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Südwestafrikanische Reiseskizzen.
Von Dr. Külz-Bückeburg.
Für die Hauptplätze Deutsch-Südwestafrikas wurde im Jahre 1907 die Einführung einer Gemeindeselbstverwaltung in Aussicht genommen. Mit den hierzu erforderlichen Vorarbeiten beauftragt, bot sich mir Gelegenheit, die einzelnen Teile des Schutzgebietes zu bereisen und mit der Bevölkerung in dieser für sie bedeutungsvollen Angelegenheit Fühlung zu nehmen. Nachdem ich mich einige Monate lang in Windhuk bemüht hatte, mir afrikanisches Denken und Empfinden anzueignen, besuchte ich die Ortschaften im Norden des Schutzgebietes und die Küstenplätze. Als letztem Orte war ich dem Hauptplatz des Südens, Keetmanshoop, einen Besuch schuldig. Man kann Keetmanshoop durch Kombination von Eisenbahn- und Seefahrt über Swakopmund und Lüderitzbucht in 5 bis 6 Tagen erreichen. Das ist sehr bequem. Für jemand, der Land und Leute möglichst gründlich kennen lernen möchte, empfiehlt sich die »Pad«. Die Beschwernisse einer solchen Landreise werden reichlich aufgewogen durch das, was man sieht, hört und sonst erlebt. Ich entschloß mich deshalb, von Windhuk gen Keetmanshoop zu reiten und die Rückreise über Lüderitzbucht zu bewirken. So rüstete ich denn neben meinen beiden Stammpferden eine kleine Karre für Gepäck und Proviant mit 8 Maultieren und 4 Eingeborenen aus. Die Eingeborenengarde bestand aus einem Herero, einem Hottentott, einem Kaffer und einem Bastard. Hinsichtlich der Tiere und der Karre ergab sich die angenehme Möglichkeit, aus dem für den Staatssekretär Dernburg bestimmten Material zu nehmen, das dieser zu seiner bevorstehenden Reise vom Süden des Landes nach Windhuk benötigte und von mir zu diesem Zwecke in Keetmanshoop zurückgelassen werden konnte. Das schlechteste Material war es also nicht, was mir zur Verfügung stand, als ich am 13. Juni 1908 in aller Frühe von Windhuk aus südwärts zog. Wer Lust hat, der mag mich auf dieser Reise begleiten an der Hand der schlichten und anspruchslosen Aufzeichnungen, die ich damals zu Papier gebracht habe. –
Areb, den 15. Juni 1908.
Meine löbliche Absicht, jeden Tag der Reise Aufzeichnungen über das Erlebte und Geschehene zu Papier zu bringen, scheitert leider an der primitiven Gestaltung der Verhältnisse. Eine Kiste als Schreibtisch und ein Koffer als Sessel sind doch zu wenig geeignete Requisiten, um einen müden Menschen zum Schreiben einzuladen, und die Pausen in dem täglichen Ritt sind durch Erledigung materieller Notwendigkeiten so stark in Anspruch genommen, daß weder Raum noch Ruhe bleiben, die Gedanken zu ordnen. Heute, am Abend des dritten Reisetages, finde ich hier in Areb unvermutet ein kleines Zimmer zum Übernachten und benutze diese erste und gute Gelegenheit zu einer kurzen Niederschrift.
Der erste Tag führte mich etwa 50 Kilometer südwestlich von Windhuk. Auf dem Wege berührte ich die Farm Harris, eine in der Hauptsache der Pferdezucht dienende Anlage des Windhuker Rechtsanwalts E. Das Gelände war reich an guter Weide und auf Harris fand ich viel stehendes Wasser, in einiger Entfernung von dem Farmhaus auch eine große Stauanlage. Hier ist tüchtig und gut gearbeitet worden. Bei Einbruch der Dunkelheit erreichte ich die Farm Hoffnungsfeld. Sie gehört einem Engländer und bot ebenfalls mit Stauanlage und zwei geräumigen, massiven Häusern ein erfreuliches Bild. Ich ließ in der unmittelbaren Nähe der Farm ausspannen und absatteln in der stillen Hoffnung, daß man mich einladen würde, die Nacht in einem der geräumigen Häuser zu verbringen. Ich hatte mich gründlich getäuscht. Ein schmieriger Hottentott brachte mir als Willkommen des smarten Engländers einen Topf voll kalte Milch, und damit gut. Ich ließ deshalb die Tiere an Bäume binden und in der Nähe der Karre ein mächtiges Feuer anzünden, denn es war bitter kalt geworden. Hendrik, Paulus, Wilhelm und Thomas, mein vierblätteriges Eingeborenen-Kleeblatt, setzten sich dicht an das knisternde Holz und rührten sich in einem alten verrußten Feldkessel Reisbrei über dem Feuer zusammen; für mich war die Frage der Abendmahlzeit etwas schwieriger zu lösen. Für Mittag hatte ich beschlossen, mir ein für allemal kalifornische Früchte einzuverleiben, das ist bei der Hitze, die auch jetzt im Winter hier mittags noch herrscht, bequem und erfrischend, für den Abend hatte ich Gemüse- und Fleischkonserven mitgenommen, aber ich hatte meine Kenntnisse in der Kochkunst recht sehr überschätzt, denn als ich die erste Büchse mit Rotkohl zur Hand nahm, stand auf ihr geschrieben, der Inhalt müsse »gestobt« werden. Ich wußte beim besten Willen mit diesem kulinarischen Terminus nichts anzufangen und beschloß deshalb, selbständig zu handeln, d. h. ich ließ in meinem großen Kochtopf vier Wachteln, die meinem Drilling gegen Abend zum Opfer gefallen, von Thomas zierlich gerupft und von überflüssigem Inhalt befreit waren, ansetzen und zwar mit viel Wasser und in Ermangelung von Butter mit etwas weniger Schmalz. Thomas blickte ungläubig in den Topf, als er ihn zum Feuer brachte, aber der Wurf gelang. Nach einer knappen Stunde hatte ich das Empfinden, die Wachteln müßten nach diesem zwischen Kochen und Braten die Mitte haltenden Verfahren gelungen sein, ja ich wurde noch kühner und ließ den Rotkohl in der Wachtelsauce aufkochen, und siehe da, es gelang. Ich glaube, Wachteln mit Rotkohl müßten auch in Deutschland kein übles Gericht sein. Nach dem Mahle wurde die Lagerstatt bereitet. Diese Manipulation bestand darin, daß ich eine dicke Kordjacke an- und die Reitstiefeln auszog, eine Zeltplane unter die Karre und mich auf die Plane legte und von Thomas in den Schlafsack einknöpfen ließ. Anfangs war es ganz mollig, aber als ich morgens aufwachte, kam ich mir wie ein Eisklumpen vor. Es waren 2 Grad Kälte, das Wasser im Wassersack war gefroren, an Waschen war nicht zu denken, an ein Frühstück im Freien bei dieser Kälte natürlich auch nicht, nur eins konnte Erwärmung bringen; schnell aufs Pferd und in flottem Trabe in den kalten Morgen hinein.
Gegen 9 Uhr früh meinte es die Sonne bereits wieder gut, und 11 Uhr mittags war es so heiß, daß abgesattelt und ausgespannt werden mußte. Die Tiere weideten; ich weidete mich auch an Aprikosen mit trockenem Brot und bewunderte von meiner Pferdedecke aus die großartige Gegend. Wild verwitterte Gebirgszüge umrahmten den südlichen Horizont. Vor ihnen dehnte sich eine viele Kilometer weite Fläche mit wenig Gras und vielen Steinen und keiner menschlichen Wohnstätte. Gegen 3 Uhr setzte ich meine Karawane wieder in Bewegung, gelangte nach zwei Stunden an die in den Bergen liegende Farm Gurumanas, wo ich tränkte und meinen Wasserbedarf ergänzte, und beendete ½7 Uhr abends die Marschleistung des zweiten Tages in freier Steppe. Die Tiere bekamen Spannfesseln, damit sie die Nacht frei weiden konnten, die Eingeborenen Kaffee und Erbswurst; ich für meine Person vervollkommnete mich weiter in meinen Kochkünsten und schmorte ein Gackelhuhn, das mir während der Mittagsrast in die Büchse gelaufen war. Auch dieser Schmorbraten gelang und bot mir nebst Schnittbohnen ein hervorragendes Menu. Die Nacht war wohl noch kälter als die erste, so daß ich am Morgen Waschen und Frühstück wiederum durch einen beschleunigten Ritt ersetzen mußte. Die Tour ging auf schmalem Pfad tief in das Gebirge hinein. Ich hatte absichtlich nicht die gerade Straße Windhuk – Keetmanshoop gewählt, sondern wollte mit starker westlicher Ausbiegung die historisch, wirtschaftlich und landschaftlich dort viel wertvollere Gegend kennen lernen. Der Weg ist allerdings weiter als die Hauptstraße, und das Reisen und Reiseleben auf ihm beschwerlicher, aber bis jetzt brauche ich die Wahl nicht zu bereuen. Gegen Mittag des dritten Tages gelangte ich an einen historisch äußerst interessanten Punkt, nach Hoornkranz.
Hoornkranz war der Sitz des auch aus dem letzten Feldzuge bekannten Hendrik Witbooi zur Zeit seiner ersten Raubzüge. Die Witboois hatten sich nach diesem Felsennest zwischen Swakop und Kuiseb gezogen, weil sie von hier aus die Rinderherden der Hereros leichter revidieren konnten. Hendrik hatte hier eine kleine Feste und eine Kirche angelegt, in welcher er seinen Witboois die göttliche Sendung gegen Hereros und Deutsche predigte. Ich fand die Reste dieser Anlagen; die alten Steinmauern waren notdürftig zur Unterkunft zweier Polizeisergeanten eingerichtet. Die Beiden waren nicht zu beneiden um ihr Palais, das seit 14 Jahren ungehindert dem Verfall ausgesetzt war, aber es bot mir gleichwohl willkommene Gelegenheit zur Säuberung und Wieder-Menschwerdung, ja sogar zu einem Mittagsschläfchen. Das Kochen hatte ich diesmal dem Polizeisergeanten überlassen, er konnte es doch noch besser wie ich und produzierte in berechtigtem Selbststolz Klippbockbraten. Die Besichtigung des Platzes ergab noch manche wertvolle Erinnerungen. Unweit der Station lagen vier deutsche Reiter und viele Witboois begraben; es waren die stummen Zeugen der ersten größeren Unternehmung gegen Hendrik Witbooi. Am 13. April 1893 hatte der damalige Reichskommissar von François, um gegen den gefährlichen Hendrik einen vernichtenden Schlag zu führen und ein abschreckendes Beispiel zu schaffen, völlig überraschend Hoornkranz überfallen. Obwohl die Maßnahmen so gut wie verborgen geblieben waren, so daß der Überfall Hendrik beim Morgenkaffee überraschte, war Hendrik mit genügend starken Kräften entkommen, um über ein Jahr lang einen höchst lästigen Klein- und Raubkrieg zu führen, bis Leutwein ihn in der Naukluft im September 1894 nach einem Gebirgskrieg voll unsagbarer Schwierigkeiten zum Frieden zwang, den Hendrik zehn Jahre ehrlich gehalten hat, um im letzten Hottentottenaufstand als alter Sünder doch wieder seine Banditennatur zu betätigen. Hoornkranz ist jetzt strategisch bedeutungslos, farmwirtschaftlich ist die Gegend gut verwertbar. Einen früheren Schutztruppler traf ich unweit H., wo er es mit Schafzucht versuchen wollte, noch hatte er kein Haus; seit Wochen wohnte er in einem Zelte, vor dem ich ihn die acht Wochen alten »neuesten« Zeitungen studierend antraf, aber er hatte richtig gearbeitet, denn er hatte mit Erfolg Wasser erschlossen und besaß über 500 Schafe und Ziegen, er hatte also sein Kapital ausschließlich zu werbenden Anschaffungen und Anlagen verwendet und hatte die hier wirtschaftlich nichts einbringende Anlage eines Hauses so lange aufgeschoben, bis er sie aus dem Ertrag der ersteren bestreiten konnte; so ist's wirtschaftlich richtig, wenn auch persönlich mit mancher Entbehrung und Unbequemlichkeit verbunden.
Von Hoornkranz führte mich am Nachmittag der Weg weiter seitwärts durch zerklüftete und romantische Felspartien und Schluchten hindurch. In einer Talsenkung wollte mein Schimmel auf einmal nicht weiter, sondern blieb, am ganzen Körper zitternd und schlotternd, stehen. Ich stieg ab, um die unerklärliche Ursache festzustellen, konnte aber nichts finden und wollte deshalb den andern Gaul besteigen: zu meiner größten Verwunderung zitterte dieser aber noch viel mehr. Des Rätsels Lösung gab der Herero Wilhelm, der mit angsterfülltem Grinsen nach vorn zeigte, wo sich ein riesiges lebendes Etwas vor uns talwärts bewegte: es war ein großes, feistes Kamel. Offenbar handelte es sich um ein früher der Truppe entlaufenes und jetzt verwildertes Tier. Die Bemühungen, näher zu kommen, scheiterten an der völlig ablehnenden Haltung der beiden Vollblüter, so daß ich erst warten mußte, bis das Höckertier aus Sichtweite abgetrottet war, dann konnte ich ungehindert meinen Marsch bis Areb fortsetzen. Areb ist eine Station des fiskalischen Gestüts Nauchas. Bei meiner Ankunft kamen gerade die Pferde von den Weideplätzen zurück; sie interessierten mich sehr, aber wenn ich offen sein will, muß ich gestehen, daß das Fremdenzimmer des Gestütswärters noch angenehmere Empfindungen bei mir auslöste, zumal ich bald merkte, daß der Mann in einer äußerst angenehmen Weise bemüht war, die Beschwernisse einer Reise mir zu mildern. Die reichlichen Haferbestände des Gestüts kamen meinen Tieren sehr zu gute, eine gleiche Wirkung erzielten auf mich einige frische Eier, für die man sonst hier zu Lande 50 Pfennige für das Stück zu zahlen hat. Jetzt sitze ich nun um mitternächtige Stunde im Zimmer und schreibe die Memoiren der ersten drei Tage. Im Nebenzimmer schnarcht mein Wirt, nachdem er mir ausführlich aber bescheiden seine südwestafrikanischen Gedanken und Erinnerungen verzapft hat. Mit heißem Tee halte ich mich wach und warm, denn der Platz Areb macht seinem Namen alle Ehre: Areb heißt Hund, und es herrscht hier in 1800 Meter Höhe tatsächlich eine Hundekälte. –
Gamis, den 19. Juni 1908.
Der Morgen des vierten Reisetages brachte mich nach Nauchas, dem Hauptsitz des fiskalischen Gestüts. Es war mir bekannt, daß Erwägungen über eine Einziehung des Gestüts gepflogen wurden, deshalb unterzog ich seine Anlagen und Einrichtungen einer besonders eingehenden und kritischen Musterung. Das Gestüt ist von Leutwein gegründet worden; es steht seit zehn Jahren unter der Leitung eines früheren Kavallerieoffiziers, des Gestüts-Direktors von Cl. Die gesamten Anlagen machten einen vorteilhaften Eindruck, und wenn man die Kärglichkeit der Mittel erwog, die früher für Kulturzwecke in Südwest zur Verfügung standen, so mußte man Hochachtung vor dem empfinden, was hier geschaffen worden war. Alles war zweckmäßig, sorgfältig und sauber eingerichtet. Über das Pferdematerial selbst vermochte ich mir leider ein abgeschlossenes Urteil nicht zu bilden, die Pferdezucht ist ja überall nicht nur die kostspieligste, sondern auch die schwierigste Gattung der Viehzucht. Gedacht ist die Wirksamkeit des Gestüts so, daß außer den Zuchtpferden von der Verwaltung Landbeschäler den Farmern zur Verfügung gehalten werden. Es ist nach meinem Empfinden eine ziffernmäßige Rentabilität von einem solchen Unternehmen weder zu erwarten noch zu erlangen. Die Rentabilitätsfaktoren liegen schwer erkennbar außerhalb des Unternehmens und sind in ihrer Gesamtheit verkörpert in dem Niveau, auf welchem die Pferdezucht des Landes überhaupt steht. Hier ist aber ein Zeitraum von zehn Jahren, der noch dazu durch drei Kriegsjahre erheblich gestört worden ist, viel zu gering, um endgültige Ergebnisse in die Erscheinung treten lassen zu können.
Mit der in Südwest üblichen Ungeniertheit hatte ich trotz früher Morgenstunde sofort den Direktor des Gestüts mit Beschlag belegt, der mir denn auch in zuvorkommendster Liebenswürdigkeit alle Anlagen zeigte. Er betrachtete das Gestüt gewissermaßen als sein Lebenswerk und hing mit großer Liebe an allem, was er geschaffen hatte. Nach der Besichtigung verbrachte ich noch eine kurze Stunde der Rast in der angenehmsten Unterhaltung mit dem Direktor und seiner Gemahlin. Bei einer Flasche Wein hörte ich manches Lehrreiche und Interessante aus Vergangenheit und Gegenwart des Schutzgebietes. Meine Zeit erlaubte mir leider nicht, länger zu verweilen. Nachdem ich aus dem Proviantlager des Gestüts meine Vorräte ergänzt hatte, rüstete ich mich zum Aufbruch. Frau von Cl. führte mir vorher noch die Produkte ihrer Mußestunden vor: einen mächtigen, an der Kette liegenden Pavian, der auf Kommando einen kunstgerechten Saltomortale in der Luft schlug, und zwei Fohlen, die ihrer Herrin zärtlich die ganz ansehnlichen »Pfötchen« reichten.
Aus beschwerlichem Wege gelangte ich am Abend nach Kabiras, eine Wasserstelle, an der eine Bastardfamilie ihre Hütten errichtet hatte. Da wenige Tage vorher von räubernden Bergkaffern Ochsen aus Kabiras abgetrieben worden waren, ließ ich die Tiere nachts nicht weiden, sondern an die Karre und an Bäume binden mit der ausdrücklichen Weisung, dies ja recht sorgfältig zu tun, damit kein Tier sich losreißen könne. Mein Nachtlager schlug ich unter der Karre auf; dort war ich gegen die Hufe der Tiere am sichersten. Die Maultiere waren ob des ungewohnten Anbindens sehr ungehalten. Ihre Versuche sich loszureißen, ließen mich lange keinen Schlaf finden. Zudem kam der Bastardvater erst spät in der Nacht nach Hause, von Nauchas her, und störte mich durch das neugierige Ausfragen meiner Leute so lange und so empfindlich, daß ich ihn durch ein unter der Karre hervorbrechendes Donnerwetter in seine Lehmhütte scheuchen mußte. Meine Stimmung war deshalb nicht gerade rosig gefärbt, als ich morgens erwachte. Ein Ärger kommt aber auch in Südwest selten allein. Als ich fröstelnd unter der Karre hervorkroch, mußte ich das Fehlen zweier Maultiere feststellen. Paulus, der verantwortliche Ressortchef, bekam zunächst eine fühlbare Privatlektion, dann ging's auf die Suche. Die Spuren führten in die nahen Berge, wo ich die Tiere bald zu finden hoffte. Aber dort in den Bergen dauerte es doch zwei Stunden, ehe ich die verlorenen Lieblinge an dürren Futterbüschen nagend in einer Schlucht antraf. Als ich mit den Wiedergefundenen zum Rastplatz zurückkam, war der Vormittag nutzlos vergeudet, sodaß die ganze Tagesleistung, als ich abends über die Farm Nauzaros an dem Bastardplatze Garis anlangte, eine recht mäßige war. In Garis residiert ein Bastardkapitän, Cornelius van Wyk. Leider traf ich den Bastardgewaltigen nicht an. An einer reichlich spendenden Wasserstelle hatte er sein Lehmhütten-Schloß errichtet. Er mußte wohlhabend sein, denn ich bemerkte viel Vieh in der Nähe des Platzes, darunter einige recht gute Pferde. Unweit der Wasserstelle schlug ich das Nachtlager auf. Als die Sonne unterging, kamen Tausende von Patreisen (Wachteln) und Hunderte von Papageien zum Wasser. Die Wachtelschwärme waren so dicht, daß ich, als ich mit meinem Drilling ans Morden ging, mit einem Schuß zuweilen 8 Stück erlegt hatte, dabei einmal auch unfreiwillig drei von den wunderschönen grün-rot-blauen Papageien. Die angenehme Folge dieser reichen Beute war für die nächsten zwei Tage Geflügelbraten, wobei ich mir den Luxus leisten konnte, nur die Brüste der Vögel zu nehmen, das übrige Tier aber meinem darob überglücklichen wandelnden ethnographischen Museum zu leckerem Mahle zu überlassen. Als ich beim Scheine des Lagerfeuers mich meinen abendlichen Selbstbetrachtungen hingegeben hatte, trat ein weißer Mann auf mich zu. Farmer W. aus Gamis lautete die mündlich abgegebene Visitenkarte. Als er meinen Namen hörte, sah er mich mit einem Blick an, als wollte er sagen: Wer bist Du Bruder? Aber als ich ihn einlud, auf meiner Kiste Platz zu nehmen, wurde er bald zutraulicher, und als er in meiner daneben stehenden Materialienniederlage eine zur Reserve von mir mitgenommene Rumflasche erblickte, wurde er beinahe intim. Dem Manne war leicht zu helfen. Ich lud ihn zu einem Becher Tee mit Rum ein, was er freudestrahlend annahm. Er war auf dem Marsch nach dem Norden, um 100 Ziegen zu verkaufen, und wollte gleich mir die Nacht hier in Garis verbringen. Viel ließ er für sich und für mich freilich nicht von der Nacht übrig; er war offenbar seit Monaten mit keinem weißen Menschen zusammengekommen und seit noch längerer Zeit mit keiner Rumflasche. In beiden Beziehungen holte er das Entbehrte mit staunenswerter Gründlichkeit nach, aber der Inhalt seiner Erzählungen war schließlich doch mehr wert als der Inhalt der Flasche. Er war in seiner Art eine typische Figur. Mit dem ersten Ersatz für die Schutztruppe war er ins Land gekommen. Sein Vater, ein ehrbarer Polizeibeamter, hatte ihn fast als verlorenen Sohn betrachtet, aber er kam vorwärts. Nach seiner Dienstzeit bezog er eine Farm und erzielte einen guten Bestand an Großvieh. Da kam die Rinderpest. Er verlor alles. Er fing von neuem an, diesmal mit Kleinvieh, und erreichte einen Bestand von 1600 Schafen. Da kam der letzte Aufstand. Er verlor das zweite Mal alles. Nach Beendigung des Feldzuges fing er wieder an und versuchte jetzt von neuem hoch zu kommen. Der Mann interessierte mich, und ich beschloß, den Umweg über seine etwa einen Tagesritt entfernte Farm zu nehmen. Als ich ihm das sagte, schien ihm dies peinlich zu sein und schließlich rückte er damit heraus, daß seine Frau eine Eingeborene, die Tochter eines Bastardkapitäns sei. »Sehen Sie«, so erzählte er, »uns wurde direkt nahe gelegt, Bastardfrauen zu nehmen, ich habe mir auch eine genommen und habe mich als ehrlicher Kerl auch kirchlich trauen lassen, das war damals die Art der Eheschließung im Schutzgebiet, jetzt habe ich drei Kinder, lebe mit meiner Frau seit zehn Jahren zufrieden, und nun wird meine Ehe auf einmal von der Regierung nicht mehr anerkannt.« Dabei zog er einige Papiere und Gouvernementsverfügungen aus der Tasche, welche die Richtigkeit seiner Angaben bestätigten. Ich hatte Mitleid mit meinem nächtlichen Gefährten. Wohl stehe ich auf dem Standpunkt, daß man für die Zukunft eine Ehe zwischen Deutschen und Eingeborenen mit allen gesetzlichen Mitteln zu verhindern hat, aber es ist hart, einer in der Vergangenheit geduldeten, kirchlich sanktionierten ehelichen Verbindung nach zehnjähriger Dauer die staatliche Anerkennung zu versagen und so die Ehegatten und die armen Kinder Rechtsnachteilen auszusetzen, deren sie niemals gewärtig sein konnten. Mein Bedürfnis, mich mit dem Fall näher zu beschäftigen, war groß, und ich zog am nächsten Morgen in der mir beschriebenen Richtung nach Farm Gamis. Ohne Pfad ritt ich, allein der Himmelsrichtung folgend, eine viele Kilometer weite aber weidelose Fläche entlang und kam abends an das an dem Abhange eines Gebirgszuges versteckt liegende Farmhaus von Gamis. In einem Nebenhause befand sich ein bedeckter Raum für meine Unterkunft, der mir bei der Kälte der Nacht höchst willkommen war, obwohl er äußerlich ein Bild bot, daß ich die prophylaktische Anwendung des mitgeführten persischen Insektenpulvers für ratsam hielt. Heute sitze ich nun in dem Fremdenzimmer zu Gamis, nachdem ich am Vormittag die Farm abgeritten bin. Die Besitzung liegt günstig an einem Flußtal entlang, man merkt, daß früher manches geschaffen worden ist, aber es fehlt dem Betriebe eine gewisse Akkuratesse. Die Kinder waren hübsch aber schmutzig, und die Bastardfrau lebte im Verhältnis zu dem eingeborenen Dienstpersonal in geringerer Abstufung als weiße Farmersfrauen, gleichwohl hatte ich den Eindruck, daß die Leute in ihrem Dasein durch nichts anderes gestört wurden als durch die unglückliche äußere Gestaltung ihrer Ehe.
Maltahöhe, den 22. Juni 1908.
Von Gamis aus versuchte ich meine ursprüngliche Marschrichtung auf möglichst kürzestem Wege wieder zu gewinnen. Ich befand mich nach meiner Berechnung etwa auf der südlichen Grenze des Bezirks Rehoboth zum Bezirke Gibeon und mußte in zwei Tagesmärschen den Distriktssitz Maltahöhe erreichen können. Die Rechnung hat gestimmt. Sehr bald merkte ich, daß ich auf richtigem Pfad war, denn ich kam kurz nach Mittag des ersten Reisetages an den Platz Nomtsas. In langjähriger Arbeit hat hier der Farmer H. den Grund zur südwestafrikanischen Merinoschafzucht gelegt. Als Opfer des Witbooiaufstandes ist er auf Nomtsas gefallen. Ich fand sein Grab mit schönem Obelisk geschmückt hinter dem früheren Wohnhause, daneben die weiteren Gräber eines Angestellten, eines Soldaten und der Wirtschafterin. Man sieht im Laufe der Zeiten im Schutzgebiete viele solche Zeugen aus furchtbarer Zeit; es zerschneidet einem jedesmal von neuem das Herz. Mit dem gefallenen H. ist sein Lebenswerk nicht untergegangen. Sein Sohn hat mit emsiger Tatkraft und unter erheblichen Aufwendungen den Betrieb wieder begonnen. Neben den früheren Gebäuden sind Neuanlagen erstanden; in malerischer Lage am Flußbett stand ein neues schönes Haus, und an zwei- bis dreitausend Stück Kleinvieh waren der verheißungsvolle Bestand der Farm. Vor den Wirtschaftsgebäuden lagen versandfertig verpackt die ersten Früchte des unternehmungsfrohen Fleißes: zentnerschwere Ballen von Wolle. Kapital und Arbeit hatten in glücklicher Vereinigung gewirkt, und wenn nicht unvorhergesehene Fälle eintreten, ist hier ein mustergültiger Großbetrieb schon in nächster Zeit zu erhoffen. Die Einladung des Verwalters, auf Nomtsas die Nacht zu bleiben, konnte ich nicht annehmen, die Tagesleistung war noch zu gering, ich mußte noch mindestens 20 Kilometer weiter vorwärts kommen. Gegen Abend rüstete ich mein Lager. Im Schlafe beschäftigte mich noch oft das Schicksal des alten H., der in den langen Jahren seines Wirkens und Schaffens persönlich immer unversehrt geblieben war, bis ihn in seinen alten Tagen seine treu geglaubten Hottentotten ermordeten. Mir wurde es unheimlich im Traum zu Mute, die Hottentotten sind und bleiben doch falsche Gesellen, das Gefühl verließ mich nicht, und ich wähnte mehrfach, Hottentotten um meine nächtliche Lagerstatt wie Schakale schleichen zu sehen. Hörte ich nicht auch den Schlag von Pferdehufen auf dem felsigen Boden? Ich wußte schließlich nicht, ob ich wachte oder träumte, sprang auf, entwand mich dem Schlafsack und suchte das Dunkel der Nacht in der Richtung auf das vermeintliche Geräusch zu durchdringen. Da kamen wahrhaftig zwei Hottentotten auf flotten Pferden durch die Nacht geritten. Ich trat mit kurzem Schritt hinter einem Busch hervor und stand vor den inzwischen dicht an mich herangekommenen Reitern. »Gei itze gau?« »Was wollt Ihr?« In leidlich gutem Deutsch hörte ich die beruhigende Antwort, daß die Leute zur Begleitung des Distriktschefs S. von Maltahöhe gehörten, und bemerkte gleichzeitig das Nahen des Distriktsgebieters. Wir begrüßten uns 2 Uhr nachts, beide klappernd vor Kälte, unterhielten uns einige Minuten und trennten uns dann in der Hoffnung, uns am nächsten Tage in Maltahöhe wieder zu sehen. Die Hoffnung täuschte auch nicht, ich war nur 29 Kilometer noch von Maltahöhe ab. Auf dem Ritt dahin kam ich an den Platz Namseb. Wie ein kleines Schloß lag die Besitzung auf einer mäßigen, eine weite Fläche beherrschenden Anhöhe. Unten in der Ebene breitete sich eine große Wasserfläche, an der ich – das erste Mal im Lande – Wasser- und Sumpfvögel sah. Auch Hunderte von Wachteln und Tauben labten sich an dem köstlichen Naß. Ich für meine Person bereicherte diesmal meinen Proviant durch ein Dutzend Tauben und sprach dann bei dem Herrscher von Namseb vor. Farmer B. war ein alter Schutztruppler und hatte mit wenig oder gar keinem Kapitale angefangen; aber sein Fleiß hatte reiche Früchte gezeitigt. Obwohl er fast das ganze Jahr offenes Wasser im Flußbett hatte, war er doch eben dabei, sich für besonders dürre Jahre durch Anlegung eines tiefen Brunnens zu sichern. Gutes und wohlgepflegtes Großvieh bevölkerte die Weidestellen der Farm. Nach Maltahöhe zu wurde die Gegend freilich immer dürftiger, um kurz vor dem Platze in grasloses Gebiet überzugehen.
Gegen Mittag hielt ich meinen Einzug in Maltahöhe und fand Obdach in der Gaststube des Distriktsamtes. Außer mir waren in dieser Gaststube noch Hafer- und Mehlsäcke, einige Bilder der Kaiserfamilie und vier Paar nistende Tauben einquartiert. Wir haben uns aber alle gut vertragen. Gleiches glückte mir mit meinen Beziehungen zum liebenswürdigen Distriktschef und seiner Gattin, bei denen ich den gestrigen Abend verbrachte. Wir entdeckten, daß unsere elterlichen Familien befreundet gewesen waren und wir als kleine Jungen uns wahrscheinlich oft geprügelt hatten, überdies auch, daß wir Reserveoffiziere derselben Garnison waren. Nach Tisch erschienen die Honoratioren von Maltahöhe, das waren die drei Offiziere der hier stationierten Kompanie. Ich hatte einen anregenden und interessanten Abend. Heute morgen habe ich den Platz unter Begleitung des Oberleutnants v. M. beritten und besichtigt. Alles, was vorhanden ist, ist durch die Truppe geschaffen. Von den 14 Häusern des Ortes gehören nur 3 nicht der Truppe, das sind das Distriktsamt und zwei Kaufläden. Die Unterkunft der Kompanie war originell und erinnerte lebhaft an die Höhlenbauten der Troglodyten. Zivilverwaltung und Militär befanden sich in bester Harmonie und arbeiteten beide offenbar gleich sorgfältig, so daß der Platz trotz seiner Geringfügigkeit einen sehr vorteilhaften Eindruck macht. Gegenwärtig sitze ich in der Polizeistube, will dann meiner Frau durch Vermittlung des Feldtelegraphen seit 8 Tagen das erste Lebenszeichen nach Windhuk zu senden versuchen, meine Bestände ergänzen und in der Richtung auf das etwa 100 Kilometer entfernte Gibeon weiterziehen. –
Gibeon, den 25. Juni 1908.
Eine abwechslungsreiche und interessante Reise von 3 Tagen liegt hinter mir. Von Maltahöhe aus war ich das Tal des Tsub entlang gezogen. Die Straße war anfangs steinig und schlecht, so daß ich nur sehr beschwerlich vorwärts kommen konnte. 12 Kilometer von Maltahöhe entfernt traf ich auf die Burenfarm Karichab. Sie gehört einem Mitgliede der im Schutzgebiet weit verbreiteten Burenfamilie Cotzee und zeichnet sich überaus vorteilhaft von anderen Burenstätten aus. Der Bur ist im allgemeinen faul und schmutzig, und hat »sein Sach' auf nichts gestellt.« Er liegt vor seiner Heimstätte, sieht seinem Großvieh und den »Bockies« nach, wenn sie zur Weide ziehen und überläßt der Natur und dem lieben Gott das übrige; so eine Burenheimstätte fällt deshalb durch eine besondere Natürlichkeit auf. Hier war im Gegensatz zu den burischen Gepflogenheiten gut gearbeitet worden. Eine mustergültige Gartenanlage am wasserhaltigen Flußbette wies Gemüse- und Tabakkulturen auf, Wirtschafts- und Wohngebäude waren in gutem Zustande und alle Anlagen waren sauber gehalten.
Von Karichab nur sechs Kilometer entfernt, stieß ich auf Farm Breckhorn. Die beste und reichste Weide, die ich je im Schutzgebiet gesehen, fand ich hier. Wie ein goldgelbes Ährenfeld breitete sich das am Halme getrocknete, nahrhafte Gras über die steinige Fläche. Die Bestände der kleinen, eben angefangenen Pferdezucht waren in einem Futterzustande, als ob die Tiere den ganzen Tag im Hafer ständen. Das Kleinvieh sah aus, wie künstlich gemästet. Der Besitzer von H. weilte in Deutschland. Sein Verwalter war sofort als tüchtiger Landwirt zu erkennen. Er erzählte mit einer Liebe von allem, als ob es sich um seinen eigenen Besitz handelte, und wenn der Besitzer wieder kommt, wird er den Platz kaum wieder erkennen; ein vom Verwalter eigenhändig errichtetes Häuschen und mühsam hochgebrachte Gartenanlagen wird er als wertvolle Bereicherung vorfinden. Von Breckhorn ritt ich in der Richtung auf die zur Zeit wohl bemerkenswerteste Farm des Südens, auf Tsubgaris zu, aber ich erreichte sie nicht vor Anbruch der Nacht und mußte deshalb im Tale des Tsub mein müdes Haupt betten. Die Reste gebratener Tauben hatten einige Schakale so stark angezogen, daß ihr Geheul jede Nachtruhe unmöglich machte, so daß ich noch vor Sonnenaufgang weiter zog.
Morgens 8 Uhr lag Tsubgaris vor mir. Ich war überrascht von dem landschaftlich reizvollen Bild. Auf einer Anhöhe lugte jenseits des hier sehr breiten und verhältnismäßig wasserreichen Tsub hinter dichtem Buschwerk eine Grunewaldvilla hervor. Das Haus des Herrn Voigts auf Tsubgaris war äußerlich und innerlich das schönste Wohnhaus, was ich hier zu Lande bisher gesehen hatte. Hier wohnte offenbar kein armer Mann. Die Anlage war erst zwei Jahre alt, aber sie ähnelte bereits einer gesunden deutschen Gutswirtschaft. Was hier arbeitete, waren nicht Tausende sondern Hunderttausende, und als ich den Inhaber der Großfarm kennen lernte, da merkte ich, daß in ihm sich eine achtzehnjährige Landeskenntnis, ein guter Kaufmann, ein ausgezeichneter Landwirt, eine zähe Energie und ein weiter Blick überaus glücklich vereinten. Die reichen Bestände an Wollschafen vermochte ich leider nicht zu sehen, sie standen weit ab auf fernen Weideplätzen der 50 000 Hektar großen Farm, aber bei einer Tasse Kaffee genoß ich eine überaus lehrreiche Stunde, die wir beide gern zu einem Tage ausgedehnt hätten, wenn meine Zeit mich nicht weiter gedrängt hätte, aber auch die Stunde schon genügte, um mir den Wunsch für unser Schutzgebiet auf die Lippen zu drücken: solche Leute müßten wir viel haben! Wer seine Zuversicht in die Zukunft von Südwest stärken will, der kann's nicht besser tun als durch einen Blick in diesen Betrieb.
Von Tsubgaris aus beabsichtigte ich drei Herren zu überraschen, mit denen ich auf der Fahrt nach Südwest näher zusammengekommen war, und die sich seitdem hier im Süden niedergelassen hatten. Die Überraschung gelang vollkommen. Als ich mittags auf Farm Keinuchas einritt, da traf ich Hauptmann v. Kl. und Herrn v. H., die ich eigentlich nur im Smoking oder sonstigem tadellosen Kostüm kannte, nach dreiviertel Jahren in der Küche des einfachen Farmhäuschens im schlichten Farmergewande wieder. Beide schlugen in freudiger Überraschung fast buchstäblich die Hände über dem Kopf zusammen, und ich habe wohl noch nie eine herzlichere Gastfreundschaft genossen, als in diesen Mittagsstunden auf Keinuchas. Herr v. H. servierte, als sei er gelernter Gastwirt, eigenhändig das selbst angerichtete Mahl. In angeregtestem Hin und Her tauschten wir die gegenseitigen Erlebnisse aus. Zu meiner aufrichtigen Freude merkte ich, daß beide sich wohl fühlten, und daß der Besitzer der Farm, Hauptmann v. Kl., durch seinen jüngeren Genossen redlich unterstützt, schon in der kurzen Zeit gut vorwärts gekommen war. Die ganze Umgebung atmete Fleiß, Geschick und Zufriedenheit. Von Keinuchas aus konnte ich einige Reitstunden entfernt die Farm Satansplatz, den Besitz eines ebenfalls vom Schiff her mir bekannt und lieb gewordenen Reisegefährten, des Herrn v. K. erreichen. Als zarter, schmucker, junger Herr war er mir von der Reise bekannt. Als ich bei Einbruch der Dunkelheit auf Satansplatz einritt, fand ich mitten in einer Herde Kleinvieh, die Tiere wohlgefällig musternd, einen wettergebräunten, nur mit Hose und Hemd bekleideten Farmer vor. Auch hier war die Überraschung groß, und die Freude des Wiedersehens offenbar aufrichtig. Ein guter Bestand an Großvieh, Kleinvieh und Pferden zeigte, daß der Besitzer mit Verständnis sein Werk begonnen hatte, und solide Viehkräle waren Zeugen seiner Hände fleißiger Arbeit. Ein kleines Haus mit einem einzigen Raum diente der Unterkunft, aber der Raum war groß genug, daß ich mir auf einem Rohrliegstuhl eine Art Bett zurecht machen konnte, nachdem wir vorher noch stundenlang bei Milch und Tee gesessen hatten. Am nächsten Morgen eine Plauderstunde vor Sonnenaufgang, dann ging es weiter auf Gibeon zu. Mittagsrast wurde in der Nähe einer Burenfarm, Tsubgaus, gehalten. Hier sah es so aus, wie es auf einer Farm nicht aussehen soll; aber des besseren Vergleiches wegen ist auch ein solcher Anblick ganz lehrreich. Durch hohe Sanddünen und dann durch öde bergige Gegend hindurch kam ich gegen Abend in das nach Gibeon zu führende Fischflußtal.
Gibeon selbst liegt landschaftlich nicht übel, aber als Platz ist es unbedeutend, und wenn es nicht Sitz eines Bezirksamtes wäre, würde es wohl fast verschwinden. Über dem Orte thront eine mächtige Feste; in ihr sind das Bezirksamt, Polizei, Materialienverwaltung usw. untergebracht, nachdem Gibeon militärisch geräumt ist. Ich brachte meine Karawane auf dieser Feste unter, mich selbst aber in dem Gasthaus von Kries, wo ich recht gute und billige Unterkunft fand. Der Ort mit seinen etwa 100 weißen und 400 eingeborenen Einwohnern war bald besichtigt, eine in mangelhaftem Bauzustande befindliche Schule fiel besonders auf, die Post sah einem im Entstehen begriffenen Neubau entgegen. Der Platz machte einen armen Eindruck, er scheint sich von den Strapazen des Feldzuges noch nicht ganz erholt zu haben, denn früher waren Platz und Bezirk Gibeon unter der Verwaltung des im Aufstand ermordeten Bezirkshauptmanns v. B. verhältnismäßig weit vorgeschritten. Den Abend brachte ich in Gemeinschaft mit dem jetzigen Bezirkshauptmann v. d. Gr. zu. Ein herbes Schicksal hatte ihm vor wenigen Wochen seine Frau durch einen Unglücksfall in Teneriffa entrissen. Unsere dienstlichen Verhandlungen gaben ihm eine offenbar willkommene Ablenkung, und da mir seine persönliche Art äußerst sympathisch war, rückten wir trotz der kurzen Zeit unseres Zusammenseins recht nahe aneinander. Heute morgen hatte ich nochmals eine kurze Besprechung auf dem Bezirksamt und kann nun, da alles sich glatt und schnell erledigt hat, schon heute nachmittag gen Berseba weiter wallfahren. Bezirksamtmann v. d. Gr. wird mich noch ein Stück durch den Bezirk begleiten, ich für meine Person werde vorher sein Proviantmagazin plündern, das Vorhandensein der Post zu einigen Nachrichten nach Windhuk benutzen und einige Lebenszeichen von dort zu erreichen suchen, damit man nicht jede Verbindung mit der Außenwelt verliert.
Keetmanshoop, den 29. Juni 1908.
Gestern abend landete ich endlich wohlbehalten an meinem vorläufigen Reiseziel, in Keetmanshoop. Vier Tage angestrengten und in seinem letzten Teile recht unbequemen Rittes hatte es zur Überwindung dieser letzten Strecke bedurft, aber es waren gleichwohl genuß- und lehrreiche Tage. Von Gibeon führte der Weg mehrere Kilometer weit in dem schönen, mit Ebenholz und Dornbäumen dicht bewachsenen Fischflußtal entlang. Der Bezirksamtmann v. d. Gr. gab mir in liebenswürdigster Weise einige Zeit das Geleite, so daß wir noch manches besprechen konnten. Die erste Siedelung, die ich südlich Gibeon erreichte, war die dicht am Bett des Fischflusses gelegene Gartenfarm Hanaus. Der Besitzer war gerade dabei, sein nettes Häuschen noch wohnlicher einzurichten, während seine Frau am Butterfasse stand. Einige Minuten mußten mir beide trotzdem opfern; sie taten es offenbar auch gern und zeigten mir mit berechtigtem Stolz ihr wertvolles Anwesen. Dicht am Hause erstreckt sich eine große, wohlgepflegte Gartenanlage und eine Weinplantage, die nach meiner Schätzung jährlich einen bedeutenden Reinertrag abwerfen muß. Kartoffel- und Gemüseäcker wiesen gute Bestände auf. Die im Schutzgebiete bei solchen Kulturen unerläßliche ständige Bewässerung ließ sich hier leicht durchführen, da der Fischfluß an dieser Stelle das ganze Jahr Wasser führt; ja, er bot das für die Verhältnisse des Landes einzigartige Bild, daß es in ihm von Fischen wimmelte. Die Unterhaltung mit dem Besitzer zeigte dessen große Befriedigung über den Lohn seiner Arbeit und eine überaus gesunde Beurteilung der wirtschaftlichen Lage des Schutzgebietes; das tut äußerst wohl, wenn man so oft Verzagtheit und Unmut darüber bekämpfen muß, daß das Reichwerden nicht schnell genug vor sich geht, und es stärkt von neuem die Überzeugung: in Südwest ist mit Arbeit und Ausdauer viel zu erreichen.
Von Hanaus ritt ich noch mehrere Stunden längs des idyllischen Fischflußtales entlang, bis in einer weiten, mit dichtem Gras bestandenen Fläche die hereinbrechende Dunkelheit zur Nachtrast mahnte. Am nächsten Morgen bog der Pfad zum Tal des Leberflusses ab, an dem ich die Farm Gelvater berührte. Ein alter Schutztruppler führt hier seit 10 Jahren sein beschauliches Dasein. Pferde, Rinder und Kleinvieh standen auf der guten Weide, und in dem sauberen Farmhäuschen fehlte nach Ansicht des Besitzers weiter nichts als eine Frau. Dem Mangel sollte demnächst abgeholfen werden: im Herbst will Herr K. nach Deutschland reisen, seit 6 Jahren das erste Mal, und will Umschau halten unter den Töchtern des Landes. Viel Glück!
Hinter Gelvater verwandelte sich die grasreiche Steppe in felsige, steinige Öde ohne Halm, nur mit niedrigem Buschwerk bewachsen. Das Fatale dieser Situation zeigte sich gleich am ersten Abend. Meine 10 Tiere mußten hungern, da die Haferreserve nicht genügte. Die Folge davon war, daß sie sich nachts losrissen und weit hinein in die Berge verschwanden. Man kann sich in Südwest keinen schlechteren Scherz mit jemand erlauben, als daß man ihn in weidelosem Gelände mehrere Stunden lang Pferde und Maultiere suchen läßt; das macht die ruhigsten Gemüter ärgerlich. Ich kam deshalb auch zu keinem rechten Genuß der an dieser Stelle großartigen Naturszenerie. Ich hatte am Fuße des Brukaros genächtigt, einem aus der Ebene sich erhebenden vielkuppigen Bergmassiv, der nebst seinem kleinen Bruder, dem kleinen Brukaros, weithin die Gegend beherrscht und mit seinen grotesken Formen sowohl im nächtlichen Mondschein als im Glanze der Frühsonne eine Erscheinung von gewaltiger Wirkung darbot. Als ich die Tiere glücklich wieder hatte, stand die Sonne schon hoch am Himmel, und ich mußte eilen, um vor Mittag noch Berseba zu erreichen. In Berseba vermutete ich den vor einigen Wochen gen Süden gezogenen Distriktschef von Rehoboth, der mit einer Bastardtruppe räuberischer Hottentotten in den Karrasbergen seine Visite machen sollte. Meine Vermutung bestätigte sich. Beim Einreiten in den Platz fand ich die hünenhaften Gestalten der Bastardkrieger um ein Lagerfeuer versammelt beim Kartenspiel. Berseba ist ein alter Missionsplatz und gegenwärtig dadurch interessant, daß hier der einzig treu gebliebene und deshalb noch selbständige Hottentottenstamm des Kapitäns Christian Goliath seinen Sitz hat. Ein junger Offizier, Leutnant v. L., versieht das Amt eines Distriktschefs und Eingeborenenkommissars mit Umsicht und Geschick. Der Ort besteht aus der Station, den Missionsgebäuden, einem Gasthaus und den Hottentottenpontoks. Im Gasthaus fanden sich bald nach meiner Ankunft Leutnant v. L. und der Distriktschef von Rehoboth ein. Dann ging es an eine Besichtigung des Ortes, der einen überaus freundlichen Eindruck macht. Gebäude und Menschen – bei Eingeborenen eine Seltenheit – waren sauber und wohlgepflegt. Die schmucke Kirche gab dem Platz ein über seine Kleinheit hinausgehendes ansehnliches Bild. Die Mission hat auch hier offenbar gut gearbeitet, ein Verdienst des früher hier langjährig wirkenden Missionars Holzapfel. Im Aufstand ist er auf furchtbare Weise umgekommen, nicht in Berseba, aber in Rietmond haben ihn die Witboois aus seinem Hause geholt, haben seine Frau mit den Kindern an der Hand und dem Jüngsten auf dem Arm in einiger Entfernung aufgestellt und ihn dann nach und nach totgeschossen, mit 14 Schuß von den Füßen aufwärts; lautlos und geraden Blickes hat er an der Wand des Hauses gestanden, beim 11. Schuß hat er noch seinem Weib und seinen Kindern mit dem Taschentuch Abschied gewinkt, dann ist er umgesunken. Dieses Bild nazarenischer Heldenhaftigkeit trat mir lebhaft vor die Seele, als ich die einstige Wirkungsstätte dieses Mannes sah, und es trat in den grellsten Gegensatz zur Gegenwart, als ich merkte, daß ein früherer Missionar die geistliche Fürsorge für die Eingeborenen recht gründlich mit der leiblichen vertauscht und einen – Kaufladen für Eingeborene errichtet hatte. Das Missionswerk selbst ruht nach wie vor in guten Händen, und auch die politische Leitung dieses Hottentottenstammes, wenn man von einer solchen sprechen will, ist gut und klug. Christian Goliath macht seine Sache als Häuptling ganz brav. Ich ließ mir Christian in mein Quartier rufen und war erstaunt, einen tadellos gekleideten Hottentotten mit guten Manieren und erstaunlicher Redegewandtheit kennen zu lernen. Von »Goliath« war bei ihm freilich wenig Rede, er war von kleiner und schmächtiger Figur, aber aus seinen braunen, blaugeringelten Augen kam ein stechender Blick: klug und verschmitzt. Eine Zigarre war mein Angebinde, das mit korrekter Höflichkeit entgegengenommen wurde. Im Verhältnis zum Kaffernkapitän Cornelius, den ich einst in Okambahe genossen hatte, war Goliath der reine Kavalier. Er sprach in fließendem Deutsch von seinen 3000 (?) »Untertanen« und seinem »Lande«. Über die näheren Verhältnisse des Ortes unterrichtete mich während der Mittagsmahlzeit mein seit langen Jahren am Platze wohnender Wirt in schlichten und offenbar objektiven Schilderungen, dann stieg ich wieder in den Sattel, um meinem Endziel an diesem Tage noch etwas näher zu rücken. Gegen Abend kreuzte ich noch einmal den Fischfluß. An dem an mehreren Stellen vorhandenen offenen Wasser standen einige große, mir unbekannte Vögel, die ich als wilde Gänse erkannte, nachdem ich einen von ihnen erlegt hatte. Der Versuch, diesen Vogel der Juno schmackhaft zu machen, mißlang geradezu kläglich. Nach mehr als 1½ stündigem Schmoren hatte ich einen Tranbraten vor mir, den selbst ein Eskimo wohl kaum vertilgt haben würde; meine Eingeborenen freilich fielen gierig über ihn her. Der Duft des Bratens und der umhergestreuten Knochenreste lockte nachts wieder einige wilde Bestien in die Nähe des Lagers, eine Folge, die sich gegen Morgen in ekelhaftem Geheul recht störend bemerkbar machte. Durch völlig abgeweidete und ausgetrocknete Gegend kam ich gestern gegen Abend auf eine Anhöhe, von der aus ich endlich Keetmanshoop in der Ebene liegen sah: wie aus einer Spielschachtel in die Fläche gesetzt. Noch vor Sonnenuntergang ritt ich in den Ort ein, brachte die Tiere und Eingeborenen im Bezirksamtskraal, mich aber in dem »ersten« Hotel des Ortes, bei Sagner und Schmidt unter. Ein Tag der Ruhe, dann soll es hier an die Arbeit gehen. –
Keetmanshoop, den 4. Juli 1908.
Es ist morgens 6 Uhr. In zwei Stunden geht der Zug nach Lüderitzbucht, vielleicht gelingt's, bis dahin noch die Eindrücke über Keetmanshoop zu Papier zu bringen, wo nicht, so wird im Bahnwagen vielleicht auch noch Zeit und Gelegenheit dazu sein, dann ist es hoffentlich auch nicht mehr so kalt, wie hier in meiner Stube, wo nur die brennende Lampe einige Wärme verbreitet, während draußen bittre Kälte herrscht. Man kann eben nirgends so frieren als in Afrika, dem Lande der heißesten Sonne. Afrika ist das Land der Gegensätze, und man bewegt sich selbst fortgesetzt in solchen Gegensätzen, nicht nur äußerlich, sondern sehr oft auch in seinen Anschauungen und Meinungen. So ist es mir auch hier wieder in Keetmanshoop gegangen. Als ich das erste Mal durch den Ort ritt, da dachte ich: »ein trostloses Nest«; jetzt, wo ich den Ort verlasse, scheide ich von ihm in der Überzeugung, daß hier eine zukunftsreiche Stadt im Entstehen begriffen ist, der natürliche wirtschaftliche Mittelpunkt des Südens, ein Platz, an dem schon jetzt viel gearbeitet worden ist, und an dem viele tüchtige und gute Menschen jeder auf seinem Gebiete Treffliches schaffen und leisten. Während der 5 Tage meines Aufenthaltes konnte ich in dieser Beziehung manches Erfreuliche sehen und kennen lernen.
Keetmanshoop war wohl der einzige für eine Selbstverwaltung in Frage kommende Ort, den ich aus eigener Anschauung noch nicht kannte; ich fand ihn seiner Einwohnerzahl und seiner wirtschaftlichen Situation nach für durchaus geeignet zu einer selbständigen Gemeinde. Gestern abend hatte der Bezirksamtmann auf meine Bitten die Einwohner zu einer Versammlung gebeten, in der ich mich etwas näher mit den Keetmanshoopern aussprechen konnte. Es war mir bekannt, daß die natürliche Scheu vor dem Unbekannten die Bevölkerung hier in eine ablehnende Haltung gedrängt hatte. Um so erfreulicher war es, daß in der Versammlung die Anwesenden sich mehr und mehr mit dem Gedanken einer eigenen Gemeindeverwaltung befreundeten. Die warme Befürwortung des Bezirksamtmannes war hierbei offenbar ausschlaggebend, aber auch sonst waren die Verhandlungen recht fruchtbringend. Die gebildeten Kreise von Keetmanshoop, die höheren Beamten und das Offizierkorps beteiligten sich mit sichtlichem Interesse an den zur Debatte stehenden Fragen. Neben dem Kommandeur des Südbezirks, Major B., sah ich den früheren Bezirksamtmann von Grootfontein, Major v. Oe., Oberstabsarzt B., Stabsarzt M., Intendanturrat H., Hauptmann W. und eine Anzahl jüngerer Offiziere in der Versammlung. So zeichnete sich diese letzte Zusammenkunft, in der ich zur Erfüllung meiner Aufgabe im Schutzgebiet zu tun hatte, von fast allen anderen durch gute Zusammensetzung aus.
Pessimismus beherrschte einen Teil der Bevölkerung, erzeugt durch ein Ereignis, das sonst in der Welt ungeteilte Freude hervorruft. Wenige Tage vor meiner Ankunft war der Bahnverkehr der Strecke Lüderitzbucht – Keetmanshoop an seiner Endstation Keetmanshoop angelangt. Das bedeutet natürlich eine Beschleunigung und damit eine Verbilligung des Personen- und Güterverkehrs und im Gefolge damit einen Rückgang des Geschäftes in den Gasthäusern und des Umsatzes in den Warenhäusern. Dem Konsumenten ist ein derartiger Werdegang nur angenehm, aber im öffentlichen und wirtschaftlichen Leben des Schutzgebietes treten diese ziemlich zurück, und als Rufer im Streite findet man fast ausschließlich die Produzierenden und umsetzenden Elemente, für welche die jetzt eintretende Veränderung des wirtschaftlichen Bildes naturgemäß mit einigen Unbequemlichkeiten verbunden ist. Bei der stark materialistischen Tendenz, von der das Leben im Schutzgebiet zum Teil noch beherrscht wird, wirken diese Unbequemlichkeiten nun so stark, daß man die Bahn, nach der man erst laut gerufen hat, jetzt ebenso laut verwünscht, und daß man völlig verkennt, daß der Ort erst mit der Bahn überhaupt bleibenden Wert und Entwicklungsmöglichkeit erhalten hat. Man darf solche Mißstimmungen nicht zu tragisch nehmen, sie verschwinden sehr bald wieder, wenn die Beteiligten nach kurzer Übergangszeit die durch die Bahn hervorgerufene fortschreitende Gesamtentwicklung erkennen, aber sie sind symptomatisch und lassen die so oft und gern ins Treffen geführte »Reife« des Urteils der »alten Afrikaner« in etwas abgeschwächtem Glanze erscheinen. Keetmanshoop befindet sich in diesem Übergangsstadium, aber mit der wachsenden Besiedelung des Südens, mit der Weiterführung der Bahn nach dem Osten, mit Herstellung der Bahnverbindung Keetmanshoop–Windhuk werden immer neue Förderungsfaktoren für den Ort gegeben sein und um so ungehinderter wirken können, als der Platz schon jetzt unter nicht ungünstigen Lebensbedingungen existiert. Der Grund und Boden befindet sich nicht wie in Lüderitzbucht und Swakopmund im Alleinbesitz einer Gesellschaft, es sind also die schädlichen Wirkungen eines Bauplatzmonopols nicht zu befürchten; Wasser ist in genügender Menge erschlossen und in weiterer Menge erschließbar, die Zahl der eingeborenen Bevölkerung genügt, um einem weit umfangreicheren Orte hinreichende Arbeitskräfte zu bieten, das Gelände ist nicht, wie z. B. in Windhuk und Lüderitzbucht, felsig und uneben, sondern sandig und meist eben, so daß Herstellung und Unterhaltung der Straßen fast nichts kosten würden. Wenn die Entwicklung des Ortes also auch künftig gut geleitet wird, ist sein Gedeihen gesichert.
Mit Bedauern merkte ich, daß der Bezirksamtmann Schm. kaum noch längere Zeit auf seinem Posten verbleiben möchte. Schade für den Bezirk und das Land. Eine mehr als 15 jährige koloniale Erfahrung steht diesem Beamten zur Seite. Mit einem überaus gesunden, durch juristische Paragraphenwut nicht getrübtem Urteil erfaßt er die Situation und faßt auch die Bevölkerung mehr menschlich als dienstlich, zum Teil in einer Art, die einen zunächst frappiert, um die man ihn dann aber beneidet, weil sie richtig, aber nicht jedem gegeben ist. So schloß er z. B. die erwähnte, durchaus würdig verlaufene Versammlung mit einem ernsten Schlußwort und, seine Keetmanshooper richtig erfassend, fuhr er dann fort: Jetzt gehen wir aber noch nicht nach Hause, sondern wir singen und trinken noch eins, und, auch hier die Initiative ergreifend, stimmte er an: »Keinen Tropfen im Becher mehr!«. Ich möchte dem Ort wünschen, daß er diesen Mann noch länger in seinen Mauern behält, ebenso auch die übrigen an führender Stelle stehenden Persönlichkeiten, insbesondere den Kommandeur der Südtruppe, Major B. Ich habe selten eine so prächtige Offiziersfigur kennen gelernt. Äußerlich eine reckenhafte Gestalt, innerlich von abgeklärter Ruhe, die ganze Person aber durchdrungen von einer umfassenden Allgemeinbildung und schlichten Vornehmheit, dem jüngsten Leutnant gegenüber menschlich liebenswürdig und doch immer: Kommandeur. Die Stunden des Verkehrs im Kasino, das mir liebenswürdigerweise seine Pforten öffnete, waren deshalb auch ein großer Genuß, zumal ich auch einen alten lieben Schulkameraden hier wieder antraf, dem ich schon in Windhuk früher manche Stunde angenehmer Abwechslung verdankte. Je ein genußreicher Abend war mir auch in der Familie des Bezirksamtmanns und des Oberstabsarztes B., einer Schiffsbekanntschaft von der Überfahrt her, vergönnt, so daß mir die Zeit meines Aufenthaltes überaus schnell verflogen ist.
Lüderitzbucht, den 10. Juli 1908.
Die seit kurzem bis Keetmanshoop fertiggestellte, offiziell noch nicht eröffnete, tatsächlich aber schon in Betrieb genommene Südbahn brachte mich in zweitägiger Fahrt hierher. In ihrem ersten Teile war mir die Strecke noch nicht bekannt. Die Linie führt durch eine landschaftlich nicht uninteressante, wirtschaftlich aber zur Zeit noch wenig wertvolle Gegend. Die Stauprojekte der kleinen und der großen Naute ermöglichen vielleicht künftig die Ausnutzung eines größeren der Bahn benachbarten Gebietes. In Seeheim wird später die Bahn nach Kalkfontein abzweigen, und mit Sicherheit wird sich hier an diesem Knotenpunkte eine Ortschaft entwickeln, die in ihren Anfängen schon jetzt zu erkennen ist. Auch bei Kuibis, der Station, an welcher künftig die Reisenden übernachten müssen, wird ein Platz sich entwickeln. Den Anfang dazu machten bereits drei Gasthäuser. Leider wird dadurch die Entwicklung des idyllisch gelegenen Ortes Aus schwer beeinträchtigt werden. Gegenwärtig herrschte in Aus noch reges Leben, die Bauleitung hat noch ihren Sitz dort. Der eine Abend, den ich in Aus verbrachte, gab Gelegenheit zur Auffrischung der angenehmen Bekanntschaften, die ich vor einem Vierteljahr bei meiner ersten Anwesenheit gemacht hatte. Am nächsten Morgen ging die Fahrt weiter nach Lüderitzbucht, dem zurzeit viel besprochenen Diamantenort. Schon einige Stationen vor Lüderitzbucht sah man ab und zu einige Glücksritter im Sande kauern und nach Diamanten suchen, ein unendlich possierliches Bild. Aus der vorletzten Station stiegen eine ganze Anzahl solcher Helden in den Zug. In Lüderitzbucht kümmerte ich mich zunächst weniger um die Diamanten, da für mich andere Angelegenheiten wichtiger waren. Am 6. früh kam auf dem Seeweg der Gouverneur an; ich holte ihn vom Dampfer ab und erledigte dann am Abend in mehrstündiger Besprechung das, was zu erledigen war. Der nächste Vormittag war ausgefüllt durch Besichtigungen der Zoll- und Hafenanlagen, die sich noch in ursprünglichstem Zustande befinden. Der Ort selbst bot schon ein etwas vorgeschritteneres und freundlicheres Bild, als bei meiner ersten Anwesenheit vor einigen Monaten. Das damals noch nicht vollendete Schulgebäude war in Benutzung genommen, ein Postamt war im Entstehen begriffen, ein neues Bezirksamt thronte auf felsiger Höhe über dem Orte, in der Hauptstraße waren die Felsen weggesprengt und ein leidliches Planum hergestellt, und die baufällige Landungsbrücke war renoviert und verbessert. Leutnant G. hatte mit seiner kleinen Truppe diese Hafen- und Straßenarbeiten in uneigennütziger Weise durchgeführt, wie auch schon früher in Swakopmund und hier seine Sachkenntnis und Arbeitsfreudigkeit dem Fiskus Tausende erspart haben. Am dritten Tage besuchte ich, den Gouverneur begleitend, die in englischem Besitz befindliche Halifaxinsel, die in etwa 10 Kilometer Entfernung Lüderitzbucht vorgelagert ist. Ihr Wert besteht darin, daß tausende und abertausende von Pinguinen in der von Scheffel so schön beschriebenen Weise ihren Guano dort absetzen, der von einer englischen Gesellschaft abgebaut wird. Es war nicht ganz einfach, bei lebhafter See an den Inselstrand heranzukommen; ich persönlich wurde beim Herausspringen aus dem Boot gründlich durchnäßt. Die Insel mit ihren ungezählten Vögeln bietet ein höchst originelles Bild. Da die Pinguine ihre Flügel nur wie Flossen zum Schwimmen, nicht aber zum Fliegen benutzen können, sind sie zu Lande so schwerfällig, daß sie ruhig sitzen und stehen bleiben, wenn man durch ihre dichten Reihen hindurchgeht; allerdings wird man dabei von einem brütenden Pinguin hier und da ganz ordentlich in die Hose gezwickt. Die Eier der Pinguine sind gegenwärtig Saisondelikatesse in London; Grund genug, daß wir uns von den Vorräten, welche die Arbeiter dort aufgespeichert hatten, einen Sack voll mitgeben ließen, die im Kasino gekocht und als Omelette verarbeitet gute Dienste leisteten. Zwei Stück habe ich noch für die Küche meiner Frau gerettet. Auf der Rückfahrt statteten wir dem »Rattenfänger« einen Besuch ab, ein Schiff, das zur Bekämpfung von etwa auftretendem Typhus in der Kriegszeit hier bereit gehalten wurde. Die Bekämpfung sollte dadurch vor sich gehen, daß durch Entwicklung und Überleitung giftiger Gase auf die Transportschiffe dort alle Ratten, die Träger des Typhus, vernichtet werden sollten. Viel Freude hat man mit diesem Rattentöter nicht erlebt, man hat ihn Gott sei Dank aber auch nicht nötig gehabt; jetzt liegt er unbenutzt am Strande, und es gilt, ihn auf eine möglichst vorteilhafte Weise aus der Welt zu schaffen.
Ein Tag blieb mir für die Diamantenfelder. Die Diamantenfunde waren damals erst seit einigen Wochen gemacht worden; der Abbau befand sich noch in den ersten Anfängen. Daß man in Deutsch-Südwestafrika noch einmal Diamanten finden werde, hatten manche gehofft; ich habe nie recht daran geglaubt, bis mich jetzt der Weg zur rechten Zeit nach Lüderitzbucht geführt hat. Die Hauptfundstelle liegt etwa 16 Kilometer von Lüderitzbucht entfernt, dicht an der Bahn in der Wüste. Der Weg zu den Feldern führt durch öde Strecken. Gemeinschaftlich mit dem Bezirksgeologen Dr. R. und dem Regierungsrat Dr. S. gelangte ich nach zweistündigem Ritt an ein grünes Zelt, den Wohnplatz des glücklichen Entdeckers der ersten Diamantenfelder, des Bahnmeisters Stauch. Herr Stauch war selbst nicht anwesend: er suchte. Ich photographierte die Gegend, das Zelt und die Reisegesellschaft, ließ Dr. S. einen Diamanten finden, der den Vorzug hatte, schon einmal gefaßt gewesen zu sein, und dann ging's weiter. Zu sehen ist natürlich gar nichts außer Sand und einzelnen in der Sandwüste verstreuten Menschen, die kauernd den Sand durchwühlen. Vielleicht wird es in kurzer Zeit schon hier ganz anders aussehen. Wer weiß, ob nicht der Grundstein zu einem kleinen Kimberley bereits gelegt ist. Über die wirkliche Bedeutung der Funde können zur Zeit nur Mutmaßungen aufgestellt werden. Es ist erfreulich zu sehen, daß Bevölkerung und Regierung sich ruhig und kühl verhalten, wennschon das Tagesgespräch von den Diamanten fast ausschließlich beherrscht wird. Die Diamanten, die mir gezeigt wurden, waren klein, meist wasserhell, zuweilen auch gelblich. Ich möchte dem schwergeprüften Schutzgebiet und dem opferfreudigen Mutterlande von Herzen wünschen, daß die jetzigen noch geringen Funde der glückverheißende Anfang eines gewinnbringenden Diamantenbergbaues sein mögen! –
Gegenwärtig sitze ich beschäftigungslos in Kapp's Hotel und warte auf den Dampfer »Kronprinz«, der mich nach Swakopmund bringen soll. –