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Von Dr. Georg Wegener.
Vier Pferde vor der hochrädrigen Postkutsche, ein paar Passagiere innen, auf dem Bock ein kräftiger, sonnenverbrannter amerikanischer Bursche als »Driver« und ein »Dschap«, ein runzelhäutiger gelber Japanese, als Hilfsboy; zwischen beide geklemmt ich selbst, nicht gerade bequem, aber doch im Genuß der freien Aussicht – und nun vorwärts zum »Haus des Feuers«!
Doch welch ein Ort trägt diese merkwürdige Bezeichnung? –
Nun, er liegt beinahe so fern von uns, wie es überhaupt möglich ist: auf der entgegengesetzten Seite des Erdballs, mitten im Pazifischen Ozean. Der Dampfer »Australia« trug mich von San Franzisko nach Honolulu, dem Hauptort der Hawaischen oder Sandwichs-Inseln, wo ich zwei Wochen auf Schiffsgelegenheit nach Samoa warten mußte. Ich benutzte diesen Aufenthalt, um das großartige Vulkangebiet, vielleicht das eigentümlichste der Erde, kennen zu lernen, das sich im Bereich dieses Archipels findet.
Die feurigen Kräfte des Erdinnern haben die ganze Gruppe aus der Tiefe des Ozeans emporgetürmt, der erste Blick auf die wilden Kraterberge, die das Gelände zusammensetzen, gibt davon Zeugnis. Schon die Insel Oahu, auf der die Hauptstadt Honolulu zwischen Palmen und Bananen liegt, ist ganz erfüllt von erloschenen Kraterbergen, wie dem künstlerisch schön geformten Diamond-Head, dem immer von düsteren Wolken umlagerten Tantalus und dem einem Akropolishügel gleich unmittelbar über den Gärten der Hauptstadt emporsteigenden Rundkrater, der von den Weißen die »Punschbowle« genannt wird. Weit großartiger noch sind aber die Vulkane einiger anderen Inseln der Gruppe. So ragt auf Maui der Vulkan Haleakala in die Lüfte, der den größten Krater der Erde überhaupt besitzt. Der Umfang seines Kessels beträgt nicht weniger als 45 Kilometer, die Tiefe 848 Meter, und so gibt er uns von allen Kraterringen der Erde am meisten eine Vorstellung von den ungeheuren vulkanischen Ringbergen auf dem Monde. Er ist gegenwärtig erloschen.
Noch tätig dagegen ist der Vulkan Mauna Loa auf der Nachbarinsel Hawaii, der auf seinem bis gegen 4200 Meter emporsteigenden Gipfel unter den noch aktiven Vulkanen der Erde den größten Krater hat.
Die ganze Oberfläche der Insel Hawaii ist aus den Lavaströmen aufgebaut, die aus ihm und den Kratern noch zweier anderer Vulkane entströmt sind. Die beiden andern sind seit langem erloschen, der Mauna Loa hatte aber noch im Juli vorigen Jahres einen mäßigen Ausbruch und wenige Jahre zuvor einen so starken, daß der glühende Lavastrom erst eine englische Meile vor der kleinen Stadt Hilo, dem an der Ostküste gelegenen Hauptort der Insel Hawaii, zum Stehen kam.
Aber trotzdem ist nicht der Gipfelkrater des Mauna Loa der Punkt, der von den Reisenden, Laien, wie Gelehrten, am meisten aufgesucht wird, sondern der an seinen flachen, südöstlichen Gehängen gelegene Nebenkrater Kilauea, der mit Recht als das größte Wunder des Archipels bezeichnet wird. Er war auch das Ziel meiner Fahrt, und von ihm will ich erzählen.
Von Hilo aus, wohin mich von Honolulu ein kleiner Frachtdampfer in anderthalb Tagen gebracht hatte, rollte die eingangs erwähnte Kutsche auf der sogenannten »Volcano Road«, einer seit wenigen Jahren vollendeten Fahrstraße, in sanfter Steigung aufwärts, meist durch tropischen Urwald von wunderbarer Üppigkeit.
Ein wildes Naturgemälde ist dieser Wald, himmelweit entfernt von der Anmut eines deutschen Waldes. Auf dem feuchten, schwarzbraunen Boden von verwitterter Lava wuchert in der dumpfig-warmen Atmosphäre das Pflanzenwerk in so zügelloser Fülle, daß überall ein wütender Kampf ums Dasein herrscht. Riesenhafte Farnbüschel verdecken und verdunkeln jeden Zoll des Bodens und bilden undurchdringliche Wälle zu beiden Seiten der Straße. Über sie erheben sich die Baumfarne mit ihren schwarzen, feuchten, schon bei Lebzeiten wie vermodert aussehenden Stämmen. Pandanusartige Palmengewächse mit bizarr verzweigten Wurzeln wachsen dazwischen, und triumphierend steigen über dem allen verschiedene Arten hochragender tropischer Waldbäume empor. Bündeln ineinandergeflochtener Schlangen ähnlich kriechen aber die Mörderlianen an ihren Stämmen hinan und hängen sich in so dichten Massen in die Wipfel, daß oft das natürliche Laubwerk völlig unter den breiten Blättern der Schmarotzer verschwindet. Die saugenden und erstickenden Ranken töten allmählich das Leben des Baumes; ganze Quadratmeilen des Waldes sah ich erfüllt von den halb- oder ganz erstorbenen, blätterlos, mit skelettartig weiß-grauen Zweigen gen Himmel starrenden Bäumen; denn wenn der Baum getötet ist, stirbt auch die Liane, ihre Ringe lösen sich und fallen herab, um unten zu vermodern.
Der Kilauea-Krater liegt ungefähr in der Höhe des Brockens über dem Meeresspiegel. Etwa hundert Meter tiefer hörte der Wald auf; wir fuhren über eine mit Farnkraut überwucherte Geröllebene, die ganz langsam bis zur Spitze des Mauna Loa ansteigt. Wolken umhüllten aber, wie fast immer, für uns den breit gelagerten Gipfel des Riesen.
Nach 31 Meilen langer Fahrt hielt unser Gefährt in der Abenddämmerung an der Veranda des »Volcano-Hauses«, eines hübschen, unlängst erbauten Hotels, das unmittelbar am Rande des Kraters liegt. Dampfende Nebel verschleierten rings die Aussicht, ein kalter Regen rauschte hernieder; doch hier saß es sich behaglich am flackernden Kamin, beim Klang hawaiischer Lieder, die ein paar anwesende amerikanische Damen zum Piano sangen und deren weiche, oft sehr an deutsche Volkslieder erinnernde Melodik um so rührender ist, als das liebenswürdige, schöne und sinnenfrohe Volk, das sie geschaffen, dem unhemmbaren, heut nahezu schon vollzogenen Aussterben entgegengeht.
Am nächsten Morgen war heller Sonnenschein, und in ihm lag der Krater klar zu Füßen des Volcano-Hauses. Er bildet ein ungeheures Oval von 4650 Metern, also von einem die Berliner Friedrichstraße an Ausdehnung übertreffenden Längsdurchmesser, mit fast überall senkrechten Steilwänden von 100 bis 150 Meter Tiefe. Sein Boden, von erstarrter, dunkler Lavamasse erfüllt, sah von oben zunächst aus wie ein ungeheurer schwarzer See von Schlamm. Bald aber bemerkte das Auge, daß diese Lavamasse keine horizontale Oberfläche hatte, sondern allseitig langsam zu einem nicht ganz in der Mitte gelegenen Punkte anstieg, aus dem eine dichte, hohe Dampfsäule, weißleuchtend im Sonnenschein, hervorquoll. Dort liegt, etwa 3½ englische Meilen vom Hotel, die innere Kraterschlundöffnung des Kilauea, das Zentrum seiner Tätigkeit, der Herkunftsort jener Lava, und dieser Ort trägt bei den Eingeborenen den Namen »Halemaumau« d. h. das Haus des Feuers.
Nach dem Frühstück ritten wir in einer kleinen Kavalkade von fünf Touristen und zwei Führern die steilen vom Hotel aus hinuntergebahnten Zickzackpfade zum Boden des Kraterovals. Blühendes Gerank wilder Rosen umflocht oben seine Wände, Farngestrüpp und wundervoll rot blühende Sträucher, Lehua von den Eingeborenen genannt, folgten weiter abwärts, bis endlich die schwarze vegetationsleere Lava des Kraterbodens erreicht war, die scharf von den gelben Wänden des aus Jahrtausende älterer Lava zusammengesetzten Kraterrandes abstieß.
Die Sonnenglut brütete mächtig auf den schwarzen Flächen und verbrannte Gesicht und Hände wie bei einer Gletscherwanderung. Doch ließ das fremdartig wilde Bild unserer Umgebung alles Ungemach vergessen. Die Lavadecke zeigte in der Nähe die Oberfläche einer in breiten Wogen aufgewühlten und plötzlich erstarrten Flüssigkeit, nur nicht von leichtbeweglichem Wasser, sondern von schwerem, schwarzem, zähem Brei. Es war deutlich zu erkennen, wie Strom auf Strom der glutflüssigen Lava von Halemaumau her über die früheren Lagen hinübergeflossen war, hier sich teilend, dort sich an einem Hindernis emporbäumend und endlich in dicken, schweren Wülsten erstarrend. Die verharschten Wogenberge waren bei der Abkühlung in tausend Trümmer zerborsten und zersplittert, finstere Risse, ganz wie Gletscherspalten, durchzogen weithin die Fläche und nötigten zum Umweg, weißlicher Schwefelbeschlag folgte den schmaleren Bruchstreifen.
Immer wunderlicher wurden die Formen, je näher wir dem dampfenden Zentrum kamen. Täuschend glich die Lava hier dicken ineinandergeflochtenen Schiffstauen, anderswo bildete sie ein schauerlich wildes Gewirr glassplitterscharf emporstarrender Zacken, das absolut unüberschreitbar schien. Doch so morsch und schaumig war die Struktur der Masse, daß sie unschädlich unter dem Huf der Ponies zerknirschte. Wieder anderswo bildete sie hohle, in Gestalt von mehr als mannshohen Schornsteinen über die Fläche emporsteigende Schlote oder frei über eine Einsenkung ausgespannte Brücken.
Endlich wurde der Boden aber doch so schwierig, daß wir die Pferde zurücklassen und zu Fuß weiter wandern mußten. Aus den Rissen, die wir passierten, drang jetzt schon glühend heiße Luft flirrend hervor; ein darüber gelegtes Stück Holz fing an zu schwelen und endlich hell zu brennen. Schweflige weißgelbe Dämpfe gesellten sich bei anderen Spalten hinzu. Wo der Fuß durch die hohltönenden Decken aufgeblähter Lavawülste hindurchtrat, erwies sich die Unterschicht noch glühend heiß, so daß allmählich die größte Vorsicht geboten war.
Wilder und wilder türmten sich so die schwarzen Massen, bis wir endlich an dem furchtbar zerrissenen Rande des Halemaumau standen. In ungeheuren Wirbeln quollen hier Wasserdampfwolken, gemischt mit erstickenden Schwefelgasen, aus dem großen Schachte, so daß es nur von der Windseite aus möglich war, unmittelbar an den Rand hinanzutreten. Trieb ein stärkerer Windstoß die Dampfwolken etwas kräftiger fort, so fiel der Blick 40 bis 50 Meter tief hinunter in einen von überhängenden Felsen gebildeten Kessel, in dessen Mitte zwischen noch rauheren Zacken und Klippen der eigentliche, in die Tiefen des vulkanischen Herdes hinabgehende Schlund zu liegen scheint, der mysteriöse Ursprung jener geheimnisvollen Erscheinung, die den Halemaumau zu etwas Einzigem unter den Vulkanen der Erde stempelt, und die sich bei dem etwa alle sieben bis acht Jahre wiederkehrenden Höhepunkt seiner Aktivität zeigt. Dann tritt die Flut seiner Lavamassen aus den unbekannten Tiefen, in die sie sich in der Zwischenzeit zurückgezogen hat, langsam bis an den Rand des Halemaumau, dessen größter Durchmesser beinahe einen Kilometer beträgt und bildet hier einen regelrechten See von glutflüssiger Masse; ein Schauspiel, das nach Zeugnis aller, die es zu sehen das Glück hatten, an wilder Großartigkeit nicht seinesgleichen findet. »Gleich den Wellen eines Sees, aber eines von flüssigem Feuer«, so schildert ein Augenzeuge den Anblick, »wogte die Lava von der Mitte nach den Ufern des Sees zu, hier und dort über sie hinwegspülend. Plötzlich entstand eine mächtigere Strömung, und an zwei Stellen, die augenscheinlich mit dem Erdinnern zusammenhängen, schoß die glühende Lava springbrunnenartig ungefähr 20 Meter hoch empor. Beim Niederfallen breitete sich die Masse in einen Feuerregen aus, der meteorgleich in feurigen Parabeln herunterfiel. Gleichzeitig spielten zahlreiche kleine Feuerfontänen auf der Oberfläche des unablässig wogenden Lavasees, und man hörte ein Geräusch wie die Brandung des Meeres.«
Über alle Beschreibung großartig muß dann das Bild zur Nachtzeit sein, wenn das Dunkel der Umgebung die wilde Glut des Erdinnern doppelt unheimlich macht. Höllenmäßig flackert auf einem Gemälde, das im Volcano-Hause hängt, der Feuerschein auf den bizarren Zacken des Kraterrandes und färbt die über ihm schwebenden Rauchmassen mit glühender Lohe.
Kein Wunder, daß die Eingeborenen in alten Zeiten das »Haus des Feuers« mit abergläubischem Entsetzen betrachteten. Pele, die furchtbare Göttin der vernichtenden Lavaströme, wohnte dort, der bei Ausbrüchen der hawaiischen Vulkane Früchte, lebende Tiere und auch menschliche Leichen geopfert werden mußten, indem man sie in die flüssig von den Gipfeln sich herniederwälzenden Lavafluten warf. Die Sage ging, daß wenn jemand es wagen würde, einen Stein in den brodelnden Feuersee zu schleudern, seine glühende Flut über die Ufer schäumen und den Frevler vernichten würde.
Lange hielt dieser Glaube die Gemüter in Bann, auch nachdem das Christentum dem Namen nach die alte Religion ersetzt hatte. Da wagte es um 1820 die tapfere Prinzessin von Hilo, Kapiolani, vor den Augen des Volkes Steine in den Halemaumau zu schleudern, um die Ihren endgültig für die Segnungen der fremden Zivilisation zu gewinnen. Die erwartete Rache der Göttin blieb aus, der Glaube an sie war zerbrochen.
Und doch! Und doch! Ob nicht heute hier und da ein alter Weiser in Hawaii lebt, der, an Kinder und Enkel denkend, sein Haupt schüttelt? Was ist aus dem blühenden Volke der Inseln in den noch nicht hundert Jahren seit jenem Ereignis geworden? Ist es nicht in dem Gluthauch jener fremden Zivilisation selbst rettungslos dahingeschmolzen, wie unter den Lavaströmen der Göttin aus dem »Hause des Feuers«?
Auf dem kleinen Küstendampfer »Kinau«, der einmal wöchentlich den Verkehr zwischen den Inseln der Sandwichs-Gruppe vermittelte, verließ ich an einem sonnenglänzenden Mittag die kleine, durch den Zuckerbau gegenwärtig rasch emporblühende Stadt Hilo wieder, um nach Honolulu zurückzukehren. Gern möchte ich jetzt statt der Worte dem Leser farbenbunte Bilder mit der Laterna magica vorführen können, so überaus reizend waren die funkelnden Gemälde, die auf dieser Fahrt an meinen Augen vorüberwanderten.
Gleich die Abfahrt war ein solches. Die Eingeborenen Hawaiis haben eine wunderschöne Sitte aus früherer Zeit in die graue moderne Zivilisation hineingerettet und sie auch den Eingewanderten mitgeteilt. Sie tragen bei jeder festlichen Gelegenheit, und auch ohne solche, bunte Blumenkränze auf den Hüten, Blütenkrausen um den Hals, lange, vielfarbige, blühende Gehänge um Brust und Rücken. Überall verkaufen Frauen diese frischen Girlanden um spottbilligen Preis.
So war hier die schon vielfarbig gekleidete Menschenmenge, die den Abfahrtspier und unser Boot in dichten Gruppen erfüllte, Männer, Frauen und Kinder, über und über mit diesen Blumen geschmückt. Lachend, plaudernd, scherzend, mit Umarmungen und Abschiedstränen, wogte das leicht erregbare Völkchen durcheinander, während die hübschgeschwungene Bai von Hilo, über deren lichten Wassern die kleine »Kokosinsel« mit ihren zierlichen Palmenwipfeln schwimmt, einen reizenden Hintergrund dazu bildete. Endlich tönte das Abfahrtssignal, die Brücke wurde hochgewunden, und nun flogen die Taschentücher und Blumenkränze winkend in die Höhe.
Wir hatten unter anderem eine kleine Schauspielertruppe aus Honolulu an Bord, die in Hilo gastiert hatte. Ich hatte sie selbst einmal spielen sehen: Kurze Einakter mit burlesken Niggerspäßen oder sentimental-patriotische Szenen, wo der verlorene Sohn als ruhmbedeckter Held von Manila zurückkehrt, Taschenspielerkunststückchen, Kuplets, groteske Tänze u. dergl. Auch einen starken Mann hatten sie gehabt, der ein ungeheures Wagenrad und eine Schubkarre in die Höhe hob, ein Rasiermesser auf seiner Nase balanzierte und ähnliche ebenso erstaunliche wie überflüssige Dinge tat und fürchterlich dabei schwitzte. Diesen ließen sie in Hilo zurück, denn er war in seinem Zivilverhältnis Plantagenarbeiter daselbst. Jetzt lief er aufgeregt am Pier auf und ab und brüllte seine Abschiedsgrüße mit einer Kraft der Stimmmuskeln herüber, die der seiner Arme nichts nachgab. Unsere Schauspieler, über und über mit Kränzen behangen, hatten sich an Bord malerisch auf einer Decktreppe emporgruppiert: der dicke, vollmondgesichtige Komiker ließ einen großen, bunten Hampelmann tanzen, der Niggerdarsteller schnitt wahrhaft fürchterliche Grimassen mit Mund und Augen, die Sängerin der Gesellschaft, eine verblühende Schönheit von jenem eigentümlich rassigen Typus des hawaiisch-amerikanischen Mischblutes, winkte, etwas mechanisch wie es schien, mit ihren Blumenketten. Sie lehnte dabei das Haupt an die Knie des über ihr sitzenden Elegants der Truppe, eines jungen Bürschchens mit dünnen Beinen und schmachtenden Mandolinenaugen, hübsch, aber doch nicht halb so, wie er sich vorkam, denn da er einen schwarzen Gehrock und einen Zylinder sein Eigen nannte, so hatte er immer die schönen und edlen Rollen zu spielen gehabt. Allesamt brachten sie dem Rückbleibenden einen vierstimmigen Gesang, in dem behauptet wurde, daß » Johnnie« ein damned good fellow, ein »verdammt guter Junge« sei, und sie sangen falsch, o so gräßlich falsch – aber was tat's, es paßte hinein in den lustigen, bunten Wirrwarr des Ganzen, den die tropische Sonne in ihrem grellsten Lichte badete.
Nun fuhren wir auf weichen, schaukelnden Wellen längs der Nordostküste von Hawaii entlang, im Angesicht einer seltsam reizenden Landschaft. Die Häupter der alten Vulkane bargen sich auch heute in majestätischen Wolken; ihre sanftgeschwungenen Abhänge stiegen unter diesen langsam, so langsam, daß der Abfall der Inseloberfläche zuletzt fast zu einem Plateau wird, zur Küste hinab. Hier aber endeten sie überall mit jähem Steilabfall. Das Meer hat allerorten die Lavaströme wie mit scharfem Messer angeschnitten, und so ist der Strand von Hawaii fast überall ein hoher, weiter braunroter Steilrand, an dessen Fuß immerwährend eine weißschäumende Brandung steht. Oben auf der Oberfläche reihen sich in endlosen Strecken sammetnen Grüns Zuckerplantagen an Zuckerplantagen, jene Anlagen, mit denen die Amerikaner neuerdings aus dem alten Lavaboden Ströme von Gold hervorzuzaubern wissen. Viele Meilen lange Wasserleitungen, Konstruktionen oft von erstaunlicher Kühnheit, die Schluchten von Kirchturmstiefe mit ihrem spinnwebedünnen Gestänge überschreiten, schwemmen das abgeschnittene Rohr von den Feldern an die Zuckermühlen, die man hier und dort liegen sieht. Oft liegt eine Zuckermühle hart oben am Uferrande; mit Drahtseilgleitbahnen und Kranen schafft man von dort die Zuckersäcke hinab in die Boote.
Nur vereinzelt findet sich ein Landungsplatz unten am Ufer. Das pflegt dort zu sein, wo ein tiefer Talriß zum Meere hinabsteigt. Ist dann zufällig hier auch ein jüngerer Lavastrom in die See hinausgeflossen, an dessen schwarzen Klippen die Brandung mit wütendem Schaum sich bricht, dann kann man die Stelle, auch bei etwas größerem Seegang, wie heut, als Reede benutzen. Das Schiff bleibt draußen auf der offenen See vor Anker liegen, unsere Bootsleute rudern über das blauschimmernde Wasser zum Ufer, um die Post abzuliefern oder Passagiere und Waren zu holen, die auf kühner, an den Steilwänden abwärts geführter Kunststraße vom Plateau zum Landeplatz hinabgelangen. An den meisten Stellen ist freilich trotz des natürlichen Schutzwerkes die Brandung noch so heftig, daß man meint, das Boot müsse kentern; doch die geschickten Ruderer – meist Japaner – wissen heil hindurchzukommen. Ist alles beendet, so werden die Boote mit dem üblichen Geschrei und Geschwätz in unverständlichen Lauten von unserer »Kinau« wieder emporgewunden, und weiter geht die Fahrt.
Große Tümmler begleiten uns jetzt, mit mächtigen Bogensätzen über die Flut emporspringend. Dann sind es Scharen fliegender Fische mit metallisch bunten Flossen, die dicht vor unserem Schiff aufschnellen, um nach weitem, schwirrendem Fluge wieder in die Wogen hinabzufallen.
Gegen Abend wird die Szenerie der Ufer immer großartiger. Die Felsenwände werden höher und höher, die Schluchten zwischen ihnen reißen sich so jäh hinein, daß eine Uferstraße nicht mehr möglich ist. Das Wundervollste aber ist, daß Wasserfälle überall vom Plateaurande herniederhängen, in so dichter Fülle, von solcher Vielgestaltigkeit und stellenweise auch von solcher Höhe, daß sie die norwegischen Fjorde in Schatten stellen. Teils gleiten sie, teils springen sie in Kaskaden-Absätzen hinunter, teils aber stürzen sie auch mit einem einzigen freien Bogen direkt ins Meer.
So kommt weich und lau die Nacht und hüllt, rasch wie immer in den Tropen, rings die Welt in Dunkel. Plaudernd oder träumend sitzen wir auf den Deckstühlen herum. Die Schauspieler hocken im Ring auf dem Boden und würfeln stundenlang; die wenigen Dollars, die sie haben, rollen von einer Hand in die andere.
Gegen 10 Uhr – wir waren jetzt um die Nordspitze der Insel herum und auf ihrer Westseite angelangt – hielt unser Dampfer wieder an. Wir wunderten uns, was dies auf dem nachtdunklen Meere bedeutete, rasch aber klärte uns ein überraschend hübsches Schauspiel auf. Ein großer elektrischer Scheinwerfer auf unserem Kommandodeck warf plötzlich sein bläuliches Strahlenbündel über das Wasser und bestrich die etwas über einen Kilometer entfernte Küste. Wir lagen vor einem Platze, wo Vieh, insbesondere Schafe, eingenommen werden sollte. In früheren Zeiten mußte die »Kinau« hier immer bis zum nächsten Morgenlicht liegen bleiben; seit sie sich den Scheinwerfer zugelegt hat, kann sie auch bei Nacht die Verladung vornehmen.
Zunächst galt es aber den Landungspunkt zu sichten und zu sehen, ob die Schafherden aus dem Innern der Insel angekommen seien. So wanderte das runde Lichtbild – von unsern Krimstechern verfolgt – langsam am Ufer hin und her, Stück für Stück der Küste wurde in ihm sichtbar, aber in einer ganz eigentümlichen, märchenhaften Beleuchtung. Wohl durch den Kontrast mit dem Nachtdunkel erschienen alle Farben gesteigert, das Grün der Büsche smaragdener, der braune Fels röter als sonst. Scharf fiel der Schatten der elektrisch beleuchteten Wipfel auf die hinter ihnen emporsteigenden Felswände, so daß die Laubmassen genau aussahen wie aus grüner Pappe geschnittene Theaterdekorationen.
Endlich traten ein paar Häuschen in das Lichtrund, der Ladeplatz war gefunden. Nun aber sahen wir etwas ganz Merkwürdiges, das sich schwer beschreiben läßt. Zwischen den Büschen an der bunten Felswand zeigten sich seltsame runde, intensiv in einem grünlich-opalisierenden Glanz funkelnde Lichtflecke, die, unruhig wie Irrlichter, hin- und herflackerten und in langer Kette sich langsam an der Felswand abwärts bewegten. An Glühwürmer war nicht zu denken, dazu waren sie viel zu leuchtend, und überdies mußten diese Lichter, der Entfernung nach, mindestens so groß wie Menschenköpfe sein. Es war etwas, was wir uns schlechthin nicht erklären konnten, auch dies ganz anzusehen wie ein magischer Theatereffekt in einer Zauberoper.
»Sehen Sie die Lichter?« sagte jetzt der Kapitän, »das sind die Augen der Schafe, die die Bergstraße herunterkommen.«
Wir lachten zuerst über den Scherz, für den wir dies hielten, dann aber überzeugten wir uns durch das Fernglas, daß es wirklich so war. Alle Tiere starrten verwundert in das fremde Licht, das von dem Meere zu ihnen herüberglänzte, und die von ihren Augenlinsen zurückgeworfenen Lichtstrahlen gelangten, in der Entfernung kegelförmig erweitert, zu uns zurück.
Nun verließ der Scheinwerferstrahl den gefundenen Platz und kehrte zum Schiffe zurück, um unsere Boote zur Küste zu geleiten. Auch das war wieder ein überaus malerischer Anblick, die weißen Boote mit ihren buntgekleideten, oder halbnackten Menschen im runden Lichtkreis, ganz wie in einem Laternamagica-Bilde, über dem dunkelfarbigen Meere schwimmen zu sehen, kleiner und kleiner werdend, bis sie drüben am Ufer angelangt waren. Hier sahen wir dann winzige menschliche Gestalten die Schafe wie Säcke eins nach dem andern auf den Rücken nehmen und sie, ein Streckchen durchs Wasser watend, in die Boote laden. Gefüllt kamen diese wieder zurück. An der Schiffswand angelangt, wurden sie unter der Luke festgemacht, und nun wurden die vor Schrecken vollkommen willenlosen Tiere, wieder gleich Säcken, von je zwei Männern eins nach dem andern in den Schiffsraum geworfen. Sobald die Boote leer waren, gingen sie von neuem zur Küste.
Zwei Stunden lang arbeiteten unsere Leute so, denn 200 bis 300 Schafe waren zu verladen.
Inzwischen hatten sich vor uns am Himmel die Wolken mit einem mattrötlichen Licht zu färben begonnen, der Mond kam offenbar hinter den Bergen herauf. Finster zeichnete sich deren Silhouette von dem helleren Himmel ab. Plötzlich glühte gerade auf der Spitze eines Hügels ein feuerflammender Punkt auf, der langsam quellend größer und größer wurde; der Rand der Mondscheibe; ein wahrhaft prachtvoller Glutschein!
»Rasch, schauen Sie, ehe der Mond zu hoch kommt!« rief mir lebhaft ein junger deutscher Kaufmann, den ich in Hilo kennen lernte, zu. »Das ist verblüffend genau der Anblick, den der Mauna Loa bei seinem nächtlichen Ausbruch im letzten Juli bot. So kam die rote Lava oben aus dem Krater heraus. Später lief sie dann fingerförmig, in feurigen Strömen die Abhänge herunter – – –«
Einige Minuten später, und der halbvolle Mond schwebte frei am Himmel. Jetzt goß er soviel Licht herab, daß der Scheinwerfer die Arbeit einstellen konnte. Im silbernen Mondglanz vollzog sich die weitere Verstauung.
Es galt nun, nachdem die Schafe verladen waren, auch Pferde und Kühe an Bord zu schaffen. Hierbei war das Verfahren für unsere Begriffe eigenartig genug. Man nahm sie nicht in die Boote, sondern ließ sie die ganze Strecke im Wasser nebenher schwimmen, indem man ihnen nur die Köpfe mit einem Zaum über Wasser hielt. Jedes Boot brachte zu beiden Seiten je ein Tier herbei. Es war kläglich zu sehen, wie die großen verängstigten Geschöpfe regungslos mit ausgestreckten Beinen sich flach im Wasser treiben ließen, nur das Schnauben der Nüstern und die weit aufgerissenen Augen verrieten ihre Aufregung. Diese Art des Transportes ist besonders insofern eine gewagte Sache, als das Meer hier reich an Haifischen ist, die sich oft genug weder durch Geschrei noch Laternenschwenken abhalten lassen, die Beute in die Tiefe zu reißen.
Am Schiff angelangt, befestigte man einen Gurt um den Bauch der schwimmenden Tiere, ein Kran hob sie hoch, mit herabhängenden Beinen, in die Luft und ließ sie an Bord nieder, wo sie nach einigem Ausgleiten und verängstetem Umsichschlagen an der Reeling angebunden wurden.