Richard Arnold Bermann
Die Derwischtrommel
Richard Arnold Bermann

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Die Schlacht

Gustav ist aus Berlin, Gustav ist helle. Die Geschichte paßt ihm schon lange nicht. Die Geschichte geht schief; von vorne bis hinten belämmert! Macht Gustav nicht lange mehr mit! Nein, machen wir nicht!

Bevor es zur Schlacht kommt, unter den Umständen, geht Gustav Klootz denn dann doch zum leibhaftigen Mahdi über. Wird so schlimm auch nicht sein. Wird ihn schon nicht fressen. Sagt man eben mal was von Allah und so – – –

*

Klootz, Gustav Adolf Klootz, ist nämlich bei der sogenannten Armee des Generals Hicks, die von Khartum aus gegen die Derwische vorrückt, um ihnen womöglich El Obeïd wieder abzunehmen.

Klootz ist früher mal königlich preußischer Unteroffizier gewesen, bei den Gardeulanen. Man muß fürchten, er war nicht der besondere Stolz der berühmten Truppe. Seither – wie mag es weiter gekommen sein? Die Weltgeschichte, in der Gustav Klootz auch sein Plätzchen hat, verschweigt das große Wieso seiner Reise nach Afrika. Wahrscheinlich hat ihn ganz einfach Seckendorff mit sich genommen, Major Freiherr von Seckendorff, der blonde Riese mit dem Kronprinz-Friedrich-Vollbart, der jetzt mit Hicks Paschas Haufen von Unglücksraben durch den wilden Sudan spazierenmarschiert. Wie die Weltgeschichte das sommersprossige Antlitz von Gustav Adolf Klootz zum ersten Male betrachtet (es ist jung, es ist semmelblond umrandet, seine Nase schält sich in dieser dämlichen Hitze) – ist Gustav Klootz also in Kondition beim Major, als sein Bursche. Aber dann kriegen sie Krach miteinander, Klootz kündigt, oder er kriegt einen Stiefel des Herrn von Seckendorff irgendwohin, eins ist sicher: jetzt wird er Diener bei so einem Zeitungsfritzen, Mister O'Donovan, Korrespondenten der »Daily News«. Nämlich, was immer dem Heere Hicks Paschas abgehen möchte, es ist Kriegspresse vorhanden. Mr. Power vertritt die »Times« (aber der wird dann krank und springt aus, so ein Dusel!). Vizetelly, der Zeichner, soll für den »Graphic« Bilderchen malen. Das Londoner Publikum wünscht Kriegsberichte über die Vernichtung des bösen Mahdi zu lesen. – –

Gustav also dient dem O'Donovan. Doch die Geschichte gefällt ihm nicht!

*

Gustav Klootz ist ein alter Soldat und weiß, was eine Armee ist. Die da – –

Ganz schön, die Kriegskorrespondenten, zum Siegebeschreiben. Aber wer soll denn siegen? Dieser General Hicks, mit dem weißgewordenen Knebelbart, ein pensionierter Sepoy-Offizier aus Indien, er mag ja ein braver Mann sein, nur, was weiß der von Afrika? Seitdem im Vorjahr die britische Okkupationsarmee so unglaublich schleunig mit Arábi Pascha fertig geworden ist und den Rebellen mit dem ganzen ägyptischen Nationalheer beseitigt hat, – glaubt man in Kairo vermutlich, daß alle Engländer hexen können. Wenn man einen pensionierten englischen Oberst zum General macht, und noch ein halb Dutzend Gentlemen auftreibt, die mittun wollen, was kann der Mahdi da machen? Oberst Farquhar als Stabschef; Majore von Seckendorff, Massey, Evans, Warner und Herlth. – Herlth ist Österreicher, Hauptmann Matyuga ist offenbar ein Kroate. Moritz Brody aber ist ein früherer Stabswachtmeister von der berittenen britischen Artillerie, jetzt heißt er Leutnant und ist der Fachmann für die Geschütze: zehn kleine Gebirgskanonen, vier richtige Krupps, sechs Nordenfelt-Mitrailleusen. Schön und gut. Dazu die beiden Doktoren, ein Grieche und Rosenberg, Stabsarzt. Schön und gut. Man hat inoffiziell ein paar gemischte Europäer aufgetrieben, die was vom Heereshandwerk verstehen, denn offiziell entsendet Old-England keine Soldaten in den Sudan, Gladstone hat an dem ägyptischen Wirrwarr genug. Die Vernichtung des Mahdi muß der Khedive schon selber besorgen. Das britische Okkupationsheer ist dazu nicht da, hat Englands Premier erklärt.

Also wird die Armee des Generals Hicks auf ägyptische Weise gebildet: von den Truppen des Rebellen Arábi, die bei Tel El-Kebir nach vollen vierzig Minuten vor Wolseleys Engländern auseinanderliefen, hat man einige tausend wieder zusammengefangen, mit Ketten gefesselt, arme gelbe Fellachen, und hat sie so nilaufwärts spediert; auf dem Weg haben sie nur immer geweint. Erst im Sudan hat man diesen Helden die Ketten von den Beinen genommen. Der arme Hicks, wie er dieses Menschenrudel in Soldaten verwandeln will, erlebt seine Wunder. Keiner kann ordentlich schießen; mit Stöcken bewaffnet wären sie besser verwendbar als mit den guten Gewehren. Und die ägyptischen Offiziere! Der Abschaum einer geschlagenen Soldateska; voll Haß gegen diesen Khediven, in dessen Namen sie kämpfen sollen und gegen die Engländer, die sie befehligen. – Die schwarzen sudanesischen Truppen, die Hicks in Khartum dazuwirbt, sind wenigstens tapfere Männer. Nur haben sie eine abergläubische Meinung vom Mahdi; man kann nicht wissen, ob diese Söldner treu bleiben würden, wenn man sie wirklich bezahlte; aber General Hicks hat kein Geld aus Kairo bekommen und kann nicht zahlen.

Ordre de Bataille vom 8. September 1883, zu Khartum vor dem Ausmarsch: General Hicks, neun europäische Offiziere, der Rest ohne Wert: siebentausend Mann Infanterie, vierhundert anatolische Baschi-Bosuks, beritten, o das Gesindel! Hundert andere Reiter in Kettenpanzern, dazu fünfhundert Irreguläre, Araber auf Kamelen, des Mahdismus dringend verdächtig; dann zweitausend Sklaven, Negerweiber, eine Menge griechischer Händler als Troß; sechstausend Kamele.

Junge, Junge! hat sich Gustav schon gleich gedacht, wenn das nur nicht schief geht!

*

Die Weltgeschichte wirft ihren Scheinwerferstrahl auf das sommersprossige Antlitz von Gustav Klootz, sie läßt aber seinen Kollegen völlig im Dunkel, den anderen deutschen Jungen. Man weiß nur, es ist auch ein Sachse in Hicks Paschas Lager, gleichfalls ein Diener, vielleicht bei dem österreichischen Bimbaschi Herlth. Eines Tages, genau am 20. Oktober, sechs Wochen nach dem Ausmarsch des Heeres, sind diese beiden Deutschen damit beschäftigt, für ihre Herren die Zelte auf einem neuen Lagerplatz zu errichten, den man in der Nähe von Rahad soeben bezogen hat. Es ist ausnahmsweise Wasser vorhanden, zuviel sogar, eine enorme, sumpfige Pfütze voller Mücken. Man hat am Ufer eine »Seriba« erbaut, eine hochgeschichtete Dornenhecke, die das Lager umschließt; es heißt, daß man mehrere Tage hier rasten wird, bevor der Vorstoß nach El Obeïd unternommen wird. Man ist nicht mehr weit von dort – zu nah, sagt sich Gustav Klootz.

Sechs Wochen ist man herumgezogen, auf dem längsten Weg. Zu fressen wenig, zu trinken gar nichts.

Durst und Durst! Die arabischen Führer, die mit sind, ein Mordsgesindel; wenn die nicht vom Mahdi gekauft sind, will Gustav Matz heißen (– sagt er zum Sachsen). Wo ein guter Weg ist, sicher führen sie einen den schlechten. Durch Dornenwälder, durch hohes Gras, hübsch an den Wasserstellen vorbei, die Herren Führer wissen niemals, wo Wasser ist. Man marschiert und marschiert und krepiert vor Durst. Keine Gefechte; dabei wimmelt's von Derwischen. Kaum hat man ein Lager verlassen, so sind sie schon drinnen. An den wenigen Wasserstellen liegt frischer Dreck von Menschen, die eben verschwunden sein müssen. In den Wäldern kraucht der Derwisch im Busch herum – wie weiland Napolium. Manchmal ein Schuß, manchmal ein Posten, der mit zerschnittener Gurgel gefunden wird. Und bei der Vorhut so ein verdächtiges Hin und Her von Irregulären. Sogenannte Verbündete, schwarzbraune Scheichs mit wilden Lanzenreitern, tauchen auf einmal auf, da sind sie, Busenfreunde der braven Führer, hurra, die werden uns helfen; – dann sind sie auf einmal weg, ja, wohin denn? Jetzt eben warten die Herren Generale auf fünfhundert Baggara, die fest versprachen, hierher zu kommen; um ihretwegen bezieht man einstweilen das Lager.

Gustav Klootz sagt zu seinem Kollegen, dem Sachsen: »Wenn die kommen, dann heiß ich – –«

Wer kommen wird, sagt er, das sind die Derwische. Überall merkt man sie, riecht man sie: Tausende, Tausende! Das Land ist lausig von Derwischen, das ist die Wahrheit! Zehn Derwische auf einen von uns, und es ist nicht wahr, sie haben ganz gute Waffen, Kanonen und alles! Da sind viele Gediente bei, alte Soldaten, die jetzt bei ihnen sind, bessere als das Schweinegesindel bei uns. Mein O'Donovan, der ist nicht so dumm, immer schreibt er in seine Artikel: die Gippys taugen nicht, der Ägypter wird nie ein Soldat, aber die Schwarzen, das sind schon Kerle! – Wenn ein einziges buntes Derwischhemd auftaucht, laufen die Gippys, ihre Herren Offiziere besonders!

Gustav Klootz spuckt aus, so sehr verachtet er diese Feiglinge. Aber ist er nicht selber bleich? Oft und oft fährt er mit der Hand sich über die Gurgel. So wird man von den Derwischen abgemurkst werden, so! Keine Rettung, alles verloren!

*

Die Weltgeschichte zeigt Gustav Klootz (und einen vagen Umriß seines Kollegen, des Sachsen) am nämlichen Tag noch im Walde vor der Seriba. Die beiden haben die Postenketten passiert, einem dummen Fellachensoldaten was zugeschrien, sie müßten mal Brennholz – – Vielleicht wollen sie wirklich nur Brennholz sammeln für das Lagerfeuer; sie haben die Äxte mit und ihre Gewehre. Klootz trägt, es ist in den ehernen Tafeln der Weltgeschichte verzeichnet, einen überaus schmutzigen Anzug aus Drillich. Einen roten Fes auf dem hellen Köpfchen. –

Dann – was geschieht? Wollen die beiden, wollen sie nicht? Haben sie miteinander geplant, daß sie ausreißen wollen, nicht zu den Derwischen gerade, nur fort aus diesem Lager des Todes – –?

Im Wald sich verstecken vielleicht, dann schauen, daß man sich durchschlägt zum Nil, da fahren ja Schiffe; zu Weihnachten, wenn man Sau hat, kann man in Kairo sein, vielleicht sogar zu Hause bei Muttern. – –

Dann fällt, vielleicht, während beide noch schwanken, ein Schuß. Hat der Posten geschossen? Wer sonst? Die Affen jagen erschreckt durchs Geäst der Bäume. Jetzt rennen die beiden auf einmal, doch nicht in der gleichen Richtung. Der Sachse kriegt's mit der Angst vor dem Unbekannten. Oder es war ihm doch nicht ernst; er kann doch den Herrn nicht im Stiche lassen, dem er da dient, und die anderen alle. – – Guter Sachse, vager Sachse! Er rennt, was er kann, ins Lager zurück; aber Klootz rennt vorwärts, hinein in den tieferen Wald, er wird sich verstecken, man soll ihn nicht kriegen, er zieht sich aus dieser Schlamastik, er läßt sich nicht mit den anderen murksen, nicht Gustav, danke für Obst!

Er fällt, nachdem er ein wenig herumgeirrt ist, den Baggara-Beduinen in die gierigen Hände, die zahlreich um das ägyptische Lager schwärmen. Schon hebt so ein Kerl sein riesiges Kreuzfahrerschwert, da retten Klootz seine drei arabischen Brocken:

»Ich Derwisch! Wo Derwisch? Ich Derwisch! Zu Derwisch!«

Und: »Mohammed, Mohammed. Ich Mohammed!«

*

Vierzehn Tage später steht Gustav Klootz aus Berlin – –

Nein, den gibt es nicht mehr: Gustav Klootz. Und wo ist Berlin! Steht vielmehr Mustafa! –

Die Baggara haben den Gefangenen nach El Obeïd gebracht, zum Mahdi. Sie hätten sich nicht die Mühe genommen, wenn Gustav noch besser arabisch gesprochen hätte und ihnen gesagt, wer er war. So haben sie, was wissen die, den Diener in seinem schmutzigen Kittel für etwas Großes gehalten; er ist doch ein Engländer, also? Am Stadttor von El Obeïd hat eine aufgeregte Menge geschrien:

Hicks Pascha! Nein, Gordon! Nein, der Mann der Königin Viktoria!

(Er war ganz blutig von Schlägen, seine Füße waren doch so geschwollen, am Hals hat ihn der Strick entsetzlich gewürgt, er hat gedacht: Nu bist du aber hin!)

In einem Zelt, vor einem lächelnden Manne, ist er hingefallen, wie ein Sack. Gerade hat er noch röcheln können: »Ich Derwisch!« Der Mahdi, denn das war natürlich der Mahdi, hat etwas Langes geredet. Dann ist man jemand holen gegangen, so einen Griechen, der hat mit Gustav französisch gesprochen. Versteht er ja nicht. Dann ist ein anderer gekommen, hat Gustav angesehen, hat ein paar Worte auf englisch gesagt, dann auf einmal kommt es Gustav vor: der spricht ja doch deutsch!

Ja, das war nämlich Ohrwalder, der Tiroler. Der Missionar. Auch gefangen beim Mahdi, auch in dem Hemd mit den bunten Flicken.

Der Pater also hat die Frage verdolmetscht: Ob Hicks eine starke Armee hat, wieviel Kanonen, wer mächtiger ist, ob der Mahdi oder der Hicks?

Alles, alles hat Gustav erzählt. Und dazwischen immer in einer Angst: »Ich Derwisch!«

Der arme Pater hat fragen müssen, ob Gustav Mohammedaner werden möchte. Gleich hat er's gewollt, und wie gern!

»Gustav heißt dieser Engländer aus Deutschland?« hat der lächelnde Mahdi zum Pater gesagt. »Gustav – Mustafa! Sage ihm, daß er jetzt Mustafa heißt. Aber erst muß er sprechen: Allah ist Allah – – «

*

So, und jetzt steht Mustafa, vierzehn Tage darauf, unter einem gewaltigen Waldbaum, und wie ist dem Ärmsten zumute! Er trägt jetzt natürlich ein Derwischhemd, und das Käppchen von Palmstroh sitzt ihm sehr seltsam auf dem blonden norddeutschen Schädel. Er ist Mustafa und ein Sklave Abdullahis, dieses Khalifen, und der hat ihn mit sich genommen in die Schlacht. Jetzt eben schlagen die Kugeln der Mitrailleusen ins Geäst der Bäume, daß es prasselt; natürlich doch schießen diese Gippys mal wieder zu hoch!

Gustav weiß nicht, wünscht er, daß sie besser schössen? Ach, Mustafa, ein Derwisch!

Neben dem weißen Hengst seines Herrn rennend ist der Derwisch Gustav, oder ist er der Preuße Mustafa, in diesen dürren Dornbaumwald gekommen, wohin sie nun glücklich den Hicks hineingelockt haben, wie eine Fliege ins Spinnennetz. Das eine hat Klootz in diesen vierzehn Tagen erfahren: obwohl es sehr dumm von ihm war, zu den Wilden da überzulaufen, krepieren ist (weiß er nun) besser, – das steht fest, daß er recht gehabt hat, es gibt keine Hoffnung für Hicks! Der Pater, der mag noch hoffen und beten, der ist kein Soldat und versteht nichts. Der frühere preußische Gardeulan versteht nur zu gut, was an jedem Tag die Spione der Derwische ins Lager melden: die Unglücksrabenarmee geht in eine entsetzliche Falle! Diese schurkischen Führer, Klootz hat es lange gewußt, sind alle Spione des Mahdi gewesen! Die Irregulären schicken täglich Boten nach El Obeïd! Von den ägyptischen Beys sind viele Verräter, ach was, sie haben nur Angst. (Mustafa ist dennoch sittlich entrüstet und sagt das dem Pater, von dem er die bösen Nachrichten kriegt.) – Die Führer Verräter, ein Teil der Truppen längst für den Mahdi gewonnen, so rückt diese sogenannte Armee von Rahad vor El Obeïd, jetzt sind sie bald da, nur noch dieser scheußliche dornige Wald, dann, denkt sich wahrscheinlich der alte Hicks, dann sind wir so weit, wir erobern El Obeïd, und alles ist gut. – –

In dem Wald sind siebzigtausend Derwische versteckt. Keine Hoffnung für Hicksen!

*

Was wahr ist, ist wahr! Wenn ein Unteroffizier von den Gardeulanen einen guten Soldaten sieht, dann erkennt er ihn. Dieser Khalifa ist ein guter Soldat.

Ein schwarzes Scheusal, tückisch und grausam, sagen sie alle, mit dem Hinrichten ist er gleich bei der Hand, und gepeitscht wird den ganzen Tag und verstümmelt, – aber ein Krieger!

Einmal, als er ihn wieder durch Pater Ohrwalder ausfragen ließ, hat Gustav versucht, den Khalifa bange zu machen: der General Hicks sei doch nicht zu verachten, und seine Kanonen – – vier wirkliche Krupp!

Und die Nordenfelt-Mitrailleusen! Ganze Reihen mähen die nieder!

»Der Tod ist dem Ansari der Lohn, den er wünscht!« hat Abdullahi nur gesagt. Und ausgesehen, als meinte er's so.

*

Jetzt, auf der Lichtung im großen Walde, da die Kugeln zu fliegen beginnen, sieht Gustav Klootz aus Berlin den Mahdi beten. Dann zieht er ein großes Schwert aus der goldenen Scheide.

Aber Gustav Klootz weiß nicht, daß es das Schwert eines deutschen Kreuzfahrers ist!

Mit dem blitzenden Schwert in der Hand bleibt Mohammed Achmed inmitten der Lichtung stehen. Seine Ansar sehen ihn alle, wie sie, jauchzend, jetzt gegen die Feinde stürzen.

Die Banner der drei Khalifen. Die großen kupfernen Kesselpauken. Der furchtbare Ton des langen Elfenbeinhorns, das neben Abdullahi geblasen wird. Die wilden Emire. Wad en-Nedschumi. Jakûb.

»Allahu akbar, Allahu akbar!«

*

Am Tage nach der Schlacht ist Gustav Klootz ganz allein in diesem entsetzlichen Wald. Obwohl der Glaube an den Mahdi die Ansar im Kampfe kugelfest macht, sind doch viele im Kampfe gefallen, und es gibt im Lager zahlreiche Verwundete. Das waren eben, so wird es erklärt, jene Muselmanen, die die Gebete des neuen Mahdi-Gebetbuchs (des Râtib) noch nicht richtig zu sprechen wissen. Als ein Europäer steht Mustafa selbstverständlich im Rufe, ein Arzt zu sein. Vielleicht hat er selber so was behauptet. Jetzt hat der Khalifa ihn auf das Schlachtfeld zurückgeschickt, damit er Verbandzeug und Medikamente sammle: die Leichen der besiegten Ägypter sind wieder und wieder geplündert worden, die Kisten und Ballen erbrochen, aber immer noch liegt unermeßliche Beute im Waldesdickicht verstreut.

Armer Klootz, Gustav, Mustafa! Ein Deserteur, ein bißchen Verräter, ein Feigling, nun ja. Jetzt aber da so mutterseelenallein in diesem entsetzlichen Wald, in dem die Leichen herumliegen, unbestattet. Er findet Verbandzeug genug, aber was sonst noch! Da ist die Stelle, wo das letzte Karree von den Derwischhaufen zu Boden gerannt worden ist! Nicht das ganze Heer ist beim ersten »Allah!« in die Büsche gelaufen – – Ein Kern war schon gut, rings um die europäischen Führer. Nun, da liegen sie, in drei riesigen Leichenhaufen, drei Kilometer voneinander entfernt. Der Soldat in Klootz liest aus dem Schlachtfeld die Entsetzensgeschichte: der erste Überfall, Gegenwehr, geordneter Rückzug. Die Derwische geben dem ordentlichen Geviert der disziplinierten Truppen noch einmal Raum; das marschiert durch den Wald, – in eine zweite Falle hinein. Jetzt ist die letzte Ordnung in Fetzen; aber die Fahne des Führers weht noch; um sie schleppt sich ein wunder Rest der Flüchtlinge gegen das Hüttendorf Kaschgeil. Wahrscheinlich suchen sie Wasser. – –

An einer Stelle unfern von Kaschgeil, wo ungeheure Bäume ein wenig Deckung gegeben haben, findet Mustafa die meisten Leichen. Fast alle die Europäer, die er im Heere gekannt hat, haben noch hier gelebt und sind hier dem letzten Ansturm der vielen Feinde erlegen. Und da liegen sie nun alle auf einem Haufen. Den riesenlangen Seckendorff kann er nicht verkennen, obwohl der Kopf mit dem Kronprinz-Friedrich-Vollbart dem Leichnam fehlt, der da nackt im Gestrüpp liegt. Da ist Hicks, auch ohne Kopf, und Herlth, ganz geschlitzt, daß das Bauchfett hervorquillt. – – Und Matyuga, Farquhar, der Doktor Rosenberg!

Sie müssen alle gefochten haben wie wilde Tiere. Seinen Herrn, den Korrespondenten der Daily News, kann Mustafa lange nicht finden. Dann sieht er in einem Gebüsch eine Ledertasche, die er vortrefflich kennt, die Tasche, in der die Manuskripte O'Donovans waren, – nein, sind!

Mustafa-Gustav zieht die Blätter heraus; sie sind blutig; und nun findet er noch tiefer im Dorngestrüpp etwas Unsägliches; kleine Stücke von Mister O'Donovan. – – Zerhackt, zerkaut von Hyänen. – –

Gustav Klootz rennt schreiend davon mit der ledernen Tasche. Schließlich im Rennen und Röcheln und Heulen flitzt diesem elenden armen Teufel so ein Gedanke durchs Köpfchen; er bleibt stehen, sammelt den Atem, fängt gierig an in den Blättern zu lesen, die O'Donovans Tagebuch waren. Da muß doch sein Name stehen. – –

Richtig, October 20th, da steht es: Klootz. Klootz ist geflohen, steht in dem Kriegstagebuch des Korrespondenten. – So viel Englisch kann der Klootz immerhin, er entziffert: »Wie muß der Zustand unserer Armee sein, wenn selbst ein europäischer Diener zu diesen Wilden zu desertieren für nötig findet?«

Und am Schluß: »Da notiere ich alles und schreibe Artikel, wer aber wird sie nach Hause bringen?«

*

Klootz bringt sie nicht nach Hause, wohl aber in Pater Ohrwalders Hände, die Notizen, die Tasche und O'Donovans blutbefleckten Mackintosh. Die Weltgeschichte, die einige Zeilen von diesen Kriegsberichten des toten Reporters bewahrt hat, verdankt sie dem guten Gedächtnis des Paters.

*

Armer Mustafa, zu bedauern, obgleich kein besonderer Heros. Von seinem O'Donovan, den er ja doch ganz gerne gehabt hat, findet er kleine Stücke und dieses Papier, auf dem ihm der Tote ein Schandmal vermacht hat.

Und ganz zuletzt, nachdem er lange in diesem entsetzlichen Walde von Greuel zu Greuel getaumelt ist, muß Mustafa, ja, bis zum Ende jetzt: Mustafa – seinen lieben Kollegen finden, den Sachsen. Der liegt ganz tot und vollkommen nackt im höchsten Geäst eines Baumes. Wie ist er hinaufgekommen, um Gottes willen?

*

Alle tot, alle tot; tot die Löwen, die tapferen. Armer lebender Hund, Mustafa! Am Leben geblieben, jawohl. Aber wie, für wie lange? Ein Tag kommt schließlich, Mustafa, Mustafa – –

Das Ende, das für Mustafa Klootz aus Berlin herankommt, sieht so aus: ein weggelaufener elender Sklave des Derwischkhalifen krepiert mal später auf der Flucht in so einem sudanesischen Dorngestrüpp.

*

Die Köpfe von Hicks und von Seckendorff sind in El Obeïd, auf der Spitze von Derwischspießen. Man senkt sie zu Boden, sie küssen den Staub, da der siegreiche Mahdi einzieht.

Tomtomtom, tomtomtom, alle die Trommeln sind toll geworden. Das Heer des Mahdi kommt zurück in die Stadt, voran die Fahnen, die bunten Banner mit heiligen Texten beschrieben:

»Im Namen des Erbarmers, des Barmherzigen. Es gibt keinen Gott außer Allah. Mohammed el-Mahdi, Nachfolger des Gesandten Allahs. O Lebendiger! O Ewiger! O Herrscher und Ehrwürdiger!«

Hinter den Fahnen kommt das Fußvolk, die Ansar in ihren bunt benähten Derwisch-Dschubbas, eine tanzende, taumelnde, trommelnde Menge vom Siege Trunkener, mit einem Gemurmel wie Meeresdonner:

»La Ilaha il' Allah! La Ilaha il' Allah!«

Dann die drei großen kupfernen Pauken der drei Khalifen, und die Ombajja, das elfenbeinerne Heerhorn, der dröhnende Elefantenzahn, der nur vor dem Haufen Abdullahis geblasen wird. – Nun die Panzerreiter aus Kordofan, in ihren Kettenhemden und spitzen stählernen Helmen wie die Sarazenen vor tausend Jahren. Sie fällen die Lanzen, sprengen vorwärts mit dem Schrei: »Für Allah und den Propheten Allahs!« Vor der Zuschauermauer halten sie plötzlich, wenden, sprengen zurück.

Und nun treibt man einen Haufen blutiger und fast nackter Gefangener vorwärts, unmittelbar vor dem Mahdi selber, der milde strahlend auf einem edlen weißen Kamel sitzt, in einer schönen Derwisch-Dschubba, die auf eine neue und prunkhafte Weise mit Scharlachflecken benäht ist, Teilen erbeuteter britischer Uniformröcke, und mit brokatenen Stücken der Meßgewänder aus den zerstörten katholischen Missionen.

Wie er da reitet, mit seinem schimmernden Lächeln, verliert die Menge um ihn die letzte Besinnung. Sie tanzen um ihn und trommeln um ihn und sie schreien: »La Ilaha il' Allah!« und weinende Weiber werfen sich kreischend in den aufgewirbelten Staub: »Der Mahdi Allahs! Der Mahdi Allahs!«

Und Abdullahi der Taaischi, groß und grimmig auf seinem herrlichen Pferd, sieht sich nach den vielen Geschützen um, die vorbeiziehen, nach all den erbeuteten Waffen. – – Nun wehe dem Turk in Khartum, der ganze Sudan liegt nun offen!

*

Und der knebelbärtige Kopf des britischen Generalmajors Hicks mit dem roten Tarbusch auf den grauen Haaren senkt sich immer wieder und wieder auf der Spitze der blutigen Lanze vor dem Sieger, dem Mahdi Allahs, der dem Islam das ganze Erdreich erobern wird.


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