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Sagen und Geschichten aus deutschen Gauen
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Aloys Wilhelm Schreiber

Der Raubritter.

Am schroffen Abhang des Niederwalds hängt wie das Nest eines Raubvogels die zerfallene Burg Ehrenfels, einst von den Kurfürsten von Mainz erbaut. Da lebte in alter Zeit ein Burgvogt, Hans von Ehrenfels genannt, der eine einzige Tochter, Uta, hatte, deren Schönheit am ganzen Rheinstrom gerühmt wurde. Ein Edelmann aus Mainz, der ein steinreicher Mann war, warb um sie, aber Uta gestand ihrem Vater offen, ihr Herz sei bereits versagt, und sie würde ihre Hand nie einem andern Manne geben, als dem jungen Ritter von Reichenstein.

»Wie, einem Räuber?« brüllte der Vater.

»Reichenstein ein Räuber?« stammelte Uta, und alles Blut wich aus ihren Wangen.

»Ja,« versetzte Hans von Ehrenfels, »der Alte und sein Sohn sind Raubritter, und der Kaiser hat geschworen, alle Raubnester am Rhein zu zerbrechen und keinen Stein auf dem andern zu lassen.«

»Nein, nein, es ist unmöglich!« rief Uta. »Der Vater mag ein Räuber sein, aber der Sohn teilt gewiß seine Schuld nicht.«

Der Burgvogt sah wohl ein, daß es in diesem Augenblick unmöglich sei, die Gesinnung seiner Tochter zu ändern, und entfernte sich.

Es war eine späte Abendstunde, Uta saß wie vernichtet in ihrem Gemach, und neben ihr stand teilnehmend ihre Dienerin Elsbeth, die ihr Trost einzusprechen suchte. Aber das Fräulein hörte nicht auf ihre Worte; da trat Elsbeth ans Fenster, öffnete es und schaute hinaus in den Rhein. »Ach Gott,« rief sie plötzlich, »da drüben an Hattos Turm schreitet eine hohe, schwarze Gestalt, und unter dem Felsenloch bei Aßmannshausen leuchtet es wie der Widerschein von Flammen.« Plötzlich sprang Uta vom Sessel auf und ans Fenster. Als sie die Helle gewahrte, zuckte plötzlich ein Gedanke wie ein Blitz durch ihre Seele: »Wenn es Reichenstein wäre, das brennt! Wenn die Soldaten des Kaisers die Feste schon genommen hätten!« Sie bat Elsbeth, auf den Turm zu steigen, der eine weite Aussicht gewährte, und sich dort umzusehen. »Ich kann dich nicht begleiten,« setzte sie hinzu, »denn meine Knie brechen unter mir.«

Elsbeth tat, wie ihr befohlen war, und kam bald mit der Nachricht zurück, es scheine, daß Rheinstein und Reichenstein wirklich in Flammen stünden.

Uta hielt sich mühsam an der Lehne eines Sessels. Elsbeth trat jetzt wieder ans Fenster, sie hörte Ruderschlag und bemerkte jetzt einen Nachen, der unter der Burg anlegte. Eine hohe Gestalt schwang sich auf die schmale Felsenterrasse, die sich am Fuße des Ehrenfels aus den Fluten erhob, und rief: »Uta! Uta!« Die Jungfrau erkannte die Stimme ihres Geliebten. Mit dem Ausruf: »Heinrich! Heinrich! du hier?« trat sie ans Fenster.

»Uta, komm herab zu mir, nur auf einige Augenblicke!« flehte der Ritter. »Reichenstein brennt, mein Vater ist tot, ich bin geächtet! Aber ich kann, ich kann nicht von dieser Gegend scheiden, ohne dich noch einmal an mein Herz gedrückt zu haben.«

Uta befahl Elsbeth, ihr zu folgen. Sie ließ sich durch den Torwart ein kleines Pförtchen öffnen, welches an den Rhein hinabführte, und wenige Minuten nachher lag sie in des Ritters Armen.

»Uta,« sagte er, »ich habe Geld und Kostbarkeiten gerettet, folge mir. In einem fremden Lande wollen wir uns ankaufen.«

»Ich liebe dich, wie meine Seele,« antwortete Uta, »und wäre ich deine Gattin, dann sollte keine Gewalt mich von dir trennen. Aber die Tochter darf das Haus des Vaters nicht ohne seinen Segen verlassen und die Jungfrau nicht dem Geliebten folgen, ohne den Segen des Priesters.«

»Ich kann, ich kann nicht von dir scheiden!« rief der Ritter, indem er sie krampfhaft in seine Arme schloß.

»Es muß geschieden sein, Heinrich, leb' wohl, leb' ewig wohl!« In diesem Augenblicke verließen sie ihre Lebensgeister; sie hing leblos in den Armen des Ritters, da ergriff diesen der Wahnsinn; er umklammerte sie und stürzte mit ihr in die Fluten des Rheins.

Am andern Morgen fand man ihre Leichname am Ufer.


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