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Gondelina richtete den Auftrag nicht an ihren Vater aus. Aber er wußte selbst, welchen Eindruck er gemacht haben mußte, und dies Bewußtsein lähmte ihn auch an den noch folgenden Feiertagen.
Ende November hatte Eschels einmal zufällig auf dem Bauplatz gehört, daß der Werkführer Steinhof am Abend vorher durch die Geburt seines ersten Kindes erfreut worden war – Eschels wenigstens nahm es für ein freudiges Ereignis, so sprach er ihn gemütlich an:
»Nun laden Sie mich wohl bald zur Taufe?«
Steinhof aber war durchaus nicht so rosiger Laune, wie Eschels voraussetzte. Er hatte einen kräftigen derben Buben erhofft, einen Heini, wie der Schachtmeister Bukstegen ihn hatte mit krallblauen lustigen Augen und einem runden Kopf voller Locken. Aber seine Frau hatte ihn statt dessen mit einem mickerigen und mieserigen kleinen Ding weiblichen Geschlechts beschenkt, bei dem von Haaren und Augen noch kaum die Rede sein konnte. So antwortete er nur mürrisch:
»Wenn's sein muß – na ja, denn so kommen Sie nur, aber nicht zu bald. Mit meiner Frau ist das nichts rechts. Sagen wir Weihnachten, oder nein, lieber nicht im Fest. Nach Neujahr vielleicht – ja, das könnte wohl passen: am ersten Sonntag nach Neujahr.«
Darüber waren nun gut sechs Wochen vergangen und Steinhof war nicht noch einmal auf diese Verabredung zurückgekommen. Eschels aber erwartete noch eine offizielle Ansage. Da die nicht kam, und da Steinhof überdies zu den ärgsten Spöttern unter den mittleren Beamten gehörte, so meinte Eschels bei sich, ihm wäre sein erstes Wort wohl schon wieder leid geworden. Entweder hätte er die Taufe ins Unbestimmte verschoben, oder gar ganz aufgegeben – nahm er doch den Techniker Peters, der sich vor kurzem kirchlich hatte trauen lassen, nicht schlecht damit hoch. Weihnachten und die Jahreswende brachte Eschels auch ohnedies schon genug Arbeit. Wäre er selbst aber nicht so stimmungslos gewesen, würde er vielleicht doch noch einmal nachgefragt haben; so aber – als er zum zweiten Januartage mit Gondelina nach Westerland eingeladen wurde, nahm er die Einladung für den Nachmittag und Abend gern an, um seiner eigenen Stimmung etwas aufzuhelfen.
Der zweite Januar aber war gleichzeitig der erste Sonntag im neuen Jahr. Steinhof hatte seiner Frau nicht gewehrt, die Taufe herzurichten und dazu eingeladen, wen sie wünschte. Um drei Uhr war die ganze Gesellschaft versammelt – der Pastor kam nicht. Sie warteten bis vier – die arme kleine Frau Steinhof fing an, Kaffee und Kuchen anzubieten –
Inzwischen verlebte Peter Boy Eschels einen unterhaltlichen Nachmittag und Abend bei seinen Westerländer Bekannten und dachte nicht mit einem halben Gedanken mehr an Steinhof und seine Taufe, spät in der Nacht erst kam er mit Gondelina nach Morsum zurück.
Am andern Vormittage, da eine blasse Wintersonne sich durch den bläulichen Nebel kämpfte, machte der Herr Pastor sich auf, ein Stück über den Damm zu wandern und dabei den Arbeitern einen geistlichen Neujahrsgruß zu spenden. Er nahm den Weg über den Material-Lagerplatz, der, eingezäunt, Unbefugten den Zugang zum Damm versperrte. Hier arbeitete Steinhof mit seiner Kolonne, und Eschels wunderte sich gleich beim Eintreten über des Werkführers graues und verbissenes Gesicht; über den noch über das gewöhnliche Maß hinaus barschen Ton seiner Stimme und die hastige, ängstliche Art, mit der die Arbeiter seinen Befehlen nachkamen. Doch als er näher herankam und sein Schatten dem Werkführer über die Füße lief, wandte der sich ihm zu, und da er ihn erkannte, glühte sein eben noch farbloses Gesicht dunkelrot auf.
»Verfluchter Pfaff!« schrie er ihn an, »scher dich vom Platz!«
»Herr Steinhof«, sagte Eschels gemessen, »Sie scheinen das neue Jahr etwas gründlich angefeiert zu haben.«
»Das neue Jahr? Taufe habe ich gefeiert! Taufe ohne Pastor, jawohl!«
Nun begriff Eschels. »Ich wartete auf Ihre Ansage –«
»Ansage! Verflucht noch mal! Als ob ich Ihnen nicht vor vier Wochen schon hier auf dem Platz die Taufe angesagt hätte – hier auf dem Platz!« und er deutete mit dem Finger auf den Fleck zu seinen Füßen.
»Es sind sechs Wochen seitdem vergangen. Sie haben mir weder gesagt, daß dies nun gleich als feste Verabredung gelten sollte, noch auch die Tageszeit angegeben, zu der Sie mich etwa erwarten würden –«
»Tageszeit – bah, jeden Augenblick hätten Sie kommen können. Von drei bis gegen acht Uhr haben wir auf Sie gewartet, jawohl, waren beisammen und warteten auf den Papst. Waren vergnügt beisammen, trotz alledem. Nur meine Frau hat geheult, das dumme Ding –« und wieder überkam ihn der Ärger, und er hob den Stock: »Scher dich oder ich werde dich auf Händen vom Platze tragen lassen!« Wandte sich an die Arbeiter: »Packt ihn und werft ihn vors Tor.«
Doch die Arbeiter rührten sich nicht. Es war nicht einer unter ihnen, der von der Adventsfeier her sich nicht ein freundliches Gefühl gegen den alten Dammbaupastor ins neue Jahr hinüber gerettet hatte.
»Gehen Sie lieber freiwillig«, sagte ein ruhiger älterer Mann halblaut mit einem Blick auf Steinhof.
Eschels stand unschlüssig.
»Ich kann nicht sagen, wie leid mir dies tut«, begann er aufrichtig, aber Steinhof wollte nicht mehr hören.
»Wird's bald?« schrie er, und jetzt lief sein Gesicht blaurot an vor glühender Wut, aber seinen Stock wagte er doch nicht zu brauchen. »Wird's bald? oder soll ich die Hunde auf Sie hetzen? Harras, hierher! Minka –« und wenn Pastor Eschels nicht seinen alten Wintermantel in ernstliche Gefahr bringen wollte, mußte er wirklich den Platz räumen.
»Das lassen Sie sich aber auch gesagt sein«, rief Steinhof ihm mit zornigem Lachen nach: »Ein zweites Mal werde ich Sie um mein Kind nicht mehr bemühen, Herr Hohepriester! Getauft wird bei mir nicht wieder.« Und wandte sich an die Arbeiter: »Wenn ihr Lumpenhunde nicht tun werdet, was ich euch befehle, dann soll euch der Teufel holen! Dann könnt ihr euch mitten im Winter andere Arbeit suchen gehen –«
Und die Arbeiter griffen schweigend wieder zu ihren Werkzeugen.