Sagen aus Wien
Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Küßdenpfennig

Der Gasthof »Zum schwarzen Adler« in der Nähe des Roten Turmes zu Wien genoß vor etwa vierhundert Jahren den besten Ruf. Der Wirt, Hans Wangler, tat aber auch alles, seine Gäste zufriedenzustellen. Speisen und Getränke ließen keinen Wunsch offen, und die Bedienung wurde von seinem einzigen Sohn Josef und von Marie, einer armen Verwandten des Wirtes' einem hübschen, bescheidenen Mädchen, aufs beste besorgt. So war es kein Wunder, daß es an Gästen niemals mangelte und Reisende aus den fernsten Ländern hier einkehrten. So klein der Wirt angefangen hatte, so wohlhabend war er jetzt. Er sammelte aber auch die Pfennige, und sobald ein Goldgulden beisammen war, lachte ihm das Herz im Leibe. Seinen Sohn Josef dachte er durch eine gute Heirat zu einem der reichsten Bürger Wiens zu machen. Dieser aber wollte von einer solchen Ehe nichts wissen. Er hatte schon lange sein Herz an die liebliche Marie verloren, und das Mädchen war dem hübschen Jungen nicht minder zugetan. Sooft der Vater auf eine reiche Heirat zu sprechen kam, machte der Sohn Ausflüchte, bis er endlich keinen Ausweg mehr sah und den Alten kurzerhand bat, ihm Marie zur Frau zu geben.

Da kam er nun aber schön an. Der Wirt geriet in hellen Zorn und erklärte dem Jungen kurz und bündig, davon könne keine Rede sein. Marie sei wohl ein tüchtiges Mädchen, aber arm wie eine Kirchenmaus und käme deshalb als Schwiegertochter nie und nimmer in Betracht. »Das ist mein letztes Wort«, schloß er zornig. »Du heiratest die Tochter des Wirtes ,Zur grünen Weinrebe', die ist nicht übel und wird eine angemessene Mitgift in die Ehe mitbringen. Marie aber wird je eher, je lieber das Haus verlassen, damit endlich Ruhe wird. Und nun kein Wort mehr über diese Angelegenheit!« Da gab es nun freilich schmerzliche Mienen in dem sonst so fröhlichen Wirtshaus. Mit Tränen in den Augen verrichtete Marie ihre gewohnten Arbeiten und glaubte den Gedanken nicht ertragen zu können, daß ihr Bleiben im Haus nur mehr von kurzer Dauer sein solle.

Es war spät am Abend, die Gäste hatten das Wirtshaus schon verlassen. Da betrat die Schankstube ein einfach gekleideter Mann, der nicht gerade den Anschein erweckte, über einen wohlgespickten Beutel zu verfügen. Ein armseliges Ränzlein, das er über der Schulter trug, verstärkte noch den Eindruck der Dürftigkeit, der von ihm ausging. Der Fremde setzte sich an einen der Tische und sagte: »Bringt mir zu essen und sorgt für ein gutes Bett.«

Der Wirt dem zahlungskräftige Gäste lieber waren als zweifelhafte Gesellen – und für einen solchen hielt er den späten Gast –, meinte mißtrauisch:

»Was Ihr verlangt, ist vorhanden, es fragt sich nur noch, könnt Ihr auch bezahlen?«

»Bezahlen?« erwiderte der Fremde. »Wer wird gleich vom Bezahlen reden, wenn der berühmteste Arzt auf dem weiten Erdenrund sein Haus betritt! Ich bin Theophrastus Bombastus Paracelsus von Hohenheim, der Name sollte Euch genügen, mir sogleich Euer ganzes Haus zur Verfügung zu stellen. Ich komme aus Salzburg, um hier der leidenden Bevölkerung zu helfen. Gebt mir also Essen und Nachtlager! Ich bin hungrig und sehne mich nach Ruhe.«

Nun aber wurde es dem Wirt zuviel. »Schert Euch zum Teufel, wenn Ihr kein Geld habt!« rief er erbost »Auf so hochtrabende Reden halte ich nichts.«

Da mischte sich Marie' der der späte Besucher leid tat, in das Gespräch und sagte zum Wirt, sie wolle aus ihren kleinen Ersparnissen die Zeche für den Fremden bezahlen, wenn er kein Geld habe. Brummend fügte sich der Wirt und ließ dem Gast Essen und Wein vorsetzen und eine bescheidene Kammer für die Nacht anweisen.

Paracelsus wohnte nun schon einige Tage im »Schwarzen Adler«. Tagsüber schlenderte er in der Stadt umher, abends ließ er sich's im Kreise rasch gefundener Freunde wohlergehen und gab manchem Humpen die Ehre. Er traf keine Anstalten, das Gasthaus zu verlassen oder seine schon beträchtlich angeschwollene Rechnung zu bezahlen. Die Miene des Wirtes der um sein Geld zu fürchten begann, wurde immer finsterer: seine schlechte Laune mußte vor allem Marie entgelten, die keine gute Stunde mehr hatte und mit schwerem Herzen ihre Arbeit tat, da auch der Tag immer näher heranrückte, an dem sie ihr Bündel schnüren sollte.

Eines Tages klagte sie Josef ihr Leid, der ihr Mut und Trost zusprach und sie innig in die Arme schloß. Gerade in diesem Moment kam der Wirt daher, der eben auf dem Weg war, dem unerwünschten Gast die Rechnung zu überreichen. Als er Marie in den Armen des Sohnes erblickte, schrie er sie wütend an: »Nun ist's aber an der Zeit, daß du dein Bündel packst und deiner Wege gehst Zuerst aber zahle noch die Zeche, die der saubere Gast bisher nicht beglichen hat« Und zum Sohn gewandt, setzte er hinzu: »Und von dir erwarte ich, daß du noch heute um die Hand des Mädchens anhältst, das ich dir zugedacht habe.«

Doch Josef erklärte, wenn Marie aus dem Hause müsse, werde er mit ihr gehen; denn er wolle nie und nimmer von dem Mädchen lassen. Der Wirt entgegnete heftig, eine Wort ergab das andere, und der laute Schall der streitenden Stimmen erfüllte das Haus. Plötzlich öffnete sich die Tür der nahe gelegenen Stube des Paracelsus, und der Arzt trat auf die Erregten zu. »Nun, nun', sagte er zu dem ertzürnten Wirt »wer wird denn so hart sein! So gebt doch dem braven Burschen das arbeitsame Mädchen! Sie wird durch Fleiß und Geschicklichkeit ersetzen, was ihr an Geld abgeht«

Jetzt wandte sich der ganze Groll des Wirtes gegen seinen Gast. Er verbat sich jede Einmischung in seine häuslichen Angelegenheiten und rief zuletzt mit zorniger Stimme: »Im übrigen zahlt lieber Eure Rechnung, sonst müßt Ihr sofort mein Haus verlassen wie diese beiden da.«

Während Paracelsus den Wirt beschwichtigen wollte und im Gespräch auch einfließen ließ, daß er Gold zu machen verstehe, suchte Marie ihre Barschaft hervor, um die Schuld des Fremden zu bezahlen, da dieser gar keine Anstalten machte, dem Wirt den verlangten Betrag auszufolgen. Doch Paracelsus hielt das Mädel zurück, griff in die Tasche und bot dem Wirt einen kupfernen Pfennig mit den Worten: »Weil Euch gar so sehr um Euer Geld zu tun ist, will ich Euch vorläufig eine Anzahlung geben; den Rest bekommt Ihr in Bälde.«

Kaum hatte der Wirt den Pfennig angesehen, als er ihn dem Gast vor die Füße warf. »Wie«, schrie er den Fremden an, »das nennt Ihr eine Anzahlung! Mit einem schäbigen Pfennig wollt Ihr eine Schuld von mehreren Goldgulden begleichen? Ihr seid ein ganz unverschämter Lügner und Prahler, der diesen Pfennig ebensowenig zu Gold machen wird, wie mein Sohn dieses Mädchen zur Frau bekommt«

»Wollt Ihr den Schwur, den Ihr soeben getan habt, auch halten?« fragte Paracelsus ruhig den tobenden Wirt

»So wahr ich hier stehe und lebe!« rief dieser mit knirschenden Zähnen.

»Dann hebt einmal den Pfennig auf und schaut ihn Euch näher an!« entgegnete der Gast und lächelte den beiden jungen Leuten zu, die unruhig dem Wortwechsel zuhörten.

Der Wirt bückte sich und griff nach der Münze, voll Staunen hielt er ein schweres Goldstück in der Hand.

»Ich glaube, meine Rechnung ist damit bezahlt«, meinte Paracelsus, »und Ihr habt nichts mehr von mir zu fordern. Nun haltet aber auch Euer Versprechen und gebt den Kindern Euren Segen! Das Goldstück aber hütet als Andenken an mich!«

Mit diesen Worten wandte sich der Gast, nahm sein Ränzel auf den Rücken und verließ den Gasthof, während ihm der Wirt in stummer Verwunderung nachstarrte. Das junge Paar aber war in höchstem Glück, überzeugt, daß der Vater seinen Schwur halten werde. Immer wieder betrachtete der Wirt den wunderbaren goldenen Pfennig, küßte ihn im Überschwang der Gefühle und umarmte dann die glückliche Marie und seinen Sohn, gegen deren Heirat er nichts mehr einzuwenden hatte.

Die Kunde von diesem Pfennigwunder im »Schwarzen Adler« verbreitete sich mit Windeseile in der Stadt, und der Strom der Neugierigen, die Näheres wissen und den goldenen Pfennig betrachten wollten, nahm kein Ende. Der Wirt machte ein glänzendes Geschäft. Sooft er aber die goldene Münze aus ihrem Versteck nahm, um sie den Gästen zu zeigen, streichelte er sie liebevoll, und jedesmal, bevor er das wunderbare Goldstück wieder verwahrte, drückte er einen Kuß auf die Münze. So erhielt das Wirtshaus den Namen »Küßdenpfennig«.

Über dem Eingang des Hauses in der heutigen Adlergasse aber wurde ein Bild angebracht, das die Verwandlung des kupfernen Pfennigs in ein Goldstück zeigte und die Inschrift trug:

Der teure Theophrast, ein Alchimist vor allen,
Kam einst in dieses Haus und konnte nicht bezahlen
Die Zech, die er genoß. Er trauet seiner Kunst,
Mit welcher er gewann viel großer Herren Gunst
Ein sicheres Gepräg von schlechtem Wert er nahm,
Erklärte es als Gold. Der Wirt von ihm bekam
Dies glänzende Metall. Er sagt: Nimm dieses hin;
Ich zahl' ein Mehreres, als ich dir schuldig bin.
Der Wirt ganz außer sich, bewundert solche Sach',
Den Pfennig küss' ich, zu Theophrast er sprach.
Von dieser Wundergeschicht, die in der Welt bekannt,
Den Namen führt dies Haus, zum Küßdenpfennig genannt

 


 


 << zurück weiter >>