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Dies aber ist die Geschichte des französischen Journalisten Olivier Pain:
Während das Heer des Mahdi mit wehenden Bannern und dröhnenden Pauken gegen Khartum marschiert, nein, sich wälzt, ein formlos breiter brennender Strom der Verheerung, steigt in El Obeïd, vor der Mudirieh, das ist das Regierungsgebäude, in dem jetzt ein Derwischemir für den Mahdi Statthalter ist, – steigt ein lächelnder Mann vom Kamel, schlank, von hoher Gestalt und mit einem goldblonden, zierlich frisierten Vollbart, wie ihn kein Araber hat; er ist braungebrannt und wie ein Beduine gekleidet, aber ein Europäer, auf den ersten Blick. Zwei Wüstenaraber, die ihn als Führer begleitet haben, laden von einem Tragtier eine Menge sauber verschnürten Gepäcks. Er selber springt auf dem Hauptplatz der menschenwimmelnden Derwischfestung munter aus dem Sattel des knienden Reitkamels, sagt etwas wie:
»Me voilà!« –
Und dann erklärt er in einer Sprache, die nur er selber für die arabische hält, da sei er also, Monsieur Pain, Olivier Pain, Journalist aus Paris. – –
Und da sogleich ein Aufruhr um den Fremden entsteht, da fanatische Stimmen zu schreien beginnen: »Ein Spion! Ein Turk! Ein ungläubiger Hund«, – da setzt der Mann mit dem blonden Vollbart eiligst hinzu:
»Allah est Allah et Mahomet son prophète!«
Er lächelt ein bißchen kokett. Nun ist doch alles in Ordnung, wie? – Er blickt sich um, sieht finstere Gesichter, es ist noch nicht alles gut, scheint es, gleich ruft er herzlich:
»Vive le prophète! Vivent les derviches! Je suis un derviche, moi!« – und zieht seinen Wüstenburnus auseinander, so daß man darunter ein richtiges Derwischhemd sehen kann, zierlich schwarzweiß mit hübschen Flicken benäht. Da ihn noch immer niemand umarmen will, versucht er arabisch zu sprechen: »er sei, bei Mahomet, ein guter Moslim, in seinem Herzen seit langem schon, der beste Freund der Mahdisten; und er komme jetzt heimlich durch die anglo-ägyptisehe Postenkette; sie haben einen Preis auf sein Haupt gesetzt, natürlich, er aber mit seinen Guides Arabes sei den Herren Briten entwischt, und da sei er nun also, als der Träger einer großen geheimen Mission an unseren heiligen Vater, den Mahdi. – – «
Die wilden Baggarakrieger, die mit Schwert und Lanze im Hof der Mudirieh die Wache halten, verstehen kein einziges Wort von dem Kauderwelsch dieses Christenhundes. Der Emir, der diese Leute befehligt, er heißt Alî Balkhit und wird meist »Der Büffel« genannt, er ist so ein Büffel von Kerl – der Emir Alî Balkhit kommt herbei, sieht sich diesen Ungläubigen einen Augenblick lang an, und dann läßt er ihn packen; er ist ihm verdächtig. Während man noch einen Dolmetscher sucht, galoppieren schon die Gerüchte durch ganz El Obeïd: »Der Kaiser von Frankreich hat sich dem Mahdi ergeben!« – »Der Sohn des Königs der Franken erscheint, um den Islam zu bekennen!« – »Nein, er ist ein Spion, er wollte den Mahdi ermorden!« – »Gordon hat ihn geschickt.« – »Er ist der Liebling des Khedive und der Mann der Königin Viktoria!«
Der rasch herbeigerufene Dolmetsch erscheint auf der Mudirieh, einer von den gefangenen Patres, diesmal nicht Ohrwalder, sondern Bonomi, sein Superior. Der Italiener Bonomi spricht nicht so besonders gut Französisch und die Verständigung ist recht schwierig; der Büffel-Emir, mit der schwarzen Hand am Schwert, fragt schon mißtrauisch-ungeduldig, was diese beiden Hunde da so lange verhandeln. Endlich versteht der Geistliche halbwegs und kann übersetzen, was ihm selbst nicht viel Freude bereitet: der Herr da, Olivier Pain, kommt, versichert er, im Namen der großen Nation der Franzosen, ja eigentlich ganz Europas, in einer sehr geheimen Mission, – um dem Mahdi die Sympathie, ja die tätige Hilfe derjenigen Menschen zu bringen, die England hassen, also der meisten Menschen.– –
»Übersetzen Sie, mon père: ›La perfide Albion‹ –«
Der Pater Bonomi muß das übersetzen: daß das große Frankreich seine muselmanischen Brüder niemals im Stich lassen wird. Die Engländer haben Ägypten in brutaler Weise besetzt, durch Verrat. Eh bien, der Mahdi wird sie aus Ägypten vertreiben.– – Er, Olivier Pain, ist gekommen, um mit dem Mahdi gewisse sehr heimliche Pläne in Person zu erörtern. Auch habe er Briefe aus Ägypten bei sich gehabt, von Sibêr Rahamet und anderen, geheime Briefe an den Mahdi von den Anhängern seiner heiligen Sache, die aber habe er vor Dongola vernichten müssen, damit sie die Engländer nicht etwa bei ihm fänden. – Man hatte ihm nachgespürt, er war wohl verraten worden, auf seinem Haupt stände ein Preis, er aber, Gott sei Dank, mit diesen drei treuen Führern schließlich entschlüpft, und da war er, le voilà – – –
»Übersetzen Sie, bitte, mon père: Vive la France! Et vive le Mahdisme! Vive le prophète Mahomet!«
Der Pater Bonomi, mit gesenktem Blick, muß das alles übersetzen. Der Emir Alî Balkhit, schwarz und plump wie ein Wasserbüffel, hört aufmerksam zu. Wahrscheinlich hat er noch niemals den Namen dieses Landes gehört: Frankreich. Dieser Ungläubige, der da auf einmal kommt und sagt, er liebe den Propheten und den Mahdi, ist gewiß verrückt oder vielmehr ein Spion.
Alî Balkhit streckt auf einmal seinen schwarzen Arm aus:
Gierige dunkle Hände zerwühlen das Gepäck des Franzosen; man findet den Koran in französischer Sprache und ein arabisch-französisches Wörterbuch. Am verdächtigsten ist eine Karte von Kordofan. Wie, El Obeïd ist hier sichtbar verzeichnet? Und Rahad mitsamt dem See? Das Nubagebirge? Wie können, es sei denn durch schwarze Magie, die Ungläubigen all das so wissen? Hat auch der Verfluchte, Gordon, ein solches Zauberpapier?
Olivier Pain erhält sein Gepäck nicht zurück und wird in einer Hütte strenge bewacht. Er zeigt eine lächelnde Miene; der Mahdi, sans doute, wird den französischen Pilgrim besser empfangen, sobald er gehört haben wird – – Wenn nur unterdessen erträgliches Essen zu haben wäre! Kein gutes Brot und kein Fleisch, nichts als Hirse und Mais und verdächtige Soßen. – – Darunter leidet Olivier Pain, er ist ein bißchen empfindlich.
*
Einige Wochen darauf schickt ihn der Büffel-Emir mit einer starken Bedeckung dem Mahdi nach, der unterdessen, es ist Ende August, das Lager von Rahad verlassen hat und auf Khartum vorstößt.
Im Gefolge des Derwischheeres befinden sich mehrere europäische Menschen, aber keiner von ihnen ganz freiwillig, nicht einmal der Berliner Derwisch Mustafa Klootz, der gleichfalls vorhanden ist. Der frühere Generalgouverneur von Dar-Fur, Rudolf Slatin, läuft neben dem Pferd des Khalifas Abdullahi einher, zu dessen Leibwächtern er jetzt gehört. Auch sind viele griechische Händler im Lager des Mahdi, Renegaten, die als halbe Orientalen das Vertrauen der Derwische gewonnen haben und im Heer eine wichtige Rolle spielen. Slatin, Klootz und die Griechen sehen einander auf dem Marsche nicht oft, sie werden zu argwöhnisch überwacht. Jeder aber von ihnen hat schon das Gerücht von einem Franzosen vernommen, der freiwillig, sagt man (freiwillig!), zu den Mahdisten gekommen ist, direkt in die Hölle!
(Das Gerücht von diesem Franzosen gelangt, der Sudan ist das Land der Gerüchte, durch alle Fronten und Postenketten sogleich nach Khartum zu General Gordon. Charles G. Gordon schreibt eine phantastische Hypothese in sein Kriegstagebuch: dieser geheimnisvolle Franzose kann seiner Meinung nach nur der Schriftsteller Ernest Renan sein, der Autor des »Leben Jesu«. – –)
*
Eines Abends, da das Heer bei Scherkêla landet, wendet sich der Khalifa Abdullahi, vor seinem Zelte sitzend, plötzlich an Abd el-Kadr. Das ist Slatin, der demütig hinter dem Sitz des Khalifa steht, als Ordonnanz oder Diener, er, der noch unlängst in großen Schlachten eine Armee des Khedive siegreich befehligt hat, – wendet sich an ihn, mit einer etwas gefährlichen Freundlichkeit, und fragt ihn, ob es in diesem Europa der Ungläubigen denn auch so verschiedene Stämme gibt, so wie im Sudan die Baggara, Danagla oder Hadéndoa? – – Was ist das zum Beispiel: Franzosen? Gehorchen denn nicht alle Stämme des Landes Europa der englischen Königin? Da sendet uns Alî Balkhit aus El Obeïd einen Franken, der sagt, er sei »ein Franzose« und hasse England. – – Wie ist das? »Du, Abd el-Kadr, der du zu uns gehörst, einer von uns« (sagt der Khalifa mit dem falschen Lächeln des Mißtrauens), »du sprichst ja die ungläubige Sprache, deswegen sollst du dabei sein, wenn dieser Fremde zu mir kommt!«
»Aber hüte dich!« sagt der Khalifa auf einmal mit einem schwarzen Blick. »Ich werde es wissen, wenn du nicht genau übersetzest, und dann wirst du in schwere Ketten geschlagen!«
*
Im Lager von Scherkêla spricht der Mahdi wie gewöhnlich mit dem versammelten Heere das Mittagsgebet; nach dem Gottesdienste sitzt er auf seinem Schaffell, in einer von Sauberkeit leuchtenden Dschubba. Es scheint, als wäre heute der Turban mit noch mehr Sorgfalt gewunden als sonst, die Augen sind kunstvoll mit Antimon untermalt, das gibt ihnen einen feurigen Ausdruck. Der Leibwächter des Khalifa, Abd el-Kadr Saladin, erscheint nun und führt diesen Fremden vor, den Pilgersmann aus Europa, den Franzosen. Der ist etwas bleich und mager geworden, doch sein blonder Kinnbart ist sorgsam gekräuselt, er lächelt strahlend.
Der Mahdi läßt den Franzosen durch Slatin fragen, ob es wahr ist, daß er ein Mohammedaner ist.
– »Im Herzen seit langem schon!« versichert Olivier Pain mit lauter Stimme. – »Und in El Obeïd habe ich es ja öffentlich vor dem Emir bekannt. Jetzt aber nochmals:
»Allah ist Allah und Mohammed ist sein Prophet!«
Der Mahdi nickt befriedigt. Er sieht sich in der Runde um, ob seine Krieger das alle hören, was dieser Fremde da sagt, der von so weit her gepilgert kommt. Dann gibt er dem Neubekehrten gnädig seine heilige Hand zum Kusse. Olivier Pain küßt die schwarzbraune Hand des Mahdi mit einer Art Galanterie. Dann fängt er an zu erklären, sich Slatins als Übersetzer bedienend, daß er gekommen ist, um dem Mahdi zu helfen. – – England, erklärt er, der große Feind des Mahdi, ist auch der Erbfeind der französischen Nation. Daß England Ägypten besetzt hat, will und kann Frankreich niemals dulden. Daher ist Frankreich, Olivier Pain versichert es ernstlich, gewillt und entschlossen, mit dem Mahdi zu verhandeln und ihm in seinem gerechten Krieg tatkräftigst Hilfe zu leisten. – – – »Unter gewissen Bedingungen«, fügt er leicht hinzu. Slatin übersetzt mit einem kalten Gesicht. Es ist ihm entsetzlich, das wiedergeben zu müssen, aber er fühlt den Blick des Khalifa, der ihn belauert, und er wagt nicht, falsch zu verdolmetschen.
Da wendet der Mahdi sein lächelndes Antlitz wieder zu dem Franzosen.
»Wir haben verstanden«, sagt er sehr deutlich, damit es möglichst viele der Seinen hören können. »Wir haben deine Botschaft verstanden. Wisse aber, daß ich, der Mahdi, auf menschliche Macht und Hilfe nicht zähle. Wir werden England und alle anderen Türken und Ungläubigen mit des Erbarmers Hilfe allein besiegen, bei Ihm ist die Macht und die Kraft. Deine Völkerschaft, von der du da redest, ist sie nicht selbst ein Stamm der Ungläubigen? Wie sollte ich mich mit ihr verbünden? Meine getreuen Ansar genügen, um die Welt zu erobern, von hier bis Jerusalem. Und wenn ihre Kraft zu gering ist, schickt denn der Barmherzige nicht in jede der Schlachten des Mahdi Legionen von Engeln, die für uns fechten, und Azraïl mit einem Banner aus Licht?«
Ein Jubelschrei aus den Reihen des Heeres wogt um den Mahdi. Sein Blick ist ganz klar und fest. Gewiß, er wird sich die Welt unterwerfen!
*
»Um Gottes willen, Monsieur, haben Sie nicht eine Zigarette?« fragt nachher Olivier Pain in Slatins Zelt, als die beiden endlich allein miteinander sind.
Statin zuckt die Achseln. Zigarette! Man bekommt doch hundert Peitschenhiebe, wenn man beim Rauchen betroffen wird! – Jawohl, so steht es in dem Paradies, das Herr Pain da so freiwillig aufsuchen mußte!
Olivier Pain lächelt noch immer, vielleicht nicht mehr ganz so sicher, doch noch überlegen. – Was wollen Sie? – »La politique, monsieur!«
Jetzt, unter vier Augen mit dem Österreicher, läßt er sich schon gehen, er spielt nicht mehr den Muselmanen, und auch seine geheime Diplomatenmission – – Er ist ganz einfach ein Journalist, gesteht er, ein radikaler Journalist, Mitarbeiter des berühmten Henri de Rochefort im »Intransigeant«. Geheime Mission, natürlich, aber vor allem journalistische Fühlungnahme. Wenn er erst, wie es sich ja entwickelt, die besten persönlichen Beziehungen mit dem Mahdi hergestellt hat, wird sich das schon irgendwie politisch auswerten lassen. – –
Er deutet geheimnisvoll an, daß ihm für die Reise zum Mahdi ein stattliches Honorar in Aussicht gestellt worden ist, eine höchst erhebliche Summe. Nicht für nichts hat er seine reizende Frau für so lange verlassen und seine entzückenden Kinderchen. Aber nun wird er seine Mission ja sehr bald beenden und zu seinen Teueren heimkehren können. – – Slatin sieht ihn erschrocken an. Ihn, der die Mahdisten haßt (er zeigt es ihnen ja nicht, er verstellt sich gut, er fühlt sich eben als Offizier, der im Lager der Feinde als Späher weilt), – ihm ist dieser Europäer da unbegreiflich, der da diesen Barbaren und schwarzen Teufeln ein Bündnis anbieten kommt! Aber der Mann ist ja wahnsinnig! Im Grunde bedauernswert!
Heimkehren? Mission beenden? – »Wie«, sagt Slatin mit Verzweiflung in seiner Stimme, – »Sie meinen wirklich, daß man Sie gehen läßt? Niemals! So wenig wie mich! Wie mich behält man Sie hier, wie die Patres, wie alle Europäer, die in den Rachen des Mahdi geraten sind. – –«
Der Franzose lächelt noch immer, aber er ist bleich, seine Augen sind sehr erschrocken. Er schweigt ein wenig, dann spricht er leichthin und zuversichtlich.
– Ach was! Ach wieso! Quoi donc, mon ami! – Das sind brave Leute im Grunde, diese Mahdisten. Man muß mit Mohammedanern nur umgehen können. Wir Franzosen, mon cher, begreifen die muselmanische Seele. Schon Napoleon auf seinem Zug durch Ägypten und Syrien – –
*
Dann, unvermittelt, ein wenig kindisch, fängt Olivier Pain an, sich zu beklagen. Er zweifelt ja nicht an dem Erfolg seiner großen Mission, – aber diese Strapazen sind unerträglich. Diese endlosen Märsche. Und dieses Essen! Das Essen ist fürchterlich! Wenn man nur bald einmal wieder – –
Aber Rudolf Slatin hat selbst schon daran gedacht, seinen Gast und Leidensgefährten auf europäische Art zu bewirten, und er hat auch Klootz, diesen armen Teufel, zu einer vernünftigen Suppe geladen, zu einem Stück Braten, wer weiß, wozu noch, der Österreicher in Slatin versteht was vom Essen und seine arabischen Diener sind willig. Die drei, Slatin, Klootz und Olivier Pain, sitzen im Zelt eben da, sehr vergnügt und warten auf diese berühmte Suppe, – ach was, es wird ja noch alles gut, das alles wird nicht so arg sein – –
Da erscheinen, schwarz und unheilverkündend, zwei riesige Lanzenträger am Eingang des Zelts; sie gehören wie Rudolf Slatin zu den Mulazemin, den Leibgarden des Khalifa. Sie bleiben stehen und sagen nur wenige Worte:
»Befehl des Khalifa. Der Franke Yussef bleibt nicht bei Abd el-Kadr!«
Der Franke Yussef, so heißt jetzt Olivier Pain. Der Khalifa, mißtrauisch wie er ist, befiehlt, daß er im Zelt eines gewissen Zeki verbleiben soll, der wird eine strenge Aufsicht zu führen haben.
Abd el-Kadr versucht gegen jede Hoffnung einen Einwand:
»Aber der Franke Yussef spricht unsere arabische Sprache noch nicht, wie soll er mit Zeki reden?«
Die beiden sagen nichts anderes als wieder: »Befehl des Khalifa!« – Und da der Blick des einen auf Gustav Klootz fällt, fügt er mit einem besonderen Ausdruck hinzu:
»Mustafa, auch nach dir hat unser Herr, der Khalifa, gefragt!«
*
Die gute Suppe mit Reis bleibt ungegessen und alles übrige. Slatin faßt Mut, geht selbst zum Khalifa verhandeln. Abdullahi ist freundlich wie stets gegen seinen lieben Günstling Abd el-Kadr Saladin – und wiederholt seinen Auftrag. Der Franzose soll gleich zu Zeki. Hat denn Abd el-Kadr nicht Diener genug in seinem Zelt? Auch Mustafa soll nicht bei ihm bleiben. –
»Dieser Mustafa«, sagt der Khalif auf einmal, die Stirne runzelnd, »dieser Mustafa zeigt sich ja gar nicht mehr! Den wird man in Ketten legen, der muß mal erfahren, wer hier sein Herr ist. – –«
»– Oh, nur für wenige Tage«, sagt der Khalifa, von neuem lächelnd, und sieht dabei Slatin an, dem es kalt durchs Gebein fährt.
Mustafa wird gleich geholt und man schmiedet Ketten um seine Beine, daß er nicht stehen noch sitzen kann. Slatin ist stumm geworden. Der Khalifa lächelt ihn freundlich an.
*
Das Heer des Mahdi rückt weiter vor bis nach Schatt. Hier erlebt der Mahdi den größten Triumph, die größte Freude. Es kommt wieder einer, der ihm die Hand küssen will, der ihm den Treueid nachsprechen will – nicht irgendein türkischer Pascha, ein besorgter Generalgouverneur, ein Pilgrim aus Frankreich, – sondern Mohammed Scherif, jawohl, der Scheich der Sammanîjja Tarîka.
Hamdulillah, Lob dem Erbarmer, wirklich Mohammed Scherif, der Meister, der den jungen Mohammed Achmed mit seinem Pantoffel von seiner Schwelle gestoßen hat! Ja, er, der ihn noch unlängst in einem kunstvoll gereimten Gedicht denunziert hat: als einen Ketzer, einen Heuchler, vom Teufel besessen. Der gleiche heilige Mann ist jetzt heimlich aus Khartum entwichen, denn er glaubt an die Sache der Türken nicht mehr, er glaubt an Gordon Pascha nicht mehr. Der »elende Dongolawi« ist siegreich. Der alte Scheich erkennt da den Finger Allahs und fügt sich, – sehr würdevoll.
Jetzt tritt er ganz ohne zu zittern vor ihn; er hat ihm mit seinem Eide noch immer manches zu bieten, sein Einfluß ist noch erheblich, und in Khartum gibt es viele, die noch auf ihn hören!
Was empfindet der Mahdi? Seine Maske bleibt lächelnd und unbeweglich, da er seinen früheren Lehrer im Angesicht des gesamten Heeres empfängt. Sie alle sollen es sehen, wie dieser Alte da öffentlich weint, um Verzeihung bittet, mit dem grünen Turban die Erde vor den Füßen des Mahdi berührt, den Eid eines Jüngers nachspricht, Gehorsam und Treue verspricht, diese Hand mit Küssen bedeckt. – – Er tat das alles ruhig und würdevoll, als einer, der weiß, was er tut.
Dann verzeiht Mohammed Achmed, nein, der göttliche Mahdi, nicht nur die alten Sünden, sondern läßt noch Geschenke aufhäufen in einem prunkvollen Zelt, das für den Gast bereit steht. Die herrlichsten Pferde werden ihm zugeführt, zwei schöne abessinische Sklavenweiber. – –
Und der Mahdi, der sich mit Mohammed Scherif einst wegen eines kleinen Festes entzweit hat, läßt jetzt die Ankunft des gleichen Mannes durch freudige Feste im Lager feiern. – –
Während der Festlichkeiten wagt es Rudolf Slatin, Olivier Pain zu besuchen. Er findet Pain krank, schmutzig, verwahrlost in Zekis elendem Zelt. Er verträgt das Essen, das Wasser nicht mehr, er fiebert. Seine sieghafte Zuversicht ist dahin; er weiß nun, sagt er ganz leise, daß er seine Frau nicht mehr sehen wird, seine beiden Kinder. – – Was hat er getan! Welch ein Wahnsinn, von selbst zu diesen Barbaren zu reisen! »Slatin, mon cher camarade, sollten Sie jemals von hier entkommen und meiner Frau begegnen, dann, bitte, sagen Sie ihr – –«
*
Bei Duem am Weißen Nil hält der Mahdi die letzte Musterung vor dem Angriff auf Khartum. Vor der Front des Heeres zeigt er auf den flutenden Nilstrom. Das ist der Fluß, der durch sein Leben rinnt, seitdem sein Vater ihn darin gebadet hat. »O ihr Ansar!« sagt er, »diesen Strom hat Allah geschaffen. Er wird euch sein Wasser zu trinken geben, und alles Land an seinen Ufern sollt ihr besitzen.«
Hier wagt Rudolf Slatin es, dem Khalifa zu sagen, daß der Franzose stirbt. Vielleicht, wenn man ihn nicht weiter mitschleppt, kann er gerettet werden. Könnte man ihn nicht in einem Dorfe zurücklassen? Und wenn er, aus der Gnade unseres Herrn, des Khalifa, sein Reisegepäck zurückbekäme, das Geld, das ihm Alî Balkhit abnehmen ließ, so daß er bessere Nahrung zu kaufen vermöchte. –
Aber der Khalifa Abdullahi sieht seinen Diener Abd el-Kadr, der früher Slatin war, mit Härte an. Sie stehen nebeneinander, der Taaischi groß und dunkel, Slatin zierlich und hell.
»Wenn er jetzt stirbt, ist er glücklich!« sagt der Khalifa zu Slatin und kneift die Augen mißtrauisch zu. – »Kann einem, der eben zum Glauben bekehrt ist, ein größeres Glück widerfahren? Er stirbt auf der Pilgerfahrt, stirbt, nachdem er die Hand des Mahdi geküßt hat. Ist es nicht besser, so selig zu sterben, als vielleicht wieder in Irrtum zurückzufallen?«
Der Khalifa blickt Slatin an, durch und durch. Slatin erkennt die verborgene Drohung und senkt die Augen. Er denkt sich: Wann sterbe auch ich so elend?
Wie die beiden so nebeneinander stehen, Besiegter und Sieger, Sklave und Herr, wer könnte die Zukunft ahnen und Rudolf Slatins Triumph am Ende?
*
Slatin hat bei dem armen Olivier Pain einen Sklavenjungen gelassen, der ihn pflegen soll. Der kleine Schwarze hat den drolligen Namen Atrun, das bedeutet: Natron.
Eines Tages, während das Heer marschiert, kommt der kleine Natron bis zu dem Gefolge des Khalifa und zupft den Leibwächter Abd el-Kadr am Derwischhemd. Slatin erschrickt: gewiß ist Olivier Pain etwas geschehen! – Jawohl, sagt der Neger weinend, Yussef ist tot. Er war heute früh sehr krank, er konnte gar nicht mehr reiten. Da hat der kleine Natron den Kranken mitsamt seiner sudanesischen Bettstatt auf das Kamel gebunden. Leider nicht fest genug. Der Franke Yussef hat plötzlich geschrien, hat um sich geschlagen, die Stricke sind locker geworden; auf einmal ist der Kranke zu Boden gefallen, und dann war er tot.
»Dieser Yussef ist in Wahrheit glücklich!« sagt der Khalifa nochmals, da sein Leibwächter ihm von der Sache berichtet hat. Aber als der Mahdi davon erfährt, zeigt er sich sehr betroffen. Er spricht persönlich die Leichengebete des Islams über das Grab am Ufer des Weißen Nils, in dem Monsieur Olivier Pain vom »Intransigeant« in Paris sorgsam bestattet wird, der Pilgrim, der die Sympathien Europas dem Mahdi auszudrücken gekommen ist. –
Der Mahdi marschiert immer weiter, gegen Khartum, gegen Gordon. Vom Weißen Nil bis zum Blauen Nil gehen stürmische Trommelsignale und die Feuer flammen bei Nacht. Vom Dach seines hochgebauten Palastes sieht Charles G. Gordon die Feuer und er hört die Trommeln des Derwischheeres.