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Von Konteradmiral z. D. Carl Schönfelder.
Anfang Dezember des Jahres 1900 traf ich mit dem Postdampfer Barbarossa des Norddeutschen Lloyd in Sydney ein, wo ich das Kommando S. M. S. »Möwe« übernehmen sollte. Dieses Fahrzeug, das seit mehreren Jahren zu Vermessungen, d. h. zur Aufnahme von Seekarten benutzt wurde, lag schon seit mehreren Wochen im Hafen, um die notwendigen Reparaturen auszuführen und den jährlich stattfindenden Besatzungswechsel vorzunehmen.
Das Schiff war 1879 vom Stapel gelaufen, hatte also schon ein beträchtliches Alter erreicht. In seiner Glanzzeit war es als kleiner Kreuzer verwendet worden und war den damaligen Ansichten entsprechend als Dampf- und als Segelschiff gebaut. Seine Wasserverdrängung betrug 845 Tonnen, und die Maschine konnte 600 Pferdekräfte indizieren. Ursprünglich erreichte es damit eine Geschwindigkeit von 10 bis 11 Seemeilen in der Stunde; zur Zeit konnte es aber nur noch 7 bis 8 Seemeilen dampfen. Auch die Armierung, die aus mehreren leichten Geschützen und einigen Revolverkanonen bestanden hatte, war längst veraltet, so daß das Schiff für Kriegszwecke nicht mehr brauchbar war. Für seinen jetzigen Zweck genügte es dagegen noch vollkommen. Um mehr Platz zu gewinnen, waren die leichten Geschütze bis auf zwei, die vorn im Bug standen, entfernt und auf dem Achterdeck ein Aufbau aufgesetzt worden, der die Kommandantenwohnräume und den Zeichenraum für die Karten enthielt.
Die Bootsausrüstung war vermehrt und bestand aus zwei Dampfpinassen, einem Kutter, einer Jolle, einem Dingy und einer Gig. Der Kutter und die Gig hatten die Form der Whaleboote, mit spitzem Heck, um auch als Brandungsboote dienen zu können.
Trotz des hohen Alters machte das Schiff mit seinen schlanken Linien und seiner Takelage einen sehr netten Eindruck und sah hübscher aus, als so manches moderne Kriegsschiff, bei dem die Schönheit hinter der Zweckmäßigkeit zurückstehen muß.
Im Februar 1901 sollte die Ablösung für die halbe Besatzung in Sydney eintreffen; ich selbst war früher gekommen, da der bisherige Kommandant krankheitshalber nach Deutschland zurückreisen mußte. Dadurch hoffte ich Zeit zu gewinnen, mich zunächst an Bord einleben zu können, bevor ich mit dem Schiff in See gehen mußte. Aber der Kommandant denkt und das Oberkommando der Marine lenkt.
Schon Mitte Dezember erhielt ich den Befehl, aus politischen Gründen Hobart an der Südküste der Insel Tasmanien anzulaufen und dort mehrere Wochen zu bleiben. Da das Schiff für gewöhnlich nicht südlicher als bis Sydney ging und dies in der Regel im dortigen Sommer geschah, waren die eisernen Öfen, die bei kaltem Wetter in den Wohnräumen aufgestellt werden konnten, für entbehrlich gehalten und mit all den Gegenständen, die nur zum Vermessen gebraucht wurden, im Bismarck-Archipel zurückgelassen worden.
Diese Maßregel sollten wir jetzt bitter bereuen. Schon unterwegs wurde es trotz des schönen Wetters recht unangenehm kühl und in Hobart selbst, das zirka 9 Grad südlicher, wie Sydney liegt, entsprach die Temperatur etwa der in unserem Oktober oder November. Aber was half es, sich darüber zu beklagen, wir mußten uns, so gut oder so schlecht es gehen wollte, damit abfinden.
Soviel ich weiß, war S. M. S. »Möwe« seit sehr langer Zeit das erste deutsche Kriegsschiff, das Hobart anlief. Deshalb wurden wir von der Bevölkerung ganz besonders gut aufgenommen und mit vielen Festlichkeiten gefeiert. Auch konnten wir uns an den vorzüglichen Früchten, die dort gedeihen, gütlich tun; namentlich an Erdbeeren, Johannisbeeren, Stachelbeeren und Kirschen, die, was Größe und Wohlgeschmack anbetrifft, wohl auf der ganzen Erde nicht besser angetroffen werden.
So verging uns die Zeit trotz des kalten Wetters wie im Fluge, und nur mit Bedauern schieden wir Ende Januar wieder von diesem schönen Fleckchen Erde und kehrten nach Sydney zurück. Sobald hier Mitte Februar die neue Besatzung eingetroffen und das Schiff wieder ausgerüstet war, traten wir die Reise nach dem Bismarck-Archipel an, um uns hier unserer eigentlichen Tätigkeit zu widmen. Leider aber sollten wir das Ziel diesmal nicht erreichen.
Eine ernstliche Maschinenhavarie zwang mich schon nach wenigen Tagen, Brisbane als Nothafen anzulaufen. Die Behörden kamen mir hier sehr entgegen und wiesen mir einen Ankerplatz im Fluß ganz in der Nähe der Reparaturwerften an. Doch war die Freude hierüber nicht von langer Dauer. Am zweiten Tage, ehe noch die Reparaturen ernstlich in Angriff genommen waren, brach an Land die Beulenpest aus. Unter allen Umständen mußte ich es vermeiden, diese Krankheit an Bord einschleppen zu lassen; denn dann wäre es für mich absolut ausgeschlossen gewesen, im Bismarck-Archipel Vermessungen auszuführen.
Einerseits hätte ich mit einer durch Krankheit geschwächten Besatzung nichts ausrichten können, andererseits wäre die Gefahr, die Eingeborenen anzustecken, zu groß gewesen. Letzteres hätte unabsehbare Folgen nach sich ziehen können, weil erfahrungsgemäß die wilden Völker gegen alle eingeschleppten Krankheiten sehr wenig widerstandsfähig sind.
Es blieb mir unter diesen Umständen nichts übrig, als sofort jeden Verkehr mit dem Lande abzubrechen und mir, so gut als möglich, mit den Mitteln, die mir das Schiff selbst bot, zu helfen. Zunächst galt es, aus dem Bereiche der verseuchten Stadt zu gelangen. Da ich der Maschine in ihrem augenblicklichen Zustande nicht trauen konnte, ließ ich das Schiff von einem Schleppdampfer nach der vor der Mündung des Brisbane-Flusses gelegenen Moreton-Bai schleppen und legte es dort vor Anker. Die Jahreszeit war günstig, und schwere Stürme waren kaum zu erwarten. So konnte ich denn mit Ruhe daran gehen, die Maschine auseinanderzunehmen und notdürftig flicken zu lassen. Auch der Kohlenvorrat war erschöpft. In Brisbane hätte ich ihn zwar ergänzen können, doch war dies nicht rätlich, da mit den Kohlenprähmen pestkranke Ratten an Bord kommen konnten. Ich war also gezwungen, Rat zu schaffen. Durch Vermittlung des Konsulates bestellte ich die Kohlen in Sydney, die ein Dampfer nach Moreton-Bai bringen mußte. Diese Gelegenheit wurde gleich benutzt, das Schiff mit frischen Gemüsen, frischem Fleisch und mehreren Schlachtochsen zu versorgen. Inzwischen arbeitete das Maschinenpersonal eifrig an der Wiederherstellung der Maschine. Nach etwa 3 bis 4 Wochen, die zur Ausbildung der neuen Besatzung im Vermessungsdienst nutzbar gemacht wurden, war das Schiff wieder einigermaßen seefähig. Allerdings konnte ich noch nicht daran denken, nach dem Bismarck-Archipel zu dampfen, denn dort war weit und breit keine Werft vorhanden, die die Maschine bei einem erneuten Zusammenbruch hätte reparieren können. Ein solcher war aber zu befürchten, wenn ich aus irgend einem Grunde gezwungen worden wäre, sie nur im geringsten anzustrengen.
Ich mußte also nach Sydney zurück, dem einzigen nicht zu weit entfernten Hafen, wo die Maschine gründlich repariert werden konnte. Hier trafen wir Anfang April wieder ein. Da ich in Brisbane sofort allen Verkehr mit dem Lande abgebrochen und mehrere Wochen in Moreton-Bai gelegen hatte, wurden mir von der Gesundheitsbehörde keine Schwierigkeiten bereitet und das Schiff nicht in Quarantäne gelegt, was andernfalls sicher geschehen wäre. Die Reparaturarbeiten wurden sofort in Angriff genommen und dabei das ganze Schiff gehörig überholt. Ferner ließ ich im Dock den Boden vom Pflanzenanwuchs reinigen und neu streichen. Auch der Großmast, an dem sich faule Stellen gezeigt hatten, wurde erneuert.
Ende Mai war alles fertig, und ich konnte, nach einer glücklich verlaufenen Probefahrt, bei der zeitweilig über 10 Seemeilen erzielt wurden, endlich mit voller dreimonatlicher Verspätung nach dem Bismarck-Archipel in See gehen. Diesmal verlief die Reise ohne Zwischenfall, nur einmal war ich gezwungen, für 24 Stunden beizudrehen, da Wind und Seegang so zugenommen hatten, daß das Schiff, wenn es auf seinem Kurse blieb, gefährdet erschien.
Anfang Juni lief ich im Hafen von Matupi, unserem Stützpunkt, ein. Hier wurden sofort die Kohlen ergänzt und das Vermessungsgerät, das dort lagerte, an Bord genommen. Dann ging es nach Mioko, einem kleinen Hafen auf der Inselgruppe Neu-Lauenburg. Diese Gruppe war zwar schon im Jahre vorher aufgenommen worden, doch hielt ich es für vorteilhaft, ein bis zwei Wochen zu opfern, um die neue Besatzung in den ihr zum Teil noch fremden Dienst einzuführen, bevor ich mit der eigentlichen Tätigkeit begann. Dies trug auch reiche Früchte, da später die Arbeiten um so schneller fortschritten.
In Mioko machte das Schiff an einer Landungsbrücke fest, die auf einem gänzlich versandeten Schiffswrack erbaut ist. Nach der Behauptung der in Mioko lebenden Europäer soll dies das Wrack des Expeditionsschiffes des französischen Marquis del Rey sein, der seiner Zeit den verunglückten Versuch machte, die Inseln durch Europäer zu besiedeln. Danach wäre also die Brücke eine Art Denkmal jener Expedition.
Der Dienst wurde in derselben Weise gehandhabt, wie es auf allen deutschen Kriegsschiffen im Hafen geschieht, nur daß statt der täglichen Exerzitien der Hafen ausgelotet und eine neue Karte aufgenommen wurde. Da dieselbe mit der vom Vorjahre gut übereinstimmte, konnte nach etwa 8 Tagen die Ausbildung abgeschlossen und nunmehr mit der eigentlichen Arbeit begonnen werden. Zunächst kehrte ich nach Matupi zurück, um die Post an Bord zu nehmen und die Vorräte aufzufüllen. Zur Unterstützung und möglichsten Schonung der Besatzung bei den sehr anstrengenden Vermessungsarbeiten wurden von einer Pflanzung zwölf schwarze Arbeiter, die von den Salomonsinseln stammten, ermietet. Den Lohn für diese Leute zahlte ich an die Pflanzung; die Arbeiter selbst erhielten nur jeden Sonntag etwas Tabak und abwechselnd ein Stück buntes Baumwollenzeug als Lendenschurz oder zwei Kalkpfeifen. Außerdem wurden sie mit einer weißen Mütze mit Schiffsband ausgerüstet, die sie aber nur bei feierlichen Gelegenheiten anlegen durften. Sie bildeten eine Korporalschaft unter einem Obermatrosen, der sich bemühte, ihnen die Grundformen des militärischen Dienstes beizubringen, was ihm auch überraschend schnell gelang, zumal ein Teil der Leute schon im vorhergehenden Jahre an Bord gewesen war.
Die Verständigung geschah anfänglich in dem in der ganzen Südsee gebräuchlichen Pidgin-Englisch, einem verdorbenen Englisch, das mit allerlei fremden Brocken gemischt ist; doch lernten die Schwarzen, als ich den Gebrauch des Pidgin-Englisch verbot, bald soviel Deutsch, daß sie sich mit der Schiffsbesatzung in unserer Sprache unterhalten konnten. Ihre Unterkunft an Bord gestaltete sich äußerst einfach. Als Schlafplatz wurde ihnen ein bestimmter Teil des Oberdecks angewiesen, als Bett erhielt jeder eine wollene Decke, in die er sich des Nachts einhüllte. Vor den Matrosen hatten sie anfänglich so große Achtung, daß sie es nicht wagten, sich zu ihnen zu setzen. Sogar bei Regenwetter blieben sie des Nachts an Deck und ließen sich lieber naß regnen, als daß sie sich in den Schlafraum der Mannschaften legten, bis ich diesem Zustande durch gemessene Befehle ein Ende machte.
Bei den Musterungen standen sie ebenso, wie die übrige Besatzung in zwei Glieder ausgerichtet und führten alle deutschen Kommandos auf das gewissenhafteste aus. Dabei waren sie stets guter Laune, und zu allen, auch den schwersten Arbeiten bereit. Schon nach kurzer Zeit hatten sie den militärischen Gruß gelernt, und es machte mir immer Vergnügen, wenn ich ihnen an Land begegnete, und sie stramm vor mir Front machten. Für freundlichen Zuspruch und lobende Worte waren sie sehr empfänglich, der Stolz darüber leuchtete ihnen förmlich aus den Augen.
Als das Schiff wieder ausgerüstet war, dampfte ich nach unserem Arbeitsgebiet an der Nordküste der Gazellehalbinsel. Zunächst mußten die zuletzt im Vorjahre festgelegten trigonometrischen Punkte aufgesucht werden, um auf dieser Grundlage weiter arbeiten zu können. Die Vermessung geschieht nämlich in der Weise, daß man von zwei bereits bestimmten Punkten aus einen dritten festlegt, indem man die Winkel des Dreiecks, dessen Ecken diese Punkte sind, mißt. Aus den Winkeln und der bekannten Entfernung zwischen den ersten beiden Punkten werden die anderen beiden Seiten des Dreiecks errechnet oder auch das Dreieck unmittelbar auf der Karte aus der einen Seite und den anliegenden Winkeln konstruiert. Dies Verfahren nennt man triangulieren. Als trigonometrische Punkte wählt man passend liegende natürliche Marken, wie einzelne Bäume, Hügelkuppen, einzelne Felsen und Ähnliches, die, wo erforderlich durch Tafeln, Flaggen usw. bezeichnet werden. Sind natürliche Marken nicht vorhanden, werden sogenannte Baken gebaut, das sind pyramidenförmige Gerüste aus Stangen und Latten, die oft, um sie weit sichtbar zu machen, eine beträchtliche Höhe haben. Das Bauholz hierzu lieferten die reichlich vorhandenen Bestände des Urwaldes und der Mangroven an der Küste.
Glücklicherweise waren die Bezeichnungen der letzten trigonometrischen Punkte des Vorjahres noch vorhanden, so daß wir ohne weiteres daran anschließen konnten. Dies ist durchaus nicht immer der Fall, denn häufig bemächtigen sich die Eingeborenen des Materials, das zur Markierung der trigonometrischen Punkte dient, namentlich, wenn man so unvorsichtig gewesen ist, hierzu buntes Flaggentuch oder ähnliche für sie besonders begehrenswerte Sachen zu verwenden. Auch eiserne Nägel und Beschläge reizen sie zum Diebstahl. Ich glaube nicht, daß sich die Eingeborenen dabei bewußt sind, ein Unrecht zu tun, vielmehr dürften sie der Ansicht sein, der reiche weiße Mann habe alle diese schönen Sachen als Geschenk für sie angebracht.
So erlebte ich vor einigen Jahren an der Ostküste der Gazellehalbinsel, als ich erster Offizier eines kleinen Kreuzers war, folgenden Fall. Wir sollten dort eine größere Bucht flüchtig vermessen und hatten an Land die nötigen Zeichen aufgestellt, die wir aus Bootshaken und Signalflaggen hergestellt hatten. Am nächsten Morgen war nichts mehr davon zu sehen, statt ihrer erblickten wir mehrere Boote mit Eingeborenen, die freudestrahlend die Flaggen und Bootshaken schwenkten, augenscheinlich in der Absicht, sich für die schönen Geschenke zu bedanken. Allerdings blieben sie in respektvoller Entfernung von unseren Booten, denn so ganz mögen sie dem Frieden doch nicht getraut haben. Hätten sie aber das Bewußtsein gehabt ein Unrecht zu begehen, so würden sie sich sicher nicht so offen gezeigt haben.
Nun begann für uns eine angestrengte Tätigkeit. Morgens um 5 Uhr wurde die Mannschaft geweckt, dann wurde gefrühstückt und um 6 Uhr fuhren sämtliche Boote von Bord. Das Schiff hatte ich in einer kleinen Bucht verankert, die am Ende des im Vorjahre vermessenen Gebietes lag. Weiter vorzudringen war zunächst nicht angängig, da die ganze Küste mit unter Wasser liegenden Riffen umsäumt war. Anfänglich arbeiteten die Boote in unmittelbarer Nähe des Schiffes; je mehr die Vermessung aber fortschritt, um so weiter hatten sie zu fahren. Um nun nicht durch mehrmaliges Zurücklegen des Weges zuviel Zeit zu verlieren, wurde ihnen der Tagesproviant mitgegeben. Zur Ausrüstung jedes Bootes gehörte eine sogenannte Bootskombüse, d. h. ein kleiner eiserner Kochofen. An einem geeigneten Platze wurde ein des Kochens kundiger Matrose mit der Kombüse und dem Proviant an Land gesetzt, wo er das Mittagessen zubereitete. Das dazu nötige Wasser wurde entweder aus einem in der Nähe befindlichen Flüßchen oder aus dem Vorrate des Bootes entnommen. Um gegen etwaige Angriffe feindlicher Eingeborenen gerüstet zu sein, nahm der Matrose seine Handwaffen und eine Anzahl scharfer Patronen mit.
In der ersten Zeit befolgten die Leute gewissenhaft die angeordneten Sicherheitsmaßregeln, bald aber wurden sie sehr sorglos, da die Eingeborenen, offenbar durch die Anwesenheit des Kriegsschiffes im Zaume gehalten, sich fast gar nicht sehen ließen. So geschah es einmal, daß der Koch eines Bootes, der weit vom Schiff an Land gesetzt war, zu spät bemerkte, daß er die Streichhölzer vergessen hatte. Sein Rufen und seine Zeichen wurden vom Boot aus wegen der zu großen Entfernung nicht bemerkt. Nun war guter Rat teuer. Wie sollte das Mittagessen zur Zeit fertig sein, damit er sich nicht dem berechtigen Zorn seiner Kameraden aussetzte? Er hätte vielleicht nach Art der Eingeborenen durch Reiben zweier Hölzer Feuer anmachen oder das aus einer Patrone entnommene Pulver durch das Zündhütchen entzünden und sich so helfen können. Aber erstere Methode kannte er nicht, letzteres wagte er nicht, da er ja kaiserliches Eigentum dabei zerstören mußte. Kurz entschlossen begab er sich auf die Wanderung, um Hilfe von den Eingeborenen zu holen. Unbesorgt ließ er seine sämtlichen Sachen am Strande liegen und drang unbewaffnet längs des Ufers des hier mündenden Flüßchens in den Urwald ein. Nach etwa halbstündigem Marsche traf er auch auf einige Eingeborene, die im Flusse dem Fischfang oblagen. Durch Zeichen verständigte er sich mit ihnen und erhielt einige brennende Äste, die er mit vieler Mühe an den Strand zurückbrachte.
Daß die Eingeborenen die so günstige Gelegenheit nicht benutzten, sich in den Besitz des vielbegehrten Gewehres zu setzen, kann ich mir nur dadurch erklären, daß sie einerseits nichts davon wußten, daß ein solches unbeaufsichtigt am Strande lag, andererseits die Rache des Schiffes fürchteten. Natürlich war ich mit der Handlungsweise des Mannes nicht einverstanden und sah von einer strengeren Bestrafung nur ab, weil der Matrose letzten Endes aus Pflichtgefühl gehandelt hatte. Eine ernstliche Rüge konnte ich ihm aber nicht ersparen.
Zuerst galt es, neue trigonometrische Punkte aufzusuchen, zu bezeichnen und festzulegen. Hierbei erwiesen sich die Schwarzen äußerst brauchbar. Mit unfehlbarem Instinkt führten sie die Offiziere ohne Weg und Steg durch den dichten Wald nach den passendsten Punkten hin, so daß sich an Land bald eine größere Anzahl von See aus gut sichtbarer Zeichen erhob. Leider waren aber von fast jedem Punkt aus nur die benachbarten beiden Zeichen zu sehen, während die Aussicht nach dem dritten Punkt durch den dichten Wald völlig verdeckt war. Es mußten also zur Herstellung brauchbarer Dreiecke noch eine Reihe von Baken im Wasser errichtet werden.
Prächtige Gelegenheit boten hierzu die zahlreichen vorgelagerten Riffe, die bei Niedrigwasser zum Teil nur wenig überflutet waren. Zwar konnte hier nur bei niedrigem Wasserstand, also nur wenige Stunden am Tage, gearbeitet werden, doch genügte dies, da in dieser Jahreszeit die südöstlichen Winde vorherrschten, die über Land kommend die See nicht aufwühlen, die Baken somit nur leicht gebaut zu werden brauchten. Diese Arbeit im Wasser war den Leuten bei der herrschenden Wärme, die etwa 30 bis 40ºC im Schatten betrug, nicht weiter unangenehm, trotzdem sie wegen der Gefahr des Sonnenbrandes ihre Kleider anbehalten mußten. Auch die Schuhe durften sie nicht ablegen, da sie sich sonst auf den scharfen Korallenriffen die Füße zerschnitten hätten. Was tat es ihnen, wenn sie nach Beendigung des Bakenbaues mit nassen Kleidern im Boot saßen? Sorgte doch die warme Sonne dafür, daß sie bald wieder trockneten.
Dagegen bildeten die Meeresbewohner eine gewisse Gefahr. In diesen Gegenden wimmelt es von Haifischen, die sich viel in der Nähe der Riffe aufhalten. Es mußte deshalb stets scharf aufgepaßt werden. Die sich nähernden Haie wurden durch wohlgezielte Gewehrschüsse verjagt. Auch gibt es viele giftige Wasserschlangen, vor denen sich die Leute in acht nehmen mußten. Glücklicherweise ist das Wasser so klar, daß man bis tief auf den Grund sehen und jede Gefahr sofort bemerken kann. Dank der Umsicht der führenden Offiziere und Deckoffiziere ist auch kein einziger Unglücksfall vorgekommen.
Sehr bald gewöhnten sich die Leute an den stets wiederkehrenden Anblick der Haie, begrüßten sie, sobald sie sich zeigten, mit dem Ruf: »Gun Morrn Krischan, bist Du ok all wedder dor?« und suchten, ihnen das Lot auf den Kopf zu werfen.
Um ½12 Uhr begann, wenn nicht besondere Umstände ein Abweichen von dieser Regel erforderlich machten, die Mittagspause. Jedes Boot strebte schleunigst dem Platze zu, wo sein Koch inzwischen das Essen zubereitet hatte. Hier wurde das Boot verankert oder je nach Umständen auf den Strand gezogen und nun vor allen Dingen der durch die Vormittagsarbeit geschärfte Appetit befriedigt. Leider ließ die Verpflegung viel zu wünschen übrig, da wir fast ganz auf Konserven angewiesen waren; aber ein hungriger Seemannsmagen ist nicht verwöhnt und nimmt schließlich mit allem vorlieb. Eine besondere Delikatesse bot öfters das kühle Flußwasser, wenn nämlich gerade Ebbe lief, denn bei Flut dringt das Seewasser in die Flußmündungen ein und macht das Wasser ungenießbar. Das war dann doch ein kühler wohlschmeckender Trunk, wie er an Bord nicht zu haben war, wo zum Trinken nur destilliertes Wasser, das entsprechend der Lufttemperatur etwa 30º warm war, ausgegeben werden konnte. Nach dem Essen wurde entweder ein kurzer Spaziergang in der Nähe des Kochplatzes unternommen oder im Schatten ein kurzes Schläfchen gemacht, bis um ½2 Uhr die Arbeiten wieder begannen. Um 6 Uhr abends wurde die Rückfahrt an Bord angetreten. Hier trafen die Boote häufig erst nach ein- bis zweistündiger Fahrt ein, trotzdem die Dampfpinassen die Ruderboote in's Schlepp nahmen und, wenn irgend angängig, auch die Segel benutzt wurden, weil die Entfernung vom Schiff eben zu groß war. Dann wurden die Boote gehißt, Abendbrot gegessen und unmittelbar danach die Hängematten aufgesucht, mit dem erhebenden Bewußtsein, wieder ein Stück vorwärts gekommen zu sein.
Die Offiziere und Deckoffiziere, die die Vermessungen leiteten, hatten es nicht so gut. Sie mußten erst noch die am Tage beobachteten Dreiecke ausrechnen und in die Karten eintragen, um am nächsten Morgen zur weiteren Arbeit gerüstet zu sein.
Als ein Abschnitt des Strandes fertig trianguliert war, begann das Ausloten. Da die Wassertiefen, wie sie das Lot ergibt, durch die regelmäßig wiederkehrende Flut und Ebbe beeinflußt sind, muß auf sie erst eine Korrektur angewandt werden, ehe sie in die Karte, welche die Tiefen zur Zeit des Springniedrigwassers enthalten soll, eingetragen werden können. Diese Korrektur wird durch Vergleich mit einem Pegel ermittelt, der möglichst mitten im Vermessungsgebiete aufgestellt wird und ständig beobachtet werden muß. Je länger die Beobachtungsperiode dauert, um so genauer wird man seinen Nullpunkt, d. h. den Punkt, wo das Niedrigwasser zur Zeit des Mondwechsels durchschnittlich am Pegel steht, ermitteln. Dieser Punkt ist dann für alle Wassertiefen maßgebend, und man muß von jeder Lotung den Betrag abziehen, um den das Wasser zur Zeit des Lotwurfs höher stand.
Ich hatte daher gleich zu Beginn der Vermessung in der Nähe meines Ankerplatzes eine solche Pegelstation errichtet und mit zwei Mann besetzt, die den Auftrag hatten, stündlich den Pegel abzulesen und genau zu notieren. Des Nachts sollten sie nur kurz vor bis kurz nach Hoch- und Niedrigwasser, dann allerdings alle 10 Minuten Notizen machen. Die Arbeit ist also nicht schwer, erfordert aber große Gewissenhaftigkeit.
Da fast sämtliche Leute und Boote beim Vermessen beschäftigt waren, konnte ich den Pegelbeobachtern, namentlich, als später das Schiff weiter westlich verlegt wurde, nur etwa alle 8 Tage neuen Proviant und sonstige Vorräte zuschicken. Liebenswürdigerweise hatte die hier befindliche Missionsstation einen leeren Schuppen als Wohnraum zur Verfügung gestellt, die Übernahme der Verpflegung dagegen abgelehnt. Die Leute waren also ganz auf sich selbst angewiesen. Dies freie Leben behagte ihnen aber sehr, und schon die bloße Drohung, sie bei etwaigen Unregelmäßigkeiten sofort ablösen zu lassen, reichte hin, sie zu äußerster Gewissenhaftigkeit anzuhalten. Leider erkrankten später beide an Malaria und, da sie, um nicht abgelöst zu werden, dies verheimlichten, wurde dies Leiden ziemlich schwer und langwierig.
So verging in angestrengter Arbeit ein Tag wie der andere. Nur zweimal in der Woche kamen die Boote früher zurück, um den Leuten Zeit zu geben, ihr Zeug in Ordnung zu bringen und zu waschen. Wo es sich ermöglichen ließ, schickte ich die Besatzung zur Zeugwäsche an Land nach irgend einem Flüßchen. Dies war dann immer ein besonderes Fest, da die Gelegenheit gleich zu einem erfrischenden Süßwasserbade ausgenutzt werden konnte.
Auch am Sonnabend wurde die Vermessungstätigkeit eingeschränkt, weil die Mannschaft zu der mindestens einmal in jeder Woche notwendigen gründlichen Reinigung des Schiffes erforderlich war. Dadurch erhielten die Offiziere und Deckoffiziere die erforderliche Zeit, etwa rückständige Rechnungen zu erledigen.
Sonntags fanden vormittags Musterung und Gottesdienst statt. Der Nachmittag wurde, soweit möglich, zu Spaziergängen an Land und seitens der Offiziere und Deckoffiziere zu Jagdpartien ausgenutzt. Hierbei erwiesen sich wieder die Schwarzen sehr nützlich, die mit ihren scharfen Augen das Wild viel früher entdeckten, als wir. Hauptsächlich wurden wilde Tauben erbeutet, eine angenehme Abwechselung für unsere Verpflegung. Dagegen gelang es nicht, trotz mehrerer Versuche, auf wilde Schweine zum Schuß zu kommen. Auch die nicht selten vorkommenden Kasuare waren sehr scheu, und es ist während der ganzen Zeit nur ein einziger von dem ersten Offizier des Schiffes zur Strecke gebracht worden. Zuweilen bemühte sich die Besatzung, Schildkröten zu fangen, die wir öfters schlafend im Wasser treiben sahen, doch blieben die Versuche leider erfolglos. Nur einmal glückte es, ein recht großes Exemplar durch einen Schuß in den Kopf zu erlegen. Trotzdem das Tier nicht sofort getötet wurde, tauchte es, entgegen den sonstigen Erfahrungen, nicht unter, sondern blieb an der Oberfläche schwimmen, so daß wir es ins Boot ziehen konnten. Allerdings war dabei Vorsicht geboten, da es wild um sich biß. Es hatte ein Gewicht von etwa 5 Zentnern und lieferte uns ca. 2 l/2 Zentner Fleisch.
Natürlich stellten wir auch unsern Feinden, den Haifischen nach, die wir nach alter erprobter Methode mit der Angel fingen. Das Fleisch wurde, nachdem die Fische getötet waren, sofort wieder ins Meer geworfen und nur das Rückgrat, Teile der Haut, das Gebiß und die Schwanzflossen zurückbehalten. Das Rückgrat wurde ausgekocht, um es von allen Fleischteilen zu befreien, und durch das Rückenmark ein Draht durchgestoßen, dies ergab mit Griff und Zwinge versehen, einen prächtigen Spazierstock. Die Haut diente in getrocknetem Zustande anstelle von Schmirgelpapier. Das Gebiß wurde, gut gereinigt, als Andenken aufbewahrt. Die Schwanzflosse endlich wurde an die Spitze des Klüverbaumes genagelt, da dies nach einem alten Seemannsaberglauben dem Schiffe Glück bringen soll. Später, als hier kein Platz mehr vorhanden war, wurden auch die Mastspitzen damit geschmückt.
Alle vier Wochen etwa ging ich auf einige Tage nach Matupi oder Herbertshöhe, um dort die Post abzuholen und Kohlen und Proviant zu ergänzen. Dies waren für uns immer Festtage, denn wenn die Anzahl der dort lebenden Europäer auch nur gering war, so sah man doch wieder andere Menschen, als nur die Kameraden an Bord und konnte mit ihnen Gedanken austauschen. Ferner bot sich Gelegenheit zu Reit- und Wagenpartien, da der Gouverneur Dr. Hahl und die Beamten, sowie die übrigen Herren uns bereitwilligst ihre Pferde und Wagen zur Verfügung stellten. Auf der Insel Matupi hatte Herr T. einen Tennisplatz anlegen lassen und uns freundlicherweise eingeladen, dort zu spielen, wovon wir natürlich ausgiebigen Gebrauch machten.
Auch die Verpflegung erfuhr manche Aufbesserung. Hier war es leichter, von den Eingeborenen Schweine und frische Eier, die sie im Walde von den Buschhühnern sammelten, zu erstehen. Die Europäer gaben uns hin und wieder frische Gemüse aus ihren Gärten ab, ein von uns sehr geschätzter Leckerbissen, da wir ja sonst nur auf Konserven angewiesen waren. Mit den Postdampfern ließ ich mehrere Male lebende Ochsen aus Sydney kommen, die, soweit sie nicht sofort geschlachtet wurden, mit der gütigen Erlaubnis des Besitzers der Insel Matupi, Herrn T., dort ausgesetzt wurden. Dies war für uns sehr bequem. Die Tiere fanden im Busch genügend Futter, und wir brauchten uns um sie nicht weiter zu kümmern. Allerdings kostete es später manchmal recht viel Mühe, sie wieder einzufangen, da Herr T. gebeten hatte, davon abzusehen, sie mit dem Gewehr zu erlegen, um nicht die im Busche herumschweifenden Eingeborenen zu gefährden. Der Bottelier des Schiffes, dem das Schlachten der Ochsen oblag, zog dann jedesmal mit einer Anzahl Matrosen an Land, um die Tiere bei der Tränke zu beschleichen und eines derselben mit der Schlinge einzufangen. Meist glückte dies, doch zuweilen kam es vor, daß er mit leeren Händen an Bord zurückkehrte, und die ganze Besatzung in ihrer Hoffnung auf den Festbraten getäuscht wurde. Natürlich hatte er in solchem Falle sehr unter dem Spott seiner Kameraden zu leiden.
So vergingen uns die schönen Tage in Matupi und Herbertshöhe immer sehr schnell, und wir bedauerten nur, daß sie uns so kurz zugemessen waren. Schweren Herzens lichteten wir stets die Anker, um auf unser Arbeitsgebiet zurückzukehren.
Mit der fortschreitenden Vermessung konnte ich das Schiff immer weiter nach Westen verlegen und so den Booten den Weg zum Arbeitsplatze wieder abkürzen. Auch mußte ich bald eine zweite Pegelstation errichten, da die erste schon zu weit entfernt war, um noch zuverlässige Korrekturen zu liefern. Sie blieb nur noch zur Kontrolle im Betrieb.
Der Strand des nordwestlichen Teils der Gazelle-Halbinsel ist nicht bewohnt, weil sich hier ausgedehnte Sümpfe befinden, durch die nur wenige Pfade in das Innere führen. An solchen Stellen befanden sich zwar einige Hütten von Eingeborenen, die sie wohl zum Aufenthalt während des Fischfanges benutzen mochten, doch widerstrebte es mir, trotzdem sie verlassen waren, von ihnen Besitz zu ergreifen. Auch hieß es, daß die hier verkehrenden Eingeborenen die im Gebirge hausenden Bainingleute seien, deren Friedfertigkeit gerade nicht im besten Rufe stand. Einen feindlichen Zusammenstoß mit ihnen wollte ich aber nach Möglichkeit vermeiden, weil dadurch nur die Vermessungsarbeiten leiden konnten.
Ich beschloß deshalb, die neue Pegelstation auf einer etwa zwei Seemeilen vom Lande entfernten Inselgruppe zu errichten. Diese Gruppe, von den Engländern Scillies, von den Eingebornen Talele genannt, bestand aus sechs kleinen mit Bäumen und Buschwerk bestandenen Inseln, zwischen denen sich enge und seichte Kanäle durchwinden. Da sie unbewohnt sind, werden sie von den wilden Tauben als Brutplatz bevorzugt. Innerhalb der Außenriffe, also mitten im Vermessungsgebiet gelegen, eigneten sie sich in hervorragender Weise für meinen Zweck.
Auf einer der westlichsten Inseln, Wuna Ballo, die etwa 450 m lang und 200 m breit war, befand sich eine kleine Lichtung, auf der ich von den Zimmerleuten des Schiffes aus Latten das Gerüst zu einer Hütte bauen ließ. Die Schwarzen mußten es mit Palmblättern ausflechten und decken. An dem Dach wurde eine Rinne angebracht, um das Regenwasser in einem eisernen Kasten sammeln zu können. Dies war nötig, weil sich auf den Inseln keine einzige Quelle befand, und die Beobachter sonst lediglich auf die Frischwasservorräte des Schiffes angewiesen gewesen wären. So konnten sie aber genügend Wasser zum Waschen sammeln und ich brauchte ihnen nur den Vorrat zum Trinken und Kochen zu liefern. Die Lichtung, auf der diese Hütte stand, wurde noch etwas erweitert, um bessern Schutz gegen etwaige feindliche Überraschungen zu haben.
Möbel konnte ich den Leuten nicht mitgeben, doch ließ ich ihnen einige Bretter und Werkzeuge zurück, mit denen sie sich sehr bald Tische und Bänke in und vor der Hütte anfertigten. Zum Schlafen dienten ihnen die gewöhnlichen Hängematten, die sie in der Hütte aufhängten. Natürlich suchten sie sich den Aufenthalt so gemütlich als möglich zu machen und auch ihr Heim zu verschönern. Sie schnitten in die geflochtenen Wände viereckige Fensteröffnungen ein und versahen diese mit Segeltuchvorhängen. Am Giebel über der Tür brachten sie eine große Leinwand mit der Inschrift »Villa Möwe« an. Vor der Hütte errichteten sie einen Flaggenmast, an dem eine Bootsflagge lustig im Winde flatterte. Für gewöhnlich war die Station nur mit zwei Matrosen besetzt, wenn ich aber mit dem Schiff nach Matupi oder Herbertshöhe ging, ließ ich noch einen Unteroffizier und einen Schwarzen zurück und übergab ihnen eins der kleineren Schiffsboote. So waren sie gegen alle Zufälle gesichert und konnten auch bequem einem etwaigen feindlichen Überfall der Eingebornen standhalten.
Die idyllische Lage der Inseln und die zahlreichen Tauben reizten natürlich unsere Jäger an Bord, und so wurde denn eines schönen Sonntags beschlossen, dort ein großes Picknick abzuhalten. Von Matupi und Herbertshöhe waren mehrere Herren mit ihren Booten zu Besuch gekommen, denen wir zeigen wollten, daß wir uns auch auf unserem Arbeitsgebiet noch nicht ganz dem Stumpfsinn ergeben hatten. Die Jäger zogen schon am frühen Morgen von Bord, da sie die Aufgabe hatten, die Tauben zum Mittagessen zu erlegen, und bald begann auf der Insel ein lustiges Schnellfeuer, das eine reichliche Beute versprach, von dem wir aber an Bord der weiten Entfernung wegen nichts wahrnehmen konnten.
Einige Stunden später entsandte ich den Offizierskoch mit seinen Maaten und die Stewards der Kommandanten- und Offiziersmesse mit den nötigen Vorräten. Natürlich wurde auch für den Fall vorgesorgt, daß die Jäger etwa vom Mißgeschick verfolgt würden und nichts erbeuteten. Gegen Mittag folgten wir übrigen mit unseren Gästen. Das Meer war ruhig und nur von einem leichten Windhauch gekräuselt, der gerade genügte, um die Hitze, an die wir übrigens alle gewöhnt waren, nicht zu drückend empfinden zu lassen. So hatten wir eine herrliche, genußreiche Fahrt zwischen den Riffen hindurch, die wir in dem klaren Wasser deutlich liegen sahen und auf denen sich die Meeresbewohner in Scharen tummelten.
Bei unserer Ankunft auf Wuna Ballo wurden wir feierlich empfangen. Die Pegelbeobachter hatten mit Hilfe der Stewards und Köche einen prachtvollen Laubengang vom Landungsplätze bis nach der Villa Möwe gebaut.
Offiziere und Mannschaften stellten sich am Eingänge in Parade auf, und einer der Leutnants übernahm den Dienst des wachehabenden Bootsmannsmaaten an Bord, indem er kunstgerecht auf einer Bootsmannspfeife die Seite pfiff. Selbst die Fallreepsgäste fehlten nicht, da sich als solche die jüngsten Herren aufgestellt hatten.
Nach allgemeiner Begrüßung begaben wir uns nach der Billa Möwe und ließen uns alle die neuen Verbesserungen und Verschönerungen zeigen. Auf der Lichtung brannte ein helles Feuer, an dem die Köche bereits ihrer Amtes walteten.
Die Ausbeute der Jäger war sehr ergiebig gewesen, und die Köche konnten verschwenderisch damit umgehen. Die wilden Tauben, die etwa so groß wie unsere Hühner sind, stehen an Zartheit des Fleisches unseren zahmen Tauben bedeutend nach. Unser Koch wußte sich aber zu helfen. Er löste von den jüngsten Tieren die Brust ab und bereitete sie in der Form deutscher Beefsteaks zu. Den Rest verwandte er mit den älteren Tauben zur Suppe, die er durch Gemüsekonserven noch schmackhafter machte. Für die übrigen Gänge des Diners mußten Konserven herhalten.
Schnell wurde nun der Tisch gedeckt, und wir ließen uns zum fröhlichen Mahle nieder, das wir mit dem mitgebrachten Wein und Bier anfeuchteten. Nach dem Essen teilte sich die Gesellschaft. Einige machten einen kleinen Spaziergang auf der Insel, andere legten sich im Schatten zum Schlafe nieder, und der Rest vereinigte sich zu einem Skat, dem ersten, der wohl jemals auf dieser einsamen Inselgruppe gespielt worden ist.
Das Picknick fand bei den Teilnehmern solchen Anklang, daß einige der Herren sogar den Wunsch ausdrückten, die Inseln zu erwerben, um sich dort dauernd niederzulassen. Bei näherer Erwägung haben sie aber doch davon Abstand genommen, wenigstens sind meines Wissens die Inseln noch nicht in den Besitz von Privatpersonen übergegangen.
Am Abend kehrten wir wieder an Bord unseres Schiffes zurück, mit dem Gefühl, einen schönen Festtag verlebt zu haben, der durch keinen Mißklang gestört worden war.
So wechselten Arbeit und Vergnügen miteinander ab, und wir kamen mit unserer Vermessung immer weiter vorwärts bis an die Westküste der Gazelle-Halbinsel, von der wir auch ein gutes Stück aufnahmen.
Gegen Ende unserer Arbeitszeit mußte ich noch versuchen, die Namen der einzelnen Landspitzen, Buchten, Inseln usw., wie sie bei den Eingeborenen gebräuchlich sind, festzustellen, da in erster Linie diese Namen in die Karten eingetragen werden sollten. Dies ist nun durchaus nicht so einfach, als es auf den ersten Blick scheinen sollte, und gar oft schon sind von den Eingeborenen die merkwürdigsten Namen erfragt worden, die dann lange Zeit in den Karten standen, bis sie einem genauen Kenner der Sprache in die Hände fielen. So wurden einst Namen entdeckt, die in deutscher Übersetzung lauteten: »Ich weiß nicht«, »Laß mich in Ruhe« und ähnliches. Das waren eben die Antworten, die der eifrige Frager einst von den Eingeborenen erhalten hatte.
Ich wandte mich in dieser Angelegenheit an den Gouverneur Dr. Hahl, der die meisten Dialekte der Eingeborenen kennt, und wurde von ihm wieder an den Pater Rascher von der katholischen Mission gewiesen. Auf meine Bitte kamen beide Herren auf einige Tage an Bord, um mir behilflich zu sein. Pater Rascher brachte einen seiner Zöglinge mit, der die Gegend genau kennen sollte. Wir fuhren dann mit einem Dampfboot langsam an der Küste entlang, und Pater Rascher erfragte von den Eingeborenen die verschiedenen Namen, soweit sie ihm nicht bereits bekannt waren. Dabei ersuchte er uns, so zu tun, als ob wir an dem Vorgang kein Interesse hätten, und vor allen Dingen niemals den Mann anzusehen. Auch er drehte ihm fast ständig den Rücken zu. Nach seiner Angabe wäre dies die einzige Möglichkeit, von den Eingeborenen unbefangene Antworten zu erhalten. Wenn man sie beim Sprechen ansähe, so versuchten sie sofort zu ergründen, ob einem die Antwort angenehm sei und richteten sie unter allen Umständen so ein, daß man damit zufrieden sei. Es sei auch ganz nutzlos, an die Leute irgend welche Zwischenfragen zu stellen. Wisse man z. B., daß irgend ein Punkt auch anders genannt werde, als der Eingeborene angebe, und versuche, ihn darauf aufmerksam zu machen, um festzustellen, welches der richtige Name sei, so werde der Eingeborene sofort den von dem Weißen genannten Namen angeben, auch wenn er überzeugt sei, daß er nicht gebräuchlich ist.
Trotz dieser Schwierigkeiten glaube ich doch, daß es mir gelungen ist, mit Hilfe der genannten Herren, denen ich hierfür zu großem Danke verpflichtet bin, die einzelnen Punkte in der Karte richtig zu bezeichnen.
Bis dahin waren die verschiedenen trigonometrischen Punkte nach den einzelnen Personen der Besatzung benannt worden und mancher hatte wohl schon davon geträumt, auf diese Weise seinen Namen verewigen zu können, doch wurde zu seiner großen Enttäuschung nichts daraus, da ich alle Namen durch solche aus der Sprache der Eingeborenen ersetzen konnte.
Ende November hörte allmählich das schöne Wetter, das bis dahin unsere Arbeiten begünstigt hatte, auf, und der nun herannahende Monsunwechsel machte sich fühlbar. Da es ausgeschlossen war, bei Nordwestwinden, wie sie uns bevorstanden, weiter zu arbeiten, mußte ich die Vermessung vorläufig abschließen und die letzten trigonometrischen Punkte gehörig versichern, damit sie im nächsten Jahre wieder aufzufinden waren. Nachdem dies geschehen, nahm ich die Pegelbeobachter an Bord und dampfte zunächst nach Matupi, wo das gesamte Vermessungsinventar wieder an Land untergebracht wurde. Dann ging es nach erfolgter Ausrüstung des Schiffes freudigen Herzens nach Sydney zurück, wo diesmal die ganze Besatzung abgelöst werden sollte. Die vielen Erkrankungen namentlich an Malaria, denen die Mannschaften beim Vermessen ausgesetzt waren, hatten es wünschenswert erscheinen lassen, die Leute nur ein Jahr, statt wie bisher zwei Jahre draußen zu lassen.
Mitte Dezember trafen wir nach glücklicher Fahrt in Sydney ein, und kurz vor Weihnachten kam der neue Kommandant an Bord. Nachdem ich ihm das Schiff übergeben hatte, zog ich an Land und trat wenige Tage später mit dem Norddeutschen Lloyddampfer Prinz Regent Luitpold die Heimreise an. S. M. S. »Möwe« ist dann noch einige Jahre im Vermessungsdienst tätig geblieben, als es aber immer altersschwacher wurde, wollte es sich auch dazu nicht mehr recht eignen und wurde nach Tsingtau gebracht, wo es zum letzten Male außer Dienst stellte. Bald darauf wurde es aus der Liste der Kriegsschiffe gestrichen, ein Schicksal, das in Friedenszeiten früher oder später alle unsere Kriegsschiffe trifft. Diejenigen aber, die gleich mir an Bord schöne Zeiten verlebt und Freud und Leid miteinander geteilt haben, werden ihm in ihrem Herzen ein treues Gedenken bewahren.