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Die zwölf Eier

Karl Simrock

Ein reicher holländischer Kaufmann, der zu Kleve in einem Gasthof einritt, bestellte sich zwölf gekochte Eier. Er konnte sie aber, als sie gebracht wurden, nicht verzehren, weil eben ein Eilbote eintraf, der ihn in einer dringenden Angelegenheit heimrief. Er verließ auch sogleich das Haus, sprang wieder zu Pferde und ritt fort, ohne die Eier bezahlt zu haben. Zehn Jahre nachher begab es sich aber, daß der Kaufmann wieder in demselben Gasthof einkehrte. Da sagte er zu dem Wirt, er wär' heut nicht zum erstenmal in seinem Hause, vor vielen Jahren hätte er sich einmal zwölf Eier bei ihm kochen lassen, die wär' er noch schuldig. »Ja,« sagte der Wirt, »die sind Euch angerechnet und werden Euch auch teuer genug zu stehen kommen.« »Nun,« sagte der Kaufmann, »zwölf Eier zu bezahlen werde ich doch wohl reich genug sein.« »Das fragt sich sehr,« entgegnete der Wirt, »es wird sich aber bald ausweisen, denn ich habe Euch längst verklagt, und da Ihr jetzt hier seid, müßt Ihr mir morgen zu Gericht stehen.« Dessen weigerte sich der Holländer nicht. Als sie nun andern Tages vor den Richter kamen, rechnete der Wirt ihm vor, aus den zwölf Eiern würden zwölf Küchlein gekommen sein, die Küchlein wieder Eier gelegt haben, aus denen wieder Küchlein gekommen sein würden und so fort, was zuletzt eine ungeheure Summe ausmachte, die der Wirt forderte und der Richter ihm auch zubilligte, weil der Kaufmann vor Schrecken die Sprache verloren hatte. Ganz niedergeschlagen ging der reiche Holländer aus der Gerichtsstube, denn sein ganzes großes Vermögen langte bei weitem nicht, die ungeheure Schuld zu bezahlen. Wie er nun so traurig einherging, begegnete ihm ein alt Männchen und fragte, warum er so traurig wäre, er sähe ja aus wie die teure Zeit. Der reiche Holländer antwortete, wozu er ihm das sagen solle, er könnte ihm ja doch nicht helfen. »Wer weiß,« sagte das Männchen, »er wäre doch ein guter Ratgeber, er sollt' ihm seine Not nur klagen.« Da erzählte er ihm die Geschichte von den zwölf Eiern, und wie er jetzt ein armer Mann sei. »Wenn es weiter nichts ist,« sagte das Männchen, »so solle er nur gleich hingehen und Berufung einlegen; er wolle dann vor Gericht die Sache schon für ihn ausmachen.« »Wenn er das fertig brächte,« sagte der Kaufmann, »wolle er ihm sechshundert Gulden geben.« »Das wird sich finden,« sagte das kleine Männchen, »geht jetzt nur hin und sagt, ich wäre Euer Fürsprecher.« Er ging also hin vor den Richter, legte Berufung ein gegen das Urteil und sagte, er hätte einen Fürsprecher angenommen, weil er als Fremder des geltenden Rechts unkundig wäre. Da setzte der Richter einen Tag an, wo die Sache aufs neue zur Verhandlung kommen und er mit seinem Rechtsbeistand erscheinen sollte. Als nun der Gerichtstag kam, fand er sich zeitig genug ein; aber das kleine Männchen war noch nicht da. Die Gerichtsherren, die schon hinter dem grünen Tische saßen, fragten ihn einmal über das andere, wo denn sein Fürsprecher bleibe. Der Kaufmann wußte darauf keine Antwort, in großer Verlegenheit geht er vor die Türe, um zu schauen, ob das kleine Männchen nicht bald käme; aber da war weit und breit nichts von ihm zu sehen. Die Herren wurden ungeduldig und sagten, die anberaumte Stunde werde gleich ablaufen, dann müßten sie das erste Urteil bestätigen. In großer Angst läuft der Kaufmann noch einmal vor die Türe, da steht das Männchen davor, der Kaufmann freut sich und führt es sogleich vor den Richter. Da fragen sie ihn, warum er denn so lange ausgeblieben sei. Das Männchen antwortet, er hätte erst Erbsen kochen müssen. Was er denn mit den Erbsen habe machen wollen, fragten die Richter. Die habe er pflanzen wollen, gab das Männchen zur Antwort. »Ei,« sagen die Richter, »gekochte Erbsen pflanze man nicht, davon käme ja doch keine Frucht.« »Und von gekochten Eiern,« fiel das Männchen ein, »wären auch keine Küchlein gekommen, darum seid so gut, Ihr Herren, und sprecht ein ander Urteil. Dieser Kaufmann ist dem Wirt zwölf gekochte Eier schuldig und will sie gern bezahlen.« Das leuchtete den Richtern ein. Sie hoben das erste Urteil auf, und der Kaufmann bezahlte dem Wirt die zwölf gekochten Eier; dem Männchen hätte er mit Freuden die sechshundert Gulden bezahlt, aber es war verschwunden.


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