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Wohl so um die Zeit der ersten Flucht der Herren Kronprinzen, die unserem guten Herrn Karl dem Siegreichen so arge Verlegenheiten schuf, erlebte eine edle Familie des Tourer Landes, die jetzt erloschen ist, ein schlimmes Mißgeschick, das in dieser tieftraurigen Geschichte erzählt werden soll. Mögen dem Autor die heiligen Beichtväter, Märtyrer und die anderen himmlischen Mächte beistehen, die im Verlaufe dieses Begebnisses eine so wichtige Rolle spielten.
Durch eine unglückselige Veranlagung hatte der Herr Imbert von Bastarnay, einer der mächtigsten Ansitzer und Edelleute unseres Tourer Landes, so gar kein Zutrauen zu der Frauen Wesen, das ihm ob ihrer Zappligkeit zu unbeständig schien. Vielleicht hatte er damit Recht. Jedenfalls blieb er bis in ein sehr, sehr reifes Alter hinein ein Hagestolz, und das ward ihm nicht zum Segen. Da er immer allein war, verstand er nicht, sich dem lieben Nächsten gegenüber liebenswürdig zu zeigen, zumal er sich früher nur auf Feldzügen und mit üblem Volk herumgetrieben hatte, wo er sich keinen Zwang aufzuerlegen brauchte. Darum war er dreckig in seiner Kleidung, stank nach Schweiß vom Harnischtragen, hatte schwarze Hände, eine Affenfratze und repräsentierte kurz und gut das widerlichste Exemplar eines Christenmenschen, das heißt äußerlich, denn Herz, Kopf und sonstiges wies durchaus schätzenswerte Vorzüge auf. Glaubet mir: ein Bote Gottes hätte lange suchen können, ehe er einen wackerern Haudegen, einen fleckenloseren, treueren und ritterlicheren Ehrenmann gefunden hätte als ihn. Manche rühmten auch seine weisen Grundsätze und seine nützlichen Ratschläge, gerade als ob Gott die Menschheit damit hätte narren wollen, daß er einen so abstoßenden Gesellen mit solchen Vorzügen ausstattete. Schon sah er aus, als hätte er seine geschlagenen Sechzig auf dem Buckel, derweile er kaum fünfzig alt war, da beschloß er, sich ein Weib auf den Hals zu laden, um Nachkommen zu haben; und wie er nun allenthalben nach einem geeigneten Wesen Umschau hielt, hörte er die verdienstlichen Vorzüge einer Tochter der angesehenen Familie von Rohan rühmen, eines Mägdeleins mit Namen Bertha. Als dann Imbert in das Schloß Montbazon kam, wurde er ob ihrer Schönheit und tugendsamen Unschuld von einem derartigen Liebesfeuer ergriffen, daß er sie voll Vertrauens auf ihre edle Abkunft und voraussichtliche Pflichttreue sofort zu seinem Weibe erkor. Und da der Herr von Rohan mit sieben Töchtern gesegnet und froh war, eine unter die Haube zu bringen (denn damals zogen die Männer nur in den Krieg oder bemühten sich, ihre auf den Hund gekommenen Güter wieder in die Höhe zu wirtschaften), so fand die Hochzeit sehr bald statt und der wackere Bastarnay fand ein veritables Jüngferlein in seinen Armen, was für die gesunde und strenge Erziehung der Mutter ein löbliches Zeugnis ablegte. Er nahm sie so nachdrücklich in Besitz, daß er bereits nach zwei Monden zu seiner großen Freude hinreichende Beweise für das Keimen eines Sprößlings feststellen konnte. Und um diesen ersten Abschnitt der fraglichen Begebenheit zu beschließen, sei gesagt, daß wirklich ein Söhnlein zur Welt kam, welches hernach als Herre von Bastarnay durch die Gnade des sonst so gestrengen Königs Ludwig des Elften dessen Kanzler und später dessen Gesandter bei den Höfen Europas wurde und das herzliche Vertrauen desselbigen niemals täuschte. Diese Treue war ein Erbstück seinem Vaters, der dem Kronprinzen von vornherein anhing und mit ihm durch dick und dünn ging, selbst als er rebellierte, denn er hätte auf dessen Befehl selbst Christus ans Kreuz geschlagen so groß war seine für damalige Zeiten gar seltene Ergebenheit. – Die holdselige Frau von Bastarnay wußte durch ihre schlichte Offenheit bald das düster-schwarze Gewölk zu verjagen, das im Geiste ihres Gemahles der Frauen Wert zu verdunkeln strebte. Und wie's so geht: sein Mißtrauen wich so grenzenlosem Vertrauen, daß er ihr die Herrschaft über sein ganzes Haus in die Hand gab, sich auf Schritt und Tritt von ihr leiten ließ und sie solchermaßen als Hüterin über seine Ehre, sein Greisentum, sein Alles machte und jeden unweigerlich erschlagen hätte, der über ihre spiegelblanke Tugend, die kein Hauch trübte, nur ein einziges Wörtlein gesagt haben würde. Ehrlich gesagt, trug viel zu dieser Tugend der kleine Bengel bei, um den seine schöne Mutter während sechs Jahren Tag und Nacht besorgt war; und wenn sie ihm ihre holde Brust darbot, daran er sich so eifrig festsog, dann ersetzte er ihr jeden Liebhaber. ja, er war für sie der zärtlichste Liebhaber der Welt. Sie kannte nur seiner zierlichen Lippen Schmeichelküsse, nur seiner kleinen Händlein Kosen, las in keinem anderen Buche als in dem himmelblauen Spiegel seiner Äuglein, hörte keine andere Musik als sein Kinderstimmchen, dessen Geschrei ihrem Ohr wie Engelsworte erklang. Und sie wiegte ihn, küßte ihn vom Morgen bis zum Abend, stand sogar nachts auf, um ihn zu liebkosen, machte sich klein, so klein, wie er war, und zog ihn so nach den heiligen Grundsätzen der Mutterliebe auf; kurz, sie war die beste und glücklichste Mutter der Welt, worin natürlich für die Jungfrau Maria kein Vorwurf liegen soll: denn dieser ist ja die Erziehung unseres Heilandes nicht schwer gefallen, sintemalen er Gott selbst war. Dies alles zusammen mit der Abneigung Berthas für die engeren Ehepflichten freuten den Herrn Gemahl sehr, da er sich letzteren nicht über die Maßen gewachsen fühlte und im Hinblick auf ein etwaiges zweites Kind sparte. Als dann sechs Jahre um waren, mußte die Mutter ihr Söhnlein den Knappen undSchildmeistern überlassen, die ihn nach des Vaters Geheiß scharf anpackten, damit dem Stammhalter mit Namen und Besitz auch die Tugenden und Vorzüge, der Adel und Mut seines Hauses zu eigen würden. Bertha aber kam fortan aus dem Weinen nicht heraus: hatte man ihr doch ihr Glück entrissen; und die flüchtigen Stündlein, in denen sie ihren Liebling genießen durfte, wenn die anderen ihn von sich ließen, genügten ihrem Herzen wenig. Ob ihrer Trauer, ihrer Tränen bemühte sich der Herr Gemahl, ihr einen Ersatz zu schaffen, aber es gelang ihm nicht, und darob war die Ärmste sehr ungehalten weil ihr, wie sie sagte, seine Bemühungen für ein zweites Kindlein äußerst unangenehm waren und zuviel Unzuträglichkeiten mit sich brachten. Und das kam so:
Der wackere Herr Bastarnay war kein geschmeidiger, zärtlicher Geilhannes; ihm war's ganz gleich, wie er einen erschlug, wenn der andere nur auch wirklich erschlagen wurde, und so kam es ihm nicht darauf an, blindlings dreinzuschlagen, ohne überhaupt ein Wörtlein zu verlieren, ich meine im Handgemenge. Und mit derselben Gleichmut wie den Tod gab er auch das Leben, wenn es galt, in dem bekannten reizenden Öflein ein Kindlein zu backen. Von den tausenderlei einleitenden Maßnahmen, Vorbereitungen, Zwischenreden, Verzögerungen, vorsorglichen Verrichtungen, als da sind: Heizen des Ofens mit Holzspänen, duftenden Zweiglein und Ästelein, die man sorglich im Liebeswalde sammelt, und was es dergleichen Liebesdienste und Drums und Drans noch mehr giebt — von alledem hatte er keine Ahnung. Da schaut euch mal die Katzen an, wenn sie ihre süße Milch schlecken, oder die Frauen selbst, wenn sie essen: keine von ihnen (ich rede von wohlerzogenen, gebildeten Frauen) wird sich so kopfüber in die Schüssel stürzen und das Essen hinunterschlingen, wie's die Männer in ihrer ungeschlachten Art machen. Vielmehr wird sie zierlich in dem Gericht herumstochern, wird, wie ein Täublein eine Erbse, so ein Krümlein, das ihr besonders gefällt, herauspicken, wird von der Tunke schlecken und die dicken Happen liegen lassen, und wird mit Löffel und Messer spielen, als ob man sie zum Essen zwingt, weil es ihnen allen verhaßt ist, geradeswegs zum Ziele zu gehen, weil sie Umwege, Ziererei und Spielerei über alles lieben. In all diesen Dingen also war der Herr Imbert, dieser alte Haudegen, die Ahnungslosigkeit selbst, er stürmte das holdeVenusgärtlein wie eine belagerte Stadt, kümmerte sich den Teufel um das Geschrei der armen Einwohner, die in Tränen zerflossen, und das arme Kindel, die Bertha, die bei ihrer Hochzeit eben fünfzehn Jahr alt geworden war, hatte zwar in ihrer jüngferlichen Unschuld vermeint, diese abstoßende Roheit sei für ihr Mutterglück von Nöten, war aber solche Behandlung doch keineswegs gewohnt. Und deshalb machte ihr die Ehe eben keinen Spaß und niemals forderte sie ihren Mann auf, sein Ehebündnis von neuem zu besiegeln. Und da er, wie gesagt, keineswegs auf der Höhe war, so lebte sie in strenger Enthaltsamkeit wie ein Nönnlein. Sie haßte Männergesellschaft und hatte keine blasse Ahnung, daß der Schöpfer just jene Pflichten, die ihr so unsägliche Pein geschaffen hatten, mit so holden Freuden versüßt habe. Und da ihr Söhnlein ihr vor seiner Geburt so teuer zu stehen gekommen war, so liebte sie ihn nur um so inniger. Das ist eben die alte traurige Geschichte so vieler unglücklicher Ehen, so vieler Frauen, die eines Tages die schlimmsten Torheiten begehen, weil sie irgendwie und viel zu spät erfahren, daß man sie getäuscht hat, und nun in einem Tage die verlorene Zeit einholen wollen, um voll und ganz auf ihre Rechnung zu kommen. Das ist allen Ernstes gesagt, liebe Freunde, und darum leset diese Zeilen recht sorgfältig und seiet fortan für eure Frauen, eure Liebsten und all die andern Frauen besorgt, die euch (Gott behüte!!) zufällig anvertraut werden sollten. So war also Bertha, trotzdem sie Mutter geworden war, im Grunde Jungfrau geblieben, als sie wie eine zarte Blüte so hold ihr einundzwanzigstes Lebensjahr erreichte. Sie ward durchs ganze Land hin ob ihrer Schönheit gerühmt; und ihr Ehegemahl hatte seine helle Freude an ihr, die so frisch und munter wie ein Fisch im Wasser, in herziger Unschuld, aber reich begabt und mit klarem Verstande ihren Hausfrauenpflichten lebte; und niemals unternahm er etwas, ohne sie um Rat zu fragen. Sie lebten damals auf seinem Schlosse unweit Losches und so kam es, daß sie einmal vom Könige aufgefordert wurden, ihn in Losches aufzusuchen, wo er sich damals mit seinem Hofe niedergelassen hatte und wo die Schönheit der Frau von Bastarnay in allen Tonarten besungen wurde. So kam also Bertha dorthin und wurde vom Könige mit Schmeicheleien überschüttet. Alle jungen Herrlein waren um sie herum, fraßen die holde Frucht mit gierigen Augen, und die alten Knacker wärmten ihr mürbes Gebein in der Sonne ihrer Schönheit. Jung wie alt wäre gern tausendmal des Todes verstorben, um nur einmal diese Zauberreize zu eigen zu haben, die einem die Augen blendeten und den Sinn verwirrten. Bald war in Losches mehr von Bertha die Rede, als in den Evangelien vom Lieben Herrgott, worob natürlich viele Damen vor Wut schier barsten, die nämlich, so bedeutend kärglicher mit Reizen versehen waren und gern diese so heiß umschwärmte Huldin in ihr Schloß zurückgejagt hätten, wenn sie auch dafür dem häßlichsten Manne des Erdenrundes zehn Liebesnächte hätten opfern müssen. Zumal eine junge Dame geriet in argen Grimm, weil sie zu der unerbittlichen Erkenntnis kam. daß ihr Herzliebster sich in Bertha vernarrte. Und daraus entstand all das Unheil, das später über Frau von Bastarnay hereinbrach; daraus aber auch alles Glück, das ihr zuteil ward: die Entdeckungsreise in das ihr noch so unbekannte Land holdester Liebeszärtlichkeiten.
Nun hatte die erwähnte Dame einen Verwandten, der ihr gleich zu Anfang erklärte, er würde gern sterben, wenn er nur einen Monat mit Bertha alle Freuden der Liebe auskosten könne. Dieser Jüngling war schön wie ein Mägdelein, ein Milchgesicht von kaum zwanzig Jahren, dem jeder Feind Pardon gegeben hätte, wenn er nur dies Wort rief: so holdselig war seine Stimme. Zu diesem nun sagte sie: »Schöner Vetter, gehet hinweg und bleibet in Eurem Hause, dann will ich sorgen, daß Euer Wunsch in Erfüllung geht. Aber richtet es so ein, daß Euch weder sie erblickt noch jene Affenfratze, die durch einen Mißgriff der Natur christlichen Eltern in die Wiege gelegt ward und nun diese Zauberfee zu Eigen hat.«
Kaum war der schöne Vetter fort, da eilte die Dame schon auf Bertha zu, schleckte sie mit ihren Verräterlippen ab, nannte sie ›meine Holde, mein Schatz, mein güldener Stern!‹, riß sich schier die Beine aus, um sich bei ihr einzuschmeicheln, alles, um sich an der Ärmsten um so sicherer rächen zu können dafür, daß diese, ohne das Geringste zu ahnen, ihren Liebsten zu treulosen Gedanken verführt hatte (was bekanntlich für den Liebesehrgeiz der Frauen schlimmer ist, als jede begangene Treulosigkeit!). Sie brauchte nicht lange mit Bertha zu plaudern, um herauszuspüren, daß selbige im Grunde ihrer Seele Jungfrau geblieben war; ja, sie brauchte dafür nur die lichten Augen, die spiegelglatte Stirn und Schläfe, dies schneeweiße Näslein zu sehen, darauf nicht das kleinste Sommersprößchen prangte: kurz, alle sonst immer unzweideutigen Anzeichen für erlebte Liebesschauer fehlten, die Unschuld sprach ihr aus dem Angesicht, und einige listige Fragen brachten der Verräterin die geahnte Bestätigung dafür, daß Bertha wohl Mutterfreuden, aber keinerlei Liebesfreuden kannte. Des freute sich die edle Seele für ihren Vetter, und sie hub nun an zu erzählen: in Losches gäbe es ein junges Edelfräulein von Rohan, die der Fürsprache einer angesehenen Dame bedürfe, um bei dem Herren Ludwig von Rohan wieder in Gnaden Aufnahme zu finden; wenn sie ebenso herzensgut wie schön sei, so wolle sie doch jene zu sich ins Schloß nehmen, dort sich ihres sittenreinen Lebenswandels vergewissern und dann eine Aussöhnung mit dem Herrn von Rohan herbeiführen. Bertha erklärte sich ohne Zögern dazu bereit, da sie das Mißgeschick jenes Mägdeleins kannte, doch nicht sie selbst, die Sylvia hieß und von der sie glaubte, daß sie außer Landes sei. Hier muß eingefügt werden, weshalb der König dieses Fest zu Ehren des Herrn von Bastarnay veranstaltet hatte. Er argwöhnte nämlich die bevorstehende Flucht des Kronprinzen nach Burgund und wollte ihm einen zuverlässigen Ratgeber zur Seite wissen. Und der Greis als getreuer Diener des Herren Ludwig hatte bereits stillschweigend seine Vorbereitungen getroffen. So führte er denn Bertha wieder zum Schloß zurück, die ihm bei dieser Gelegenheit unterbreitete, daß sie eine Gefährtin zu sich genommen habe, und ihm selbige zeigte: es war jener Jüngling, den seine Base in ihrer Eifersucht auf Bertha in Mädchenkleider gesteckt hatte, und von dem sie in ihrer Wut erhoffte, daß er selbige in den Abgrund der Wollust zerren würde. Imbert war erst ungehalten, da er wußte, was die richtige Sylvia für eine Person war. Aber die gute Bertha rührte ihn und so lobte er sie für ihren Vorsatz, das verirrte Lamm auf den rechten Weg zurückzuführen. Dann feierte er in der letzten Nacht einen nachdrücklichen Abschied von seiner lieben Frau, ließ ein paar Mann als Besatzung auf dem Schloß zurück und folgte flugs dem Kronprinzen nach Burgund, ohne zu ahnen, daß er daheim einen Todfeind sitzen hatte. Da nämlich der betreffende Jüngling nur in die Gegend gekommen war, um den Hof des Königs anzuschauen, sonst aber bei dem Herrn von Dunois als Edelknappe diente, so war er dem Herrn Imbert von Angesicht nicht bekannt, und selbiger war ganz sicher, es sei ein Mägdelein, das er für sittsam und schüchtern hielt, weil der Bengel immer seine Augen gesenkt hielt, um sich nicht durch deren Feuer zu verraten. Als dann aber der Schloßherr mit seinen Mannen davonsprengte, da jubelte er in heller Freude auf, wie‹s eben jeder an seiner Stelle getan hätte. Aber die Angst hatte ihm doch bis dahin so zugesetzt, daß er der Kathedrale zu Tours einen Pfeiler gelobte dafür, daß er alle Gefahren seines tollkühnen Unternehmens glücklich bestanden hatte. Und wirklich zahlte er fünfzig Mark, um Gott seine Erkenntlichkeit zu beweisen. Leider kam aber das Geld dem Teufel zugute, wie das folgende erzeigen wird.
Besagter Edelknappe hieß Johannes von Sacché und war ein Vetter des Herrn von Montmorency, welchem mit dem Tode Johanns die Lehen und Güter derer von Sacché wieder zufallen mußten. Er war zwanzig Jahre alt, und da er wie ein Feuerbrand glühte, so fiel es ihm nicht leicht, den ersten Tag zu verleben. Als der alte Imbert davonsprengte, da sprangen die beiden Basen zum Guckfenster ob des Ausfalltores, um ihm länger nachblicken zu können, und winkten aus Leibeskräften Abschiedsgrüße. Als dann aber die Staubwolke in der Ferne verdämmerte, stiegen sie hinab und gingen in den Saal.
»Was wollen wir jetzt tun?« fragte Bertha die angebliche Sylvia. »Liebst du Musik? Schön, dann wollen wir zusammen musizieren. Vielleicht singen wir eins von den hübschen alten Spielmannsliedern, ist dir das recht? Dann komm mit zur Orgel, komm, sei lieb!« Und sie nahm Johann bei der Hand und zog ihn zu dem Pfeifenklavier, wo der Bursch sich flugs so zierlich wie ein Mägdelein davorsetzte. Kaum hatte er ein paar Töne angeschlagen und Bertha den Kopf zugewandt, um mit ihr zugleich anzufangen, da rief diese: »Ach, liebste Base, wie schaut mich dein Auge so heiß und wild an. Mein Herz erbebt davon so seltsamlich!«
»Just das hat mich zugrund gebracht,« flötete die falsche Sylvia. »Ein edler Lord droben in Engelland sagte mir, ich hatte schöne Augen, und küßte sie, und das schuf mir solche Wonnen, daß ich unterlag.«
»So nimmt die Liebe ihren Weg durchs Auge?«
»Nein, dorten werden Cupidos Pfeile geschmiedet, teuerste Berta,« rief er und überschüttete sie mit einer ganzen Wolke feurigster Geschosse.
»Komm, wir wollen singen!« So sangen sie denn und zwar ein Werbelied Christines von Pisa, das Johann erwählt hatte, weil darinnen gar heftig von Liebe geredet wird.
»Ach, teuerste Base, wie voll und gewaltig deine Stimme ist! Sie packt meine Seele!«
»Wo?« fragte die verdammte Sylvia.
»Hier!« rief Bertha und wies auf ihr holdes Zwergfell, wo die Laute der Liebe viel besser wahrgenommen werden als im Ohre, weil das Zwergfell dem Herzen so nahe liegt. »Nein, lassen wir das Singen, es erregt mich zu sehr. Komm mit zum Fenster, dort wollen wir bis zur Vesperstunde Handarbeiten machen.«
»Ach, teuerste Base meiner Seele, ich verstehe nicht eine Nadel zu halten, weil ich zu meinem Unheil gewohnt bin, meine Finger anderweitig zu betätigen.«
»Womit denn bringst du deinen Tag hin?«
»Ach, ich lasse mich vom Wirbel der Liebe forttragen, da wird der Tag zum Augenblick, der Monat zum Tage, das Jahr zum Monate. Und wenn das immer so bliebe, konnte man die Ewigkeit wie eine Erdbeere schlucken; denn gleich dieser ist das alles eitel Duft, holde Süße und unsagbare Wonne.« Und damit senkte der Bengel seine schönen Augenlider und tat tieftraurig, wie ein armes Mägdelein, das von seinem Liebsten verlassen wurde und um ihn weint, ihn halten möchte, ihm gern alle Treulosigkeiten vergäbe, wenn er nur wieder zu dem holden Stalle, zu seiner einsamen Geliebten zurückkehren wollte.
»Sag' mir. erschließt sich die Liebe auch im Ehestand?«
»O nein! da doch im Ehestand alles Pflicht, in der Liebe freiester Herzensentschluß ist. Dieser Unterschied verleiht jeder Zärtlichkeit einen holden Balsam, wie er diesen zarten Blüten der Liebe geziemt.«
»Ach, wir wollen nicht weiter davon reden; mir wird schier bänger zu Mut, als bei der Musik.« Und stracks pfiff sie einem Diener, der ihren Sohn herbeiholen mußte.
Kaum erblickte Sylvia das Kind, da rief sie:
»Ach, welch ein Liebesengelchen!« Und sie küßte ihn auf die Stirn.
»Komm, du mein Kindlein,« sagte die Mutter, auf deren Schoß er alsbald hüpfte. »Komm, du mein einzig Glück, du meine Seligkeit meine Krone, mein Püppchen, meine Perle, mein Schatz, mein Sonnenschein, mein Herzelein. Laß mich deine Händelein schlecken, dich in die Ohrläppchen beißen; gib deinen Kopf, laß mich dein Haar küssen. Sei glücklich, du mein Blütenzweig, damit ich auch glücklich bin.«
»Ach, teure Base,« rief Sylvia, »du sprichst Liebesworte zu ihm.«
»Was hat Liebe mit einem Kindeleien zu schaffen?«
»Gar viel! Und darum haben die Heiden die Liebe als ein Kindelein dargestellt!«
Und so klang es: Liebe hier, Liebe dort, während die zwei zieren Basen mit dem Kinde spielten, bis das Abendessen kam.
»Wünschtest du nicht ein zweites?« flüsterte Johann in einem passenden Augenblick in der Base holdes Ohr, das er dabei mit seinen heißen Lippen streifte.
»Ach, Sylvia, ja! Und gern wollte ich hundert Jahre in der Hölle braten, wenn der Herrgott mir diese Freude schüfe. Aber mein Gürtel mag nicht schwellen, obgleich sich mein Gatte die schrecklichste Mühe gegeben hat. Nein, ein einzig Kindelein zu haben, ist nichts! Bei jedem Schrei im Schlosse fahre ich in die Höh! Ich fürchte Mensch und Tier um dieses Engleins willen, fürchte sein Fechten und seine Waffenübungen, alles, alles! Ich lebe nur mehr in ihm und liebe selbst dieses Bangen, weil es mir beweist, daß er ja noch heil und am Leben ist. Nur für ihn bete ich und ... ach, ich könnte bis morgen reden, und hätte nicht die Hälfte gesagt!« Und dann preßte sie ihn wider ihre Brust, wie nur Mütter ihre Kinder an sich zu drücken wissen, mit all der losen Kraft, die in ihrem Herzen glüht. Und wenn ihr mich nicht versteht, dann sehet zu, wie die Katze ihre Jungen im Maule trägt.
Der arme Schlingel hatte bisweilen in Bangen vermeint, er täte nicht recht, das verödete Feld mit holden Freuden zu bepflanzen; nun aber ward er durch ihre Worte ganz beruhigt und sagte sich, daß er nur Gottes Willen erfülle, wenn er diese Seele den Freuden der Liebe gewänne. Und darin dachte er wohl. Nach der Vesper forderte Bertha nach der guten alten Sitte (gegen die sich die Damen heutzutage auflehnen), ihre Base auf, bei ihr im Prunkbette zu schlafen. Um nicht aus der Rolle zu fallen, erwiderte Sylvia, wie sie darob beglückt sei. Als dann also die Nacht kam, gingen die zwei in die Kemenate, die mit wundervollen Teppichen und Stickereien geschmückt war, und Bertha entkleidete sich voll Anmut mit Hilfe ihrer Zofen. Der Edelknappe war natürlich zu verschämt, um sich von diesen anrühren zu lassen, wurde puterrot und sagte zu dem Bäslein: ›er sei gewohnt, sich selbst auszukleiden, seit der Herzliebste das nicht mehr besorge, dessen zarte Gewandtheit alle Zofendienste ihr zum Ekel gemacht habe. Dann tauchten auch die süßen Worte wieder im Gedächtnis auf, die der Freund gesagt, all die Torheiten, die er begangen habe, wenn er sein Schätzelein seiner letzten Hülle entkleidete, danach ihm (d. h. Sylvia) leider Gottes heute noch das Wasser im Munde zusammenlaufe.‹ Darob verwunderte sich Bertha gar sehr und so ließ sie ihre Base ihre Nachtgebete und sonstigen Abendvorbereitungen hinter den Bettvorhängen erledigen. Denn dahinter war der Schlingel eiligst geschlüpft um durch einen Spalt der Schloßherrin untadelige Schönheit und ihre holdseligen Reize zu bewundern. Und da Bertha vermeinte, ein beklagenswertes Mägdelein in ihrer Stube zu haben, so ließ sie keine ihrer Gewohnheiten: sie wusch sich die Füßlein, ohne besorgt zu sein, ob sie selbige etwas hoch emporhob zeigte ihre blendenden Schultern und tat kurz alles, was Frauen tun, bevor sie zu Bett gehen. Schließlich schlüpfte sie unter die Bettdecke, machte es sich bequem und küßte dann ihre Base auf die Lippen, die ihr gar heiß schienen.
»Bist du denn krank, Sylvia, daß du so sehr glühest?'' fragte sie.
»Immer glühe ich so, wenn ich im Bett liege,« entgegnete diese. »Denn alsdann kommen mir die süßen Zärtlichkeiten ins Gedächtnis die ›Er‹ erfand, um mir Freude zu schaffen, und die mir noch ärger einheizten.«
»Ach, teure Base, erzähle mir mehr von diesem ›Er‹. Erzähle mir von den Seligkeiten der Liebe, da ich doch mit einem Greise lebe, des schneeweißes Haar mich vor solchen Gluten bewahrt. Das wird eine gute Kasteiung für mich sein und dein Unglück kann so zwei armen Frauenzimmern von Nutzen werden.«
»Ich weiß nicht, ob ich dir gehorchen soll, schönste Base,« sagte der listige Bursch.
»Und warum nicht?«
»Ach, weil es besser ist zu zeigen als zu sagen!« rief er und tat einen schweren, schweren Seufzer. »Und dann habe ich Angst, da mein Lord mich so mit Wonnen überschüttet hat, daß du etwas davon abbekommen könntest, vielleicht nur ein Bröckchen, aber das würde genügen, um dir zu einer Tochter zu verhelfen — einer Tochter, weil diese Freuden auf dem Umwege über mich schon etwas abgeschwächt sein werden.«
»Sag mal: glaubst du, daß das eine Sünde wäre?'«
»Im Gegenteil! Hier wie im Himmel würde eitel Freude herrschen! Die Englein würden himmlische Düfte über dich ausgießen und himmlische Weisen dazu spielen.«
»So sag es mir denn, rief Bertha.
»Also, paß auf, wie mein Liebster mich zu lichtester Freude entflammte. « Und damit nahm Johann sie in seine Arme und umhalste sie mit namenloser Glut, und das ist sehr begreiflich, denn sie lag beim Lampenschimmer in den weißen Linnen dieses verdammten Bettes wie die zierlichen Staubfäden der Lilie mitten in deren jungfräulichem Blütenkelch: »So hielt er mich umfangen, wie ich dich jetzt halte, und sagte mit seiner wunderzartenStimme, der die meine nie gleichkommen kann: ›Ach, Sylvia, du meine ewige Liebe, du mein tausendfältiger Schatz, du meiner Tage, meiner Nächte Seligkeit; du bist lichter denn der Tag, anmutsvoller denn alles auf der Welt; ich liebe dich heißer denn Gott und wollte eines tausendfachen Todes sterben für all das Glück, das du mir spendest.‹ Und dann küßte er mich, nicht so grob wie die Ehemänner das tun, sondern schnäbelnd wie Tauben.«
Und um ihr sogleich die verheißenen Vorzüge dieser Kunst zu zeigen, saugte er allen Honig von Berthas süßen Lippen und unterwies sie, wie ihr Zünglein, das einem Rosenblatte oder dem Zünglein einer Katze glich, gar herzbeweglich reden könne, ohne ein einzig Wort zu sagen. Aber Johann wurde bei diesem Spiel immer feuriger, dehnte seine Küsse bald auch bis zu ihrem Hals aus, von dort weiter bis zu den holdesten Früchten, die eine Frau ihrem Kinde darreichen kann. Und ein Hundsfott, wer an seinem Platze gewesen wäre und hätte es nicht ebenso gemacht.
»Ach!« ächzte Bertha, die in Liebesglut geriet, ohne es zu merken. »Das ist freilich etwas anderes! Das muß ich Imbert erzählen.«
»Bist du von Sinnen, teure Base? Sage nur deinem alten Gatten so etwas nicht, denn er hat nicht weiche, zarte Hände wie ich, und sein stacheliger Bart paßt schlecht zu solchem Wonnespiel.« Und so fuhr der hübsche Schlingel in seinen Belehrungen fort, bis das arme unschuldige Ding in den Ruf ausbrach: »Ach, nun sind die lieben Englein gekommen! Ach, wie hold war ihre Musik, die nun wieder entschwunden ist, wie hell flammte ihr himmlisches Leuchten, vor dessen Glanz meine Augen sich schlossen!«
Und sie lag da, von der Last so vieler Seligkeiten ganz erdrückt. Die waren auf sie eingestürmt wie rauschende Orgeltöne, hatten sie geblendet wie gleißendes Morgenrot, glitten jetzt durch ihre Fibern wie zartester Duft und raubten ihr das Leben, um dies Leben einem Kindlein zu geben, einem Kindlein der Liebe, das mit ganz anderem Gepränge seinen Einzug hält, als irgend ein anderes. Kurz, Bertha vermeinte im Paradies zu sein, so war sie voller Seligkeit und als sie aus ihrem Wonnetraum in Johanns Armen erwachte, da flüsterte sie: »Warum bin ich nicht in Engelland getraut worden!«
»Teuerste Herrin,« rief Johann, der vor Entzücken außer sich war »du bist nun mir getraut und hier in Frankreich, und das ist wahrlich besser, denn ich bin ein Mann, der dir tausendmal sein Leben dahingäbe, wenn er konnte!«
Die Ärmste stieß einen durchdringenden Schrei aus und sprang aus dem Bette wie der Blitz. Sie sank vor dem Betstuhle in die Knie, faltete die Händlein, weinte mehr Perlen, als jemals Maria Magdalena getragen hatte, und sprach: »Ach. wehe mir, ich bin tot! Ich wurde von einem Teufel verführt, der in Engelsgestalt zu mir kam. Ich bin verloren, bin sicherlich eines schönen Kindleins Mutter worden und bin doch nicht schuldiger als du, Heilige Jungfrau. So flehe du zu Gott um Gnade für mich, wenn ich keine bei den Menschen finden kann, oder laß mich sterben, damit ich nicht vor meinem Herrn und Gatten in Scham zu erröten brauche!«
Als Johann hörte, daß Bertha nichts böses wider ihn sagte, da erhob er sich voll Beklommenheit über die Art, wie Bertha dieses holde Duo aufnahm. Wie diese aber merkte, daß ihr Engel Gabriel sich regte, da sprang sie flugs auf, blickte ihn mit tränenfeuchten Augen an, die in heiligem Grimme funkelten (wobei sie noch viel schöner wurden) und rief: »Wenn Ihr mir nur einen Schritt näher kommt, so werfe ich mich dem Tod in die Arme!«
Und sie griff nach einem Stilett, wie die Damen es trugen. Und dieser tragische Anblick ihrer Pein war so erschütternd, daß Johann erwiderte:
»Nicht dir, sondern mir geziemt es, in den Tod zugehen, o, du meine holde Liebste, die ich heißer liebe, denn jemals ein Weib auf diesem Erdenrund geliebt wurde!'' »Hättet Ihr mich geliebt, dann würdet Ihr mich nicht so ins Unglück gestürzt haben! Denn ich stürbe lieber, ehe ich meines Gatten Vorwurf verdiente.«
»Ihr stürbet sicherlich?« fragte er.
»Ohn' jedes Zögern!« rief sie.
»Dann werdet Ihr also vor Eurem Gatten Gnade finden, wenn ich von Dolchstichen zerfleischt daliege, und Ihr könnt ihm sagen, daß Eure Unschuld überlistet wurde, daß Ihr aber seine Ehre durch den Tod des verräterrischen Verführers gerächt habt. Das wird mein größtes Glück sein, für Euch zu sterben, da Ihr verweigert, für mich zu leben.« Diese zärtlichen Worte ließen neue Tränen in Berthas Augen quellen, und der Dolch entglitt ihren Händen. Johann sprang herzu, packte ihn, stieß ihn sich in die Brust und rief: »Solches Glück ist mit dem Tode nicht zu teuer erkauft!« Und dann fiel er wie ein Klotz zu Boden.
Bertha war so entsetzt, daß sie ihre Zofe herbeirief. Und die Zofe war nicht minder entsetzt, als sie im Zimmer ihrer Herrin einen bewußtlosen Mann liegen sah und sehen mußte, wie ihre Herrin selbigen stützte, und rief: »Was habt Ihr getan, teurer Freund?!« Denn Bertha glaubte ihn tot und gedachte nun der erlebten unsagbaren Wonnen, gedachte seiner wundersamen Schönheit, die jeden, selbst Imbert, zu dem Glauben veranlaßt hatte, er sei ein Mägdelein. In ihrem wehen Schmerze erzählte sie der Zofe alles, weinte und schrie, es sei wahrlich genug, ein Kindlein unterm Herzen zu tragen, und man brauche ihr nicht noch das Herz mit dieses Mannes Tod schwer zu machen. Als der Jüngling das hörte, da versuchte er die Augen zu öffnen. Aber man sah nur das Weiße hervorschimmern und auch das nur wenig.
»Ach, edle Frau, schreiet nicht!« sagte die Zofe. »Wir müssen unseren Verstand beisammen halten und diesen Rittersmann erretten. Schnell will ich zur Dorfnärrin laufen, damit kein Medicus oder Physicus in dies Geheimnis eingeweiht wird. Die ist eine Hexe und wird Euch zu Gefallen diese Wunde so zauberhaft verheilen, daß keine Spur davon bleibt.«
»Lauf'!« rief Bertha. »Für deine Hilfe werde ich dich allezeit lieben und viel Gutes an dir tun.« Vor allem aber vereinbarten die beiden, tiefstes Stillschweigen über die ganze Geschichte zu bewahren und Johann vor aller Augen zu verbergen. Dann ging die Zofe in die finstere Nacht hinaus, um die Dorfnärrin zu suchen. Ihre Herrin geleitete sie selbst bis zum Ausfallstor, weil die Wache ohne ihren Befehl das Gatter nicht geöffnet hätte, und dann lief Bertha wieder zu ihrem schönen Liebsten, der besinnungslos dalag, weil unaufhaltsam das Blut aus der Wunde strömte. Tiefbewegt schlürfte sie etwas von diesem Blute, da es doch Johann für sie vergossen hatte. Seine große Liebe und die Gefahr, in der er schwebte, gingen ihrem Herzen gewaltig nahe, und so küßte sie das Antlitz dieses holden Liebesknechtes, verband die Wunde, die sie mit ihren Tränen benetzte, und sagte zu ihm, er solle doch nicht sterben und sie wolle ihm gern ihre Liebe spenden, um ihn nur wieder zum Leben zu bringen. Und während sie immer deutlicher des Unterschiedes zwischen diesem blitzeblanken Jüngling mit seinem holden Jugendflaum und dem alten Knacker mit seiner gelben, faltigen, borstigen Haut inne ward, verliebte sie sich auch immer heftiger in Johann, und sie gedachte dabei des Unterschiedes, der ihr in der erlebten Wonnestunde zum Bewußtsein gekommen war. Die Erinnerung daran ließ ihre Gefühle noch zärtlicher, ihre Küsse so zuckersüß werden, daß Johann wieder zur Besinnung kam: sein Blick belebte sich, er schaute Bertha an und bat sie mit schwacher Stimme um Vergebung. Aber sie gebot ihm Schweigen, bis die Dorfnärrin gekommen sei. Und so verwandten die beiden die Zeit dazu, mit sich Blicken ihre Liebe auszudrücken — wenn auch in denen von Bertha nur Mitgefühl lag: aber Mitgefühl ist unter solchen Umständen der Liebe auf‹s allerengste verwandt. Die ›Dorfnärrin‹ war eine alte, verwachsene Vettel, die mehr als verdächtig war, Necromantie zu treiben, auf Besen zum Hexen-Sabbat zu fahren und was die Hexen sonst noch für schöne Gewohnheiten haben. Besonders, daß sie im Stall, das heißt in der Dachrinne, einen Besen bestieg, behaupteten die Leute wiederholt beobachtet zu haben. Wahr ist eigentlich nur, daß sie heilende Mittel und Salben besaß und den Damen in gewissen Fällen, aber auch den Herren so ausgezeichnete Dienste leistete, daß sie in schönster Ruhe dahinlebte, ohne auf einem Scheiterhaufen (statt wie andere Leute auf dem Federbett) ihre schöne Seele auszuhauchen, und das, trotzdem die Ärzte mächtig hinter ihr her waren und behaupteten, sie verkaufe Gift. Daß sie damit nicht so Unrecht hatten, wird der Verlauf dieser Geschichte erweisen. Die Zofe kam also mit der Dorfnärrin auf einem abgetriebenen Grautier so schnell als möglich angetrabt, und so gelangten sie zum Schloß, ehe noch der Tag ganz heraufgedämmert kam. Als die alte Hexe in das Gemach kam, fragte sie: »Na, was gibt's, Kinderchen?« Das war nämlich so ihre Art, mit den großen Herrschaften vertraulich zu tun, weil ihr die immer sehr klein vorkamen. Sie setzte ihre Brille auf, untersuchte sehr gewandt die Wunde und meinte dann: ^Ei, ei, das schöne Blut – du hast ja davon gekostet, Schätzchen. Alles sehr gut, denn es ist nach außen geflossen.«
Dann wusch sie die Wunde mit einem feinen Schwamm, während Herrin und Zofe atemlos zuschauten. Kurz und gut, die Närrin erklärte mit gewichtiger Miene, daß der junge Herr von dieser Verletzung bald genesen würde, obgleich er, wie sie in seiner Hand gelesen habe, just ob der Folgen dieser Nacht eines gewaltsamen Todes sterben müsse. Dies chiromantische Todesurteil erfüllte Bertha und ihre Dienerin mit Schaudern und Entsetzen. Aber die Närrin verschrieb dann gleich die nötigen Heilmittel und versprach, in der nächsten Nacht wiederzukommen; und wirklich kam sie vierzehn Tage lang jede Nacht heimlich an, und die Zofe erzählte im Schloß: das Fräulein Sylvia sei durch eine Entzündung am Unterleib auf den Tod erkrankt, was geheim bleiben müsse, damit die Hausherrin, ihre Base, nicht in ihrer Ehre geschädigt würde. Dieser Schnack stellte die Leute sehr zufrieden, und wenn einer dem andern die Geschichte erzählte, dann nahm er allemal den Mund mächtig voll. Aber wenn die Leute meinten, die Krankheit wäre so lebensgefährlich gewesen, dann irrten sie gewaltig: das gefährliche war die Genesungszeit, denn je kräftiger Johann wurde, um so schwächer wurde Bertha, und am Ende wurde ihre Schwäche so groß, daß sie sich ohne Widerstand in das gleiche Paradies führen ließ, wohin Johann sie schon einmal geführt hatte. Kurz, ihre Liebe wuchs ins Endlose. Aber während sie in Wonnen schwelgte, ward sie durch der Närrin drohende Prophezeihung von Angst schier umgebracht litt in ihrer Frömmigkeit wahre Folterqualen, und bebte in Furcht vor dem Herren Imbert. Diesem mußte sie natürlich schreiben, daß er sie mit einem zweiten Kindlein beschenkt habe, mit dem sie ihn bei seiner Rückkehr zu erfreuen hoffe; aber das war eine solche Riesenlüge, daß das keimende Kindlein in seiner Kleinheit dagegen ganz verschwand. An dem Tage, da Bertha ihrem Manne diesen verlogenen Brief schrieb, ging sie Johann weit aus dem Wege, denn sie weinte so arg, daß all ihre Schnupftücher trieften, Und als Johann merkte, daß sie ihn mied, da glaubte er, sie habe eine Wut auf ihn; und da er so wenig von ihr lassen mochte, wie die Flammen von einem Holzscheit, das sie einmal ordentlich ergriffen haben, so weinte auch er wie eine Gießkanne. Als dann aber Bertha zur Vesper die Spuren dieser Tränen an Johanns Augen wahrnahm, trotzdem er sie so sorgfältig abgewischt hatte, da ging ihr das nahe und sie sagte ihm den Grund ihres Leides, gestand ihm ihre schauderhafte Angst vor der Zukunft, hielt ihm vor, wie schwere Schuld sie beide sich aufgeladen hätten, und predigte so wahrhaft schön und christlich, schmückte ihre Worte mit so himmlischen Zähren und so zerknirschten Gebeten, daß ihre Frömmigkeit sein Herz bis ins Innerste hinein erschütterte. Denn diese naive Mischung von Liebe und Reue, Schuld und Edelmut, Schwäche und Kraft hätte, wie die Alten zu sagen pflegten, einen Tiger vor Rührung zum Lamm verwandelt. So war es auch nicht verwunderlich, daß Johann sich genötigt sah, ihr auf sein ritterliches Ehrenwort zu schwören: er würde ihr in allem und jedem aufs Wort folgen, wenn sie etwas zur Errettung ihrer beiden Seelen in dieser Welt wie in der jenseitigen für nötig hielte.
Als Bertha seinen guten Willen und sein Vertrauen zu ihr sah, da warf sie sich ihm zu Füßen und rief: »O, teurer Freund, mags auch eine Todsünde sein: ich muß dich lieben, weil du so gut und mitleidsvoll zu mir bist. Wenn du willst, daß ich immer voller Wonnen an dich denke, daß der Strom dieser Tränen Einhalt findet, dessen Ursprung so hold und herzerquickend ist« – hier ließ sie sich einen Kuß rauben, um ihm ihre Worte zu bestätigen; dann fuhr sie fort: »... wenn du willst, daß die Rückerinnerung an unsere himmlischen Seligkeiten, an die Engelsmusik und den Duft süßester Liebe nicht wie brennend Gift wühlt, sondern mich in schlimmen Stunden tröstet, dann tue, was die Jungfrau in einem Traume von dir zu heischen mir befahl, als ich zu ihr flehte, sie möge mir doch in diesem Falle den rechten Weg weisen. Da erschien sie mir und ich schilderte ihr nun die furchtbare brennende Qual, die ich im Bangen um das Kindelein litt, das ich schon unter meinem Herzen verspürte, und um dessen wahren Vater, der dem anderen zum Opfer fallen und durch einen gewaltsamen Tod seine Vaterschaft büßen sollte, maßen die Närrin doch sicherlich richtig in der Zukunft gelesen habe. Da lächelte die Jungfrau gar hold und sagte: die Kirche böte uns für unsere Vergehen die Vergebung, wenn wir ihre Gebote erfüllten; dafür müsse man sich selbst der Pein des Höllenfeuers überantworten, ehe der Himmel seinen Zorn ausgösse. Und dann wies sie mit ihrem Finger auf einen Johann, der dem richtigen völlig glich, nur daß er so gekleidet war, wie du in Zukunft sein solltest, ja, wie du es sein wirst, wenn du Bertha mit unauslöschlicher Liebe ergeben bist.«
Alsbald richtete Johann sie auf und versicherte sie seines unbedingten Gehorsames, während er sie auf die Knie nahm und küßte. Da nun sagte ihm Bertha, daß dies künftige Gewand die Mönchskutte sei, und während sie vor Bangen bebte, er könne ihre Bitte abschlagen, bat sie ihn, ins Kloster zu gehen, und zwar in Marmoustier bei Tours. Und dabei schwor sie ihm zu, sie wolle ihm eine letzte Liebesnacht gewähren und dann fortan weder ihm noch sonst irgend jemanden auf dieser Welt angehören; und jedes Jahr wollte sie ihn zum Lohne einmal zu sich rufen, damit er das Kindlein sehen könne. Johann, den ja sein Eid band, versprach seiner Liebsten, um ihretwillen in das Kloster gehen zu wollen, und schwur hoch und heilig ihr solchermaßen in alle Ewigkeit getreu zu bleiben und fortan keine anderen Liebesfreuden mehr kosten zu wollen als die, so er durch ihre himmlische Huld empfangen habe und an deren süßer Erinnerung er fürder zehren wolle. Und Bertha sagte ob solch holder Worte: wäre auch ihre Sünde noch so groß gewesen, und stünde ihr durch Gottes Ratschluß auch noch so schweres bevor — dieses Glück würde ihr helfen alles zu ertragen; denn sie würde dem Bewußtsein leben, nicht einem Manne, sondern einem Engel angehört zu haben.
Und dann krochen sie in ihr Nestlein, darinnen sich ihre Liebe erschlossen hatte, um all den holden Blümelein ein letztes Lebewohl zu bieten. Sicherlich ist auch Herr Kupido bei diesem Abschiedsfest zu Gaste gewesen, denn nie auf dem weiten Erdenrunde erlebte je ein Weib seligere Wonnen, ward je einem Manne himmlischeres Glück zuteil. Die Eigenheit der wahren Liebe besteht darin, daß man um so reicher beschenkt wird, je mehr man gibt, und umgekehrt, so wie in gewissen mathematischen Berechnungen eine Zahlenreihe sich bis ins Unendliche wiederholt. Manche Leute, die von höherer Mathematik nichts verstehen, machen sich das am leichtesten klar, wenn sie in einen venetianischen Doppelspiegel schauen, der das gleiche Bild hunderttausendfältig wiederspiegelt. So auch vervielfältigen sich in den Herzen eines Liebespaares die Blüten, die ihren Liebeswonnen entsprießen, bis in kosende Tiefen hinein, die das Pärlein mit Staunen darüber erfüllten, wie viel Seligkeit darin Platz hat. Bertha und Johann hätten gern gewollt, daß diese Nacht ihr Leben beschließen möge, und wie endlich sehnsuchtsheiße Erschöpfung ihre Fieber durchzitterte, da vermeinten sie, Amor wolle sie auf den Flügeln eines Todeskusses von hinnen tragen; und sie hielten stand, so oft sich das auch wiederholte.
Am nächsten Tage sollte Sylvia abreisen, denn Meister Imberts Rückkehr stand bereits nahe bevor. Sein armes Weib überschüttete ihre Base mit Tränen und Küssen; immer war's der letzte Kuß und das dauerte bis zur Vesperstunde. Da mußten sie endlich scheiden und Johann schied von ihr, obgleich sein Blut vom Herzen troff wie das Wachs von der Osterkerze. So wie er es versprochen hatte, eilte er nach Marmoustier und ließ sich unter die Novizen aufnehmen. Dem Herrn von Bastarnay aber sagte Bertha: Sylvia sei mit dem Lord davongegangen, und da Lord das englische Wort für Edelmann ist, so hatte sie in diesem Punkt wenigstens nicht gelogen. Als der Edelmann seine teure Bertha ungegürtet sah, maßen sie einen Gürtel schon nicht mehr tragen konnte, da war seine Freude ohne Grenzen. Aber damit begannen erst recht die Folterqualen Berthas, die nicht zu lügen verstand und um jedes unwahren Wortes willen zum Betschemel lief und ihr Blut zu den Augen hinausweinte, derweile sie in Gebeten zerschmolz und sich der Gnade aller Heiligen des Paradieses anempfahl. Und sie betete so inbrünstig, daß der Herr sie erhörte, was man wohl beachten mag, denn sonst wäre einem das weitere ganz unverständlich. Gott also befahl dem Erzengel Michael dafür zu sorgen, daß dies büßende Weib bereits auf Erden alle Höllenqualen erdulden möge, um dann aller Sünden ledig im Paradiese seinen Einzug zu halten. Daher stieg Michael aus des Himmels Höhen hernieder zur Pforte der Hölle und lieferte die drei Seelen dem Teufel aus, indem er ihm Bertha, Johann und das Kind bezeichnete und sagte, er dürfe sie während ihres Erdenlebens nach Herzenslust quälen. Und da der Teufel durch Gottes Willen der Vater alles Übels ist, so erklärte er, er wolle schon dafür sorgen, daß des Erzengels Botschaft erfüllt würde. — Inzwischen ging hierneden das Leben seinen ruhigen Gang : Bastarnays zartes Weib gab dem schönsten Kindlein des Erdenrundes das Leben, einem Bengel wie Lilien und Rosen, hold wie ein wahres Jesuskindelein, lachend und schelmisch wie ein heidnischer Amor; er wurde Tag für Tag immer schöner, derweile sein älterer Bruder mählig die Affenfratze seines Vaters bekam und diesem am Ende zum Erschrecken ähnlich sah. Der Kleine aber glich seinem Vater und seiner Mutter, und die Vereinigung all der körperlichen und geistigen Vollkommenheiten dieser beiden schuf ein wahres Wunder an bezaubernder Anmut und blendendem Verstande. Und der Anblick dieses leibhaftigen Wunders ließ dem Herrn von Bastarnay oft sagen: er gäbe seine ewige Seligkeit gern daran, wenn er den jüngeren Sohn mit dem älteren vertauschen könnte, und er wolle versuchen, des Königs Gunst für einen solchen Rechtsakt zu erflehen. Bertha wußte nicht aus und ein, denn sie liebte den Sohn Johanns und hing nurmehr wenig an dem anderen Sohn, aber sie schützte gerade diesen immer vor den bösen Absichten ihres Ehemannes. Immerhin war sie mit dem Weg, den die Dinge nahmen, recht zufrieden, betäubte ihr Gewissen durch Lügen und meinte, daß alles gut sei, als bereits zwölf Jahre dahingegangen waren, ohne daß etwas anderes als banger Zweifel in ihrem Innersten ihre Freude am Dasein getrübt hätte. Jahr für Jahr, so wie sie es einander zugeschworen hatten, kam der Mönch aus Marmoustier, den niemand im Schlosse kannte als allein die Zofe, verbrachte den ganzen Tag dort und schaute sein Kind an. Schon mehrmals hatte Bertha ihn angefleht, er möge doch auf dies Recht verzichten. Aber dann wies Johann auf das Kind und sprach: »Du siehst ihn alle Tage und ich sehe ihn nur einmal jährlich!« Und dann fand sie kein Wort der Erwiderung.
Wenige Monate vor des Kronprinzen Ludwig letzter Erhebung wider seinen Vater war das Kind an der Schwelle seines zwölften Jahres angelangt und alles sprach dafür, daß es einmal ein großer Gelehrter werden würde, so wohl war es bereits in allen Wissenschaften beschlagen. Nie hatte sich der alte Bastarnay so sehr in seiner Vaterschaft gesonnt und so beschloß er, ihn nach Burgund zum Hofe mitzunehmen , allwo der Herzog Karl versprach, diesem viellieben Sohn zu einer Stellung zu verhelfen, um die ihn Prinzen beneiden sollten. Denn er wußte so kluge Menschen zu schätzen. Als denn alles solchermaßen in schönster Ordnung war, da — schien es dem Teufel an der Zeit, seine Tätigkeit aufzunehmen. Er nahm seinen Schwanz beim Wickel und tunkte ihn so hübsch mitten in all dieses Glück, um nach Herzenslust darin herumzuquirlen.
Die Zofe der Frau von Bastarnay, die damals just fünfunddreißig Jahr alt war, verliebte sich in einen der Mannen im Schlosse und war so dumm, ihn aus ihrem Ofen einige Brötlein holen zu lassen, so daß sie am Ende jene natürliche Schwellung erlitt, die manche Spaßvögel ›die neunmonatliche Bauchwassersucht‹ zu nennen pflegen. Das arme Ding bat seine Herrin kniefällig, bei ihrem Manne dahin zu vermitteln, daß er den Verführer zwänge, vor dem Altar zu Ende zu führen, was er im Bette begonnen hatte. Frau von Bastarnay konnte das bei ihrem Gatten leicht erreichen und so ging zunächst alles gut: der greise Haudegen, der immer noch ein verteufelt grober Kerl war, langte sich zunächst seinen Feldwaibel, ließ ein Unwetter auf seinen Kopf niederrasseln und drohte ihm mit dem Galgen, wenn er die Zofe nicht heiratete; und da der Mann letzten Endes mehr an seinem Halse als an seiner Ruhe hing, so war ihm letzterer Ausweg immerhin lieber. So ließ sich denn Bastarnay zum zweiten das Frauenzimmer kommen. Aber er hielt es der Ehre seines Hauses für recht zuträglich, wenn er ihr zunächst erst mal die Leviten läse und ihr in Form eines Blütenstraußes klangvoller Beinamen und prasselnder Donnerwetter zu verstehen gäbe, sie verdiene nicht zu heiraten, sondern gehöre zur Strafe ins Kerkerloch. Darob bildete sich das Weibsbild ein, ihre Herrin wollte sie abtun, um so das Geheimnis von der Geburt ihres Lieblingssohnes für immer zu begraben. Und wie ihr der alte Affe immer weitere Liebenswürdigkeiten sagte, wie etwa: man müßte ja ein Narr sein, solche Hure in seinem Hause zu behalten, da kreischte sie ihm ins Gesicht, er sei ein noch viel schlimmerer Narr, denn sein Weib sei schon seit langer Zeit verhurt und das habe noch dazu ein Mönch fertig gebracht (das war nämlich schon das schlimmste, was einem Kriegsmann widerfahren konnte). Stellt euch bitte das fürchterlichste Donnerwetter vor, das ihr in eurem Leben mit angesehen habt: das wäre immer noch das reinste Zephyrgesäusel gegen den flammensprühenden Wutausbruch, in den der Greis verfiel, den man mitten in die dreifachempfindlichste Stelle seines Herzens getroffen hatte. Er packte das Weibsstück an der Gurgel und hätte es auf der Stelle umgebracht, wenn selbiges ihm nicht alle Wie und Was dargelegt hätte, um sich reinzuwaschen. Zum Schluß sagte sie: wenn er ihr nicht glauben wolle, so brauche er sich nur ruhig aufs Ohr zu legen und bis zu dem Tage zu warten. wo Johann von Sacché ,der Prior von Marmoustier, wiederkäme; dann möge er sich nur verbergen und er könnte dann hören, wie der glückliche Vater sich von dem einjährigen Fasten erhole, wie er seinen Sohn einen Tag lang auf Vorrat für ein ganzes Jahr küsse. Darob befahl Imbert dem Weib, das Schloß auf der Stelle zu verlassen, denn gleichgültig, ob sie die Wahrheit sage oder lüge, er würde sie in jedem Falle töten. Einen Augenblick später aber gab er ihr hundert Gülden in die eine Hand, den Feldwaibel in die andere, verbot ihnen beiden, das Tourer Land fürder noch einmal zu betreten und ließ sie der Sicherheit halber gleich durch einen seiner Offiziere nach Burgund expedieren. Seiner Frau erzählte er dann,
er habe die beiden weggejagt, weil die Zofe ein verdorbenes Weibsstück sei, das nicht ins Haus gehöre. Er habe ihr aber hundert Gülden gegeben und ihrem Mann am Hofe von Burgund einen Posten verschafft. Bertha war zwar erstaunt, daß er die Zofe zum Teufel gejagt hatte ohne sie zu fragen, obwohl jene doch in ihren Diensten stand. Aber sie sagte nichts und bald hatte sie ihren Kopf mit anderen Sorgen voll, die ihr auf die Nägel brannten: denn der Hausherr änderte plötzlich seine Tonart, begann Vergleiche zwischen seinem viellieben jüngsten Sohne und sich selbst anzustellen: er, dem sein ältester so glich, fand bei dem anderen weder seine Nase, noch seine Stirn, noch dies, noch das.
»Er gleicht mir ganz und gar,« entgegnete Bertha eines Tages, da er wieder mit diesem Singsang anfing. »Wißt Ihr nicht, daß in guten Ehen die Söhne von Vater und Mutter gleichermaßen gemacht werden und doch der eine so, der andere so gerät? Einmal hat einer das Gesicht von einem der Eltern, dann wieder gleicht einer beiden, und manche Mutter rühmt sich, daß keines ihrer Kinder einem seiner Eltern gleicht und sagt dann, das Geheimnisvolle dabei sei die Folge göttlichen Willens.«
»Wie seid Ihr weise geworden, meine Liebe,« spottete Bastarnay. »Ich bin leider ganz unwissend und dachte immer, wenn ein Kind einem Mönche gleicht ...«
»Dann sei der Mönch der Vater?« setzte Bertha seine Frage fort und blickte ihm furchtlos ins Gesicht, obgleich es ihr wie Eis durch die Adern rann.
Ihr Mann vermeinte darob, er sei auf dem falschen Wege, und verfluchte die Zofe, aber sein Wunsch, die Sache aufzuklären, wurde nur um so glühender. Bertha hingegen war mißtrauisch geworden und schrieb an Johann, der in den nächsten Tagen kommen sollte: er möge dies Jahr wegbleiben, weshalb, das würde sie ihn später wissen lassen. Dann suchte sie die ›Dorfnärrin‹ in Losches auf und bat sie, diesen Brief dem Dom Johann zu bringen. So glaubte sie sich gerettet und war um so froher, als Imbert sonst um diese Zeit, wo das Mönchlein kam, zu seinen Gütern in der Provinz Maine reiste, diesmal aber nicht unter dem Vorgeben, die Vorbereitungen seien daran schuld, die der Herre Ludwig zum Aufstand wider seinen Vater traf. (Dieser ärmste starb bekanntlich aus Gram über selbigen Überfall.) Der Vorwand war so gut gewählt, daß Bertha darauf hineinfiel und sich in Ruhe wiegte. Als aber der bewußte Tag kam, da kam auch pünktlich der Prior. Bei seinem Anblick erblich Bertha und fragte ihn, ob er ihre Botschaft nicht erhalten habe.
»Welche Botschaft?« fragte Johann.
»So sind wir verloren, das Kind, du und ich,« ächzte sie.
»Warum?« fragte der Prior erstaunt.
»Ich weiß nicht! Ich weiß nur, daß nun unser Stündlein geschlagen hat!«
Sie fragte ihren Lieblingssohn, wo Bastarnay sei. Der Knabe erwiderte, sein Vater sei durch einen Eilboten nach Losches gerufen worden und würde nicht vor der Vesperstunde zurückkehren. Daraufhin erklärte Johann trotz aller Vorstellungen seiner Liebsten, er wolle bei ihr und seinem Söhnlein bleiben, denn er sei ganz sicher, daß man nach zwölf Jahren keinerlei Unheil mehr zu befürchten brauche. Wie immer an den Tagen, wo sie die Wiederkehr der ersten Liebesnacht begingen, verblieb die arme Bertha mit dem beklagenswerten Mönche in ihrem Zimmer bis zum Abendessen. Da nun aber Bertha diesmal so in Ängsten war und Johann auch davon angesteckt wurde, so nahmen sie die Mittagsmahlzeit früher ein. Immerhin suchte der Prior von Marmoustier Berthas Gemüt aufzurichten, indem er auf die Vorrechte der Kirche verwies und sie daran erinnerte, wie schlecht Bastarnay zurzeit bei Hofe angeschrieben sei und wie sehr er sich darum vor einer Gewalttat wider einen hochgestellten Mönch des Klosters hüten müsse. Dann setzten sie sich zu Tische, derweile der Knabe gerade beim Spielen war und trotz der wiederholten Mahnungen der Mutter nicht davon abließ, auf einem spanischen Hengste, einem Geschenk des Herrn Karl von Burgund, im Schloßhofe herumzutollen. Denn wie die Kleinen immer schon recht erwachsen scheinen wollen, so wollte auch dieser seinem Freund, dem Mönch, zeigen, wie groß er bereits sei: er ließ also den Hengst wie einen Floh auf dem Laken hin und her springen und blieb dabei mit einem Eigensinn, als sei er im Harnisch ergraut. »Laß ihm denn seinen Willen, du mein liebster Schatz,« sagte der Mönch zu Bertha. »Eigensinnige Kinder werden oft große, feste Charaktere.«
Bertha nippte nur am Essen, denn ihr Herz war aufgequollen wie ein nasser Schwamm. Der Mönch hingegen war ein gelehrter Mann und so merkte er gleich nach dem ersten Bissen etwas Verdächtiges in seinem Magen vorgehen und am Gaumen ein Prickeln und Zusammenziehen, wie von einem Gift. Sofort stieg ihm der Verdacht auf, daß der Herre von Bastarnay ihnen dreien das Essen vergiftet habe; aber schon hatte Bertha davon gegessen und so sprang der Mönch jählings auf, raffte das Tischtuch zusammen und warf es mit allem, was darauf stand, in den Herd. Zugleich enthüllte er Bertha seinen Verdacht. Diese dankte der heiligen Jungfrau dafür, daß ihr Sohn derart aufs Spielen versessen gewesen war. Johann aber behielt seine fünf Sinne gar fest beisammen, sprang, als sei er noch immer ein Page wie ehedem, in den Hof hinab, riß seinen Sohn von dem Hengst, warf sich selbst darauf und jagte nach Losches wie der Teufel. Gleich einer Sternschnuppe langte er dort an, suchte die Dorfnärrin auf, erzählte ihr in zwei Worten den Fall und bat sie um ein Gegenmittel gegen das Gift, davon ihm schon das Gedärm brannte. »Ach!« klagte die Hexe, »wenn ich gewußt hätte, daß dies Gift Euch galt, das ich da verkauft habe, dann hätte ich mir lieber die Kehle von dem Dolche durchbohren lassen, damit ich bedroht war, um solchermaßen mein Leben für das eines Gottesknechtes und das entzückendste Weib des Erdenrundes dahinzuopfern. Denn wißt, lieber Freund, mir bleibt nur dieser Rest, den ich von dem Gegengift in der Phiole hier habe.''
»Reicht es für sie?«
»Ja, aber sputet Euch!«
So sprengte der Mönch noch schneller zurück, als er zuvor hergejagt war, sodaß der Hengst im Schloßhof tot unter ihm zusammenbrach. Als er in das Zimmer stürzte, da fühlte er bereits sein Ende nahen: während er sein Kind küßte, wand er sich wie eine Eidechse im Feuer; aber er verbiß sich den rasenden Schmerz, vergaß im Gram über sie und über das Kind, die nun rettungslos dem Grimme Bastarnays ausgesetzt blieben, seine eigenen Qualen und rief Bertha zu: »Trink‹ schnell! mein Leben ist schon gerettet.« Und er hatte den stolzen Mut, sein Gesicht ruhig erscheinen zu lassen, während er schon die Krallen desTodes sein Herz umklammern fühlte. Kaum aber hatte sie getrunken, da brach er tot zusammen, nachdem er noch seinen Sohn ein letztes Mal geküßt, auf seine Liebste einen letzten Blick gerichtet hatte, der sich auch nicht abwandte, als Johann seinen letzten Seufzer ausgehaucht hatte. Ob dieses Anblickes erstarrte Bertha vor Entsetzen zu Marmelstein; bewegungslos blieb sie vor dem Toten stehen, der zu ihren Füßen lag und preßte nur die Hand ihres Kinder, das in Tränen ausbrach, derweile ihr Auge so trocken blieb wie das rote Meer damals, als die Juden unter Moses' Führung hindurchschritten: denn ihr war, als ob trockener Sand ihr die Lider brannte. Betet für sie, mitleidige Seelen, denn nie litt ein Weib ärgere Folterqualen als Bertha, da sie inne ward, daß ihr Freund sein Leben geopfert hatte, um das ihre zu retten. Ihr Sohn half ihr, den Mönch auf‹s Bett zu legen, kniete mit ihr zu Füßen der Leiche nieder und betete mit ihr, die ihm nunmehr sagte, daß dies sein wirklicher Vater gewesen war. Und solchermaßen harrte sie der Unglücksstunde, die nur allzu bald hereinbrach: denn gegen elf Uhr kam Bastarnay, dem am Gatter mitgeteilt wurde, der Mönch sei gestorben, nicht aber die Frau und das Kind. Dann erblickte er den toten Hengst und wutschnaubend, nur von dem einen Wunsch beseelt die beiden zu erschlagen, stürmte er mit zwei Sprüngen die Treppe hinaus. Als er dann aber den Toten sah und vor ihm sein Weib und den Knaben, die ihre Litaneien sprachen ohne auf seine wilden Vorwürfe und Drohungen, noch auf sein rasendes Gebaren zu achten, da schwand ihm der Mut, seine schwarze Missetat zu Ende zu führen. Als die erste Wut verraucht war, wurde er unentschlossen und stürmte im Saale auf und ab wie ein Mann, der auf schlimmen Wegen ertappt wurde und dem sein Gewissen zusetzt. Denn die Gebete, die jene ohn' jede Unterbrechung für den Mönch sprachen, gingen ihm an die Nieren. So verlief die Nacht unter Weinen, Wimmern und Beten. Die Schloßfrau hatte eilends eine Zofe nach Losches gesandt, die ihr ein Edelfrauengewand, dem Knaben ein Pferdlein und eine Knappenausrüstung kaufen mußte. Darob war der Herre Bastarnay arg verdutzt. Eilends ließ er sein Weib und das Kind des Mönches zu sich rufen, aber die beiden gaben gar keine Antwort, sondern machten sich mit den gekauften Sachen zu schaffen. Die gleiche Magd mußte auf Berthas Geheiß die Abrechnung für die Wirtschaft im Hause abschließen und ihrer Herrin Gewänder, Perlen, Geschmeide und Edelsteine so zurecht legen, wie man das tut, wenn eine Witwe auf all ihre Rechte verzichtet. Obendrauf mußte dann ihre Geldtasche gelegt werden, damit die Zeremonie vollständig war; und bald wußte das ganze Haus, was sich begab: alle sahen dann auch, wie die Schloßfrau von dem Hause Abschied nahm und darob wurden aller Herzen von tiefer Trauer bewegt — selbst ein kleiner Balg, der erst in dieser Woche zur Welt gekommen war, heulte aus Leibeskräften, sintemalen ihm die Schloßfrau auch schon ein freundlichesWort gesagt hatte. Der alte Bastarnay aber war über diese Vorbereitungen einfach aus dem Häuschen vor Entsetzen; er lief in das Zimmer seines Weibes und fand sie schluchzend bei der Leiche Johanns, denn die Tränen waren ihr endlich wiedergekommen. Aber als sie ihren Mann sah, trocknete sie ihre Augen und auf seine zahllosen Fragen antwortete sie nur kurz mit dem Geständnis ihrer Schuld; sagte ihm, wie sie überlistet worden, wie der arme Edelknabe darüber in Verzweiflung geraten war; zeigte die Narbe auf seiner Brust. beschrieb die langsame Heilung und erzählte dann, wie er aus Gehorsam zu ihr und aus reuiger Zerknirschung sein stolzes Leben als Rittersmann gelassen hatte und in ein Kloster gegangen war ; wie sie zwar seine (Bastarnays) Ehre zu rächen willens gewesen sei, aber dennoch bedacht habe, daß Gott selbst diesem Manne nicht verweigert haben würde, einmal jährlich seinen Sohn zu sehen, dem er alles opferte, und daß sie nicht mit einem Mörder unter einem Dache leben wolle, deshalb sein Haus verließe und all ihr Gut dalasse; fände er, daß der Bastarnay Ehre beschmutzt sei, so möge er bedenken, daß er selbst es sei, der seinem Hause Schande gemacht habe, indem sie ja alles getan hätte, um das Unheil wieder gut zu machen; und dann enthüllte sie ihm endlich, daß sie mit ihrem Sohne eine Wallfahrt über Berg und Tal machen wolle, bis alle Schuld gesühnt sei, maßen sie sehr wohl wisse, wie sie Buße zu tun habe.
Nachdem sie solch schöne Worte bleich und voll Adel gesprochen hatte, nahm sie ihren Sohn bei der Hand und ging hinaus, und in ihrem tiefen Grame war sie noch erhabener, noch schöner als Hagar, als sie von dem greisen Patriarchen Abraham hinwegging. Ja, sie schaute sogar ehrfurchtgebietend aus, daß die Hausleute niederknieten, als sie vorbeischritt, und die Hände gefaltet zu ihr emporhoben wie zu Unserer Lieben Fraue. Wie gar kläglich schaute dagegen der Herre von Bastarnay aus, als er weinend hinterdreinging , sintemalen er ja nun seine Schuld eingesehen hatte und so verzweifelt war wie ein Mann, den man zur Hinrichtung auf das Blutgerüst schleppt.
Bertha wollte nichts hören. In ihrem Grame beschleunigte sie sogar den Schritt, als sie die Zugbrücke niedergelassen fand, um sie noch schnell zu überschreiten, so sehr fürchtete sie, man könne die Brücke plötzlich hochziehen. Dann machte sie am Grabengeländer halt, während alle Schloßbewohner auf sie hinblickten und sie unter Tränen baten zu bleiben; und vornan stand der arme Ehemann, aufrecht die Hand auf den Gatterpfosten gestützt und stumm in seinem Schmerze wie einer der Heiligen aus Stein, die in den Mauernischen des Vorhofes standen. Aber er mußte mitansehen, wie der Knabe auf Berthas Geheiß bei der Brücke den Staub von seinen Schuhen schüttelte, um damit zu besagen, daß er mit den Bastarnays nichts mehr zu tun habe. Und gleichermaßen tat Bertha, die sodann voller Würde auf ihren Mann wies und zu ihrem Sohne folgendermaßen sprach:
»Dies, mein Kind, ist der Mörder deines Vaters, welch letzterer, wie du weißt, ein armer Prior war. So kam es, daß du jenes Mannes Namen annähmest: Darum sieh zu, daß du ihm dereinst seinen Namen zurückgibst so wie du hier den Staub seines Grund und Bodens von deinen Schuhen geschüttelt hast. Was deines Leibes Nahrung und Unterhalt bis heute ausmachte, das werden wir, so Gott will, gleichermaßen mit seiner Hilfe zurückbezahlen.«
Ob dieser vorwurfsvollen Worte hätte der alte Bastarnay seinem Weibe gern ein ganzes Kloster voller Mönche gegönnt, wenn nur dafür sie und der Knabe bei ihm geblieben wären. So stand er gebeugten Hauptes wider den Pfosten gelehnt da, während Bertha fortfuhr, ohne sich ihre Worte recht klar zu machen: »Du Dämon, bist du nun zufrieden? Mögen diesem zusammenbrechenden Hause denn fortan Gott, die Heiligen und alle Engel beistehen, zu denen ich immer so heiß gebetet habe!«
Und dann füllte sich ihr Herz mit heiligem Troste, denn sie sah das Klosterbanner an der Wegbiegung hinter dem Ackerfeld hervortauchen, und schon erklangen die Kirchengesänge wie himmlische Musik. Die Mönche hatten nämlich ihres viellieben Priors Ermordung erfahren und kamen nun in feierlichem Zuge, um seine Leiche zu holen, und mit ihnen kamen die Kirchenrichter. Kaum sah das der Herre von Bastarnay, da warf er sich aufs Roß, und er hatte gerade noch Zeit, mit seinen Mannen durch das Ausfallstor davonzujagen und zum Herrn Ludwig zu enteilen, indem er alles im Stich ließ. Die arme Bertha wanderte, auf ihren Sohn gestützt, nach Montbazon, um dort von ihrem Vater Abschied zu nehmen, sintemalen sie von diesem Schicksalsschlage zu sterben erwartete. Aber ihre Familie tröstete sie und alle waren, wenn auch ohne großen Erfolg, bemüht, ihren Lebensmut wieder zu heben. Der alte Herre von Rohan steckte seinen Enkelsohn in ein schmuckes Gewaffen und hieß ihn seine reichen Gaben wohl zu verwenden, um Ruhm und Ehre zu gewinnen und solchermaßen seiner Mutter Schuld in ewiges Glück umzuwandeln. Auch des Knaben Mutter wiederholte ihm immer und immer von neuem, er müsse alles wieder gut machen, um solchermaßen sie und Johann vor ewiger Verdammnis zu erretten. So zogen denn beide in die Gegend, wo der Aufstand tobte, denn sie ließen sich von dem Wunsche leiten, dem Herrn von Bastarnay einen Dienst zu erweisen, der ihm noch mehr wert sei, als sein Leben. Nun weiß jeder, daß die Flamme des Aufruhrs am stärksten um Engoulesme und Bordeaux in Guyenne loderte. Die Hauptschlacht die den Krieg entschied, wurde zwischen Ruffec und Engoulesme geschlagen, allwo man auch die Gefangenen henkte und hinrichtete. In dieser Schlacht führte Bastarnay den Oberbefehl und sie fand etwa im November, das heißt sieben Monate nach Johanns Ermordung statt. Der greise Edelmann wußte, daß man auf seinen Kopf einen Preis ausgesetzt hatte, weil er des Herrn Ludwig hauptsächlichster Ratgeber war. Und richtig: als feine Leute sich verirrt hatten, sah er sich plötzlich von sechs Gewappneten umdrängt, die ihn gefangen zunehmen trachteten. Alsbald begriff er, daß man ihn lebend ergreifen wollte, um ihm den Prozeß zu machen, sein Eigen mit Beschlag zu belegen und seinen Namen zu Schanden zu machen. Der Ärmste wollte natürlich lieber sterben, wenn er nur dadurch seine Familie retten und seine Habe seinem Sohne hinterlassen konnte. So verteidigte er sich denn mit seinem ganzen Löwenmute, und trotz ihrer Übermacht sahen die Gegner bereits drei der ihren fallen.
Schließlich beschlossen sie, ihn niederzuschlagen auf die Gefahr hin, daß er dabei getötet würde. Schon hatten sie seine zwei Knappen und einen Pagen erschlagen, schon warfen sie sich zu dritt gleichzeitig auf ihn, als plötzlich ein Knappe mit dem Wappen derer von Rohan wie ein Blitz auf die Mörder einstürmte, zwei tötete und sich mit dem Rufe: »Gott errette die Bastarnays!« wider den dritten wandte. Der saß dem alten Bastarnay bereits am Kragen; aber der Knappe setzte ihm so zu, daß er von jenem ablassen mußte, sich jetzt wider diesen wandte und ihm den Dolch in das Halsstück des Harnisches bohrte. Bastarnay war ein viel zu wackerer Kämpe, als daß er geflohen wäre, ohne dem Retter seines Namens und seines Lebens beizustehen. Mit einem Hiebe seines Streitkolbens schmetterte er den Angreifer nieder, und als er den Knappen sterbend niedersinken sah, da riß er ihn quer über den Sattel und jagte zum Schlosse Roche-Foucauld, das ihm ein Mann wies. Es war bereits Nacht, als er dort anlangte. Im Saale aber fand er Bertha, die ihm diesen Zufluchtsort hatte zeigen lassen; und als er nun seinem Retter das Visier abnahm, da erkannte er den Sohn Johann's, der nur noch seine Mutter küssen und ihr zurufen konnte: »Mutter, unsere Schuld an ihm ist getilgt!« und dann brach er tot zusammen.
Die Mutter aber warf sich ob dieser Worte über ihren Sohn und küßte ihn und ward für immer mit ihm vereinigt, denn sie gab vor Schmerz ihren Geist auf und verschied, ohne Bastarnays Reue und Verzeihung abzuwarten.
Dies seltsame Mißgeschick beschleunigte so sehr das Ende des armen Edelmannes, daß er die Thronbesteigung des guten Königs Ludwigs des Elften nicht mehr erlebte. Er stiftete eine tägliche Seelenmesse in der Kirche von Roche-Foucauld, woselbst er in das gleiche Grab Sohn und Mutter beisetzen ließ und verfaßte eine Grabinschrift, die in wohlgesetzten lateinischen Worten beider Tugenden preist.
Daraus mag jedermann gar vielerlei gute Ratschläge ableiten; vor allem, daß Edelleute ihrer Frauen Liebste höflich behandeln sollen, des ferneren aber, daß alle Kinder von Gott verliehene Schätze sind und daß kein Vater, mag er nun der richtige sein oder nicht, das Recht haben darf, Mordtaten deshalb zu begehen, wie dies einstens im heidnischen Rom ein schändliches Gesetz erlaubte. Denn so etwas paßt nicht zu unserem Christentum, wo wir alle Kinder Gottes sind.