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Die Streckkrankheit

Volkstümlich

Es waren einmal zwei Studenten, die hatten auch mehr Schulden, als wie Bücher auf dem Brett. Am schlimmsten aber bedrohte sie der Schneider. Der kam jeden Sonntagmorgen und schrie das ganze Haus zusammen. Als nun eines Sonntags die beiden Galgenvögel den armen Mann wieder um die Ecke kommen sahen – und er hatte ein dickes Wolltuch um den Hals gewunden, zum Schutz gegen die Erkältung, und ein Zugpflaster hinter dem Ohr und sah aus wie die leibhaftige Angst vor allerlei Krankheiten – da besprachen sich die beiden und handelten folgendermaßen. Der eine kugelte sich, unten am Fußende des Bettes, unter der Decke zusammen und hielt seine langen haarigen Beine wie eine Schnecke, die man gestört hat, in Bereitschaft, der andere aber lag richtig in demselben Bett und stöhnte, als der Schneider hereinkam. Der Schneider rief: »So gut hat es unsereins nicht, um zehn Uhr noch im Bett liegen, ich möchte mein Geld haben.« Der Student antwortete nichts als »Hu, hu, hu, hu!« und machte ein Gesicht, als wenn ihm ein Hirschkäfer am Nasenknorpel säße. Dann endlich sagte er keuchend: »Meister, Ihr müßt warten, ich bin krank und mein Gesell geht den Arzt holen.« Als der Schneider von Krankheit hörte, zog er die Schultern hoch, trat drei Schritte zurück, sagte aber mürrisch: »Was soll Euch fehlen, Ihr werdet gestern einmal wieder im Bären – – – und nun schlägt der Kater in Eurem Schädel den Generalmarsch.« Der Student antwortete: »Nein, ich habe eine ansteckende Krankheit.« »Und die wäre?« fragte der Schneider, trat wieder zwei Schritte zurück und fühlte nach rückwärts mit der Hand nach der Türklinke. »Ich habe die Streckkrankheit; das kommt so in Anfällen, wartet nur, gleich wird wieder einer kommen.« Damit gab er seinem Gesellen unter dem Deckbett das verabredete Zeichen, und der streckte nun seine Beine lang zum Fußende hinaus und nach oben dehnte der andere seinen Leib, als wäre er eine Schleuder zum Spatzenschießen. Da war das zusammen ein Kerl von fast drei Meter Länge. Der stöhnte gottserbärmlich und tat, als wenn ihm der Leib an der dünnsten Stelle durchreißen wollte. So warf der Schneider die Tür auf, rief sein »Gotthelf«, rannte nach Hause, trank einen Maßkrug Fliedertee und schwitzte sich seine magere Seele aus dem Leibe, damit ihn nur ja nicht die böse Streckkrankheit befallen möge. Die Studenten aber ließ er fürs erste zufrieden.


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