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Dem Dichter zum Preise!

Wes das Herz voll ist, des läuft der Mund über! sagte einst der Mann, der uns das Sprachgebäude schuf, so wie es uns nun seit Jahrhunderten lieb und wert geworden ist. Und doch muß ich schier nach Worten suchen, um Dir, wohledler Herre von Balzac, ein Lied des Preises anzustimmen: denn wo soll ich beginnen, wo bei des Segens Überfülle dasRechte, den Anbeginn richtig fassen? Soll ich Deiner so tiefen Menschenkenntnis vor allem gedenken, die mit ebensoviel Ernst als Anmut den Schleier vor der ›Menschlichen Komödie‹ aufhob, soll ich Deiner unerschöpflichen Heiterkeit den Vorrang einräumen, die dem allverehrten Meister Rabelais nichts nachgab und Dir das vorliegende Werk in seiner knappen und doch so vieldeutigen Sprache diktierte? Oder soll Deines Lebens wundersam-buntes Puppenspiel den Anfang machen, um uns den Schlüssel zu Deinen Werken zu liefern? Nicht eines und nicht das andere wäre richtig, denn kaum das Ganze könnte Dich uns zurückzaubern so wie Du warst, so wie Du das Leben dichtetest, wie Du im Dichten lebtest! Wie Du die unvereinbarlichsten Gegensätze zu verschmelzen wußtest, ein unnachahmlicher Arbeiter und ein beneidenswerter Lebensgenießer zu sein, im Golde zu wühlen und doch nie einen Pfennig in Deiner Tasche zu haben, die wildeste Tragik in herzerquickenden Scherz zu hüllen, unter fast unerlaubt schrankenlosen Spaßen tiefernste Wahrheiten zu verstecken, Deine Träume zum Leben zu erheben und das Leben als Traum abzutun.

Bände brauchte ich, um Dich ganz zu werten, Bände voll zahlloser, engbedruckter Seiten so wie Du uns eine schier endlose Zahl solcher Bände schenktest, darin Du Dein Ich ausgeschüttet hattest. Deine Hand war so freigiebig, Dein Geberwille so grenzenlos, daß Du oft genug jene Mauern sprengtest, die ein wohlerzogenes Kunstwerk ausweisen sollte, um bis ins Letzte hinein vollendet zu sein. Dir wahrlich lief der Mund dessen über, wessen Dein Herz voll war. Und wenn auch der Feinschmecker Dir über Stock und Stein mit Freuden folgt, so gibt es doch bisweilen Nörgler, die sich an der Überfülle Deiner Gedankengaben in dem Titanenwerke der ›Menschlichen Komödie‹ stoßen und ihren Bedarf auf einige wenige erlesene Werke wie vor allem ›Eugenie Grandet‹ beschränken. Aber alle sind sie mit Dir in dem einen einig: »Daß Deine ›drolligen Geschichten‹ Dir die Unsterblichkeit sichern werden, auch wenn all Deine anderen Werke verloren gingen!« So sagtest Du einst, und wenn wir auch die Erfüllung des Nachsatzes nicht erhoffen, so stimmen wir dem Vordersatze um so begeisterter zu. Nicht deshalb nur, weil Du in diesem Werke, wie gesagt, den Schritten Meister Rabelais in Geist und Sprache zu folgen wußtest. Eher schon, weil es Dir gelungen ist, es zugleich auch dem unsterblichen Boccaccio gleichzutun, dessen Dekameron in seiner sieghaften Pracht soviele Nachahmer, so wenig ernsthafte Nebenbuhler fand. Und als das Schicksal der Königin von Navarra die Feder aus der Hand nahm, also daß ihr kongeniales Werk mit der zweiundsiebenzigsten Geschichte ein jähes Ende fand, da war Gallia‹s Hoffnung auf ein französisches Dekameron endgültig geschwunden und man begnügte sich, ein »Heptameron« mit güldenen Lettern in seine Akten einzutragen. Aber das Schicksal hatte es anders bestimmt! Du selbst, wohledler Herre von Balzac, solltest das Werk der königlichen Dichterin zum Dekameron ründen, ohne Dir dessen bewußt zu sein! Als Du Dich an die Niederschrift der ›Drolligen Geschichten‹ machtest, hattest Du den Plan gefaßt, ein neues Dekameron zu schreiben. Aber Du vermochtest das erste Viertelhundert nicht wesentlich zu überschreiten, – wie Du am Ende im Scherze sagtest, und wie Doré’s Schlußbild unterschrieben ist: »Wahrhaftig. es ist eine Schand-Arbeit, hundert drollige Geschichten auszudenken!« Nein, wohledler Meister, uns darfst Du solchen Bären nicht aufbinden! Dein nimmermüder Schöpfergeist konnte uns ein und gar mehrere Dekamerones bescheren, ohne dabei zu erlahmen. Aber es war Dir bestimmt, das Werk der königlichen Dichterin zu vollenden, das Du genugsam zu rühmen wußtest, nicht zum mindesten am Schlusse der zwölften Geschichte. Es war bestimmt, daß der Königin Margarethe »Heptameron« zusammen mit Deinen ›drolligen Geschichten‹ das französische Dekameron bilden sollte, das mit gleichem Glänze neben seinem italienischen Vorgänger die Herzen der Leser labt und wärmt. (S. das "Heptameron", Erzählungen der Königin von Navarra. Ins Deutsche übertragen von C. Th. v. Riba. (Mit Bildern des Marquis de Bayros.) Verlag Wilhelm Borngräber.)

So entstand Dein Meisterwerk, von dessen Geschichten Du sagtest, daß sie echt französisch sind durch ihre überschäumende Fröhlichkeit durch die ausgelassenen Bocksprünge, französisch vorn, französisch hinten; daß sie »mehr dazu geschaffen sind, die Moral der Freude zu predigen, denn durch Moralpredigten Freude zu schaffen.« O du tiefsinniger Spötter, wie hast Du Dich und die Deinen recht erkannt! Aber Du vergaßest zu sagen, daß sie alle rechte Balzac-Kindlein sind, die ihres Vaters Ruhm durch alle Lande tragen, und sein Spiegelbild dazu. Daß sie Dich konterfeien als den Mann, der in seinen Phantasien lebte, als wären sie die Wirklichkeit (man gedenke Deines Wortes, als jemand von Deiner kranken Schwester redete: »Das ist ja recht schön, aber bleiben wir bei der Wirklichkeit, sprechen wir lieber von Eugenie Grandet!«). Und konterfeien doch die Wirklichkeit in der sich Dein Leib erging: ein nicht gar großer, aber kugelrunder Genießerleib, der in den Zeiten, da er die Überhand über Deinen Geistesdrang gewann, von Fest zu Feste eilte, in Leckerbissen und köstlichen Weinen schwelgte, holde Frauen in Wonnen umfing, feine Behausung mit der Pracht eines Königs schmückte und mit jeder dieser Künste die Sinnefreuden als Meister bis auf den letzten Tropfen auszukosten, sie in schier unwahrscheinlichen Ausmaßen zu genießen, das wahrlich nicht prüde Paris in staunende Aufregung versetzte; der dann wieder wie ein Asket abgeschlossen und genügsam, die Höhen und Tiefen der Menschenseele durchmaß und auch die verborgensten Züge, die verhehltesten Geheimnisse rücksichtslos, aber mit unwiderstehlichem Lächeln ans Licht zog und so wechselseitig die beiden Grundzüge des menschlichen Lebens ineinanderstrahlen ließ, beide zu einem vollkommenen Ganzen verschmolz, ungleich den meisten seiner Kollegen, die die Gesamtheit sezierend zerlegen, vielmehr das Einzelne im Rahmen und durch die harmonische Gesamtheit hindurch darwies.

Nicht will ich hier mehr darauf hinweisen, wie lebenswahr Du die Zeiten wiedererwachen ließest, in denen sich die drolligen Geschichten abspielen, nicht die Daten Deines Lebens aufzählen, die man allerorten nachlesen kann. Denn alles das könnte zu Dem nichts hinzufügen, was Du selbst von Dir kündest, wenn Du in diesem Buche zu uns sprichst! So ziehe denn weiter Deinen Siegesweg, Du des Irdischen entkleideter Dichter, zieh hin mit Deinen drolligen Kindlein, und mag Dir keiner begegnen, der sich an Dir ärgert, weil Du seinen geheimen Fehlern allzuarg und offen auf die – Füße getreten hast!

St. Petersburg, im Frühjahr 1914

Theodor v. Riba.


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