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König Ludwig der Elfte war ein lustiger Kumpan und liebte saftige Spaße. Hatte er seinen Pflichten als König und frommer Christ obgelegen, dann widmete er sich ausgiebigst den Freuden der Tafel und der Jagd nach Schürzen und weiblichem Edelwild, und die Chronisten, die ihn als Duckmäuser schilderten, bewiesen damit nur, daß sie ihn nicht kannten. Andere wieder suchten ihn zum Hurenjäger zu stempeln: das aber ist schon eine grobe Lüge, maßen seine Liebsten, deren eine ihm sogar angetraut wurde, sämtlich guter Abkunft waren und angesehene Familien begründeten. All dieser Klatsch stammt eben von Leuteschindern und ähnlichem Gesindel, das er nicht um sich dulden wollte, weil er alles streng nach seinem Werte einschätzte und die Konigswürde nachdrücklichst in Ehren hielt (was man seinen Nachfolgern nicht gerade nachsagen konnte). Darum hielt er auch seine Freudengelage nicht im Schlosse ab, als er sich in Plessis-lez-Tours einrichtete. Nun begab es sich in der ersten Zeit seines dortigen Aufenthaltes, daß er sich in Nicole Beaupertuys verliebte – um die Wahrheit zu sagen: eine Bürgersfrau, deren Mann er verschwinden ließ, derweile er für sie ein Haus weit außerhalb der Stadt mietete. Besagte Nicole war schwatzhaft wie ein Papagei, wohlgestalt und gut bei Wildpret, mit zwei engelweißen prächtigen Naturpolstern, und in Liebesdingen gar erfindungsreich und wohlerfahren, sodaß der König ihrer nie müde wurde. Munter wie ein Buchfink trällerte und sang sie tagaus tagein und fing nie Grillen, kurz, sie war wie alle Frauen, die in jeder (jeder!) Beziehung wohl versorgt sind. Oftmals kam der König mit wackeren Zechgenossen zu ihr, doch nur nachts und ohne Gefolge, um kein unnötiges Aufsehen zu erregen. Wider etwaige Überfälle aber ward er durch ein Rudel bissiger Köter geschützt, die Nicole aus dem Zwinger in den Garten ließ, sobald der König zu ihr kam. Während sich selbiger dann hinter wohlgewahrten Türen sorgenlos bei Trank und Spiel ergetzte, wachte Gevatter Tristan über die Nachbarschaft und wer sich dort unerlaubt herumtrieb, konnte dank ihm im Handumdrehen die Welt mit seinen Füßen segnen. Die Bürger von Tours hielten über des Königs Zerstreuungen fein den Mund, und sie wußten, warum! Erst nach seinem Tode sickerte manches Späßlein durch. So soll er das Spielchen ›Leck mich am . . .‹ erfunden haben und obgleich es mit meiner Geschichte nicht gerade viel zu tun hat, will ich die Sache doch hier kurz berichten, da sie des Königs Ausgelassenheit und seinen natürlichen Witz kennzeichnet.
Damalen lebten zu Tours drei berüchigte Geizhälse. Deren gedachte der König eines Nachts beim Zechgelage und hieß einem Diener, zum ersten durch den Schatzmeister sechstausend Gülden herbeischaffen zu lassen, zum andern jene drei ›im Namen des Königs‹ unverweilt hieher zu holen. Erwartungsvoll diskutierte er sodann einstweilen mit den anderen gewichtige Fragen, wie zum Exempel: welcher Kuß wohl eine Frau köstlicher anmute, der erste oder der letzte. Worauf die Beaupertuys meinte: gewiß der letzte, maßen sie dann wisse, was sie verlöre, hingegen sie beim ersten noch nicht wisse, was sie zu gewärtigen habe. Während dieser und ähnlicher Reden, die zum Unglück der Vergessenheit anheim gefallen sind, kamen die sechstausend Gülden und wurden nach des Königs Geheiß auf dem Tische aufgeschichtet, allwo sie blinkten wie der Zecher Augen bei ihrem Anblick. Und alsbald kamen auch die Geizhälse, angstbebend mit Ausnahme des einen, Cornelius, der schon des Königs Späße kannte.
»Nun seht Euch 'mal die Gülden an,« begann der König, – »die sollen Euer sein!« Und schon musterten sich die drei wie verkniffene alte Affen und ihre Fratzen wurden herzerquickend lüstern, wie Jüngferlein in der kitzlichen Erwartung ihrer Brautnacht. Der König fuhr fort: »Sie sollen dem gehören, der dreimal zu den andern beiden sagt: ›Leck mich am ...‹ und dabei ernsthaft ohne mit der Wimper zu zucken, seine Hand auf das Geld legt. Wer auch nur den Schatten eines Lächelns zeigt, muß zehn Gülden an die Hausfrau zahlen, aber jeder darf dreimal anfangen.«
»Das werden wir bald haben,« meinte Cornelius, der als geborener Holländer gar ernst und gravitätisch war; kecklich griff er zu, wog erst einige Goldstücke prüfend und redete dann seine Gefährten höflich an: »Leckt mich am . . .,« worob die beiden andern stracks erwiderten: »Wohl bekomm‹s!« als ob er genießt hätte.
Denn sie waren ob seiner Gravität voll Bangen. Und so erhob sich ein weidliches Gelächter, in das auch Cornelius einstimmen mußte.
Der zweite platzte schon heraus, ehe er noch ein Wort sagen konnte, aber der Dritte, ein verkniffenes Galgengesicht, blieb ernsthaft, als er alle, auch den Konig, anblickte und spöttisch sagte: »Leckt mich am ...«
»Ist er geputzt?« fragte der Zweite. Aber jener erwiderte kühl: »Schaut doch nach, wenn's Euch Spaß macht!«
Da ward dem König um seine Gülden bange und schon ließ der Galgenvogel seine dritte Aufforderung in allem Ernste vernehmen, als die Beaupertuys sich anschickte, der Einladung nachzukommen. Das brachte ihn aus dem Geleis und er barst vor Lachen wie ein Jungfernhäutchen.
»Wie konntest du so ernst bleiben?« fragte ihn Dunois.
»Ach, edler Herr, ich dachte an meinen Hausdrachen.«
Der Wunsch, dieses runde Sümmchen einzuheimsen, ließ sie noch manchen Versuch wagen und ihre Affenfratzen, Grimassen und gegenseitigen Schikanen ergetzten den König mehr denn eine Stunde. Aber es ging immer wieder schief und am Ende mußten sie gar wehmütigen Herzens noch jeglicher hundert Gülden an die Hausfrau zahlen. Die fragte, als jene weg waren, den König: »Sire, darf ich jetzt 'mal versuchen?«
»Gott behüte!« rief Ludwig. »Ich küßte den Euren auch für weniger Geld!« Woraus sich leichtlich des Königs Sparsamkeit ermessen läßt.
Nun begab es sich, daß der feiste Kardinal La Balue zu besagter Beaupertuys eines Abends weitaus beredter und handgreiflicher wurde, als die Kirchenregeln das gestatten. Aber sie war keineswegs auf den Mund gefallen und erklärte ihm daher kurz: »Herr Kardinal: Was der König liebt, bedarf der letzten Ölung noch nicht!«
Ein andermal mußte sie die plumpen Zärtlichkeiten von Olivier Le Daim nachdrücklichst abwehren. Und da selbiger sie nicht einmal bat, dem König nichts zu sagen, so kam ihr der Gedanke, am Ende stecke dieser selbst dahinter und ließe so ihre Treue erproben. Maßen sie sich nun am König nicht rächen konnte, so gedachte sie wenigstens den Herren die Sache heimzuzahlen und dabei dem König eine ergötzliche Kurzweil zu schaffen. Als daher einmal eine hochgestellte Dame bei ihr zu Gaste war, nahm Nicole sich den König zur Seite und bat ihn, die Tischgenossen nach Möglichkeit zum Zugreifen zu nötigen und während des Essens durch Scherze aufzumuntern, nach dem Essen aber sie unter dem Hund zu behandeln: dann würde er an ihren Verdauungsfreuden schon seinen Spaß haben. Und der König freute sich gleich wie närrisch über die Unterhaltung, die sie ausgedacht hatte und für die er ihr ganz arglos von Herzen dankbar war. Stracks eilte er zu den Gästen und rief: »Frisch auf, meine Herren, zu Tische, zu Tische!«
Und die Gäste: der Kardinal, Olivier, ein schottischer Hauptmann und mehrere andere folgten den beiden Damen zur Tafel, wo man alsbald die Kiefern wetzte. Die Wänste füllten sich zusehends, denn es gab Leckerbissen ohne Ende und der König hatte schier nicht nötig, jegliches dieser schlemmerhaften Gerichte anzupreisen: »Ach, meine Herrn, was für Krebse! Habt Ihr schon die leckere Wurst versucht? Lockt Euch die Lamprete nicht? Weiß Gott, die Barbe hier ist ein Prachtexemplar! So, nun gehts der Pastete an den Kragen. Dieses Reh hab' ich selbst erlegt und wer nicht zugreift, beleidigt mich persönlich! Trinkt nur, ich sehe nicht hin! Die Früchte hat die Gnädige selbst eingemacht. Hier, selbstgezogene Weintrauben – und die Mispeln, ei wie köstlich!«
Solchermaßen nudelte er sie und scherzte so ausgelassen daß alle frisch drauflos schnatterten, witzelten, spuckten und prusteten, als wäre der König gar nicht dabei. Und darum wurde auch so viel Gefräß in den Wänsten verstaut, so viel Wein geladen, daß die Wangen in Glut gerieten und die Därme prall gefüllt waren wie Zervelatwürste. Als sie dann vom Tische aufstunden, ächzten sie bereits und huben an, ihre Unmäßigkeit zu verwünschen. Und des Königs plötzliches Schweigen war ihnen zunächst durchaus willkommen; denn so konnten sie sich ruhig der inneren Tätigkeit widmen und dem Poltern ihrer schwer arbeitenden Därme lauschen. Der Kardinal aber, so am meisten geladen hatte, schnaufte wie ein Ackergaul und ihm auch entschlüpfte in der Not der erste Rülpser. Alsbald schaute der König mit gerunzelten Brauen auf den Bauchredner und fuhr auf: »Was soll diese Rüpelei heißen? Bin ich denn nur ein simpler Pfaff?!«
Darob erzitterten die Herren, denn ansonsten hörte der König einen wohlgelungenen Rülpser mit Vergnügen schallen. So beschlossen sie, sich anderweitig der Dünste zu entledigen, die sich in ihren Därmen ballten. Zunächst allerdings suchten sie ihnen jeden Ausweg zu versperren, worob die Wänste sich mählig ründeten wie Geldfäcke. Bei diesem Anblick flüsterte die Beaupertuys dem Konige zu: »Ihr müßt wissen, daß ich mir zwei Figuren besorgt habe, die mir und jener Dame gleichen. Nun werden wir beide tun, als gingen wir zu der gewissen stillen Klause und wenn die Herren unterm Drange der Pülverchen, mit denen das Essen gewürzt war, Linderung suchen, werden sie den Platz immer besetzt finden. Merkt nur auf, wie sie sich dann winden werden!« Flugs schlüpfte sie mit der Dame hinaus und kam nach geraumer Weile allein zurück, als ob die andere noch ihren alchymistischen Studien obläge. Nunmehro winkte der König dem Kardinale, der sich leise klagend erheben mußte. Der König hielt ihn bei der Quaste fest und sprach von Regierungsfragen; aber Le Balue entgegnete immer nur: »Ja, Sire,« um nur schnell davon zu kommen; denn das Wasser stand ihm schon bis an die Knie' und das Schloß zum Hinterpförtlein wackelte fühlbar. Die Zechgenossen wußten samt und sonders nicht mehr aus noch ein, denn in ihrem Gedärm tobte es wie ein Fliegenschwarm, der hinauswill, wie bekanntlich nichts so rücksichtslos ins Freie drängt wie der Inhalt eines wohlgefüllten Darmes. So wanden sie sich schmerzbewegt in drangvoller Pein und boten alles auf, um sich nicht in des Königs Gegenwart die Hosen zu füllen, derweile selbiger feine Gäste huldreichst ansprach und innerlich schier barst über die Leibesnöte, die sich auf ihren angstverzerrten Gesichtern spiegelte.
»Wehe!« ächzte Olivier bei sich, »es geht doch nichts über einen wohlgelungenen Abgesang! Und heute habe ich sogar für die zahllosen Fliegenflecke mitfühlendes Verständnis.«
Dem Kardinal bedünkte, die Dame habe ihr Teil glücklich weg; er ließ die Quaste in des Königs Hand und sprang mit kühnem Satze, als hätte er das Abendgebet vergessen, zur Tür hinaus.
»Was habt Ihr so eilig?« rief ihm der König nach.
»Was ich habe? Weiß Gott, Majestät scheinen uns wirklich in jeder Beziehung überlegen zu sein!« Damit entschwund er, derweile die andern seine Schlagfertigkeit bestaunten. Wonneverklärt stürmte er zur stillen Klause und lockerte schon das Hosenband; aber als er die Paradiesespforte öffnete, sah er jene Dame in Würden tronen, wie einen Papst vor der Weihe. So hielt er die reife Frucht im Falle auf und rollte die Stiege hinab, um den Garten zu erreichen. Aber der Hunde Gebell ließ ihn um seine Hinterbacken fürchten, und so machte er verzweifelt kehrt und wankte, zähneklappernd wie im dicksten Froste, in den Saal zurück. Darob vermeinten die andern, er habe feine natürlichen Stauanlagen entleert und sein geweihtes Bäuchlein entlastet, und sie beneideten sein Glück. Flugs erhob sich Olivier, schlängelte sich an den Wänden entlang, als beschaute er die Wandteppiche, und glitt wie ein geölter Blitz zur Tür hinaus. Trällernd eilte er dem Zufluchtsorte zu und lockerte schon im Voraus den Schließmuskel. Aber auch er mußte der Unermüdlich-tronenden Entschuldigungsworte stammeln, die Tür jählings wieder schließen und mit überfülltem Gesäß zurückkehren. So taten der Reihe nach alle Gäste, ohne der erhofften Erleichterung teilhaftig zu werden, und ihre verständnisinnigen Blicke bewiesen, daß ihre Leibesnöte sie herzlicher einte, als die lauteste Freundschaftsbeteurung.
»Mich dünkt, das Weib tront bis morgen,« ächzte der Kardinal. »Wie kann die Beaupertuys nur jemand mit derartigem Durchfall einladen.«
»Weiß Gott, im Handumdrehen hätte ich erledigt. woran sie seit einer Stunde herumwürgt. Der Schlag soll sie treffen!« keuchte Olivier. Und die Höflinge hüpften schon von einem Fuß auf den andern, um dem Därmezwicken zu widerstehen, als jene Dame eintrat. Kein Engel konnte da den Herren schöner und anmutsreicher erscheinen und voll Entzücken hätten sie ihr gern die Stelle geküßt, wo sie just so grimmig litten. La Ballu erhob sich und respektvoll ließen die andern ihm den Vortritt, derweile sie verzweifelt nach Fassung rangen und mit ihren Grimassen den König und Nicole weidlich ergötzten. Der schottische Hauptmann hatte von dem Gerichte mit dem bewußten Mittel am meisten gegessen, und da er nicht mehr aus und ein wußte, ließ er einem Fürzlein freien Lauf. Aber das nahm Gesellschaft mit und mit vollen Hosen verkroch sich der Hauptmann in eine Ecke in der wohlgemeinten Hoffnung, die Düfte würden sich vor dem König in respektvoller Entfernung halten. In diesem Augenblick erschien der Kardinal mit angstverzerrtem Antlitz auf der Bildfläche, denn er hatte die Beaupertuys auf dem Throne vorgefunden und nicht bemerkt, daß sie den Saal gar nicht verlassen hatte. Als er sie nun beim Könige erblickte, entfuhr ihm ein satanisches Wutgeheul. »Was soll das heißen?« donnerte der König den Pfaffen an, der unter seinem Blicke erschauerte, aber mit dem Mute der Verzweiflung erwiderte:
»Sire, in Höllenqualen bin ich Fachmann und ich muß sagen, in diesem Hause treibt der Teufel sein Spiel.«
»Hah, du Pfaff, willst du mich äffen?« schnaubte der König, und nun war es um die Fassung der Anwesenden geschehen: die Angst sprengte die wankenden Pforten und ließ entgleiten, was nicht mehr zu halten war. Aber wie erblichen die Herren, als sie der König anschrie:
»Nennt ihr Kerle das Respekt?!« Und durchs Fenster rief er: »Holla, Gevatter Tristan! komm herauf!«
Flugs erschien der Oberprofoß und fand die Gäste schlotternd und halbtot vor, denn sie waren durch des Königs Gunst aus dem Nichts emporgestiegen und so stand für sie alles auf dem Spiel; nur der Kardinal wagte auf den Schutz zu bauen, den seine Soutane ihm lieh.
»Führe die Herrn auf den Gerichtsanger, lieber Gevatter. Sie haben zu viel gefressen und sich nun eingedreckt!«
»Hab' ich das nicht fein ausgeheckt?« fragte Nicole.
»Oh ja! Wenn nur der Gestank nicht wäre,« lachte Ludwig.
Daran merkten denn die Höflinge. daß es diesmal noch nicht um den Kopf ging und priesen den Himmel. Und sie äußerten, daß der König trotz seiner saftigen Späße gar gutherzig sei, derweile sie auf dem Anger ihren Gefühlen freien Lauf ließen. Und Tristan leistete ihnen dabei als guter Franzose getreulich Gesellschaft.
Ich mag dieses Kapitel nicht beschließen, ohne noch einer Schweinerei zu gedenken, die der König der Godegrand einbrockte. Das war ein älteres junges Mädchen. so während vierzig Jahren vergeblich nach dem Deckelchen zu ihrem Topfe gesucht hatte. Ihre Wohnung lag so dicht am Hause der Beaupertuys, daß man von einem Balkon aus nicht nur ihr Wohnzimmer bis ins kleinste übersehen, sondern auch das leiseste Wort vernehmen konnte. Und oft bereits hatte sich der König unvermerkt an ihrem Gehabe erheitert. Nun begab sichs eines Tages, daß ein junger Bursch in Tours eine etwas betagte Edelfrau vergewaltigt hatte in dem Glauben, ein Jüngferlein zu fassen. Das wäre nun nicht arg und für die Dame vielmehr schmeichelhaft gewesen, aber der Bengel entrüstete sich, als er den Irrtum merkte, schmähte sie und nahm ihr zur Strafe einen wertvollen Humpen fort. Darob ließ ihn der König hängen, und da er ein hübscher, schmucker Kerl war, so drängte man sich um den Galgen – voran die Damen natürlich, denn es war doch herzerquickend, ihn da so baumeln zu sehen, versteht sich: mit gefüllter Lanze, wie's einem wohlerzogenen Galgenvogel geziemt. Das lieferte denn erbaulichen Gesprächstoff und gar manche Dame barmte um des Lanzenträgers allzu frühem Ende. Die Beaupertuys aber fragte den König: »Wie wär's, wenn wir der Godegrand diesen hübschen Gehenkten ins Bett legten?«
»Der Schreck brächte sie um!« meinte Ludwig.
»Sicher nicht, denn in ihrer Liebessehnsucht nimmt sie auch mit einem Toten vorlieb. Gestern sah ich sie um eine Männermütze so närrisch tanzen, daß Ihr Euch totgelacht hättet.«
Während also die vierzigjährige Jungfrau zur Abendandacht ging, ließ der König den Kerl abschneiden und in einem sauberen Hemde in ihr Bett schaffen. Dann setzte sich Ludwig mit der Beaupertuys auf die Lauer und bald kam auch die Godegrand mit zimperlicher Anmut in ihre Stube getänzelt und entledigte sich ihres magdlichen Gepränges, als da sind Täschchen, Rosenkränz et caetera. Schürt dann das Ofenfeuer, liebkost ihre Katze, schlürft seufzend ob ihrer Einsamkeit ihre Suppe und läßt mit Schwung einen fahren. (»Wie wär’s, wenn der Gehenkte jetzt ›Prosit‹ riefe!« meinte der König.) Weiter folgte die Entkleidungsszene: bewundernd beschaute sie ihre jungfräulichen Reize, riß hier ein Härlein aus, kratzte dort ein Wimmerl, putzte dann die Zähne und widmete sich den diversen Umständlichkeiten, die allen Weiblein, ob mit oder ohne Jungfernhaube, unumgänglich sind – gottlob! denn sonst wären die Damen von noch unausstehlicherem Eigendünkel. Und nach diesem wohltönenden Geplätscher kroch sie ins Bett und dort tat sie allsogleich einen schönen, klangvollen und verwunderten Schrei, als sie wider des Gehenkten jugendlichen Körper stieß. Magdlich verschämt sprang sie zur Seite. Da sie jedoch glaubte, er stelle sich nur im Scherz tot, so kam sie gleich wieder zurück und lispelte: »Schnell hinaus, arger Schelm!«
Ihre Worte klangen eigentlich wahrhaft zärtlich und einladend; und da er sich nicht regte, besah sie seine männliche Schönheit sorglich in der Nähe. So erkannte sie, daß es der gehenkte Jüngling war und darob begann sie flugs allerlei prüfende Manipulationen um seine Lebensgeister zu wecken. »Was macht sie nur?« fragte die Beaupertuys.
»Wiederbelebungsversuche – aus Nächstenliebe!«
Ja! Das Jungfräulein rieb und knetete an ihm herum unter heißen Gebeten zur heiligen Maria von Ägypten, den Ehemann, der ihr da in den Schoß gefallen war, doch ja wieder zum Leben zurückzurufen. Und plötzlich, derweile sie den Toten mit ihrem keuschen Leibe mitleidsvoll wärmte, vermeinte sie ein leises Zucken der Lider zu gewahren. Schnell tastete sie nach seinem Herzen: es schlug ganz sacht. Denn die Wärme des Bettes und zumal die wahrhaft afrikanische Glut ihres vereinsamten Jungfrauengemütes hatte den hübschen Kerl, der zum Glück schlecht gehenkt worden war, aufs neue belebt.
»Tüchtige Leute, meine Henker!« lachte Ludwig. »Aber er kommt doch nicht wieder an den Galgen?« meinte die Beaupertuus, »dazu ist er zu hübsch.«
»Im Urteil steht nicht, daß er zweimal baumeln soll. Aber die alte Jungfer wird er nun heiraten!«
Eben eilte die reife Maid wieder Wind zum Bader in der nahen Abtei und schleifte ihn mit sich. Der versuchte flugs einen Aderlaß, aber das Blut wollte nicht kommen und so meinte er: »Leider ist‹s zu spät, das Blut ist schon ins Gelüng übergetreten!«
Aber plötzlich ballte sich ein Tröpflein und dann rieselte immer mehr, bis ein kräftiger Blutstrom die Stauungen behob, die der Jüngling sich durch eine übermäßige Bekanntschaft mit Galgenholz und –strick zugezogen hatte. Bald regte sich der Bursch, aber dann verfiel er naturgemäß in eine große Erschlaffung, der kein Glied standhielt. Die alte Jungfer hatte mit allen Augen zugeschaut und als sie nun so auffällige Veränderungen vor sich gehen sah, da zupfte sie den Bader am Ärmel, zwinkerte nachdrücklichst auf den Ort, der sie mit ängstlicher Sorge erfüllte, und fragte: »Wird das immer so sein?«
»Wohl nicht, aber oft genug,« sprach der aufrichtig. »Ach, als Gehenkter war er da aber schöner!« rief sie. Nun platzte der König laut heraus und wie der Bader und die Jungfrau durchs Fenster seiner ansichtig wurden, da fuhr ihnen der Schreck in die Glieder und sie fürchteten ein zweites Todesurteil für den Galgenvogel. Aber der König hielt Wort und vermählte die zwei und verlieh dem Gatten den Namen eines Herrn von Mortsauf (d. i. ›mit dem Leben davongekommen‹), maßen er ja den seinen auf dem Galgen verwirkt hatte. Und da die Godegrand recht wohl bei Gelde war, so begründeten sie eine Familie, die noch heute in Ehren steht. Aber um Galgen und alte Weiber machte der Herre von Mortsauf fortan große Bogen und zumal nächtliche Liebesbegegnisse waren ihm für immerdar gründlich verleidet.