Aristoteles
Nikomachische Ethik
Aristoteles

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Dreizehntes Kapitel.

Gemäß einer jeden Staatsverfassung gibt es nun eine entsprechende Freundschaft, weil auch ein Recht; beim Könige gegenüber seinen Untertanen jene, die auf überwiegendem Wohltun beruht. Der König ist der Wohltäter seiner Untertanen, wenn anders er in edler Gesinnung für sie sorgt, daß es ihnen wohl ergehe, wie ein Hirt für seine Schafe. Darum hat auch Homer den Agamemnon einen Hirten der Völker genannt. Dieser Art ist auch die väterliche Freundschaft, nur daß sie sich von der königlichen durch die Größe der Wohltaten unterscheidet. Denn dem Vater danken die Kinder das Dasein, das als das größte gilt, die Ernährung und Erziehung. Das gleiche Verdienst schreibt man den Vorfahren zu, und es ist die Natur selbst, die dem Vater die Herrschaft über die Kinder, den Vorfahren die über die Nachkommen und dem Könige die über die Untertanen zuweist. Diese Freundschaften beruhen auf Überlegenheit, daher werden auch die Eltern geehrt. Und deshalb ist auch das Recht unter solchen Freunden nicht dasselbe, sondern es bestimmt sich nach Verhältnis und Würdigkeit, weil gleiches von der Freundschaft gilt. Die Freundschaft ferner des Mannes mit der Frau ist dieselbe wie die in der Aristokratie. Sie richtet sich nach den Vorzügen jedes Teils und gesteht dem Besseren das größere Gut zu, und doch jedem das Gebührende; und gleiches gilt von dem Rechte. Die Freundschaft zwischen Brüdern aber gleicht der zwischen Hetären, d. h. gemeinsam erzogenen Genossen. Denn sie sind einander gleich an Stellung und Alter, und die so sind, stimmen auch meistens in Gemütsanlage und Charakter überein. Mit ihr kann daher die Freundschaft verglichen werden, der man in der Timokratie begegnet. Denn die Bürger eines Verfassungsstaates beanspruchen gleiches Recht und gleichen Wert; somit ist die Herrschaft gleichmäßig unter sie verteilt, und danach gestaltet sich denn auch ihre Freundschaft.

In den Auswüchsen oder Ausartungen dieser Staatsformen aber findet sich wie nur wenig Recht und Gerechtigkeit, so auch nur wenig Freundschaft, am wenigsten in der ärgsten, der Tyrannis; in ihr trifft man wenig oder gar keine Freundschaft an; denn wo Herrscher und Beherrschter nichts gemeinsam haben, da ist, weil kein Recht, auch keine Freundschaft, sondern nur ein Verhältnis wie das des Werkmeisters zu seinem Werkzeuge, der Seele zum Leibe (1161b) und des Herrn zum Sklaven. Denn all dies ist zwar Gegenstand der Fürsorge für den, der es zu seinem Dienste verwendet, aber ein Freundschaftsverhältnis gibt es zum Leblosen so wenig wie ein Rechtsverhältnis. Aber auch nicht zu einem Pferd oder Ochs, oder zu einem Sklaven, insofern als er Sklave ist. Denn hier fehlt jedes Gemeinsame: der Sklave ist ein beseeltes Werkzeug, wie das Werkzeug ein unbeseelter Sklave. Sofern er also Sklave ist, ist keine Freundschaft mit ihm möglich, wohl aber sofern er Mensch ist. Denn jeder Mensch, kann man sagen, steht im Rechtsverhältnis zu jedem Menschen, der Gesetz und Vertrag mit ihm gemeinsam haben kann, und damit ist auch die Möglichkeit eines Freundschaftsbandes gegeben, insofern der Sklave ein Mensch ist. Auch in der Tyrannis ist also Freundschaft und Recht nur wenig zu finden, in der Demokratie aber noch am meisten. Denn wo man sich gleich steht, hat man vieles gemeinsam.


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