Aristoteles
Nikomachische Ethik
Aristoteles

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Neuntes Kapitel.

Nunmehr wollen wir uns wieder zu den einzelnen Tugenden wenden und angeben, was sie sind, was sie zum Gegenstande haben und wie sie geübt werden, woraus sich auch ergeben wird, wie viele ihrer sind.

Zuerst wollen wir von dem Mute handeln.

Daß er die Mitte im Gebiete der Affekte der Furcht und Zuversicht ist, wurde schon oben bemerkt. Was wir aber fürchten, ist natürlich das Furchterregende, und dieses ist einfach gesagt ein Übel. Darum erklärt man auch die Furcht für die Erwartung eines Übels. Wir fürchten nun zwar alle Übel, wie Schande, Armut, Krankheit, Freundelosigkeit, Tod. Doch scheint sich der Mut nicht auf sie alle zu beziehen. Bei einigen Übeln ist Furcht Pflicht und sittlich gut und das Gegenteil sittlich schlecht, z. B. bei der Schande. Wer sie fürchtet, ist ein anständiger und fein fühlender Mensch, und wer sie nicht fürchtet, ist ein Mensch ohne Schamgefühl, der freilich von manchen im uneigentlichen Sinne mutig genannt wird, weil er mit dem Mutigen insofern eine Ähnlichkeit besitzt, als dieser auch in gewisser Hinsicht keine Furcht hat. Armut aber und Krankheit und überhaupt was nicht von Schlechtigkeit herrührt, darf man vielleicht nicht fürchten, doch ist auch der nicht mutig, der gegenüber diesen Dingen keine Furcht hat. Indessen nennen wir auch ihn so wegen einer gewissen Ähnlichkeit, da manche, die in Gefahren des Krieges feig sind, freigebige Leute sind und sich aus Geldverlusten nichts machen. Auch ist der gewiß kein Feigling, der wegen Gewalttaten an Weib und Kindern oder wegen Neid oder sonst dergleichen in Furcht ist, noch ist der schon ein mutiger Mann, der gleichmütig bleibt, wenn er Schläge bekommen sollHier sind Sklaven gemeint. .

Was für Schrecknisse wären es also, mit denen der Mutige es zu tun hat? Sollten es nicht die größten sein? Niemand ist ja mehr als er im stande das Schreckliche zu ertragenJede Kraft wird nach dem Letzten und Höchsten bestimmt, was sie leisten kann. . Was aber am meisten Furcht erregt, ist der Tod. Er ist das Ende, und für den Todten scheint es nichts gutes und schlimmes mehr zu gebenNämlich für den Todten haben alle Güter und Übel des gegenwärtigen Lebens ein Ende. Vielleicht ist auch daran gedacht, daß für Sinn und Erfahrung mit dem Tode alles aus ist, und darum Mut dazu gehört, mit guter Hoffnung zu sterben. . Indessen scheint es der Mutige auch nicht mit dem Tode in jeder Gestalt zu tun zu haben, z. B. nicht mit dem Tod auf dem Meere oder in einer Krankheit. Unter welchen Umständen muß er also dem Tod gegenüberstehen? Gewiß unter den rühmlichsten. Das sind aber diejenigen, die der Krieg im Gefolge hat. Hier ist die Gefahr am größten und ruhmvollsten zugleichDer Tod im Kriege wird hier besonders genannt, weil der Tod am häufigsten in dieser Gestalt die Mannhaftigkeit auf die Probe stellt. Indessen gilt gleiches von jedem Tode, der für ideale Güter erlitten wird. . Damit stimmen denn auch die Ehren überein, die in den Freistaaten und von den Fürsten den im Kampfe Gefallenen zuerkannt werden.

Demnach wird mutig im eigentlichen Sinne heißen wer angesichts eines rühmlichen Todes und alles dessen, was auf einmal den Tod nahe bringt, also besonders in Krieg und Schlacht, furchtlos und unverzagt ist. Indessen ist der mutige Mann auch auf dem Meere oder in Krankheiten (1115b) ohne Furcht, aber nicht so wie die Seeleute. Die einen glauben an keine Rettung und sterben nicht gern den Tod des Ertrinkens, die anderen sind auf grund ihrer Erfahrung voller Zuversicht.

Auch bewährt sich die Mannhaftigkeit unter Umständen, wo eine Abwehr möglich ist, oder das Sterben Ruhm bringt. Bei den angezeigten Todesarten aber ist keines von beiden der Fall.


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