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Wetterzeichen.

Seit etwa vierzig Jahren hatten sich in allen Städten Frankreichs Freimaurerlogen gebildet, deren Glieder mit Eifer arbeiteten an der Vernichtung der christlichen Religion. Diese Freimaurerbündnisse verwandelten sich plötzlich in politische Vereine, die alle mit dem Jakobinerklub zu Paris in Verbindung standen und von diesem ihre Weisungen erhielten. In den Versammlungen dieser Vereine wurden flammende Reden gehalten über die Unterdrückung des Volkes, die Tyrannei des Thrones, die Quälereien privilegierter Stände und über die Notwendigkeit, dem herrschenden Elende ein Ende zu machen. Mächtig war die Freiheitsliebe erwacht. Ein allgemeiner Umsturz der Dinge wurde leidenschaftlich besprochen. Schon erstickte das Geschwätz und Gebrüll der Volksversammlungen die Stimme des Gesetzes. Die Behörden waren eingeschüchtert und wagten nicht, den revolutionären Umtrieben entgegenzutreten. Cantu, Bd. XIII S. 26.

Den Klubhäuptlingen in den Städten wurde von den Leitern in Paris der Befehl, die ländliche Bevölkerung der Provinzen in Fluß zu bringen, auch dort die sozialen Leidenschaften bis zum Siedepunkte zu schüren. Demzufolge trieben sich Sendlinge in den Dörfern umher, mit Phrasen und Schlagwörtern die Bauern bearbeitend, deren klägliches Dasein für die revolutionäre Aussaat einen sehr empfänglichen Boden bildete. In geeigneten Landgemeinden wurden Volksversammlungen gehalten und die Bewohner der umliegenden Ortschaften dazu eingeladen.

Auch für Nod wurde eine Volksversammlung angesagt. Am bestimmten Tage strömten die Bauern von allen Seiten herbei. Von Limoges kamen bewährte Klubisten und geriebene Wühler.

Da es zur Mode junger Kavaliere gehörte, mit einem Scheine volkstümlicher Gesinnung sich zu schmücken, so verbargen Graf Henry und Herzog Chatel die verhaßte Adelstracht unter blauen Blusen und stiegen herab nach Nod zur Versammlung. Von wirklicher Teilnahme für die Sache des Volkes geleitet, schloß sich Valfort ihnen an. Graf Wilhelm hingegen beantwortete Chatels Einladung mit grimmiger Miene und entsprechender Handbewegung. Der stolze Grundherr würde vorgezogen haben, die rebellische Kanaille mit der Peitsche auseinander zu treiben. Robespierre ließ sich zum Mitgehen bestimmen.

»Ich nehme mir die Ehre, Sie zu begleiten, Herr Baron!« sagte er zu Valfort. »Ich habe angestrengt gearbeitet. Der Spektakel dürfte mich zerstreuen und erheitern.«

Torhüter David hatte den Ausziehenden die Pforte geöffnet und die Kavaliere in den blauen Blusen bewundert.

»Pierre,« sagte er zu seinem Vertrauten, »wenn Kleider Leute machen, dann sind mein Graf und der Herzog zwei gemachte Bauern. Aber ich fürchte, die geborenen Bauern werden behaupten, daß Kleider keine Leute machen, sobald ihnen die Blusen mit den eingewickelten Feudalen zu Gesicht kommen. Die echten Bauern werden vom Christentum so viel noch behalten haben, daß sie an die Wölfe in Schafspelzen sich erinnern können.«

»Was soll's überhaupt mit der Mummerei? Mir kommt das recht närrisch vor,« sagte Pierre.

»Weil Dein Verstand mit den Augen Deiner Ehrlichkeit das Ding betrachtet,« erwiderte David. »Die Feudalen wollen mit den Blusen Parade machen. Die Bluse hängt an ihrem Leibe wie ein Schild, auf dem geschrieben steht: »Seht da, Volksfreunde!« Meinst Du, die Bauern werden sich rühren lassen, von so einer billigen feudalen Volksfreundschaft? Schwerlich! Die Bauern spüren die Frohnden, Steuern, Abgaben, Lasten und Schindereien der Feudalen so kräftig, sie keuchen so schwerbeladen unter dem Joche ihrer Quäler, daß alle Blusen der Welt sie nicht überzeugen von der Freundschaft ihrer Henker. Pierre, ich sage, halte Deine Bluse in Ehren! Es gibt eine Blusenherrschaft in Frankreich.«

»Du meinst, das Volk komme obenan?«

David rückte an seiner Filzmütze und nickte mit dem Kopfe.

»Das Oben wird unten, das Unten oben, – eigentlich verkehrt, aber doch ganz naturgemäß für eine verkehrte Welt,« entgegnete er. »Seit hundert Jahren und darüber regiert ja die Verkehrtheit in Frankreich. Da sich nun alles entwickeln muß, so wird die Herrschaft der Bluse weiter nichts sein, als die ausgewachsene Spitze der Verkehrtheit. Und weil es einen gerechten Gott gibt, so müssen die Geschundenen die Schinder werden, sintemal unser Herrgott gesagt hat: »Mit demselben Maße ihr ausmesset, wird euch eingemessen werden.«

Pierre mochte einige Haare in Davids Rede finden. Er kratzte hinter den Ohren und brummte mißvergnügt. Darauf stellte er seine gedrungene Gestalt fester, fuhr mit beiden Händen in die Seitentaschen seines Kittels und schaute den Torwächter treuherzig an.

»Horch David, ich will Dir eine Neuigkeit an Dir selber zeigen! Du bist nämlich angesteckt von der neumodischen Leutfresserei. Der Bauernschinder hockt auch Dir im Busen. – Gelt, das hast Du nicht gewußt?«

Davids hochgeschwungene Augenbrauen stiegen zum Spitzbogen empor und in jeder Linie seines Gesichtes saß ein lächelnder Schalk.

»Das hab' ich wirklich noch nicht gewußt, guter Pierre! Also – der Bauernschinder hockt mir im Busen? Wie hast Du den Kerl erspäht?«

»Du hast gesagt, das Oben werde unten, das Unten oben, was verkehrt sei. Unter Oben hast Du Könige, Fürsten, Feudale verstanden, unter dem Unten aber das Volk. Falsch ist's! Das Volk ist niemals das Unten, immer das Oben; denn das Volk ist die Mehrheit. Für das Volk sind Könige, Fürsten, Adelige, Geistliche und Beamten da. Darum ists gar nicht verkehrt, wenn das Volk oben wird, sondern es war verkehrt, wenn das Volk unten gewesen – das heißt, so unten, wie das Pferd unter seinem Reiter und das Lasttier unter seiner Fracht. So denkt man in der Vendee. Dem Könige geben wir nicht mehr, als ihm gebührt an Steuern und Gehorsam. Der Bauer in der Vendee ist so frei und stolz wie der Baron. Auch der Bauer ist ein Mensch, und alle Menschen sind Brüder unter einander, dieweil sie alle einen Vater im Himmel haben. – So steht die Sache!«

»Höchst weise!« sagte David schmunzelnd. »Glückliche Vendee, wo es keine Sklaven gibt, sondern nur Brüder des Königs! Mich wundert, daß in der Vendee noch die Stiefel geputzt und die Schweine gehütet werden; denn Geschäfte für Brüder des Königs sind das doch nicht.«

»Den Unterschied der Stände lassen wir gelten, weil Gott eine solche Weltordnung eingeführt hat,« versetzte Pierre. »Wir respektieren den König und den Baron, aber auch den Bauer, den Stiefelputzer und den Schweinehirt. Wir geben jedem die Ehre, die ihm gebührt. Dazu schändet keine Arbeit, – jede Arbeit ist ehrenvoll und nur das Faullenzen schimpflich. Aber Sklaven kann es bei uns keine geben, weil wir alle Christen sind.«

»Demnach wäre für jeden Menschen das Christentum ein Adelsbrief?«

»Jawohl! Nur einen höchsten Herrn anerkennt der Christ, nämlich Gott. Der menschlichen Herrschaft und Obrigkeit gehorcht er aber nur insoweit, als dieselbe Gottes Dienerin vorstellt.«

David nickte bedächtig mit dem Kopfe.

»Ich merke,« sprach er nachdenkend, »das Christentum ist die beste Staatsweisheit und der Christ der beste Bürger. Weil in Frankreich der Christen so wenige sind, darum gibt es so viele Schinder und Geschundene.«

Isabella trat heran, nicht ohne Unruhe in ihrem Benehmen.

»Nun, Pierre, Ihr laßt Eueren guten Herrn allein gehen?«

»Mein Herr verlangte nicht die Begleitung seines Dieners, gnädige Gräfin!«

»Ihr hättet ihm dennoch von Ferne folgen sollen; denn er begab sich an einen gefährlichen Ort.«

»Wohin, Gnädigste?« frug Pierre betroffen.

»Nach Nod zur Volksversammlung, wo grimmige Feinde des Adels zusammenströmen. Wie leicht begegnet ihm dort ein Unfall.«

»Mein Baron hat keine Feinde,« versetzte Pierre.

»In der Vendee nicht, wohl aber hier,« entgegnete sie. »Laßt Euch den kurzen Weg nicht verdrießen, folgt Euerem Herrn! Man weiß nicht, was geschehen kann.«

Er las die Angst in ihren Zügen und glaubte nun selbst an Gefahren.

»Wenn das ist, sollen mich keine zehn Pferde zurückhalten,« sprach er, mit einer raschen Wendung zum Tore. »Ich danke für den Wink, gnädige Gräfin!«

Isabella nickte ihm zu und kehrte in das Schloß zurück.

David öffnete die kleine Pforte im Torflügel.

»Siehst Du wieder, wie innig sie ihn liebt!« flüsterte er. »Dem Herzog schickt sie keinen Beschützer nach, sogar dem Bruder nicht, wohl aber dem Manne ihres Herzens. Jawohl, – Vater, Mutter, Geschwister liebt sie weniger, als Deinen Herrn.«

»Mein Baron verdients auch!« entgegnete Pierre, durch die Pforte verschwindend.

In Nods Gassen wimmelte es von Bauern umliegender Ortschaften, sowie von kleinen Bürgern und Fabrikarbeitern aus Limoges. Sie alle stürmten nach dem ausgedehnten Garten »zum roten Roß«, wo sich die Feinde der Tyrannei und die Freunde des Volkes wollten hören lassen. Vieler Beredsamkeit bedurfte es augenscheinlich nicht, die Hörer zu entflammen; denn es gärte und kochte heftig in den Gemütern. Finster und dräuend blickten die Männer. Bekannte riefen sich kurz an, lachten grimmig, ballten die Fäuste. Allenthalben fielen bedenkliche Schlagwörter. Nirgends heitere Züge, wohl aber auf allen Gesichtern das Gepräge verhaltener Wut, die bereit ist, auf die Bedränger und Quäler loszustürmen. In der Tat bildeten die Bauern lebendige Zeugnisse von dem harten Druck, unter dem sie schmachteten. Abgemagert waren die Leiber. Aus manchem hohlen Auge stierte der Hunger. Dürftig war die Kleidung. Die meisten trugen Blusen, vielfach zugleich das Hemd vertretend und Beinkleider von den billigsten Stoffen. Die Köpfe bedeckten größtenteils Zipfelmützen und die Füße durchlöcherte Schuhe oder gar nichts.

Graf Henry und Herzog Chatel waren nach Nod gegangen, wie zu einem Schauspiele, bei dem auch sie eine dankenswerte Rolle übernommen. Die Blusen betrachteten sie als Kostüm und das ganze als eine Komödie. Von jenem oberflächlichen und leichtfertigen Geiste beherrscht, dem sich die höheren Stände jener Zeit hingaben, dachten sie nicht entfernt daran, der Versammlung eine ernste Bedeutung beizulegen. Gewöhnt an sklavische Huldigungen der Hörigen, glaubten sie, ein verdienstvolles Werk preiswürdiger Herablassung zu vollbringen, indem sie in ländlicher Tracht erschienen und hiedurch Beweise ihrer Volksliebe gaben. Sogleich aber sollten sie enttäuscht werden und zugleich den wahren Charakter der begonnenen Bewegung kennen lernen.

Die Kavaliere hatten sich von Valfort und Robespierre getrennt, denen sie nach dem Garten vorauseilten. Anfänglich blieben sie unbeachtet, weil ihnen bekannte Bauern nicht begegneten und niemand in den Blusen die Feudalen vermutete. Als sie jedoch den Garten betraten und am Eingang auf Duval stießen, änderte sich die Lage. Ein unbeschreiblich boshaftes und höhnisches Grinsen verzerrte das Gesicht des Schmiedes. Er stellte sich breitbeinig vor die Edelleute hin, stemmte die Hände in die Hüfte und lachte hell auf.

»Seh' ich recht, – ha – ha! Der gnädigste Graf und der allergnädigste Herzog? Gar in gemeiner Bauerntracht? Jetzt kanns recht werden – ha – ha! Wölfe verwandeln sich in Schafe, – jetzt wirds gut – ha – ha!«

Die Kavaliere standen wie vom Himmel gefallen, offenen Mundes den Leibeigenen betrachtend, der nicht einmal seine Mütze zum Gruße zog. Der Schmied aber weidete sich schadenfroh an der Betroffenheit der Feudalen.

»Nichts für ungut, – bin ganz mit Ihnen zufrieden, allergnädigster Herzog!« fuhr Duval höhnisch fort. »Meine Madelon kam gestern wieder heim, sie hat sich bei Ihnen ausgezeichnet amüsiert. Auch ich bin, wie gesagt, mit Ihnen höchst zufrieden. Sie haben Wort gehalten, – eine große Seltenheit bei vornehmen Herren. Madelon hat ihr Guthaben blank und voll erhalten, – einen hübschen Lohn für hübsche Dienste. Nichts ohne Lohn, – natürlich! Alles in der Welt kriegt seinen Lohn. Sogar das arme Volk erhält seinen Lohn für schwere Arbeit, für Frohnden, Abgaben und Steuern. Worin besteht dieser Lohn für das arme Volk? In Hunger und Elend! Betrachten Sie nur gefälligst die Bauern da herum, ob einer dabei ist, der nicht einen Bock zwischen den Hörnern küssen kann? Lauter Hungerleidergesichter!«

Ein wilder Grimm funkelte in den Augen des Schmiedes.

Die Kavaliere kamen in eine so eigentümliche Lage, daß ihr Mut und ihre Geistesgegenwart nicht ausreichten, sie aus derselben zu befreien. Während Duvals Rede hatte sich ein Schwarm Bauern angesammelt, welche neugierig die feinen Blusenmänner begafften. Als die Fremden erkannt und deren Namen genannt wurden, ging ein dumpfes Murren durch den stets wachsenden Schwarm. Feindselige Blicke begegneten ringsum den Feudalen. Halblaute Flüche und Verwünschungen fielen. Die Situation wurde peinlich. Graf Henry machte eine Vorwärtsbewegung. Allein der Schmied wich nicht von der Stelle, und der fest geschlossene Kreis öffnete keine Gasse.

»Erlauben Sie gütigst, meine Herren!« bat Rovere.

Ein schallendes Gelächter beantwortete die Bitte.

»Hört ihr, – hört!« rief es von allen Seiten. »Gestern waren wir noch Pöbel, – Hunde, – Sklaven, – Bauernvieh, – – heute sind wir schon Herren!«

»Die Welt dreht sich, was oben war, wird unten!« kreischte eine Stimme.

Duvals Zechgenosse, der pfiffige Grasse, drängte sich hervor.

»Was seh' ich?« rief er. »Den allergnädigsten Grafen in einer Bluse? Wie hübsch das ist! Nur passen die feinen Hände nicht zur groben Bauerntracht. Sehen Sie, allergnädigster, solche Hände muß ein Bauer haben!« – er zeigte die hornbedeckten Handflächen. »Das kommt von der Arbeit, Allergnädigster! Von der Arbeit für unsere Grundherren, damit wir Abgaben und Steuern zahlen und wenigstens unsere Haut behalten können.«

Die Umstehenden lachten unheimlich.

»Was lacht ihr?« rief Grasse. »Wir haben eine allergnädigste Herrschaft, die mit dem Ausziehen ihrer Untertanen höchst zufrieden war, was ich als Ehrenmann bezeugen muß. So hat unsere allergnädigste Herrschaft meinen Vater zwar ausgezogen bis aufs Hemd, – die Haut wurde ihm allergnädigst gelassen.«

Wiederholtes Gelächter.

»Seht ihr, wäre unser allergnädigster Graf wirklich ein solcher Bauernschinder, wie man ihm nachsagt, so liefen wir jetzt alle ohne Haut herum!«

»Halt's Maul, Grasse!« gebot Duval. »Ich war gerade daran, den hübschen Bauern da eine Rede zu halten, und die muß fertig werden. Ich habe gesagt, alles in der Welt kriege seinen Lohn. Der Lohn des Volkes sind Steuern, Abgaben, Frohnden, Hungerleiden, Jammer und Elend. Wofür bekommt das Volk diesen Lohn? Für seinen treuen Gehorsam, für seine Arbeiten, Mühen und Plagen. Von wem bekommt es diesen Lohn? Vom allerchristlichsten Könige und von den allergnädigsten Grundherren. – Ist's nicht so, Freunde?«

»Jawohl, – ganz richtig!« bestätigten viele Stimmen.

Der Schmied rückte an der Lederschürze, und seine Augen brannten auf die Feudalen.

»Aber auch die allergnädigsten Herrschaften müssen ihren Lohn kriegen,« fuhr er fort. »Welchen Lohn? Hab und Gut, Mark und Blut der Untertanen, – dazu einträgliche Ämter, bei denen nichts zu tun ist, als Louisdor und Ehren einzustreichen. Weil dies alles nicht ausreicht, so kommen dazu viel Spaß und Zeitvertreib, – und der größte Spaß der Allergnädigsten war immer, – ihr wißt es ja, – den Pöbel zu schinden.«

Stürmischer Beifall.

»An die Laterne mit den Schindern!« rief eine Stimme.

Duval nickte beifällig.

»Alles zu seiner Zeit, – hört jetzt meine Rede zu Ende! – Wofür bekommen die Feudalen so hübschen Lohn? Für Feudalarbeiten, – oder vielmehr für die Arbeiten der Feudalen. Was ist das? Essen, – trinken, – tanzen, – schlafen und sich lustig machen. Will sich ein Feudaler bei der Arbeit recht anstrengen, so trinkt er zwei Champagnerflaschen mehr als gewöhnlich. Will sich ein Feudaler recht müde schaffen, so denkt er neue Plagen für den Pöbel aus und ein neues Joch für das Bauernvieh. Vergleicht man Arbeit und Lohn des Volkes mit Arbeit und Lohn der allergnädigsten Feudalen, so wird jedem Vernünftigen die schlechte Einteilung klar. Also muß in Frankreich ein neuer Haushalt eingerichtet werden, – ein Haushalt, in dem jeder verhungern soll, der nicht arbeitet. Tod dem Müßiggang!«

»Tod der Tyrannei!« schrieen die Bauern. »Tod unseren Henkern! An die Laterne mit den Privilegierten!«

Ein wüster Lärm umgab die Kavaliere. Geballte Fäuste reckten sich empor, Stöcke wurden geschwungen, Verwünschungen und Drohungen schlugen an die Ohren der Geängstigten. Graf Henry stand leichenblaß. Der Herzog zitterte an allen Gliedern. Vielleicht hätte die wilde Leidenschaftlichkeit der Franzosen zur Bluttat getrieben, – da erschien noch rechtzeitig aus schwerer Not ein Retter.

Paul von Valfort war mit Robespierre beobachtend durch das Dorf gegangen. Er las in den finsteren Zügen der Bauern, horchte auf fallende Äußerungen und Schlagwörter, und fand eine bedenkliche Gärung der Gemüter. Die abgerissene und dürftige Kleidung der Landbevölkerung entging ihm ebensowenig, wie deren leibliche Magerkeit. Es empörte ihm die Seele, am arbeitenden Volke die traurigen Merkmale erdrückender Lasten wahrzunehmen.

»Diese herabgekommenen, armseligen Leute,« sprach er, »haben mit den selbstbewußten und kräftigen Bauern der Vendee keine Ähnlichkeit.«

»Es sind Kranke der allgemeinen Volksauszehrung,« versetzte Robespierre.

Die Bauern betrachteten forschend die Fremden. Dem kleinen Manne im blauen Frack wurde nur flüchtige Aufmerksamkeit, Valforts hohe Gestalt aber fesselte. Die Leute blieben stehen und sahen ihm nach. Sie wußten nicht, was sie aus dem Stattlichen machen sollten. Das einfache Reitkleid, die schildlose Mütze über dem Lockenkopf, das ungezwungene, sichere Benehmen, ebenso ferne von feudalem Stolze, wie von unterwürfiger Haltung, der helle Blick des scharfen Auges, das männlich schöne, jugendlich frische Gesicht, – kurz die ganze Erscheinung erweckte allgemeine Beachtung.

»Wer ist das? Ein prächtiger Mensch!« hörte man sagen. »Kommt er zur Versammlung? Wird er eine Rede halten? Dem könnte man vertrauen. Ehrlichkeit redet ihm aus dem Gesicht und Verstand aus den Augen.«

Ein weiterer Umstand veranlaßte beinahe eine Ovation für Paul. Bei einer Gruppe von Ortsbewohnern stand auch jener Bursch, den Paul vom Brunnen hinweg zu Pfarrer Longuet schickte, dessen Beistand für den sterbenden Lapussier zu erbitten. Valforts Barmherzigkeit und Selbstaufopferung für den Pestkranken war im Dorfe bekannt geworden und hatte allgemeine Bewunderung erregt. Denn auch sittlich verkommene Menschen verlieren selten die Fähigkeit und das Verständnis für geistige Großtaten.

»Guckt, das ist er, – da kommt er!« sagte der Bursch, auf Valfort deutend. »Er ists, der mir fünf Franken geschenkt und dem Pest-Lapussier Wasser am Brunnen geholt hat.«

Alle Augen wandten sich nach dem Vielbewunderten und alle Köpfe entblößten sich, während Paul vorüberging. Die Bauern standen in achtungsvollem Schweigen und sahen dem Baron nach, bis er an der nächsten Gassenecke verschwand.

»So einen Mann hab' ich in meinem Leben noch keinen gesehen,« sagte ein alter Bauer. »Dem kann mans im Gesicht lesen, was in ihm steckt. Ein göttlicher Mensch!«

»Wer ists nur? Wie heißt er? Wird er zum »roten Roß« kommen?«

Einige verließen die Gruppe und folgten Paul von Ferne.

Inzwischen gelangte dieser mit Robespierre zur Kirche, deren beide Torflügel weit offen standen. Aus dem Innern schallte Lachen und Schreien. Gaffende Bauern drängten sich am Eingang, lachend und sich belustigend. Valfort stieg die Treppe empor, Robespierre folgte. Der Baron schaute in das Heiligtum und rieb die Augen; denn Unglaubliches bot sich dar. Gesindel aus Limoges war in die Sakristei gedrungen, hatte Schränke geöffnet, die Priesterkleidung angezogen und trieb nun sein Spiel durch Nachäffung geistlicher Verrichtungen. Am Altare stand ein langer Mensch, mit brennend rotem Kopf, das Meßgewand um die Schultern. Auf den Altarstufen knieten zwei Lümmel, in Chorröcken der Meßknaben, mit den Schellen klingelnd oder das kauderwelsche Gemurmel des Roten in gleicher Weise erwidernd. Ein anderer hatte die Albe angezogen, das Ritual in der Hand, aus dem er spottweise Gebete murmelte. Vor ihm kniete ein kicherndes Weibsbild und ein Bursch, die er zur Ehe einsegnete. Im Beichtstuhle saß eine Dirne, die Stola um die Schultern. Zu beiden Seiten des Beichtstuhles knieten zwei Bengel, die unter lautem Gelächter der Umstehenden schmutzige Zoten durch das Gitter sagten. Die Dirne ahmte zuweilen die priesterliche Absolution nach, indem sie ein großes Kreuz über die Elenden schlug. Ein Dritter hatte im Meßgewand die Kanzel bestiegen. Der Mensch hatte ein unbeschreiblich freches Gesicht und lange gelbe Haare, die ihm wirr um den Kopf hingen. Er gestikulierte heftig mit den Armen, sprach durch die Nase und hielt in weinerlichem Tone eine Spottpredigt.

Diese Verhöhnungen des religiösen Glaubens und des Gottesdienstes begleitete ein stetes Gelächter der Zuschauer und ein ekelerregendes Geplärre erfüllte die Kirche.

Paul von Valfort, der strenggläubige Sohn der Vendee, sah in das Heiligtum des Herrn, gewahrte die pöbelhaften Possen, die Schändungen kirchlicher Riten und Sakramente und stand, wie gebannt, unter dem Eindrucke des Entsetzlichen. Mit einem Male stürmte es ihm wild durch das Blut. Die hohe Gestalt dehnte sich, die Augen blitzten und sein Gesicht verzerrten Grimm und Wut. Neben ihm lag ein abgerissenes Stück Glockenseil. Er raffte es auf und schlang, mit leidenschaftlich zitternden Händen einige Knoten. Er brach durch das Gedränge am Eingange und stürmte wie ein Rasender in die Kirche. Das knieende Spottbrautpaar warf sein Anlauf nieder. Auf den Menschen in der Albe führte er einen Streich von wuchtiger Kraft. Der Getroffene heulte und flüchtete aus dem Bereiche des verknoteten Seiles. Der Rote am Altare sah den Schrecklichen, erkannte, was ihm bevorstand und schrie um Hilfe. Im nächsten Augenblicke fühlte er den eisernen Griff des Wütenden im Genick, sich selbst im Wirbel gedreht und im Fluge herab auf die Steinplatten des Chores geschleudert. Die Lümmel in den Kleidern der Meßknaben liefen heulend davon. Valfort stand einen Augenblick schnaubend und spähte nach weiteren Opfern seines Grimms. Er stürzte auf den Beichtstuhl los. Die beiden Kerle am Gitter stellten sich zur Gegenwehr und empfingen den Rasenden mit Drohworten. Sogleich aber verwandelten sich ihre Flüche und Verwünschungen in winselndes Geheul; denn sausend fuhr der Strick auf Köpfe und Rücken nieder. Die schmähende Dirne riß Valfort aus dem Beichtstuhle und schleuderte sie, wie ein schlechtes Ding, weit von sich. Die Person fiel zwischen Kirchenstühle und blieb dort stöhnend liegen.

Dies alles geschah in wenigen Sekunden mit rasender Schnelligkeit. Und so erstaunlich waren Kraftäußerung und Gewandtheit des grimmen Barons, daß die zuschauenden Bauern in laute Rufe der Verwunderung ausbrachen.

Der Gelbhaarige auf der Kanzel sah die gewalttätige Unterbrechung der Komödie, verwandelte seine Predigt in Schmähungen gegen Valfort und rief den Schutz der Bauern an.

»Bürger von Nod, so laßt ihr euere Gäste mißhandeln?« rief er. »Wir kamen aus Limoges hierher, um euch ein lustiges Schauspiel zu geben und ihr könnt ruhig zusehen, wie euere Schauspieler von einem Schurken mißhandelt werden? Vorwärts Bürger! Reget euch und rächet euere Gäste, – rächet das beschimpfte Gastrecht! Soll man euch nachsagen, daß ihr euere Freunde mißhandeln lasset? Seid Männer, – nieder mit dem Fanatiker, – nieder mit dem Bundesgenossen der Feudalen!«

Während der Gelbhaarige diese Worte rief, prügelte Valfort die Kerle vom Beichtstuhle. Die Bauern sahen die Dirne zwischen die Stühle fliegen und machten Miene, der Aufforderung des Predigers Folge zu leisten.

»Wir können uns das nicht gefallen lassen, – man soll unsere Gäste, unsere Freunde nicht ungestraft mißhandeln, – hinaus mit dem Graurock, – er ist ein Fanatiker, – ein Feudaler!« riefen die Bauern durcheinander, und für den Baron wurde die Sache höchst bedenklich. Schon begann das Gedränge, sich vorwärts zu schieben. Fäuste ballten sich und zornig funkelnde Augen suchten Valfort. Da sprangen zwei Bauern hervor, stellten sich in den Gang vor den Schwarm und breiteten die Arme aus.

»Haltet ein, – höret!« riefen sie. »Kein Fanatiker, kein Feudaler ist der Graurock, – ein Freund des Volkes ist er! Ja, derselbe ists, welcher den Pest-Lapussier gepflegt hat, – ihr wißts ja!«

Die wenigen Worte bannten plötzlich den Sturm gegen Paul von Valfort. Die Bauern standen lautlos und betrachteten achtungsvoll einen Menschen, der seit einigen Tagen Gegenstand allgemeiner Bewunderung gewesen.

Der Gelbe auf der Kanzel sah den Beistand der Bauern im Keime erstickt und wandte sich an das Gesindel von Limoges. Dieses hatte sich von seinem Schrecken erholt und stand, zu einem Häuflein geschart, in einem Seitengang, in kräftigen Verwünschungen und Drohungen gegen den Gewalttätigen seinen Grimm ausschüttend.

»Was solls mit Worten?« schrie der Gelbhaarige. »Vorwärts, zur Tat, zur Vergeltung, zur Rache! Greift den Lümmel! Was zögert ihr? Seid ihr nicht zwanzig gegen einen? Packt ihn, – an die Laterne mit dem Schuft! Er hat das Volk geschlagen, – an die Laterne! Vorwärts, – erwürgt den feudalen Hund, – zum Angriff, – ich komme!«

Das Gesindel faßte Mut und setzte sich in Bewegung. Einige von ihnen trugen Spazierstöcke, welche sie drohend gegen Valfort schwangen. Hierbei unterließen sie nicht, zu brüllen und wüste Schimpfworte auszustoßen, weniger in der Absicht, den Feind zu schrecken oder zu reizen, als sich gegenseitig Mut einzuflößen; denn keineswegs lieblich war das Aussehen des Feindes. Paul's hochragende Gestalt bebte in leidenschaftlicher Erregung. Das Seil in der Rechten, stand er da, mit zusammengekniffenen Lippen, mit feuersprühenden Augen den Gelben beobachtend, der sich anschickte, die Kanzel zu verlassen.

Robespierre hatte sich an die Wand gestellt und erwartete gespannt den bevorstehenden Kampf. Auch die Bauern standen neugierig. Einige riefen dem Bedrohten zu, sich vorzusehen.

Valfort beobachtete das herankommende Pack nicht. Fortwährend hatte er den Gelben im Auge, der schimpfend von der Kanzel herabstieg. In seiner Haltung glich der grimme Baron einem gereizten Löwen, der lauernd wartet, bis der Feind so weit sich genaht, daß er mit einem Sprunge ihn erreichen kann. Noch immer waren seine Züge entstellt und gaben Zeugnis von der Wut, die ihn erfüllte. Die weitgeöffneten Augen flammten feurig, die Rechte hielt den Strick, die Linke ballte sich zur eisernen Faust.

Das Gesindel machte Halt, betrachtete aus unmittelbarer Nähe den Gewaltigen und mochte das Bedenkliche eines Angriffes fühlen. Deshalb begnügte es sich mit schreien und schimpfen, wobei die Vorderen des Schwarmes gegen ein weiteres Vorschieben sich sträubten. Der Gelbe hingegen zeigte Mut und Schlaglust. Er zog eine Fahnenstange aus den Ringen des Kirchenstuhles und rückte vor.

»Laßt mich an ihn! Nieder mit dem Feudalen!«

Wie eine Lanze senkte er die Stange und ging dem Feinde zu Leibe. Dieser machte eine blitzschnelle Bewegung und sein Strick sauste unerbittlich auf den Rücken des Gelbhaarigen, welcher laut aufschrie und die unbrauchbare Waffe fallen ließ.

»Zu Hilfe, – herbei, zu Hilfe, – er schlägt mich tot!« zeterte der Spottprediger.

Das Gesindel stürmte auf den Baron los, mit Flüchen und geschwungenen Stöcken. Aber die Stockstreiche trafen nicht ihn, sondern den Gelben. Von einem unwillkürlichen Trieb geleitet, hatte nämlich Valfort's Linke den Menschen am Rücken gepackt und hielt ihn nun, wie einen deckenden Schild, den Stöcken entgegen, während er mit der Rechten auf die Gegner losschlug. Es gab einen fürchterlichen Lärm. Der Gelbe, zappelnd in der Faust des rasenden Barons, wie ein Hahn in den Klauen des Adlers, heulte entsetzlich. Mit seinem Geheul vermischte sich das Gezeter jener, die von den Streichen des Glockenseiles getroffen wurden. Hiezu kam das schallende Gelächter der zuschauenden Bauern, vermischt mit stürmischem Beifall, den sie Paul zuriefen; denn für Äußerungen ungewöhnlicher Körperkraft hat die Menge stets Bewunderung und Sympathie. Indessen währte das Ergötzen der Zuschauer kaum einige Sekunden. Valforts Strick war so gut gedreht, die Knoten so derb, die Hiebe so aufrichtig gemeint, daß die Hefe von Limoges nicht standhielt.

»Ein Rasender!« rief eine gellende Stimme. »Ein Wahnsinniger, – ein Rasender, – fort, – fort!« schrieen die übrigen.

Alle wandten den Rücken und drängten aus der Kirche. Pauls Strick bearbeitete auch die Rücken der Fliehenden, trieb den Schwarm bis zum Portal und warf den Gelben, wie einen zerdroschenen Sack, über die Köpfe des Haufens.

Die Bauern aber, welche in der Gasse standen, klatschten in die Hände und brachten Valfort endlose Hochrufe.

Während des Kampfes stand Robespierre beiseite und lachte unbändig. Er lachte, daß ihm Tränen aus den Augen liefen, er lachte, daß ihm der Leib sich krümmte, er hustete vor Lachen und jetzt sank er lachend in einen Stuhl. Der Baron hatte das Gesindel zur Kirche hinausgeschlagen und Robespierre lachte immer noch.

»Das ist aber doch gar nicht zum Lachen!« sprach eine strenge Stimme.

Der Advokat blickte empor. Paul stand vor ihm, die verglimmende Glut des Zornes in den Augen.

»Helfen Sie mir, – ich berste, – ich muß mich zu Tode lachen!« sagte Robespierre, immer lachend. »Welch' köstliches Schauspiel! Alle Komödien der Welt sind nichts dagegen. Herr Baron, – Ihr Kampf muß in Versen verherrlicht und in Musik gesetzt werden! Wie die Kerle Ach und Wehe schrieen! Wie sie die zerbläuten Rücken einzogen! Wie der Flachshaarige in Ihrer Faust zappelte und Grimassen schnitt! Himmlisch köstlich, – göttlich genußreich!«

Der Baron zuckte die Achseln und begriff nicht, wie ein Mann, von der Sanftmut und Menschenfreundlichkeit Robespierres, an einer so wilden Schlägerei Vergnügen finden konnte. Dann sah er durch die Kirche. Er gewahrte die zerstreut liegenden Priestergewänder, las sie zusammen und legte dieselben auf dem Altare nieder. Robespierre beobachtete sein Tun, immer noch in Pausen ein krampfhaftes Lachen hervorstoßend.

Als sie nun die Kirche verließen, empfingen den Baron erneute Hochrufe der Bauern, die ihm nach dem Garten zum »roten Roß« folgten.

Dort hatte sich die Lage der Kavaliere gefährlich gestaltet. Sie waren die Zielscheibe des gröbsten Spottes geworden. Schon trieben Haß und Roheit zur Gewalttat. Da drängten der Gelbe und der Rote, nebst ihren Leidensgenossen, ungestüm in den dichten Haufen, wie Menschen, die Schutz suchen gegen nahende Gefahr.

»Nun, was gibt's?« rief der Schmied. »Was brecht ihr so wild da herein in unseren Kreis?«

»Ein Wahnsinniger!« antwortete der Rote.

»Ein rasender Herkules!« sagte der Gelbe, mit zitternder Hand und scheuem Blick auf Paul hindeutend, der eben mit Robespierre herankam.

Duval und seine Genossen gewahrten das verschüchterte Benehmen der Leute aus Limoges, die sich rasch im Gedränge verkrochen und sahen verwundert auf den »rasenden Herkules«. So empfing eine tiefe Stille den Baron, der seine Mütze zog und die Versammelten grüßte. Dem Herzoge und dem Grafen erschien er wie ein Retter. Sie drängten sich an ihn heran, wie Wehrlose unter den Schutz eines Bewaffneten.

Die Bauern begafften den Fremden, – fremd in seiner Tracht, ungewöhnlich und fremd in seinem Benehmen. Die freie, selbstbewußte Haltung, der feste, klare Blick, die naturwüchsige Kraft der Glieder, der ganze Mann imponierte. Die Bauern zogen alle die Mützen, Duval nicht ausgenommen. Sie öffneten eine Gasse für den Hochragenden, der stehen blieb und scharfen Auges die Umgebung musterte.

»Entschuldigen Sie, Bürger,« sprach er mit kräftiger Stimme in das Schweigen, »wenn ein Fremder sich erlaubt, an Ihrer Versammlung teilzunehmen!«

Die Bauern grinsten freundlich. Duval murmelte Unverständliches. Valfort schritt mit seinem Gefolge nach dem Innern des Gartens.

»Und der soll rasend sein?« sagte Duval mit verhaltener Stimme. »Einen schöneren Mann hab' ich in meinem Leben nicht gesehen. Auch keinen, vor dem man Respekt haben muß, wenn man ihn nur anguckt.«

Die Zuschauer in der Kirche traten heran und berichteten den Vorgang. Alle Köpfe bewegten sich staunend und alle Augen sahen nach der Richtung, in der Valfort verschwunden war.

»Freunde,« rief der Schmied, »ihr wißt, ich bin kein Frömmler! Dennoch muß ich loben, was der Fremde getan hat. Respekt vor einem, der stärker ist, als fünfundzwanzig aus Limoges, – sogar stärker als der Schmied von Nod!«

In diesem Augenblicke klingelte eine Schelle.

»Es fängt an, – es geht los!« sagten die Bauern, und alle bewegten sich durch den Garten nach der Rednerbühne.

Über einem Tisch erhob sich eine Lattenbrüstung, mit rotem Tuch behängt; dies war die Rednerbühne.

Ein junger Mann stieg auf einen Stuhl, dann auf den Tisch. Auch ihn kleidete die Bluse, aber seine Hände waren keine Bauernhände. Er hatte ein bleiches, hageres Gesicht und darin zwei unstäte lebendige Augen. Viele hundert Bauern umstanden ihn dichtgedrängt und er sah einige Augenblicke schweigend über die Masse hin, bis lautlose Stille eintrat.

»Bürger!« hob er an. »Ganz Frankreich durchhallt ein Jubelruf. Das geknechtete Volk erhob sich und zerbrach in heiligem Zorn das Haus der Tyrannei, – die Bastille. Ja, über den Trümmern der Bastille flammt auf das Morgenrot der Freiheit! Das Zusammenkrachen der Bastille hat selbst jene aufgerüttelt, die in stummer Verzweiflung ihre Ketten trugen. In ganz Frankreich werden Versammlungen gehalten, um das Volk zu erinnern, an seine Knechtschaft und an seine Pflicht. Denselben Zweck hat unsere gegenwärtige Versammlung.«

»Bürger! Bedarf es der Erinnerung an unsere Knechtschaft? Dies möchte ganz und gar überflüssig sein. Fühlen wir denn nicht alle das eiserne Joch der Knechtschaft, die Ketten der Sklaverei, womit die Henker des Volkes uns belasten?«

Sämtliche Bauernköpfe nickten beifällig und das Mienenspiel der Zuhörer wurde leidenschaftlich, als der Redner in starken Farben und kräftigen Strichen die sozialen Zustände flüchtig skizzierte.

»Ist es notwendig, diese Henker des Volkes euch zu nennen?« fuhr er fort. »Ihr kennt ja die Fürsten, die Priester, den Adel, – diese unversöhnlichen Feinde des Menschengeschlechtes. Die Könige sind Tiger, welche die Nationen zerfleischen. Tyrannen sind Ungeheuer. Glücklicherweise hat so ein Ungeheuer nur einen Kopf, den man ihm abschlagen kann mit einem einzigen Hiebe. Ungeheuer zu töten, ist kein Verbrechen, sondern eine Pflicht. Muß ich euch diese Pflicht beweisen? Betrachtet euer Unglück, euer Elend, euere Sklaverei! Betrachtet die jammervolle politische Verfassung Europas! Zehn bis zwölf gekrönte Häupter führen das menschliche Geschlecht an Ketten, berauben es seiner Freiheit und schlagen es in die unerträglichste Sklaverei. Wird das Volk endlich erwachen und seine Henker zertreten? Will das französische Volk noch länger schmachten in der äußersten Not? Noch länger hungern? Noch länger seine Quäler mästen mit dem sauern Schweiße seiner Arbeit? Soll man nicht die Bestien erwürgen, welche das Mark des armen Volkes fressen? Vergleichet doch euer elendes Dasein mit dem Glanze, dem Überflusse, der Verschwendung des allerchristlichsten Königs! Nur einen Punkt will ich hervorheben. Betrachtet einmal die Bedienung des Königs, – eine Bedienung, die ihr bezahlen müßt. Der allerchristlichste hat einen Großalmosenier, einen Großzeremonienmeister, einen Großstallmeister, einen Großjägermeister und dazu noch vierhundert, – sage, noch vierhundert Hausbeamte! Auch einen Großbratenmeister hat er und einen Weinläufer, dessen Pflicht es ist, der Majestät überallhin den Wein nachzutragen.«

Ein grimmiges Lachen schlug flüchtig aus der Menge empor.

»Ebensoviele Beamte hat die Königin, und nicht weniger Beamte haben die Prinzen und Prinzessinnen. Also ein ganzes Heer von Beamten für eine einzige Familie, – für eine Familie, die im Grunde eigentlich nur dazu da ist, dem Volke zu dienen. Was soll ich sagen, von der zahllosen Beamtenarmee, die ganz Frankreich überflutet und dem Volke jeden Wohlstand unmöglich macht? Ihr kennt ja diese Vampyre, die euch das Blut aussaugen. Ihr kennt die erdrückenden Steuerlasten, die unerschwinglichen Abgaben, die erwürgenden Monopole. Ihr kennt auch die Feudalen, diese herzlosen Wüteriche und grausamen Schinder des armen Volkes.«

Ein Aufflammen wilden Grimmes unterbrach hier den Redner.

»Tod den Feudalen!« schrieen die Bauern. »Tod unseren Henkern!«

»Und wer hat das Volk dem eisernen Joche der Tyrannei überliefert? Haben dies nicht die Priester getan?« fuhr der Redner fort. »Ja, die Priester haben sich verbündet mit Fürsten und Feudalen gegen das Volk! Die Priester sind Helfershelfer der Despoten; denn sie predigen eine Tyrannei von Gottes Gnaden. Einen Gott haben die Priester ausgedacht, dessen Diener ein König ist, – ein König, welcher das Recht hat, ein Despot zu sein. Was für ein erbärmlicher Gott ist das! Schäme dich, Frankreich, einem Gott der Despotie gedient zu haben! Teilnahme für das arme, gedrückte Volk heucheln die Priester, – in Wirklichkeit aber hat sich der Altar mit dem Throne verbündet, das betörte Volk in unerträgliche Knechtschaft zu schlagen.«

»Bravo!« schrieen die Bauern. »Nieder mit den Priestern! Tod den Pfaffen! Es lebe die Freiheit!«

»Bürger, – sehet doch euere unverantwortliche Güte, euere Langmut, die an Schwäche grenzt!« hetzte der Redner. »Was haltet ihr von einem Riesen, der sich peitschen und quälen läßt von einem bösen Buben? Der kleine Finger des Riesen könnte den bösen Buben zu Boden strecken, – allein der Riese bewegt nicht einmal seinen kleinen Finger. Beschimpfen und peinigen läßt er sich von dem bösen Buben, weil der Riese gutmütig ist bis zur Schwäche, und sanftmütig bis zur Einfalt. Wer ist dieser Riese? Das französische Volk. Wer ist der böse Bube? Der König, Adel und Klerus. Denn fünfundzwanzig Millionen Köpfe zählt das französische Volk, und nur hundertfünfzigtausend Köpfe zählen seine Schinder. Dem bösen Buben aber gehört Frankreich, gehören Grund und Boden, gehören Überfluß, Genüsse und Lebensfreuden. Und was gehört dem gutmütigen Riesen? Ihm gehört die Arbeit, die Plage, der Hunger, das Elend, die Sklaverei. Bürger, ist das nicht schimpflich für den Riesen? Wohlan, – erhebe dich, Riese, schmettere deine bubenhaften Quäler zu Boden! Ermanne dich, Riese, gebrauche deine Kraft und werde frei!« Cantu, Bd. XII. S. 910. – Bd. XIII. S. 16.

Unter stürmischem Beifall verließ der Redner die Bühne. Die Augen der Bauern funkelten. Es kochte der Grimm und wilde Drohungen schlugen empor. Endlich erstarb die Bewegung zu einem dumpfen Grollen, das verstummte, als Duval über dem Tische auftauchte.

»Freunde, – Mitbürger!« rief der Schmied. »Nur ein paar Worte will ich von meinem Handwerk zu euch reden. Zu meinem Handwerk gehören Amboß und Hammer. Der Amboß hat ein elendes Leben. Er muß sich fortwährend vom Hammer klopfen lassen. Wer möchte so ein Amboß sein? Nun ja, Bürger, wir sind der Amboß! Das geschlagene, geknechtete, geklopfte Volk ist der Amboß. Auf dem Volke klopft stets der Hammer des Königs herum, der Hammer der Feudalen und der Hammer der Pfaffen. Mitbürger, da wir lange genug Amboß gewesen, so wollen wir auch einmal Hammer sein. Laßt uns jene schlagen und zu Staub hämmern, die uns geschlagen und in das tiefste Elend geklopft haben.«

Er machte einen steifen Knix und stieg unter beifälligem Lachen der Zuhörer vom Tische.

Valfort hatte nicht bloß den Reden die größte Aufmerksamkeit geschenkt, sondern auch deren Eindrücke auf die Bauern beobachtet. Bei der Anklage gegen die Religion und dem Rufe: »Tod den Pfaffen!« glitt ein herbes Wehe über das Gesicht des jungen Mannes. Es trieb ihn offenbar, für die Wahrheit einzutreten; denn er schob sich durch das Gedränge nach der Bühne. Aber ein Bürger aus Limoges war ihm zuvorgekommen. Dieser bearbeitete mit leidenschaftlichen Worten und heftigen Geberden die Ländlichen. Ein Glutregen von zündenden Phrasen fiel auf die Bauern herab und versetzte dieselben in siedende Gärung.

»Laßt uns zusammentreten und das Joch der Sklaverei zerbrechen!« schloß der Redner. »Geben wir den unterjochten Nationen ein Beispiel, gehen wir denselben voran, – erklären wir unsere Unabhängigkeit. Mensch, wähle, ob du glücklich oder unglücklich sein willst! Hasse die Tyrannei, verabscheue die Sklaverei! Bewaffne deinen Arm, – stirb oder sei frei!«

Unter wildem Getöse stieg der Mann herab.

Mit einem Satze sprang Valfort auf den Tisch, zum größten Erstaunen der Kavaliere, deren bange Empfindungen wiederholt bis zum Entsetzen und zur Todesangst sich steigerten. Sie sahen die Wuth der Bauern, hörten sich als »Schinder und Henker des Volkes« erklären, die man erwürgen müsse, und hatten Grund, das schlimmste zu befürchten. Und Valfort, ein Edelmann, hatte den Mut, zur ergrimmten Masse zu sprechen! Ein unerhörtes Wagnis in den Augen der Kavaliere.

Pierre hingegen war anderer Meinung. Er stand der Bühne nahe, rückte an seinem Hut und sah stolz auf seinen Herrn.

»Jetzt aufgepaßt!« sprach er zu seiner Umgebung. »Jetzt werdet ihr das Rechte hören!«

Der Lärm verhallte. Die Bauern sahen erwartungsvoll zu dem Fremden empor, dessen Haltung von jener der vorausgegangenen Redner wesentlich verschieden war. Keine leidenschaftliche Geberde, keine Grimassen, kein verzerrtes Mienenspiel, worin der Haß kochte. Ruhig stand er da und sicher, wie ein Vertreter der Wahrheit. Seine metallreiche Stimme beherrschte den weiten Raum, und donnerähnlich rollte sie zuweilen über die Masse dahin. Und schon die ersten Worte bestachen und gewannen die Zuhörer.

»Freiheit, – Gleichheit, – Brüderlichkeit!« hob er mit starker Betonung an. »Meine Vorredner haben das Elend des Volkes geschildert, die Knechtschaft, die Tyrannei. Die Schilderungen waren kaum übertrieben, wenn man die Vendee ausnimmt, wo es nur Freiheit gibt, Gleichheit und Brüderlichkeit. Möge ganz Frankreich so frei und glücklich werden, wie seit Jahrhunderten die Vendee, meine liebe Heimat. Ein absolutes Königtum kennen wir nicht. Wir dulden keine Monopole. Wir zahlen keine Steuern und Abgaben, die unsere Väter nicht gezahlt haben. Wir haben uns von Maitressen niemals regieren und auch nicht von Feudalen drücken lassen. Unsere Bauern sind freie Männer, wohlhabend und gleich in allen Menschenrechten mit den Edelleuten. Unsere Barone leben mit den Bauern brüderlich zusammen und sind stolz darauf, von dem übrigen Adel Frankreichs »Krautjunker« gescholten zu werden. Unsere Krautjunker schämen sich der Arbeit nicht, und mancher Herr von vierundzwanzig Ahnen geht zuweilen hinter dem Pflug, oder führt die Hacke. In der Vendee ist die Arbeit keine Schande, sondern eine Ehre. Aber das Faulenzen ist eine Schande und das Schlechte eine Schmach. Ich weiß dies alles genau; denn ich selber bin ein »Krautjunker« der Vendee.«

Die Bauern lachten.

»Es lebe die Vendee!« riefen sie. »Es leben die Krautjunker!«

»Mitbürger!« fuhr der Baron fort. »Kennt ihr auch den Grund, weshalb in der Vendee Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit unsterblich sind? Ich will euch den Grund sagen! Die Vendee ist katholisch, darum ist sie frei, – sie ist religiös, darum sind alle untereinander Brüder.«

Die Zuhörer stutzten. An verschiedenen Punkten erhob sich ein leises Murren.

»Ihr wundert euch darüber und murrt?« rief der Baron. »Euere Verwunderung ist ebenso natürlich wie euer Murren. Denn ihr habt eine katholische Religion kennen gelernt, die einer Staatsmaschine gleicht, einem Werkzeuge der Despotie, einer Handhabe der Tyrannei. Das absolute Königtum hat in Frankreich die katholische Kirche ebenso geknechtet wie alles übrige. Nicht der Papst leitet in Frankreich die Kirche, sondern der König und seine Minister. Der König heißt freilich der »allerchristlichste«, manche Könige sind aber nichts weniger als christlich gewesen. Dazu habt ihr vielfach einen Klerus, welcher die Religion und das Volk verriet an die Despotie. Ihr habt häufig einen Klerus, welcher die Wolle der Schäflein schert, die Seelen aber zu Grunde gehen läßt. Ist dies ein katholischer Klerus? Nein, – niemals! Das fromme, würdige Priestertum wird kein Werkzeug der Despotie, – im Gegenteil, es bekämpft die Tyrannei. Öffnet die Geschichtsbücher unseres Vaterlandes! Darin findet ihr, daß Päpste und Bischöfe die Könige und Großen des Reiches mit den schärfsten geistlichen Waffen bekämpften, wenn sich auf dem Throne die Ungerechtigkeit niederließ, wenn die Großen das wehrlose Volk unterjochen und in seinen Menschenrechten schädigen wollten. Jener Klerus ist echt katholisch, der einsteht für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Jesus Christus, der Sohn Gottes und Stifter unserer heiligen Religion, – er hat die Sklavenketten zerbrochen, – er hat die Gleichheit aller Menschen gelehrt, – er hat die Brüderlichkeit zum höchsten Gesetze erhoben.«

Aber die Verteidigung christlicher Ideen fand keineswegs allgemeine Billigung. Den verderbten und entsittlichten Gemütern gefiel die Verachtung und Beschimpfung der Religion weit besser. Daher murrten viele, nur wenige nickten beifällig.

»Mitbürger,« rief mit Nachdruck der Baron, »ihr fordert Gerechtigkeit von eueren Unterdrückern, – ich fordere von euch Gerechtigkeit für die Wahrheit! Ungerecht wäre es von euch, ein göttliches Kleinod zu verachten, zu schmähen, weil dieses göttliche Kleinod von der Bosheit beschimpft und von der Herrschsucht in den Kot getreten wurde. Dieses göttliche Kleinod ist die reine, die heilige Lehre Gottes, die katholische Religion. Mitbürger, ich beschwöre euch, verwechselt nicht die abhängige, unterjochte Staatskirche Frankreichs mit der katholischen Kirche! Ein Vorredner hat gesagt: »Die Priester sind die Helfershelfer der Despoten; denn sie predigen eine Tyrannei von Gottes Gnaden!« Dagegen sage ich, – Jesus Christus hat seinen Priestern folgende Lehren vorgeschrieben: »Der gute Hirt läßt sein Leben für seine Schafe!« Nun frage ich euch, können geistliche Helfer der Tyrannen echte Priester der katholischen Kirche sein? Nimmermehr! Der richtige Priester bekämpft die Tyrannei, er stehet ein mit seinem Leben für die geistige und leibliche Wohlfahrt des Volkes. Der echte Priester ist ein Segen für die Menschheit. Weiter hat der Vorredner gesagt: »Einen Gott haben die Priester ausgedacht, dessen Diener ein König ist, welcher das Recht hat, ein Despot zu sein. Welch ein erbärmlicher Gott ist das!« Sehr wahr – ein erbärmlicher Gott. Daher Spott und Hohn und Haß gegen die Religion, die ja ein Werk Gottes ist. Allein der Gott des Christentums ist kein Gott der Despotie, sondern ein Gott der Gerechtigkeit, der Liebe und Barmherzigkeit.«

»Wenn's wahr wäre!« rief eine Stimme.

»Ihr zweifelt, Mitbürger? Wohlan, Gott selber möge für seine Liebe und Barmherzigkeit sprechen! Beim Evangelisten Matthäus redet Jesus Christus von seiner Ankunft zum allgemeinen Weltgericht und von dem Geiste, in dem er richten wird. Er sagt: »Wenn gekommen sein wird der Sohn des Menschen in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sich setzen auf den Thron seiner Macht, und versammelt werden vor ihm alle Völker, und er wird sie abscheiden voneinander, wie der Hirt abscheidet die Schafe von den Böcken, und er wird stellen die Schafe zu seiner Rechten, die Böcke aber zur Linken.«

»Ein Märchen!« rief es. »Wir sind nicht da, um Märchen zu hören. Herunter, herunter!«

»Fortfahren, – weiter reden! Redefreiheit!« rief es vielstimmig.

»Einverstanden, – Redefreiheit!« bestätigte Valfort. »Wer Gegenrede unterdrücken will, der übt Tyrannei.«

»Redefreiheit!« riefen die Bauern. »Weiter, – wir hören!«

»Alsdann wird der König sagen zu denen, welche zu seiner Rechten sein werden: Kommet ihr Gesegneten meines Vaters, nehmet zum Erbe das Reich, welches euch bereitet ist von Grundlegung der Welt an. Denn ich war hungrig, und ihr gabet mir zu essen; ich war durstig, und ihr habt mich getränkt; fremd bin ich gewesen, und ihr habt mich beherbergt; ich war nackt, und ihr habt mich gekleidet; ich war krank, und ihr habt mich besucht; ich war im Kerker, und ihr kamt zu mir. Dann werden ihm die Gerechten sagen: Herr! wann sahen wir Dich hungern, und nährten Dich? Dich dürsten und tränkten Dich? Wann sahen wir Dich fremd und nahmen Dich auf? Oder nackt und kleideten Dich? Und entgegnen wird ihnen der König und sagen: Wahrlich, ich sage euch, was ihr Einem meiner geringsten Brüder getan, mir habt ihr's getan! – Dann wird er auch zu denen sagen, welche zur Linken stehen werden: Weichet von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, welches bereitet ist dem Teufel und seinem Anhang. Denn ich war hungrig, und ihr gabt mir nicht zu essen; ich war durstig, und ihr habt mich nicht getränkt; fremd bin ich gewesen, und ihr nahmt mich nicht auf; nackt war ich, und ihr habt mich nicht gekleidet;, ich war krank und im Kerker, und ihr habt mich nicht besucht. Dann werden auch sie antworten und sagen: »Herr! wann sahen wir Dich hungern, oder dürsten, oder fremd, oder nackt und krank und im Kerker, und wir haben Dir nicht gedient?« Er aber wird ihnen entgegnen und sagen: Wahrlich, sage ich euch, was ihr nicht getan einem der geringsten, mir habt ihr's nicht getan. Und es werden diese hingehen in die ewige Pein, die Gerechten aber in das ewige Leben.« Matthäus XXV. 31-46. – Mitbürger! Was folgt aus dieser Rede des göttlichen Stifters unserer heiligen katholischen Religion? Schlagend geht daraus hervor, daß nur jene Menschen vor Gott Gnade finden und ewigen Lohn, welche Barmherzigkeit üben und Nächstenliebe. Weiter folgt daraus, daß jene verdammt und verworfen werden, die keine Barmherzigkeit üben, vorzüglich jene, die ihren Nebenmenschen übervorteilen, betrügen, unterdrücken, aussaugen und quälen. Mitbürger, ich frage euch, kann der Christengott ein Freund der Despoten und Tyrannen sein? Jener Gottmensch, der freiwillig starb am Kreuze für seine Freunde, sogar für seine Feinde?«

»Es lebe der Gott der Christen, es lebe unser Rächer!« riefen die Bauern.

»Die Klöster, – die frommen Mönche, – der Zehnten, – die Schinder!« schrie es dazwischen.

»Die Prasser in den Klöstern und die Schinder in den Kutten werden zur Linken stehen bei den Böcken,« erwiderte Valfort.

Die Bauern lachten und riefen Bravo.

»Mitbürger! Warum gibt es Prasser in eueren Klöstern und schlechte Priester? Weil der Geist Christi, der Geist der katholischen Religion, in diesen Klöstern ausgestorben ist. Warum starb der Geist des Christentums? Weil eine unchristliche Staatsleitung unwürdige Menschen, verkommene Höflinge zu Bischöfen und Äbten erhoben hat. Auch wir haben Klöster und Geistliche in der Vendee. Unsere Klöster aber sind Stätten der Nächstenliebe und Barmherzigkeit. Unsere Priester sind fromme, würdige Männer. Geistliche Prasser und Quäler des Volkes kennen wir nicht. Warum nicht? Weil wir Eingriffe des Staatsregimentes in die Kirche nicht dulden. Zu uns wird niemals ein lockerer Höfling als Bischof kommen, – käme er, er fände keine Herde. Wir halten fest an der Kirchenfreiheit. Wir dulden nicht die Herrschaft der Staatsgewalt in religiösen Dingen. Warum nicht? Weil der göttliche Stifter nicht die Könige und Minister eingesetzt hat, seine Kirche zu leiten, sondern den Papst und die Bischöfe. Nebenbei haben wir noch einen anderen, höchst wichtigen Grund, die Kirchenfreiheit eifersüchtig zu bewachen, – nämlich unsere politische Freiheit. Wenn Fürsten und Minister in der Kirche kommandieren und die Religion zum Sprachrohr ihrer Herrschsucht machen, dann ist die Sklaverei des Volkes besiegelt. Bischöfe und Priester dürfen keine Staatsdiener sein. Wie eine feste Burg schirmt die freie Kirche gegen fürstliche Despotie. Herrscht aber das absolute Königtum oder ein absolutes Staatswesen auf religiösem Gebiete, dann wird die Kirche geschändet und herabgewürdigt zur Zwingburg für das unterdrückte Volk.«

Eine Bewegung des Beifalls ging durch die Menge.

»Mitbürger! Zum Schlusse noch eine brüderliche Warnung! Wie euch bekannt, lehrt das Christentum eine Gleichheit aller Menschen. Diese Gleichheit stützt sich auf die Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott, das heißt, wir sind Gottes Ebenbild, weil wir einen vernünftigen, unsterblichen Geist haben. Nun gibt es aber Leute, man heißt sie Philosophen, welche behaupten, der Mensch habe keinen Geist, er sei ein Tier. Auch einen Gott gebe es nicht. Vor diesen Lehren warne ich euch; denn sie sind Thronstützen der Tyrannei und eine Mutter der Sklaverei. Ist nämlich der Mensch ein Tier, weshalb soll man ihn nicht behandeln, drücken und quälen dürfen wie ein Tier? Gibt es keinen gerechten Gott, keine ewige Vergeltung, – vor wem sollten tyrannische Machthaber zittern? Deshalb behaupte ich, die gefährlichsten Feinde des Volkes sind die neumodischen Philosophen. Hütet euch vor ihnen! Haltet vielmehr fest an der christlichen Religion; denn sie predigt Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Mitbürger, seid katholisch, handelt katholisch und ihr werdet frei sein!«

Der Rede folgte eine lange Pause des Schweigens. Kein Beifallrufen, keine leidenschaftliche Erregung. Dennoch las man auf allen Gesichtern lebhafte Eindrücke.

»Dem Krautjunker muß ich recht geben wider meinen Willen,« brummte Duval. »Eine Religion, die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit lehrt, kann man nicht verwerfen.«

Ähnliche Äußerungen gingen durch die Menge.

Robespierre drückte Valfort die Hand.

»Bis auf einige Nebendinge, ganz Ihrer Ansicht!« sagte er. »Die christlichen Ideen in ihrer Reinheit sind wirklich göttlich. Aber es dürfte schwer sein, die Religion ihrer erhabenen Bestimmung zurückzugeben.«

Bei der Rückkehr nach Rovere sprach Henry fast kein Wort. Es wühlte etwas in dem Grafen. Im Schlosse angelangt, verabschiedete er sich von Paul mit den Worten: »Herr Baron, Sie waren heute mein Lehrmeister, vielleicht sogar mein Retter! Ich danke Ihnen.«

Dann saß er brütend in seinem Zimmer, bis die innere Bewegung in abgerissener Rede hervortrat.

»Die Bluse allein tut's nicht,« sprach er. »Ingrimmig haßt der Pöbel alle, die ein Recht haben, ihm zu gebieten. Die Gärung ist tief, allgemein, – es gibt einen Ausbruch. Wird es Bajonetten und Kanonen gelingen, den Aufstand der Kanaille niederzuschmettern? Wird nicht die Wut von fünfundzwanzig Millionen Frankreichs Verfassung umstürzen? Ich sehe es kommen, – die Raserei der Massen wird alles bestehende verschlingen. – – Rette sich, wer kann! Und niemand wird sich retten, der nicht schwimmt mit dem wilden Strome. – – Ich werde mit ihm schwimmen. Der Krautjunker hat mich heute schwimmen gelehrt. Der Philosoph muß den Edelmann vergessen und der Kanaille den Bart streichen. Um den Leib die Bluse und im Munde Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Ein Tölpel, der nicht alles daran setzt, das Höchste zu retten, – das Leben, – – – Warum nicht? An der Spitze eines Bauernhaufens könnte ich Rovere stürmen, in Brand stecken, – wenn dieser Beweis meiner Volksfreundschaft notwendig wäre, dem Tode zu entrinnen. – – Der Tod, – wie häßlich, wie haarsträubend! Weil nach dem Tode nichts ist, darum ist das Leben alles. Vater, Mutter, Geschwister, Wappen, Krone, – alles für das Leben! Die Revolution komme, – ich bin gerüstet!«


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