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Torhüter David und Kammerdiener Pierre fanden sich schon in den ersten Tagen als treue Freunde zusammen. Der scharfblickende David entdeckte Pierre's biedere Ehrlichkeit, Pierre schätzte vor allen Bediensteten des Schlosses David, dessen gutmütige und christliche Gesinnung ihm gar wohl gefielen. Täglich plauderten sie miteinander am Tor, Lebenserfahrungen und Beobachtungen austauschend. Hauptinhalt ihrer Gespräche bildeten Gräfin Isabella und Paul von Valfort. Nach Pierre's Meinung war sein Herr die Krone der ganzen französischen Männerwelt, und David zögerte nicht, dieses Urteil zu bestätigen. In gleichem Einverständnisse befanden sich beide, wenn der Torwächter Gräfin Isabella an Geist und Schönheit die Perle ihres Geschlechtes nannte.
»Im Vertrauen, David,« sagte Pierre, »mein Herr kommt mir seit einigen Tagen etwas absonderlich vor. Beim Ausreiten spricht er wenig, ist viel in Gedanken, gibt auf manche Reden keine Antwort. Dies war sonst nicht seine Art. Selbst bei der geistlichen Lesung ist er nicht immer, wie ich an seinem gedankenvollen Hinstarren bemerke. – Hm, – wie meinst Du?«
Davids pfiffige Augen glänzten, die hochgeschwungenen Augenbrauen näherten sich dem Spitzbogen und sein sprechendes Mienenspiel gestaltete sich wie inhaltschwere Geheimschrift.
»Eine ähnliche Wahrnehmung habe ich an der Perle Isabella gemacht, sie hat sich seit einigen Tagen ganz und gar verändert,« entgegnete er. »Sonst war sie einsilbig, zuweilen verstimmt und so traurig gelaunt, daß ich meinen ganzen Witz zusammensuchen mußte, um ihr ein Lächeln zu erwecken. Heute ist sie verwandelt. Ihr müdes Wesen ist fort, ihre Langeweile fort, ihr Ärger über die ungesunde Schloßluft fort. Alle Schatten sind fort, sie ist ganz Licht, Freude und Glück. Die gnädige Gräfin kommt mir vor wie jemand, der sein Leben lang im Halbschlafe herumgewandelt und jetzt mit einem Male zum vollen Bewußtsein erwachte.«
»Was oder wer könnte das schöne Fräulein aufgeweckt haben? Wie meinst Du?«
»Was oder wer könnte den stattlichen Baron so ernst und sinnend gestimmt haben? Wie meinst Du?« frug David lächelnd entgegen.
Beide schauten sich einander an und führten durch Blick und Mienenspiel ein sehr lebhaftes Gespräch.
»Es klappt wirklich!« sagte Pierre. »Und doch klappt es wieder nicht. Der herrlichste junge Mann und das schönste Edelfräulein haben sich's einander angetan, – das klappt! Ja, es klappt, – das heißt, wenn es sonst nicht die Art der Gräfin ist, hübschen Kavalieren gefallen zu wollen.«
Davids hochgespannte Augenbrauen fielen bei den Worten, wie ein Barometer bei schlechtem Wetter.
»Daß ein so gescheiter Mensch solches Zeug schwätzen kann!« versetzte unmutig der Torhüter. »Sie den Kavalieren gefallen wollen? Du solltest sie kennen! Keinem gibt sie ein gutes Wort. Keinem schenkt sie einen freundlichen Blick. Alle behandelt sie nach Verdienst, nämlich wie schweifwedelnde Hunde, denen man Fußtritte versetzt.«
»So, – so! Eine große Seltenheit, – ein Mirakel in der französischen Frauenwelt!« versicherte Pierre.
»Das ist sie, ein Mirakel, – ein Wunder ihres Geschlechtes! Siehst Du, mein Tor öffnet sich Baronen, Grafen, Herzögen, Prinzen und Fürsten! Und was hieher kommt, huldigt Isabella, – und was ihr huldigt, findet Gnade? Nein, – Fußtritte!«
»Oho, – Fußtritte? Sie könnte solch eine Furie sein?« frug erstaunt Valforts Getreuer.
»Geistige Fußtritte, guter Pierre! Ich spreche eben in Gleichnisreden, wie es der Herr Jesus immer tat, wenn er Einfältigen die Wahrheit sagte. Fußtritte versetzen Isabellas scharfe Zunge, ihre kalte Verachtung, ihr strafendes Benehmen. Davon hab' ich köstliches gesehen. Höre nur einen Fall! – Gerne lustwandelt sie im Schatten dieser Baumreihe. Da kam ein nettes Prinzchen, schlank und biegsam wie eine Weide. Parfümiert und wohlriechend wie eine Salbenbüchse. Buntscheckig in Gold und Silber und Sammt, wie ein Distelfink, und geschwätzig wie eine Elster. Kaum sieht mein Prinzchen Isabella, da hatte ihm Gott Amor zehn Pfeile durch das Herz geschossen.«
»O, der arme Prinz!« bedauerte Pierre. »Den Amor mit Pfeil und Bogen sah ich im Garten, – ein unverschämt nacktes Kerlchen! Und der Prinz? Starb er nicht an den zehn Pfeilen im Herzen?«
»Das nicht! Allein, verrückt wurde er, – höre nur! Gräfin Isabella lustwandelt unter den Bäumen; da kommt das Prinzchen, – und wie? Possierlich tänzelnd mit Beinen und Füßen, – Bücklinge formulierend mit seinem Rücken, – lächelnde Süßigkeiten schneidend mit seinem dreiviertel Mannsgesicht. Dann öffnete er die Schleusen seines von Liebesgram angeschwollenen Herzens. Das Zeug hättest Du hören sollen – lauwarmes Zuckerwasser! Isabella kamen augenscheinlich Empfindungen des Ekels. Unter diesem Baume blieb sie stehen und strafte mit schneidigen Worten das arme Prinzchen. Es half alles nichts. Hätte auch ihre Zunge das Männlein erstochen, ihre Nähe würde den Toten sogleich wieder erweckt haben. Wie unsinnig geberdete sich die zarte Durchlaucht und war schon daran, anbetend vor Göttin Isabella in die Knie zu sinken. Mit einem Male sagte sie: »Ich fühle Teilnahme für Ihren Zustand, mein Herr!« – Die plötzliche Teilnahme brachte den fürstlichen Knaben um den Rest seines Verstandes. »Teilnahme? O ich Glücklicher, – welche Wonne!« rief er. »Göttin Hera läßt sich herab, für einen armen Sterblichen zu fühlen? Ist das möglich, – träume ich?« – »Sie scheinen wirklich an bösen Träumen zu leiden,« antwortete sie, dem Tore näher tretend. »Aus Teilnahme rate ich Ihnen, die arge Betäubung durch einen Spaziergang in frischer Luft zu vertreiben. – David, öffne für den durchlauchtigsten Fürsten das Tor!« – Ich sperrte die beiden Flügel weit auf. Das arme Prinzchen begriff, was er unter solchen Umständen nicht lassen konnte; er machte einen Spaziergang. – – Da hast Du ein Beispiel, wie das stolze Herz der edelsinnigen Isabella ihren Anbetern zu gefallen sucht!«
»Jetzt wiegt die Gräfin noch zehnmal schwerer auf der Wage meiner Hochschätzung!« versicherte Pierre. »So wäre mein Baron wirklich der erste, für den sie kein offenes Tor und keine spitzige Zunge hat?«
»Der Erste!«
»Gut! So möchte das Erste klappen, – Krone und Perle streben zusammen. Das Zusammenstreben dünkt mir ganz natürlich; denn Perlen sind im Grunde nur dazu erschaffen, um Kronen zu schmücken, und Kronen haben das erste Recht an die Perlen.«
»O, – es gäbe ein Paar, wie es die Menschheit noch nicht gesehen hat!« behauptete David, seine hohe Mütze ungeduldig rückend.
»Es gäbe ein Paar, – ja, – wenn das Zweite klappte,« sprach bedächtig der kluge Pierre. »Das Heiraten ist ein gefährlicher Handel, der manchen schon lebenslängliches Kopfweh gemacht hat, – warum? Weil das Zweite nicht klappte. Gott bewahre meinen edlen Herrn vor einem unglücklichen Ehestand!«
»Du krächzest ja wie ein Unglücksrabe! Dein Grund?«
»Ich sagte es: – weil das Zweite nicht klappt, weil die Hauptsache nicht stimmt.«
»Dies wäre?«
»Die Gesinnung, David, die Herzensrichtung, die Axe, um die sich das Rad des Lebens dreht.«
Der Torhüter schob seine Filzmütze nach der Stirne und saß nachdenkend. Pierre stand vor ihm und harrte in Geduld der Entgegnung seines Freundes.
»Muß gestehen, Pierre, Du hast helle Augen!« sprach endlich David. »Gleichheit der Gesinnung ist ohne Zweifel das Fundament ehelichen Glückes und Friedens. – Hältst Du wirklich die Gesinnung Deines Herrn sehr verschieden von der Gesinnung der Gräfin?«
»Du hast doch unser Hauswesen in Valfort gesehen,« antwortete Pierre. »Dort ist alles streng religiös. Dort lebt man für Gott und plagt sich auf Erden eigentlich nur um des Himmelreiches willen. In jener Luft ist mein edler Herr aufgewachsen. Sein Oheim, ein grundfrommer Jesuitenpater, hat ihn erzogen und in allen Wissenschaften unterrichtet. Mein Herr ist zwar jetzt zweiundzwanzig Jahre alt, aber noch so unschuldig wie ein Kind. Gescheit ist er wohl und gelehrt in allen Stücken, nur im Verkehrten weiß er weniger als hierzulande die bösen Buben von sechs Jahren. Daraus magst Du schließen auf die Gesinnung meines Gnädigen. – Stelle daneben Isabella! Aufgewachsen ist sie mitten unter heidnischen Göttern und Göttinnen. Vom Christengott weiß sie wenig oder gar nichts. Was meinem Herrn das Höchste, glaubt sie nicht. Im christlichen Leben ist sie nicht geübt. Sie betet niemals, besucht niemals den Gottesdienst, empfängt niemals die heiligen Sakramente. – Nun frage Dich: passen zwei so grundverschiedene Menschen zusammen? Kann dies einen friedlichen, glücklichen Ehestand geben?«
»Bittere Tropfen!« sagte David. »Woher weißt Du aber dies alles? Wer hat Dir Isabellas Gesinnung und Denkungsart mitgeteilt?«
»Die Götter im Garten, die Gottlosigkeit im Schlosse und das Heidentum in allen Ecken.«
»Es ist wahr, – tief sind wir heruntergekommen!« gestand der Torwächter. »Hätte mich der »Himmelsschlüssel« meiner Großmutter und der »gute Christ« meiner Mutter nicht über Wasser gehalten, auch mir ginge die Sündflut über den Kopf.«
Bei den Worten zog er aus der Tiefe seines Rockschosses ein dickleibiges Buch hervor.
»Der gute Christ, – ein alter Freund, den ich täglich anhöre,« sagte er. »Siehst Du, Pierre, viel Unglück kommt daher, weil man seine größten Feinde für seine besten Freunde hält! Wären alle Freunde so klug und treu wie der »gute Christ«, es gäbe keine schlechten Bücher. Gäbe es keine schlechten Bücher, dann schrumpfte die große Armee schlechter Menschen auf ein kleines Häuflein zusammen. Durch schlechte Bücher und Büchlein haben die schlechten Philosophen Frankreich verdorben.«
Pierre nickte beistimmend mit dem Kopfe.
»Auch Isabella hat eine sehr gute und verständige Freundin, – die Familienchronik ihres alten Geschlechtes,« fuhr David fort. »Der Einfluß dieser Freundin auf Kopf und Herz der Gräfin ist sehr groß. Die Freundin erzählt ihr fast jeden Tag von den frommen Taten ihrer Ahnen. Und ihr gefallen solche Erzählungen über alle Maßen; denn sie hat große Gaben und einen gar feinen Sinn, das Erhabene und Großartige zu verstehen. Aus derselben Ursache hat sie auch einen Ekel gegen die Abscheulichkeiten unserer hübschen Zeit. Ich sage Dir, mit siebzehn Jahren ist sie gescheiter als mancher Philosoph mit grauen Haaren. Dabei ist sie die reinste Unschuld. Käme sie aus dieser Stickluft heraus nach der frommen Vendee, sie hätte ganz das Zeug, eine Heilige zu werden.«
»Das klingt tröstlich und läßt hoffen,« sagte Pierre. »Sieh' doch, eben kommen sie miteinander aus dem Schlosse! Wie sie ihn gar so lieblich anschaut, – und wie ernst mein edler Herr einhergeht!«
»Dein Baron kommt mir vor wie jemand, der nicht in Gefangenschaft geraten will,« entgegnete David. »Ich schätze ihn deshalb noch höher; denn was sich leicht fangen läßt, ist auch nicht viel wert.«
Valfort und Isabella gingen nach dem Garten. Eine Strecke hinter ihnen folgten zwei Kammerzofen.
Die Haltung des jungen Mannes war in der Tat sehr ernst. Von Jugend auf gewöhnt, über innere Vorgänge sich Rechenschaft zu geben und bei regelmäßiger Gewissenserforschung des Abends die Neigungen oder empfangenen Flecken der Seele zu erspähen, fand er, daß ein achttägiger Verkehr mit Isabella ihm ganz neue und mächtige Empfindungen erweckte. Die Eindrücke ihrer vollendeten Schönheit waren ebenso lebhaft, wie das Geistvolle ihres Umgangs. Während ihre kindliche Unbefangenheit ihn oft in Staunen setzte, hatte er Gelegenheit, ihre Gemütstiefe zu bewundern oder zu erschrecken vor heftigen Erschütterungen eines leidenschaftlich bewegten Herzens. Aber die hohen Vorzüge der Gräfin verblendeten ihn keineswegs; er hatte zugleich ein Auge für das Unfertige und Widerspruchsvolle ihres Wesens.
»Ich habe es unternommen,« hatte sie gesagt, »bis zur Ankunft des Vaters unserem verehrten Gast die Langweile zu vertreiben.«
Diese Aufgabe löste sie meisterhaft. An ihrer Seite flohen dem Gaste Stunden wie Minuten. Hiebei machte er die Wahrnehmung, daß sie mit den Pflichten der aufmerksamsten Gastfreundschaft die Absicht verband, seine Teilnahme zu erwecken. Auch dies gelang ihr ausgezeichnet. Ohne jungfräulicher Würde das mindeste zu vergeben oder die Regeln des strengsten Anstandes zu verletzen, machte sie ihn zum Vertrauten geistiger Anliegen. Nach wenigen Tagen schon behandelte sie ihn wie einen alten erprobten Freund, dessen Wertschätzung auf langjähriger Erfahrung beruht. Aber ihm wurde fast bange, wenn er Isabellas fortschreitende Eroberungen auf dem Gebiete seiner Empfindungen betrachtete.
Sie lustwandelten durch die Pfade des Gartens. Spielend hatte sich die Gräfin eine Blume von glühender Farbe in das Haar gesteckt, das in glänzender Fülle um Nacken und Schultern floß.
»Das Blumenleben ist doch merkwürdig!« sprach sie. »Licht und Wärme müssen bestimmte Grade erreichen, wenn die Blume in voller Schönheit sich entwickeln und ihr Duft erfreuen soll. Gerade so ist's mit dem Menschenleben. Auch hier müssen Licht und Wärme eine gedeihliche Entwicklung fördern.«
Ihre Stimme hatte nicht den heiteren Klang, wie ihn Valfort zu hören pflegte. Ernst und Wehmut fand er im Tone der gesprochenen Worte.
»Eine feinfühlige und geistreiche Bemerkung, die einer weiteren Ausführung würdig wäre,« sagte Paul von Valfort.
»Ihre erste Schmeichelei, Herr Baron!«
»Dies sollten meine Worte nicht bedeuten,« versetzte er. »Ich wollte nur den Eindruck der berührten Idee auf mich aussprechen.«
Sie nickte befriedigt mit dem Haupte.
»Fürchten Sie Schmeicheleien, gnädiges Fräulein?«
»Furcht erwecken sie nicht, aber Ekel,« antwortete sie, drei Rosen an einem Stengel in das Haar steckend. »Schmeichelreden für törichte Mädchen sind eine ganz unerträgliche Modesache aller Kavaliere, die ich kennen lernte. Die Mode ist geschmacklos und widerwärtig. Aus Ihrem Munde würde ich dieselbe sogar fürchten, weil sie bewiese, daß mich Baron Valfort für töricht hält.«
»Demnach läge Ihnen an meinem Urteil?«
»Viel, – sehr viel, – alles!« antwortete sie, das Blumendiadem ihres Hauptes durch eine Lilie schmückend.
Dem jungen Manne war angenehm, daß sie ihn gerade nicht anschaute; denn ein jäher Sturm trieb heißes Blut in seine Wangen.
»Verlangen Sie weitere Ausführung meiner glücklichen Idee?«
»Wenn mir ein Wunsch gestattet ist, – ja!«
»Betrachten Sie diese herrlichen Sommerkinder,« und Isabella deutete auf ein Blumenbeet. »Wärme und Licht des Juni gehörten dazu, ihre Blütenpracht zu entfalten, ihre Wohlgerüche zu entwickeln. Hätte man sie eingesperrt in dunkle, kalte Räume, niemals würden ihre glänzenden Eigenschaften hervorgetreten sein. Sie wären verkrüppelt, verkommen. Es fehlten Licht und Wärme, die treibenden Kräfte zur Entfaltung ihrer Lieblichkeit.«
Sie schwieg einen Augenblick und beugte das Haupt. Er sah, wie ein Schatten sich auf ihr Antlitz senkte und ihre Brust sich hob unter dem Drucke einer inneren Bewegung.
»Gerade so verhält es sich mit dem Menschenleben,« fuhr sie fort, ihr Auge mit einem tiefernsten Ausdruck nach ihm hebend. »Große Anlagen mögen im Kinde verborgen schlummern, – fehlen die Bedingungen zu deren Entwicklung, so wird das Kind geistig dennoch ein Krüppel. Das Licht gesunder Lehren, der Sonnenglanz leuchtender Vorbilder weckten und nährten nicht den Tugendkeim in der Kindesseele. Blüte und Frucht konnten nicht gedeihen, weil Finsternis und starre Kälte den heranwachsenden Menschen umgeben,« und jetzt flossen wie Klagetöne die Worte von ihren Lippen. »Ein giftiger Honigtau schlechter Beispiele hat sich wie fressender Rost an sein Geistesleben angesetzt. So ist zwar das junge Dasein verkümmert worden, dennoch aber fühlt die Jungfrau das Elend eines herben Schicksals, einer falschen Bildung. Die Anlagen kamen nicht zur naturgemäßen Entwicklung und Reife, aber tot sind sie auch nicht. Sie schlafen in der Seele fort, erwachen oft, zeigen die Leere, die Öde und Trostlosigkeit einer lichtlosen Erziehung. Nach der Höhe zieht es sie. Für das Erhabene ist sie geschaffen, allein die Schwingen hat man künstlich beschnitten, – ihr fehlen Kraft und Geschick, nach der Höhe emporzusteigen. Ausharren muß die Arme in der Tiefe, im Reiche der inneren Leerheit, wo Unzufriedenheit und Ekel an widerwärtigen Gegensätzen quälen. Wo häßliche Nachstellungen den letzten Rest des besseren Selbst zu rauben trachten. O wie peinvoll ist der Scheintod einer Lebenden in den Grüften geistiger Verwesung!« rief sie schmerzlich aus. »Gäbe es doch für sie einen Erlöser und Erwecker aus dem Totenreiche! Einen Heiland, welcher die Hand der Unglücklichen ergriffe und spräche: ›Meine Freundin, stehe auf zum Leben des Lichtes!‹«
Bei den letzten Worten blieb sie vor dem Überraschten stehen und blickte ihn wehmütig an. Und er, sonst nicht verlegen und gewandt im gesellschaftlichen Umgang, verlor auf einen Augenblick seine Haltung vollständig. Ihm war nicht entgangen, daß ihre Schilderung das eigene Leben betraf. Ihre ergreifende Klage erschütterte ihn. Auch den Hinweis auf den ersehnten Erlöser aus dem Totenreiche verstand er, und ihr Blick, so inniglich flehend auf ihn gerichtet, unterstützte kräftig die angedeutete Bitte. Hiezu kam die Macht ihrer blendenden Schönheit, keineswegs in ihrem Eindrucke geschwächt durch die eingestandene Hilfsbedürftigkeit. Selbst die roten und weißen Rosen, die duftenden Lilien, die glühenden Farben seltener Blumen, welche das tief schwarze Haar umleuchteten, erhöhten den Zauber ihrer Erscheinung. Dennoch versuchte er, dem Reize von außen und dem Drängen seines Herzens zu widerstehen. Die Augen senkend, wie vor einem übermächtigen Feinde, stand er da, die Farbe wechselnd und nach Fassung ringend. Und jetzt erwies sich der Segen einer klugen und religiösen Erziehung. Nicht wie ein Schilfrohr, das vom Winde der Leidenschaft getrieben wird, fand die Macht des Sinnenreizes den jungen Mann, sondern wie einen starken Baum, dessen Wurzeln in dem reichen Grunde religiöser Wahrheiten und Gnaden Kraft und Sicherheit finden. In den Zweigen des Baumes rauschte es zwar und ein heftiger Wirbel schüttelte die Äste, Stamm und Wurzeln aber blieben unerschüttert. Nicht zum ersten Male prüfte ein Sturm die Festigkeit des jungen Baumes, von verschiedenen Richtungen hatten ihn bereits feindliche Luftmächte überfallen, die sein Wurzelwerk tiefer in den Grund trieben und sein kräftiges Gedeihen förderten. Durch einen frommen Erzieher unterwiesen im geistigen Streite und von Jugend auf geübt, die Arglist des Herzens zu überwachen und die Zügellosigkeit der Sinne zu beherrschen, beugte er nicht den Willen vor dem Wirbelsturm einer mächtigen Empfindung. Der überwältigende Eindruck eines Augenblickes konnte ihm nicht einen folgenschweren Entschluß für das ganze Leben, nicht einmal ein übereiltes Wort erzwingen. »Mein Sohn! hörte er seinen Erzieher sagen, »wäge jede Sache nach ihrem rechten Gewichte! Eitel ist alles Irdische, die schönste Form vergänglich und wechselvoll. Wie lange dieses? Und was dann? Nur was in Gott lebt, währt ewig.«
Mit Blitzesschnelligkeit durchzuckte die Mahnung seinen Geist. Die Fassung kehrte zurück und ruhig hob er den Blick nach der Harrenden.
»Derselbe Heiland, welcher die Tochter des Jairus erweckte, sucht erbarmungsvoll das Verirrte,« sprach der jugendliche Baron.
»Sehr wahr, – nicht bei den Menschen, nur bei Gott ist Erbarmen!« entgegnete sie traurig.
Sie gingen eine Strecke schweigend weiter. Ein silbernes Klingen fiel in das Schweigen. Bei der Wendung des Pfades standen sie plötzlich vor dem Eingange einer dichtbewachsenen Laube, in der Isabella's Mutter und Herr Pichat beim Tee saßen.
Die Gräfin war eine sehr beleibte Dame. Nicht ein Zug ihres Angesichtes fand sich in jenem der Tochter. Da es den gemütlichen Familienkreis der Vendee in Rovere nicht gab, so hatte Valfort die Schloßherrin nur bei Tische gesehen, in steifem Putz und noch steiferem Wesen. Aber es war ihm nicht entgangen, daß zwischen Mutter und Tochter eine Scheidewand bestehen möchte. Diese Annahme wurde ihm jetzt zur Gewißheit. Er bemerkte, wie sich, bei dem unvermuteten Begegnen, Isabella's Angesicht entstellte und Blicke des Abscheues auf Pichat fielen, während sie die Mutter eines Blickes gar nicht einmal würdigte. Auch die flüchtige Verwirrung des Hofmeisters und das gemeine Lächeln der Gräfin bemerkte er. Diese Wahrnehmungen öffneten vor ihm plötzlich eine schauerliche Tiefe. Klarer wurde ihm Isabella's erschütternde Klage. Er empfand Teilnahme für sie und Zorn gegen Nichtswürdige.
Dies alles geschah, bevor noch der gewandte Philosoph und Hofmeister Pichat seine Förmlichkeiten vollendet hatte.
»Ich habe Sie heute Morgen von Ihrem gewöhnlichen Spazierritte heimkehren gesehen,« sagte die Gräfin, »und muß Ihnen das Kompliment machen, einen ebenso stattlichen, wie geschickten Reiter bewundert zu haben.«
»Als Artigkeit darf Ihre unverdiente Bewunderung gelten, gnädige Gräfin!« entgegnete Valfort.
»Die Sprache der Vendee!« erwiderte sie freundlich. »Den Adel Ihrer Heimat kenne ich, – ebenso bescheidene, wie stolze Kavaliere.«
»Wir gelten für stolz und trotzig, weil wir dem absoluten Königtum niemals unberechtigte Zugeständnisse gemacht, die Freiheiten unserer Väter verteidigt und vom Hofe keine Gnaden angenommen haben,« erwiderte Valfort.
»Und verspotten nebenbei die höchsten Orden als lächerliche ›Halfter‹«, sprach in heiterer Laune die Gräfin. »Ein ritterlicher, unabhängiger Sinn, Herr Baron, um den man die Edlen Ihres Landes beneiden könnte. – Bei der gegenwärtigen Stille auf Rovere, möge es Ihnen gelingen, die Langweile zu bemeistern,« fuhr sie fort mit einem Seitenblicke auf Isabella. »Fräulein Tochter hat es übernommen, unseren verehrten Gast zu unterhalten. Ersetzen Sie gütigst den möglichen Mangel der Fähigkeit mit dem Überflusse guten Willens.«
»Ein Mangel an Unterhaltungsfähigkeit wurde meinerseits nicht empfunden,« erwiderte er. »Die huldvolle Aufmerksamkeit des gnädigen Fräuleins ist für mich überaus schmeichelhaft, ganz geeignet, meine Wenigkeit in der angenehmsten und anziehendsten Weise zu unterhalten.«
»Darf ich meine Bitte wiederholen, einen Sitz annehmen zu wollen, gnädiges Fräulein?« sagte Pichat, einen Stuhl rückend.
Sie war bisher unbeweglich gestanden und starr, wie ein Steinbild, halbabgewandt, in schwerer Pein und gefoltert durch die Gegenwart praktischer Philosophen.
»Die Luft ist gar zu schwül und drückend hier!« entgegnete sie kurz, verbeugte sich knapp und schritt von dannen.
Valfort bemerkte abermals das gemeine Lächeln in den Zügen der Gräfin, deren Blick höhnisch der Tochter folgte, während sie sich erhob und die Verbeugung des Gastes erwiderte.
Isabella war eine Strecke schweigend gegangen. Offenbar im Kampfe mit schmerzlichen Eindrücken. Er empfand Achtung und inniges Mitgefühl für ein Wesen, dessen angeborener Edelsinn dem gesellschaftlichen Verderbnis kein Zugeständnis machte.
»Ich fühle mich an Ihrer Seite frei und wohl, wie in einem frommen Asyl,« begann aufatmend Isabella. »Knüpfen wir die unterbrochene Rede wieder an. – Sie weisen mich an den Heiland. Wie soll ich ihn suchen und finden? Man hat mich den Christengott weniger kennen gelehrt, als die mindesten Götter der Mythologie. Im Grunde weiß ich von keinem persönlichen Gott. Die Philosophie hat mir gesagt, die Natur sei das All, etwas weiteres gäbe es nicht, außer in der Einbildung unwissender Menschen. Die Natur sei ewig, sie bestehe in und aus sich selbst. Die Natur sei Gott. Aber mein Gemüt sträubt sich gegen die Trostlosigkeit solcher Lehren. Zuweilen überkommt mich ein ganz unabweisbares Sehnen, ein Hungern und Dürsten nach Befriedigung eingeschaffener Triebe. Meine Seele schreit nach Gott, nach einem höchsten, persönlichen, liebevollen Wesen. Dafür bietet mir Philosophie die kalte, starre Materie. Manchmal glaube ich, echt und wahr sei mein Sehnen. Dann wieder betrachte ich dasselbe als törichte Einbildung. Und niemand habe ich, der mich versteht, mir rät, mir hilft! Auch Sie haben kein Erbarmen,« fuhr sie in sanfter Klage fort. »Sie, den ich so ruhig und sicher finde in religiöser Anschauung. Sie, dem nicht das Brandmal höhnischer Verneinung in den Zügen geschrieben steht. Sie, der einzige Mann, der mir jemals Achtung und Vertrauen eingeflößt! An den Heiland verweisen Sie mich, zu dem ich keinen Weg kenne!«
Weich und vorwurfsvoll klang ihre Stimme, und ihm bewegte es stürmisch die Seele, ein so reizendes Geschöpf um seine Teilnahme flehen zu hören.
»Gestatten Sie eine nähere Erklärung meiner mißverstandenen Worte, gnädigste Gräfin! Wenn ich an den Heiland verwies, so geschah es in dem Sinne, daß er allein Weg, Wahrheit und Leben ist. Er hat gelehrt: »Kommet alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken!« Glauben Sie fest an die Echtheit Ihrer Sehnsucht nach dem Höchsten. Was Sie empfinden, ist der Ruf des Schöpfers an sein Geschöpf, die Stimme des Vaters an sein Kind. Weil nur Gott die Menschenseele befriedigen, beglücken und vollständig ausfüllen kann, eine schale Philosophie aber dem hungernden Geiste nicht Brot, sondern Steine bietet, – darum Öde, Ungenüge, Trostlosigkeit in dem Opfer einer grundverkehrten Erziehung. Demnach wiederhole ich meine Bitte, suchen Sie den Weltheiland unter Anleitung eines frommen und gelehrten Geistlichen.«
Sie bewegte traurig das Haupt.
»Wir haben einen Schloßgeistlichen, der schlüpfrige Liebeslieder dichtet und jeden Augenblick den Voltaire zitiert. Zu ihm habe ich kein Vertrauen. Er würde mich kaum verstehen. Ich kenne den Abt und die Mönche von St. Martin, – sie alle sind Philosophen, – sie schwören auf Rousseau und Helvetius. In Limoges kenne ich Domherren, elegante Weltleute, unchristlicher und ärger, als die Mönche von St. Martin. – Wohin mich wenden? Sie haben keine Ahnung von meiner Not und Verlassenheit.«
»Oh – oh, – diese Verkommenheit des Klerus!« rief er entrüstet. »Schal gewordenes Salz in der Kirche, – daher fortschreitende Fäulnis in der menschlichen Gesellschaft! Und wenn sich der heilige Gott in seinem Zorne über ein entartetes Volk erhebt, die Fäulnis hinweg zu brennen, – welche furchtbare Züchtigung mag uns bevorstehen? – – Um Vergebung!« fuhr er einlenkend fort. »Eine unwillkürliche Aufwallung, – sie fördert unseren Gegenstand nicht. In der Vendee würde jeder Priester Ihre Seelenleitung gerne übernehmen. Wir haben einen würdigen und frommen Klerus.«
»Zwischen hier und der Vendee liegt ein weiter Raum,« sagte sie.
»Den man leicht überwinden kann,« erwiderte er. »Zu Valfort würden Sie natürlich die gastlichste Aufnahme finden.«
Ein lichter Strahl erhellte ihr Antlitz.
»Darf ich es wagen, von Ihrer Güte Gebrauch zu machen?«
»Ihr Besuch würde uns beglücken, gnädiges Fräulein!«
»Nun ja, – ich habe Ihnen die Einladung nahe gelegt! Sie folgten dem Zwange der Schicklichkeit.«
Der Einwurf überraschte. Er begriff nicht sofort, auf was ihre Worte zielten. Da nahten rasche Tritte und Graf Henry unterbrach die Unterhaltung.
»Ich bringe Botschaft von meinem Herrn Vater,« berichtete er. »Wichtige Vorgänge in der Nationalversammlung verschieben sein Kommen. Er läßt Sie grüßen, Herr Baron, und bitten, einige weitere Tage in Geduld zu harren.«
Isabella beobachtete scharf den Eindruck einer Nachricht auf den Gast, welche sie mit Freude erfüllte.
»Dank für die Grüße, Herr Graf, die ich zu erwidern bitte,« versetzte Paul. »Die Verlängerung meines Aufenthaltes in Rovere ist für mich keine Strafe.«
Isabella klatschte in die Hände wie ein entzücktes Kind.
»Für uns Freude und Ehre!« sagte sie.
»Monseigneur von St. Martin ladet uns zu einer Festlichkeit in der Abtei, – darf ich annehmen?« frug Henry.
»Wir haben Besuch!«
»Selbstverständlich ist Herr Baron auch eingeladen,« erklärte Henry. »Fräulein Schwester möge bedenken, daß unser Nichtkommen empfindlich berühren würde. Man soll gute Nachbarschaft halten.«
Sie blickte den Freiherrn forschend an, dessen Neigung für das Fest zu erkunden.
»Meine Gegenwart darf keinen Mißklang in freundschaftliche Beziehungen bringen,« sagte Valfort. »Ich werde mit Vergnügen die gräfliche Familie nach der Abtei begleiten.«
»Mithin allseitige Annahme, – den gnädigsten Herrschaften meinen Dank!« sagte Henry in seiner leichten Weise, verbeugte sich und kehrte nach dem Schlosse zurück.
Dort erwartete ihn Herzog Chatel, den Isabella's Huld für den Gast in eine wütende Eifersucht hineingetrieben. Den boshaften Henry unterhielt und belustigte dieser Gemütszustand des Freundes.
»Weißt Du, Robert, von wem Annahme oder Ablehnung der Einladung Armand's abhing? – Von Valfort! Glücklicherweise findet der Baron Geschmack am Feste. Wir gehen hin. – Aber dieses ganz erstaunliche Interesse meiner Schwester für Valfort begreife ich nicht, – obschon er, man kann es nicht leugnen, eine sehr hübsche männliche Figur darstellt.«
Chatel biß die Lippen zusammen. Rovere bemerkte die schmerzenden Wirkungen seiner Rede und lachte in sich hinein.
»Robert, ich sage Dir, es gibt dennoch Wunder!« fuhr er arglistig fort. »Valfort hat wirklich ein großes Mirakel zustande gebracht; denn sein Erscheinen hat Isabella's Art mit einem Schlage verwandelt. Nach meinen anthropologischen Kenntnissen ist es leichter, Lahme gehend und Blinde sehend zu machen, als das Wesen eines Menschen plötzlich umzugestalten. Dies hat aber der Wunderwirker Valfort an Gräfin Rovere getan. Du weißt, Herzog, wie sie gewesen! Jetzt ist sie das Gegenteil, – heiter, redselig. Staune, – sie hat sich gar das Haupt mit Blumen geschmückt! Sie entfaltet einen jungfräulichen Reiz, der alles Maß übersteigt und den härtesten Kopf um seinen Verstand bringen könnte. Wer hätte in der eiskalten, spröden, stolzen, männerverachtenden Isabella einen so allerliebsten Inhalt vermutet? Das begreife ich nicht!«
Der Herzog trommelte heftig auf den Fensterscheiben. Henry lachte ihm auf den Rücken und stachelte weiter.
»Frauen sind eben unergründlich! Mir scheint, jede von ihnen trage in sich ein Ideal männlicher Stattlichkeit. So lange das Ideal nicht erscheint, bleiben sie ein verschlossenes Buch mit sieben Siegeln. Tritt aber plötzlich das Ideal verkörpert vor sie hin, dann öffnet sich weit das stolze Herz und verschwendet alle Gunst an den Glücklichen. Nur so könnte man etwa die höchst wunderbare Verwandlung meiner Schwester erklären. – – Wie meinst Du, Robert?«
Der Gefragte wandte sich um. Sein Gesicht zuckte nervös und seine Augen funkelten.
»Ich meine gar nichts!« antwortete er, mit heftigen Schritten das Zimmer durchmessend. »Indessen, – eine Gefährdung meiner Hoffnungen ertrage ich nicht. Hier gibt es kein Schwanken, keinen Zweifel, was geschehen muß. Fest steht mein Entschluß, – er oder ich!«
»Du denkst an Zweikampf?« frug Henry überrascht.
»Natürlich! Wir werden uns schlagen, – mit Todeswaffen schlagen,« versetzte heftig der Herzog. »Einer muß fallen, – er oder ich! Schießen muß er sich auf drei Schritte Entfernung; – er oder ich!«
»Keine Übereilung in einer so gefährlichen Sache!« mahnte dringend Rovere. »Dich könnte das tückische Los treffen. Mein Verlust wäre unersetzlich.«
»Auf drei Schritte Entfernung, – er oder ich!« wiederholte Chatel. »Zerreißt mir eine Kugel den Lebensfaden, – gut! Ich sinke in das All zurück, – werde nichts, – was ich auch lebend wäre ohne Isabella's Besitz.«
»Lebensmüdigkeit für solche, die bis zur letzten Fähigkeit des Genusses den letzten Tropfen geschlürft aus dem Becher der Lust,« sagte Rovere. »Du aber stehst in voller Manneskraft, ein Kreislauf der süßesten Reize erwartet Dich. Hinweg mit Todeslust! Schlafe über Deinen Mordgedanken. Der nächste nüchterne Morgen wird den mordsüchtigen Herzog auslachen.«
»Keine Ewigkeit wird meinen Vorsatz erschüttern!« rief Chatel.
»Vielleicht aber ein kluger Anschlag,« versetzte Rovere. »Ein Anschlag, welcher Dein Leben nicht gefährdet, den Krautjunker moralisch vernichtet und Dir Isabella rettet.«
»Nun?« frug Chatel, indem er seinen Spaziergang einstellte und vor dem Grafen stehen blieb.
»Unter allen Umständen kann aus dem Duell nichts werden,« antwortete Henry. »Valfort ist religiöser Fanatiker. Die heilige Kirche, Gottes Mund auf Erden, hat Bann und Exkommunikation über das Duell gesprochen. Gerade auf diesen Umstand bauen wir unseren Plan. Höre! – Du reizest Valfort zu einer Beleidigung, zu irgend einer Äußerung, die als Beleidigung gelten mag. Du forderst Genugtuung. Valfort wird dieselbe verweigern. Er wird sein Gewissen, seine religiöse Überzeugung, das Verbot der heiligen Kirche vorschützen. Wir finden in der Weigerung natürlich nur Feigheit und sind gezwungen, nach Sitte und Herkommen den Baron für infam zu erklären. Du kennst meine Schwester. Hochsinnig ist sie und nicht fähig, einen Menschen zu achten, der sich feige hinter die Brustwehr religiöser Albernheiten verschanzt. Kurz und gut, – für Gräfin Isabella ist ein Mann absolut unmöglich, auf welchem die Schmach der Infamie ruht.«
»Bei Amor und Bacchus, – ein köstlicher Anschlag!« rief Chatel. »Besprechen wir die Sache näher.«