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Geschichte von der schönen Frau mit dem häßlichen Manne.

Ein Araber hatte eine große Anzahl Kinder. Unter diesen war ein Knabe von einer so ausgezeichneten Schönheit und von so viel Verstand, daß man seinesgleichen nicht finden konnte. Als er das gehörige Alter erreicht hatte, verheiratete ihn sein Vater mit einer seiner Nichten. Diese war eben nicht von besonderer Schönheit, auch hatte sie nicht die feinsten Sitten; deshalb gefiel sie auch dem jungen Manne nicht. Allein der Verwandtschaft wegen hatte er alle mögliche Geduld mit ihr.

Eines Tages war er ausgegangen, um eines seiner Kamele aufzusuchen, welches sich verirrt hatte. Es war darüber etwas spät geworden, und er sah sich daher genötigt, einen Araber um Nachtherberge anzusprechen. In dieser Absicht begab er sich daher in das Zelt eines Stammes, und ein kleiner Mann, sehr häßlich von Gesicht, empfing ihn, begrüßte ihn und bat ihn, sich bei ihm niederzulassen. Er unterhielt ihn sehr angenehm, und als die Speise fertig war, reichte sie ihm die Frau des häßlichen Mannes selbst dar. Ihre Schönheit, ihre Anmut und ihre unbeschreiblichen Reize setzten den angekommenen Fremdling in das größte Erstaunen, so daß er sich nicht enthalten konnte, bald ihren häßlichen Mann, bald sie selbst anzublicken. Da er sich zu lange mit dieser Vergleichung aufhielt, merkte es der Ehemann und sprach: »Mein guter Freund, jetzt beschäftige dich mit nichts als mit Essen. Was dich in Staunen setzt, werde ich dir nachher erzählen.« Als sie aufgehört hatten zu essen, erinnerte ihn der Fremde an die Erzählung, und der Araber begann auf folgende weise:

»Ich war von Jugend an, wie du mich jetzt siehst, sehr häßlich, meine Brüder dagegen waren sehr schön, deshalb liebte sie mein Vater mehr als mich und erzeigte ihnen sehr viel Gutes, während er mich ganz vernachlässigte. Er übertrug mir Arbeiten, mit denen man sonst nur die Sklaven beauftragt, während er meinen Brüdern nicht das mindeste Geschäft zu verrichten gab. Eines Tages verirrte sich eine Kamelin meines Vaters. Da trug er mir denn auf, daß ich sie suchen und nicht ohne sie zurückkehren sollte. Ich bat ihn, einen meiner Brüder zu schicken; allein er tat es nicht, sondern ergrimmte über mich, ergriff eine Peitsche und schlug mich. Da stand ich denn auf, setzte mich auf ein Kamel und ritt davon mit dem festen Vorsatz, mich in die Wüste zu begeben und nie mehr zu meinem Vater zurückzukehren. Schon war es Mitternacht, als ich an einem Zelte anlangte, wo ich auf meine Bitte gastfreundliche Aufnahme fand. Es gehörte der Familie meiner Gattin hier, und ihr Vater, ein sehr ehrwürdiger Greis, nahm mich sehr herzlich auf. In der Nacht nötigte mich ein Bedürfnis, aufzustehen und aus dem Zelte zu gehen. Da die Hunde des Stammes mich nicht kannten, so liefen sie mir nach und bellten mich an. Überhaupt wußte in diesem Dorfe niemand etwas von mir als diese Frau. Ich suchte den Hunden zu entgehen, war aber dabei so unglücklich, in eine Grube zu fallen, in welcher Wasser war, und die eine bedeutende Tiefe hatte. Ein Hund indes, der mir eiligst nachgefolgt war, fiel mit mir zugleich in diese steile Grube herab. Meine Frau, die damals ein freies Mädchen voll Kraft und Entschlossenheit war, fühlte, als sie mein Unglück erfuhr, sich von Mitleid gedrungen, mir zu Hilfe zu eilen. Sie kam also mit einem Stricke, ließ das eine Ende zu mir herab und rief mir zu, mich an demselben festzuhalten. Ich tat es und suchte, während sie mich zog, an der steilen Wand der Grube hinaufzuklettern. Allein als ich bis an die Hälfte gekommen war, glitt sie ab und fiel mit mir zugleich hinunter. So blieben wir denn eine lange Zeit zusammen in der Grube, sie, ich und der Hund.

Als der Morgen anbrach und ihre Angehörigen sie nicht sahen, suchten sie sie in dem Dorfe und fanden sie nicht. Da sie aber auch mich mit ihr zugleich vermißten, glaubten sie, ich wäre mit ihr entflohn. Sie hatte vier Brüder, schnell wie die Adler. Diese bestiegen ihre Rosse und trennten sich, um mich und sie aufzusuchen. Unterdessen war es schon hoch am Tage geworden, und der Hund fing an, jämmerlich zu heulen und zu bellen, welches die übrigen Hunde im Dorfe nach ihrer Art beantworteten. Sie suchten dann ihren Genossen auf und kamen bis an den Rand der Grube, an welcher sie stehen blieben und ein fürchterliches Geheul erhoben. Als der Greis diesen Lärm der Hunde hörte, kam er ebenfalls zu der Grube hin.

 

Neunhundertundneunzehnte Nacht.

Hier war er denn über den Anblick, der sich ihm darbot, sehr verwundert. Doch besann er sich nicht lange, denn er war ein tapfrer, verständiger und sehr weiser Mann; er holte einen Strick, zog uns alle heraus und fragte uns, wie denn das alles so gekommen sei. Wir erzählten ihm alles ganz genau, und er versank darüber in ein tiefes Nachdenken. Als ihre Brüder zurückkamen, teilte ihnen der Greis die Begebenheiten mit und fügte dann hinzu: »Meine Söhne, wisset, daß eure Schwester damit bloß etwas Gutes bezweckt hat. Wollt ihr den Mann deshalb umbringen, so werdet ihr immerwährende Schande aus euch laden, ihm selbst unrecht tun, eure Seelen mit einem Verbrechen belasten und selbst eurer Schwester Schande zuziehen; denn Grund zur Ermordung dieses Mannes ist nicht vorhanden. Auch kann ein solches Ereignis niemandem als unmöglich erscheinen.« hierauf näherte er sich mir, fragte mich nach meiner Herkunft, die er sehr rühmlich fand, und trug mir sodann die Hand seiner Tochter an. Mit Dank nahm ich dieses edle Anerbieten an. Ich heiratete sie und blieb bei ihm. Gott, der Erhabene, hat mir seitdem die Pforten des Himmels eröffnet, so daß ich nun einer der Reichsten im Stamme bin.«

Über diese Geschichte verwunderte sich der Mann und brachte die Nacht bei ihm zu. Um andern Morgen fand er sein verirrtes Kamel, kehrte damit zu den Seinigen zurück und erzählte ihnen den ganzen Vorfall.

Doch, o König, diese Geschichte ist nichts im Vergleich mit derjenigen von dem Könige, dem alles verloren ging, und dem Gott alles wiedergab.

 


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