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Am nächsten Sonntagabend saß Lehrer Abrumeit bei Holm-Peters in der guten Stube.
»Habt Ihr's gehört? Der Pastor geht zu den Arbeitern in die Schute, um mit ihnen zu trinken.«
»Das mag doch wohl nicht wahr sein?« meinte Frau Kairene begütigend. Der Lehrer fuhr auf mit rotem Kopf.
»Was ich sage, ist allemal wahr, wie's heilige Evangelium! Volquart Claasen hat's in der Schule erzählt. Sein Vater, Rasmus, bekam Besuch vom Schachtmeister Everschop aus Westerland, der bei der Firma Hurtig angestellt ist. Der hatte die Geschichte vom Kantinenwirt der Wohnschute selbst. Ich hörte, wie Volquart es zu Dirk Dirksen sagte, und fragte ihn: ›Was redest du da?‹ Denn ich dachte: ›Hat er nur in den Kohl gespuckt, soll er ihn selber fressen.‹ Aber er hat mir die Sache noch einmal ganz genau gleich berichtet. ›Ich möchte wohl mit auf die Schute‹, sagte er mit blanken Augen. Nein, der hat nicht gelogen.«
»Siehst du wohl, Mutter?« sagte Metta vorwurfsvoll, und Frau Kairene schwieg bedrückt. War sie auch mehr für Pastor als für Lehrer, so wollte sie doch auch gern ihre Tochter verheiraten.
»Es ist ungehörig«, begann Holm-Peters selbst nach einer Weile, »es ist durchaus ungehörig, daß unser Pastor sich zu den Arbeitern hält« – und eine starke und würdige Betonung lag auf dem Worte »unser«.
»Er ist aber«, warf der Lehrer um der Gerechtigkeit willen ein, »auch zum Seelsorger der Dammarbeiter hier bestellt, wie mir der Propst vorm Jahr schon sagte.«
»So? Davon wußte ich nichts. Nun, wenn der Propst ihn dazu zwingt –«
»Zwingen kann er ihn wohl nicht.«
»Na, was hat der Pastor denn davon?« Und da der Lehrer das auch nicht sagen konnte, fuhr Holm-Peters in seiner ursprünglichen Rede fort: »Ich sage, es ist ungehörig, daß unser Pastor sich zu den Fremden hält. Mit dem Baumeister hat er gleich im Anfang schon einmal auf der ›Hohen Heide‹ eine Nacht durchgetrunken –«
Ein allgemeines Erstaunen belohnte diese interessante Mitteilung, doch Frau Kairene kam wieder mit ihrem unbequemen:
»Mag sein, daß es nicht wahr ist, Vater?« Worauf er unerschüttert antwortete:
»Meinert Lorenzen hat es mir selbst erzählt.« Und die Tochter noch einmal Gelegenheit fand, ein vorwurfsvolles:
»Siehst du wohl, Mutter?« anzubringen. –
Diese Gerüchte wanderten durchs Dorf, wärmten und nährten sich an jedem Herdfeuer und nahmen dadurch täglich an Umfang und Sicherheit des Auftretens zu. Endlich stellte Frau Lene Claasen ihren Bruder, erzählte ihm, was sie gehört hatte, und schloß: »Sie sagen, daß du jeden Abend zu den Arbeitern gehst, um mit ihnen zu trinken.«
»Sie haben nur das Wörtchen ›Dienstags‹ dabei vergessen«, antwortete Eschels mit Sanftmut. »Ja, ich gehe jeden Dienstagabend zu den Arbeitern in die Wohnschute – wenn auch nicht gerade zu dem einzigen Zweck, um ihr scheußliches Bier zu trinken. Hast du etwas dagegen?«
»Du bist doch unser Pastor!« sagte Frau Lene, und es lag eine starke und würdige, eine geradezu besitzanzeigende Betonung auf dem besitzanzeigenden Fürwort. »Die Leute meinen freilich, der Propst könnte dich dazu zwingen, daß du auch zu den Arbeitern gehen müßtest, aber das will ich doch nicht glauben –«
»Da tust du recht daran, Schwester«, warf Eschels salbungsvoll ein und zwinkerte vergnügt mit den Äuglein. Aber sie ließ sich nicht mehr aufhalten.
»Du bist doch unser Pastor«, wiederholte sie ernstlich. »Du bist dazu da, daß wir zu dir kommen können, wann wir wollen –«
»Nur wollt ihr leider selten«, unterbrach er sie trocken. Sie war einen Augenblick lang etwas aus dem Konzept gebracht, dann aber nahm sie den angesponnenen Faden hartnäckig wieder auf.
»Es könnte aber doch einmal sein, und dann mußt du für uns zu Hause sein, daß wir dich finden können, wenn wir dich brauchen. Und deshalb darfst du nicht immer hinter den Arbeitern und sonst fremden Leuten herlaufen. Baumeister Bremer ist in dieser Woche schon zweimal bei dir gewesen –«
»Was ihr nicht alles wißt!« spottete er gutmütig. »Ich kann aber mit gutem Gewissen versichern, daß mir dein Besuch nicht weniger angenehm gewesen wäre.« Doch sie achtete nicht auf seine Worte.
»– und einmal«, fuhr sie erregt fort, »als du selbst auch wieder nicht daheim warst, hat Gondel eine gute Stunde allein mit ihm gesessen, auf der Bank vorm Hause –«
Nun aber lachte Eschels aus vollem Halse.
»Auf der Bank vorm Hause, jawohl! Und da sie überdies so etwa zehn Jahre älter sein mag als er, liegt die Gefahr allerdings nahe, daß da etwas Unrechtes geschähe.«
»Das habe ich nicht gesagt, und habe ich nicht gemeint«, entgegnete Frau Lene ruhiger. »Aber was gehen sie diese Fremden überhaupt an? Das ist nicht recht, Peter, und du als unser Pastor solltest das am besten wissen. Schon als die Juden sich mit den Heiden mischen wollten, hat Gott die Juden mit seiner Strafe geschlagen.«
Peter Boy Eschels schwieg – schwieg lange. Endlich sagte er: »Sind wir nicht allzumal Christen, Lene?«
»Ob die Arbeiter das sind, ist mir keineswegs sicher. Der Baumeister – je nun –«, denn, daß Heinrich Bremer ein Neues Testament besaß, und zwar ein griechisches, wußte natürlich das ganze Dorf. Und daß er sogar darin las, entband ihn nicht nur in Frau Lenes Auffassung von jeglicher Verpflichtung zum Kirchgange, wenn er es doch geradesogut konnte wie der Pastor selbst – »aber die Arbeiter, Peter?«
Und da Pastor Eschels in diesem Punkte auch seine verschwiegenen Bedenken hegte, entsann er sich der weisen Kampfregel, daß ein Hieb unter Umständen die beste Parade bleibt, und antwortete gelassen:
»So gute Christen wie ihr Morsumer sind sie gewißlich noch, denn von der christlichen Tugend der Barmherzigkeit spüre ich bei euch wenig.«