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Die Geschichte des Derwischs Mohammed Achmed beginnt in der heißen Nilstadt Khartum und im Lande Sudan, vor einem halben Jahrhundert.
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»Als Allah«, sagen die Araber, »den Sudan gemacht hat, hat Allah gelacht.«– –
Ein Scherz des Schöpfers, eher ein trüber Scherz, dieses Land zwischen Wüste und Sumpf? Der sudanesische Nil kommt in mehreren Strömen aus den großen Seen des mittleren Afrikas. Im Sudan münden sie ineinander. Beim Eintritt in das Land geht der Nil mit seinem Wasser verschwenderisch um, ergießt es in viele Kanäle, in Seen, in Moräste, durchtränkt und durchweicht die Erde, bis sie fast keine Erde mehr ist, nur noch ein Gewirr von Schilf und Schlamm, von Mücken umschwirrt. Der Elefant trompetet im hohen Sumpfgras, und riesige Neger, langbeinig wie Störche, stelzen hier oder dort herum und hetzen den Elefanten.
Dann kommt der Nil in ein Steppengebiet. Der Nil ist auf einmal sparsam geworden, gibt seinen Ufern nur wenig von seinem Wasser. Gelbgrünes Gras, eine dürre Vegetation, Mimosen, Akazien, das ist das Heim der Gazellen und Strauße und schweifender Hirtenstämme. Eng am Ufer des Nils und der Nebenflüsse, die zu Regenzeiten manchmal voll Wasser sind, wächst hier oder dort ein schöneres Grün, ein tropisch üppiger Wald, ein Feld von Durrha-Hirse oder dergleichen. Fast nirgends eine wirklich saftige Frucht, ein farbiges Blühen. Aber Staub gibt es überall, Fliegen und Mücken und Skorpione, wohin man tritt.
Dieses Land voll Sonne und Durst, überall flach und ärmlich, gerade noch fruchtbar genug, um auf dem ungeheuern Gebiet ein wenig zahlreiches Volk zu ernähren, ist ringsum von nackten Wüsten umgeben. Wüsten wie Mondlandschaften, Wüsten wie Leichenhügel! Die Erde ist wohl an keiner Stelle so starr und so tot wie zwischen Ägypten und dem Sudan. Der Nil fließt hindurch, als wäre sein Wasser nicht naß und könnte den Boden gar nicht netzen.
Durst, Durst, Durst des Sudans, der die Menschen dort glühend macht, im Verlangen maßlos und gierig, bis in ihre Seelen gedörrt!
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Es ist fast, als hätte die Natur zwischen Ägypten und das tropische Afrika eine Zone zu legen versucht, die der Mittelmeermensch nicht überschreiten soll. Jenseits der furchtbaren Sümpfe, die voll von wilden Tieren sind, Elefanten, Nilpferden, Löwen und Krokodilen, – ist gutes Land, reiches Land. Aus den Gebieten am Rand des Sudans kommen von alters her die reichsten Schätze: Elfenbein in unermeßlichen Mengen, Straußenfedern und kostbare Gummiharze. Die kraftvollen Negernationen sind unerschöpflich als Zuchtgestüte für wertvolle Sklaven, von alters her. Seitdem es ein Menschengedenken gibt, sind durch die sudanesischen Steppen Züge gefesselter Neger getrieben worden: Sklaven für die Pyramidenbauten der Pharaonen, Sklaven, bestimmt für den Haushalt der Königin von Saba, Sklaven für Mohammed den Propheten und Sklaven für die Plantagen Virginiens. Von Negersklaven aus dem Lande Kusch hat Jeremia gesprochen; Napoleon, als er in Ägypten war, hat für seine Armee zweitausend sudanesische Schwarze gekauft, denn durch all die Jahrhunderte hat man Negersklaven bewaffnet. Sie geben die besten Soldaten ab; schon in den Pharaonengräbern hat man ganze Bataillone von schwarzen Püppchen gefunden, Negersoldaten des ägyptischen Heeres versinnbildlichend. Von diesen Negern ist durch die Jahrtausende jeder einzelne in Ketten oder im schweren Joch quer durch den Sudan getrieben worden, und die Beduinen haben das Treiben besorgt. Diese sudanische Erde ist ärger mit dem blutigen Schweiß von Menschenwesen gedüngt denn sonst ein Boden der Welt.
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Der Sudan ist das andere Ufer der Araber; über das Rote Meer gelangen sie leicht dahin. Durch die Jahrtausende schwärmen die Wüstenstämme von Asien nach Afrika aus. Seit der Prophet die Seinen zum Erobern der Menschenerde ausgeschickt hat, sind die Araber Herren des Sudans. Sie haben sich mit uralten und geheimnisvollen Stämmen vermischt; afrikanische Sprachen, die unter König Ramses gesprochen wurden, hört man noch im Sudan von Menschen, die sich Araber nennen. Es gibt nubische Araber, arabisierte Berber und arabische Stämme, die gänzlich vernegert sind. Gleichviel: der Araber ist im Sudan arabisch geblieben, ein Nomade, ein Händler, ein Räuber. Hier oder dort am Fluß mag er wie der ägyptische Nilbauer siedeln und Datteln ernten oder Durrha-Hirse. Meistens ist er in diesem Land der Wüstensohn aus Mohammeds Zeiten, Karawanenführer oder Karawanenräuber. Das Schwert, die Lanze, ja selbst Kettenpanzer und stählerne Helme tragen sie, wie die alten Sarazenen, die sie sind. Das sind nicht die halb europäisch gewordenen Araber der Mittelmeerländer. Noch die gleichen arabischen Menschen, die Mohammed gegen die Welt geführt hat: primitive Barbaren, stark und grausam, heldenhaft in der Schlacht, wollüstig im Harem, auf Krieg und Beute bedacht, fanatisch im Glauben und Aberglauben. Die Christen verabscheuen sie, und seitdem Mehemed Ali, der erste Khedive, den Sudan für Ägypten erobert hat, rechnen sie all diese türkischen Paschas und tscherkessischen Beys, die aus Kairo kommen, den Ungläubigen gleich. Der Türke, der »Turk«, sagen sie, ist nicht nur der Unterdrücker, sondern auch noch von Europa verseucht, ein Christengenoß.
Unterdessen lebt im Süden, im Elefantenland, der Neger, ganz Urwaldmensch geblieben, Menschenfresser mitunter, stets Elefantenjäger. Der Neger hetzt den Elefanten, der Araber hetzt den Neger, beide hetzt und schindet der Türke. Das ist der Sudan der siebziger Jahre, in dem die Geschichte des Mahdi beginnt.
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(O dunkler Elefant, schwerer, geduldiger, gewaltiger! Dickfellig, träge, viel zu ertragen gewohnt, aber furchtbar, wenn plötzlich die Wut kommt, die maßlos ungeheure, die den grausamen Quäler zertrampelt!
O dunkler Elefant, Sinnbild Afrikas!)
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Der Winkel zwischen dem Weißen Nil und dem Blauen Nil ist geformt wie ein Elefantenrüssel. Seit einem Jahrhundert steht hier die Stadt, die Khartum genannt wird, das heißt: Elefantenrüssel.
Das Khartum der siebziger Jahre: mehr ein Aussatz als eine Stadt. Der Vizekönig Ägyptens schickt einen Pascha in den Sudan, damit er von den Schwarzen Steuern erhebe. Der Pascha hat Eile, er träumt von seinem schönen Landsitz im Delta, vielleicht von einer Pariser Reise und Tänzerinnen der Oper. Unterdessen bewohnt er einen Palast aus Backstein am Ufer des Blauen Nils. Das Haus ist zwei Stockwerke hoch; vom Dach blickt man weit in die Runde, sieht Karawanen aus der Wüste kommen und die Sklavenschiffe den Nil herab. Ein paar Amtsgebäude sind da, weitläufig und schmutzig. Eine Kaserne muß sein, ein Gericht, ein Gefängnis, ein Steueramt. In diesen Häusern langweilen sich die Effendis der Provinzregierung. Türken oder Tscherkessen die meisten; ein paar Kopten und Griechen und Levantiner. Das Volk nennt alles, was einen Fes trägt: Turk.
Der Turk in Khartum ist gelblich- und grünlichbleich. Er erträgt das Klima schwer, die Hitzen, die Fieber. Der Turk kennt Besseres als dieses trübe Exil: Alexandrien, Kairo, Beyrouth, Stambul. Sobald der Turk reich wird, geht er wieder dahin und lebt in Freuden. Hier im Sudan sind die schwarzen Frauen des Harems sein Trost, in der Zwischenzeit.
Man wohnt, der mächtige Bey und der christliche Händler, in ein paar besseren Häusern, die aus ZiegeIn gebaut sind; andere sitzen in kleinen Würfeln aus Lehm und Schlamm, von denen viele um einen Hofraum geklebt sind. Am Ufer des Blauen Flusses gibt es die grünen Gärten der Mächtigen. Kamele und schwarze Sklaven drehen das Schöpfrad, das das kostbare Wasser in die Dattelhaine hebt. Landeinwärts, zum Markt hin, sieht nur eine einzige Straße einer Straße gleich. Das schlichte Minarett der Moschee steht darüber. Der Laden des griechischen Kaufmanns hat ein Vordach. Darunter kann man, vor dem Geschäft, den Griechen sehen, wie er mit seinen Freunden und Kunden dasitzt und Mastixschnaps trinkt. Ein paar Europäer schlendern durch die einzige Straße, gelangweilt und schwitzend. Ein Forschungsreisender, der auf den Markt geht, um Proviant für seine Träger zu kaufen und Baumwolltücher als Tauschartikel für Negerfürsten. Ein Pater von der österreichischen Mission. Vor dem kleinen arabischen Café lümmeln Soldaten der Garnison, anatolische Baschi-Bosuks, wild aussehende Irreguläre, von denen jeder die Nilpferdpeitsche am Handgelenk trägt. Manchmal sieht man auch auf der engen Straße plötzlich ein schönes Pferd, das zum Gouverneurpalast trabt; darauf sitzt eine Art Halbgott, mit goldenen Tressen und Orden bedeckt, mit einem goldenen Säbel, mit einem müden gelben Gesicht unter dem grellroten Tarbusch: ein Pascha, ein Bey. – – Aber die meisten Menschen auf dieser Straße sind dunkel-tiefbraun und schwarz, Araber und Neger von hundert Stämmen.
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Schon ist die Stadt des Elefantenrüssels der große Markt für halb Afrika. Vom Westen her, aus Kordofan und vom Rand der Sahara, kommen Karawanen mit Gummiharz. Den Nil herab fahren Dampfer und Segelschiffe und bringen aus dem innersten Land am Äquator Elfenbein, Straußenfedern und die Felle von wilden Tieren; im stinkenden Schiffsraum der Segelbarken liegen, aneinandergepreßt wie leblose Ballen und wie Ballen gebunden, außerdem schwarze Sklaven; – das weiß ein jeder, sieht jedermann in Khartum, obgleich nicht die Regierung, die aus Kairo Befehl hat, den Sklavenhandel nicht länger zu dulden, diese Schmach eines sonst schon aufgeklärten Jahrhunderts. Die Dahabiehs landen beinah vor dem Gouverneurspalast; am hellichten Tage wirft man die Leichen der toten Neger in den Nil. Soundso viel Prozent der Ware vertragen den Transport nicht. Wenn ein Viertel am Leben blieb, war das Geschäft schon nicht schlecht. In den Seriben, das heißt Gehegen, in den mit Palisaden umhegten Faktoreien im Süden, hat man das menschliche Vieh verwahrt, bis zur Verfrachtung. Jetzt treibt man es, junge Männer und Frauen und Kinder, durch Khartum, dann durch die Wüste zum Roten Meer und schließlich auf die Sklavenmärkte im Osten. Der Sklavenhändler bezahlt dem Pascha Prozente, demselben Pascha, der den Sklavenhandel vernichten soll. –
In Khartum hat jedermann Sklaven; kein arabisches Lehmhaus ist so ärmlich, daß nicht ein nacktes Negerweib an der Schwelle hockte, Getreide mahlend. Menschenfresser aus den Äquatorsümpfen sind in Khartum zu finden und Neger aus den fernsten afrikanischen Ländern. Eine unsägliche Stadt von elenden Hütten verliert sich formlos in die Dürre, den Staub der Wüste; eine Stadt von flachen Dächern oder spitzigen Kegeln aus Durrha-Stroh; in den gewundenen Wegen zwischen Hütte und Hütte sind überall tiefe Löcher, in denen Abfälle faulen und Aas. Der Gouverneur von seinem Palast und der Muezzin vom Minarett der Moschee schauen tief hinab auf all das dunkle Gewimmel, auf die sinnlose Enge der schwarzen Stadt.
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Die Moschee: Eine Festung des Islams am Rande der Heidenländer. Durch das Gewimmel des Marktes geht der Mufti, eine Art höheres Wesen, mit einem Glanz um den breiten Turban. Der Scheich eines Derwischordens genießt hier so viel Ehren wie der Generalgouverneur; das niedere Volk küßt schon den Fikihs die Hände, zerlumpten Lehrern der Schrift und Rezitatoren des Buchs und Schreibern von Amuletten, wandernden Eiferern mit Bettelschale und Stab. Im Hof der Moschee sieht man sie zu Dutzenden hocken. Es sind Muselmanen aus vielen Ländern darunter, aus Marokko und Tunis, und andere, die spitze Mützen aus Lammfell tragen, schiitische Ketzer aus Persien, die die Sunna verwerfen. Das Rote Meer, das die großen Sekten des Islams trennt und verbindet, ist so nahe. Alle Lehren der muselmanischen Welt gelangen hierher, in das Völkergewimmel Khartums. Der strenge Eifer der Wahabiten, der alle Lebensgenüsse verbietet, und die mystische Gottergebenheit, Gottverschmelzung, die der Orden der Sûfi lehrt, und der neue glühende Glaube der Senussi-Klöster im Westen der arabischen Welt. Das alles mischt sich hier in Khartum. Zu den vierundzwanzig Orden der Derwische, die man in Kairo kennt, kommen hier andere, seltsame, die eigene Riten haben, besondere Übungen, die zur Verzückung führen, der Verschmelzung mit Allah. Dunkle Magie, uralter afrikanischer Aberglauben ist hier in den Islam geflossen. Die Foggara, das ist: die Armen, die Derwische, sind Priester, Lehrer, Ärzte und Zauberer. Ihre Bettelschale füllen Menschen, die selber hungern, mit Hirsemehl und mit saurem Brei. Dem niedern Volk sind die Derwische heilig, aber auch der großmächtige Pascha ruft sie des Abends in seinen mit festlichen Lämpchen beleuchteten Hof, damit sie vor seinen Gästen aus dem Koran rezitieren oder, wie sie es verstehen, durch Singen, Tanzen und Wirbeln in jene Krämpfe geraten, in jene wilden Ekstasen, die Allah gefällig sind und für den Menschen ein Weg in seine geistige Welt. Aus den tausend Geräuschen der heißen afrikanischen Stadt hebt sich das Tomtom, Tomtom der Derwischtrommel deutlich hervor, ein berauschender Rhythmus, in dem eine magische Kraft liegt.