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Der betagte Chronist, der das Garn für die folgende Geschichte spann, behauptet, damals gelebt zu haben, als selbige sich in Rouen zutrug, woselbst sie auch im Archiv zu finden ist. In der Umgegend dieser Stadt, in der damals der Herzog Richard residierte, bettelte ein Mann herum, der eigentlich Dreipack hieß, aber immer nur ›Humpelgreis‹ genannt wurde, nicht etwa, weil er etwa so gar gebrechlich war, sondern weil er in jämmerlichen Lumpen auf den Landstraßen herumlungerte, Berg und Tal unsicher machte, unter freiem Himmel schlief und also einen überaus armseligen Eindruck machte. Immerhin aber war er im ganzen Herzogtum sehr beliebt, denn jeder war an ihn gewöhnt, und zwar in dem Maße, daß man sich überall, wo er sich einen Monat lang mit seinem Bettelsack nicht hatte sehen lassen, angelegentlichst erkundigte: »Wo steckt denn der Alte?« Und dann hieß es: »Ach, der humpelt wieder irgendwo herum.«
Sein Vater war zu Lebzeiten ein biederer, sparsamer und ordentlicher Mann gewesen der diesem seinem Sohne ein recht hübsches Vermögen hinterließ. Aber der Bengel brachte das sehr schnell durch, sintemalen er das wahre Gegenteil seines Vaters war. Wenn dieser nämlich zum Beispiel vom Felde heim ging, dann sammelte er alle Äste oder Zweige rechts und links am Wege auf und sagte ganz ruhig: man dürfe nie mit leeren Händen heimkommen. So konnte er denn auch den ganzen Winter mit dem Holz einheizen, das nachlässige Nachbarn hatten herumliegen lassen. Und daran tat er wohl; denn jedermann nahm sich die gute Lehre zu Herzen, und so kam es, daß kurz vor des Alten Tode schon niemand mehr Holz auf den Wegen herumliegen ließ: er hatte auch die Nachlässigsten gezwungen, wirtschaftlich und ordentlich zu werden. Bei seinem Sohne aber ging es hoch her. Der folgte diesem guten Beispiele nicht, und so kam es, wie sein Vater vorausgesagt hatte. Als nämlich der Bengel noch ganz jung war, da ließ ihn der Vater acht geben, daß ihm die Vögel nicht die Erbsen, Bohnen oder das Korn wegfraßen. Er sollte dies ganze Diebsgesindel, zumal die Häher, die einem alles verderben, wegjagen. Aber er zog es vor, den Tieren zuzugucken; es machte ihm einen Mordsspaß, wenn sie so anmutig herumhüpften, herbeiflatterten und mit vollem Schnabel wieder davonflogen, wenn sie mit schiefem Kopf gar spitzbübisch nach den Fallen und Schlingen schielten. Und wenn einer sie hurtig vermieden hatte, dann lachte er aus voller Kehle. Der Vater barst natürlich vor Wut, wenn er fand, daß ein guter Teil der Ernte wieder zum Teufel gegangen war. Entdeckte er den Schlingel dann unter einer Haselstaude, wie er da seinen Blödsinn trieb, so riß er ihm schier die Ohren aus. Aber der Bursch fiel allemal aus allen Wolken und schwubbs, saß er wieder da und guckte den Amseln, Spatzen und sonstigen Körnerpickern bei ihrer Arbeit zu. Und da sagte ihm denn sein Vater eines Tages, er solle es nur bei diesen da recht gut lernen, denn wenn er so weitermache, dann würde er auf seine alten Tage genau wie diese seine Krümchen hier und da aufpicken, genau wie sie von den Wächtern verjagt werden. Und das war also eingetroffen, denn, wie gesagt, er brachte das ganze Geld, das sein Vater in seinem langen Leben zusammengescharrt hatte, in ganz kurzer Zeit durch. Er tat mit den Menschen wie mit den Spatzen; jeder durfte an seinem Gelde herumpicken und er ergötzte sich an den anmutsvollen Reden, mit denen man einen Griff in seinen Geldsack begleitete. So ließ das Ende nicht lange auf sich warten. Als Dreipack nur noch den Teufel als einzig Gut in seiner Geldkatze gewahrte, da warf er sie sorglos weg und meinte: er wolle nicht um irdischer Schätze willen in die Hölle fahren und er habe genügend Weltweisheit bei den Vöglein studiert.
Hatte er es sich bis jetzt von Herzen wohl sein lassen, so blieb ihm nunmehr nichts weiter als ein Becher und drei Würfel, also gerade genug um zu trinken und zu spielen. Aber so hatte er auch nicht unter einem Überfluß von Hausrat zu leiden wie reiche Leute, die immer nur mit einem Haufen von Kisten, Kasten, Teppichen und zahllosen Dienern auf die Reise gehen können. Zunächst suchte Dreipack seine guten Freunde auf, aber keiner mochte ihn mehr kennen und so kam er in die glückliche Lage, sie ebenfalls verleugnen zu dürfen. Als ihm dann aber der Hunger die Zähne wetzte, da beschloß er einen Beruf zu ergreifen, bei dem er nichts zu tun brauchte und doch Aussichten hatte, eine Menge zu verdienen. Bei seinem Nachsinnen fielen ihm die Spatzen und Amseln ein und so erwählte er als Beruf, sich allenthalben sein Geld zusammenzupicken. Schon vom ersten Tage an gaben ihm mitleidige Seelen etwas und so war Dreipack sehr zufrieden und fand, daß sein Beruf sehr gut gewählt war, sintemalen darin gar kein Risiko steckte, hingegen um so mehr Bequemlichkeiten. Und er ging seinem Beruf so freudigen Herzens nach, daß er nirgends abgewiesen ward und gar manch trostreiches Wort fand, das ein Reicher niemals eingeheimst hätte. Wenn er dann die Landleute pflanzen, säen, ernten und Handel treiben sah, dann sagte er sich: »Die arbeiten für mich!« Hatte einer ein Schwein im Stall, dann ahnte er wohl kaum, daß ein guter Happen davon Dreipack gehörte, buck einer Brot, dann bedachte er nicht, daß er für Dreipack mitbackte. Der nahm natürlich nichts mit Gewalt, im Gegenteil, die Leute sagten ihm noch die liebenswürdigsten Worte, wenn sie ihm etwas gaben; etwa: »Hier, guter Humpelgreis, stärke dich! Na, gehts gut? Siehst du! Na also hier, nimm das noch; die Katze hat zwar dran geschleckt, aber du wirst es schon ausschlecken.«
Humpelgreis war natürlich bei allen Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen dabei. Sowie irgendwo etwas los war, gleich stellte er sich auch ein, mochte man die Sache auch noch so geheim halten. Dabei war er sorglich darauf bedacht, sich nie gegen die Regeln seines Berufes zu verstoßen – d. h. etwas zu tun; denn hätte er jemals auch nur einen Finger gerührt, dann hätte ihm niemand mehr auch nur einen Deut gegeben. War er satt gefuttert, dann streckte sich der Weise in einen Straßengraben oder in den Schatten einer Kirche und widmete sich solchermaßen im Traume den öffentlichen Arbeiten. Obendrein aber philosophierte er auch wie seine zierlichen Lehrmeister, die Amseln, Häher und Spatzen: er wälzte beim Betteln gar tiefe Gedanken, denn war auch sein Kleid gar ärmlich, brauchte es deshalb um seinen Verstand ebenso schlecht bestellt zu sein? Seine Weisheiten machten seinen Kunden viel Spaß. Denn er sagte ihnen zum Danke gar treffliche Dinge, wie etwa: die Pantoffeln seien an der Gicht der reichen Leute schuld; er könne mühelos bergauf, bergab laufen, denn sein Schuster liefere ihm Stiefel, die im Walde gewachsen seien. Von Diademen bekäme man nur Kopfweh, und da sein Kopf weder von Sorgen noch von Hüten belästigt würde, so könne er nie von so etwas geplagt werden. Ringe und wertvolles Geschmeide beenge nur den Blutumlauf; und da er sich bei seiner Bettelei gar manchen Schnitt und Riß holte, so war er stolz darauf, so frisches Blut zu besitzen wie ein neugeborener Täufling. Der wackere Mann vertrieb sich im übrigen seine Zeit sehr lustig, indem er mit anderen Bettlern mit seinen Würfeln spielte, die er sorglich aufhob, um seine paar Heller bald wieder los zu werden und so auf seine Armut nie verzichten zu brauchen. Trotz seines Gelübdes erging es ihm wie den Bettelorden: er lebte im Überfluß. Als daher eines Ostertages ein anderer Bettler ihm seine Tageseinnahme abpachten wollte, da waren ihm zehn Gülden zu wenig. Und richtig: zur Vesperstunde ließ er vierzehn Gülden springen, um alle Almosengeber freizuhalten; denn es ist in den Statuten der Bettler gesagt, daß man sich seinen Spendern gegenüber dankbar erweisen soll. Obwohl er so alles, dafür sich andere Leute abplagen, von sich schüttelte, war er doch der glücklichste Kerl dieser Welt, weil jene unter der Last ihres Besitzes nur Sorgen und Ärger haben. Was aber den Adel anbetrifft, so war er eigentlich so gut wie ein Edelmann, denn er konnte machen und tun oder lassen, was er wollte, und lebte im allervornehmsten Nichtstun. Lag er irgendwo, so wäre er auch nicht für dreißig Gülden aufgestanden. Er kam immer, wenn etwas aus war, und hatte dann alle Reste für sich, und so führte er jenes herrliche Leben, das (wie der Herr Plato berichtet, den man so oft als Autorität anruft) im Altertum gar manch weiser Mann geführt hat. Schließlich war er solchermaßen zweiundachtzig Jahre alt geworden und kein Tag war vergangen, wo er nicht satt zu essen gehabt hätte. Er hatte aber auch eine so gesunde Gesichtsfarbe, wie man sich kaum vorstellen kann und behauptete immer: hätte er in Reichtum gelebt, so wäre er schon längst zugrunde gegangen und unter der Erde – womit er vielleicht recht gehabt hat.
In seiner frühesten Jugend schon war sein Haupttalent gewesen, Frauen zu lieben, und manche behaupten, diese reiche Gabe verdankte er seinen Studien bei den Sperlingen. Allezeit war er bereit, den Frauen hilfreich unter die Arme zu greifen, denn da er nie etwas tat, so war er natürlich immer für Dienstleistungen zur Hand. Man behauptet sogar, daß seine große Beliebtheit in der ganzen Gegend gerade auf seine verborgenen Talente zurückzuführen war. Einzelne wollen wissen, daß die Frau von Chaumont ihn gar eines Tages auf ihr Schloß habe kommen lassen, um die Richtigkeit dieser Behauptungen nachzuprüfen. Sie habe ihn dort auch acht Tage lang versteckt gehalten, – um ihm das Betteln abzugewöhnen. Aber er sei schließlich aus Angst, er könne am Ende reich werden, schleunigst ausgekniffen. Als er nun älter wurde, da merkte er, daß man seine Vorzüge nicht mehr beachten wollte, obgleich sie nicht die geringste Einbuße erlitten hatten. Und diese Ungerechtigkeit der holden Weiblichkeit ward des Humpelgreises erster Schmerz, ward aber auch die Ursache zu jenem Prozeß in Rouen, dem wir uns jetzt zuwenden wollen. In seinem zweiundachtzigsten Lebensjahr also war Humpelgreis während sieben Monaten zu unfreiwilligem Fasten verurteilt, denn er traf keine Frau mehr, die Lust hatte, sich mit ihm einzulassen; und das war, wie er später vor dem Richter sagte, für ihn die größte schmerzliche Überraschung, die ihm in seinem langen, ehrenhaften Leben zuteil geworden war. Da sah er in dem berühmten Monat Mai in den Feldern ein Mägdelein, das Kuhmagd und doch merkwürdigerweise Jungfer war. Die Hitze war so drückend, daß diese Magd sich im Schatten eines Baumes mit dem Gesicht nach der Erde zu hinstreckte, wie's die Feldarbeiter ja zu machen pflegen. Sie wollte ein Schläfchen tun, derweile das Vieh wiederkäute; aber plötzlich wurde sie durch die Schuld des Alten aufgeweckt, der ihr just gemaust hatte, was so ein armes Ding doch nur einmal auf der Welt besitzt. Als sie sich solchermaßen ihrer Blüte beraubt sah, ohne darauf vorbereitet worden zu sein oder wenigstens ein Vergnügen dabei empfunden zu haben, da erhob sie ein Mordsgeschrei. Darob kamen die Landleute , die rings in der Gegend arbeiteten, herbei und wurden Zeugen der Missetat, die sich sonst nur bei Jungverheirateten in der Hochzeitsnacht zuträgt. Das Mädel heulte und jammerte und schrie immer nur, der alte heißblütige Affe hätte doch ruhig ihre Mutter überfallen können, die hätte nichts gesagt. Die Leute schwangen bereits ihre Hacken und hätten ihn womöglich totgeschlagen; aber er hielt ihnen immer vor, daß er unter einem unüberwindlichen Zwange gehandelt habe. Sie entgegneten darauf, er hätte diesem Zwange nachgeben können, ohne gerade eine Jungfer zu notzüchtigen, denn das sei ein Fall, der geradenwegs an den Galgen führe. Und so wurde er unter riesigem Aufsehen in den Kerker zu Rouen geschleppt.
Als der Profoß das Mädel verhörte, da erklärte es: in einem Augenblicke, da sie nichts wichtigeres zu tun gehabt habe, hätte sie ein Schläfchen gehalten. Dabei habe sie von ihrem Schatz geträumt, mit dem sie sich verzankt hatte, weil er noch vor der Ehe bei ihr hatte Maß nehmen wollen. So hätte sie geträumt, wie sie ihm im Spaß einen kleinen Einblick in die näheren, so reizvollen Umstände gestattete, damit sie beide nicht ganz unglücklich würden; aber er sei trotz ihres Widerstandes weiter gegangen als sie ihm erlaubt habe und da sie dabei mehr Schmerz als Freude empfunden habe, so sei sie aufgewacht und habe sich in den Armen des Humpelgreises gesehen, der sich auf sie geworfen habe, wie ein Kapuzinermönch in der Fastenzeit über einen Schinken herfällt. Diese Aussage wirbelte in Rouen solchen Staub auf, daß der Herzog sich den Profoß kommen ließ und ihm seinen lebhaften Wunsch aussprach, selbst die Wahrheit zu ergründen. Da ihm der Profoß alle Gerüchte bestätigte, so befahl er, den Humpelgreis ihm vorzuführen, um mit anzuhören, was der zu seiner Entschuldigung vorbringen könne. So erschien der biedere Alte vor dem Fürsten und klagte ihm sein Mißgeschick, darunter er durch die Bosheit der Natur zu leiden habe. Er erklärte mit rührender Offenheit, er sei in dieser Beziehung noch der reine Jüngling, so arg setzten ihm seine Bedürfnisse zu; bis zu diesem Jahre habe er immer noch Frauen gefunden, die ihm zu Willen waren; aber zuletzt habe er acht Monate lang fasten müssen. Er sei doch zu arm, um sich Freudenmädchen zu kaufen, und die anderen Frauen, die sonst gern einmal ihr Scherflein dazu beigesteuert hätten, nähmen jetzt Anstoß an seinem Haar, das hinterlistiger Weise, obgleich er innerlich doch noch so jugendgrün sei wie nur irgendeiner, zu bleichen begonnen habe. So sei er gezwungen worden, eine gebotene Gelegenheit wahrzunehmen. Und unter diesen Umständen habe er jene verdammte Jungfer erblickt, die sich unter der Buche hingestreckt hatte und solchermaßen die verlockendsten Unebenheiten und gar noch zwei weiße Halbkugeln habe sehen lassen, bei deren Anblick ihm der Verstand davongeflogen sei. Die Schuld läge bei der Jungfer und nicht bei ihm, denn es sollte den Jungfern einfach verboten fein, die Vorübergehenden durch einen Anblick in Raserei zu versetzen, der jener Frau Venus den Namen ›Kallipygos‹ eingetragen habe. Und kurz und gut: der Fürst müsse doch selbst wissen, wie schwer es sei, einen Hund in solcher Mittagsglut an der Leine zu halten; in der Mittagsstunde habe sich doch auch der Herr David in Urias Weib vernarrt; dieser gottgeliebte König der Hebräer sei gestrauchelt und da wäre es doch immerhin verzeihlich, wenn er sich schuldig gemacht habe, der er doch ein armer Teufel sei, dem es am Notwendigsten in dieser Beziehung fehlte, und der er kaum gewußt habe, wie sich durchhelfen. Er wäre ja gern bereit, unter den gleichen glücklichen Verhältnissen wie König David bis ans Ende seiner Tage reumütige Psalmen zu singen; und dabei habe dieser noch das Leben jenes Ehemannes auf dem Gewissen, wohingegen er im gleichen Fall der Kuhmagd doch nur einen ganz winzigen Schaden zugefügt habe. – Der Herzog hatte seine Freude an den Entschuldigungsgründen des alten Humpelgreises und erklärte, seine Qualitäten seien entschieden nicht alltäglich. Dann aber sprach er jenen denkwürdigen Richterspruch: Wenn die Behauptung des Bettlers, er litte trotz seines Alters noch unter so unbezwinglichen Begierden, wahr sei, so möge er dies am Fuße der Galgenleiter beweisen, die er nach dem Verdikt des Profoßen ja besteigen müsse; würde er also mit dem Hals in der Schlinge zwischen Priester und Henker wirklich noch von diesem Drange übermannt, so solle er begnadigt werden.
Als dieser Richterspruch bekannt wurde, da stürmten die Menschen wie die Wahnsinnigen hin, um zuzusehen, wie der Alte zum Galgen geführt wurde. Es wogte ein Menschenmeer rechts und links von der Straße, als hielte ein König seinen Einzug, und natürlich gab's da mehr Hauben zu sehen als Hüte. Der Humpelgreis wurde durch eine Edelfrau gerettet, die über die Maßen neugierig war zu sehen, wie dieser unersetzliche Schürzenjäger sich aus der Schlinge ziehen würde. Sie erklärte dem Herzog: die Religion schreibe vor, dem biederen Kerl die Sache nicht zu schwer zu machen; und deshalb zog sie ein Ballkleid an, daraus gar augenfällig und einladend zwei Rundlichkeiten hervorprangten, deren blinkes Weiß das feinste Linnen beschämte. Richtiger gesagt: diese zwei Liebesfrüchte erglänzten oberhalb ihres Mieders so unbehindert wie zwei frische, große Äpfel, bei deren verlockendem Aussehen einem das Wasser im Munde zusammenlaufen mußte. Diese Edelfrau gehörte zu den Damen, bei deren Anblick jeder Mann sofort merkt, daß er wirklich ein Mann ist, und sie also stellte sich mit verführerischem Lächeln vorn in die erste Reihe. Der Humpelgreis in seinem Armsünderkittel war leider viel sicherer, nach der Exekution als vor ihr zu jeder Schandtat bereit zu sein; er kam grambeschwert zwischen den Bütteln dahergeschritten und schaute eifrig nach allen Seiten aus. Aber er sah nur Hauben; und doch hatte er, wie er später sagte, gern hundert Gülden gegeben, wenn er jetzt ein Mädel in gleich verführerischer Stellung hätte erblicken können wie jene Kuhmagd, deren liebe, gute, weiße Venuszierden ihm immer wieder ins Gedächtnis kamen, sie, die ihm zum Verhängnis wurden so wie sie ihn jetzt hätten retten können. Aber seine Rückerinnerung nützte ihm nicht viel; denn weil er alt war, so war sein Gedächtnis auch etwas schwach geworden. Da – am Fuße der Leiter erblickte er die zwei Schmuckstücke jener Edelfrau und das entzückende Delta, das ihre ineinander verfließenden Rundungen bildeten. Und darob geriet sein Innerstes in solche Gärung, daß der Armsünderkittel ihm zu enge wurde.
»So überzeugt euch doch!« schrie er die Büttel an. »Ich habe die Bedingung der Begnadigung erfüllt und den Beweis erbracht, daß es Dinge gibt, für die ich keine Verantwortung übernehmen kann!«
Diese Schmeichelei gefiel der Dame so wohl, daß sie darüber beinahe noch beglückter war, wie über einen gewalttätigen Überfall. Die Büttel waren angewiesen worden, den Fall zu verifizieren; aber als sie seinen Kittel lüfteten, da vermeinten sie, der Alte sei der leibhaftige Satan. Denn er übertraf die kühnsten Erwartungen. So wurde er denn im Siegeszuge zum Palaste des Herzogs geleitet, allwo die Büttel und die Zuschauer die Erfüllung der Bedingung bestätigten. Und in dieser Zeit tiefster Unwissenheit wurde jener Richterspruch so hoch in Ehren gehalten, daß die Stadt beschloß, einen Pfeiler an der Stelle zu errichten, wo der wackere Mann seine Begnadigung durchgesetzt hatte. Und darauf wurde er genau in dem Zustande konterfeit, in dem er beim Anblick jener ehrsamen, tugendhaften Edelfrau gewesen war. Dieses Standbild existierte noch zu der Zeit, da die Engelländer die Stadt eroberten, und die Geschichte wurde von allen Chronisten unter den wichtigsten Begebenheiten verzeichnet.
Des weiteren wurde ihm von der Stadt angeboten, er sollte sein Lebelang soviel Dirnen zur Verfügung haben, wie er brauchte, und man wolle für seinen Unterhalt, Kleidung und alles Notwendige sorgen. Der gute Herzog aber befahl, dem entjungferten Mägdelein tausend Gülden zu geben und es mit dem wackeren Manne vermählen. Der verlor nunmehr seinen Beinamen der Humpelgreis, wurde in den Adelsstand erhoben und hieß fortan auf des Herzogs Geheiß Herre von ... Sein Weib brachte neun Monate später ein Knäblein zur Welt, das über die Maßen wohlgeraten und gesund war und bei seiner Geburt sogar schon zwei Zähnchen hatte. Damit war das Haus derer von ... begründet, das später aus überflüssiger Schamhaftigkeit bei unserem viellieben König Ludwig dem Elften darum einkam, er möchte doch den Namen ändern. Der gute König hielt dem damaligen Herrn von ... vor, daß es unter dem Adel von Venedig eine hochehrenwerte Familie Coglioni gäbe, die drei ... in ihrem Wappen führe. Aber die Herren von ... erwiderten, daß ihre Frauen so sehr beschämt seien, wenn sie bei Hofe solchermaßen angeredet würden. Worob der König meinte, so ginge ihnen gar viel verloren; aber er änderte den Namen und seitdem hat sich die Familie noch weithin ausgebreitet und ist in mehreren Provinzen ansässig. Der erste Herr von ... lebte übrigens noch siebenundzwanzig Jahre und wurde mit noch einem Sohne und zwei Töchtern beschenkt. So starb er als reicher Mann, der nicht mehr nötig hatte, auf den Landstraßen zu humpeln.