Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Fahrt der Wissmann-Dampfer nach Ostafrika.

Von Kapitän M. Prager, Assistent der Deutschen Seewarte.

Mit wenigen Ausnahmen ist in den deutschen Kolonien gegen die unbotmäßigen Eingeborenen um den Besitz und die Sicherung der Oberherrschaft manch schwerer und langwieriger Kampf entbrannt, zu dem, als einer der ersten und schwierigsten, die Niederwerfung des Araberaufstandes in Ostafrika gerechnet werden muß.

Ohne auf die Ursachen näher einzugehen, die den Ausbruch des Aufstandes herbeiführten, sei nur erwähnt, daß es im Jahre 1888 zu einer Ehrensache geworden war, das von Dr. Karl Peters und seinen Gefährten in Ostafrika für Deutschland erworbene große Gebiet mit allen Kräften zu schützen. Was den Aufstand gegen die deutsche Oberherrschaft aber so groß werden ließ, war der mächtige Einfluß, den die Araber über die Eingeborenen Ostafrikas besaßen; die unbedingte Gefolgeschaft lag in dem Sklaventum, und durch diese war es möglich, selbst den freien Neger in den Interessenkampf der Araber hineinzuziehen. Eine rühmlichst bekannte Periode sind die Einzelkämpfe, welche um die von nur wenigen Deutschen verteidigten Stationen geführt worden sind. Fielen auch an einigen Orten, wie Pangani, Kilwa u. a., die primitiv befestigten Stationen in die Hände der fanatischen Feinde, so sind doch andere durch die Ausdauer und Tapferkeit der schwachen Besatzungen behauptet worden. Rühmlichen Anteil nahm die Deutsche Marine am Kampfe, unter ihrem Schutz war es wenigstens möglich, die gefährdeten Posten an der Küste zu halten. Indes die entfalteten Machtmittel waren doch unzulänglich; um erfolgreich und wirksam der aufständischen Bevölkerung entgegentreten zu können, und um das deutsche Ansehen zu wahren, die zu Recht bestehenden Verträge zu schützen, mußte von Reiches wegen den in Ostafrika Bedrängten Unterstützung gesandt werden. Daß zur Durchführung einer so großen Aufgabe glücklicherweise der rechte Mann, der bekannte Forscher und beste Kenner Afrikas, der damalige Leutnant Wissmann, gewählt wurde, ist das besondere Verdienst des Fürsten Bismarck. Galt es doch, umsichtig und sachkundig die geeigneten Maßregeln zur Niederwerfung des Araberaufstandes zu treffen, zumal die kriegerische Tätigkeit sich nicht allein auf die Küstenbezirke beschränken würde; besonders handelte es sich auch darum, die im Innern des Landes auf feste Positionen gestützten Aufständigen nicht nur zu schlagen und zu vertreiben, sondern auch ruhelos zu verfolgen, wozu leichtfüßige Kolonnen, die mittelst geeigneter Verkehrsmittel schnell von einem Ort zum andern verlegt werden konnten, benötigt wurden. Als besonders geeignet, die in Ägypten angeworbenen Sudanesentruppen nötigenfalls an bedrohten Punkten landen zu können, schienen schnelle Seedampfer kleinster Bauart, die, nicht allzutief gehend, die ziemlich unbekannten, gefährlichen Küstengewässer erfolgreich befahren konnten. Demnach konnten nur Fahrzeuge in Frage kommen, die geeignet waren, die lange und nicht ungefährliche Überfahrt von Europa nach Ostafrika zu unternehmen. Solches Dampfermaterial aber war nur in den größeren Seestädten zu finden, z. B. in Hamburg, wo der rege Seeverkehr die Auswahl erleichtern mußte. Der Ankauf praktischer Dampfer war in die Hände der Marineverwaltung gelegt worden, die sich auch mit dankenswerter Hingabe der schwierigen Aufgabe unterzog, zumal die für den Ankauf ausgeworfenen, beschränkten Geldmittel für Dampfer besserer Art nicht ausreichend waren. Es mußte also notgedrungen zu zwar noch leistungsfähigen, doch aber bereits älteren Schiffen gegriffen werden; dazu kam, daß die Schiffe für die lange Reise und für die Tropen mit beträchtlichen Kosten teils umgebaut, teils mit neuer Einrichtung versehen werden mußten. Aber selbst in Hamburg konnte der unzulänglichen Mittel halber der Bedarf an Schiffen nicht gedeckt werden, hier kamen nur drei Seeschleppdampfer Max, Vulkan und Vesuv zum Ankauf; zwei Dampfer, Harmonie und Lohengrin, mußten von der Rhein-Flußschiffahrt-Gesellschaft erstanden werden. Lohengrin, später München, war ein bereits 16 Jahre alter, flachgebauter Flußschleppdampfer, dessen Herrichtung für die Fahrt über die Ozeane und für den Tropendienst eine völlige Umgestaltung notwendig machte. Während die ersten drei Dampfer in Hamburg unter Aufsicht der erwählten Führer einer Reparatur unterzogen wurden, fanden die nötigen Umbauten auf der Harmonie in Vlissingen statt; die gänzliche Umgestaltung der München dagegen wurde in Delftshaven bei Rotterdam vorgenommen. Für das nicht ungefährliche Wagnis, so kleine Schiffe nach Ostafrika überzuführen, hatten sich doch leichter als vorausgesetzt werden konnte, geeignete Führer und Mannschaften finden lassen, nur für den Flußdampfer München, dem wohl niemand die Seetüchtigkeit zutrauen mochte, konnte nicht so schnell ein Führer gefunden werden. So kam es denn, daß mein sehr spätes Angebot, mich an der Aktion in Ostafrika zu beteiligen, noch berücksichtigt wurde, und ohne Bedenken nahm ich die mir von Wissmann angetragene Führung des Dampfers München an. Bei meiner Ankunft in Delftshaven, Anfang Februar 1889, fand ich von dem Schiffe eigentlich nur die Hülle vor, daher konnten meine besonderen Wünsche: »Anbringung von Schlengerkielen, Einsetzen einer vollständigen Schunertakelung, der Aufbau einer Kommandobrücke«, noch Berücksichtigung finden. Dabei verdient das dankenswerte Entgegenkommen der Leiter der Schiffswerft Erwähnung; die Herren Wilton und Sohn setzten eine Ehre darein, das deutsche Schiff nach meinen Anweisungen möglichst zweckentsprechend herzurichten. So wurde durch das Hand in Hand Arbeiten nicht bloß ein schmuckes, sondern auch ein seetüchtiges Schiff hergestellt; der ehemalige Flußdampfer Lohengrin, jetzt München, wurde das beste, tüchtigste Schiff der ganzen Flottille. Kein anderes hat im Kampf mit Wind und Wogen sich so glänzend bewährt wie die kleine München, keins kam in der praktischen Einrichtung, im schmucken Aussehen ihr gleich, obwohl außer der Harmonie auch alle andern Schiffe gewiß gute Eigenschaften besaßen.

Die umfangreichen Reparaturen auf den genannten Schiffen sollten nach einer Anordnung der deutschen Marineverwaltung bis Ende März 1889 beendet sein, was bei allen Schiffen außer Vesuv trotz der beschränkten Zeit auch durchgeführt wurde. Die Ausreise der Dampfer Max und Vulkan von Hamburg war für den 3. April, für München von Rotterdam für den 5. April festgesetzt. Diese drei Schiffe sollten Plymouth als Sammelort und erste Kohlenstation anlaufen, während die viel größere Harmonie direkt nach Suez zu dampfen hatte. In Plymouth hatten die drei kleinen Schiffe, mit denen waghalsige deutsche Seeleute die Fahrt über die Ozeane antreten wollten, berechtigtes Aufsehen erregt; München wurde als verkapptes Torpedoboot angesehen, bis an Bord gesandte Marineoffiziere sich vom Gegenteil überzeugt und über den Zweck der Schiffe informiert hatten. Bereits am 8. April abends waren die Schiffe seeklar, und hätte nicht der niedrige Barometerstand und die aus Westen aufsteigende drohende Wolkenmasse Bedenken erregt, die Abreise würde noch während der Nacht angetreten worden sein, obgleich nach den Angaben der Deutschen Seewarte stürmische Witterung wahrscheinlich zu erwarten war. Ein ausgedehntes Minimum von 745 mm lag über England und dem angrenzenden Festlandgebiet, das an der Küste von Spanien und im Busen von Biskaya stürmische Westwinde verursachte. Indes klar und hell brach am Morgen des 9. April der neue Tag an, und der Verabredung gemäß verließen die Schiffe zu früher Morgenstunde den Hafen von Plymouth, um die weite Reise nach Ostafrika anzutreten. Silberglänzend zogen die langgestreckten Wogen gleich dem ruhigen Atmen des Ozeans den schnell in südlicher Richtung laufenden Schiffen entgegen, und doch lag auf dem weiten Ozean ein drohendes Etwas, die unklare, dunstige Luft zeigte dem Seemann, daß der Friede in der Natur nur eine Täuschung war. Noch ehe die Sonne am Spätnachmittage zur Rüste ging, hatte sich die Dunstmasse, die über dem Ozean ausgebreitet lag, gehoben, und schwarzes, drohendes Gewölk zeigte sich am Horizont, dem wir mit voller Maschinenkraft entgegen eilten. Bald nach Sonnenuntergang, als schon lange Ouessant-Feuer passiert war, dessen Leuchten am Horizont verblaßte, kamen die Vorboten des im Anzuge befindlichen Sturmes herangerollt. Die immer höher aus west- und südwestlicher Richtung auflaufenden Wogen zeigten uns an, daß in weiter Ferne starker Wind den Ozean aufwühle. In immer kürzeren Abständen mit mehr und mehr zunehmender Stärke sprang der bisher schwache südliche Wind nach Südwest bis Westsüdwest herum, und bald bildeten sich auf den Wellenköpfen schäumende Kronen, durch deren Gischt die kleinen Schiffe noch mit voller Kraft hinjagten. Doch schnell nahm Wind und See an Stärke zu, und lange vor Mitternacht fegte der volle Sturm über den Ozean daher. Schwer stampften die Schiffe in die aufgewühlten Wogen; trotz der schon längst verringerten Maschinenkraft brachen die Schaumkronen der hohen Wellen auf Deck, und namentlich München, die von Deck bis zum Wasserspiegel nur 7 Zoll Freibord hatte, ungerechnet der 2 Fuß hohen Verschanzung, wurde derartig von Wassermassen überschwemmt, daß die an Deck festgezurrte Kohlenlast losgerissen wurde und in Gefahr kam, über Bord geschwemmt zu werden. Um das wertvolle Feuerungsmaterial zu retten, mußten in aller Eile in stockdunkler Nacht die gefüllten Säcke in Kajüten und im Maschinenraum geborgen werden. Die hohe aus Südwest und die noch schwerere aus Westen laufende See wurde schließlich so gefährlich, daß die Lage für das Schiff bedenklich zu werden schien, und als eine seitlich auflaufende Sturzsee sich über Deck brach und das Maschinenoberlicht einschlug, drohte die plötzlich zunehmende Wassermasse im Maschinenraum die Feuer zu löschen. Zu allem Unheil, das uns überkommen, brachen noch die Lenzpumpen in der Maschine; so mußte nun mit der Deckpumpe und mit Eimern der Versuch gemacht werden, das Wasser nach Möglichkeit zu entfernen. Wohl mancher der wetterharten Seeleute an Bord harrte bei schwerer Arbeit auf den kommenden Tag, und ich kann auch nicht behaupten, daß ich den nächsten Stunden sorglos entgegensah. Und immer schwerer wurden Sturm und See, zu schwer für Vulkan und Max, die auch durch Sturzseen schon schwer gelitten hatten und in der Doppelsee furchtbar rollten. Kurz nach Mitternacht kehrten beide Schiffe um; an der jetzt auf der vorwiegend westlichen See ruhiger liegenden München so nahe als möglich vorbeilaufend, deuteten die Führer an, daß sie den Kampf aufzugeben und einen Zufluchthafen aufzusuchen gewillt seien. Aber den in der dunklen, stürmischen Nacht bald den Blicken entschwundenen Schiffen zu folgen, wozu mein Steuermann auch riet, hatte ich schweres Bedenken, schon weil ich nicht wußte, wie München sich, vor schwerer See laufend, bewähren würde, denn ich mußte befürchten, vor dem Englischen Kanal eine See zu finden, der wahrscheinlich keins der kleinen Schiffe widerstanden haben würde. Vor allem auch ließ mich die Wahrnehmung, daß der Sturm immer mehr nach Westen herum holte, von der eiligen Flucht Abstand nehmen, wenigstens wollte ich bis zum Morgen noch ausharren. Mit Vorbedacht war den Führern der Wissmann-Schiffe die eine strikte Weisung mit auf den Weg gegeben worden, daß kein Schiff dem anderen aus Sicht laufen solle, um im Falle einer Gefahr zur Hilfeleistung bereit zu sein. Da nun München nicht folgte, von deren Seetüchtigkeit die Führer, Kapt. Rose – Vulkan, Kapt. Dormien – Max, keine Kenntnis haben konnten, so unternahmen beide das bei so hoher, brechender See gefährliche Manöver und versuchten mit München wieder auf gleiche Höhe zu kommen. Und endlich ging diese lange Nacht auch zu Ende; hell und klar brach der neue Morgen über dem sturmgepeitschten Ozean an, aber die Gewalt des Windes hatte die aufgewühlte Oberfläche des Meeres in eine schäumende, wild brausende Masse verwandelt. Die Schaumkronen der brechenden Seen, im Sonnenlicht wie flüssiges Silber glänzend, fegten über die Schiffe hin, mitunter solche Wassermassen an Deck werfend, daß sie wie Sturzbäche über die Verschanzung und durch die Wasserpforten abflossen, sobald das Schiff auf dem Rücken einer gewaltigen Meereswoge tanzte, um gleich wieder im Wellental einzutauchen, wo von des Sturmes Gewalt wenig zu spüren war. Ein gutes Zeichen war es auch, daß der Barometerstand sich nicht verminderte, und der Wind mehr nach Nordwest herumholte, woraus zu schließen war, daß wahrscheinlich eine gleichmäßige Depression über die Biskaya-Bai ausgebreitet lag, und das Sturmzentrum sich in südlicher Richtung fortbewegte. Dazu der helle Sonnenschein, der etwa zagende Gemüter mit neuem Mut zum Kampf mit Wind und Wellen erfüllte. Solche zuversichtlichen Zeichen bewogen mich noch vor Mittag des 10. April den Versuch zu wagen, das Schiff auf seinem Kurs nach Kap Finisterre abfallen zu lassen, nachdem ich vorher an der Steuerbordseite beständig tropfende Ölbehälter hatte aushängen lassen, um dadurch die breitseits anlaufende schwere See vor dem Überstürzen an Deck abzuhalten. Und der Versuch gelang, vorzüglich bewährte sich das sich schnell verbreitende Öl, jede noch so wild heranrasende Woge wurde beruhigt und brach erst mit wildem Brausen hinter dem mit voller Kraft vorwärts eilenden Schiff. Max und Vulkan folgten. Indessen schien es manchmal doch, als würden die seitwärts brechenden Wogen die kleinen Schiffe begraben. Von meinem erhöhten Standpunkt konnte ich beobachten, wie furchtbar die beiden anderen Schiffe rollten; oft waren die Schiffskörper so in Gischt und Schaum gehüllt, daß sie verschwunden zu sein schienen; in dem durch den Anprall der Wellen auf die Bordseite vom Winde fortgeführten, zerstäubten Wasserdunst spiegelten die Strahlen der Sonne die Farben des Regenbogens wieder. Bis zum Abend des 11. April wütete der Sturm mit ungeschwächter Kraft aus der Richtung Nordwest, und viele sorgenvolle Stunden hatten wir zu durchwachen, immer in ständiger Gefahr, daß eine allzuschwer brechende See ein oder das andere Schiff unter sich begraben könnte. An Bord der München fand während 60 Stunden kein Mann den ersehnten Schlaf; jeder Zugang zu den Räumen unter Deck war so versichert, daß er nicht beliebig geöffnet werden konnte. Außer dem Maschinenpersonal, 2 Maschinisten, 2 Heizer, fand die Deckmannschaft im völlig durchnäßten Ölzeug gehüllt auf der stets durch Sprühwasser überspülten Kommandobrücke notdürftig Schutz. Während dieser Sturmtage bestand die Nahrung nur aus Hartbrot und warmem Kaffee, den der Schiffskoch für alle in einem eisernen Verschlag unter der Kommandobrücke bereitete. Am 12. April morgens passierten wir Kap Finisterre, und nun auf südlicherem Kurs liegend, liefen wir vor jetzt nördlichem Wind und verminderter See schnell dem wärmeren Süden entgegen.

Auf die Seetüchtigkeit der kleinen Schiffe konnte nun wohl volles Vertrauen gesetzt werden, sie hatten die schwere Probe glänzend bestanden. Unser erster Bestimmungsort war Vigo, der noch am Abend des 12. erreicht wurde. Bis zum 16. April waren auch die nötigen Reparaturen ausgeführt, die an Bord von Vulkan und Max ziemlich erheblich waren, denn die über Bord brechenden Seen hatten manches losgeschlagen, auch hatte das eingedrungene Wasser genug Schaden verursacht. Von Vigo gingen wir am 16. nachmittags weiter nach Gibraltar, das wir am Karfreitag den 19. April glücklich erreichten und am 23. April, nachdem an Bord der München eine langwierige Maschinenreparatur ausgeführt war, wieder verließen, um nach Zurücklegung von 1000 Seemeilen in Malta zu landen, wo wir nach einer nicht gerade gemütlichen Fahrt am 28. morgens eintrafen. Diese unsere letzte Station im Mittelmeer verließen wir am 3. Mai morgens, erreichten Port Said am 8. früh und setzten am 12. Mai die Fahrt durch den Suezkanal fort. Erwähnung verdient an dieser Stelle noch das sehr freundliche Entgegenkommen der deutschen Konsuln, mit denen wir im Verlauf der Reise in Berührung kamen; in jeder Hinsicht machten sie ihren Einfluß für uns geltend und räumten jede Schwierigkeit aus dem Wege. So z. B. wurde uns die Fahrt durch den Suezkanal ohne jede Unterbrechung gestattet. Am 13. Mai abends, wir befanden uns im südlichen Teil des Golfs von Suez, trat eines jener Phänomene ein, die dem Roten Meer eigen sind. Um etwa 9 Uhr abends sprang der bis dahin schwache nördliche Wind plötzlich nach Westen um und nahm an Stärke in den schnell aufeinander folgenden Böen zu. Das Eigentümliche aber war, daß der Wind Unmassen feinen Sandstaubes mit sich führte, so daß man kaum zu atmen imstande war, selbst die Augen waren nicht offen zu halten und wurden durch empfindliches Jucken entzündet. Vor fliegendem Staub und Sand, der in der nubischen Wüste aufgewirbelt und durch den stürmischen Wind bis zur arabischen Küste geführt wurde, war nichts zu sehen. Bis 12 Uhr waren wir genötigt ganz langsam zu dampfen; erst dann wurde es wieder heller und sichtiger, als der plötzlich aufgetretene starke Wind ebenso plötzlich nachließ. Im Roten Meere wurde die Hitze fast unerträglich; der in dieser Jahreszeit von Norden wehende frische Wind wurde durch die nach Süden gerichtete Fahrt aufgehoben, so daß an Bord fast Windstille war. Am 20. Mai erreichten wir Aden. In diesem, unserm letzten Hafen, wo der internationale Verkehr uns noch alle Hilfsmittel zur Verfügung stellte, wurden nun alle Vorkehrungen für die letzte lange Reise durch den Indischen Ozean mit möglichster Schnelligkeit betrieben, denn jeder Tag konnte den Durchbruch des mit stürmischer Kraft einsetzenden Südwestmonsuns erwarten lassen, dessen halbjährige Dauer wenigstens für die nächsten Monate die Weiterreise nach Sansibar unmöglich gemacht hätte. Nach den Berichten der von Osten in Aden eintreffenden Schiffe hatte der Monsun bisher aber noch nicht eingesetzt, was uns bewog entgegen dem Abraten von sachkundiger Seite doch sobald als möglich die Weiterfahrt anzutreten, und wenn nötig das Äußerste zu wagen. Nur die Kohlenfrage war der kritische Punkt; an der 1800 Seemeilen langen Küste fanden wir keinen Hafen, wo wir unser Feuerungsmaterial ergänzen konnten. Der Gedanke eine arabische Dhau mit Kohlen mit uns zu schleppen so weit es irgend ginge, scheiterte daran, daß kein arabischer Führer trotz des höchsten Angebotes zu bewegen war, das Wagnis zu unternehmen. Um unter solchen Umständen allen Zweifeln ein Ende zu machen, drängte ich zur beschleunigten Abreise, nötigenfalls konnte der Telegraph nach Sansibar melden, daß die Schiffe, wenn sie nicht zur erwarteten Zeit dort einträfen, irgendwo an der afrikanischen Küste eine Zuflucht gesucht hätten. Dieser Ausweg würde auch gewählt worden sein, wenn nicht wider Erwarten am 22. Mai die Harmonie wegen Maschinenschaden nach Aden zurückgekehrt wäre. Nun freilich änderte sich die Sachlage, entweder wir warteten die Fertigstellung der Harmonie ab oder, was ich besonders befürwortete, die kleinen Schiffe dampften sofort ab und würden später von der Harmonie in den Häfen Marka oder Barawa aufgesucht. Bedauerlicherweise wurde dieser Plan aber verworfen und vorgezogen mit der Harmonie gemeinsam die Ausreise anzutreten; hätte ich freilich gewußt, daß der Monsun zu dieser Zeit erst nördlich von Sansibar wehte, ich hätte das Wagnis allein unternommen, und viel Gefahr und Not wäre der Besatzung der München erspart geblieben. Am 26. Mai dampfte die Flottille von Aden ab, passierte am 28. nachts Kap Guardafui und ankerte am 29. früh in der großen Bai von Ras Ali-Bisquel. Noch war das Wetter klar und still, was zu der Hoffnung berechtigte, daß das schon verspätete Einsetzen des Monsuns sich doch noch weiter um einige Tage verzögern könne. In dieser Erwartung wurde das Bekohlen der drei kleinen Schiffe längsseit der Harmonie bis zum Nachmittag durchgeführt und so viel Brennmaterial untergebracht als möglich war. München z. B. wurde so beladen, daß nur 5 Zoll Freibord von Deck bis Wasserspiegel übrig blieb. Doch unsere Hoffnung war eitel, am Spätnachmittag bezog sich der Himmel, und bald darauf brach der Monsun mit fruchtbaren Böen herein. Beständig und stürmisch würde von nun an der Südwestwind wehen, und die Fahrt nach dem Süden gegen Wind, See und Strom ungemein schwierig werden, das wußten wir. Trotzdem wurde im Schiffsrat beschlossen, am 30. Mai 4 Uhr morgens auszulaufen und den Kampf mit Wind und Wellen aufzunehmen. Das Äußerste sollte versucht werden, um den Hafen von Kismayu an der Somaliküste zu erreichen, wohin die Harmonie auch dampfen sollte, damit dort die kleinen Schiffe ihren Kohlenvorrat wieder ergänzen könnten. So einig wir uns nun auch darin waren, dem Ziel Sansibar mit aller Kraft zuzustreben, so wenig konnte eine Übereinstimmung erzielt werden, welcher Hafen auf der Reise anzulaufen sei. Kapitän Dinse, der Führer der Harmonie, bevorzugte den Weg über die Seychellen-Inseln, weil Harmonie ein schlechtes Seeschiff war, Kapitän Rose wollte einen südlicher gelegenen Hafen anlaufen, weil er früher als Führer des Dr. Carl Peters'schen Expeditionsschiffes Isolde mit den Somali in Kismayu schlimme Erfahrungen gemacht hatte. Er holte die Leiche des von einem Somali in Kismayu schmählich ermordeten Dr. Jühlke von Kismayu ab und senkte sie im Indischen Ozean in das nasse Grab. So hielten nur Kapitän Dormien und ich an dem gemachten Vorschlag, Kismayu anzulaufen, fest und gaben uns gegenseitig das Versprechen für den Fall, daß Harmonie und Vulkan eigene Wege wählen sollten, zusammen bleiben und unter keinen Umständen umkehren zu wollen. Kismayu wollten wir erreichen und sollte das letzte Stückchen Holz im Schiff verbrannt werden. Und das Schicksal nahm uns beim Wort.

Noch lagerte dunkle Nacht in der Frühe des 30. Mai über Land und Meer, als zur festgesetzten Stunde die Anker gelichtet wurden, und aus der schützenden Bai ging es hinaus in den sturmgepeitschten Ozean. Kaum waren wir über Ras Hafun hinaus, so machte sich auch schon die während der Nacht vom heftigen Winde aufgewühlte See derartig bemerkbar, daß die so tief liegende München von der zunächst quer anlaufenden kurzen See überschwemmt wurde. Dann aber, als der Kurs längs der Küste, in deren Nähe wir zu bleiben beschlossen hatten, gesetzt wurde, stampften die Schiffe so schwer, daß schon nach kurzer Zeit die Geschwindigkeit bis auf langsame Fahrt vermindert wurde; die über den Bug brechende immer höher laufende See wurde für die kleinen Schiffe zu schwer. Zuerst gaben Harmonie und Vulkan den Kampf auf und zwangen München und Max ebenso langsam zu fahren. Und schließlich vereitelte die wilde See auch jeden Versuch, die anrollenden Wogen zu überwinden. Es war ein Sturmbild wie im Atlantischen Ozean, mit dem Unterschiede nur, daß hier auf ein Nachlassen der Windstärke und eine Verminderung der See für lange Zeit nicht zu rechnen war. Waren wir auch auf schlimmes Wetter vorbereitet gewesen, auf so schwere See und so stürmischen Wind, der in den Böen seine Kraft bedeutend verstärkte, hatten wir doch nicht gerechnet. Namentlich auf der München wurden die überbrechenden Seen geradezu gefährlich, die gewaltige Wasserkraft drohte das Deck reinzufegen, selbst die Kronen der Wellen schlugen bis auf die Kommandobrücke. Und ob auch alles an Bord versichert worden war, wir mußten sogar die Kajütstüren zunageln, drang doch so viel Wasser in das Schiff ein, daß in der Maschine die Lenzpumpe beständig in Tätigkeit gehalten werden mußte. Unter solchen Verhältnissen war an Vorwärtskommen nicht zu denken, und nur die Hoffnung blieb, daß der erste gewaltige Ausbruch des Monsuns sich bald zu gleichmäßigem, wenn auch stürmischem Wind, ausgleichen müsse; die See würde dann nicht mehr so gefährlich sein. Das Resultat der ersten 24 Dampfstunden war erschreckend gering, wir hatten nur 40 Seemeilen über Grund zurückgelegt; konnte bei 70 Zentner (3,5 Tonnen) Kohlenverbrauch zum mindestens die Fahrt nicht verdoppelt werden, dann war der Kohlenvorrat erschöpft, noch ehe wir den unsicheren Hafen Makdischu an der Somaliküste erreicht hatten. Am nächsten Morgen sahen wir von der München aus nur noch Max und Vulkan südlichen Kurs halten, die Harmonie hatte also die Kursrichtung geändert und die kleinen Schiffe ihrem Schicksal überlassen. Es war eine bittere Enttäuschung, uns von dem mit allem Vorrat gut versorgten großen Schiff verlassen zu wissen; freilich wußten wir nicht, wie wenig die Harmonie geeignet war gegen schwere See zu dampfen. Die nächsten 24 Stunden brachten noch keine Stetigkeit in Wind und Wetter, im Gegenteil schienen die ungemein schweren Regenböen die schon wilde See noch höher aufzupeitschen. In der zweiten Nacht wurde das Wetter sogar so unsichtig, daß die der München folgenden Schiffe um Mitternacht aus Sicht kamen und auch am nächsten Morgen nicht sichtbar wurden. So wartete ich denn bis Mittag bei ganz langsamer Fahrt, in der Hoffnung, die Vermißten wiederzufinden, indes vergeblich, die Schiffe blieben verschwunden. In der Tat waren sie aber sehr dicht unter Land gegangen, um voraussichtlich dort weniger Strom und See zu finden, sodaß der ständige Nebelschleier, der darüber lagerte, sie verdeckte; während sie freien Ausblick nach See hin hatten, konnten sie von der seewärts stehenden München nicht gesehen werden. Der zweite Tag ergab kein besseres Resultat, trotzdem seit dem Morgen die erhoffte Stetigkeit in Wind und Wetter eingetreten war, nur 50 Seemeilen über Grund ergab die Rechnung. So sah ich ein, daß unter Land gegen See und Strom nicht vorwärts zu kommen war, und mich von den Schiffen verlassen wähnend, steuerte ich hinaus in den Ozean, wo zweifellos weniger Strom und eine langgezogene See erwartet werden konnte. Bei forzierter Fahrt betrug die zurückgelegte Distanz am 3. Tage schon 90 Seemeilen, indes verbesserte sich unsere Lage dadurch nicht, die ständig über Deck brechenden Seen wurden für München zu viel. Die Verbände des Schiffes lockerten sich, so daß sämtliche Räume durchnäßt wurden und Proviant und Wasser dem Verderben ausgesetzt waren; aber vorwärts mußten wir, an Umkehr war nicht zu denken. Am sechsten Tage machte mir die Mannschaft, durch die täglich zunehmende Not, durch den verdorbenen Proviant und das kaum noch trinkbare Wasser unmutig geworden, durch den Steuermann den Vorschlag, doch jetzt noch umzukehren, vielleicht erreichten wir noch einen sicheren Hafen. Ich beruhigte die Leute mit der Zusicherung: wir werden Kismayu erreichen! Am nächsten Tage jedoch wurde von der Mannschaft, die größtenteils aus Holländern und Belgiern bestand, daß Ersuchen umzukehren noch dringender gestellt, und jetzt sah ich mich genötigt den Bescheid zu geben: wir kehren nicht, niemals um. Wir hatten für nur noch 2½ Dampftage Kohlen an Bord, daher mußte die Umkehr auf das Ungewisse hin verderblich werden; so lange ich noch die Möglichkeit sah einen sicheren Hafen zu erreichen, konnte die Notlage an Bord, unter der ich mehr als alle zu leiden hatte, eine Kursänderung nicht rechtfertigen. Das eine aber tat ich doch, ich setzte den Kurs früher als nötig war auf die afrikanische Küste zu, in der Hoffnung mit dem Kohlenvorrat wenigstens die Mündung des Jubaflusses zu erreichen, wo im äußersten Notfall eine Landung möglich sein würde. Seit Ras Hafun hatten wir wegen der hohen See durchschnittlich mit nur halber Maschinenkraft arbeiten können, jetzt aber, vom 7. Tage mittags an, ging es mit voller Kraft in der veränderten Kursrichtung vorwärts ohne Rücksicht darauf, daß die überbrechenden Wellen dem Schiffe schweren Schaden zufügen konnten. Und München, durch den Kohlenverbrauch bedeutend erleichtert, hielt sich wacker, obgleich sie mehr unter als über Wasser lag. Am nächsten Tage sahen wir wieder die afrikanische Küste, erreichten aber bis zum Abend wegen des zu starken Gegenstromes den Jubafluß nicht; da direkt gegen die See wieder mit halber Kraft gefahren werden mußte, gelang uns das erst am 9. Juni, am Pfingstmorgen. Jetzt war Kismayu nicht mehr weit, und mit der letzten Tonne Kohlen liefen wir um Mittag in der großen von Riffen geschützten Bai ein. Dieser Pfingstsonntag war ein doppelter Festtag für uns, wenn auch die Freude durch die Enttäuschung, kein Schiff in der weiten Bucht gefunden zu haben, etwas gedämpft wurde. Waren wir auch unfähig weiter zu dampfen, so waren wir doch in Sicherheit, und die Hoffnung blieb, daß wenigstens noch Max und Vulkan Kismayu erreichen könnten. Den Ankerplatz für München hatte ich nicht zu nahe dem Lande, etwa 500 Meter von den Riffen entfernt, gegenüber dem arabischen Fort und den Somalidörfern, gewählt und war so in der Lage die Vorgänge am Strande, wo sich hunderte bewaffneter Somali versammelt hatten, gut zu beobachten; jedenfalls war das Erscheinen eines Schiffes in Kismayu etwas Seltenes. Da ich keine Anstalten traf, mit den Bewohnern in Verbindung zu treten, wurde den neugierigen Somali schließlich die Zeit zu lang und wohl auch auf Geheiß des arabischen Kommandanten, der selbstverständlich unterrichtet sein wollte, durchschwammen 10 nackte Somali die weite Strecke und kletterten ohne weiteres an Bord der München. Wohl waren die Somali durch den Anblick so vieler weißer Männer zuerst etwas betroffen, sie legten aber ermutigt durch freundliches Entgegenkommen sehr schnell jede Scheu ab und befriedigten gründlich ihre Neugier. Selbst unsere zwei noch verdeckten Geschützlafetten, leider ohne Rohr und Schießbedarf, Waffen hatten wir außer einem Revolver überhaupt nicht an Bord, entgingen ihrem scharfen Auge nicht. Die Unterhaltung konnte nur durch Pantomime geführt werden, und als die Somali begriffen hatten, der weiße Mann befindet sich in Not, änderten sie ihr Benehmen. Sie bettelten bei jedem um Backschisch (Geldgeschenk), nachdem sie schon Hartbrot und Zucker erhalten hatten. Schließlich bestürmten sie mich und wollten auf die wohlverstandene Weisung wieder an Land zu schwimmen nicht weichen. Namentlich ein Wortführer, ein unangenehmer Kunde, wurde unverschämt, er deutete an, ich sollte die deutsche Flagge niederholen und dafür die rote Sultanflagge setzen, und wenn ich ihnen kein Backschisch geben würde, dann würden sie mir wie dem Dr. Jühlke, wenn ich an Land käme, auch die Kehle abschneiden. Auf eine solche Liebenswürdigkeit reagierte ich aber auch noch nicht; ich hätte nun die ungebetenen Gäste einfach über Bord jagen lassen können, tat es aber aus dem Grunde nicht, weil ich wußte, daß der stolze Somali eine ihm widerfahrene Tätlichkeit nicht ungerächt läßt. Schließlich, um die Quälgeister los zu werden, gab ich zweien der ruhigsten Gesellen je eine Rupie, die sie sofort in den Mund steckten und über Bord sprangen, ihnen nach die ganze übrige Gesellschaft. Am zweiten Pfingsttage nachmittags, ich hatte schon alle Vorkehrungen zu einem Besuch an Land treffen lassen, kam der sehnlichst erwartete Dampfer Max hinter der Insel Kismayu in Sicht und ankerte nach Verlauf einer halben Stunde in unserer Nähe. Aber noch ehe der Anker gefallen war, bat die Mannschaft des Max um einen Eimer Wasser, sie hätten seit 2 Tagen keinen Tropfen mehr zu trinken gehabt, und als das Gewünschte an Bord geschafft worden war, rissen sich die Leute förmlich um einen Trunk Wasser. Der Max war in einem traurigen Zustand; es war weder genießbares Wasser noch Proviant mehr an Bord, das eingedrungene Seewasser hatte alles verdorben, die halbe Mannschaft lag auch schon krank, und um nur Kismayu zu erreichen, hatten sie Kisten, Farben, Öl, Säcke, das ganze Deckhaus und die Einrichtung des Logis in die Feuer gesteckt, und nach der Versicherung von Kapitän Dormien würde er auch noch das Deck aufgerissen und geopfert haben, um nur den verabredeten Hafen zu erreichen. Wie traurig es um die brave Besatzung des Max bestellt gewesen wäre, wenn München auch nicht in Kismayu eingelaufen wäre, wird aus der nachfolgenden Schilderung sich ergeben, denn wo wir sehnlichst Hilfe erwarteten, wurden wir mit Somalispeeren verwundet und vertrieben.

Inzwischen hatte die Ankunft eines zweiten Schiffes wieder Anlaß gegeben zur Ansammlung hunderter bewaffneter Somali am Strande, wir konnten demnach, wenn wir einen Besuch beim Wali (Gouverneur) an diesem Nachmittage noch unternehmen wollten, auf keinen freundlichen Empfang bei den Somali rechnen. Aber alle Bedenken, Belästigungen ausgesetzt zu sein, mußten gegenüber der Notlage, in der wir uns befanden, verschwinden. Da Kapitän Dormien bereit war, mit an Land zu fahren, bestiegen wir und vier Mann meiner Besatzung nach Verlauf einer Stunde mein Boot und ruderten längs den Riffen, um eine passende Landungsstelle aufzufinden. Laut johlend und schreiend folgte uns die Somalihorde längs dem Strande, erreichte uns aber erst, nachdem wir schon von unsern Leuten durch die Brandung auf das trockene Land getragen worden waren. Schnell stürmten die Schwarzen nun zum Boot, um es festzuhalten, ich kam ihnen aber zuvor und gab Befehl, schnell abzustoßen und außerhalb der Brandung uns zu folgen. Als hätten die Somali noch nie einen Weißen gesehen, so hart umdrängten sie uns und ließen uns nur Schritt vor Schritt vorwärts kommen. Ihr Hohngeschrei und das »bwana backschisch« (Herr ein Geschenk) brüllten sie uns gellend in die Ohren. Erst durch die Ankunft von 20 Askari (schwarze Soldaten), die uns in ihre Mitte nahmen, wurden wir von den Somali befreit, und schnell ging es nun zum Fort, gefolgt von den immer zahlreicher zuströmenden Eingebornen. In der Vorhalle des Forts empfing uns der Wali, ein alter weißbärtiger Araber, umgeben von seinem Gefolge. Von Negersklaven wurde uns ein Willkommentrunk, ein Glas Scherbet (Art Limonade) kredenzt, sodann nach dem Woher und Wohin gefragt. Aber nur das Einzige »Germany, Sansibar« wurde den Arabern verständlich, da wir in keinem andern uns bekannten Idiom unsere Wünsche klar machen konnten. Alle unsere Worte waren für die Araber nur Rätsel. Schließlich zeichnete ich auf der weißgetünchten Wand Konturen von Ziegen, Schafen und Bäumen hin, zeigte dem Wali auch Gold und deutete an, daß wir Tiere und Holz zu kaufen wünschten. Der Wali sagte nun auch zu, als Zeichen, daß er uns jetzt verstanden habe. Um aber jedem Mißverständnis vorzubeugen, nahm ich noch den Offizier, der uns entgegengesandt morden war, bei der Hand und führte ihn zu einem Stapel von geschlagenem Bauholz, hier machte ich ihm klar, wir wünschten dieses Holz und viel mehr zu kaufen; zurückgekehrt zur Halle wurde uns noch eine kleine Schale starken Mokkas und Zuckergebäck angeboten und immer wieder gefüllt, bis wir dankend ablehnten. Gleich darauf erhob sich der Wali und gab uns durch Zeichen zu verstehen, wir sollten nur weiter nach Lamu dampfen, verneigte sich, uns die Hand reichend, würdevoll samt seinem Gefolge und verschwand in das Innere des Gebäudes. Mir kam zunächst der Gedanke, ob denn das Entgegenkommen und die ausgesuchte Höflichkeit nur ein Schein gewesen sei; mißverstanden worden waren wir nicht; aber deutlicher konnte auch nicht zum Ausdruck gebracht werden, daß wir ein Haus weiter gehen sollten. Sofortige Hilfe hatten wir erwartet, statt dessen solche Enttäuschung! So schritten wir denn um eine Hoffnung ärmer, begleitet von dem Offizier und 2 Askari wieder aus dem Fort. Aber im Vorhof umdrängten uns die Somali schon mit höhnischen Rufen, sie trennten Kapitän Dormien und mich voneinander und als der Offizier und seine Begleitung uns an der Umfassungsmauer schnell verließen, waren wir den Somali wehrlos in die Hände gegeben. Was an Übermut, an Verachtung und an Haß gegen Europäer bei diesen Somali sich angesammelt hatte, ließen sie jetzt an uns aus, vielleicht auch, weil wir Deutsche waren, deren Stammesgenossen einen der ihrigen, einen feigen Mörder, an Ort und Stelle gehenkt hatten. Es mußte nämlich wenige Jahre vor dieser Zeit der Mörder des Dr. Jühlke von den Somali ausgeliefert werden, der dann hier in Kismayu hingerichtet wurde. Die Handlungsweise der Araber, uns der Willkür der fanatischen Somali preiszugeben, ließ den Schluß zu, daß sie entweder zu schwach waren oder nicht genügend Autorität besaßen, die bei ihnen einkehrenden Europäer zu schützen. Andererseits lag die Annahme nahe, die Araber hätten doch den Zweck erkannt, für den unsere Schiffe bestimmt waren und wollten die Gegner ihrer Glaubensgenossen nicht schützen. Je weiter wir uns von dem Fort entfernten, desto schlimmer wurde unsere Lage; hart bedrängt und gestoßen von den Somali versuchten namentlich die jüngeren uns zu Fall zu bringen. Als das nicht gelang, stießen sie mit ihren spitzen Speeren uns in Arm und Beine; offenbar wollten die Somali uns zum Widerstand reizen. Die geringste Widersetzlichkeit unsererseits mußte aber eine Katastrophe herbeiführen und, obwohl wir das Leben teuer genug verkaufen konnten, ein jeder von uns hatte einen geladenen Revolver bei sich, so behielten wir doch die Besonnenheit. Ich war entschlossen, erst dann die Waffe zu benutzen, wenn ein hinter Kapitän Dormien schreitender mit einer Büchse bewaffneter Somali meinen Gefährten niederschießen sollte; fiel erst einer von uns, würde der andere auch von den Speeren der Somali augenblicklich durchbohrt worden sein. Glücklicherweise verstanden wir nicht die höhnischen Zurufe der Somali, bewahrten deshalb die Ruhe und nahmen die Speerstiche scheinbar gelassen mit in den Kauf, obwohl jede Fiber im Körper vor Schmerz und wegen solcher Behandlung zitterte. Und immer wilder wurde die Erregung der Somali, durch gegenseitige Zurufe steigerten sie ihre Wut; da, wohl im Augenblick der höchsten Gefahr, brach ein alter Somali, seine Flinte über dem Kopf schwingend, sich durch die Menschenwoge Bahn, stieß, was ihm im Wege stand zur Seite und pflanzte sich neben mir auf; einen gleichen Erfolg hatten seine drohenden Rufe auch bei dem Haufen, der Kapitän Dormien bedrängte. Schnell eilten wir jetzt zum Strande und achteten nicht darauf, daß uns die Nachdrängenden bis an die Knie ins Wasser schoben. Ich konnte nun das außerhalb der Riffe uns folgende Boot heranwinken, aus dem bald darauf zwei meiner Leute ins tiefe Wasser sprangen und auf mich zueilten. Doch hieß ich sie zuerst Kapitän Dormien, der wieder hart bedrängt wurde, auf die Schultern zu nehmen und in das Boot zu bringen; ich wollte mit meinem Beschützer zur Seite den Somali stand halten, so lange ich konnte. Doch dieser, als er wohl merkte, daß sein momentaner Einfluß geschwunden war, er konnte die mit zum Boote eilenden Somali nicht aufhalten, bat jetzt um Backschisch und willig gab ich ihm zwei Rupien, mit denen er schleunigst davon eilte, hinter ihm her eine Anzahl seiner Stammesgenossen. Backschisch, Backschisch brüllte nun die Menge und umdrängte mich aufs neue. Da kam mir ein guter Gedanke, alles Silbergeld in kleiner Münze, welches ich besaß, hatte ich lose bei mir, ich griff in die Tasche und warf eine Menge in das Wasser. Wie eine Meute stürzten sich die Somali darauf und entrissen einander die Beute. So bekam ich Luft und konnte den auf mich zukommenden Matrosen entgegeneilen. Noch zweimal warf ich Münzen dem Strande zu, dann sprang ich auf die Schultern meiner Leute und fort gings dem Boote zu. Trotz meiner Freigebigkeit bekam ich aber doch noch zwei Steinwürfe als Abschiedsgruß ins Genick. Inzwischen hatten aber auch etwa 20 Somali zusammen mit mir das Boot erreicht und suchten es festzuhalten, was ihnen indes nicht gelang, denn sie wurden ins tiefe Wasser gerissen und mußten das Boot fahren lassen. So waren wir nun zwar den Händen der wilden Somali glücklich entronnen, dafür gingen wir aber einem schlimmeren Feinde, dem Hunger und Durst entgegen. Wir hatten es leider versäumt uns besser mit Dauerproviant als Salzfleisch etc. zu versehen, einzig darum, weil die Harmonie mit allem gut ausgerüstet war.

Für unsere Mannschaft war der Mißerfolg eine große Enttäuschung, trotzdem aber wollte keiner mit mir gehen, um einen zweiten Versuch zu wagen. So halfen wir uns denn mit dem wenigen Proviant und Wasser und noch genießbarem Vorrat der München drei Tage aus, und als nach dieser Zeit die Hoffnung geschwunden war, Vulkan oder Harmonie würden doch vielleicht noch ankommen, kondensierten wir mit dem letzten Rest der Kohlen an Bord der München Trinkwasser, soviel, daß wir bei großer Sparsamkeit vielleicht 14 Tage ausreichen würden. Wie es aber auch schmeckte – ölig und brakig – wenigstens hatten wir Wasser! Da das Liegen vor Kismayu bei Zunahme von Wind und See ungemütlich wurde, auch die Somali uns bei Tag und Nacht in zwei Booten umkreisten und zu scharfem Ausguck und Wachen nötigten, schleppte ich den Max einige Seemeilen südlicher in die Bucht hinein, in die Nähe der isoliert liegenden Insel »Mtanga ya Papa«, unter deren Schutz wir ankerten; das Weitere gaben wir dem Schicksal anheim. Auf dieser unbewohnten, trostlosen Felseninsel konnten wir wenigstens landen und nach Schiffen Umschau halten, auch fanden wir etwas Feuerholz am Strande und in ausgespülten Höhlen viele Krabben, die uns von jetzt an die Fleischnahrung ersetzen mußten. An der Nordseite entdeckten wir bei tiefer Ebbe an abgestürzten vereinzelten Felsstücken viele Muscheltiere. Diesen Fund nutzten wir aus und aßen uns täglich einmal satt; die Muscheln machten lebend verschluckt unsere Hauptmahlzeit aus. Aber auch der Fischfang wurde eifrig betrieben, indes fingen wir nicht so viel, um uns zu sättigen. Auf die Dauer aber wollte diese Art Nahrung bei so glühender Hitze uns doch nicht recht behagen, wir merkten bald genug die Folgen der schlechten Ernährung. So schlug ich denn eines Tages vor, mit meinem Segelboot bis an das äußerste Ende der weiten Bucht zu fahren, vielleicht stießen wir auf freundlicher gesinnte Eingeborne, die uns von ihrem Vorrat an Ziegen etwas zukommen ließen. Wir fanden auch einige Somali und traten ohne zu landen mit ihnen in Verbindung; durch ein reichliches Geldgeschenk zutraulich gemacht, versprachen sie am nächsten Tage am selben Orte für uns einige Ziegen bereit zu halten. So hatten wir denn Aussicht, uns an frischem Fleisch satt zu essen; froh gestimmt kehrten wir zu den Schiffen zurück. Am nächsten Nachmittag schon frühzeitig, sobald die Sonne ihre glühenden Pfeile etwas sparsamer versandte, suchten wir den Ort des Zusammentreffens wieder auf, fanden aber keine Somali, und als ich schließlich in Begleitung des zweiten Maschinisten vom Max, Hocke, die nähere Umgebung absuchte, fanden wir in dieser Wildnis wohl die Spuren wilder Tiere, auch im Urdickicht ein zerfallenes und verlassenes Eingebornendorf, aber keine Menschen. Alles Suchen und Rufen war vergeblich, nur von großen Dornen zerrissene Kleider, zerstochene Hände und Beine waren das Ergebnis stundenlanger Mühen. Als weiteres Umherirren zwecklos war, wollten wir noch eine als »Round Hill« bezeichnete Anhöhe besteigen und Umschau halten, bevor die Sonne unterging und wir zum Boote zurückkehren mußten, wo Kapitan Dormien mit der Bootsmannschaft unserer Rückkehr harrte. Am Fuße des Hügels angelangt, betrat ich, im dichten Unterholz vorauf gehend, eine etwa 20 Fuß im Durchmesser weite Lichtung. Im hier herrschenden Dämmerlicht sah ich, durch ein sonderbares Geräusch aufmerksam geworden, am entgegengesetzten Rande einen großen Panther stehen – sekundenlang schaute ich in die funkelnden Augen und in den halbgeöffneten Rachen des Raubtieres – der sich sofort duckte und mit dumpfem Knurren bis inmitten des freien Platzes sprang, ehe er aber zum zweiten Sprung, mit dem er mich erreicht haben würde, ansetzte, trat Hocke aus dem Gebüsch, und nun gab das wahrscheinlich von Heißhunger geplagte Tier den Angriff auf, wandte sich und zog laut knurrend hügelaufwärts. Jetzt natürlich hatten wir auch schon die Revolver zur Hand, besannen uns aber und schossen nicht, ein Erschrecken oder glücklichen Falls eine Verwundung hätte das Tier zum neuen Angriff gereizt und ein solcher Kampf wäre wahrscheinlich nicht zu unseren Gunsten ausgefallen. Ehe wir aber zum Boote zurückkehrten, suchten wir noch erst den Strand ab und fanden einzelne Wrackstücke und zwei von der See verwaschene Rettungsbojen, traurige Zeichen, daß im weiten Ozean manches Schiff den Elementen zum Opfer gefallen. Niedergeschlagen kehrten wir an Bord zurück; zu den sehnsüchtig unser Harrenden kamen wir abermals mit leeren Händen. Der nächste Morgen sollte aber unsern Wunsch erfüllen. An der Westseite der Bai entdeckten wir etwa gegen 9 Uhr einzelne Ziegenherden und konnten von den begleitenden Somali das verabredete Zeichen, Schwenken eines Lendentuches, wahrnehmen. Schleunigst fuhren wir mit verstärkter Mannschaft (9 Mann) ab und erreichten nach einstündigem Rudern die jetzt bei tiefer Ebbe frei liegenden Korallenriffe, über die hin wir mit nackten Füßen den wartenden Somali entgegen gingen. Wir gebrauchten alle Vorsicht, um nicht von den uns dreifach an Zahl überlegenen schwarzen, gut bewaffneten Männern umzingelt zu werden, denn außer zwei Revolvern besaßen wir keine Waffen. Ebenso mißtrauisch wie wir waren aber auch die Somali; schließlich gingen Kapitän Dormien und ich allein vor, ließen uns ruhig umzingeln und begannen den nach Negerart langwierigen, feilschenden Handel; für 10 Rupien erhielten wir nur zwei mittelgroße Ziegen. Nach einem so guten Geschäft waren diese Somali aber auch großmütig, sie warnten uns, wir möchten nicht mehr nach dem Orte zurückkehren, wo wir tags zuvor gelandet waren, uns drohe dort Gefahr. Im Begriff an Bord zurückzufahren, bemerkten wir noch einen anderen Trupp, der uns das Zeichen gab, und obwohl wir einen großen Umweg machen mußten, ruderten wir doch diesem entgegen in der Hoffnung, noch einige Ziegen mehr zu erhalten, denn zwei Ziegen für die Besatzung beider Schiffe war nur eine Kostmahlzeit. Bei diesen ebenfalls bewaffneten Somali beobachteten wir dasselbe Verfahren, zumal sie uns zehnfach überlegen waren. Wieder wurden wir beide umschlossen und von unsern Leuten getrennt, doch alles ging gut. Nach langem Feilschen erhandelten wir gegen schweres Geld noch drei Ziegen, mit denen wir auch unbelästigt das Boot erreichten. Nun hatten wir wenigstens für einige Tage besseres Essen als nur Fische, Krabben, Muscheln und verdorbenes Hartbrot. Frohgemut zogen wir ab. Und die Hilfe war näher als wir ahnten!

Dieser Tag war der dreiundzwanzigste seit unserer Abreise von Aden, am 24. nahte die Rettung. Ich war gerade damit beschäftigt, die letzte Hand an ein großes selbstgeknüttetes Netz zu legen, womit wir den Fischfang rationell betreiben wollten, da erscholl vom Ausguckmann des Max der Ruf »Schiff in Sicht«! Unter vollen Segeln vor dem Winde zog ein großes Schiff nordwärts, aber so weit entfernt, daß wir nur den oberen Teil der Takelung erkennen konnten. Ehe das Schiff am Horizont verschwand, vereinigte es sich mit einem zweiten ebenfalls großem Segelschiff, dann verschwanden beide, und vor unsern Augen lag wieder der bewegte Ozean leer und verlassen. Jedoch gegen 3 Uhr am Nachmittag dieses Tages meldete der Wachtmann auf der München, weit im Norden sei auf dem Ozean Rauch zu sehen, wahrscheinlich von einem Dampfer. Nach einer Stunde schon unterschieden wir einen großen sich der Küste nähernden Dampfer, aus dem aber plötzlich zwei Schiffe wurden, da sie wohl in Kiellinie gefahren waren; somit lag die Vermutung nahe, es könnten wohl die beiden am Morgen von uns beobachteten Segler sein, und war die Annahme richtig, so waren es Kriegsschiffe, die der Küste sich näherten. Wir beschlossen sofort den Schiffen entgegen zu fahren, trotz der hohen und gefährlichen See außerhalb der Riffe, sofern nur die Möglichkeit vorhanden sei, eins der passierenden Schiffe zu erreichen. Aber näher und näher kamen die Dampfer mit geradem Kurs auf Kismayu zu, und als wir endlich die Flagge des vorauffahrenden erkennen konnten, als Kriegsschiffe hatten wir sie längst erkannt, die deutsche Kriegsflagge, wußten wir, daß die langersehnte Hilfe nahe war. Doch eine Befürchtung hatten wir immer noch, würden die Kriegsschiffe auch nahe genug herankommen, um unsere Fahrzeuge, die hinter der Insel »Manga ya Papa« verdeckt lagen und manöverierunfähig waren, erkennen zu können. Bemerkbar konnten wir uns nur machen, wenn wir mit einem Segelboot in die freie See hinausfuhren. Die Zeit zur Abfahrt hielten wir für gekommen, als wir sahen, daß das größere Schiff dem vorauffahrenden nicht mehr folgte, daher fürchteten wir auch letzteres würde plötzlich stoppen oder umkehren. So war denn Eile geboten, und mit zwei ausgewählten Freiwilligen, Matrose Ziegenhorn vom Max und Wissemann von der München, unternahmen wir die gefährliche Bootfahrt. Frei von der Insel »Mtanga ya Papa« traf uns schon die volle See, die, da wir vorerst östlichen Kurs halten mußten, uns ständig zum Wasserschöpfen nötigte. Erst 5 Seemeilen außerhalb der Bai erreichten wir das erste Schiff, wo wir, es war die Kreuzerkorvette Carola, freundlich ausgenommen wurden. Nach kurzer Berichterstattung erklärte der Kommandant der Carola, daß er Befehl habe, die kleinen Schiffe nach Sansibar zu schleppen, was wir aber zu unterlassen baten, denn die Vorkehrungen dazu an Bord unserer Schiffe wären viel zu schwach, um gegen die schwere Monsunsee im Ozean Stand zu halten. Wenn wir nur Kohlen und Proviant bekommen könnten, dann wollten wir uns schon allein helfen. Der Widerruf dieses Befehls konnte natürlich nur von dem Admiral Deinhardt an Bord der Leipzig ausgehen, die mehrere Seemeilen weiter nördlich vor Anker gegangen war, und wenn wir das Schleppen für zu gefährlich hielten, müßte nach Ansicht des Kommandanten der Carola einer von uns dem Admiral persönlichen Bericht erstatten. Ich bedachte wohl, als ich mich erbot die Fahrt nach der Leipzig anzutreten, daß es ein gefährliches Wagnis sein würde, und ob auch die Leipzig vor dem Winde leicht zu erreichen war, so konnte die Rückfahrt gegen den starken Wind und hohe See doch weit über unsere Kräfte gehen. Als ich die Leipzig erreicht hatte, Kapitän Dormien war an Bord der Carola zurückgeblieben, wurde ich sofort dem Admiral Deinhardt zugeführt, der namentlich über den Verbleib der Harmonie (Vulkan war in dem weiter südlicher gelegenen Hafen von Lamu eingelaufen), unterrichtet sein wollte. Ich gab den mutmaßlich von der Harmonie eingeschlagenen Weg an und konnte dann nach längerem Aufenthalt, nachdem mir noch ein schriftlicher Gegenbefehl für Carola übergeben worden war, die Leipzig verlassen, die sofort Anker aufging, um nach Sansibar zurückzudampfen. Wir segelten nun beim Winde auf die Südspitze der Insel »Favatu« zu, um, wenn nötig, unter Land aufzukreuzen; anstatt aber das südlich von der Insel dort weit abliegende Riff zu erreichen, wurden wir von dem starken Strom so versetzt, daß wir nur das Riff zwischen Favatu- und Kismayu-Insel erreichten. Vergeblich war jedes Kreuzen gegen Strom und See und bald gaben wir auch weitere Versuche auf, griffen zu den Rudern und versuchten auf diese Weise vorwärts zu kommen. Allein alles Mühen war zwecklos, die Elemente waren stärker als unsere Kraft und Wille. Dazu neigte sich die Sonne dem Untergang zu und der nur minutenlangen Dämmerung folgte schnell die Nacht. So blieb uns nur die trübe Aussicht in der schweren Brandung des nahen Riffes zum Kentern gebracht zu werden oder, setzten wir den Kampf fort, würden wir an den Felswänden der Insel Kismayu zerschellen. Jede Hilfe war fern, Leipzig schon weit ab und Carola, die in die Bai eingelaufen war, nicht sichtbar. Nur eine Rettung gab es vielleicht, wir mußten eine Fahrt quer durch die wilde Brandung auf Leben und Tod wagen. Mit dem gefährlichen Wagnis waren meine Leute einverstanden, sie sahen ja ein, daß jeder weitere Kampf mit See und Strom vergeblich war. Beim Passieren dieser Inseln am ersten Pfingsttage hatte ich bemerkt, daß nahe der Südspitze von Kismayu die Brandung nicht so hoch lief, woraus ich auf eine dort befindliche Bootpassage schloß. Nach unserm Standort war die vermutete Passage mit halbem Wind noch zu erreichen, deshalb schlug ich vor, wir wollen versuchen mit voller Fahrt durch die Brandung zu segeln; kommen wir auf dem Rücken einer auflaufenden Woge über das dort wahrscheinlich schmale Riff hinweg, könnte das Wagnis gelingen, andernfalls sind wir freilich verloren; schwimmen von uns dreien konnte nur Wissemann. Die nötigen Anweisungen wie »Segel fallen«, sobald ich das Boot mit dem Riemen anstelle des Ruders nicht mehr vor der See halten könne und sofortige Benutzung der »Riemen«, wenn das Boot quer zur See zu liegen kommen sollte, waren bald gegeben; auch waren die Vorkehrungen schnell getroffen. Mit vollem Segel ging es nun dem nahen Riffe zu, und mit Gedankenschnelle flog das leichte Boot in die schäumende, donnernde Brandung; um uns nur Gischt und Schaum, das furchtbare Brechen der wilden Wogen. Doch was ich befürchtet hatte traf ein, wir hatten die schmale Passage verfehlt, das Boot, das in meiner Hand steuerlos geworden war, lag quer zur See und raste über Riffe und Steine hin. Hart stieß das Boot auf dem Korallengrund auf, und noch ehe es mit den Riemen gegen die See gebracht war, raste die nächste Woge über uns hin, sie trug aber doch das Boot über das zum Glück hier schmale Riff und warf es in tieferes Wasser. Die gefährliche Fahrt, die niemand von uns sobald vergessen wird, war geglückt. Wäre das Boot gekentert, würde wohl keiner dem nassen Element entronnen sein. Nachdem wir das halb mit Wasser gefüllte Boot von seiner Last befreit hatten, strebten wir im Schutze der Insel Favatu nach Süden zu, wo die Carola zu Anker gegangen war. Frei von dieser Insel aber trafen wir wieder eine so bewegte kurze See an, daß wir nur langsam vorwärts kamen. Hätte uns Carola nicht einen Dampfkutter zu Hilfe gesandt, dann würden wir noch Stunden gebraucht haben, ehe wir das 4 Seemeilen entfernte Kriegsschiff erreicht hätten. Inzwischen war schon Max bis zum Ankerplatz der Carola geschleppt worden, und auch München hatte mit inzwischen an Bord gelieferten Kohlen schon so viel Dampf auf, daß ich mein Schiff bald nach meiner Rückkehr auch nahe der Carola fahren und verankern konnte. Laut Befehl des Admirals Deinhardt sollte beiden Schiffen während der Nacht Kohlen, Wasser und Proviant geliefert werden, was auch geschah; jedoch war diese Arbeit der bewegten See wegen erst am Vormittag des nächsten Tages beendet. Die bekannte Strammheit in der deutschen Marine kam auch hierbei wieder zum Ausdruck; pünktlich um 11 Uhr, wie befohlen, ging Carola Anker auf und dampfte aus der Bai, während wir noch die letzten Kohlen unterzubringen und zu sichern hatten, ehe wir folgen konnten. Draußen im freien Ozean trafen wir auf recht bewegte See, die uns der Mühe überhob »rein Schiff« zu machen; die über Bord schlagenden Wellen besorgten diese Arbeit gründlich.

Gegen Abend des 20. Juni 1889 sichteten wir die Insel Pemba. Bis querab von Tanga folgten wir der führenden Carola, die von da ab westlichen Kurs einschlug und sich dem an der Küste kreuzenden deutschen Geschwader anschloß. Am 21. Juni in der Frühe erreichte München, etwas später auch Max Sansibar. Und nun konnte der Reichskommissar, der spätere Major v. Wissmann, im Besitz der schon sehnsüchtig erwarteten Schiffe, sich zum neuen energischen Vorgehen gegen die aufständischen Araber rüsten. Am 23. Juni war die Flottille in Dar es-Salam vereinigt, Harmonie und Vulkan waren auch eingetroffen, um von hier aus mit einzutreten in den Kampf, der, geleitet von unserm unerschrockenen, berühmten Führer, nach großen und schweren Anstrengungen glänzend beendet wurde.


 << zurück weiter >>