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Einstens war der hochedle Herr Bruyn der das Schloß zu Roche-Corbon-lez-Vouvray an der Loire erbaute, ein übler Kumpan. Schon als Kiekindiewelt jagte er den Jüngferlein nach und übte das ›Fensterln‹ und als gar sein Vater dahinschied, da ward er vollends ein Satansbraten, wie er im Buche steht. Ob der Art, wie er sein Geld verpraßte, verlumpte und verhurte, sah er sich bald von anständigen Menschen gemieden und auf die Freundschaft von Wucherern und Halsabschneidern angewiesen. Doch auch die wurden mordsmäßig widerborstig, als sich herausstellte, daß die ›Rupes Carbonis‹ als Königslehen unantastbar war, und somit nur die Herrschaft Roche-Corbon als Pfand dienen konnte. So war Bruyn auf dem besten Wege, sich zum Strauchdiebe zu entwickeln, hätte ihm nicht darob eines Tages sein Nachbar, der Abt von Marmoustier, grambeschwert ins Gewissen geredet: sicherlich wäre ja ein derartiges Leben ein erfreulicher Beweis ritterlicher Tugenden, doch wäre es am Ende immerhin würdiger, wenn er zum Preise Gottes wider die Muselmänner das Schwert zücke, die das heilige Land verschandelten. Dann würde er zudem einst reichbeladen mit Schätzen und Ablässen heimkehren oder aber ins Paradies eingehen.
Dem wackeren Bruyn ging der kluge Vorschlag gar trefflich ein und vom Kloster gewappnet vom Abt gesegnet, machte er sich alsbald zur Freude seiner Nachbarn auf die Reise. Und nun ward gar manche Stadt in Asien und Afrika von ihm rücksichtslos gebrandschatzt und er metzelte nieder, was ihm unter die Klinge kam, gleichgültig ob Freund, ob Feind, Sarazenen, Griechen, Engelländer und anderes Volk. Solchermaßen war er für Gott, den König und sich selbst gar eifrig besorgt und schuf sich den Ruf eines guten Christen und getreuen Edelmannes. Schließlich aber bekam er die Sache doch satt und kehrte zum allgemeinen Staunen, schwer beladen mit Gold und Schätzen von seinem Kreuzzuge heim. König Philipp machte ihn zum Grafen und Seneschall und nunmehr ward Bruyn allenthalben geliebt und geehrt, zumal er neben seinen sonstigen Tugenden auch seine Frömmigkeit durch die Gründung der Kirche von Carmes-Deschaulx bewies. Aus dem üblen Nichtsnutz war eben ein gesetzter Mann geworden, des Glatze mählig und in Würden wuchs. Die Säle seines wundervollen alten Schloßes am Ufer der Loire wurden mit königlichem Prunk ausgestattet und mit morgenländischem Hausrat, Schmuck und Ziergerät prächtig geschmückt. Die reichen Ländereien, Mühlen und Gewässer brachten nun überreiche Erträge und das Volk schwelgte fügsam in wohliger Ruhe, maßen er es vor den Wegelagerern und Schnappsäcken schützte, auf die er äußerst scharf war: denn er wußte ja aus eigner Erfahrung, was dieses verdammte Raubzeug für Schaden stiften konnte. Wenn er mal jemand aufknüpfen ließ, so geschah das also um der lieben Gerechtigkeit willen und selbst die Juden ließ er nur dann zur Ader, wenn sie bereits am erwucherten Gelde schier erstickten. Solchermaßen erwarb er sich natürlich die Liebe und Achtung von Groß und Klein. Da begab es sich einmal, daß eine Bande Zigeuner in der Kirche St.-Martin heiliges Gerät stahl und obendrein zum Spott und Hohn für unseren wahren Glauben an der Stelle, da sich das Bild Unserer Lieben Fraue befunden hatte, ein verflixt schönes, blutjunges, splitterfaselnacktes Mädel zurückließ. Ob dieser unerhörten Freveltat beschlossen gleichermaßen die Vertreter des Königs wie die der Kirche, daß die Maurin für alle andern mitbüßen und dieserthalben auf dem Marktplatze lebendigen Leibes verbrannt werden solle. Aber der biedere Herr Bruyn erwies in hastiger Widerrede daß es bei weitem gottgefälliger sei, diese schwarze Seele für den wahren Glauben zu retten; und stäke wirklich der Teufel hartnäckig in diesem Mädchenkörper, dann würden ihm ja doch die Flammen des Scheiterhaufens nichts anhaben. Das fand der Herr Erzbischof über die Maßen fromm und christlich, also daß er ihm beipflichtete. Den Damen aber und den andern wohlgestellten Leuten, die da murrten, daß sie um solch schönes Schauspiel gebracht werden sollten, entgegnete der Seneschall: wenn die Heidin sanftselig in den Schoß der christlichen Kirche einginge, so gäbe das den Anlaß zu einem weitaus schöneren Feste, und er werde dann für wahrhaft königlichen Prunk sorgen, werde selbst Taufpate sein, und mit ihm eine holde Jungfrau als Gevatterin, maßen er ja selbst unbeweibt sei.
Die Maurin wählte nicht lange zwischen Taufe und Scheiterhaufen. Es dünkte ihr doch schöner, als Christin zu leben, denn als Zigeunerin verbrannt zu werden. Aber indem sie sich den glühenden Qualen weniger Augenblicke entzog, lieferte sie sich schlimmeren für ihr ganzes Leben aus: um nämlich ihrer Bekehrung ganz sicher zu sein, steckte man sie in ein benachbartes Kloster und nahm ihr das Gelübde der Keuschheit ab. Die angekündigte Festivität aber fand im Palaste des Erzbischofes statt, allwo zum Preise des Erlösers getanzt, gesprungen und getafelt wurde, daß es nur so eine Freude war. – Der gute alte Seneschall hatte als Gevatterin die Tochter des edlen Herrn von Azay-le-Ridel erkoren, der fern vor Acre einem Sarazenen in die Hände gefallen war. Um das geforderte fürstlich-hohe Lösegeld aufzutreiben, hatte sein Weib ihr Hab und Gut verpfändet oder hingegeben und nun harrte sie ihres Gemahls in einer ratzekahlen Stadtwohnung, doch stolz wie die Königin von Saba. Just um ihr gleichsam unvermerkt unter die Arme zu greifen, hatte der Seneschall das Töchterlein als Patin erwählt, und so gedachte er, seiner holden Gevatterin eine schwere güldene Kette, die er in Zypern erbeutet hatte, um den Hals zu hängen. Als er aber besagte Blanche von Azay eine Pavane tanzen sah (denn obgleich die Maurin bei diesem letzten Tanze ihres Lebens sich im Wirbeln, Springen und Biegen schier selbst übertraf, trug Blanche doch durch ihre jungfräuliche Anmut nach dem einstimmigen Urteil aller den Sieg davon). da blieb es nicht bei der Kette und Bruyn gab sich mit Gut und Habe, Haut und Haaren ihr zu Eigen.
Denn plötzlich ward er inne, daß seinem Heim ein Weib fehlte, und das warf ihn in tiefe Betrübnis. Was war denn ein Schloß ohne Schloßherrin? – ein Klöppel ohne Glocke! Und stracks beschloß er, sie zu ehelichen, und das um so bälder, als er auf ein allzulanges Erdendasein kaum mehr hoffen konnte. Doch dachte er im Grunde wenig an die achtzig Jahre, die seines Lebens Baum schon genugsam entblättert hatten. Vielmehr fand er seine Augen klar genug, um seiner Gevatterin Reize sich darin spiegeln zu lassen. Und als selbige, so wie ihre Mutter es ihr geheißen hatte, sich ihm in Blicken und Gebärden gar zutunlich zeigte, da schlug er vollends alles in den Wind und hub an, zunächst ihre Hand zu küssen, und dann immer mehr, den Nacken und – Hals . . . etwas tief, meinte der Erzbischof, der sie acht Tage später traute. Und die Hochzeit war schön, das schönste dabei aber war die Braut.
Blanche war wunderzart und frisch wie kaum eine; und dabei ein spiegelblinkes Jüngferlein, das von Liebesdingen auch nicht den Schimmer einer Ahnung hatte, das sich nicht träumen ließ, wozu so ein Bett alles gut sein könne und vermeinte, daß die Kindelein vom Storch gebracht würden. Denn so hatte ihre Mutter sie in aller Unschuldigkeit erzogen. – Was nun diese betraf, so bekam sie nach der Hochzeit eine ansehnliche Summe, mit der sie sich stracks nach Acre auf den Weg machte. Und sie erwies sich auch als eine überaus getreue Gattin. Denn als sie ihren Mann losgekauft hatte, stellte es sich heraus, daß er aussätzig war: aber sie betreute ihn so wohl, daß er dank ihrer Pflege wieder gesundete.
Als die Hochzeitsfeier (die zur bassen Freude der Gäste drei Tage währte) zu Ende war, trug Bruyn sein junges Weib nach damaliger Sitte feierlich aufs Ehebett, das vom Abte gesegnet wurde. Alsdann streckte sich der neugebackene Ehemann ihr zur Seite hin. Und wie er nun so salbenduftend bei ihr ruhte, da küßte er zunächst ihre Stirn, dann das blinke, zarte Brüstelein . . . und weiter tat er nichts. Denn der alte Knickstiefel hatte sich weit überschätzt, als er geglaubt hatte, noch sonstiges leisten zu können. Zwar stärkte er sich mit dem Hochzeitstrunke, der dem Brauche gemäß in güldenem Pokale neben ihm stund; aber der wärmte ihm nur den Magen, ohne seiner Manneskraft auf die Beine zu helfen. Blanche ahnte natürlich nichts von diesem Mangel ehelicher Pflichterfüllung da sie von einer Heirat nichts anderes erwarten konnte als Prunk und Schmuck, Ehre und angenehme Stellung. Solchermaßen ergötzte sie sich baß an der reichen Pracht des Bettes, allwo ihre Jungfräulichkeit hätte begraben werden sollen, derweile jener zu spät seine Schuld begriff und törig auf die Zukunft vertraute, die doch nur Tag für Tag mehr von dem zerstören mußte, was heute schon nicht mehr den geringsten Ansprüchen gewachsen war. So füllte er einstweilen die Bresche mit lockenden Worten und versprach unter zartem Geplauder seinem Weiblein die Schlüssel für Kisten und Kasten, ja die unbeschränkte Herrschaft über Haus und Hof und alle Güter. Und sie hielt ihn darob für einen Musterehemann und schwärmte noch frohgemuter über das schöne Brokatbett, derweile sie sich aufsetzte und ihn anlächelte. Als nun aber der gerissene Alte merkte, daß sie zärtlich werden wollte, ward ihm bänglich zu Mute. Denn Jungfern waren ihm noch nicht viele über den Weg gelaufen und seine Erfahrung erstreckte sich auf lockere Dirnen, deren Tätscheln, Küssen und Liebkosen ihm einstmalen recht wohl getan hatte, jetzt aber eiskalt gelassen hätte. Somit retirierte er sich angstvoll zum Bettrande und sagte zu seiner leckeren Bettgenossin: »Ja, siehst du, mein Schatz, nun bist du Seneschallin, und was für eine!«
»Ach nein,« meinte sie.
»Wieso, nein?« bangte er, »Du bist doch mein Weib!«
»Keineswegs. . . Erst muß ich noch ein Kind haben.«
»Sahst du die Wiesen?« lenkte er ab, »die sind dein.«
»Ei,« lachte sie, »wie werde ich dort Schmetterlinge haschen. Aber gebt mir doch auch einen Schluck von dem Trunk da, den uns der Schenk so sorglich gebraut hat.«
»Wozu denn, Liebchen. Der erhitzt dich nur.«
»Doch möchte ich,« schmollte sie, »denn ich will Euch schnellstens ein Kind bescheren und weiß sehr wohl, wozu der Trank gut ist.«
»Oho, du Kleinchen,« sagte der Seneschall, der hierin ihre engelsreine Unschuld erkannte, »dazu bedarf es zuvörderst Gottes Willen und zudem muß die Frau reif sein..«
»Und wenn werde ich dazu reif sein?« lächelte sie.
»Wenn es die Natur will,« lachte er zurück.
»Was kann man denn dafür tun?«
»O dazu gehört eine sehr gefährliche kabbalistisch-alchymistische Operation.«
»Aha,« meinte sie nachdenklich, »darum weinte auch meine Mutter beim Abschied so. Aber meine Freundin Bertha, die sich doch als Frau so wohlfühlt, meinte, das sei alles kinderleicht.«
»Das kommt aufs Alter an,« wand sich der greise Knabe. »Und zudem müssen beide Gatten vor Gott schuldlos dastehen, sonst wird das Kind ein arger Sündenlümmel. Darum lassen wir ja auch die Betten segnen, wie es hier der Herr Abt getan hat. . . Hast du die Gebote der Kirche nicht übertreten?«
»O nein,« ereiferte sie sich, »vor der Messe bekam ich Absolution und seitdem habe ich nicht die kleinste Sünde begangen.«
»Ja siehst du, aber ich habe geflucht wie ein Heide.«
»Ach – aber weshalb denn?«
»Weil der Tanz kein Ende nahm und ich dich deshalb nicht hierher tragen und abküssen konnte.« Und damit nahm der alte Fuchs zärtlich ihre Händchen, die er drückte und schleckte, derweile er ihr unschuldige Schmeicheleien zuraunte, die sie erfreuten und ganz ablenkten. Dann aber machte sich die Müdigkeit vom Tanz und den Feierlichkeiten bei ihr geltend, also daß sie sich bequem hinstreckte und nur sagte: »Morgen werde ich schon aufpassen, daß Ihr nicht mehr sündigt.« Und damit schlief sie ein.
Der alte Knabe aber genoß weiter den Rausch ihrer blinken Schönheit und zarten Anmut. Nur der Gedanke quälte ihn, wie er sie in ihrer Unschuld erhalten könne. Wohl ahnte ihm dunkel, daß die Sache einmal schlimm ausgehen würde, doch beschloß er, dies holde Kleinod nach Kräften zu hüten, und tränenden Auges küßte er ihr güldenes Haar, die Wimpern und den frischen, roten Mund – jedoch sachte, um sie nicht aufzuwecken. Und dann klagte er ob der Verwüstungen, die das Alter bei ihm angerichtet hatte und darüber, daß er nun eine Nuß knacken sollte, wo er doch keine Zähne mehr hatte, sie aufzubeißen.
Während der ersten Tage ihrer Ehe erdachte der Seneschall solchermaßen die hahnebüchensten Märchen, um sein Ehegesponst hinters Licht zu führen und bei ihrer beneidenswerten Unschuld fanden seine Lügen ein gläubiges Ohr. Und allgemach sagte sich Blanche, daß sie mit ihrem Gefrage dem biederen Greise lästig würde, indem er doch ob seines Alters genugsam Erfahrung haben müsse und daher sicherlich recht habe. Somit gab sie die Sache auf und dachte nur noch im Stillen an das Kindelein, nach dem ihr ganzes Trachten stand – das heißt, dieser Gedanke ließ ihr im Grunde keine Minute Ruhe, wie denn eben eine Frau, die sich etwas in den Kopf gesetzt hat, nicht eher zufrieden ist, bis sie das auch erreicht hat. Und Bruyn ging um die Kinderfrage herum wie die Katze um den heißen Brei. Eines Abends aber brachte er selbst die Rede darauf, als er von einem Bengel sprach, den er am Morgen wegen übler Streiche hatte verurteilen müssen. Und daran knüpfte er die Betrachtung: sicherlich stamme dieser Bengel von Eltern, die sich mit Todsünden beladen hätten.
»Ach,« meinte Blanche, »wolltet Ihr mir doch eines bescheren, auch ehe Ihr von Sünden frei seid, ich würde es so wohl anleiten, daß Ihr mit ihm zufrieden wäret.«
Da ward der Graf inne daß dieser glühende Wunsch sich bei seinem Weibe festgefressen hatte und es höchste Zeit war, wider ihre Jungfernschaft zu Felde zu ziehen, um sie zu meistern, zu vernichten oder einzuschläfern und so auszulöschen.
»Wie willst du denn Mutter werden, Liebste,« hub er an, »solange du die Würden deines Standes noch nicht kennst, noch sie zu üben gewohnt bist, wie sichs geziemt?!«
»Ach so!« entgegnete sie. »Um wahrhaft Gräfin zu werden und ein Gräflein zur Welt zu bringen, muß ich die vornehme Dame spielen? Das will ich gern und gehörig!«
Und fortan hetzte Blanche Hirsch und Hindin, setzte über Gräben, jagte auf ihrem Zelter über Berg und Tal, durch Wald und Wiesen, und ergötzte sich an den Freuden der Falkenjagd. Das hatte der Seneschall just gewünscht aber für Blanche hatte es die Folge, daß ihr Sehnen nur wuchs, gleich wie bei einer Nonne hinter Klostermauern. Und derweile sie derart herumtollte, gewahrte sie zudem das Liebesspiel der Vöglein und Tiere und lernte so in dem geheimnisvollen Buche der Natur zu lesen, und ihr Blut, das sich immer mehr erhitzte, tat das seine, um ihr die Lösung dieses alchymistischen Rätsels zu erleichtern. So ward dem alten Knacker mählig klar, daß er sich verrechnet hatte und nun erst recht auf glühende Kohlen gebettet war. Bald wußte er nicht mehr aus und ein und begriff, daß er in diesem Kampfe unterliegen müsse. Nur hoffte er mit Gottes Hilfe dieser argen Wunde wenigstens bei Lebzeiten zu entgehen und beschloß, alles seinen Gang gehen zu lassen und besagte Jungfrauenschaft fortan in Frieden zu lassen, indem er einiges auf die fromme Schamhaftigkeit und Ehrbarkeit seiner Eheliebsten baute. Immerhin schlief er doch nur mehr mit einem Auge, maßen er recht gut einsah, daß Gott die Jungfernschaft eigentlich geschaffen habe, damit man ihr einmal den Garaus mache wie etwa einem Rebhuhn.
Als es nun eines Morgens derart goß, daß nur die Schnecken sich aus ihrem Hause wagten, und somit just das rechte Wetter war. um trüben Gedanken und stillen Träumen nachzugehen, saß Blanche nachdenklich daheim auf weichem Pfühle. Und da es keinen Feuertrunk noch Reizetrank gibt, der eindringlicher wirkt als jene zarte Wärme, die aus inem Polster in den Leib eines Jungfräuleins sacht hineinstrahlt, so begann die Gräfin unvermerkt von ihrer Jungfernschaft gezwickt zu werden, also daß ihr der Kopf heiß ward und alles kribbelte. Der wackere Greis gewahrte voll Unmutes ihr sehnsüchtiges Grübeln, und um in ehelichem Übereifer ihre trüben Gedanken fortzuscheuchen hub er an: »Was quält dich, Liebchen?«
»Ach – die Schande!«
»Wer denn wagt es, dich zu beschimpfen?«
»Ist es etwa keine Schande, daß ich kinderlos bleibe und Euch mit keinem Leibeserben beschenke? Bin ich denn so ohne Kind überhaupt ein Eheweib? Nein, nein. . . Seht nur: alle Nachbarinnen haben welche, und ich – habe ich nicht dafür geheiratet, und hättet Ihr mir nicht längst eines schenken können?! Ach, hätte ich doch nur wenigstens ein Stücklein von einem Kinde wie würde ich es herzen und küssen, hegen und pflegen, und tagaus tagein hüpfen und spielen lassen gleich den andern allen.«
»Aber würden die Frauen nicht so leicht im Kindbett sterben und wärest du nicht noch viel zu zart und jugendschlank, dann würdest du längst Mutter sein!« rief der Seneschall, dem ihr Wortschwall an die Nieren ging. »Vielleicht wollen wir lieber ein fertiges kaufen? Das würde dich nicht so viel Qual und Schmerzen kosten.«
»Oh, die will ich ja gern erdulden, denn sonst würde es doch nicht unser rechtes Kind werden. Ich weiß sehr wohl, daß es aus mir heraus erstehen muß, maßen doch in der Kirche gesagt wird, Jesus sei die Frucht von Mariens Leibe.«
»Nun, dann wollen wir zu Gott beten, daß es also geschehe,« ächzte der Seneschal, »und zudem wollen wir zu der heiligen Jungfrau in Esgrignolles wallfahren. Schon manche Dame sah ihren Wunsch erfüllt, nachdem sie dorten ihre neuntägige Andacht gehalten hatte. Das wird auch bei uns zum Ziele führen.«
So machte sich denn Blanche bereits am gleichen Tage zu Unserer Lieben Frau nach Esgrignolles auf. Gleich einer Königin saß sie in einem grünen, goldbestickten Samtgewande, dessen Ausschnitt ihre Brust erschimmern ließ, auf ihrem Zelter. Prunkendes Geschmeide zierte ihren Hut und den güldenen Gürtel ob ihren schlanken Hüften und den ganzen Schmuck wollte sie der Jungfrau darbringen an dem Tage, da sie vom Wochenbette wieder erstünde. – Vor ihr trabte der Herre vonMontsoreau, blinkäugig wie einBussard, und sorgte dafür, daß nichts der Reiterschar in die Quere kam oder sie behelligte. Der Seneschall, der nahebei ritt, war ob der Hitze selbigen Augusttages eingedröselt und schwankte daher auf dem Sattel wie ein Diadem auf dem Kopfe einer Kuh. Wie nun eine Bäuerin, die am Wege auf einem Baumstümpfe hockte, solch altes Gerippe neben einer so lebensfrischen, anmutsvollen Maid erblickte, da fragte sie ein altes Lumpenweib, das ächzend ein paar Halme auflas: ob jene Prinzessin da im Begriffe sei, den Gevatter Tod ins Jenseits zu geleiten. »I wo,« gnauzte die Alte, »das ist ja die Schloßfrau von Roche-Corbon, die für ein Kindlein eine Wallfahrt macht.«
»Hahaha,« lachte die Bauerndirne mit pfiffigem Gesicht. Und dann wies sie auf den Rittersmann, der vorneweg trabte und rief: »Wenn sie sich an den da hielte, könnte sie sich Kerze und Gelübde sparen.«
»Ach, du loses Dingelchen,« meinte die Bettlerin »ich wundere mich vielmehr daß sie nach Esgrignolles wallfahrt, wo doch alle Pfaffen so gar häßlich sind. Würde sie lieber in der schattigen Kühle des Klosters zu Marmoustiers rasten, dann wäre sie bald gesegneten Leibes, denn dort versteht man das Handwerk.«
»Laßt doch das Pfaffengesindel,« rief eine andere dazwischen, »dort der Herre von Montsoreau ist genügend feurig und schmuck, um den natürlichen Weg zum Herzen der Dame zu finden.«
Und alle lachten hell heraus. Der Herre von Montsoreau wollte sie stracks für ihre losen Worte an der nächstbesten Linde aufknüpfen lassen, aber Blanche rief eifrig dazwischen: »Nicht doch! Sie haben noch nicht alles gesagt, und wenn wir zurückkommen, werden wir den Rest hören!«
Dann wurde sie knallrot und der Herre vonMontsoreau durchglühte sie mit einem Blicke, als wollte er sie auf einen Hieb mit allen Liebesenthüllungen spicken. Aber die Reden der Bauernweiber hatten schon das ihre getan und es fiel wie Schuppen von ihren Augen. Nun war ihre Jungfernschaft gleich einem Stücklein Zunder und ein einzig Wort mußte genügen, um sie hellauf-flammen zu lassen. So ward Blanche jach des Unterschiedes inne, der zwischen ihrem Ehekrüppel und besagtem Edelmanne, dem jungen Gauttier, bestand welchselben seine dreiundzwanzig Jahre recht wenig bedrückten, also daß er strick und stramm im Sattel saß und so frisch ausschaute wie der junge Morgen.
Alles das bedachte die Frau Seneschallin so wohl, daß sie bei der Ankunft in Tours bereits in den Herrn Gauttier bis über die Ohren verliebt war, wie es eben nur ein armes Jüngferlein sein konnte. Ja, es war eine wahrhaftige Jungfernliebe, die sie derart blendete, daß sie ihr altes Ehegesponst gar nicht mehr sah, sondern nur noch den jungen Rittersmann, der so gesundheitstrotzend prangte wie ein Pfaffenkinn. – Der Alte erwachte erst bei dem Hallo der gaffenden Menge, derweile man pomphaften Einzug hielt. Blanche begab sich zu der Kapelle. allwo man um Kinder zu beten pflegte, und betrat sie der Sitte gemäß allein während der Seneschall nebst Gefolge und mit ihnen die Gaffer vor dem Gatter warteten. Als nun der Priester herzutrat, fragte sie ihn, ob es viele kinderlose Frauen gäbe. Jener meinte, er könne nicht klagen und die Kirche hätte davon ihre schöne runde Einnahme. So fragte sie weiter: »Kommen oft so junge Frauen zu Euch, die so alte Männer haben, wie der Seneschall einer ist?«
»Recht selten,« entgegnete er.
»Aber diese Frauen wurden doch guter Hoffnung?«
»Stets,« grinste der Pfaffe verschmitzt.
»Und wenn die Männer jünger sind?«
»Auch dann meistens. . .«
»Wie denn? Bei Alten ist mehr Aussicht?«
»Aber freilich,« sprach er gewichtig, »denn bei den jüngeren hilft Gott allein, bei den Alten aber zumeist ein andrer Mann.« (Woraus man leichtlich ersehen kann, daß dermalen die Pfaffen die Weisheit mit Löffeln gegessen hatten).
Blanche also tat ihr Gelübde, das recht ansehnlich war maßen der Schmuck gut und gerne seine zweitausend Gülden wert war. Als dann der Seneschall auf dem Heimritte sah, wie sie ihren Zelter traben und tänzeln ließ, da meinte er: »Du scheinst strahlend froh zu sein!« »Natürlich!« rief sie, »jetzt bin ich ja sicher, ein Kind zu bekommen, und da, wie mir der Priester sagte, ein anderer mithelfen muß, so werde ich Gauttier nehmen. . .«
Den Seneschall traf schier der Schlag. Wäre der Spaß nicht zu teuer geworden, dann hätte er den Pfaffen am liebsten erwürgt; so entschloß er sich aber, ihn lieber mit Hilfe des Erzbischofes hintenherum seine Rache kosten zu lassen. Und bevor sie noch heimgekommen waren, bedeutete er dem Herren von Montsoreau, lieber daheim Schätze zu graben, was der junge Gauttier sich auch nicht zweimal sagen ließ, maßen er seines Herrn kurze Prozesse kannte. An seiner Statt ernannte der Seneschall den Sohn eines Lehnsmannes, einen Herrn von Jallanges. Das war ein junger Bursch von noch nicht vierzehn Jahren; er hieß René und wurde Page, bis er das Alter zum Schildknappen erreicht haben würde. Den Befehl über die Mannschaft aber vertraute Bruyn einem greisen Haudegen an, mit dem er einst Palästina unsicher gemacht hatte. Solchermaßen vermeinte der Biedere, seine entlaubte Stirn vor einem Geweih zu bewahren und auch fürder die widerspenstige Jungfrauenschaft seines Weibes zu bändigen, sosehr selbiges auch wider den Stachel löckte.
Am Sonntage nach Renés Eintreffen ging Blanche ohne ihren Eheliebsten zur Jagd. Und als sie so im Walde dahinzog, gewahrte sie einen Mönch, der sich anscheinend überaus gewalttätig über ein Mädel hermachte. Flugs sprengte sie herzu, indem sie ihrem Gefolge zurief: »Heda, verhindert doch, daß er sie tötet!« – Als sie aber dicht herankam, riß sie jach ihr Roß herum und das, was sie bei dem Mönche gesehen hatte, benahm ihr die Lust weiterzujagen. Nachdenklich ritt sie heim, denn ihr war plötzlich eine Stallaterne aufgegangen und tausenderlei Dinge, wie ihr solche auf Gemälden, in Dichtwerken oder in Gottes freier Natur aufgestoßen waren, bekamen nun erst die rechte Beleuchtung. Plötzlich hatte sie das holde Geheimnis der Liebe klar erkannt. O welche Narrheit, diese Dinge den Jungfräulein verbergen zu wollen! – Frühzeitig ging sie zu Bett, und alsbald erklärte sie dem Seneschall: »Bruyn. Ihr habt mich beschwindelt und Ihr müßt mit mir tun, was der Mönch heute mit dem Mädel tat.« Der Alte begriff gleich und merkte, was die Uhr geschlagen hatte. Aber die innere Glut belebte nur seine Augen, derweile er sänftiglich lispelte: »Ach, süßer Schatz, als ich dich zum Weibe nahm, war meine Liebe stärker als mein Leib und ich mußte auf dein Mitleid und deine Tugend bauen. Wahrlich, es ist der Gram meines Lebens, daß nur noch mein Herze jung ist. Aber das wird meinen Tod beschleunigen also daß du balde frei sein wirst. So gedulde dich bis dahin; nur um dies eine bitte ich dich, der ich dich doch tyrannisieren könnte: entehre nicht mein weißes Haar! Wie viele Männer schon haben in diesem Falle ihre Frauen getötet. . .
»Was?! Ihr wollt mich töten?! «
»Aber nein – dafür liebe ich dich viel zu sehr! Ach, du bist ja die Blume meines Alters, dein Anblick labt mich und wandelt selbst Kummer in Glück! Nein, du sollst in allem freie Hand haben, wenn du den armen Bruyn nur nicht zu sehr peinigst, der dir Reichtum und Ehren gegeben hat.« Und seine vertrockneten Lider netzten sich mit heißen Zähren, die über sein pergamentenes Antlitz auf Blanches Händlein troffen, also daß selbige von der übergroßen Liebe dieses Greises gerührt ward und ihm zulächelte: »Nein, nein, weinet nur nicht, ich werde warten!« Und so kam es, daß unser Jüngferlein den Greis völlig in die Hand bekam und unterjochte, also daß er um jenes zieren unbetretenen Venusgärtleins willen von Blanche so recht nach Weiberart drangsaliert wurde wie ein Packesel. Tagaus, tagein hieß es nur noch: Bruyn hier, Bruyn da! und nur seine eiserne Natur verhinderte, daß er nicht von dieser Jungfernschaft zu Tode gehetzt wurde. Eines Abends, nachdem Blanche wieder einmal das ganze Haus derart auf den Kopf gestellt hatte, daß wohl gar dem lieben Herrgott selber die Geduld ausgegangen wäre, sagte sie beim Schlafengehen zum Seneschall: »Mein lieber Bruyn, manchmal überkommt es mich also, daß es mich allenthalben zwickt und zwackt, mein Herze beklemmt, mein Hirn entflammt und mir die schlimmsten Gedanken eingibt; und nachts sehe ich im Traum immer jenen Mönch. . .«
»Ach, mein Herzchen,« entgegnete jener, »das sind höllische Anfechtungen, wider die man im Kloster wohl Rat weiß. Bist du also auf dein Heil bedacht, so beichte unserem Nachbar, dem würdigen Abte von Marmoustiers, der wird dich wohl beraten und auf den rechten Weg führen.«
»Gleich morgen gehe ich,« sagte sie. Und richtig, schon mit Tagesanbruch eilte sie hophop zum Kloster, allwo ihr holder Anblick die Mönche derart verzückte, daß sie am Abend gar manche Sünde begingen. Zunächst aber geleiteten sie die Schöne feierlich zu dem ehrwürdigen Abte. Selbiger weilte just bei dem kühlen Bronne eines versteckten Gärtleins, und seine verklärte Greisengestalt erfüllte Blanche mit tiefer Ehrfurcht. »Gott grüße Euch« hub er an. »Was führt Euch junges Blut in den Bereich des nahen Todes?«
»Weisen Rat zu holen,« entgegnete sie mit tiefer Verneigung. »Wolltet Ihr doch mich törig Beichtkind auf den rechten Weg leiten, wie wäre ich Euch von Herzen dankbar.«
»Meine Tochter,« sprach der Greis, mit dem Bruyn zuvor die ganze Komödie abgesprochen hatte, »mögen die hundert Jahre, die meine Schläfen entlaubt haben, mir zur Seite stehen. damit ich Euch den Weg zum Paradiese weisen kann.«
So begann die Seneschallin. sich zuvörderst aller kleinen Sünden zu entledigen, bis sie endlich mit ihrer Beichte bei dem berühmten post-scriptum anlangte: »Ach, mein Vater, und dann muß ich noch gestehen, daß ich Tag für Tag von dem Begehren nach einem Kinde gepeinigt werde. Ist das schlimm?«
»Nein,« sprach der Abt.
»Aber mein Mann hat, wie man so sagt, den Schlüssel verloren, und da sagte mir Frau von Jallanges, man beginge in diesem Falle keine Sünde, wenn man anderwärts dazu käme, dafern man nur weder Vergnügen noch Vorteil dabei habe.«
»Vergnügen schafft das immer,« erwiderte der Abt. »Und ist es so ohne Vorteil für Euch, ein Kind zu bekommen? Vielmehr lasset Euch gesagt sein: vor Gott ist es allezeit eine Todsünde, ein Kind mit einem Manne zu erzeugen, mit dem man nicht kirchlich getraut ist!«
»Ach wehe, mein Vater, so ist es also Gottes Wille, daß ich täglich dahinscheide, oder daß mir, die ich doch bei klarem Verstande bin, das Hirn verzehrt wird? Denn das steht mir sicher bevor, maßen es ja in mir wirbelt und loht, meine Sinne sich verwirren und ich alles darangeben würde, um nur einmal die Glut eines Mannes wie jenes Mönches, zu kosten. Und wie – Gott, der mir solch‹ heiße Liebessehnsucht gab, sollte mich darob verdammen?«
Der Pfaffe kratzte sich verlegen hinterm Ohr, denn diese Klagen und Spitzfindigkeiten des Jungfräuleins brachten ihn arg in die Klemme. »Meine Tochter,« hub er an, »zum Unterschiede von den Tieren verlieh uns Gott den Verstand, der uns helfen soll, die Klippen der Leidenschaften in stürmischen Augenblicken glücklich zu umschiffen. Und wider die Qualen erregter Sinne vermag man mit Fasten, strammer Arbeit und anderen weisen Maßnahmen sehr wohl anzukämpfen: betet also lieber, schlafet auf hartem Lager, schafft eifrig im Hause und hänget nicht dem Nichtstun nach!«
»Schön, mein Vater. Und nun sagt mir zum Schluß: wenn einmal meine Einsicht in die Brüche ginge, also daß ich meiner Sinne nicht mächtig , mich in den Schlingen der Liebe verfinge. . .«
»Dann,« versetzte unbedacht der Abt, »dann wäre es mit Euch wie mit der Heiligen Lidoria, die sich an einem heißen Sommertage, kaum bekleidet, mit weitgespreizten Gliedern bequem hingestreckt hatte und fest eingeschlafen war. Kam da sacht ein junger Bursch und stillte unversehens sein Begehr an ihr. Und besagte Heilige ahnte von dem Vorfall so wenig, daß sie ihres Leibes Schwellen für eine schlimme Krankheit hielt und baß erstaunt war, als sie eines Kindleins genaß. Sie hatte nur für eine läßliche Sünde zu büßen, sintemalen sie von dem Streiche nichts gemerkt hatte und der Schurke auf dem Blutgerüst gestand, daß die Heilige sich nicht geregt hatte.«
»Oh, mein Vater,« rief Blanche, »Ihr könnt sicher sein, daß ich mich so wenig regen werde wie die Heilige!« Und damit schlüpfte sie frisch und froh davon und überlegte lächelnd, wie sie wohl am besten solch eine läßliche Sünde ermöglichen könnte. Als sie daheim den Schloßhof betrat, erblickte sie den jungen Jallanges, der just ein Pferd zuritt und in festem Sitz mit sicherem Schenkel alle Sprünge und Launen des Rosses bändigte, kurz, in seiner jugendfrischen Gewandheit ein Bild zum Malen war und wohl gar der Königin Lukrezia gefallen hätte, die sich bekanntlich erdolchte, weil ein Mann sie gegen ihren Willen entehrt hatte.
»Ach wäre der Schlingel nur wenigstens fünfzehn Jahr alt,« seufzte Blanche, »wie gern ließe ich mich dann von ihm im Schlafe überraschen.« Doch trotz seiner großen Jugend beäugte sie bei allen Mahlzeiten sein schwarzes Haar, sein blinkes Gesichte und zumal seine lebensprühenden Augen. – Als sie nun nach der Vesper nachdenklich am Kamin saß, fragte sie der alte Bruyn, was ihr den Kopf schwer mache.
»Ich überlege eben, daß Ihr recht früh hinter den Röcken hergewesen sein müßt, da Ihr so ausgepumpt seid.«
»Freilich!« lachte er wie alle alten Knacker, die man nach jugendlichen Liebestaten ausfragt, »kaum über dreizehn schwängerte ich schon eine Zofe«
Mehr wollte Blanche gar nicht hören, denn nun wußte sie René hinreichend gewappnet. Und strahlender Laune hub sie an, den Alten zu zwicken und zu necken und selber vor innerer Wonne wie ein Kreisel zu tanzen.
Die Frage, wie der Page flugs zu entflammen sei, kostete der Seneschallin wenig Nachdenken und bald hatte sie die Falle vorbereitet, in der sich natürlich jeder gefangen hätte: Zur Mittagszeit nämlich machte der Alte seit den Tagen seines Kreuzzuges sein Nickerchen, also daß Blanche freie Hand hatte. Dies stille Stündlein nun gedachte sie fortan der Erziehung ihres Pagen zu widmen. Und sobald am nächsten Tage der Seneschall sanftselig in Morpheus Armen ruhte, machte es sich Blanche in einem würdigen Großvaterstuhle bequem, der erfreulich hoch war: denn solchermaßen boten sich dem, der unten hockte, manch zufällige Anblicke dar. Die pfiffige Maid schmiegte sich hinein, wie ein Schwälblein in sein Nest, und neigte anmutiglich ihr Köpfchen auf den Arm, wie ein Kind, das schläft. Und derweile sie ihre Vorbereitungen traf, schaute sie mit frischen, lachenden Äuglein um sich und genoß schon im voraus, wie der Page alsbald im geheimen erbaut emporschielen und mählig außer Rand und Band geraten würde. Denn sie schob das Sitzpolster für den Ärmsten so sorglich auf den rechten Fleck, daß selbst ein Heiliger aus Stein genötigt gewesen wäre, von dort aus der Glieder Pracht zu gewahren, die ein verräterisches Gewand vor seiner Nase enthüllte. Wie also sollte da nicht so ein schwacher Knabe erliegen! Und nachdem sie sich solange gedreht und gewendet hatte, bis ihre Stellung allen Anforderungen genügte, da rief sie sacht: »René!« und schon steckte der Schlingel, der im Vorzimmer jedes Rufes gewärtig war, seinen Lockenkopf durch die Vorhänge.
»Was ist gefällig?« fragte er, und das Samtbarett in seiner Hand war nicht so rot wie seine frischen Wangen mit den zieren Grübchen.
»Komm her,« lispelte sie, und vor Wonne versagte schier ihre Stimme. Denn wahrlich, Renés Augen waren blinker denn Edelgestein, milchweiß die Haut und frauenhaft schlank seine Gestalt. Und da er ihr nun so nahe war, schien er ihrer Sehnsucht noch weitaus begehrenswerter. Dann sprach sie, und wies dabei auf ein offenes Buch: »Lies mir die Litaneien der heiligen Jungfrau vor, auf daß ich sehe, ob du auch bei deinem Lehrer gut lernst.«
So begann René die süß-geheimnisvollen Litaneien zu sprechen; aber die ›ora pro nobis‹ Blanches wurden immer leiser und als der Page mit heißer Stimme las: »O wundersame Rose du!«, da antwortete die Schloßfrau nur noch mit einem leisen Seufzer. René vermeinte, daß sie schlief, und hub darob an sie zu beäugen und sich an dem gebotenen Anblick weidlich zu ergötzen. Schon waren die frommen Gedanken liebevolleren gewichen, sein Herz schlug ihm bis zum Halse und derweile seine Augen in Wonnen schwelgten, erträumte er tausend Seligkeiten, davon ihm das Wasser im Munde zusammenlief. Dabei entglitt ihm das Buch; aber nach dem ersten Schreck ward er just hierdurch sicher, daß sie wohl ganz fest schlafen müsse. Ja, auch wenn schlimmeres passiert wäre, hätte die Listige mit keiner Wimper gezuckt, denn sie hoffte, daß noch ganz andere Dinge fallen würden als das Stundenbuch. Daran kann man sehen, wie sehr ihr Sinn nach einem Kinde stand! – Indes blieben Renés Augen auf dem Füßchen haften, das zierlich beschuht auf einem Schemel stand, maßen sie doch in dem Stuhle so gar hoch saß. Das war zier und klein wie ein Spatz ... ein zuckersüßes Jungfernfüßlein, eines Kusses so wert, wie ein Dieb des Galgens; ein Wonnefuß, der einen Erzengel zu Fall gebracht hätte, wollüstig, ein wahrem Teufelsdingelchen, und der Page hätte es um alles gern unverhüllt gesehen. Darum glitten seine glühenden Augen flink empor, um zu sehen, ob die Herrin auch fest schliefe. So lauschte er ihrem Schlummer, trank ihren Atem und wußte am Ende nicht, welcher Kuß wohl süßer sei: einer auf ihre frischen roten Lippen oder der auf den so verheißungsvollen Fuß. Wars nun Respekt oder Angst oder übergroße Liebe, kurz, er wählte endlich den Fuß und küßte ihn wie ein Jüngferlein, das sich nicht recht traut. Und dann ergriff er flugs das Buch und rief puterrot und lustgepeitscht. laut wie ein Blinder: »Janua coeli, Himmelspforte...« AberBlanche erwachte nicht, denn sie dachte, er würde zum Knie emporsteigen und weiter in den Himmel. So ward sie arg enttäuscht, als René seine Litaneien ohne weiteren Zwischenfall beendigte und sich glückstrahlend davonschlich, maßen er sich schon überreich beschenkt glaubte.
Als die Seneschallin allein war, bedachte sie, daß es angebrachter gewesen wäre, den Pagen das ›Magnifikat‹ singen zu lassen, da selbiges viel länger dauerte. Des weiteren beschloß sie, am nächsten Tage ihren Fuß etwas höher zu placieren, um solchermaßen auch ein wenig von jener Schönheit zum Vorschein zu bringen, die man in derTouraine ›vollendet‹ nennt, maßen sie den Unbilden der Witterung nie ausgesetzt ist und daher immer hübsch frisch bleibt. Man kann sich vorstellen, wie ungeduldig der Page auf das erquickliche Lesestündlein harrte, nun sein Begehren ihn peinigte und seine Gedanken lohten. Er ward gerufen und schon nach den ersten Worten versank Blanche wieder in tiefen Schlaf. Diesmal liebkoste René mit zarter Hand ihr wonniges Bein und wagte es gar zu untersuchen, ob das Knie wohl sanft geründet und das weitere auch so sammetweich sei. Aber inmitten dieser holden Erkenntnisse überkam den Ärmsten wieder blasse Angst, die seine Gier in Banden schlug, also daß er es bei wenigen schüchternen Schmeichelgriffen bewenden ließ und das Seidenfellchen nur mit einem sacht gehauchten Kusse bedachte. Dann verhielt er sich stille. Die Seneschallin hatte schier die Zähne aufeinandergebissen, um sich nicht zu regen. Als sie nun seiner erneuten Zurückhaltung inne ward, lispelte sie: »Nicht doch, René. Ich schlafe ja!« Aber der Page deutete ihren sanften Vorwurf falsch, ließ alles stehen und liegen und lief angstgepeitscht davon: also daß dieGräfin diese Litaneien mit dem Klagerufe beschloß: »Heiliger Himmel, wie schwer ist es doch, ein Kindlein zu machen!« Als der Page beim Essen seine Herrin und ihren Gemahl bediente, stand ihm der Angstschweiß auf der Stirn. Da traf ihn jach wie ein Blitz aus heiterem Himmel ein Blick aus Blanches Augen – so wunderzart und liebeheiß, wie wohl ansonsten niemals ein Weib holdseliger geäugt haben mochte. Dieser eine Blick machte mit einem Schlage den Knaben zum Manne. Und so kam es, daß noch am selbigen Abend (derweile der Alte in seiner Kanzlei beschäftigt war) René zu seiner Herrin schlich und der Schlafenden zu einem wunderholden Traume verhalf. Keck sprengte er das Tor, das sie beengte und säete also reichlich, daß es wohl nicht nur für eines, sondern noch für zwei andere Kindlein gelangt hätte. Darob packte die Schöne seinen Lockenkopf, preßte ihn an sich und hauchte: »Ach René welch wonniges Erwachen !« Denn am Ende hatte sie nicht mehr an sich zu halten vermocht und eine Heilige, die solchen Wecker widerstanden hätte, müßte in einem gar bleiernen Schlafe befangen gewesen sein. So war es denn auch kein sonderliches Wunder, daß auf der Stirne des greisen Gatten jenes zierliche Gehörn zu sprießen anhub, ohne daß er eine Ahnung davon hatte. Fortan ward das Nickerchen ihres Ehekrüppels für die Seneschallin die Quelle holdester Wonnen, an denen sie immer noch mehr Geschmack fand, derweile ihr der Greis immer widerwärtiger wurde. Und so führten die regelmäßigen zarten Litaneien am Ende zu dem so innig ersehnten Ziele, indem die Schloßfrau mählig in ihren jungfräulich-schlanken Hüften eines Kindleins Keimen verspürte. Maßen nun aber ihre Liebe zu dem gelehrigen Knaben immer wuchs, so begann sie um sein Seelenheil und seine Zukunft in bange Sorge zu verfallen; und als sie einstens an einem Regentage wie zwei unschuldige Kindelein ihr ›Katz und Maus‹ spielten und Blanche wieder einmal gehascht war, da seufzte sie: »Hör' mal, René: weißt du eigentlich, daß ich zwar ob meines tiefen Schlafes nur einer läßlichen Sünde schuldig bin, du aber eine Todsünde begangen hast?«
»Ach, holde Herrin,« meinte jener, »wo sollte Gott mit all den Sündern hin, wenn das sündigen heißt.«
Blanche lachte hellauf und küßte ihn auf die Stirn. »Still, Schlingel! Du weißt gar nicht, wie ich mich um dich bange, weißt nicht, daß ich ein Kindlein unter dem Herzen trage und das in Bälde nicht mehr verbergen kann. Aber was wird der Abt, was der Seneschall sagen? Der kann dich in jähem Zorne gar erschlagen. Drum denke ich, beichte du dem Abte von Marmoustier und laß dir raten, wie man sich zu meinem Gemahl verhalten soll.«
»Aber wenn er unsre Liebe ächtet,« warf der Page listig ein. »So hilft es nichts! Dein Seelenheil steht auf dem Spiel.«
»Ach wehe: ist Euch wirklich bitterernst?«
»Ja,« hauchte sie beklommen.
»Nun denn, so schlafet noch einmal, auf daß ich Euch so recht Lebewohl sagen kann.«
Und so betete das holde Paar die Abschiedslitaneien, als hätten beide geahnt, daß ihre lenz-junge Liebe keine Sommerblüte erleben sollte. Und schon tags darauf eilte René, mehr aus Sorge für seine Herrin denn für sich selbst, gehorsam zum Kloster.
»Weiß Gott!« schrie der Abt, als er des Pagen Sündenregister vernommen hatte. »Schändlichen Treubruchs wardst du schuldig und schmählichen Verrates! Weißt du, kecker Bursch, daß du in Ewigkeit Höllenqualen leiden, nimmermehr ins Himmelreich eingehen wirst für diese gestohlenen Seligkeiten? O wehe über dich!!« Und der Greis, der aus demselben Teige wie die Heiligen gebacken war, zermalmte des Jünglings Seele mit tausenderlei furchtbaren Verheißungen und christlichen Ermahnungen, und er war schier erfindungsreicher denn ein Teufel, der ein Jüngferlein verführen will. Als er dann aber sah, daß René windelweich war, da ward er sanfter und befahl ihm, er solle sich seinem Herrn zu Füßen werfen und ihm alles gestehen; und käme er mit blauem Auge davon, so müsse er das Kreuz nehmen und im heiligen Lande fünfzehn Jahr wider die gläubigen streiten. Ganz zerknickt kehrte der arme zum Schlosse zurück und traf gleich als ersten den Seneschall, der im Schloßhofe auf einer Marmorbank saß und im warmen Sonnenschein zusah, wie man seine Rüstungen blank scheuerte. Der war baß erstaunt, als sich der Page vor ihm niederwarf: »Was gibt es denn?«
»Gnädiger Herr, schicket bitte die Leute hinweg.«
Und als selbige fort waren, gestand der Sünder, wie er seine Herrin im Schlummer überfallen und gleich jener Heiligen offenbarlich mit einem Kindlein beladen habe, nunmehro aber auf Geheiß seines Beichtigers ihn um Gnade anflehe. Und damit harrte René geschlossenen Auges und gottergeben seines letzten Stündleins. Der Seneschall ward kreidebleich und die Lust ging ihm schier aus. Dann aber wallte die Mannskraft, die für ein Kind nicht gelangt hatte, jach in ihm auf und mit behaarter Faust packte er einen schweren Streitkolben und ließ ihn wie ein Spielzeug durch die Luft wirbeln, um Renés blasse Stirne damit zu zermalmen. Doch der Anblick solch hold-verführerischer Jugend weckte in dem Greise ein menschlich Rühren, also daß er das Gewaffen wider einen Hund schleuderte, der zerschmettert niederbrach: »Da sollen doch tausend Millionen Teufel in alle Ewigkeit dem Kerl in die Knochen fahren, der den Eichbaum pflanzte, daraus der Stuhl entstand auf dem du mich hörntest!! Und deinen Erzeugern gleichermaßen, verdammter Bengel! Scher‹ dich zum Satan! Aus meinem Hause – und nicht gefackelt, sonst laß ich dich auf einem Feuerchen rösten, daß du ein übers andere Mal deine verhurte Buhle verfluchen sollst!!«
Flugs gab der Page Fersengeld, derweile der Alte wetterte, wie er es in seiner Jugend nicht schöner gekonnt hätte. Dann aber raste Bruyn wutschnaubend in den Garten und trampelte nieder, was ihm in die Quere kam, bis er das gewesene Jüngferlein erblickte, das ahnungslos seines Pagen harrte: »Ha, du Weib! Bei des Satans glühender Höllengabel, bin ich etwa ein gängelndes Kind, das glauben konnte, du wachtest nicht auf, wenn man dich multiplizieren lehrt?! Himmelkreuzbombenelement!! «
»Oh,« entgegnete sie, »das sag‹ ich nicht. Aber da Ihr mich darin nicht unterwiesen hattet, meinte ich zu träumen.«
Darob schwand des Alten Grimm wie Schnee an der Sonne – wer hätte Blanches Lächeln widerstehen können! »Da sollen doch tausend Millionen Teufel diesen Wechselbalg beim Kragen nehmen! Ich schwöre . . .«
»Nein, nein! Schwört lieber nicht! Ist‹s nicht Euer Kind, so ist‹s doch meines, und sagtet Ihr nicht eines Abends, daß Ihr alles lieben wolltet, was von mir käme?«
Und dann wickelte sie ihn mit güldenen Worten, Tränen und Schmeicheleien nach Frauenart gar sänftiglich ein: daß er doch eines Stammerben bedürfe, daß nie ein Kind schuldloser gezeugt worden sei und was noch alles, bis der gute Kerl ganz weich wurde und sie gar wagen durfte, nach dem Pagen zu fragen.
»Der ist beim Teufel!«
»Wie, Ihr habt ihn getötet?« rief sie totenbleich und die Knie versagten ihr. Ihr Jammer brachte den Alten schier um und er ließ schleunigst überall nach René suchen. Aber der war schon über alle Berge und eilte seine Buße zu erfüllen. Als Blanche erfuhr, was der Abt ihrem Herzliebsten auferlegt hatte, versank sie in tiefen Gram; und wenn der Alte auch tat, was er ihr an den Augen ablesen konnte, in einem Punkte konnte er sie nicht zufrieden stellen, und deshalb vielleicht konnte Blanche den Pagen nicht vergessen. – So schenkte sie eines Tages dem ersehnten Kindlein das Leben. Heih, was war das für ein Festtag für den guten Alten! Der Knabe war seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten und das wurde der Mutter einziger Trost, die nun wieder ein wenig aufblühte. Wie dann aber der Kleine zwischen dem Seneschall und der Gräfin hin und wieder sprang, da war der Alte schon so in ihn verliebt, daß er über jeden Zweifel an seiner Vaterschaft an die Decke gegangen wäre. Und da nie etwas von der Pagengeschichte durchgesickert war, so mußte man ihm seine Greisentat bewundernd glauben. Blanche aber war geradezu ein Musterbild von Tugend geworden die wahrhaft Bruyns Lebensabend vergoldete, also daß er schier das Sterben vergaß.
Aber eines Abend schlug sein Stündlein doch und Blanche betrauerte ihn so aufrichtig, als hätte sie einen Vater verloren. Auch ging sie keine zweite Ehe ein, zumal sie von ihrem Herzliebsten keinerlei Kunde vernahm und auch ihn für tot hielt. So verbrachte sie gar manche Nacht in heißen Tränen und bald waren vierzehn Jahre in Gram und Kummer dahingegangen. Aber eines Abends sprang ihr Söhnchen, der nun mehr denn dreizehn Jahre zählte und René geradezu unerlaubt glich, heiß und atemlos herzu, warf sich ihr um den Hals und rief freudestrahlend: »Denk dir, Mutter, eben hat mich im Schloßhof ein Pilger umarmt und geküßt!«
»Wie!« herrschte sie des Knaben Wärter an. »Hab‹ ich nicht verboten, daß irgendwer, und sei es auch ein Heiliger, ihm zu nahekommt?! Aus meinem Dienste!«
»Ach, edle Herrin!« sprach der greise Diener betreten, »der da hatte sicher nichts böses vor, denn er weinte bitterlich, als er ihn küßte.«
»Er weinte?« rief sie. »Weh! sein Vater!« Und dabei sank ihr Haupt wider die Lehne des Stuhle, darauf sie saß – just desselben Stuhles, auf dem sie einst gesündigt hatte. Und alle waren ob ihrer Worte gar verwundert und niemand merkte darum, daß sie sanft verschieden war. Auch weiß man nicht, war‹s Schmerz, war‹s Freud, die sie dahin raffte. Ihr Tod aber schuf viel Trauer rings umher und der Herr Jallanges ward schier von Sinnen, als man sie zur letzten Ruhe bettete, also daß er am Ende Mönch wurde zu Marmoustier, so dermalen das schönste Kloster in Frankreich war.