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Auf der Höhe des Wienerberges, wo der alte Steffl dem aus dem Süden in Wien Ankommenden seinen ersten Gruß entgegenwinkt, dem Scheidenden aber das letzte Lebewohl zuruft hat frommer Sinn schon vor Jahrhunderten ein schlichtes Holzkreuz errichtet, an dessen Stelle später eine prunkvolle Denksäule aus Stein trat, eines der schönsten Wahrzeichen Wiens, das der Volksmund »Die Spinnerin am Kreuz« nennt. Die Entstehung dieses Namens ist in tiefes Dunkel gehüllt Um so eifriger hat sich das Volk damit beschäftigt und im Lauf der Zeit einen Kranz bald lieblicher, bald düsterer Sagen um dieses steinerne Denkmal geflochten.
Einstmals hatte ein Ritter mit dem Herzog Leopold dem Glorreichen einen Kreuzzug in das Heilige Land mitgemacht Seine Gattin, die unter Tränen von ihm Abschied nahm, gelobte, auf der Höhe des Wienerberges an Stelle des dort stehenden Holzkreuzes ein schönes Steinkreuz zu errichten, wenn der geliebte Gatte wohlbehalten in ihre Arme zurückkehre. Um dem Gelübde mehr Wert zu verleihen, beschloß sie, die Kosten für das Kreuz nur durch ihrer Hände Arbeit, durch Spinnen, zu verdienen.
Ein Jahr lang saß sie schon am Rocken und spann; doch unmöglich konnte der Gatte von seiner weiten Fahrt jetzt schon zurückkommen. Da schickte sie heiße Gebete zum Himmel und spann ein zweites Jahr. Nun langten schon viele Kreuzfahrer in der Heimat an, auch Herzog Leopold war darunter, doch der sehnsüchtig erwartete Gatte kam nicht Vergebens harrte die treue Ehefrau; Tag für Tag, Woche um Woche verstrich, bis das dritte Jahr zu Ende ging. Jetzt wurde der armen Frau bange in ihrer Burg. Sie nahm den Spinnrocken und trug ihn auf die Anhöhe des Wienerberges, um zu Füßen des Gekreuzigten ihre Arbeit fortzusetzen. Von hier aus bot sich ein weiter Ausblick in die Ferne, an dieser Stelle mußte der Gatte vorüberkommen, wenn er überhaupt noch am Leben war. Vom Morgen bis zum Abend saß die emsige Spinnerin am Kreuz und sah sich die Augen müde nach dem heißersehnten Ehemann Ihre blassen Lippen murmelten manch inbrünstiges Gebet, aber es schien, als ob der Himmel auf sie vergessen hätte.
Eines Abends weilte die arme Dulderin, über ihre Arbeit gebückt, wieder an der gewohnten Stelle und sandte von Zeit zu Zeit einen flehenden Blick nach dem Kreuz, das von wilden Reben umrankt war. Die Sonne verschwand hinter den Wienerwaldbergen, der Abendfrieden senkte sich auf die freundliche Landschaft, in der Ferne aber grüßten aus der Dämmerung die Türme der Hauptstadt herüber. Da wankte ein einsamer Wanderer, auf seinen Stock gestützt, mit müden Schritten des Weges daher. Ein wirrer grauer Bart umrahmte das abgezehrte Gesicht, die hagere Gestalt umhüllte ein abgetragener Mantel. An den Stufen des Kreuzes brach der Erschöpfte stöhnend zusammen. Die Spinnerin blickte dem Fremden teilnahmsvoll ins Gesicht, schärfer prüfte sie seine Züge, dann entrang sich ein freudiger Ausruf ihren bebenden Lippen: »0 mein geliebter Gatte, so bist du mir doch wiedergekommen, Gott hat meine Bitten erhört; ihm sei Dank für diese Gnade!«
Als der Heimgekehrte wieder ein wenig zu Kräften gekommen war, erzählte er der mit Tränen in den Augen horchenden Frau, daß er im Feindesland schwer verwundet und gefangen worden sei. Zwei Jahre habe er in elender Sklaverei geschmachtet, bis es ihm gelungen sei, zu entfliehen und unter den bittersten Entbehrungen und Mühen sich in die Heimat durchzuschlagen.
Dankerfüllt über die Rettung und Heimkehr des Ehemannes löste die Rittersfrau ihr Gelübde ein und ließ an Stelle des verwitterten Holzkreuzes eine kunstvolle steinerne Säule errichten, die zum Gedächtnis an die fromme Stifterin den Namen »Spinnerin am Kreuz« erhielt
So wurde die Denksäule am Wienerberg zum Wahrzeichen inniger Gattenliebe und unverbrüchlicher Gattentreue und schaut als solches noch heute weithin in die Lande.