf dem Rücken der Hügelkette weiter, in kurzen Pausen den Eulenruf wiederholend und ebenso regelmäßig wurde ihm Antwort.

Auch der Brigadier vernahm das Eulengeschrei.

»Wie heute die Nachtvögel kreischen,« sagte er.

»Weil wir einen von ihnen gefangen haben,« erwiderte lachend ein Nationalgarde.

»Sie täuschen sich, mein Sohn!« entgegnete der alte Pfarrer. »Das katholische Priestertum hat die Aufgabe, das Böse zu bekämpfen, die Werke der Finsternis auszurotten, das Licht der Wahrheit und des Guten in den Herzen zu entzünden. Mithin paßt Ihr Bild nicht.«

»Das sind keine richtigen Eulen!« versicherte der Brigadier.

»Was sollten es sonst sein?« frug Pampin.

»Haben Sie nichts von Chouan gehört?«

»So nennen sich die Schleichhändler auf dem rechten Ufer der Loire,« antwortete der Pfarrer.

»Und noch jemand,« versetzte der Brigadier. »Chouan ist ein Räuberhauptmann, der sich mit seiner Bande in den Wäldern von Laval und La Gravelle herumtrieb. Ein Feind der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, schädigt er alte Anhänger der Nationalversammlung. Kann er Gendarmen oder Nationalgarden erwischen, so hängt er sie auf. Wiederholt hat man in Wäldern die Diener des Gesetzes erhängt gefunden. Die Mordgesellen des Chouan schreien wie die Eulen, wenn sie im Walde sich sammeln wollen. Man sagt, die Kerle treiben sich jetzt in dieser Gegend herum, – was ich fast glaube. Hört doch, was für ein Eulengeheul.« Wachsmuth, Bd. II. S. 145 f.

Die Nationalgarden berührte die Erzählung des Brigadiers beinahe unheimlich.

»Ist die Bande des Chouan stark?« frug ein Garde.

»Über die Zahl weiß man nichts Bestimmtes,« antwortete der Brigadier. »Man sagt, daß viele Bauern mit den Raubmördern zusammenhalten.«

»Das muß ich bestreiten,« widersprach der Pfarrer. »Unsere Bauern sind gute Christen, die keine Gemeinschaft mit Räubern und Mördern haben.«

»Ich rede nicht von Bauern Ihrer Pfarrgemeinde, sondern nur ganz im allgemeinen.«

»In der Vendee gibt es überhaupt keine Räuber und Mörder,« versicherte Pampin. »Ich ersuche Sie, mir einen einzigen Fall dieser Art zu nennen.«

»Nun ja, – mag sein! Aber Chouan und seine Leute kamen aus der Bretagne herüber.«

Ein fast allgemeines Stolpern und Stürzen unterbrach den Brigadier. Die Gefallenen fluchten und verwünschten die Löcher im Wege.

»Achtung, Freunde, wir stehen vor der schwarzen Schlucht!« rief der Brigadier. »Steiget langsam und vorsichtig hinab, – einer hinter dem anderen. Das ist der schlimmste Paß. Haben wir den überwunden, so geht's besser. Nur Achtung! Marschiert in Zwischenräumen von drei Schritten, damit kein Stürzender den Vormann verletze.«

Die Linie setzte sich in Bewegung. Der Boden fiel jäh ab. An den hohen Wänden der Schlucht klangen hohl die Tritte der Männer. Das Steingeröll im Wege gestattete keinen festen Halt. Jeden Augenblick rutschte, strauchelte oder fiel ein Bewaffneter. Die Finsternis war vollständig, die Leute gingen wie mit verbundenen Augen, tastend mit Händen und Füßen. Die Gendarmen und Garden fluchten und stürzten in buntem Wechsel. Plötzlich schrie der Vorderste in der Reihe laut auf. Sein Schrei verwandelte sich in gurgelnde Laute, als würde ihm die Kehle zugeschnürt. Dann tat es einen schweren Fall, dem ein Strampeln und Röcheln folgte. Die ganze Linie stand lauschend.

»Was gibt's?« rief der Brigadier.

Da rauschte es durch die Schlucht, wie ein Anfall unsichtbarer Gewalten. Die Bewaffneten wurden ergriffen und niedergeworfen. Es war ein kurzes Ringen. Eisenfäuste packten wie Zangen die Männer am Halse, entrissen ihnen die Waffen und banden deren Hände am Rücken zusammen. Auch Pampin fühlte sich hart angefaßt. Streifende Hände tasteten an ihm herum; weitere Gewalt geschah ihm nicht. Indes wurde auch er festgehalten. Garden und Gendarmen hatten nur geringen Widerstand den unsichtbaren Feinden geleistet; denn jeder von ihnen wurde von erdrückender Übermacht angefallen, festgehalten und niedergeworfen. Jetzt lagen die Gefesselten stöhnend am Boden, in Todesangst des Kommenden harrend.

»Fertig, Gesellen?« rief eine schnarrende Fistelstimme.

»Fertig, – fertig!« klang es in der Reihe fort.

»Da hab' ich einen, der keine Waffen trägt,« sagte Pampins Feind.

»Keine Waffen? Wer bist Du, Waffenloser?« rief die Fistelstimme.

»Ich bin Pfarrer Pampin von St. Jean!«

»Wer? Was?« und jetzt klang die Fistelstimme so scharf und schneidig wie ein geschliffener Dolch. »Einen Geistlichen treffen wir in Gesellschaft mit den Henkersknechten der Nationalversammlung? Schon gut! Mit Euch, abtrünniger Pfaffe, wollen wir zuletzt ein Wort reden. – – Gesellen, Eure Messer bereit! Wenn ich kommandiere, stecht Ihr die Schurken ab.«

Es trat eine augenblickliche Stille ein. Die Gefesselten und Niedergeworfenen stöhnten in Todesängsten unter den Knieen und Fäusten ihrer Mörder.

»Ein Wort, – nur ein Wort!« ächzte der Brigadier.

»Du sollst es haben, – laßt ihm Luft!« gebot die Stimme.

»Ich bin der Brigadier von Montfaucon.«

»Du bist der Rechte! Ein Erzschurke und Bluthund!« schnarrte die Stimme.

»Mit Verlaub, – ich tue meine Pflicht, stehe in Diensten des Gesetzes.«

»Höre meinen Namen, Kerl, und zittere!« rief grimmig die Fistelstimme. »Chouan bin ich, – der Rächer alles unschuldigen Blutes, welches die Henkersknechte der Revolution vergießen. Und Du, Brigadier, Du wagst es, Dich zu rechtfertigen? Bist Du nicht der niederträchtigste Wicht, der abgefeimteste Spitzbube, der in seiner Uniform die größten Schandtaten ausführt? Ich kenne Dich, Elender!«

»Um Vergebung, Herr Chouan! Ich gehorche nur den Befehlen meiner Vorgesetzten.«

»Hattest Du auch Befehl, vor drei Wochen in der Gemeinde Chauve den einzigen Sohn einer Witwe niederzuschießen?« rief zürnend der Bluträcher. »Hattest Du Befehl, sechs Tage später einen alten Mann totzuschießen?«

»Gestattet mir ein Wort, gnädigster Herr Chouan!« flehte der Brigadier. »Der Bursch von Chauve widersetzte sich der Rekrutierung. Ich schoß ihn tot aus Notwehr.«

»Gelogen, Elender! Deine Kugel drang durch den Rücken, – einen Flüchtigen hast Du erschossen, keinen Angreifenden.«

»Das ist wahr, gnädigster Herr Chouan! Weil er Reißaus nahm, mußte ich ihn totschießen, – nach Kommando.«

»Das Kommando ist so henkermäßig, wie seine Werkzeuge,« schnarrte grimmig der Hauptmann.

»Verzeihen Sie, gnädiger Herr, wenn ich es für meine Pflicht hielt, den Befehlen meiner Vorgesetzten zu gehorchen!«

»Was redest Du von Pflicht, Schurke?« unterbrach ihn Chouan. »Rede von Deinem Blutdurst, von Deiner Verruchtheit und Freude, schuldlose Menschen zu morden. – Und der alte Mann, den Du erschossen hast, Bube?«

»Mit Verlaub, gnädigster Herr, ich tat es wieder aus Pflicht! Der Alte schimpfte gegen die Nationalversammlung, nannte deren Mitglieder ›Spitzbuben‹, ›Henker‹, ›Mörder‹ und ›Teufel‹.«

»Der Mann hatte Recht, – das sind sie! Du hast Dich schlecht herausgebissen, Kerl! – – Gesellen, die Messer fertig!«

Ein allgemeines Winseln und Wimmern stöhnte durch die Schlucht.

»Herr Chouan!« hob der Pfarrer an. »Ich kann und darf nicht schweigen in dem Augenblicke, wo Sie ein schreckliches Verbrechen begehen wollen.«

»Die Welt von Schurken zu befreien, ist kein Verbrechen, sondern eine Wohltat für die Menschheit,« unterbrach ihn der Hauptmann. »Indessen haben Sie alle Ursache, für sich selber zu sprechen, Pfarrer! Wären Sie kein abtrünniger und meineidiger Priester, Sie könnten unmöglich Gemeinschaft haben mit Gottesleugnern und Teufelsgesellen.«

»Nicht freiwillig bin ich hier, sondern als Gefangener.«

»Wie?« rief Chouan im Tone großer Überraschung. »Die Gemeinde St. Jean hätte ihren Pfarrer an die Henkersknechte der Revolution ausgeliefert? Beim Himmel, – dann schwöre ich, in der ersten Sturmnacht St. Jean an allen Ecken anzuzünden! Dieses Schandnest muß verschwinden vom Boden der Vendee.«

»Kein Mißverständnis, – ich bitte!« sprach hastig der Greis. »St. Jean ist vollkommen unschuldig. Meine guten Schäflein widersetzten sich aus allen Kräften der Abführung ihres Seelsorgers. Heimlich bin ich entwichen.«

»Also doch freiwillig?« rief drohend Chouan.

»Wenn man will, – ja!« antwortete Pampin. »Der Brigadier versicherte nämlich, ein ganzes Regiment werde kommen und die Gemeinde zugrunde richten, wenn sich dieselbe meiner Abführung widersetzte. Da nun jeder gute Hirte sein Leben läßt für seine Schafe, so wollte ich die wenigen übrigen Tage meiner irdischen Wallfahrt daran setzen, um meine lieben Pfarrkinder zu retten.«

»Verhält sich das wirklich so, Brigadier?« frug der Hauptmann.

»Genau, wie der Pfarrer sagt!«

»Ihre Absicht war edel und rühmlich, hochwürdiger Herr!« lobte Chouan. »Daraus entnehme ich, daß Sie ein guter und getreuer Hirte sind. Bitte demnach um Verzeihung wegen der bösen Meinung, die ich von Ihnen hatte. Den arglistigen Rat des Brigadiers hätten Sie aber nicht befolgen sollen. Der Brigadier ist ein Söldling der Tyrannen und Ihr Feind; – wer hört auf Ratschläge seiner Todfeinde?«

»Um Vergebung mein Sohn!« entgegnete der Greis. »Ein sehr guter Freund gab mir denselben Rat.«

»Ein hübscher Freund!« lachte Chouan verächtlich. »Wie heißt der Schelm?«

»In welcher Absicht wünschen Sie, dessen Namen kennen zu lernen?«

»In der Absicht, einen falschen Buben nach Verdienst zu züchtigen.«

»Dann werde ich den Namen meines Freundes verschweigen.«

»Wie, Pfarrer, Sie gehorchen meinen Befehlen nicht? Sind Sie etwa nicht in meiner Gewalt? Löscht ein Wort meines Mundes nicht Ihr Lebenslicht aus?«

»Niemals werde ich meinen edlen Freund Ihrer Rache preisgeben, – selbst dann nicht, wenn Sie das schreckliche Verbrechen eines Priestermordes auf Ihre Seele laden wollen.«

»Sehr gut, – ausgezeichnet!« rief froh der Hauptmann. »Es war nur eine Probe, Herr Pfarrer! Wollte sehen, wie hoch Sie Freundestreue schätzen. Sie sind ein ganzer Mann; – ein opferwilliger Hirte, ein hochherziger Freund. Sie erfüllen mich mit Bewunderung. Ich möchte Ihnen wahrhaftig eine Freude machen. Kann ich es?«

»O ja, mein Sohn! Lassen Sie die Gendarmen und Nationalgarden unbeschädigt heimkehren.«

»Ihre Todfeinde, Herr Pfarrer?«

»Liebet eure Feinde,« – gebietet unser Heiland. »Mein Sohn, erhören Sie gütig die Bitte eines alten Mannes.«

Chouan schwieg, wahrscheinlich im Kampfe mit sich.

»Gnade!« flehte der Brigadier. »Gnade, – Gnade!« stöhnten die Gefesselten.

»Wohlan, – es kostet mich zwar große Überwindung, – doch es sei!« sprach der Hauptmann entschlossen. »Das glänzende Beispiel eines frommen Priesters, der für seine Freunde in den Tod gehen will, und für seine Feinde bittet, – entwaffnet meine Rache. Gesellen, – laßt los!«

Geräusch und Rollen der Steine verkündete die Bewegungen der Männer. Die Niedergeworfenen fühlten sich frei und erhoben sich vom Boden.

»Höret weiter!« fuhr der Hauptmann fort. »Das Leben sei Euch zwar geschenkt. Fallet Ihr jedoch zum zweiten Male in unsere Hände, dann soll Euch keine Fürsprache retten. Eure Waffen verliert Ihr, – nicht an Räuber, sondern an Männer, welche kämpfen gegen die Mörderbrut der Revolution. – – Gesellen, löst ihnen die Stricke!«

Mit großer Behendigkeit vollzogen die Räuber den Befehl. Die eintretende Stille verriet dem Hauptmann die Erfüllung seines Geheißes.

»Jetzt marsch, ihr Henkersknechte, – vorwärts, trollt euch!« gebot Chouan.

Die Geretteten begannen, die Schlucht hinabzusteigen.

»Wolf!« rief abermals die Stimme des Hauptmanns.

»Hier!«

»Du geleitest den Herrn Pfarrer bis ans Feld. – Gesellen, schwärmt aus!«

Ein gewaltiges Getöse erfüllte die Schlucht. Die verwegenen Bursche kletterten die steilen Wände empor. Füße stampften, Steine rollten, Baumäste krachten und schließlich erfüllte ein betäubendes Eulengeschrei den Wald. Auch dieses verhallte und mit ihm die fernen Tritte der abziehenden Bande.

Der Pfarrer war unbeweglich gestanden. Mit dem Sinne des Gehörs hatte er das wilde Treiben beobachtet. Jetzt spähte er nach Wolf, seinem Führer.

»Mein Sohn, wo bist Du?«

»Hier!« antwortete eine Stimme, einige Schritte vor ihm.

»Gehen wir, mein Freund?«

»Gleich!«

Wolf nestelte in den Taschen. Stahl und Stein klirrten in seiner Hand. Er schlug Feuer. Beim Scheine der Lichtfunken spähte Pampin nach den Gesichtszügen des Räubers. Dieser hatte ihm jedoch den Rücken gewandt, wohl in der Absicht, sein Gesicht zu verbergen. Er beugte sich nieder. Schwefelholz flammte auf und eine Blendlaterne warf helles Licht vor die Füße des Geistlichen. Wolf begann emporzusteigen, indem er fortwährend die Laterne hinter sich hielt, dem folgenden Greise zu leuchten. Bald hatten sie das Ende der Schlucht erreicht und betraten einen verhältnismäßig bequemen Weg. Pampin versuchte ein Gespräch anzuknüpfen, jedoch vergebens. Wolf gab niemals Antwort und ging immer voraus.

»Du jammerst mich, mein Sohn! Im Begriffe warst Du, ein Mörder zu werden. Weißt Du nicht, daß Mörder in das Reich Gottes nicht eingehen können?«

Keine Antwort.

»Ich will annehmen,« fuhr Pampin fort, »die Gendarmen und Nationalgarden seien gottlose Menschen, Schinder, Peiniger, sogar Mörder des schuldlosen Volkes. Dies angenommen, ist Euch doch nicht erlaubt vor Gott, das Blut der Ruchlosen zu vergießen. »Du sollst nicht töten!« spricht der Herr. Der gute Christ leidet, duldet, läßt sich morden, – tötet aber nicht. Bedenke, mein Sohn, daß Gott Rechenschaft fordern wird von Deinem Lebenswandel! Deshalb wandle nicht in der Finsternis schwarzer Taten, sondern im Lichte der Tugend, damit Du bestehest im Gerichte. – – Was sagst Du, mein Sohn?«

Abermals keine Antwort.

»Ach, – wie man doch so verstockt sein kann!« seufzte Pampin. »Warum willst Du nicht aus einem Räuber ein braver Mensch werden? Ich kenne einen, dem Du sehr gleichest an Größe, Gestalt und Gang, – nämlich Pierre, dem Kammerdiener unseres Jungherrn, – ein höchst braver Mensch. Hast Du nicht Lust, dem guten Pierre zu gleichen in Rechtschaffenheit und Fleiß? – Verdiene redlich Dein Brot am hellen Tage und verlasse Dein schreckliches Treiben. – Findest Du nicht, mein Sohn, daß ich es gut mit Dir meine?«

Schweigen. Pampin seufzte über die Verstocktheit seines Führers und ließ endlich von dem vergeblichen Bemühen ab, das Gewissen des Menschen zu wecken.

Sie hatten den Waldessaum erreicht. Wolf löschte die Laterne aus. Das Rauschen der Gebüsche verkündete, daß er sich eilenden Schrittes entfernte.

»Dank, mein armer Sohn, Dank! Gott möge sich Deiner erbarmen!« rief ihm der Pfarrer nach.

Eulengeschrei war die Antwort.

»Er ruft seinen Gesellen!« murmelte Pampin. »Mein Gott, – wie man nur so verhärtet sein kann im Bösen! – – – Das war ein Abend, – ich werde ihn niemals vergessen,« fuhr er fort, den Weg zum Dorfe betretend, dessen Lichter ihm grüßend entgegenglänzten. »Ei, – ei, wer sollte so etwas für möglich halten? Mir ist ganz schwindelig, – ich glaube fast, es sei alles nur ein Traum. – Was wird Valfort sagen? Und meine Schwester? – Meine Schwester? Sie wußte von allem nichts, – sie erwartet mich zum Essen um neun Uhr. Die Arme, – wie mag sie geweint und gejammert haben, als Valfort kam und ihr erzählte! Und jetzt, – wie mag sich die Gute freuen!«

Er beschleunigte seine Schritte und nahte den ersten Häusern von St. Jean. Er glaubte, im Finstern eine Gruppe mitten auf der Straße zu sehen, die sich rasch auflöste und in dunklen Gestalten auseinander stob. Vielleicht war es Täuschung; denn er hörte nur die scharfen Tritte eines Mannes, der sich ihm nahte.

»Ah, – da sind sie ja, hochwürdiger Herr Pfarrer! Ich habe Sie hier erwartet.«

»Herr Baron, – Sie sind es? Haben mich erwartet?« frug Pampin, erstaunt im höchsten Grade. »Sie wußten mich doch auf dem Wege nach Montfaucon?«

»Bis zur schwarzen Schlucht, Hochwürden! Was sich dort begab hat mir Chouan bereits vertraut.«

»Chouan, – Sie kennen ihn? Er wäre schon bei Ihnen gewesen?«

»Eben! Wie gut, daß ich Ihrer Fräulein Schwester noch keine Silbe von Ihrer freiwilligen Gefangenschaft mitteilte! Sie hätte sich über alle Maßen geängstigt und bekümmert. Wir kommen gerade recht zu Reis und Huhn.«

»Ei, – ei, – das ist doch höchst merkwürdig!« sagte Pampin.

»Die Novemberabende sind lange, Hochwürden! Nach vier Uhr gingen wir weg von hier. Nach der schwarzen Schlucht ist es eine gute Stunde. Ihre Befreiung währte eine starke halbe Stunde. So kam rasch halb neun Uhr herbei.«

»Davon rede ich nicht, gnädiger Baron! Merkwürdig dünkt mir vielmehr Ihre Kenntnis von Allem, und auch Ihre Ruhe, mit der Sie die Sache aufnehmen!«

»Die Sache scheint mir selbstverständlich, Hochwürden! Glauben Sie denn, Ihre Pfarrkinder hätten Sie in Gefangenschaft und Tod abführen lassen, ohne Hand und Fuß zu rühren?«

»Meine Pfarrkinder?«

»Die ihren geistlichen Vater retteten durch einen klugen und gelungenen Handstreich.«

Pampin stand sprachlos vor Staunen.

»Der Brigadier wird über den schrecklichen Chouan und dessen Bande rapportieren,« fuhr Paul fort. »Der Gemeinde wird man kein Regiment wütender Revolutionäre über den Hals schicken; denn sie ist ja schuldlos an Chouans Überfall. Die entsetzten Nationalgarden und Gendarmen werden nicht wieder kommen. Hat ja der grimme Chouan ihnen gedroht: »Fallet Ihr zum zweitenmale in unsere Hände, dann soll Euch keine Fürsprache retten!« rief Paul mit Chouans schnarrender Fistelstimme.

»O du heiliger Gott, – nun wird mir alles klar!« sagte Pampin. »Welches Licht! Mein gnädiger Herr Baron, Gott vergelte Ihnen!« und der bewegte Greis drückte dem jungen Manne warm die Hand. »Und meine lieben Schäflein, die sich in Wolfspelze steckten, um ihren Hirten zu retten!«

Die ungeheure Aufregung des alten Mannes veranlaßte Paul zu der Bitte, das erlebte Abenteuer kühler aufzufassen.

»Bewahren Sie Ihre Gemütsruhe, Hochwürden! Es war unklug von mir, Ihnen jetzt schon eine Enthüllung zu machen, deren allzu lebhafte Eindrücke schädlich wirken möchten.«

»Fürchten Sie gar nichts, mein edler Retter! Mir hüpft das Herz vor Freude.«

Sie standen vor dem Pfarrhause. Im Flur trat ihnen die Schwester freundlich grüßend entgegen.

»Wie es mich freut, daß Sie Wort halten, Herr Baron!«

»Zur Freude haben wir allen Grund, meine Gute!« versetzte der Greis.

Sie blickte verwundert in das strahlende Angesicht des Bruders.

»Wie meinen Sie das, mein Herr Bruder?«

»Für heute meine ich, daß wir einen vortrefflichen Appetit haben, meine Gute! Und dann, – hören Sie! In der Ecke des Kellers liegen noch zwei Flaschen weißer Lafittewein von dem Festessen her, das ich unserem Bischof bei seiner Visitation gab. Bringen Sie ihn zum Nachtische. Wir wollen in Frankreichs edelstem Rebensaft das Wohl unseres kühnen Chouan und seiner tapferen Gesellen trinken.«


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