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Auch Dr. Ernst von Koerber kam nicht weiter. Die slawische Obstruktion verhinderte jede parlamentarische Arbeit. Was die Regierung brauchte, mußte sie sich mit dem berüchtigten § 14 selbst bewilligen. Dieser § 14 ermächtigte die Regierung, dringende Staatsnotwendigkeiten oder was sie dafür hielt unter Gegenzeichnung des Kaisers zu verordnen, wenn das Parlament nicht versammelt war. Und da auch das versammelte Parlament nicht mehr lieferte, was von ihm verlangt wurde, wurde es einfach vertagt, wenn die Regierung Steuern, Rekruten und Sonstiges haben wollte, und dann trat der § 14 in Aktion. Als es überhaupt nicht mehr ging, wurde das Abgeordnetenhaus aufgelöst und für anfangs Jänner 1901 wurden Neuwahlen ausgeschrieben.
Wieder tobte ein Wahlkampf. Die Partei war jetzt allerdings schon kampfgeübter und die Genossen beschlagener im Kleinkrieg gegen die Luegerei und die öffentlichen Gewalten.
Am 12. August 1900 wurde in Berlin Wielhelm Liebknecht, der große Führer des deutschen Proletariats, zu Grabe getragen. Zur selben Stunde wurde in Wien eine Totenfeier für Wilhelm Liebknecht abgehalten, in der Schuhmeier sprach. Er sagte: »Es ist eine stolze Rebellenleiche, die sie heute in Berlin der Erde übergeben.«
Es war der zweite und letzte Wahlkampf in das Kurienparlament. Seit 1897 waren die politischen und gewerkschaftlichen Organisationen in Wien und in den meisten Industriebezirken mächtig angewachsen und die Partei dürfte großer Hoffnungen voll dem Wahltage entgegensehen.
Der Wahltag der V. Kurie war der Donnerstag, der 3. Jänner 1901. Im V. Wiener Wahlkreise Ottakring – Hernals – Währing – Döbling kandidierte selbstverständlich wieder der Schuhmeier. Sein christlichsozialer Gegenkandidat war diesmal nicht mehr der Herr Mittermayer, den seine Partei schließlich doch fallen lassen mußte, sondern ein ebenso unbekannter Herr Josef Mender.
Die Christlichsozialen in den Alpenländern und die Nationalisten der verschiedensten Spielarten in den Sudetenländern – Deutschnationale – Deutschfreiheitliche, Schönerianer und so ähnlich nannten sie sich, waren aber ein Bund Hadern – kämpften nach lieber alter Gewohnheit mit Terror, Schwindel, Bestechung, wirtschaftlicher Bedrohung und mit ihren hohlen Phrasen, mit religiösen die einen, mit nationalen die anderen.
Im Wiener Gemeinderat tobte sich die Luegerei gegen die »vaterlandslosen Gesellen« wild aus, um gegen sie Stimmung zu machen. Sie wollte möglichst viele Arbeiterstimmen haben, genierten sich aber trotzdem nicht, den Arbeitern ihre Verachtung zu zeigen.
Kurz vor dem Wahltag stellte der Schuhmeier im Gemeinderat den Antrag, »daß bei allen Gemeindearbeiten nur solche Unternehmer berücksichtigt werden sollen, welche die zwischen den Arbeitgebern und Arbeitnehmern einer Branche vereinbarten Lohnsätze zu zahlen sich verpflichten«.
Diesen Antrag haben sie abgelehnt und über diesen Sieg gejubelt und sich nicht getäuscht in der Blindheit großer Arbeiterschichten, die diese Leute und diese Partei dann dennoch wieder gewählt haben.
In Schuhmeiers Wahlkreis war man wieder siegesgewiß. Diesmal müßte es gelingen, war die allgemeine Überzeugung. Am Vorabend der Wahl fanden in den vier Bezirken Riesenversammlungen statt. In Ottakring eine bei der »Bretze«. Der Kandidat Franz Schuhmeier fuhr im holpernden Einspänner des Partei-Personenspediteurs, des Wlczek-Poldl, von Versammlung zu Versammlung. Die »Bretze« war so vollgestopft, daß nur ein kleiner Teil der Erschienenen hinein konnte. Die Grundstein- und die Brunnengasse waren von Menschen belagert. Als der Schuhmeier angefahren kam, wollten ihn die Massen nicht hineinlassen und verlangten, er möge auf der Straße in der grimmigen Jännerkälte zu ihnen reden. Er stand vor einer Menschenmauer, die unermüdlich »Hoch Schuhmeier!« rief. Und zur Abwechslung wurde er dann wieder mit »Serwas«, »Serwas Franzl« begrüßt. Dieses »Serwas« war im westlichen Wien der übliche Parteigruß, der dann von dem schöneren »Freundschaft« abgelöst wurde.
Schließlich packten ein paar Athleten den Kandidaten mit dem Schneidergewicht, setzten ihn auf zwei starke Schultern, bohrten einen Weg durch die Leiber und luden ihn auf der Tribüne ab. Dort zog der Schuhmeier behende seinen Havelock und auch den Überrock aus und begann in Hemdärmeln: »Mein Militär, meine Soldaten! Morgen schlagen wir eine große Schlacht. Morgen müssen wir siegen, weil wir siegen wollen. Das Wort hat jetzt der Genosse Sever, denn ich muß jetzt in die nächste Kaserne, wo die anderen Soldaten auf mich warten, nach Hernals.« Zog Überrock und Havelock an und ließ sich von den Athleten wieder hinaustragen. Hochrufe ohne Ende durchzitterten Saal und Straßen und alle riefen ihm nach: »Morgen, Franzl, bist g'wählt.«
Und er war gewählt. Franz Schuhmeier erhielt 24.236, sein Gegenkandidat Mender 21.116 Stimmen. Franz Schuhmeier war nun auch Reichsratsabgeordneter.
Der Wlczek-Poldl fuhr den neuen Abgeordneten von Bezirk zu Bezirk. Im Hernalser Brauhaus hatte Petersilka der harrenden Menge schon verkündet: »Sieg auf allen Linien!«, was einen Freudentaumel auslöste der nicht zu beschreiben ist.
Wieder brachten sie ihren Franzl auf den Schultern herein. Er sagte nur: »Wir im fünften Wiener Wahlkreise haben uns glänzend geschlagen, wir haben glänzend gesiegt. Ich danke allen für ihre Opfer und für ihre Treue. So wie Sie sich auf den Vertrauensmann Schuhmeier, so wie Sie sich auf den Gemeinderat Schuhmeier jederzeit verlassen konnten, so können Sie sich auch auf den Abgeordneten Schuhmeier verlassen. Und nun muß ich hinüber nach Ottakring in meine Hochburg, wo sie auch auf mich warten und wo ich den Pionieren unserer herrlichen Partei ebenso Dank sagen muß, wie ich Ihnen gedankt habe.«
Bis lange nach Mittemacht durchzog eine begeisterte Menge die Straßen der vier Bezirke. Hinter den Fenstern der Gegner war es finster und Nacht. Geschlafen werden sie in diesen Wohnungen wohl nicht haben.
Der Michel rannte durch ganz Ottakring und schrie sich heiser: »Unser Franzl is g'wählt! Hoch Schuhmeier! Heut möcht i der ganzen Welt a Bussel geben. Die armen Schwarzen, die werden morgen vom Lueger ihren Radi kriegen.«
Er kam erst am Morgen nach Hause. Es war die zehnte Nacht, die er nicht aus den Kleidern und nicht in die Federn gekommen war.
Einige Tage nach der Wahl sprach der Abgeordnete Franz Schuhmeier in einer Siegesversammlung beim Stalehner in Hernals: »Der 3. Jänner war der Tag der Hinrichtung der politischen Wegelagerer. Die Affenschande ist von Wien genommen und wir werden Wien hoffentlich bald vollständig von den Elementen säubern, die es so lange geschändet haben. Es hat dem Prinzen Liechtenstein beliebt, zu behaupten, daß es eine Schande für den V. Wahlkreis wäre, wenn der Schuhmeier gewählt würde. Nun, diese Schande ist über den V. Wahlkreis gekommen und Sie alle werden sie wohl zu ertragen wissen, und ich wieder gebe Ihnen die Versicherung, daß ich die Interessen der ganzen arbeitenden Bevölkerung in diesem Wahlkreise vertreten werde ohne Unterschied, ob es ein Arbeiter oder ein Gewerbetreibender oder ein Bauer von Grinzing ist. Wer Rat braucht, wird wissen, wo er hinzugehen hat und wo er ihn findet.«
In Wien wurde außer dem Schuhmeier noch Dr. Wilhelm Ellenbogen mit 16.317 Stimmen gegen den Bielohlawek gewählt, der es auf 15.388 Stimmen brachte. Victor Adler kam in den Bezirken Landstraße, Wieden, Favoriten und Simmering gegen den Christlichsozialen Prochaska zur Stichwahl, in der er mit 25.248 gegen 26.555 Stimmen unterlag.
Man bekommt einen kleinen Begriff von der Ungleichheit des Rechtes von damals, wenn man weiß, daß ein Victor Adler mit über 25.000 Stimmen durchgefallen war, während in der Tiroler Großgrundbesitzerkurie der Abt Treuinfels mit ganzen neun Stimmen Abgeordneter geworden ist.
In Niederösterreich wurde Pernerstorfer wiedergewählt und in der Städtewahlkurie Floridsdorf, wo also die Arbeiter nicht, nur die Privilegierten mitwählten, der junge Lehrer Karl Seitz.
Hingegen ist in Graz, wie der Schuhmeier in der Stalehner-Versammlung sagte, »der Resl-Hans, der brave, ehrliche Schneiderg'sell«, durchgefallen und in Böhmen und Mähren hat die Partei Mandate an die Nationalen abgeben müssen. Trotzdem sie in Wien und Niederösterreich vier Mandate gewann, zog sie nur mit zehn Abgeordneten ins neue Parlament ein, während sie vorher vierzehn besaß.
In Wien entfielen auf die Sozialdemokraten 100.223 auf die Luegerianer 102.333 Stimmen. Beide Parteien standen sich schon nahezu gleich. Trotzdem beherrschten die Luegerianer mit ihren 2000 Stimmen plus unumschränkt die Stadt Wien.
Das neugewählte Abgeordnetenhaus wurde am 4. Februar 1901 mit der üblichen Thronrede, die der Kaiser in der Hofburg von einem Blatt Papier herunterlas, eröffnet. Die sozialdemokratischen Abgeordneten sind, wie auch schon das vorige Mal, nicht in die Burg gegangen. In der ersten Haussitzung stellte der Abgeordnete Dr. Baernreither diesen Dringlichkeitsantrag: »Das Haus wolle beschließen: das Präsidium des Abgeordnetenhauses wird beauftragt, an den Stufen des Allerhöchsten Thrones den ehrfurchtsvollsten Dank für die erhebenden Worte darzubringen, mit denen Seine Majestät am 4. Februar laufenden Jahres den Reichsrat zu begrüßen geruht haben. Das Präsidium wird dem Gefühle unwandelbarer Treue und tiefster Verehrung des Abgeordnetenhauses wärmstens Ausdruck verleihen.«
Diese unwandelbare Treue hat sich 17 Jahre später fast über Nacht gewandelt.
Dazu hielt der Schuhmeier seine parlamentarische Jungfernrede: »Ich begreife, daß die Ansicht über die bürgerlichen Freiheiten in Österreich oben eine andere ist als die Ansicht unten. Wer da unten zu leben gezwungen ist, wird sagen müssen, daß wir in diesem Österreich von bürgerlichen Freiheiten wenig zu spüren haben und daß wir dort, wo eine Freiheit vorhanden ist, nichts weniger behaupten können, als daß diese Freiheit 'auf fester Grundlage', wie es in der Thronrede heißt, beruhe. Die Preßfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Redefreiheit und alle Freiheiten, die wir in Österreich haben, finden ihre Ergänzung im österreichischen Strafgesetze und bei der Polizei, denn die ist bei uns zulande mit den bürgerlichen Freiheiten so verwandt, wie ich mit meiner Mutter es bin.«
Der Präsident unterbricht: »Ich möchte den Herrn Redner ersuchen, sich auf die Frage der Dringlichkeit zu beschränken.«
Schuhmeier: »Und ich, Herr Präsident, möchte bitten, seien Sie hier weniger Rittmeister und mehr Präsident. Die Thronrede spricht nur von Dingen, die der Regierung genehm sind, aber an keiner Stelle davon, was dem Volke nottut. Ich urgiere die Erfüllung der Volkswünsche. Mir ist die Regierung in Österreich Nebensache, das Volk ist mir Hauptsache.«
Der Wiener Bezirksschulrat, in dem lauter Unterläufeln Luegers sitzen, beschließt, beim Landesschulrat die Entlassung des kurz vorher zum Abgeordneten gewählten Lehrers Seitz zu beantragen. Der Landesschulrat hat zwar von einer Entlassung Abstand genommen, aber Karl Seitz strafweise in die Kategorie der Unterlehrer versetzt.
Da der Schuhmeier Abgeordneter ist, kann es der Herr Staatsanwalt der »Volkstribüne« mit seinen Konfiskationen nicht mehr anz'widern. Der Schuhmeier immunisiert jeden konfiszierten Artikel. Er bringt solche Artikel im Parlament als Interpellation ein, auf diese Weise kommen sie ins Sitzungsprotokoll und Abdrucke aus dem Protokoll des Abgeordnetenhauses sind immun, können nicht konfisziert werden.
Um jene Zeit hat der Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand das Protektorat über den katholischen Schulverein, eine Kampforganisation gegen die interkonfessionelle Staatsschule und gegen das Reichsvolksschulgesetz, übernommen. Der Thronfolger wollte damit öffentlich seine Gesinnung bekunden und dem österreichischen Volke zu wissen geben, wie er dereinst diesen Staat zu regieren gedenke, wenn heute oder morgen einmal der gute, alte Herr vom Schönbrunner Park – – wozu es allerdings nicht gekommen ist.
Darüber schrieb der Schuhmeier den Artikel: »Der Schutzengel der Klerikalen und Christlichsozialen«, den der k. k. Staatsanwalt Dr. Bobies pflichteifrigst beschlagnahmte. Bei Immunisierung dieses Artikels wurde der Herr Dr. Lueger gar wild.
Pernerstorfer rief ihm zu: »Der Lueger ist durch den Umgang mit dem Wittek verdorben worden.«
Der Schuhmeier trumpfte drauf: »Ich glaub, er war von Haus aus nicht viel wert.«
Dem Staatsanwalt Dr. Bobies widmete er dieses Gedicht:
»Die Wahrheit kannst du halt nimmermehr vertragen.
Doch werden wir sie dir immer wieder sagen,
Und steigst du zehnmal dich auf den Kopf,
Es wird nicht anders – glaub es –, armer Tropf.«
Zum zweiten Male spricht er über die Arbeitsverhältnisse der Bergarbeiter. Seinen im sozialpolitischen Ausschuß abgelehnten Antrag auf gesetzliche Festlegung der Achtstundenschicht für die Bergarbeiter bringt er im Hause als Minoritätsantrag ein, der selbstredend abgelehnt wird. Diese große Rede erscheint als Broschüre unter dem Titel »Acht oder neun Stunden«, die in den österreichischen Bergbaurevieren reißenden Absatz findet.
Bei einer Ergänzungswahl für das Favoritener Mandat in den niederösterreichischen Landtag wird Victor Adler gewählt, der damit sein erstes Mandat erhält und als erster Sozialdemokrat in den Landtag einzieht.
Die Christlichsozialen rasen. Sie beschimpfen insbesondere die sozialdemokratischen Frauen, die für Victor Adler agitiert haben, und nennen. diese: »Priesterinnen der freien Liebe, jüdische Prostituierte aus der Leopoldstadt, Abschaum des weiblichen Geschlechtes.«
Die Slawen setzen auch im neuen Abgeordnetenhaus ihre Obstruktion fort. Dr. von Koerber weiß sie zu packen. Er droht mit dem allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrecht. Geschreckt verwandeln sich die wilden Männer in brave, gefügige Kinder. Ihre Mandate und ihre Vorrechte sind ihnen doch mehr wert als ihre »nationalen Belange«.
Der Hofrat Dr. Ferdinand Ritter von Holzinger, der dazu ausersehen war, klassenbewußten Arbeitern, die in die Fange der Justiz gerieten, in den österreichischen Strafhäusern verschwinden zu lassen, hat sich in seinem Büro entleibt. Man war ihm auf sexuelle Verfehlungen gekommen.
Der Schuhmeier widmete ihm diesen Nekrolog: »Der Blutrichter von Wien hat sich an der Stätte des Wiener Blut- und Hochgerichtes den Tod gegeben. Er ist sein eigener Scharfrichter geworden. Gibt es eine Nemesis?«
Der Schuhmeier schloß eine Rede mit dem Rufe »Nieder mit der Dynastie!« Große Aufregung bei den schwarzgelben Patrioten. Sie wollten sich auf den Majestätsverbrecher stürzen, drohten ihm mit geballten Fäusten und die Parlamentswache schritt ein, um den Schuhmeier wegen Majestätsbeleidigung auf der Stelle zu verhaften. Schon legte der diensthabende Beamte Hand an den Schuhmeier. Dieser stand unbewegt da und erklärte ruhig: »Nieder mit der Dynastie Geßmann habe ich natürlich gemeint.«
Der Sturm wich einem befreienden Gelachter. Nicht nur Luegers Leibintrigant, der alte Dr. Albert Geßmann, sondern auch sein Sohn spielten damals in der Politik eine wenig rühmliche Rolle. Vater und Sohn waren die »Dynastie Geßmann«.
Der Schuhmeier war noch nicht lange Abgeordneter, noch nicht ganz parlamentarisch zimmerrein und rutschte daher auf dem glitschigen parlamentarischen Parkett aus. Schuld war wieder der Dr. Geßmann.
Bei der Wahl in den Gehilfenausschuß der Handlungsgehilfen siegte zum ersten Male die sozialdemokratische Liste Karl Pick und Kollegen über den bisherigen christlichsozialen Gehilfenobmann und Abgeordneten Axmann. Der Luegermagistrat ließ die Wahl aus fadenscheinigen Gründen annullieren. Als bei der zweiten Wahl klar zutage trat, daß die Liste Pick wieder einen großen Vorsprung hatte, brach der Vertreter des Wiener Magistrats den Wahlakt vorzeitig ab.
Dieser Gewaltakt kam im Parlament zur Sprache: Dr. Geßmann, der bereits Regierungsrat und, wenn er – wie fast immer – aufgeregt war, beim Reden mit seinem Speichel herumspritzte, vom Schuhmeier »Regierungsrat Spuckerl« gefrotzelt wurde, verteidigte mit den unglaublichsten Drehs den Magistrat, wobei er mit dem Schuhmeier in ein Wortgefecht geriet. Mit dem ging es durch und er warf dem Dr. Geßmann an den Kopf: »L. m. i. A. Sie akademisch gebildeter Trottel.«
Sprachlosigkeit, Entsetzen. Das hat man sich im Hohen Hause bisher höchstens gedacht, aber gesagt ist es noch nie worden. Am nächsten Tage machte die bürgerliche Presse in aufgeblasener Entrüstung. Der Schuhmeier hat dafür im Parteivorstand vom »Doktor« eine ernstliche Verwarnung bekommen. »Soll er's halt bleiben lassen«, beendigte der Delinquent die Debatte.
Kurze Zeit darauf hat auch der alldeutsche Abgeordnete Iro in öffentlicher Sitzung den Götz zitiert. Da war die Entrüstung lange nicht mehr so groß. Gegen Ende 1901 nahm in Wien die Arbeitslosigkeit katastrophale Formen an. Arbeitslos zu sein war damals etwas Furchtbares, weil nur die Organisierten von ihrer Gewerkschaft eine minimale Arbeitslosenunterstützung, die Nichtorganisierten aber gar nichts bekamen. Eine Arbeitslosendemonstration im Dezember, an der über 30.000 hungernde Menschen teilnahmen, verlief äußerst turbulent und endete mit »Zaruck« und »Einspirr'n«.