Sagen aus Wien
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Der Kegler vom Stephansturm

Neben der Stube des Türmers von St. Stephan befand sich einst eine Kegelbahn, die sich wohl einmal ein Turmwächter eingerichtet haben mochte, um sich mit ein paar munteren Gesellen gelegentlich die Langeweile zu vertreiben. Da aber der Raum beschränkt und die Bahn daher nur kurz war, pflegte man, mit dem Rücken gegen die Kegel gewendet, die Kugel zwischen den Beinen hinausrollen zu lassen.

Nun lebte einmal in Wien ein Schindelmacher, Meister Kunrat, ein Meisterkegler, dabei aber ein wüster Geselle und Saufbold, wegen seines unmäßigen Trinkens der »Ewigtrunk« genannt Er war imstande, mit jedem Schub alle neun zu treffen. Eines Abends hatte ihn der Wirt des Gasthauses, wo er bis tief in die Nacht hinein gezecht und gekegelt hatte, des ewigen Gegröles müde, aus dem Hause gewiesen. Schimpfend und fluchend torkelte der Hinausgewiesene die Straße entlang und schwor bei Tod und Teufel, daß er trotzdem noch in dieser Nacht weiterkegeln und alle neun treffen werde, auch wenn er allein spielen müßte. So kam er zur Stephanskirche und stieg unter wüsten Verwünschungen die Wendeltreppe zur Kegelbahn des Türmers empor.

Kaum hatte er mit einem greulichen Fluch die Kugel in die Hand genommen, da fühlte er eine Hand auf seiner Schulter. Sich umwendend, erblickte er einen hageren Mann in langem grauem Mantel, der ihn mit stechenden Blicken ansah, sodaß dem einsamen Kegler gar unheimlich zumute wurde.

Fluchend rief er dem Fremden zu: »Was wollt Ihr da? Laßt mich in Ruhe! Oder habt Ihr etwa Lust, mit mir ein Kegelspiel zu machen? Aber ich sage Euch gleich: Bei mir sind es auf jeden Wurf alle neun! Das bringt Ihr wohl kaum zustande.«

»Ich halte die Wette«, erwiderte der Graue.

Da nahm Meister Kunrat die Kugel, stellte sich mit dem Rücken zur Bahn und warf die Kugel mit mächtigem Schwung durch seine Beine. »Alle neun«, rief er mit grölendem Lachen seinem Partner zu; »nun macht es mir nach, wenn Ihr könnt!« Dabei nahm er anscheinend unbemerkt einen Kegel und warf ihn, um den Fremden zu überlisten, beim Turmfenster hinaus.

Sogleich richtete sich der Graurock auf und wuchs zu unheimlicher Größe. »So haben wir nicht gewettet«, erklärte er mit dumpfer Stimme, und schaudernd sah Kunrat das blanke Knochengerüst durch den Mantel des Fremden schimmern, »ich bin der Tod und treffe alle neun, auch wo nur acht sind.« Damit warf Freund Hein die Kugel in die Kegel, daß alle acht mit unheimlichem Gerassel übereinanderstürzten, als neunter aber sank Meister Kunrat vom Tode getroffen zu Boden. Am andern Morgen fand ihn der Türmer entseelt mitten zwischen den Kegeln liegen.

Noch lange Zeit nach diesem Ereignis mußte jeder Besucher der Kegelbahn auf dem Stephansturm einen Schub tun und ein Vaterunser für die arme Seele des unglücklichen Keglers beten.

 


 


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