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Die ganze Welt hört die Kunde von dem Sieg des Derwischs von Abba und ist erstaunt und erschüttert.
In ihrem Schloß Osborne sitzt die Königin Viktoria und schreibt einen Brief an Gordons Schwester Augusta:
»– – und was ich so scharf empfinde: den Fleck, den Ihres lieben Bruders grausames, obwohl heroisches Schicksal auf Englands Ehre hinterlassen hat. – –«
Die alte Frau ballt ihre kleine fleischige Hand und schlägt auf den vor ihr liegenden Brief. Sie empfindet wie die ganze englische Öffentlichkeit. Am Abend des Tages, an dem die entsetzliche Nachricht vom Ende Gordons nach London kam, sieht man den Premierminister Gladstone ruhig in einer Theaterloge sitzen; aber das übrige Publikum erhebt sich und zischt ihn aus.
Der Gedanke ist unerträglich, daß ein britischer General, der Liebling der Nation, von diesem schwarzen Derwisch besiegt worden ist.
Alle Feinde, die Großbritannien in der Welt hat, blicken hoffnungsvoll auf. Nicht nur durch das okkupierte Ägypten geht leise und merkbar ein Beben, Atmen, Erschauern. Das ganze muselmanische Afrika merkt auf, wartet, hofft. Aus Marokko machen sich Gesandtschaften auf den Weg, die zum Mahdi sollen. Im fernen Afghanistan stärkt der Name dieses sudanesischen Derwischs den Widerstand gegen die britische Macht; in Indien träumen junge Muselmanen vom Kommen des Mahdi. – Frankreich, noch nicht entschlossen, ob es sich die Revanche für 1871 nicht im Kampf gegen das britische Weltreich holen soll, beobachtet die Ereignisse im Sudan mit Aufmerksamkeit. Wird jetzt nicht der Mahdi ein mächtiges Heer gegen Ägypten führen? Werden die Ägypter ihn nicht als Retter, als Befreier begrüßen? Wird er nicht in Ägypten siegen so wie im Sudan? Wird nicht ein ungeheurer Aufstand das englische Okkupationsheer ins Mittelmeer fegen? Dann wird für Frankreich vielleicht die Stunde der Entscheidung kommen. –
Die ganze Welt blickt nach Khartum, auf diesen halbwilden Derwisch. Einen Augenblick lang scheint es, als hinge von seinem nächsten Tun das Schicksal der Erde ab.
Er aber tut nichts, er genießt seinen Sieg.
*
Es ist der Sieg, der ganze Sieg. Da Colonel Wilsons Dampferbesatzung, nach epischen Abenteuern auf ihrem Rückweg, die Nachricht vom Tode Gordons zu den Engländern bringt, räumt Lord Wolseleys Vorhut ihre gefährlichen Stellungen, das britische Expeditionkorps gibt sogar die Stadt Dongola auf und zieht sich über die Grenze Oberägyptens zurück. Im Ostsudan, in Sennaar und Kassala, halten sich noch die ägyptischen Garnisonen, halten sich tapfer, aber wie lange noch? Sonst ist so ziemlich der ganze Sudan in den Händen des Mahdi. In der fernen Äquatorprovinz am obersten Nil fühlt man den Druck der siegreichen Derwische immer stärker; Emin Pascha muß, als er vom Fall Khartums erfährt, Ladò verlassen und sich südwärts zurückziehen, seine Truppen beginnen zu meutern.
Es ist der Sieg, der ganze Sieg des Mahdi.
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Da liegt Khartum, die Festung Gordons, die Zwingburg der Türkenherrschaft, das so prächtig zivilisierte Khartum, von dem Gessi geschwärmt hat, – wehrlos, offen, zerbrochen. Jede Horde, die von Omdurman her über den Nil setzt, kann tagelang morden und plündern. Die wenigen Europäer, die noch in Khartum sind, werden grausam geschlachtet, die Griechen, die Kopten, die ägyptischen Staatsbeamten. Der österreichische Konsul Hansal, einst Volksschullehrer in Wien, wird von einem plündernden Haufen in den Hof seines Hauses gezerrt und dort enthauptet. Auf seine Leiche schütten sie den Tabak, der im Hause gefunden wird, dann einen erwürgten Papagei, einen toten Hund, dann wird das Ganze mit dem Branntwein des Konsuls begossen und angezündet. – Dem griechischen Konsul Leontides schlägt man die Hände ab, dann erst den Kopf. Dem Schneider Klein (wie seltsam, daß der Mann nicht am Suff stirbt!) wird vor den Augen der Seinen die Gurgel von Ohr zu Ohr zerschnitten, man läßt ihn verbluten. Wie er da liegt, ersticht man auf seinem Leichnam seinen ältesten Sohn. Die unglückliche Mutter, die all das sehen muß, wird wie tobsüchtig, schlägt kreischend um sich. Das wirkt auf die barbarischen Mörder, sie verschonen die übrigen Kinder des Schneiders. Aber man verschleppt die achtzehnjährige Tochter in einen Harem. – Mohammed Pascha Hussein, Gordons Finanzminister, findet seine Tochter und ihren Gatten ermordet. Er selbst könnte fliehen, aber er bleibt und schreit Schimpfworte gegen den Mahdi, bis man kommt und ihn umbringt.
Zehntausend Menschen sterben in der unseligen Stadt. Sklaven erschlagen ihre Herren, jede Rache kann man jetzt stillen. Es genügt, wenn einer aus Ägypten ist oder vom Stamme der Schaigieh, der zu Gordon gehalten hat. Solche Menschen und die Hunde erschlägt man in allen Straßen. Die Lehre des Mahdi ist den unreinen Hunden feindlich. Ein Derwischsprichwort kommt auf:
»Der Hund, der Turk, der Schaigieh haben nicht Ruhe noch Rast in der Mahdîjja.«
Man verschont nur Knaben, die man als Sklaven verkaufen kann, und Frauen, die für den Harem der Sieger geeignet sind. Ältere Weiber werden grausam gefoltert, damit sie bekennen, wo Geld vergraben ist. Überall in Khartum hört man das Schreien gefolterter Menschen. Man hängt sie an ihren Daumen auf oder schnürt einen Reif aus Bambus um ihre Schläfen.
Das geschieht alles am 26. Januar, während noch Wilsons Dampfer nach Khartum unterwegs sind, und Gordons unbestatteter Leichnam ohne Kopf vor seinem Palast liegt, und der Mahdi drüben in Omdurman sitzt, mit einem undurchdringlichen Lächeln.
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Am Tage darauf wird Gnade und Schonung verkündet. Auch die Kaufleute von Khartum sollen am Leben bleiben, sofern sie auf eitle irdische Güter verzichten. Man stellt ihnen frei, ihre Waren ins Wasser zu werfen oder sie ins Beit el-Mal zu schicken, das gemeinsame Schatzhaus der Derwische. Sie verstehen alle den Wink und wählen das Schatzhaus.
An diesem Tag, am Dienstag, besteigen der Mahdi und der Khalifa den Dampfer »Ismailia«, auf dem Gordon vielleicht noch hätte entfliehen können, hätte er gewollt, – und fahren von Omdurman über nach Khartum, wo man für sie die schönsten Häuser bereit hält. Der Mahdi ist in Khartum, als die beiden englischen Schiffe vor der Stadt erscheinen; während Colonel Wilson so angstvoll die ägyptische Flagge auf dem Dach des Palastes sucht, ist der Mahdi dort. Aber es ist nicht sein Wille, Khartum, eine Stadt der Ungläubigen, die von Allah gestrafte Sündenstätte, zur Hauptstadt des neuen Reiches zu machen. Er besieht in Khartum die ungeheure Beute, betet öffentlich in der Moschee und kehrt zurück ans andere Ufer, nach Omdurman. Dort entsteht binnen wenigen Wochen eine neue Stadt.
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Aller Reichtum Khartums wird nach Omdurman geschleppt. In Khartum bleiben nur das Arsenal, die Dampferwerften. Alles, was tragbar ist, wird in Omdurman zusammengehäuft. Den arabischen Kriegern, die so eifrig geplündert haben, wird nun gepredigt: wer von der Beute des Glaubensheeres nur eine Nadel für sich behält, der wird sie dereinst auf dem Grunde des brennenden Höllenfeuers zu suchen haben! Und es fehlt nicht an ebenso grausamen irdischen Strafen für jene, die ihre Beute behalten. Dennoch werden die Großen, die Scheichs und Emire, sehr plötzlich reich.
Aber das Beit el-Mal, das gemeinsame Schatzhaus, ist voll und übervoll von den geraubten Schätzen. In einem Hof liegt das Durrhakorn so hoch geschichtet, daß man den Haufen, wie einen wirklichen Berg, schon von fernher sieht. Es gibt ganze Zimmer, gefüllt mit Goldschmuck und Silberschmuck und goldenen englischen Sovereigns und Maria-Theresia-Talern. In einzelnen Räumen des Beit el-Mal werden Goldbrokate in lauter kleine Stückchen zerschnitten und die kostbarsten farbigen Seidenstoffe; man macht zierlich geformte Flicken daraus, um die Bettlerkleider damit zu besetzen, die Kleider der Demut, die Derwischhemden.
Im Beit el-Mal liegt kunterbunt der erbeutete Trödel der europäischen Zivilisation, die in Khartum so verheißungsvoll anfing: jene Konservenbüchsen und Petroleumlampen, von denen in seinen Briefen an den »Esploratore« der arme Gessi so sehr geschwärmt hat. – Da liegen Badewannen, lithographische Pressen, Galakutschen des Gouverneurs und eine Laterna magica. – –
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Zum Beit el-Mal gehört auch eine große Sklavenseriba mit zwei Abteilungen: eine für die schwarzen Sklavenweiber und Sklavenkinder und eine für die weißen. Die Sklaven, mit Eisenringen um ihre Hälse und zu zwanzig und dreißig an eine lange Kette geschlossen, warten hier, bis man sie zugunsten des Schatzes versteigert; vorher werden die jüngsten und schönsten Frauen, die weißen vor allem, an die Großen des Derwischstaats verteilt. Die erste Wahl hat der Mahdi selber, dann kommen die drei Khalifen daran, dann die großen Emire und schließlich die Aschraf, das sind die Verwandten des Mahdi.
Die Frauen und Töchter der Türkenpaschas, der orientalischen Christen gelangen oft in den Harem jener, die ihre Gatten und Väter ermordet haben.
Eine gewisse Amina wird mit vielen anderen Weibern in die Frauenhäuser des Mahdi gebracht. Ihr Vater war Abu Bekr e-Dscherkûk, ein Khartumer Notabler, der gleichfalls ermordet wurde; auch Aminas Gatte ist unter den Opfern gewesen und ihre Kinder sind vor Hunger gestorben. Sie ist eine Frau von seltener Schönheit, so wählt man sie für den Mahdi. Man sagt in Khartum, daß sie den Mahdi mit Leidenschaft liebe.
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Nachdem von der Grenze bei Dongola die Nachricht vom Rückzug der englischen Nilarmee gekommen ist, predigt der Mahdi darüber öffentlich in der Moschee. Kein Zweifel mehr, dies ist der Sieg, der völlige Sieg! – Der Mahdi hat in einer Vision geschaut, wie es den fliehenden Engländern, Türken und Mahdileugnern ergeht: inmitten der Wüste, weiß er, rinnen ihre Wasserschläuche auf einmal aus; sie haben auf wunderbare Weise Löcher bekommen, so daß die Feinde alle verdursten müssen. – –
Jetzt sind im Sudan nur noch Sennaar und Kassala zur Übergabe zu zwingen, und dann – –
Schon bereiten die Schreiber des Mahdi die Briefe vor, durch die nach der völligen Unterwerfung des Sudans Mehemed Tewfik, der Vizekönig Ägyptens, Johannes, Negus von Abessinien, und auch Viktoria, Königin von England, zur Bekehrung und Übergabe aufgefordert werden sollen: wenn sie sich nicht zu der Lehre des Mahdi bekennen, werden sie sicherlich Gordons Schicksal erleiden, denn auch er war voll Stolz und voll Hochmut!
In alle Länder des Islams gehen geheime Boten des Mahdi mit Briefen, in denen die neue Lehre gepredigt wird. Bis nach dem fernen Marokko blickt der Mahdi schon. In Ägypten hat er so manchen heimlichen Freund. Sein Traum vom Zug durch die ganze Welt ist nicht ausgeträumt.
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Aber der Sieg hat alles so anders gemacht. Jetzt ist außer dem Traum auch ein Reich da, das man regieren muß, eine tägliche Wirklichkeit, die man täglich bezwingen muß.
Der Feldzug gegen Ägypten erfordert Rüstungen. Man hat die Dampfer erbeutet, aber sie sind beschädigt. Gewehre hat man in Massen, aber nicht Pulver genug. Gold und Silber hat man, aber nicht genügend gemünztes Geld. Auf der Werft in Khartum, im Arsenal, in der Münze beginnt die Arbeit von neuem. Die Werkstätten, Werkzeuge hat man erbeutet, die Werkleute aber hat man erschlagen, die geschulten ägyptischen Werftarbeiter und jene, die Dampfmaschinen verstehen und wissen, woraus man Schießpulver machen könnte. Die Mahdîjja, die gegen Europas Kultur zu den Waffen gegriffen hat, sieht sich, sobald ihre Herrschaft befestigt ist, sogleich nach europäischen Waffenschmieden um und nach Ingenieuren und nach Leuten, die das Mahdigebetbuch zu drucken verstehen. Hier oder dort, in irgendeinem Gefängnis, liegt ein Europäer oder Ägypter in schweren Ketten, der das vielleicht könnte. Soll man ihn peitschen, soll man ihn töten, oder soll man ihn im Arsenal gebrauchen, auf der Dampferwerft?
Da ist Frank Lupton, der Engländer, da ist Slatin. –
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Der Erwartete Mahdi, der auszog, um irdischem Gut zu entsagen, muß ja doch seine Truppen entlohnen. Schon schlägt man Silberstücke, Medschidieh-Münzen, mit der heraldischen Sultanshand auf der einen Seite, aber nicht mit dem Namen des Türkensultans darauf, sondern mit der Inschrift: »Auf Befehl des Mahdi.«
Und auf dem Revers: Jahr der Hedschira dreizehnhundertundzwei.
Darüber noch eine Zahl: Fünf. Das bedeutet: Im fünften Jahr der Mahdîjja.
Fünf Jahre ist es her, seitdem der Derwisch von Abba in seinem Traum die Hand nach dem Schwert des Propheten ausgestreckt hat, das den Kampf gegen alle irdischen Dinge bedeutet. Nun prägt man ein Sinnbild der nämlichen Hand auf Zwanzig-Piaster-Stücke.
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Vor dem Sieg war es anders: man konnte von lauter Entsagung träumen, einer güterlosen Gemeinschaft in Gott, von der Gleichheit unter den Ansar. – –
Der Sieg, die Beute, die Macht, das verändert alles. So wie der hagere Derwisch von Abba fast vor den Augen der Seinen körperlich anschwillt, so ist aus seiner Schar von begeisterten Jüngern erst eine Armee geworden und dann ein Staat: dieses Beit el-Mal, in das man, der Welt entsagend, seine irdische Habe ausschütten sollte, – wird ein Finanzamt, zahlt Löhnung aus und zieht Steuern ein, ja, genau solche Steuern, wie der Turk sie eintrieb. An Stelle der Beys und Paschas, die man erschlagen hat, versammelt sich um den Mahdi und seinen Khalifa ein Volk von Schreibern, Verwaltern, von Statthaltern der Provinzen. Es kann nicht anders sein, es ist jetzt nicht mehr ein Traum, es ist jetzt eine Regierung. – –
Die Gefährten des Mahdi sollten brüderlich gleich sein, es sei denn im Krieg, im Befehl und Gehorsam. Jetzt, so kurz nach dem Sieg, sind sie schon ungleich an Rang. Die einstigen Jünger des wandernden Derwischs, noch vor den Gesichten von Abba, nennen sich »Erstgeborene« der Mahdîjja und blicken auf die Ansar hinab, die erst nach Abba kamen, um mit dem Mahdi dort gegen die Soldaten des Paschas zu kämpfen. Die Ansar von Gadir, die am Berge zum Mahdi kamen, sind wieder geringer im Grad; je später einer zu der Partei stieß, desto weniger gelten sie nun nach dem Sieg und bei der Teilung der Beute.
Auch dünken die »Aschraf«, die Verwandten des Mahdi aus Dongola, sich viel mehr als die anderen, wegen ihres scherifischen Bluts. Die Vettern des Mahdi tun, als wäre der Sieg nur ihnen zuliebe erfochten; man haßt sie wegen ihrer überheblichen Haltung. Zwischen ihnen und den Verwandten und Landsleuten Abdullahis, des Baggara, herrscht eine tiefgehende Feindschaft. Nur daß der Mahdi und der Khalifa so fest vereinigt sind, verhindert offene Kämpfe zwischen Kamelbeduinen und Kuhbeduinen, zwischen den Aschraf und Baggara.
Aber in dieser Stunde des Sieges sind Mohammed Achmed und Abdullahi einander so nah wie nur je. Alles hat der Erfolg verändert, nur nicht diese Beziehung zwischen diesen einander so ungleichen Menschen, dem Träumer und dem Soldaten, dem Wütigen und dem Sanften, dem Geist des neuen Glaubens und seiner Faust. – –
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Bald nach dem Falle Khartums erläßt der Mahdi eine neue Proklamation:
»Im Namen Gottes. Wisset, die Ihr mir folget, daß der Sajjid Abdallah Ibn es-Sajjid Hamadallah derjenige ist, den in meiner Vision der Prophet als den Führer des Mahdiheeres bezeichnet hat. Er ist von mir und ich bin von ihm. Behandelt ihn mit der gleichen Ehrfurcht wie mich, füget Euch ihm so wie mir, glaubet an ihn, bemängelt nie, was er tut. Was immer er tut, geschieht auf den Befehl des Propheten und meinen. –
»Wenn er einen von Euch zum Tode verurteilt oder wenn er Euer Eigentum nimmt, das geschieht zu Eurem Vorteil, also gehorchet ihm. – –
»Alle, die an Gott glauben und an mich, müssen an ihn ebenso glauben; und sieht einer etwas an ihm, was schlecht zu sein scheint, so schreibe er das einem Mysterium zu, das er nur nicht versteht; es ist schon gut so!
»Der Khalifa Abdullahi ist der Gebieter der Gläubigen, mein Stellvertreter und Helfer in allen geistlichen Dingen. Also glaubet an ihn, gehorcht ihm, zweifelt nicht und vertraut ihm in jeder Sache. – Und Gott sei mit Euch. Amen!«
Das hebt den Taaischi hoch über die beiden anderen Khalifen des Mahdi empor, stellt ihn beinah dem Meister gleich, erhebt ihn über die Aschraf, obwohl sie aus Mohammed Achmeds eigenem Blut sind, über die Brüder, die jungen Söhne des Mahdi. – –
Daß der Khalifa einst der Nachfolger des Mahdi sein soll, steht nicht in der Proklamation. Der Mahdi stirbt wohl einst, doch erst nach fernen Jahrzehnten, in Jerusalem!
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Râbi tâni, Dschumâd auwil, Dschumâd tâni, Redscheb, Schabân, – die Monate des muselmanischen Mondjahres folgen einander, in Europa sagt man: Ende Januar bis Mitte Juni. Ende Januar ist Gordon gestorben, und noch immer hat das Heer des Mahdi sich nicht in Bewegung gesetzt, um die übrige Welt zu erobern. Omdurman, erst ein bloßes Lager, ist jetzt eine große Stadt. Der Khalifa hat sich ein Haus gebaut, man findet Gordons Badewanne darin und Spiegel aus seinem Palast. Der Mahdi wohnt noch in schlichten Hütten, aber die Wohnungen seiner Frauen bedecken einen ganzen Bezirk, der sorgsam umfriedet und eingehegt ist. Die Zahl der Weiber im Harem wächst und wächst: es sind wohl schon hundert.
Ist es wahr, was man zu flüstern beginnt, daß der Mahdi längst nicht mehr der Aszet von einst ist? Daß er nicht nur mit Unmaß auf Weiber begierig ist, daß er auch im Essen grenzenlos ausschweift? Es heißt, daß er einfache Speisen liebt, die gröbsten Sorten von Fischen, Durrhafladen mit saurer Mulakhsoße, Bohnen, Erdnüsse, Sesam, alles Derbe, Gewöhnliche, – daß er aber das Essen in ungeheuren Mengen zu sich nimmt, ganz ohne Maß.
Er, der auf Abba gepredigt hat: »Der Weg zur Mahdîjja beruht auf sechs Tugenden:
Demut.
Milde.
Geduld im Ertragen.
Gebet an den Gräbern der Heiligen.
Enthaltung im Essen.
Enthaltung im Trinken.«
Nach dem Siege ist alles anders! Der junge Derwisch Mohammed Achmed ist von seinem Lehrer Mohammed Scherif einst abgefallen, weil der ein Beschneidungsfest nicht verbot.
Der siegreiche Mahdi läßt am Tag der Himmelfahrt des Propheten an seinen Söhnen die Zeremonie vollziehen, und es gibt ein gewaltiges Festmahl; Rinder und Schafe werden geschlachtet; die Aschraf, die Emire und Großen schwelgen im Genuß von roher Kamelleber und von anderen kostbaren Speisen, es herrscht in Omdurman Jubel und Lustbarkeit. – –
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Der Stern des Mahdi steht jetzt sehr hoch; es zweifeln, jetzt nach Gordons Vernichtung, die wenigsten mehr an ihm, auch nicht im geringen Volke, dessen Leiden nicht kleiner geworden sind. Der heiße Sommer, der Menschenandrang in den Hüttengäßchen von Omdurman, die Not der Massen haben Seuchen hervorgerufen; es sterben täglich Hunderte an den Pocken. Das trübt die Jubelstimmung. Einige sagen, die Engländer haben die Konserven vergiftet, die man nach ihrem Rückzug gefunden hat. Nein, sagen die anderen: »Die Blattern sind Gottes Strafe, es sterben nur jene, die den Râtib nicht rezitieren, das neue, vom Mahdi verfaßte Gebetbuch. – –«
So groß ist noch die Verehrung des Mahdi, daß man das glaubt und stirbt, ohne zu murren. Aber einige wenige fangen ja doch zu flüstern an. Ein Spion des britischen Nachrichtendienstes in Kairo, der sich im Sudan herumtreibt, notiert einen bösen Spottvers, den er gehört haben will:
»Sprich zur Seuche: Du und der Dongolaner, – – Habt doch ein wenig Mitleid mit den Menschen, den armen! Einer von euch ist ja Plage genug!«
Und der Pater Josef Ohrwalder, der noch immer in El Obeïd sehr erbärmlich lebt, hört (es steht zu befürchten: – nicht ohne Vergnügen) allerlei Dinge, die man ihm zuträgt: was für ein Heuchler, was für ein Schwelger, Fresser, Frauenjäger der Mahdi ist, wie er sich anfrißt und fett wird, dieser scheinheilige Schwindler. –
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Ist er nicht einfach ein Sûfi, den man in seiner Jugend gelehrt hat, daß ein höherer Grad der Erkenntnis höhere Tugenden nötig macht? Daß die gemeine Herde der Menschen gewisser Schranken bedarf, die für den Urefa nicht gelten, den Gottvereinigten?
Sechs Tugenden des gemeinen Haufens hat der Derwisch von Abba einst gepredigt, sie seien der Weg zur Mahdîjja: Demut, Sanftmut, Gebet, Geduld, wenig Essen und Trinken. – –
Später hat er gelehrt: das Mahditum selber beruhe auf ganz anderen Tugenden, auf Tugenden derer, die nicht mehr so mager sind: auf Entschlossenheit, Gottvertrauen, Vorsicht, Ergebung in Gott, Einheit des Glaubens und heiliger Krieg. – –
Das war vor dem Siege. Was aber geht jetzt hinter der lächelnden Maske des Mahdi vor? Woran hält er sich jetzt noch gebunden, er, der mit der Gottheit vereinigt ist und so hoch, so hoch über jeder menschlichen Sünde?