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»Es war einmal in Ägypten ein Kaufmann namens Schemseddin, der einen sehr ausgebreiteten Handel trieb und durch sein pünktliches Worthalten des größten Vertrauens genoß. Er besaß unermeßliche Reichtümer, hatte eine große Anzahl Sklaven zu seinem Dienste und behauptete den ersten Rang unter den Kaufleuten von Kairo, welche ihn zu ihrem Vorsteher erwählt hatten.
Mit allen diesen Vorzügen vereinigte Schemseddin noch den Besitz einer Gattin, welche er herzlich liebte, und welche seine Liebe aufs zärtlichste erwiderte. Aber obwohl beide schon zwanzig Jahre vermählt waren, so hatten sie doch immer noch keine Kinder. Diese Entbehrung bekümmerte Schemseddin tief. Er maß sie heimlich seiner Gattin bei, aber er hatte nie gewagt, ihr darüber den geringsten Vorwurf zu machen.
Eines Tages, als er in seinem Warenlager saß und seine Nachbarn betrachtete, welche alle mehr oder weniger Kinder hatten, fühlte er den Kummer, keine zu haben, umso lebhafter und war folglich umso unmutiger gegen seine Gattin.
Es war ein Freitag: Schemseddin ging ins Bad; und nachdem er sich gebadet hatte, ließ er sich beräuchern, den Kopf scheren und den Bart stutzen, wie er alle Freitage zu tun pflegte. Während er noch unter den Händen des Badewärters war, nahm er den Spiegel und betrachtete sich darin. Sein Bart, der schon anfing zu grauen, vermehrte den Kummer, welchen er nährte, sich kinderlos zu sehen. Er ging also in sehr übler Laune nach Hause.
Die Gattin des Kaufmanns, welche die Stunde seiner Heimkunft wußte, hatte die Aufmerksamkeit gehabt, sich auch zu baden und sich zu seinem Empfange mit ihren schönsten Kleidern zu schmücken. Als er eintrat, kam sie ihm treulich entgegen und wünschte ihm guten Abend. Er aber nahm sie sehr unfreundlich auf und erwiderte ihr, er bedürfte ihres guten Abends nicht.
Bestürzt über eine so kalte Begegnung, ließ sie das Abendessen auftragen und bat ihn, sich zu Tische zu setzen.
»Ich will nichts essen,« antwortete er ihr. Zu gleicher Zeit stieß er den Tisch, auf welchem das Abendessen stand, mit dem Fuße von sich.
»Warum denn,« sagte sie zu ihm, »willst du nicht essen, und was macht dich heute so übler Laune?«
»Du selbst,« antwortete der Kaufmann mit Bitterkeit. »Diesen Morgen, als ich mein Warenlager öffnete, sah ich alle Kaufleute unserer Nachbarschaft von ihren Kindern umgeben, und ich sprach zu mir selber: »Ich bin sehr einfältig gewesen, meiner Frau in unserer ersten Hochzeitsnacht zu schwören, daß ich keine andere Frau neben ihr heiraten und daß keine Sklavin ihre Nebenbuhlerin werden, ja, daß ich nimmer eine Nacht außer meinem Hause zubringen wollte. Ich sah damals nicht voraus, daß meine Gattin unfruchtbar sein und mir niemals Kinder schenken würde.«
»Was nennst du unfruchtbar?« entgegnete ihm die Frau gereizt; »es liegt vielmehr an dir, daß wir keine Kinder haben!«
Der Kaufmann, verwundert über diese Entgegnung und über den zuversichtlichen Ton, mit welchem sie ausgesprochen wurde, begann gegen sich selbst Mißtrauen zu schöpfen und sagte zu seiner Gattin:
»Wäre es möglich? Und sollte es in diesem Falle nicht irgend ein Mittel geben, welches mir zu Kindern verhelfen könnte? Ich bin bereit, es zu erkaufen, wie hoch auch der Preis sei, um es zu versuchen.«
»Ich glaube,« antwortete ihm seine Frau, »daß es dergleichen Mittel gibt; und du findest sie, denke ich, bei den Apothekern.«
Der Kaufmann brachte die ganze Nacht hin, über das nachzudenken, was seine Frau ihm gesagt hatte. Sie waren beide innerlich erbittert durch ihre gegenseitigen Vorwürfe.
Der Mann stand in aller Frühe auf und begab sich auf den Markt. Er trat bei einem Apotheker ein, grüßte ihn und fragte ihn, ob er irgend ein Mittel besäße, welches die Kraft hätte, Kinder zu verschaffen.
»Ich hatte dergleichen noch unlängst,« antwortete ihm der Apotheker, »aber es ist nichts mehr davon vorrätig: ich habe alles verkauft. Wenn Ihr Euch aber zu meinem Nachbarn bemühen wollt, so wird der vielleicht haben, was Ihr suchet.«
Der Kaufmann ging von Laden zu Laden und wiederholte seine Nachfrage bei jedem Apotheker, den er traf: aber alle lachten ihm ins Gesicht und machten sich über ihn lustig.
Da er sah, daß seine Mühe vergeblich war, so ging er nach seinem Laden zurück und setzte sich hin, das Herz von Traurigkeit überwältigt.
Der oberste Makler, ein gewandter und schlauer Mann namens Scheich Mohammed, der ihn so erblickte, grüßte ihn und befragte ihn um die Ursache der Niedergeschlagenheit, in welche er ihn versunken sähe.
Der Kaufmann erzählte ihm die Zwiesprache, welche er vergangenen Abend mit seiner Frau gehabt hatte, und beklagte sich sehr, daß er, nachdem er mit ihr schon seit mehr als zwanzig Jahren verheiratet wäre, noch immer keine Kinder mit ihr hätte.
»Sie behauptet, es sei meine Schuld,« fügte er hinzu, »und hat mich den ganzen Morgen nach einem Mittel herumlaufen lassen, welches die Kraft hätte, Kinder zu verschaffen: aber es ist mir unmöglich gewesen, dergleichen aufzutreiben.« »Ich besitze, was Euch fehlt;« sagte Mohammed; »aber welche Belohnung verheißet Ihr demjenigen, der Euch nach einer mehr als zwanzigjährigen Ehe das Glück der Vaterschaft verschafft?«
»Rechnet,« antwortete der Kaufmann, »auf meine ganze Erkenntlichkeit und Freigebigkeit.«
Scheich Mohammed forderte vorläufig von ihm eine Zechine, und der Kaufmann gab ihm anstatt der einen gleich zweie.
Mohammed nahm hierauf ein großes Gefäß und tat darein Zimmet, Gewürznelken, Kardamum, Ingwer, weißen Pfeffer und einige andere Spezies, vermischte es mit Asche des Bergkrokodils, und nachdem er alles dies gerieben hatte, kochte er es in trefflichem Olivenöle. Hierauf nahm er sechs Lot des besten Weihrauchs und ein kleines Maß schwarzer Körner. Dies alles vermischte er mit Honig und machte daraus eine Art Teig, welchen er wieder in das Gefäß tat. So übergab er es dem Kaufmann und riet ihm, sich des Inhalts desselben anstatt frischer Butter zu bedienen, nachdem er Hammelfleisch oder Hauslauch gegessen hätte. »Darauf,« fügte er hinzu, »müßt Ihr nicht vergessen, ein großes Glas Wein zu trinken.«
Der Kaufmann beschloß, diesen Rat genau zu befolgen, und brachte seiner Frau Hammelfleisch und Tauben, welche er sie zum Abendessen zurichten zu lassen bat; zugleich übergab er ihr das Gefäß, welches das von Mohammed bereitete Mittel enthielt, und empfahl ihr, es sorgfältig zu bewahren.
Als der Abend gekommen war, wurde das Essen aufgetragen. Der Kaufmann, nachdem er dem Hammel- und Taubengerichte Ehre angetan hatte, verlangte das überbrachte Gefäß, aß zur großen Verwunderung seiner Frau fast alles, was darin war, und trank darauf ein großes Glas Cyperwein. Nach diesem Abendessen legten der Kaufmann und seine Frau sich zu Bette. Nach Verlauf einiger Monate spürte die Frau des Kaufmanns, daß sie schwanger wäre. Als der Augenblick ihrer Niederkunft eingetreten war, rief man eine Hebamme, welche sie glücklich von einem schönen Knaben entband. Die Hebamme versäumte nicht, als gute Muselmännin bei der Entbindung des Kindes die Namen Ali und Mohammed auszusprechen, und hierauf schrie sie ihm aus aller Kraft ins Ohr: »Allah akbar!« und überreichte ihn seiner Mutter, welche ihm die Brust gab. Das Kind nahm sie sogleich an, sog lange und schlief ein.
Nach drei Tagen war die Mutter imstande, wieder aufzustehen. Der Kaufmann trat in ihr Zimmer, wünschte ihr Glück zu ihrer Genesung und wollte das Kind sehen. Als man es ihm überreichte, war er erstaunt über dessen Schönheit und Größe – denn obwohl es erst drei Tage alt war, so würde man es doch dem Ansehen nach für ein Kind von einem Jahre gehalten haben.
»Welchen Namen hast du ihm gegeben?« fragte der Kaufmann seine Frau.
»Wäre es eine Tochter gewesen,« antwortete sie, »so hätte ich ihr schon einen gegeben; aber da es ein Knabe ist, so kommt es Euch zu, ihn zu benennen.«
Es war damals Gewohnheit, den Kindern die Namen zu geben, welche man zufällig aussprechen hörte. Weil nun der Kaufmann gerade damals jemand auf der Straße »Herr Alaeddin!« rufen hörte, so sagte er, sein Sohn sollte Alaeddin heißen. Er gab ihm hierauf den Beinamen Abulschamat wegen eines Males, welches der Knabe auf jeder Wange hatte.
Der junge Alaeddin kannte während dritthalb Jahren keine andere Nahrung als die Milch. Er konnte sehr bald gehen und ward täglich stärker und kräftiger. Je mehr er gedieh, je mehr besorgte sein Vater, der ein wenig abergläubisch war, daß ihm irgend ein Unfall zustoßen möchte. Er fürchtete vor allem für ihn die boshaften Blicke der Neidischen. Um ihn denselben zu entziehen, beschloß er, ihn in einem unterirdischen Gewölbe erziehen und ihn nicht eher daraus hervorgehen zu lassen, als bis er völlig bärtig geworden wäre. Demzufolge übergab er ihn den Händen einer Sklavin und eines alten Dieners, dem er auftrug, ihn in Obacht zu nehmen, mit ihm zu spielen und ihm alles Nötige zu leisten.
Als Alaeddin das Alter von sieben Jahren erreicht hatte, ließ sein Vater ihn beschneiden und einen Lehrer kommen, ihn schreiben zu lehren, ihm den Koran auszulegen und ihn in die Wissenschaften einzuweihen. Der junge Alaeddin legte sich in seiner Einsamkeit mit allem Eifer auf die Wissenschaften und machte große Fortschritte.
Eines Tages aber, als der alte Diener vergessen hatte, die Türe der unterirdischen Wohnung hinter sich zu verschließen, benutzte Alaeddin diese Gelegenheit, stieg die Treppe hinauf und trat zufällig in das Zimmer seiner Mutter, wo gerade eine Gesellschaft der vornehmsten Frauen versammelt war.
Bei der Erscheinung des Jünglings, der wie ein berauschter Sklave vorwärts schritt, ließen die Frauen sogleich ihre Schleier fallen und sagten zu seiner Mutter:
»Wie könnt Ihr, edle Frau, diesen Unverschämten hier hereintreten lassen zum Hohn der Schamhaftigkeit und der geheiligten Gesetze des Propheten?«
»Edle Frauen,« antwortete sie, »dieser junge Mensch ist mein Sohn; es ist der Sohn meines Mannes Schemseddin, Vorstehers der Kaufleute dieser Stadt.«
»Aber, edle Frau,« entgegneten sie, »wir haben niemals vernommen, daß Ihr Kinder habt.«
»Mein Mann,« antwortete die Gattin des Kaufmanns, »hat aus Furcht vor den feindseligen Blicken des Neides ihn bisher in einem unterirdischen Gemache erziehen lassen, aus welchem er jetzt eben, ich weiß nicht wie, entschlüpft ist; denn unsere Absicht war, ihn darin abgesondert zu halten, bis er das männliche Alter erreicht hätte.«
Die Frauen, durch diese Antwort befriedigt, wünschten ihr von Herzen Glück, ein so schönes Kind zu haben.
Nachdem der Jüngling das Zimmer seiner Mutter wieder verlassen hatte, trat er in den innern Hof des Hauses, und als er hier mehrere Sklaven erblickte, die ein Maultier in den Stall führten, fragte er sie, was dieses für ein Maultier wäre. Einer der Sklaven antwortete, es wäre das Maultier seines Vaters, auf welchem sie ihn nach seinem Warenlager begleitet hätten, und welches sie nun wieder in den Stall brächten.
Alaeddin fragte mit Lebhaftigkeit, welches Standes sein Vater wäre; und als er von demselben Sklaven vernommen hatte, er wäre Vorsteher der Kaufleute von Kairo, lief er zu seiner Mutter und tat ihr dieselben Fragen.
»Mein Sohn,« antwortete sie ihm, »dein Vater ist Vorsteher der Kaufleute in Kairo und Oberhaupt der Araber in diesem Lande. An der Spitze seines Warenlagers steht ein Sklave, der ihn nur über den Preis derjenigen waren befragt, welche den Wert von tausend Goldstücken übersteigen; es steht ihm frei, alle andern, die unter diesem Preise sind, nach Gutdünken zu verkaufen. Keine fremde Waren, welcher Art sie auch seien, kann in dieses Land kommen, ohne durch die Hände deines Vaters zu gehen; er allein bestimmt den Vertrieb derselben, und kein Ballen kann ohne seine Erlaubnis aus dieser Stadt geführt werden. Die Ausdehnung seines Handels und das Vertrauen, das er sich erworben, haben ihm unermeßliche Reichtümer verschafft.«
»Gott sei gelobt,« rief Alaeddin aus, »daß er mir einen so ausgezeichneten Mann zum Vater gegeben hat! Aber, liebe Mutter, warum habt Ihr mich doch in einem unterirdischen Gemache erziehen und mich darin so lange versperren lassen?«
»Wir haben dich, mein lieber Sohn,« antwortete ihm seine Mutter, »nur deshalb dorthin gebracht, um dich dem bösartigen Einflusse der neidischen Blicke zu entziehen, denn was man von den unseligen Wirkungen dieser Blicke erzählt, ist nur allzu wahr; durch sie werden so viele Menschen ins Grab gebracht.«
»Meine Mutter,« erwiderte Alaeddin, »es gibt keine Freistätte, welche den Menschen den Beschlüssen der Vorsehung entziehen könnte, und was dort oben geschrieben steht, muß notwendig geschehen. Wir sind alle zum Tode bestimmt. Mein Vater, der heute noch in voller Gesundheit lebt, kann uns morgen entrissen werden, und wenn ich dann seine Stelle einnehmen wollte, könnten die Kaufleute meinen Worten Glauben beimessen, wenn ich ihnen sagte: »Ich bin Alaeddin, Schemseddins Sohn?« Würden sie mir nicht mit Grund entgegnen, daß sie niemals gewußt, daß er ein Kind gehabt? Und würde der öffentliche Schatz nicht einschreiten und mich aller Güter meines Vaters berauben? Versprechet mir also, liebe Mutter, meinen Vater zu vermögen, daß er mich zu sich nimmt, mir einen Laden einrichtet und mich in alle Teile des Handels einweiht.«
Die Mutter Alaeddins versprach ihrem Sohn, allen Einfluß, welchen sie aus das Gemüt ihres Mannes hätte, anzuwenden, um ihn zu vermögen, daß er seine Wünsche erfüllte.
Über diese Vorgänge kam der Kaufmann nach Hause, und als er seinen Sohn im Zimmer seiner Gattin fand, fragte er diese, warum sie ihn aus der unterirdischen, Wohnung gelassen hätte.
»Nicht ich habe ihn herausgelassen,« antwortete sie; »der zu seiner Bedienung angewiesene Sklave hat vergessen, die Türe zu verschließen: Euer Sohn ist herausgegangen und ist zu mir heraufgekommen, gerade als ich große Gesellschaft hatte.«
Nach dieser Erklärung unterrichtete sie ihren Mann von der Unterhaltung, welche sie soeben mit ihrem Sohne gehabt hatte. Der Vater versprach, ihn am folgenden Tage mit sich zu nehmen, und empfahl ihm Aufmerksamkeit auf die Art, wie die Geschäfte geführt würden, und die bei den Kaufleuten übliche Feinheit zu studieren.
Alaeddin, auf dem Gipfel der Freude, erwartete den nächsten Morgen mit Ungeduld. Sein Vater führte ihn früh ins Bad und gab ihm eine prächtige Kleidung. Nach dem Frühstücke ließ er ihn ein Maultier besteigen und ritt mit ihm nach dem Stadtviertel der Kaufleute.
Als diese ihren Vorsteher in Begleitung eines ihnen unbekannten schönen Jünglings kommen sahen, fingen sie an, untereinander zu schwatzen und den schmählichsten Verdacht über seine Sitten zu schöpfen. »Schämt sich unser Vorsteher nicht,« sprachen sie, »in seinem Alter sich so aufzuführen?«
Der Nakib oder der Oberälteste der Kaufleute, der unter ihnen in großem Ansehn stand, sagte sogleich zu ihnen:
»Wir dürfen nicht leiden, daß ein Mann, der sich so öffentlich bloßstellt, noch länger unser Vorsteher sei.«
Die Kaufleute hatten damals die Gewohnheit, sich alle Morgen auf dem Markte zu versammeln, wo ihr Nakib ihnen das erste Kapitel des Korans vorlas, und sich dann in das Warenlager ihres Vorstehers zu begeben, dem sie einen guten Morgen wünschten, nachdem sie abermals dasselbe Kapitel von ihm hatten lesen lassen. Sodann trennten sie sich, und ging jeder seinen Geschäften nach.
Als Schemseddin in sein Warenlager getreten war und die Kaufleute nicht wie gewöhnlich kommen sah, berief er den Nakib und befragte ihn um die Ursache.
»Alle Kaufleute,« antwortete ihm der Nakib, »sind entschieden, Euch Eures Vorsteheramtes zu entsetzen, und deshalb kommen sie nicht, um das gewöhnliche Kapitel vor Euch zu lesen.«
»Welche Ursache,« versetzte Schemseddin lebhaft, »kann sie dahin bringen, mir diesen Schimpf anzutun?«
»Dieser Jüngling, der Euch begleitet,« antwortete der Nakib, »hat ihre Blicke beleidigt. Ihr seid doch schon bejahrt und nehmt den ersten Rang unter den Kaufleuten ein. Dieser junge Mensch ist kein Sklave und gehört auch Eurer Frau nicht an: Ihr tut unrecht, ihm so öffentlich Eure Zuneigung zu beweisen.«
»Was sagst du, Unglücklicher!« rief Schemseddin aus, »so wagst du von meinem Sohne zu reden?«
»Aber,« sagte Nakib, »wir haben niemals gehört, daß Ihr ein Kind habt.«
»Das kommt daher,« erwiderte Schemseddin, »weil ich die feindseligen Blicke der Neidischen für ihn fürchtete und ihn in einem unterirdischen Gemache erziehen ließ. Meine Absicht war, ihn nicht eher daraus hervorgehen zu lassen, als bis ihm der Bart völlig gewachsen wäre: aber seine Mutter hat ihn nicht länger darin lassen wollen und gestern mich gebeten, ihm einen Laden einzurichten und ihn im Handel zu unterrichten.«
Als der Nakib dies vernommen hatte, beeilte er sich, die Kaufleute wieder zu versammeln und mit ihnen zu dem Vorsteher zu gehen, um das gewöhnliche Kapitel vor ihm zu lesen. Sie waren alle hocherfreut über das, was sie in Betreff dieses Jünglings vernahmen, und brachten ihre Wünsche für die Glückseligkeit des Vaters und des Sohnes dar. Einer unter ihnen wandte sich zu Schemseddin und sagte, die Armen hätten bei der Geburt eines Sohnes oder einer Tochter die Gewohnheit, zum Zeichen ihrer Freude ihre Verwandten und Freunde auf eine Suppe einzuladen.
Schemseddin verstand, was der Kaufmann damit sagen wollte, und antwortete, seine Absicht wäre auch, sie alle in einem Garten zu bewirten.
Er ließ demnach am folgenden Morgen einen Saal gleicher Erde und ein Oberzimmer in seinem Garten mit Gerät versehen und alles zu einem großen Feste Nötige dorthin schaffen. Er befahl, zwei Tische zu bereiten, einen im Saale und den andern im Oberzimmer; und nachdem er seinen Gürtel angelegt und seinem Sohne geboten hatte, auch den seinen anzulegen, sagte er zu ihm:
»Sowie die Alten kommen, werde ich sie empfangen und sie an die Tafel im Oberzimmer sich setzen lassen: du, mein Sohn, wirst dafür sorgen, die jungen Leute, sowie sie erscheinen, zu empfangen und sie an die Tafel im untern Saale Platz nehmen lassen.«
»Warum aber, mein Vater,« sagte Alaeddin, »habt Ihr zwei Tafeln bereiten lassen, eine für die Väter und die andere für die Kinder?«
»Damit,« antwortete Schemseddin, »die jungen Leute unter sich mehr Freiheit haben und auch die Alten gemächlicher beisammen seien.«
Alaeddin, der sich mit dieser Antwort begnügte, beeiferte sich, die Befehle seines Vaters zu erfüllen und in dem Saale der jungen Leute den Wirt zu machen.
Die Mahlzeit war mit Pracht und Verschwendung angerichtet, und die Gäste ergötzten sich höchlich. Nachdem man den Sorbet eingenommen hatte und geräuchert war, begannen die Alten, sich so über verschiedene Gegenstände der Geschichte und Literatur zu unterhalten.
Während dieser Unterhaltung stieg ein Kaufmann namens Mahmud Albalchy, der dem Äußern nach fromm, aber im Grunde des Herzens gottlos und verderbt war, in den Saal zu den jungen Leuten hinab. Hier sah er den Alaeddin, wurde von seiner Schönheit gereizt und entbrannte für ihn in die schändlichste Leidenschaft. Er bedachte sogleich, daß er mit diesem Jünglinge nicht Bekanntschaft machen könnte, solange er bei seinem Vater wäre, und beschloß also, ihm die Lust zu reisen einzuflößen, indem er sich vorsetzte, ihm aus dem Fuße zu folgen und Gelegenheit zum Umgange mit ihm zu suchen.
Als nun Alaeddin auf einige Augenblicke hinausgehen mußte, benutzte Mahmud Albalchy diese Gelegenheit, wandte sich zu den jungen Leuten und versprach ihnen, jedem ein prächtiges Kleid zu schenken, wenn sie den Allaeddin bestimmen könnten, mit ihm zu reisen. Die jungen Leute nahmen sein Versprechen an, worauf er sie verließ und zu seiner Gesellschaft zurückkehrte.
Als Alaeddin wieder hereintrat, gingen alle die jungen Leute ihm entgegen, ließen ihn in ihrer Mitte sitzen und fingen an, von Handelssachen zu sprechen. Einer von ihnen wandte sich an den, der ihm zur Seite saß, und fragte ihn, wie er sich das Vermögen verschafft hätte, welches er gegenwärtig besäße.
»Als ich das mannbare Alter erreicht hatte,« antwortete der junge Mann, an den diese Frage gerichtet war, »drang ich in meinen Vater, mir Waren zu kaufen; weil er aber nicht dazu imstande war, sagte er mir, ich sollte mich an einen seiner Freunde, einen Kaufmann, wenden, tausend Goldstücke von ihm entlehnen, sie in Waren verwandeln und mich auf Erwerbung aller der Kenntnisse legen, welche zum glücklichen Erfolg im Handel dienen. Ich befolgte seinen Rat und wandte mich an einen Kaufmann, der mir tausend Goldstücke lieh, für welche ich Stoffe einkaufte und damit nach Syrien reiste. Dort verkaufte ich meine Waren glücklich genug; denn ich gewann zweihundert für hundert. Da ich so mein Vermögen verdoppelt sah, kaufte ich syrische Waren, welche ich in Halep verkaufte, wo ich abermals gute Geschäfte machte. So habe ich meinen Handel fortgetrieben bis heute, und durch Anstrengung bin ich dahin gelangt, mir ein Vermögen von zehntausend Goldstücken zu erwerben.«
Jeder der jungen Leute erzählte eine ziemlich ähnliche Geschichte, bis endlich die Reihe an Alaeddin kam.
»Ihr wißt alle,« sagte er zu ihnen, »meine Geschichte. Sie ist nicht lang. Ich bin diese Woche erst aus der unterirdischen Wohnung hervorgekommen, in welcher ich erzogen worden, und ich habe weiter noch nichts getan, als vom Hause nach dem Warenlager gehen und wieder von dem Warenlager nach Hause.«
»Ihr dürftet also,« sagte einer der jungen Leute, »wohl große Lust zu reisen haben.«
»Was hab' ich nötig zu reisen?« versetzte Alaeddin, »kann ich nicht ruhig zu Hause bleiben, ohne mir so viel Mühe zu geben?«
Die jungen Leute fingen an, über diese Antwort zu lachen, und erklärten ihn unter sich, aber laut genug, daß er es verstehen konnte, für einen zaghaften und furchtsamen Menschen.
»Er gleicht,« sagte der eine, »dem Fische, der außer dem Wasser stirbt: er könnte nicht leben, wenn er das väterliche Haus verließe.«
»Er weiß nicht,« sagte ein anderer, »daß Reisen die Leute bilden, daß man nur auf Reisen sich unterrichtet, und daß ein Kaufmann, der nicht die entferntesten Länder durchzogen hat, weder den Handel verstehen, noch sich irgend eines Ansehens in seinem Stande erfreuen kann.«
Diese Spöttereien trafen Alaeddin so lebhaft, daß er auf der Stelle mit Tränen im Auge hinausging, sein Maultier bestieg und mit beklommenem Herzen heimkehrte.
Seine Mutter gewahrte es, und als sie ihn so verdrießlich sah, fragte sie ihn, was ihm begegnet wäre.
Alaeddin erzählte seiner Mutter die Unterhaltung, welche er mit den jungen Kaufleuten gehabt, und die Spöttereien, welche sie sich gegen ihn erlaubt hatten, und erklärte ihr, daß er durchaus reisen wollte.
Seine Mutter bemühte sich anfangs, ihn von seinem Vorhaben abzubringen; als sie aber sah, daß es vergeblich wäre, fragte sie ihn, wohin er denn zu reisen gedächte.
»Ich will,« antwortete Alaeddin, »mich nach Bagdad begeben, wo man, wie ich vernommen habe, leichtlich sein Vermögen verdoppeln kann.«
Alaeddins Mutter, obwohl herzlich betrübt, daß sie sich von einem so zärtlich geliebten Sohne trennen sollte, versprach ihm, mit seinem Vater davon zu reden und ihn zu vermögen, daß er ihm einen seinem Vermögen angemessenen Warenvorrat gäbe.
Alaeddin, schon voll Ungeduld abzureisen, beschwor seine Mutter, daß sie selber ihm Sachen dazu gäbe, über welche sie schalten könnte, und sie auf der Stelle einpacken ließe.
Sie willigte ein, ließ Sklaven kommen und schickte sie nach Packleuten, welche aus den Stoffen, welche sie ihnen gab, zehn Ballen machten.
Unterdessen war Schemseddin in den untern Saal getreten, und als er hier seinen Sohn nicht sah, fragte er die jungen Leute, wo er wäre. Sobald er vernahm, daß er ungestüm sie verlassen und sein Maultier bestiegen hätte, um heimzukehren, eilte er ihm nach.
Als er beim Eintritte die zehn Ballen erblickte, fragte er seine Frau, wem sie gehörten, und sie erzählte ihm, was seinem Sohne mit den jungen Kaufleuten begegnet wäre, und daß er den Vorsatz hätte, zu reisen.
Schemseddin kehrte sich hierauf zu seinem Sohne, stellte ihm die Mühseligkeiten und Gefahren der Reise vor und sagte ihm, die Weisen rieten, sich auch nicht einmal eine Meile weit von Hause zu entfernen.
Der Jüngling aber beharrte in seinem Entschlusse und ging sogar so weit, zu sagen, wenn man ihn nicht reisen ließe, würde er ein Derwisch werden und von Ort zu Ort Almosen betteln gehen.
»Ich will mich nicht länger deinem Verlangen widersetzen, mein Sohn,« erwiderte Schemseddin; »ich bin keineswegs so arm, daß ich dir nicht Mittel gewähren könnte, auf die angenehmste und vorteilhafteste Weise zu reisen: ich besitze im Gegenteile sehr ansehnliche Reichtümer.«
Schemseddin führte nun seinen Sohn in alle seine Warenlager, wo er ihm kostbare Stoffe und die eigentümlichen Waren jedes Landes zeigte. Sie waren in vierzig Ballen gepackt, deren jeder eine Aufschrift hatte, welche anzeigte, daß der Preis eines jeden Ballens tausend Goldstücke wäre.
»Nimm, mein Sohn,« sprach er zu ihm, »diese vierzig Ballen und die zehn, welche deine Mutter dir bereitet hat, und reise damit unter dem Schutze und der Obhut Gottes. Indessen kann ich dir meine Besorgnisse nicht verhehlen. Auf dem Wege nach Bagdad bist du genötigt, den Löwenwald zu durchziehen und in das Tal Benu Kalab hinabzusteigen. Diese Gegenden sind sehr gefährlich, man hört von nichts anderm als von Mordtaten der Beduinenaraber daselbst, welche auf allen Wegen lauern.«
Alaeddin antwortete nichts weiter, als daß er sich für alles, was ihm begegnen könnte, in den Willen Gottes ergäbe.
Als sein Vater ihn durchaus entschlossen sah, führte er ihn mit sich auf den Markt, wo Saumtiere verkauft wurden.
Sie trafen hier einen Akam oder Unternehmer der Fortschaffung von Waren namens Kemaleddin, der nicht sobald Schemseddin erblickt hatte, als er von seinem Maultiere stieg und ihn zu begrüßen kam.
»Herr,« sprach er zu ihm, »es ist lange her, daß Ihr nicht zu uns gekommen seid und mir Gelegenheit gegeben habt, Euch meine Dienste anzubieten.«
»Jedes Ding hat seine Zeit,« antwortete Schemseddin, »die Zeit der Reisen ist für mich vorbei; aber mein Sohn, den Ihr hier sehet, hat die Absicht zu reisen, und ich würde es gern sehen, wenn Ihr ihn begleiten und ihm Vaters Stelle vertreten wolltet.«
Als der Akam diesen Antrag willig annahm, übergab ihm Schemseddin hundert Goldstücke, um sie unter seinen Sklaven zu verteilen. Er kaufte hierauf sechzig Maultiere und eine Wachskerze, um sie auf dem Grabe des heiligen Abdalkader Algilani darzubringen. Er empfahl seinem Sohne, dem Akam genau Folge zu leisten und ihn fortan als Vater anzusehen.
Als er in Begleitung seiner Sklaven und der gekauften Maultiere wieder nach Hause gekommen war, ließ er ein großes Gastmahl bereiten und veranstaltete, daß dieser Abend in Freuden verlebt wurde.
Am folgenden Morgen machte er seinem Sohne ein Geschenk von zehntausend Goldstücken und sagte ihm, daß er sich desselben bedienen sollte, im Fall er bei seiner Ankunft nicht Gelegenheit fände, seine Waren vorteilhaft zu verkaufen.
Als die Maultiere gepackt waren, sagte Alaeddin seinen Eltern Lebewohl und reiste mit dem Akam aus Kairo.
Mahmud Albalchy, der alles ausspähte, was vorging, hatte seinerseits auch alles zur Reise Nötige angeordnet, und an demselben Tage, da Alaeddin abreiste, hatte er auch seine Waren abgehen und seine Zelte außen vor der Stadt aufschlagen lassen. Schemseddin, der seine treulose Absicht gar nicht ahnte, hatte ihm eine Börse von tausend Goldstücken geschenkt, sobald er vernommen hatte, daß er auch nach Bagdad reisen wollte, und ihm insonderheit seinen Sohn empfohlen.
Alaeddin und Mahmud trafen sich in einiger Entfernung von Kairo. Mahmud hatte schlauerweise dem Koche Alaeddins sagen lassen, er sollte für seinen Herrn nichts mitnehmen, und er benutzte diese Gelegenheit, dem jungen Mann und dessen Gefolge von seinen Erfrischungen anzubieten, welche er im Überfluß hatte mitbringen lassen.
Als die kleine Karawane sich in Bewegung gesetzt hatte, zog sie glücklich durch die Wüste und nahte sich schon Damaskus. Mahmud hatte außer seinem Hause zu Kairo auch eins in Damaskus und ein drittes in Halep und ein viertes in Bagdad.
Während die Karawane draußen vor den Toren von Damaskus lagerte, schickte Mahmud einen seiner Sklaven zu Alaeddin, ihn zum Essen in seinem Hause einzuladen. Der Sklave traf den jungen Mann in seinem Zelte sitzend und mit Lesen beschäftigt. Er trat näher, grüßte ihn ehrerbietig und sagte ihm, sein Herr ließe ihn bitten, ihm die Ehre zu erzeigen, ihn zu besuchen und sich bei ihm zu erfrischen.
Alaeddin wollte diese Einladung nicht annehmen, ohne zuvor den Akam Kemaleddin, der ihm Vaters Stelle vertrat, zu befragen. Dieser riet ihm, sie nicht anzunehmen und ihre Reise nicht zu unterbrechen. Der folgsame Alaeddin reiste auf der Stelle ab und kam mit seinem ganzen Gefolge bald nach Halep.
Mahmud Albalchy, der die Karawane wieder eingeholt hatte, ließ nun zu Halep ein großes Gastmahl bereiten und Alaeddin dazu einladen. Der junge Mann befragte abermals seinen Führer, und dieser, als ein vorsichtiger Mann, wollte auch hier keinen Aufenthalt zugeben. Sie reisten alsbald von Halep und zogen in großen Tagereisen gen Bagdad.
In einiger Entfernung von dieser Stadt sandte Mahmud nochmals einen Sklaven an Alaeddin, ihn zum Mittagsmahle bei ihm einzuladen. Der junge Mann bat seinen Führer um Erlaubnis dazu, der sie ihm aber geradezu abschlug.
Alaeddin, über diese Versagung empfindlich, wollte eine so oft wiederholte Einladung nicht wieder ablehnen: er gürtete seinen Säbel um und begab sich nach Mahmuds Zelte. Der alte Kaufmann empfing ihn auf die höflichste und freundschaftlichste Weise und bewirtete ihn mit den köstlichsten Gerichten.
Als die Mahlzeit beendigt war und man sich die Hände gewaschen hatte, näherte sich Mahmud dem Alaeddin und wollte ihn umarmen. Der junge Mann stieß ihn zurück und forderte überrascht Erklärung über ein solches Betragen. Mahmud stammelte einige Worte und wollte nochmals ihn umarmen. Alaeddin, voll Unwillen, zog sein Schwert und machte dem Greise die bittersten Vorwürfe.
»Bösewicht,« sprach er zu ihm, »ich hatte so großes Vertrauen zu dir, daß ich die Waren, welche andere mir mit Gold aufwägen müßten, dir fast für nichts hingegeben hätte: aber fortan will ich gar keinen Verkehr mehr mit dir haben.«
Mit diesen Worten verließ Alaeddin Mahmuds Zelt, kehrte zu Kemaleddin zurück und erzählte ihm, was vorgegangen war. Zugleich sagte er ihm, daß er nicht länger in Gesellschaft dieses abscheulichen Greises reisen wollte.
»Mein Sohn,« sagte hierauf Kemaleddin, »ich hatte Euch wohl gewarnt, seine Einladung anzunehmen; aber der Entschluß, welchen Ihr gefaßt habt, Euch so stürmisch von ihm zu trennen, ist nicht ratsam; denn wenn Ihr ihn verlaßt, so wird unsere Karawane zu schwach, um ohne Gefahr nach Bagdad zu gelangen.«
»Gleichviel,« erwiderte Alaeddin, »ich will ihn niemals wiedersehen.«
Und sogleich ließ er aufpacken und befahl, die Reise fortzusetzen.
Als die kleine Karawane in das Tal von Benu Kalab hinabgekommen war, befahl Alaeddin, hier die Zelte aufzuschlagen. Vergebens stellte Kemaleddin ihm die Gefahr vor, welche mit einem Aufenthalt an diesem Orte verknüpft war, und versicherte ihm, sie hätten noch Zeit genug, um Bagdad vor dem Torschlusse zu erreichen; »denn,« fügte er hinzu, »sie werden alle Abende mit Sonnenuntergange geschlossen und erst bei vollem Tage wieder geöffnet, weil die Einwohner stets befürchten, daß die Perser die Stadt überfallen und alle von den Wissenschaften handelnden Bücher in den Tigris werfen werden.«
Alaeddin beharrte darauf, hier zu verweilen, und antwortete, er wäre nicht in diese Gegenden gekommen, bloß um Handel zu treiben, sondern auch, um sich zu ergötzen und Länder zu sehen. Und da sein Führer ihm lebhaft schilderte, was er alles von den Beduinenarabern zu fürchten hätte, antwortete er mit Stolz:
»Wer von uns beiden ist der Herr? Ihr oder ich? Ich will nur bei hellem Tage in Bagdad eingehen, um mich den Einwohnern bekanntzumachen und meine Waren und Reichtümer vor ihnen zur Schau tragen.«
Kemaleddin glaubte nun, nicht länger widersprechen zu dürfen, und sagte zu Alaeddin:
»Handelt nunmehr nach Eurem Gefallen; ich habe Euch die Vorstellungen gemacht, welche ich für meine Pflicht hielt Euch zu machen; ich fürchte, Ihr werdet nur zu spät erkennen, wie gut ich Euch geraten habe.«
Alaeddin befahl, die Maultiere zu entladen und die Zelte aufzuschlagen.
Um Mitternacht war er genötigt aufzustehen und erblickte etwas Glänzendes in der Ferne. Er ging sogleich hin, seinen Führer davon zu benachrichtigen, und fragte ihn, was es wohl sein könnte. Kemaleddin stand auf, und als er es genau beobachtete, erkannte er, daß der Schein von dem Blinken der Lanzen und Schwerter herrührte, mit denen ein Haufen Beduinenaraber bewaffnet war.
Sie sahen sich bald umringt von den Räubern, welche auf sie mit dem Geschrei losstürzten: »Glück auf! Gute Beute!«
Kemaleddin seinerseits rief ihnen entgegen: »Hinweg von hier, ehrlose Räuber, ihr elendesten und nichtswürdigsten der Araber!«
Und zu gleicher Zeit trat er ihnen entgegen: aber der Anführer des Haufens, genannt Scheich Aglan Abu Nab, gab ihm einen so heftigen Stoß mit der Lanze, daß die Spitze durch die Brust hinten wieder hinausfuhr und er am Eingange seines Zeltes tot niederstürzte. Der Sakka oder Diener, der das Tränken der Tiere zu besorgen hat, welcher sich hierauf mit demselben Ausruf und lautem Schimpfe den Räubern entgegenstellte, wurde von einem Araber mit dem Säbel in den Hals getroffen und zu seinen Füßen tot hingestreckt.
Alaeddin, bei diesem Anblicke von Schrecken ergriffen, blieb unbeweglich in einem Winkel seines Zeltes und entging der Wut der Räuber. Die Beduinen metzelten erbarmungslos alle seine Leute nieder, beluden schleunig wieder die Maultiere, banden eins an den Schwanz des andern und machten sich davon.
Als Alaeddin wieder zur Besinnung gekommen war, sprach er bei sich selber: »Die Räuber können zurückkommen und werden mich nicht verschonen, wenn sie mich erblicken.« Er zog also seine Kleider aus, behielt nur sein Hemde und die Unterhosen an und warf sich so auf den Boden mitten unter die blutigen Leichen, von denen die Erde bedeckt war.
Indem die Beduinen sich mit ihrer Beute entfernten, fragte sie Abu Nab, ob die Karawane, welche sie eben angegriffen hatten, von Ägypten oder aus Bagdad käme: und als sie ihm gesagt hatten, sie käme von Ägypten, forderte er sie auf, nach dem Schlachtfelde zurückzukehren: »denn,« sagte er, »ich argwöhne sehr, daß der Herr dieser Karawane nicht tot ist.«
Die Beduinen kehrten auf der Stelle zurück und fingen an, die Leichname umzudrehen und mit der Spitze ihrer Lanzen zu stechen. Als sie an Alaeddin kamen, rief einer von ihnen, der bemerkte, daß er noch lebte:
»Ha, ha! du hast dich also tot gestellt: aber wart', ich will dich alsbald abfertigen!«
Mit diesen Worten schickte er sich an, ihm seine Lanze in die Brust zu stoßen.
In diesem entscheidenden Augenblicke gewahrte Alaeddin, der eben ein heißes Stoßgebet zu dem heiligen Abdalkader Algilani emporgeschickt hatte, eine Hand, welche die Lanze des Beduinen von seiner Brust auf die seines Führers Kemaleddin richtete. Der Beduine riß seine Lanze zurück und stieß abermals auf Alaeddin; aber dieselbe Hand richtete den Stoß auf die Brust des Sakko; und der Räuber, im Wahne, sein Schlachtopfer getroffen zu haben, begab sich wieder zu seinen Spießgesellen, welche sich eiligst aus dem Staube machten.
Als Alaeddin den Kopf wieder aufgehoben und bemerkt hatte, daß die Araber mit ihrer Beute verschwunden waren, stand er auf und fing an, aus allen seinen Kräften zu laufen. Abu Nab war in diesem Augenblicke umgekehrt und rief aus:
»Kameraden, ich sehe jemand entfliehen!« Einer der Räuber verließ sogleich die Bande und schrie aus allen Kräften:
»Du magst immer fliehen, ich werde dich schon bald eingeholt haben!«
Zugleich spornte er sein Pferd und sprengte mit verhängten Zügeln hinter Alaeddin drein.
Alaeddin bemerkte jetzt vor sich ein Wasserbecken, bei welchem eine Zisterne war: er kletterte schnell die Mauer dieser Zisterne hinan, streckte sich darauf aus und lag, als wenn er schliefe: er empfahl sich Gott und bat ihn, ihn allen Blicken zu entziehen. Als der Beduine sich ihm genaht und in seinen Steigbügeln emporgehoben hatte, um ihn zu ergreifen, tat Alaeddin abermals ein Gebet, wie er eben getan hatte, alsbald schlüpfte ein Skorpion aus seinem Loche und stach den Beduinen so heftig in die Hand, daß er sogleich seinen Kameraden rief und ihnen zuschrie, er wäre des Todes. Die Räuber rannten herbei, und da sie ihn auf der Erde hingestreckt fanden, setzten sie ihn wieder auf sein Pferd und erkundigten sich nach dem Unfalle, der ihm zugestoßen wäre.
Als sie vernahmen, daß er von einem Skorpion gestochen worden, fürchteten sie, die Gegend wäre ganz voll davon, und waren nur auf ihre Flucht bedacht. Sie führten schleunig ihren Spießgesellen mit sich hinweg und begaben sich wieder zu der übrigen Bande, welche alsbald verschwand.
Alaeddin aber, der ganz erschöpft von der Anstrengung war, schlief auf der Mauer des Wasserbehälters fest ein.
Unterdessen hatte Mahmud Albalchy nach dem ungestümen Aufbruche Alaeddins auch sein Gepäck aufladen lassen und seinen Weg nach Bagdad fortgesetzt. Angelangt in dem Löwenwalde, empfand er eine gewisse Freude bei dem Anblicke der Leichname, womit er die Erde bedeckt sah. Als er sich dem Wasserbecken nahte, beugte sein Maultier sich hinab, seinen Durst zu stillen; aber plötzlich, als es den Schatten Alaeddins darin erblickte, fuhr es zurück. Mahmud schlug die Augen auf und erblickte Alaeddin in Hemde und Unterhosen auf dem Rande der Zisterne schlafend. Er weckte ihn auf und fragte ihn, wer ihn doch in einen so traurigen Zustand versetzt hätte. Als Alaeddin ihm gesagt hatte, es wären die Beduinenaraber gewesen, tröstete ihn der alte Kaufmann, bat ihn herabzukommen und ließ ihn eins seiner Maultiere besteigen. Sie setzten so mitsammen den Weg nach Bagdad fort, wo sie bei guter Zeit anlangten.
Mahmud führte Alaeddin in sein Haus und ließ ihm ein Bad bereiten. Nach dem Bade führte er ihn in ein Zimmer, welches überall von Gold strahlte und mit prächtigem Geräte versehen war.
»Die Araber haben Euch alles geraubt,« sagte er zu ihm, »Ihr habt Eure Reichtümer und Euer Gepäck verloren: aber wenn Ihr gelehrig sein wollt, so will ich Euch mehr Reichtum wiedergeben, als Ihr besaßet.«
Man trug ein köstliches Abendessen auf; Mahmud und Alaeddin setzten sich zu Tische. Nach der Mahlzeit näherte sich der alte Kaufmann dem Jüngling und wollte ihn umarmen: dieser aber stieß ihn zurück und sprach zu ihm mit Festigkeit:
»Ich glaubte, Euch schon hinlänglich den Abscheu zu erkennen gegeben zu haben, welchen solche Zumutungen mir einflößen, um Euch zu nötigen, davon abzustehen.«
Mahmud, ohne sich schon abschrecken zu lassen, wähnte noch, die unglückliche Lage Alaeddins benutzen zu können, und gab ihm zu verstehen, daß die Kleidung, das Maultier und die Waren, welche er ihm geben würde, wohl einige Gegengefälligkeit verdienten.
»Behalte deine Kleider, dein Maultier und deine Waren,« antwortete Alaeddin stolz, »und laß mir deine Türe öffnen, damit ich mich für immer aus deiner Gegenwart entferne.«
Mahmud, durch Alaeddins Entschlossenheit außer Fassung gebracht, ließ ihm die Türe öffnen.
Als Alaeddin einige Schritte in der Straße getan hatte, befand er sich bei einer Moschee und trat unter ihre Vorhalle. Nach einiger Zeit erblickte er in der Ferne ein Licht, welches sich gegen seinen Zufluchtsort hin zu bewegen schien. Bald erkannte er, daß dieses Licht von zwei Leuchten herrührte, welche zwei Kaufleuten vorgetragen wurden, von denen der eine ein Greis von würdiger Gestalt und der andere ein Jüngling war.
»Mein teurer Oheim,« sagte der junge Mann, »gebet mir meine Nichte wieder!«
»Ich habe Euch schon mehrmals gesagt,« antwortete ihm der Greis, »daß solches unmöglich ist: habt Ihr nicht selber die Ehescheidung ausgesprochen?«
Der Greis, der in diesem Augenblick Alaeddin bemerkt hatte, war erstaunt über seine Schönheit und Anmut und grüßte ihn auf liebreiche Weise. Nachdem Alaeddin seinen Gruß sehr höflich erwidert hatte, fragte der Greis ihn, wer er wäre.
»Ich heiße Alaeddin,« antwortete er, »und bin der Sohn Schemseddins, des Vorstehers der Kaufleute zu Kairo. Da ich meinem Vater meinen Wunsch zu erkennen gegeben, eine Handelsreise zu machen, hat er mir fünfzig Ballen von köstlichen Stoffen und andern Waren bereiten lassen und mir zehntausend Goldstücke gegeben, hiermit habe ich Kairo verlassen und meinen Weg nach dieser Gegend genommen: aber kaum war ich in dem Löwenwalde angekommen, als ein Trupp Beduinenaraber meine kleine Karawane überfallen und mir alle meine Habe geraubt hat. Ich bin jetzt eben in dieser Stadt angekommen, ohne zu wissen, wo ich die Nacht zubringen soll: da habe ich diese Moschee bemerkt und meine Zuflucht unter ihrer Vorhalle genommen.«
»Was würdet Ihr dazu sagen,« sprach hierauf der Greis, welcher ihm aufmerksam zugehört hatte, »wenn ich Euch ein vollständiges Kleid, tausend Goldstücke wert, ein Maultier von demselben Wert und eine Börse mit einer gleichen Summe gäbe?«
»Und was wäre die Absicht einer solchen Großmut?« fragte Alaeddin.
»Ihr seht diesen jungen Mann hier,« fuhr der Greis fort, indem er auf den jungen Kaufmann zeigte, »er ist der Sohn meines Bruders, dessen Abgott er war. Ich habe eine Tochter, welche ich ebenso leidenschaftlich liebe, namens Sobeïde, die außer ihrer großen Schönheit noch das größte Talent für die Tonkunst hat. Ich habe sie meinem Neffen vermählt, der sterblich in sie verliebt geworden; sie aber hat ihn nie leiden können. Empfindlich über ihre Gleichgültigkeit, hat er dreimal die Verstoßung ausgesprochen und sie verlassen. Gegenwärtig will er sie wiedernehmen und läßt mich durch alle Welt bitten, sie ihm wiederzugeben. Ich habe ihm schon mehrmals wiederholt, daß solches unmöglich ist, solange nicht ein anderer Mann sie geheiratet und auch verstoßen hat, und ich habe es übernommen, einen Fremdling zu suchen, welcher ihm diesen Dienst leiste, damit er weniger Nachrede davon habe. Da uns nun der Zufall Euch hier antreffen läßt und Ihr ein Fremder seid, so kommet mit uns zu dem Kadi, um Euren Heiratsvertrag mit meiner Tochter aufzusetzen: Ihr werdet die Nacht bei ihr zubringen und morgen früh, wenn Ihr sie verstoßen habt, will ich Euch alles geben, was ich Euch versprochen habe.«
Alaeddin sprach bei sich selber: »Ist es nicht besser, die Nacht in einem guten Bette bei einer hübschen Frau zuzubringen als auf der Straße oder unter einer Vorhalle?« Demnach nahm er das Erbieten an und ging mit ihnen zum Kadi, welcher, von seinem anmutigen Wesen eingenommen, augenblicklich die größte Teilnahme für ihn bezeigte.
»Was ist Euer Begehr?« sprach der Kadi, indem er sich zu dem Greise wandte.
»Ich will,« antwortete dieser, »meine Tochter mit diesem jungen Manne verheiraten, aber unter der Bedingung, daß er sie morgen früh verstoße und sie ihrem ersten Manne wiedergebe. Deshalb verlange ich, daß er sich verpflichte, morgen meiner Tochter einen Brautschatz von fünfzigtausend Goldstücken zu entrichten. Die Unmöglichkeit, in welcher er sich befindet, diese Summe zu bezahlen, wird ihn zwingen, die Bedingung zu erfüllen; und dann verpflichte ich mich, ihm ein vollständiges Kleid, tausend Goldstücke wert, ein Maultier von demselben Werte und eine Börse mit einer gleichen Summe zu geben.«
Weil alle über diese Bedingung einig waren, so setzte der Kadi den Vertrag auf und übergab dem Vater der jungen Frau die Verschreibung Alaeddins.
Der Greis nahm seinen neuen Schwiegersohn mit sich, schenkte ihm ein prächtiges Kleid und führte ihn in sein Haus. Er ging zuvörderst zu seiner Tochter, um sie von allem zu unterrichten, und sagte ihr, indem er ihr die Verschreibung zeigte, welche er in der Hand hatte, daß er sie jetzt eben an einen liebenswürdigen jungen Mann namens Alaeddin Abulschamat verheiratet hätte. Nachdem er ihr noch empfohlen hatte, ihn wohl zu empfangen, verließ er sie und begab sich in sein Zimmer.
Der Vetter dieser jungen Frau hatte ein verschmitztes altes Weib, die sie oft besuchte, für sich gewonnen; diese suchte er auf und forderte sie auf, irgend eine List zu ersinnen, damit seine Nichte verhindert würde, den Alaeddin gut aufzunehmen; »denn,« sagte er, »sobald sie die Augen auf diesen schönen Jüngling geworfen hat, wird sie mich nicht wiedersehen wollen.«
Die Alte beruhigte den Neffen und versprach ihm, den Alaeddin zu beseitigen. In der Tat begab sie sich auf der Stelle zu diesem letzteren und sprach also zu ihm:
»Die Teilnahme, welche Eure Jugend und gutes Aussehen mir einflößen, verpflichtet mich, mein Sohn, Euch einen Rat zu geben, von welchem ich wünsche, daß Ihr ihn benutzen möget. Die junge Frau, welche Ihr eben geheiratet habt, hat ein verführerisches Ansehen, aber ich rate Euch, ihr nicht zu nahen. Ich sage Euch noch mehr: Eure Gesundheit läuft die größte Gefahr, wenn Ihr Euch irgend mit ihr einlaßt. Laßt sie, auf mein Wort, allein liegen und hütet Euch wohl, ihr Bette zu teilen.«
»Warum denn?« fragte Alaeddin verwundert, »und in welcher Gefahr kann meine Gesundheit bei einer jungen Frau sein?«
»Ihr ganzer Leib,« fuhr die Alte fort, »ist mit einem scheußlichen Aussatze bedeckt, welchen sie Euch unfehlbar mitteilen würde, wenn Ihr die Unvorsichtigkeit hättet, sie nur im geringsten zu berühren.«
»Ich kann Euch wohl versichern,« sagte Alaeddin lebhaft, »daß ich mich in solcher Entfernung von ihr halten werde, daß sie mir nichts mitteilen kann.«
Nachdem die Alte den Alaeddin in einer für ihre Absicht so günstigen Stimmung verlassen hatte, begab sie sich zu der jungen Frau und erzählte ihr dasselbe Märchen, welches sie soeben dem Alaeddin aufgebunden hatte.
»Seid ganz ruhig, gute Mutter,« sagte Sobeïde darauf, »ich werde Eure Weisung benutzen. Dieser saubere Herr mag allein schlafen, wenn es ihm beliebt, und morgen früh wird er die Gefälligkeit haben, ebenso wieder wegzugehen, wie er gekommen ist.«
Die junge Frau rief hierauf eine Sklavin und befahl ihr, den Tisch zu decken und Alaeddin essen zu lassen.
Nachdem Alaeddin gut gegessen hatte, setzte er sich in eine Ecke des Zimmers und las mit lauter Stimme das Kapitel des Korans, welches Jas überschrieben ist.
Die junge Frau, welche ihm aufmerksam zugehört hatte, fand, daß er eine sehr schöne Stimme hätte, und sprach bei sich selber:
»Die Alte ist wahrscheinlich durch diejenigen, die ihr gesagt haben, daß dieser junge Mann von dem Aussatze befallen sei, in Irrtum verleitet worden. Die von einer solchen Krankheit Befallenen haben sicherlich nicht eine so reine und frische Stimme wie die seinige. Alles, was sie mir von ihm erzählt hat, ist nichts als Lüge und Falschheit.«
Die junge Frau, die jetzt schon weniger Abneigung für Alaeddin fühlte, wollte ihn bewegen, sich ihr zu nähern. Sie ergriff eine Zither von indischer Arbeit, und indem sie eine wohllautende Stimme hören ließ, daß selbst die Vögel in den Lüften anhielten, um sie zu hören, sang sie folgende beide Verse:
»Ich liebe ein Reh von zärtlichem Blicke, von leichtem Gange, das bald mich fliehet und bald mich verfolget. Wie glücklich, ein solches Reh zu besitzen!«
Alaeddin, über allen Ausdruck hiervon entzückt, antwortete sogleich mit folgenden Versen:
»Wie liebe ich diese schlanke Gestalt und die Rosen, die auf ihren Wangen blühen!«
Die junge Frau, durch diese Artigkeit gereizt, hob ihren Schleier auf und ließ die regelmäßigsten Züge und die reizendste Gestalt sehen. Indem Alaeddin von ihrer Schönheit betroffen schien, nahte sie sich ihm. Er schob sie sanft zurück. Da enthüllte sie seinen Augen zwei Arme, so weiß wie Schnee und so glänzend wie Elfenbein. Alaeddin, je mehr und mehr entzückt, wollte nun seinerseits sich der jungen Frau nahen: sie aber bat ihn, sich entfernt zu halten, indem sie ihm sagte, daß seine Nähe, weil er vom Aussatze befallen wäre, ihr gefährlich werden könnte.
Alaeddin, ganz erstaunt, fragte die junge Frau, wer ihr doch ein solches Märchen erzählt hätte.
»Das hat,« sagte sie ihm, »eine alte Frau getan, welche oft hierher kommt.«
»Ah,« fuhr Alaeddin fort, »das ist sicherlich dieselbe, welche mir auch von Euch gesagt hat, daß Ihr von derselben Krankheit befallen wäret.«
Die beiden Gatten erkannten jetzt die Täuschung und fürchteten sich nun nicht mehr, sich gegenseitig die Beweise der Zärtlichkeit zu geben, welche sie füreinander empfanden.
Am folgenden Morgen fand Alaeddin, daß sein Glück mit der Geschwindigkeit eines Vogels, welcher die Lüfte durchschneidet, vorübergegangen war, und beklagte sich über die Notwendigkeit, worin er sich befände, sich von seiner Gattin zu trennen. »Nur noch wenige Augenblicke ist mir vergönnt, mich Eurer Gegenwart zu erfreuen,« sagte er zu ihr mit Tränen in den Augen.
Als die junge Frau ihn um eine Erklärung hierüber bat, sagte er ihr:
»Euer Vater hat mich einen Brautschatz von fünfzigtausend Goldstücken für Euch verschreiben lassen. Wenn ich diese nun nicht bezahle, wird er mich ins Gefängnis führen lassen: und gegenwärtig besitze ich nicht den geringsten Teil dieser Summe.
»Ihr könnt Euch indessen verteidigen,« sagte Sobeïde zu ihm.
»Freilich wohl,« antwortete Alaeddin; »aber wie soll es ohne Geld geschehen?«
»Das ist nicht so schwer, als Ihr denkt,« fuhr Sobeïde fort. »Beruhiget Euch und tretet mit Lustigkeit auf. Nehmet immerhin diese hundert Goldstücke: wenn ich mehr hätte, würde ich es Euch von ganzem Herzen darbieten; aber mein Vater, der seinen Neffen sehr begünstigt, hat mir alles genommen, was ich besaß, um mich zu zwingen, zu ihm zurückzukehren. Der Gerichtsdiener wird ohne Zweifel noch in der frühen Morgenzeit von ihrer Seite sich bei Euch einfinden. Wenn aber mein Vater oder der Kadi Euch zwingen wollten, die Verstoßung auszusprechen, so fraget sie dreist, was das für eine Religion ist, welche denjenigen, der sich am Abend verheiratet hat, zwingen kann, am folgenden Morgen seine Frau zu verstoßen. Zu gleicher Zeit machet jedem dieser Gerichtsmänner ein kleines Geschenk; nähert Euch ehrerbietig dem Kadi, drückt ihm zehn Goldstücke in die Hand und seid versichert, daß er sich eifrig für Euch verwenden wird. Wenn man Euch fragt, warum Ihr die tausend Goldstücke, das Maultier und das Kleid, wie alles in dem gestern von Euch eingegangenen Vertrage bedungen worden, nicht annehmen wollet: so antwortet, daß jedes Haar auf dem Haupte Eurer Frau Euch kostbarer sei denn tausend Goldstücke: daß Ihr den festen Entschluß gefaßt habt, Euch niemals von ihr zu trennen, und daß Ihr weder Maultier noch Kleid haben wollet. Und wenn nun mein Vater die Bezahlung des Brautschatzes verlangt, so saget ihm, daß Ihr in diesem Augenblick noch zu sehr bedrängt seid, um ihn zu befriedigen.«
Während sie sich also unterhielten, hörten sie stark an die Straßentüre pochen. Alaeddin ging hinunter, zu öffnen, und erblickte den Gerichtsdiener, welcher von seiten seines Schwiegervaters ihn vor Gericht lud. Alaeddin fragte ihn, indem er ihm fünf Goldstücke in die Hand drückte, ob es ein Gesetz gäbe, welches ihn zwänge, eine Frau, welche er vorigen Abend geheiratet, am Morgen zu verstoßen. Der Gerichtsdiener antwortete, es gäbe kein dergleichen Gesetz, und er erbot sich freundlich, ihm zum Anwalt zu dienen, wenn er nicht selber imstande wäre, sich zu verteidigen.
Sie begaben sich hierauf beide in den Gerichtssaal. Der Kadi verlangte von Alaeddin die Bezahlung der Morgengabe, weil er sich weigerte, die junge Frau zu verstoßen. Dieser, ohne die Fassung zu verlieren, verlangte, daß man ihm die vom Gesetze bewilligte Frist zugute kommen ließe. Der Richter bedeutete ihn, daß diese Frist nicht länger wäre als drei Tage.
»Drei Tage,« sagte Alaeddin, »sind nicht zureichend für mich, ich verlange deren zehn.«
Da diese Forderung billig war, so bewilligte man sie ihm, aber unter der Bedingung, daß nach Verlauf dieser Frist er den Brautschatz bezahlte oder seine Frau verstieße.
Alaeddin, nachdem er diese Bedingungen angenommen hatte, verließ den Gerichtssaal und kaufte Fleisch, Reis, Butter und andere notwendige Vorräte für das Abendessen ein.
Als er heimkam, erzählte er der jungen Frau, was vorgegangen war. Sobeïde sagte ihm, daß in dem Zwischenraum vom Abend bis zum Morgen sehr seltsame Dinge vorgehen würden, daß sie unterdessen hingehen und Anstalt zum Abendessen machen wollte, wirklich ließ sie bald eine Tafel mit den köstlichsten Gerichten und den erlesensten Getränken besetzen.
Zu Ende der Mahlzeit bat Alaeddin Sobeïden, ihm ein Lied mit Begleitung der Zither zu singen. Die junge Frau säumte nicht, seinen Wunsch zu erfüllen, sie nahm das Saitenspiel und entlockte ihm so wohllautende Töne, daß die Wände des Zimmers sogar ihren Klängen zu horchen schienen.
Plötzlich hörten sie sehr heftig an die Haustüre pochen. Alaeddin ging hin, zu öffnen, und erblickte vier Derwische mit bittender Gebärde. Auf die Frage, was sie wollten, antwortete einer von ihnen:
»Herr, wir sind fremde Derwische in dieser Stadt und wünschen die Nacht bei Euch zuzubringen. Mit Anbruch des Tages wollen wir unsern Weg fortsetzen. Ihr werdet die Segnungen des Himmels auf Euch herabziehen, wenn Ihr uns die Bitte gewähret; denn es ist keiner unter uns, der nicht die berühmtesten Gedichte und Verse aus dem Kopfe wüßte und nicht ein leidenschaftlicher Liebhaber von Gesang und Saitenspiel wäre.«
»Ich muß mich erst mit jemand über Eure Bitte beraten,« antwortete ihm Alaeddin. Und sogleich ging er hin, Sobeïden von dem Vorgänge zu unterrichten. Sobeïde sagte ihm, er möchte sie nur eintreten lassen.
Nachdem Alaeddin sie hereingeführt hatte, behandelte er sie mit vieler Höflichkeit. »Herr,« sagten sie zu ihm, »unser Stand verbietet uns, an den geselligen Vergnügungen teilzunehmen; wir dürfen jedoch nicht Eure Vergnügungen unterbrechen. Als wir an Eurem Hause vorbeigingen, ließ eine bezaubernde Musik sich hören, und bei unserm Eintritte verstummte sie plötzlich. Dürften wir Euch wohl fragen, ob diejenige, welche diese Musik machte, eine weiße oder schwarze Sklavin ist oder etwa eine junge Frau von Stande?«
»Es ist meine Gattin,« antwortete Alaeddin. Zugleich erzählte er ihnen sein Abenteuer, und wie sein Schwiegervater eine Verschreibung über fünfzigtausend Goldstücke von ihm in Händen hätte, und in welcher Verlegenheit er sich wegen ihrer Bezahlung befände, weil er nur einen Aufschub von zehn Tagen dazu hätte erlangen können.
»Seid unbesorgt,« sagte ihm einer der Derwische. »Ich bin das Oberhaupt von dreißig Derwischen, über welche ich eine unbeschränkte Gewalt ausübe. Ich werde sie leichtlich vermögen, mir die fünfzigtausend Goldstücke zu verschaffen, deren Ihr bedürft. Ich werde sie Euch übergeben, und Ihr könnt die gegen Euren Schwiegervater eingegangene Verbindlichkeit erfüllen. Aber wenn Ihr die Gefälligkeit haben wolltet, uns die Stimme der jungen Frau hören zu lassen, so würdet Ihr uns einen großen Genuß gewähren; denn die Musik ist für manche Leute ebenso angenehm als die köstlichsten Gerichte, und für andere ist es eine Ergötzung, welche sie allem andern vorziehen.«
Der Derwisch, der diese schönen Versprechungen tat, war auch wohl imstande, sie zu erfüllen; denn er war der Kalif Harun Arreschid selber in der Begleitung des Wesirs Giafar, des Scheichs Mohammed Abu Naûas und Mansurs, des Oberrichters. Der Kalif hatte diesen Abend, da sein Geist abgespannt war, diese Männer kommen lassen, um sich zu zerstreuen und mit ihnen die Straßen von Bagdad zu durchstreifen. Sie waren als Derwische verkleidet, und als sie an Alaeddins Hause vorbeigingen, hatten sie den Gesang der Sobeïde gehört. Der Kalif, bezaubert von der schönen Stimme und der wohllautenden Begleitung des Saitenspiels, war neugierig gewesen, diejenige zu sehen und nach Gefallen zu hören, welche ein so außerordentliches Talent für die Tonkunst besaß.
Alaeddin gewährte das Verlangen der Derwische, und sie brachten die ganze Nacht in Ergötzlichkeit bei der geistreichsten Unterhaltung hin.
Gegen Morgen schob der Kalif unter das Kissen, auf welchem er saß, eine Börse von hundert Goldstücken und beurlaubte sich mit seinen Gefährten.
Sobeïde bemerkte beim Aufheben des Kissens die Börse darunter, brachte sie ihrem Mann und sagte ihm, sie vermutete, daß einer der Derwische sie unvermerkt vor dem Weggehen unter das Kissen geschoben hätte, wo sie sie eben gefunden. Alaeddin nahm sie und ging hin, Fleisch, Reis und andere Bedürfnisse für den nächsten Abend zu kaufen.
Als die Wachskerzen angezündet waren, sagte er zu seiner Frau, er glaubte, die Derwische hätten ihn getäuscht und würden ihm nicht die fünfzigtausend Goldstücke bringen. während er noch sprach, kamen die Derwische und klopften an die Türe. Sobeïde hieß ihn öffnen, und als er sie herauf ins Zimmer geführt hatte, fragte er sie, ob sie ihr ihm gegebenes Versprechen zu erfüllen kämen.
»Unsere Mitbrüder,« antworteten ihm die Derwische, »haben sich unserm Verlangen nicht fügen wollen; aber fürchtet nichts, morgen in der Frühe werden wir eine chemische Arbeit vornehmen, um uns dieses Geld zu verschaffen. Laßt uns nur diesen Abend wieder des Vergnügens genießen, Eure Gattin singen zu hören; denn die Gefälligkeit, welche sie gestern für uns gehabt hat, läßt uns sehr lebhaft wünschen, sie nochmals zu hören.«
Sobeïde beeiferte sich, ihnen gefällig zu sein, nahm ihre Zither und entzückte sie durch die Töne, welche sie diesem Saitenspiele entlockte. Kurz, sie brachten die Nacht abermals in Freuden und Vergnügen hin; und bei Anbruch des Tages kehrte der Kalif, nachdem er wieder eine Börse von hundert Goldstücken unter das Kissen gesteckt hatte, mit seinen Gefährten nach seinem Palaste zurück.
Auf solche Weise fuhren die Derwische fort, die folgenden Abende bei Alaeddin zuzubringen, und der Kalif unterließ niemals, eine Börse von hundert Goldstücken unter das Kissen zu legen.
Am zehnten Tage ließ der Kalif einen der berühmtesten Kaufleute in Bagdad kommen und befahl ihm, auf der Stelle fünfzig Ballen der reichsten Stoffe und solcher waren, die gewöhnlich aus Ägypten kämen, zu bereiten und auf jeden Ballen die Aufschrift zu sehen, daß der Preis desselben tausend Goldstücke wäre. Sodann erwählte er einen seiner Sklaven, dem er ein prächtiges Kleid und ein goldenes Waschbecken nebst Gießkanne übergeben ließ, und trug ihm die Besorgung der fünfzig Ballen auf; zugleich übergab er ihm einen an Alaeddin überschriebenen Brief und befahl ihm, sich mit den Ballen nach einer Straße zu begeben, welche er ihm bezeichnete und sich nach dem Hause des Vorstehers der Kaufleute zu erkundigen, welcher eben der Schwiegervater Alaeddins war. »Wenn du das Haus gefunden hast,« fügte der Kalif hinzu, »so frage den Vorsteher, wo Herr Alaeddin, dein Gebieter, wohne.« Und weiter unterrichtete der Kalif den Sklaven, was er dann sagen sollte, um seine Rolle gut zu spielen und sich auf geschickte Weise seines Auftrages zu entledigen.
An ebendiesem Tage war Sobeïdens Vetter zu dem Vater dieser jungen Frau gekommen und hatte ihn aufgefordert. mit ihm zu Alaeddin zu gehen, um ihn zu zwingen, seine Frau zu verstoßen. Indem sie sich nun beide dahin begaben, bemerkten sie einen Sklaven auf einem Maultiere, der fünfzig andere mit reichen und kostbaren Warenballen beladene Maultiere führte. Auf ihre Frage, wem diese Ballen gehörten, antwortete er, sie gehörten seinem Herrn Alaeddin Abulschamat, und sogleich fügte er hinzu:
»Der Vater meines Herrn hatte ihm Waren gegeben und ihn damit nach Bagdad geschickt; aber arabische Räuber haben ihn im Löwenwalde angefallen und ihm alles genommen, was er hatte. Nachdem diese traurige Botschaft zu seinem Vater gekommen, hat er mich mit diesen fünfzig Maultieren zu ihm geschickt und mir überdies aufgetragen, ihm eine Summe von fünfzigtausend Goldstücken, ein Paket mit einem vollständigen und ebenso reichen Kleide, als die Räuber ihm geraubt haben, einen Zobelpelz und ein goldenes Waschbecken nebst Gießkanne einzuhändigen.«
Der Vater der jungen Frau, erstaunt über diese Begegnis und verwundert über die Herzählung so vieler Reichtümer, beeilte sich, dem Sklaven zu sagen, er wäre der Schwiegervater Alaeddins, und erbot sich, ihn nach dem Hause desselben zu führen.
In diesem Augenblicke war Alaeddin daheim mit seiner Gattin den traurigsten Betrachtungen hingegeben und ein Raub der höchsten Verzweiflung. Als er nun plötzlich einen großen Lärm an der Straßentüre hörte, rief er aus:
»Meine geliebte Sobeïde, das ist gewiß dein Vater, der die Gerichtsdiener herschickt, um mich mit Gewalt von dir zu trennen!«
»Sieh hin,« sagte ihm Sobeïde, »wer diese Leute sind.«
Alaeddin stieg mit langsamen Schritten die Stufen hinab und öffnete traurig die Türe. Er war erstaunt, da seinen Schwiegervater zu Fuße zu erblicken in Begleitung eines abessinischen Sklaven auf einem Maultiere, aber er erstaunte bald noch weit mehr, als dieser Sklave, dessen Erscheinung, obwohl er schwarz war, dennoch etwas Angenehmes hatte, hurtig auf die Erde sprang und ihm die Hand zu küssen kam.
»Was willst du?« fragte ihn Alaeddin.
»Herr,« antwortete der Sklave, »ich bin der Knecht meines Herrn Alaeddin Abulschamat, des Sohnes Schemseddins, Vorstehers der Kaufleute zu Kairo. Sein Vater hat mich mit diesem Beglaubigungsschreiben hergesandt.«
Zugleich überreichte er Alaeddin einen Brief, der ihn hastig ergriff, ihn öffnete und las, wie folgt:
»Schemseddin, Vorsteher der Kaufleute zu Kairo, an seinen vielgeliebten Sohn Alaeddin Abulschamat.
Gruß zuvor!
Soeben vernehme ich, mein lieber Sohn, die traurige Nachricht von dem Überfalle, worin all deine Leute umgekommen und dir alles geraubt worden, was du hattest: aber tröste dich, ich schicke dir fünfzig andere Ballen der reichsten Stoffe meines Warenlagers, ein Maultier, einen Zobelpelz und ein goldenes Becken nebst Gießkanne. Verbanne also aus deinem Herzen die Besorgnisse, welche du haben magst: die Reichtümer, welche man dir geraubt hat, haben für dich selbst zum Lösegeld gedient. Deine Mutter und alle Genossen des Hauses erfreuen sich einer vollkommenen Gesundheit und lassen dich herzlich grüßen. Ich habe auch erfahren, mein lieber Sohn, daß man dich mit einer jungen Frau namens Sobeïde, die sehr geschickt in der Musik ist, verheiratet hat unter der Bedingung, sie zu verstoßen, und daß man, bloß um dich dazu zu zwingen, dich eine Verschreibung von fünfzigtausend Goldstücken zu ihrem Brautschatze hat ausstellen lassen. Ich habe diese Summe deinem getreuen Sklaven Selin anvertraut, welcher sie dir einhändigen wird, ebenso wie die fünfzig Warenballen.
Schemseddin.«
Nachdem Alaeddin diesen Brief gelesen hatte, wandte er sich zu seinem Schwiegervater und sagte zu ihm:
»Empfanget diese zum Brautschatze Sobeïdens bedungenen fünfzigtausend Goldstücke und verhandelt zu Eurem Vorteil die fünfzig Warenballen und hebet mir nur das Kapital auf.«
Sobeïdens Vater, erkenntlich für Alaeddins Großmut, wollte sie gleichwohl nicht benutzen.
»Ich kann nichts von Euren Erbietungen annehmen,« antwortete er ihm. »Was den Brautschatz betrifft, so gehört er meiner Tochter, und ihr beide könnt damit machen, was euch beliebt.«
Indem nun Alaeddin und sein Schwiegervater beschäftigt waren, die Ballen hereinbringen zu lassen, fragte Sobeïde ihren Vater, wem sie angehörten.
»Liebe Tochter,« antwortete der Alte, »sie gehören Alaeddin, deinem Gemahle. Sein Vater hat sie soeben ihm geschickt, um ihn für den Verlust derjenigen zu entschädigen, welche die Araber ihm geraubt haben, überdies hat er ihm eine Summe von fünfzigtausend Goldstücken, einen Packen mit kostbaren Kleidern, einen Zobelpelz, ein Maultier und ein goldenes Waschbecken nebst Gießkanne geschickt. Ihr beide könnt nach eurem Gefallen über alle diese Dinge schalten; und der Brautschatz insbesondere ist ganz zu deiner Verfügung.«
Alaeddin öffnete sogleich das Goldkästchen und nahm daraus die fünfzigtausend Goldstücke, welche er seiner Gattin überreichte.
Der Vetter der jungen Frau war ganz erstaunt und verwirrt über alles, was hier vorging, und da er nun alle seine Hoffnungen vernichtet sah, fragte er voll Verdruß seinen Oheim, ob er nicht mehr gesonnen wäre, Alaeddin zu zwingen, daß er ihm seine Frau wiedergäbe.
»Das ist gegenwärtig unmöglich,« antwortete der Alte; »denn das Gesetz ist ganz für Alaeddin, der, wie Ihr seht, alle seine Verpflichtungen erfüllt hat.«
Der Vetter, durch diese Antwort niedergeschmettert, ging nach Hause mit Verzweiflung im Herzen. Er verfiel bald darauf in eine Krankheit und starb nach einiger Zeit vor Gram.
Nachdem Alaeddin die Ballen hatte hereinschaffen lassen, ging er hin, die nötigen Vorräte zu einem ähnlichen Mahle wie an den vorigen Abenden anzuschaffen. Als er zurückkam, sagte er zu Sobeïden:
»Ich hatte mich in meinen Vermutungen nicht betrogen. Diese Derwische sind Betrüger, die mir Versprechungen ins Blaue hinein getan: du siehst, wie sie Wort gehalten haben!«
»Hege nicht eine so böse Meinung von ihnen,« antwortete ihm seine Frau. »Du bist der Sohn des Vorstehers der Kaufleute zu Kairo, und gleichwohl besaßest du gestern nicht das kleinste Stück Geldes. In welcher Verlegenheit müssen nicht diese Derwische bei ihrer Armut sein, sich fünfzigtausend Goldstücke zu verschaffen!«
»Gott sei Dank!« erwiderte Alaeddin, »wir bedürfen ihrer nicht mehr: sie sollten jetzt nur kommen, ich würde ihnen die Tür vor der Nase zuschlagen.«
»Warum denn?« sagte Sobeïde. »Ich bin im Gegenteil überzeugt, daß ihre Gegenwart uns Glück gebracht hat; und schoben sie nicht jeden Abend unvermerkt eine Börse von hundert Goldstücken unter ein Kissen?«
Am Abend, als die Wachskerzen angezündet waren, bat Alaeddin seine Gattin, ihre Laute zu nehmen und eins ihrer Lieblingslieder zu spielen. Sobeïde, der es ein Vergnügen war, seinen geringsten Wünschen zuvorzukommen, war sogleich bereit dazu. Sie stimmte ihr Saitenspiel und fing an zu singen.
In diesem Augenblicke klopfte man ziemlich stark an die Haustüre. Sobeïde bat ihren Gatten, hinzugehen und zu sehen, was da wäre. Als er geöffnet hatte und die Derwische erblickte, rief er lachend aus:
»Ha, ha! nur herein, ihr Herren Windmacher, herein!«
Als die Derwische sich gesetzt hatten, ließ Alaeddin das Mahl auftragen.
»Herr,« sagte einer von ihnen, »die Unmöglichkeit, in der wir uns befanden, zu tun, was wir wünschten, verhindert uns jedoch nicht, den lebhaftesten Teil an allem zu nehmen, was Euch betrifft: seid doch so gut und erzählt uns, wie es Euch mit Eurem Schwiegervater ergangen ist.«
»Der Himmel,« antwortete Alaeddin, »hat uns mit mehr Güte überschüttet, als wir zu hoffen wagten!«
»Wir sind hocherfreut darüber,« fuhr der falsche Derwisch fort; »denn wir waren Euretwegen sehr besorgt; und Ihr könnt überzeugt sein, daß, wenn wir die Euch versprochene Summe hätten aufbringen können, wir es von Herzen gern getan hätten.«
»Gott hat mir Mittel beschert, mich aus der Verlegenheit zu reißen,« sagte Alaeddin. »Mein Vater hat mir soeben fünfzigtausend Goldstücke und fünfzig Ballen der köstlichsten Stoffe geschickt, jeder tausend Goldstücke wert, wie ihre Aufschrift anzeigt. Auch hat er mir ein vollständiges sehr reiches Kleid, einen Zobelpelz, ein Maultier, einen Sklaven und ein goldenes Waschbecken nebst Gießkanne geschickt. Überdies habe ich mich soeben mit meinem Schwiegervater ausgesöhnt; und was nun meiner Glückseligkeit die Krone aufsetzt, ist der Besitz einer reizenden Gattin, von welcher ich zärtlich geliebt werde. Ihr seht also, daß Gott mich in diesem verhängnisvollen Augenblicke nicht verlassen hat.«
Als Alaeddin diese Worte gesprochen hatte, tat der Kalif, als müßte er einen Augenblick hinausgehen. Der Wesir Giafar neigte sich hierauf zu Alaeddin und warnte ihn, etwas zu sagen, was seine Gäste verletzen könnte, und vor allem denjenigen, der soeben hinausgegangen wäre. Alaeddin fragte ihn nach der Ursache einer solchen Warnung.
»Mich dünkt,« sagte er, »ich habe Euch allen so viel Aufmerksamkeit und Höflichkeit erwiesen, als ich nur dem Kalifen bezeigen könnte.«
»Derjenige, der soeben hinausgegangen,« fuhr Giafar fort, »ist auch der Kalif selber. Ich bin der Wesir Giafar, und von den beiden hier an meiner Seite ist der eine Scheich Mohammed Abu Naûas und der andere Mansur, der Oberrichter Seiner Majestät.«
Alaeddin war ganz erstaunt über dieses Abenteuer und wußte nicht, was er davon denken sollte.
»Herr Alaeddin,« fuhr der Wesir fort, »tut mir den Gefallen und denket einen Augenblick nach und saget mir, wieviel Tagereisen sind von Kairo bis Bagdad?«
Alaeddin antwortete, es wären fünfundvierzig.
»Wie haben denn,« fuhr Giafar fort, »Eure Waren diesen weg binnen zehn Tagen machen können? Wie ist es möglich, daß Euer Vater von Eurem Unstern hat unterrichtet werden, die Waren, welche Ihr bekommen habt, einpacken lassen und Ihr sie binnen zehn Tagen habt überkommen können, wenn man schon fünfundvierzig Tage gebraucht, um sie von Kairo hierher zu bringen?«
»Ihr habt recht, Herr,« rief Alaeddin aus, »mein Irrtum war etwas grob. Ich bin jetzt ganz verworren über dies alles und verstehe nichts davon.«
»Alles dies,« sagte der Wesir, »ist auf Befehl des unbeschränkten Beherrschers der Gläubigen geschehen. Er selber ist es, der Euch alle diese Geschenke gemacht um der großen Zuneigung willen, welche er zu Euch gefaßt hat.«
Als der Kalif über diese Erklärung wieder hereintrat, warf Alaeddin sich zu seinen Füßen und bezeigte ihm seine innige Dankbarkeit.
»Gott verlängere die Tage Euer Majestät,« rief er aus, »und verbreite für immer seine Wohltaten über Euch für die Großmut, mit welcher Ihr Euren Sklaven behandelt habt!«
Der Kalif hieß Alaeddin aufstehen und bat, ihn noch einmal die Stimme Sobeïdens hören zu lassen zum Lohn dafür, was er für sie beide getan hätte.
Sobeïde beeiferte sich, einer so schmeichelhaften Aufforderung Genüge zu leisten; sie nahm ihre Laute und sang dazu auf eine so hinreißende Weise, daß der Kalif nicht müde werden konnte, sie zu hören. Er brachte einen Teil der Nacht in dieser Ergötzlichkeit hin, und beim Weggehen lud er Alaeddin ein, sich am Morgen im Diwan einzufinden.
Alaeddin begab sich also den folgenden Morgen nach dem Diwan in Begleitung von zwölf Sklaven, deren jeder auf seinem Kopfe ein Becken voll der kostbarsten Sachen trug. Beim Eintritte warf er sich mit dem Gesicht auf den Boden; und als er wieder aufgestanden war, richtete er eine schmeichelhafte Anrede an den Kalifen, der auf seinem Throne saß, umgeben von seinem ganzen Hofstaate. Darauf bat er ihn, die Geschenke anzunehmen, welche er ihm darbrächte.
Der Kalif empfing den Alaeddin auf die gnädigste Weise und nahm seine Geschenke mit Vergnügen an. Er ließ ihn mit einem Ehrenrocke bekleiden, ernannte ihn auf der Stelle zum Vorsteher der Kaufmannschaft von Bagdad und ließ ihn in dieser Eigenschaft seinen Sitz im Diwan einnehmen.
In diesem Augenblicke war Alaeddins Schwiegervater, der bisher dieses Amt bekleidete, in den Saal getreten, und als er nun seinen Schwiegersohn auf seiner Stelle sitzen und mit einem Ehrenrocke bekleidet sah, nahm er sich die Freiheit, den Kalifen zu fragen, was dieses bedeutete.
»Ich habe soeben,« antwortete der Fürst, »den Alaeddin zum Vorsteher der Kaufmannschaft ernannt. Die Ämter und Würden gehören denjenigen, die damit bekleidet sind, nicht ausschließlich für immer, und ich habe es für rätlich erachtet, dich abzusetzen.«
»Euer Majestät hat sehr wohl getan,« sagte der Greis. »Überdies fällt die Ehre, welche Ihr meinem Schwiegersohn angetan habt, auf mich zurück; und Gott selber hat Eure Wahl geleitet: er erhebt, wenn es ihm gefällt, den Kleinen zu den höchsten Ehren. Wie oft hat man nicht die Großen die Hand desjenigen küssen sehen, den sie den Tag zuvor verachteten.«
Der Kalif, der durch einen besonderen Befehl Alaeddins Ernennung vollzogen, hatte denselben dem Polizeimeister zur Kundmachung eingehändigt, und dieser übergab ihn einem seiner Beamten, der nun in dem Diwan ausrief, daß fortan Alaeddin Abulschamat als Vorsteher der Kaufmannschaft anzuerkennen und ihm die demselben gebührenden Ehren und Gehorsam zu erweisen wären.
Gegen Abend, als der Diwan entlassen war, durchzog der Polizeimeister mit einem Ausrufer an der Spitze vor Alaeddin einher mit großem Gefolge die Straßen von Bagdad. Der Ausrufer machte an allen Ecken bekannt, daß der Kalif den Herrn Alaeddin Abulschamat zum Vorsteher der Kaufmannschaft ernannt hätte, und daß dieser allein gegenwärtig die Verrichtungen dieses Amtes ausüben könnte.
Am folgenden Tage eröffnete Alaeddin einen prächtigen Kaufladen, an dessen Spitze er einen seiner Sklaven zur Besorgung des Handels stellte. Er selber beschäftigte sich nur damit, regelmäßig dem Diwan beizuwohnen.
Eines Tages, als er sich eben wie gewöhnlich dahin begeben hatte, kam ein Beamter des Kalifen, dem Fürsten den plötzlichen Tod eines seiner vertrautesten Räte zu melden.
Der Kalif ließ sogleich den Alaeddin holen, ihn mit einem Kaftan bekleiden und gab ihm die Stelle des Verstorbenen mit einem Gehalte von tausend Goldstücken. Alaeddin, auf solche Weise noch mehr der Person des Kalifen angenähert, stieg immer mehr und mehr in seiner Gunst.
Eines Tages, als er im Diwan war, kam ein Emir mit einem Schwert in der Hand, dem Kalifen den Tod des Oberhaupts des hohen Rats der Sechzig zu melden. Der Fürst ließ auf der Stelle Alaeddin abermals mit einem prächtigen Kaftan bekleiden und ernannte ihn zum Oberhaupte des Rats der Sechzig. Da der Verstorbene weder Frau noch Kinder hinterließ, so erbte auf Befehl des Kalifen Alaeddin alle seine Sklaven und Schätze, bloß mit der Bedingung, sein Leichenbegängnis zu besorgen. Nachdem der Kalif mit seinem Tuche gewinkt hatte, ging der Diwan auseinander.
Draußen vor dem Saale des Diwans fand Alaeddin vierzig Männer von der Leibwache des Kalifen versammelt, welche ihm zu Ehren ihn begleiten wollten, und deren Anführer Achmed Aldanaf sich an seine Seite begab. Alaeddin, der den Einfluß dieses Offiziers und das Vertrauen, welches der Kalif in ihn setzte, wohl kannte, benutzte diese Gelegenheit, ihn zu vermögen, sich innig mit ihm zu verbinden und ihn freundlich als seinen Sohn zu betrachten. Achmed Aldanaf, der schon von dem Augenblick an, als er Alaeddin zuerst am Hofe erscheinen sah, Zuneigung für ihn empfunden hatte, fand sich durch seinen Antrag geschmeichelt und willigte gern ein. Er versprach ihm sogar, um ihm einen auffallenden Beweis seiner Teilnahme für ihn zu geben, ihn jedesmal, wenn er sich zum Diwan begäbe oder daraus heimkehrte, durch seine Soldaten begleiten zu lassen.
Alaeddin, so am Hofe des Kalifen mit Ehren überhäuft, begab sich alle Tage zu diesem Fürsten, mit welchem er in der innigsten Vertraulichkeit lebte.
Eines Abends, da er eben nach Hause gekommen war und die Soldaten des Achmed Aldanaf entlassen hatte, saß er bei seiner Gattin, als sie aufstand und ihn verließ mit den Worten, daß sie sogleich wiederkäme. Kurz darauf ließ ein durchdringender Schrei sich hören. Alaeddin eilte hinaus, um zu sehen, wo der Schrei herkäme, und fand seine geliebte Sobeïde auf den Boden hingestreckt. Er sprang hinzu, um sie aufzuheben, aber wie groß war sein Erstaunen und Entsetzen, als er sah, daß sie entseelt dalag!
Das Zimmer von Sobeïdens Vater war dem Zimmer Alaeddins gegenüber. Der Greis, der auch den Schrei seiner Tochter gehört hatte, öffnete die Türe und fragte seinen Schwiegersohn, was das zu bedeuten hätte.
»Ihr habt keine Tochter mehr,« rief Alaeddin aus, »meine Sobeïde ist dahin!«
Der Greis, obwohl selber tief betrübt über den Verlust seiner Tochter, war jedoch von dem Schmerze, von welchem sein Schwiegersohn durchdrungen schien, dermaßen gerührt, daß er ihn zu trösten suchte und ihm vorstellte, daß der letzte Beweis, welchen sie von ihrer Liebe zu der ihnen so plötzlich und traurig Entrissenen geben könnten, darin bestände, ihr Leichenbegängnis zu besorgen. Beide beschäftigten sich also gemeinschaftlich damit, ihr die letzte Pflicht zu erweisen, und suchten sich gegenseitig zu trösten.
Aber lassen wir für jetzt Sobeïden in Frieden ruhen: vielleicht werden wir noch Gelegenheit haben, aus diesen Vorfall zurückzukommen.
Alaeddin legte Trauer an und überließ sich dermaßen seinem Schmerze, daß er gänzlich unterließ, in den Diwan zu gehen. Der Kalif, über seine Abwesenheit verwundert, fragte den Wesir Giafar, warum Alaeddin nicht mehr in den Palast käme.
»Unumschränkter Beherrscher der Gläubigen,« antwortete der Wesir, »es ist die Trauer über den Verlust seiner Gattin, welche ihn daran verhindert: er beweint sie Tag und Nacht.«
»Wir müssen ihn besuchen,« sagte der Kalif. Der Kalif und Giafar verkleideten sich sogleich und begaben sich nach Alaeddins Wohnung. Sie fanden ihn, den Kopf in beide Hände gestützt, sitzend und in traurige Gedanken tief versunken. Alaeddin stand auf, sie zu empfangen; und als er den Kalifen erkannte, warf er sich ihm zu Füßen. Der Fürst hieß ihn freundlich aufstehen und sagte ihm teilnehmend, daß er stets seiner gedächte.
»Möge Gott die Tage Euer Majestät verlängern!« rief Alaeddin aus, die Augen in Tränen gebadet.
»Warum,« sagte der Kalif zu Alaeddin, »kommst du nicht mehr zu uns und bist du so lange nicht im Diwan gewesen?«
»Herr,« antwortete Alaeddin, »ich bin untröstlich über den Verlust meiner Gattin Sobeïde.«
»Du mußt dich nicht also dem Schmerze hingeben,« fuhr der Kalif fort, »sondern dich den Beschlüssen der Vorsehung unterwerfen. Die Tränen, welche du vergießest, sind fruchtlos und können deiner Gattin das Leben nicht wiedergeben.«
»Ich werde nicht eher aufhören, sie zu beweinen,« sagte Alaeddin, indem er einen tiefen Seufzer ausstieß, »als bis der Tod uns beide für immer wieder vereinigt hat.«
Der Kalif empfahl ihm beim Weggehen ausdrücklich, sich wie gewöhnlich in den Diwan zu verfügen und ihn nicht länger seiner Gegenwart zu berauben.
Gerührt von dieser Güte des Fürsten, stieg Alaeddin am folgenden Morgen zu Pferde und begab sich wie gewöhnlich nach dem Diwan. Bei seinem Eintritt in den Saal warf er sich mit dem Antlitz auf den Boden. Der Kalif stieg, sobald er ihn bemerkte, von seinem Thron und näherte sich ihm, um ihn aufzuheben. Er empfing ihn auf die ausgezeichneteste Weise und ließ ihn seinen gewöhnlichen Platz einnehmen.
»Ich hoffe,« sagte er zu ihm mit Freundlichkeit, »du wirst heute Abend bei uns bleiben.«
Nach dem Diwan, als der Kalif sich wieder in das Seraï begab, ließ er eine Sklavin rufen, die Kut Alkulub hieß, und sagte zu ihr:
»Alaeddin hat kürzlich seine Gattin Sobeïde verloren, welche durch ihr Talent für die Tonkunst die Glückseligkeit seines Lebens machte und alle Traurigkeit aus seinem Herzen bannte. Ich wünschte, daß du dich diesen Abend auf der Laute mit irgend einem Stücke hören ließest, welches ihn auf einen Augenblick erheitern könnte.«
Am Abend sang Kut Alkulub, hinter einem Vorhange verborgen, nachdem sie ihre Laute gestimmt hatte, auf eine so hinreißende Weise und begleitete sich mit so viel Anmut, daß der Kalif, ganz entzückt davon, sich lebhaft zu Alaeddin wandte und ihn fragte, was er von der Geschicklichkeit dieser Sklavin hielte.
»Sie singt sehr schön,« antwortete Alaeddin; »aber ihre Stimme macht nicht denselben Eindruck auf mich wie Sobeïdens Stimme.«
»Das begreife ich wohl,« fuhr der Kalif fort; »aber gefällt dir sonst ihre Stimme?«
»Herr,« antwortete er verlegen, »ich müßte sehr schwer zu befriedigen sein, wenn ich nicht einiges Vergnügen daran fände, sie zu hören.«
»Wohlan,« fuhr der Kalif fort, »ich mache dir ein Geschenk damit: ich gebe sie dir samt allen Sklavinnen, die zu ihren Diensten sind.«
Alaeddin, immer mehr und mehr überrascht, bildete sich ein, der Kalif wollte sich einen Scherz machen, und begab sich, befangen in diesem Gedanken, nach Hause.
Am folgenden Morgen trat der Kalif in Kut Alkulubs Zimmer und sagte ihr, daß er sie Alaeddin geschenkt hätte samt allen Frauen ihrer Bedienung. Die Sklavin war hocherfreut darüber; denn da sie den Alaeddin durch den Vorhang, der sie seinen Blicken entzog, nach Gefallen hatte betrachten können, so hatte sie ihn sehr nach ihrem Geschmacke gefunden und sich nicht enthalten können, ihn zu lieben.
Der Kalif ließ sogleich alles Gerät der Kut Alkulub nach Alaeddins Hause bringen und sie selber dahin führen. Man ließ sie in eine Sänfte steigen, desgleichen alle ihre Weiber, deren vierzig waren, und so führte man sie in Alaeddins Palast, während dieser im Diwan war, welcher diesen Tag sehr lange dauerte; denn der Kalif hob die Sitzung erst gegen Abend auf und begab sich sehr spät ins Seraï zurück.
Als Kut Alkulub mit ihren vierzig Weibern in Alaeddins Palast angekommen war, hatte sie zu beiden Seiten der Türe zwei Mann von der Leibwache des Kalifen aufstellen lassen mit dem Befehle, dem Alaeddin ihre Ankunft zu melden und ihn zu bitten, in ihr Zimmer zu kommen.
Alaeddin, der schon nicht mehr an Kut Alkulub dachte, war sehr überrascht, als er nach Hause kam und an seiner Türe die beiden Wachen des Kalifen erblickte.
»Was bedeutet das?« sagte er bei sich selber, »täusche ich mich nicht? Ist das wirklich mein Haus?«
Die beiden Wachen hatten sich unterdessen genähert, ihm ehrerbietig die Hand geküßt, und einer von ihnen sagte zu ihm:
»Wir sind im Dienste Kut Alkulubs, der Favoritin des Kalifen: sie trägt uns auf, Euch zu melden, daß der Fürst sie Euch geschenkt hat samt allen ihren Weibern, und bittet Euch, gefälligst in ihr Zimmer zu kommen.«
»Gehet hin und saget Eurer Herrin,« antwortete Alaeddin, »daß sie willkommen ist; aber meldet ihr zugleich, daß, solange es ihr auch gefällt, bei mir zu verweilen, ich jedoch mir nie die Freiheit nehmen werde, sie zu besuchen, denn was dem Herrn geziemt, geziemt nicht dem Sklaven. Bittet sie auch von meiner Seite, mir die Summe anzuzeigen, welche sie täglich auf Befehl des Kalifen bezog.«
Die beiden Wachen entledigten sich ihres Auftrags und kamen zurück, Alaeddin zu sagen, daß Kut Alkulub täglich hundert Goldstücke bezogen hätte.
»Ich hatte auch wohl nötig,« sagte er hierauf bei sich selber, »daß der Kalif mir ein solches Geschenk machte!«
Kut Alkulub blieb lange bei Alaeddin, der ihr pünktlich alle Morgen hundert Goldstücke übergeben ließ.
Eines Tages, als er, ganz dem Schmerz und der Trauer über den Verlust Sobeïdens hingegeben, versäumt hatte, sich in den Diwan zu begeben, sagte der Kalif zu Giafar:
»Wesir, habe ich dem Alaeddin nicht Kut Alkulub geschenkt, um ihn über den Verlust seiner Gattin zu trösten? Warum kommt er nun doch nicht wie gewöhnlich zu uns?«
»Herr,« antwortete der Wesir, »man hat wohl recht, zu sagen, daß ein Liebender bei seiner Gebieterin bald seiner alten Freunde vergißt.«
Giafar wurde aber bald enttäuscht, denn als er am folgenden Morgen Alaeddin besuchte, teilte dieser ihm seinen Kummer mit und sagte zu ihm:
»Was habe ich denn dem Kalifen getan, das ihn bewogen, mir Kut Alkulub zu geben? Ich hätte eines solchen Geschenkes gar wohl entbehrt.«
Der Wesir antwortete Alaeddin, es wäre die große Zuneigung des Kalifen zu ihm, welche ihn bewogen, ihm diese Sklavin zu schenken, und fragte ihn im Vertrauen, ob er sie manchmal besuchte.
»In Wahrheit,« erwiderte Alaeddin, »ich habe sie noch nicht einmal gesehen, und ich verspreche Euch, daß ich sie niemals sehen werde.«
Der Wesir bat ihn um Erklärung über die Ursache einer solchen Zurückhaltung, und Alaeddin gab ihm keine andere Antwort als:
»Was dem Herrn geziemt, geziemt nicht dem Sklaven.«
Giafar ermangelte nicht, dem Kalifen zu berichten, was er vernommen hatte, und dieser machte sich sogleich mit seinem Wesir auf, Alaeddin zu besuchen.
Alaeddin, sobald er sie erblickte, ging dem Fürsten entgegen, warf sich ihm zu Füßen und küßte ihm die Hände. Der Kalif, der auf seinem Gesichte den Ausdruck des tiefsten Kummers bemerkte, hieß ihn aufstehen und sagte dabei zu ihm:
»Soll ich dich denn stets in Trauer versunken sehen, mein lieber Alaeddin? Hat denn Kut Alkulub nichts getan, dich zu trösten?«
»Unumschränkter Beherrscher der Gläubigen,« antwortete Alaeddin, »was dem Herrn geziemt, geziemt nicht dem Sklaven. Ich schwöre Euch, daß ich ihr nicht genaht bin, und daß ich ihr niemals nahen werde; und wenn ich Euch um eine Gnade bitten dürfte, so wäre es die, mich davon zu entbinden, sie länger zu bewachen.«
»Ich möchte sie wohl einen Augenblick sehen,« sagte der Kalif.
Alaeddin beeilte sich, den Kalifen nach dem Zimmer der Kut Alkulub zu führen. Beim Eintritte fragte sie der Fürst, ob Alaeddin sie nicht besucht hätte. Nachdem Kut Alkulub ihm erzählt hatte, wie sie Alaeddin gebeten, zu ihr zu kommen, er aber ihre Einladung nicht hätte annehmen wollen, befahl der Kalif auf der Stelle, sie in das Seraï zurückzuführen; und nachdem er Alaeddin aufgefordert hatte, ihn zu besuchen, kehrte er selber alsbald in seinen Palast zurück.
Alaeddin war froh, von Kut Alkulub befreit zu sein, und brachte die Nacht etwas ruhiger zu als gewöhnlich, und am Morgen nahm er seine Stelle im Diwan wieder ein.
Der Kalif ließ seinen Schatzmeister rufen und befahl ihm, dem Großwesir Giafar zehntausend Goldstücke auszuzahlen.
»Wesir,« sagte er zu diesem, »ich befehle dir, auf den Basar zu gehen und dort für Alaeddin eine Sklavin für zehntausend Goldstücke zu kaufen.«
Der Wesir schickte sich an, den Befehl des Kalifen auf der Stelle auszuführen! und nachdem er Alaeddin mitgenommen hatte, begaben sie sich beide auf den Sklavenmarkt.
Zum Verständnisse des Verfolgs dieser Geschichte muß man wissen, daß der Wali oder Polizeileutnant von Bagdad namens Emir Chaled von seiner Gattin Chatun einen äußerst häßlichen Sohn hatte, welcher Habdalum Besasa hieß. Dieser Sohn, obwohl er schon das zwanzigste Jahr erreicht hatte, war jedoch noch höchst unwissend und hatte sich keiner der Übungen, wie sie jungen Leuten von seinem Range zukommen, beflissen; denn kaum vermochte er sich auf dem Pferde zu erhalten: sehr verschieden hierin von seinem Vater, der für einen der besten Reiter seiner Zeit galt, und der sich stets durch sein höfliches Benehmen, seine Kenntnisse und Herzhaftigkeit ausgezeichnet hatte.
Da Besasa in dem Alter war, um an eine Heirat zu denken, so hatte seine Mutter Lust, ihn zu vermählen, und teilte ihre Absicht ihrem Manne mit. Dieser, der alle Gebrechen seines Sohnes wohl kannte, stellte seiner Frau vor, daß, weil ihr Sohn von der Natur sowohl in Hinsicht des Leibes als des Geistes stiefmütterlich behandelt wäre, sie nimmer ein junges Mädchen finden würden, welche ihn heiraten wollte.
Chatuns Antwort war: »So muß man ihm eine Sklavin kaufen.«
Der Zufall fügte es, daß denselben Tag, da der Großwesir Giafar mit Alaeddin auf den Basar ging, um eine Sklavin zu kaufen, eben auch der Emir Chaled und sein Sohn sich in derselben Absicht dahin begaben. Gerade als sie ankamen, hielt der Ausrufer eine junge Sklavin von der größten Schönheit an der Hand, deren schlanker und freier Wuchs, frische Jugendblüte und Sittsamkeit dem Wesir dermaßen auffielen, daß er auf der Stelle tausend Goldstücke für sie bot.
Als nun der Ausrufer an dem Emir Chaled vorbeikam und sein Sohn Habdalum Besasa diese Sklavin erblickte, ward er sterblich verliebt in sie und bat seinen Vater inständig, sie ihm zu kaufen.
Chaled gab dem Ausrufer einen Wink und fragte ihn, wie diese Sklavin hieße. Nachdem er vernommen, daß sie Jasmin hieß, und daß schon tausend Goldstücke für sie geboten worden, wandte er sich zu seinem Sohne und sagte ihm, wenn er sie haben wollte, müßte er sie überbieten. Habdalum Besasa sagte also dem Ausrufer, daß er ein Goldstück mehr böte. Alaeddin steigerte sie sogleich auf zweitausend Goldstücke; und jedesmal, daß der Sohn des Emirs ein Goldstück mehr bot, überbot ihn Alaeddin mit tausend Goldstücken.
Habdalum Besasa, ergrimmt, daß man es wagte, ihn zu überbieten, verlangte von dem Ausrufer mit stolzem Tone den Namen des Überbietenden zu wissen.
»Es ist der Großwesir Giafar,« erwiderte dieser hier; »er will diese Sklavin für den Herrn Alaeddin Abulschamat kaufen.«
In diesem Augenblicke, da Alaeddin zehntausend Goldstücke geboten hatte, schlug der Herr der Sklavin sie ihm zu und wurde sogleich auf Befehl des Großwesirs bezahlt.
Alaeddin sah sich nicht sobald im Besitze dieser Schönen, als er ihr die Freiheit schenkte, sie heiratete und heimführte.
Der Ausrufer, nachdem er seine Belohnung empfangen hatte, kam wieder zu dem Emir Chaled und seinem Sohn und benachrichtigte sie, daß Alaeddin die Sklavin für zehntausend Goldstücke gekauft, ihr die Freiheit geschenkt und sie soeben geheiratet hätte.
Besasa kehrte heim in Verzweiflung über diese Neuigkeit. Kaum war er nach Hause, als er sich von einem heftigen Fieber ergriffen fühlte und genötigt war, sich zu Bette zu legen. Seine Mutter, die noch nicht wußte, was vorgegangen war, fragte ihn nach der Ursache seiner Krankheit.
»Kaufet mir Jasmin,« antwortete er mit schwacher Stimme.
Seine Mutter glaubte, er redete irre, und versprach, um ihn zu beruhigen, ihm Jasmin zu kaufen, sobald der Blumenverkäufer vorbeikäme.
»Hier ist auch die Rede von Blumensträußen!« rief er voll Ungeduld aus, »es ist die Sklavin Jasmin, welche ich von Euch verlange: ohne sie kann ich nicht länger leben.«
Besasas Mutter bemühte sich, ihn zufriedenzustellen, und ging zu ihrem Manne, der sie unterrichtete, wer die Jasmin wäre, und wie ihr Sohn in sie verliebt worden. Chatun gab nur ihrer mütterlichen Zärtlichkeit Gehör und konnte sich nicht enthalten, ihrem Manne einige Vorwürfe zu machen, daß er einen andern eine Sklavin hätte kaufen lassen, nach welcher ihr Sohn ein so heißes Verlangen gehabt.
»Was dem Herrn geziemt,« antwortete der Emir, »geziemt nicht dem Sklaven: es ist mir nicht möglich gewesen, sie zu kaufen, weil Alaeddin Abulschamat, das Oberhaupt des hohen Rats der Sechzig, sie zu haben wünschte.«
Die Krankheit Habdalum Besasas verschlimmerte sich von Tage zu Tage. Als seine Mutter sah, daß er nichts mehr zu sich nehmen wollte, und daß er verschmachten und sterben würde, legte sie Trauerkleider an und erschien mit allen Zeichen des größten Schmerzes und der tiefsten Betrübnis.
Während sie sich so ihrem übermäßigen Schmerze hingab, bekam sie Besuch von einer Frau, welche die Mutter Achmed Komakoms genannt wurde.
Da dieser Achmed Komakom im Verlaufe dieser Geschichte noch eine bedeutende Rolle spielen wird, so ist es nötig, ihn hier etwas näher kenntlich zu machen. Von Jugend auf in Dieberei und Spitzbüberei geübt, war er so gewandt geworden, daß er wohl jemand den Anstrich unter den Augen hätte wegnehmen können, ohne daß man es bemerkte. Kühn und versteckt dabei, hatte er seine bösen Neigungen so gut zu verbergen und das Vertrauen einiger angestellter Leute zu gewinnen gewußt, daß man ihn zum Befehlshaber der Scharwache ernannt hatte; aber weil er das Volk bestahl und plünderte, anstatt es zu verteidigen, so ließ der Wali, der davon unterrichtet worden, ihn binden und vor den Kalifen führen, der ihn verurteilte, den Kopf zu verlieren.
Achmed Komakom, der die Menschenfreundlichkeit des Wesirs Giafar kannte und wohl wußte, daß seine Verwendung bei dem Kalifen niemals fruchtlos wäre, ließ ihn anflehen, sich gütig für ihn zu verwenden.
Als der Wesir mit dem Kalifen davon redete, sagte dieser zu ihm:
»Kann ich der menschlichen Gesellschaft eine solche Plage antun und so argen Räubereien freien Lauf lassen?«
»Herr,« sagte der Wesir, »verurteilet ihn zum ewigen Gefängnisse: das ist ein Grab, worin diejenigen lebendig begraben werden, welche das öffentliche Wohl von der menschlichen Gesellschaft abzuschneiden gebietet.«
Der Kalif gab der Vorstellung seines Wesirs nach. Er verwandelte die gegen Achmed Komakom ausgesprochene Todesstrafe in lebenslängliches Gefängnis und ließ auf seine Kette eingraben: In die Eisen verurteilt bis zum Tode.
Achmed Komakom war also für seine übrige Lebenszeit eingesperrt, und seine Mutter, welche infolge des Mitleids, welches sie einflößte, freien Eintritt in dem Hause des Emirs Chaled, Walis von Bagdad, hatte, versorgte ihren Sohn in seinem Gefängnisse mit Essen, welches sie ihm brachte, wobei sie ihm oft vorwarf, daß er die Ermahnungen, welche sie ihm vormals gegeben, nicht befolgt hätte.
»Meine Mutter,« sagte er eines Tages zu ihr, »niemand kann seiner Vorbestimmung entgehen, aber weil Ihr bei dem Wali aus- und eingehet, so suchet seine Frau zu bereden, bei ihm ein gutes Wort für mich einzulegen.«
Als die Alte hierauf wieder zu der Frau des Walis gekommen war und sie in Trauer gekleidet und in die tiefste Betrübnis versunken fand, fragte sie nach der Ursache davon.
»Ach, gute Mutter,« rief diese aus, »ich werde meinen geliebten Sohn Habdalum Besasa verlieren!«
Als nun die Alte sich nach der Ursache seiner Krankheit erkundigte, erzählte ihr die Frau des Walis, was dem Besasa begegnet war. Die Alte erkannte hier eine günstige Gelegenheit, die Freiheit ihres Sohnes zu bewirken, und beschloß, dieselbe zu benutzen.
»Gnädige Frau,« sagte sie zu der Frau des Walis, »ich kenne ein sicheres Mittel, Eurem Sohne das Leben wiederzugeben. Achmed Komakom ist imstande, die Sklavin Jasmin zu entführen und sie seinen Händen zu überliefern. Aber unglücklicherweise ist er zu einem lebenslänglichen Gefängnisse verurteilt. Bemühet Euch, ihm die Freiheit wiederzuverschaffen; gebrauchet dazu allen Euren Einfluß auf das Gemüt Eures Mannes, und ich verspreche Euch, daß Euer Sohn alsbald befriedigt werden soll.«
Die Frau des Walis dankte der Alten und versprach ihr, alles mögliche anzuwenden, um für Komakom die Freiheit zu erlangen. In der Tat sprach sie noch denselben Tag mit ihrem Manne davon, bezeugte ihm, daß Komakom von der aufrichtigsten Reue durchdrungen wäre, beweinte das Schicksal seiner unglücklichen Mutter und schloß mit diesen Worten:
»Wenn es Euch gelingt, diesem Gefangenen die Freiheit wiederzugeben, so werdet Ihr ein gutes Werk tun, welches auch, wie ich nicht zweifle, auf uns die Segnungen des Himmels herabziehen und meinem geliebten Besasa die Gesundheit wiedergeben wird.«
Der Wali ließ sich durch die Bitten und Tränen seiner Gattin erweichen. Er begab sich den folgenden Morgen in Achmed Komakoms Gefängnis und fragte ihn, ob er sein voriges Leben aufrichtig bereute und den festen Entschluß gefaßt hätte, sich künftighin besser aufzuführen.
Achmed Komakom antwortete mit heuchlerischen Worten, daß Gott schon seit langer Zeit sein Herz gerührt hätte; daß er, wenn man ihn der Gesellschaft wiedergäbe, durch die Regelmäßigkeit seiner Aufführung, durch seinen Eifer in Verfolgung der Bösen und durch die unverbrüchliche Erfüllung seiner Pflichten sich bemühen würde, die begangenen Fehltritte wieder gutzumachen und die üble Meinung zu vertilgen, welche man von ihm gefaßt haben möchte.
Auf diese Versicherung hin entließ ihn der Wali aus dem Gefängnisse und führte ihn vor den Diwan; denn er wagte es doch nicht auf sich zu nehmen, seine Ketten zu brechen.
Als der Wali so in den Saal trat, warf er sich mit dem Antlitze auf die Erde und führte sodann den Achmed Komakom herein, der mit seinen Ketten rasselte, indem er vortrat.
»Wie, Elender,« redete der Kalif ihn mit Unwillen an, »du atmest noch?«
»Herr,« antwortete Komakom, »das Leben des Unglücklichen scheint sich mit seinen Leiden zu verlängern.«
»Emir Chaled,« rief der Kalif aus, »warum hast du mir diesen Verbrecher vorgeführt?«
»Unumschränkter Beherrscher der Gläubigen,« antwortete der Wali, »seine arme Mutter, die aller Hilfe beraubt ist und nur noch ihre Hoffnung auf ihn hat, flehet Euer Majestät an, diesem Unglücklichen, der seine Vergehungen bereut, die Ketten abzunehmen und ihn in die Stelle wieder einzusetzen, welche er vor seinem Falle einnahm.«
»Bereuet er aufrichtig sein vergangenes Leben?« fragte der Kalif.
»Unumschränkter Beherrscher der Welt,« antwortete Komakom, »Gott ist Zeuge von der Aufrichtigkeit meiner Reue und von dem Verlangen, welches ich fühle, das begangene Böse wieder gutzumachen.«
Der Kalif, bei seiner natürlichen Güte von dem Schicksale der Mutter des Elenden gerührt, ließ einen Schmied kommen, um seine Ketten zu zerbrechen. Nicht damit zufrieden, ihm die Freiheit wiederzugeben, ließ er ihn mit einem Kaftan bekleiden und setzte ihn wieder in sein voriges Amt ein, indem er ihm einschärfte, sich künftighin besser aufzuführen und niemals vom Pfade des Rechts und der Billigkeit abzuweichen.
Achmed Komakom, außer sich vor Freuden, warf sich vor dem Kalifen nieder und bat Gott, ihm eine lange und glückliche Regierung zu verleihen.
Man ließ alsbald in Bagdad ausrufen, daß Achmed Komakom in sein voriges Amt wieder eingesetzt wäre.
Es waren schon einige Tage seit der Loslassung Achmed Komakoms vergangen, als die Frau des Walis die Alte wiedersah und in sie drang, die ihr im Namen ihres Sohnes getanen Versprechungen zu erfüllen. Diese begab sich sogleich zu Komakom, der gerade beim Trunke saß, und stellte ihm sehr lebhaft die Verpflichtungen vor, welche er der Frau des Walis hätte, indem sie zu ihm sagte:
»Dieser Frau allein verdankst du deine Freiheit, und sie hat sich nur für dich verwendet, nachdem ich ihr die Zusicherung gegeben hatte, du würdest die gegenwärtig in Alaeddins Besitz befindliche Sklavin Jasmin entführen, um sie ihrem Sohne zu übergeben, der leidenschaftlich in sie verliebt ist.« Achmed Komakom versprach seiner Mutter diese Angelegenheit noch in der nächsten Nacht zu betreiben.
Diese Nacht war gerade die erste des Monats, und der Kalif hatte die Gewohnheit, sie bei seiner Gemahlin zuzubringen, nachdem er sie durch eine Handlung der Wohltätigkeit, wie die Freigebung eines Sklaven des einen oder des andern Geschlechts oder eines von seinen Wachen, geheiligt hatte. Der Kalif pflegte dabei, bevor er in Sobeïdens Zimmer trat, seinen königlichen Mantel, seinen Rosenkranz, das Reichssiegel und andere Kleinodien auf ein Sofa zu legen. Darunter war vor allem ein goldener Leuchter, mit drei großen Diamanten besetzt, welchen er sehr lieb hatte. Diesen Abend hatte er sich, nachdem er jene Dinge unter der Obhut seiner Wachen zurückgelassen hatte, schon bei guter Zeit in die Zimmer der Sultanin Sobeïde begeben.
Achmed Komakom wartete, bis die Nacht sich dicht verschleiert und das Gestirn des Kanepus allmählich seinen Glanz verloren hatte, und benutzte den Augenblick, wo alle Sterblichen in dem süßen Schlafe versunken lagen und Gott allein der Zeuge seiner Handlungen sein konnte. Er zog seinen Säbel und näherte sich dem Teile des Palastes, wo die Zimmer des Kalifen waren. Nachdem er eine Leiter an die Wand gesetzt hatte, stieg er über das Zimmer hinauf, und als es ihm hier gelungen war, einige Bretter des Bodens aufzuheben, sah er, daß die Wachen eingeschlafen waren, und ließ sich leise hinab. Nachdem er die Wachen ein schlafmachendes Pulver hatte einatmen lassen, bemächtigte er sich des Königsmantels, des Rosenkranzes, des Schnupftuchs, des Reichssiegels und des goldenen mit Diamanten besetzten Leuchters. Er schlüpfte ebenso glücklich hinaus, als er hereingekommen war, und begab sich geradeswegs nach dem Palast Alaeddin Abulschamats.
Alaeddin schlief eben diese Nacht neben seiner geliebten Jasmin. Achmed Komakom schlich sich heimlich in sein Schlafgemach, hob hier eine der Marmortafeln des Fußbodens auf, machte ein Loch darunter und legte die bei dem Kalifen entwendeten Sachen hinein, nachdem er sie in ein Tuch gewickelt hatte. Nur den goldenen mit Diamanten besetzten Leuchter behielt er für sich. Nachdem er die Marmorplatte wieder eingesetzt, so wie er sie gefunden hatte, gelang es ihm zu entschlüpfen, ohne daß jemand ihn bemerkte.
Hierauf begab sich Komakom nach dem Hause des Walis. Unterwegs betrachtete er den Leuchter und sprach bei sich selber: »Wenn ich mir beim Trunke gütlich tue, will ich diesen Leuchter vor mir hinstellen, so werde ich die Flüssigkeit in meinem Glase von dem vollen Glanze des Goldes und der Edelsteine, womit er besetzt ist, funkeln sehen.«
Um folgenden Morgen fand der Kalif seine Wachen durch die Wirkung des Pulvers, welches Achmed Komakom sie hatte einatmen lassen, fest eingeschlafen. Er weckte sie auf und wollte seine Sachen wieder nehmen, die er auf das Sofa gelegt hatte. Er war erstaunt, nichts davon wiederzufinden, und geriet in einen furchtbaren Zorn. Nachdem er sich ganz in Not gekleidet hatte, um aller Augen seine Entrüstung zu zeigen, begab er sich in den Diwan und setzte sich auf seinen Thron, umgeben von allem Glanz seiner Macht.
Der Großwesir Giafar, als er bei seinem Eintritte die Entrüstung des Kalifen gewahrte, warf sich ehrfurchtsvoll mit dem Antlitz auf den Boden und sagte:
»Gott behüte Euer Majestät vor allem Übel und entferne von Euch alles, was Euch mißfallen und Euren Zorn erregen kann.«
»Wesir,« sprach der Kalif, »das Übel ist groß!«
»Was ist denn geschehen, Herr?« fragte Giafar.
Als nun der Kalif seinem Wesir den Vorgang, der seinen Zorn erregt hatte, erzählen wollte, trat der Wali in den Saal in Begleitung Achmed Komakoms.
»Emir Chaled,« redete der Fürst ihn an, »in welchem Zustande befindet Bagdad sich gegenwärtig?«
»Herr,« antwortete jener, »alles ist ruhig und in Frieden.«
»Das lügst du!« fuhr der Kalif fort.
»Unumschränkter Beherrscher der Gläubigen,« erwiderte demütig der Emir, indem er sich niederwarf, »dürfte ich Euer Majestät nach der Ursache der Entrüstung fragen, in welcher ich Euch sehe?«
Der Kalif erzählte ihm, was vorgegangen war, und fügte hinzu:
»Ich befehle dir, alles aufzubieten, mir diese Sachen wiederzuschaffen. Dein Leben haftet mir für die genaue Vollstreckung meines Befehls.«
»Herr,« antwortete der Wali, »bevor Ihr mein Urteil aussprechet, wäre es da nicht gerecht, den Achmed Komakom mit dem Tode zu bestrafen? Niemand sollte die Diebe und Spitzbuben besser kennen als derjenige, dem ihre Aufspürung und Verfolgung aufgetragen ist.«
Bei diesen Worten war Achmed Komakom vorgetreten und sagte zu dem Kalifen:
»Unumschränkter Beherrscher der Gläubigen, Ihr könnt den Emir Chaled von der Sorge entbinden, Euch die gestohlenen Sachen wiederzuschaffen. Ich übernehme diesen Auftrag, wobei ich Euch jedoch bitte, mir zwei Richter und Zeugen mitzugeben; denn derjenige, der einen solchen Frevel verübt hat, fürchtet ohne Zweifel nicht Eure Macht und noch weniger die des Walis oder jedes andern.«
Der Kalif bewilligte Komakoms Bitte und befahl, daß man bei der anzustellenden Nachforschung damit anfange, seinen eigenen Palast zu durchsuchen, sodann den des Großwesirs und die der Mitglieder des hohen Rats der Sechzig. Als Achmed Komakom die Bemerkung machte, daß der Dieb vielleicht die Ehre hätte, oft der Person des Kalifen zu nahen, so schwor der Fürst bei seinem Haupte, daß der Schuldige sterben sollte, und wenn er sein eigener Sohn wäre.
Achmed Komakom gebrauchte diese Vorsicht, sich mit dem ausdrücklichen Befehl des Kalifen zu versehen, um ohne Hindernis in alle Häuser einzudringen und sie durchsuchen zu können. Mit einem großen, unten mit Eisen beschlagenen Stocke bewaffnet, begann er seine Untersuchung mit den Palästen der Mitglieder des hohen Rats der Sechzig und des Großwesirs Giafar. Hierauf durchlief er die Häuser der Anführer der Leibwache des Kalifen und der vornehmsten Herren des Hofes und begab sich endlich auch in den Palast Alaeddins Abdulschamat.
Alaeddin, der in dem Zimmer seiner Frau war, hörte einen großen Lärm auf der Straße, stieg alsbald hinab, öffnete die Türe und erblickte den Wali in Begleitung all seiner Leute.
»Was gibt es denn Neues, Herr Chaled?« fragte er ihn angelegentlich.
Als der Wali ihm seinen Auftrag bekanntgemacht hatte, sagte Alaeddin zu ihm:
»Ihr könnt hereintreten und in meinem Hause alle Euch gut dünkenden Untersuchungen vornehmen.«
»Ich bitte Euch tausendmal um Entschuldigung, Herr,« sagte der Wali etwas verlegen; »Ihr seid über allen Verdacht erhaben, und Gott verhüte, daß ein Mann wie Ihr sich solcher Treulosigkeit und Verräterei schuldig machen könnte!«
»Richtet Euren Auftrag aus,« erwiderte Alaeddin; »keine Rücksicht kann Euch davon entbinden.«
Der Wali, die Richter und die Zeugen traten also in Alaeddins Haus unter Anführung Komakoms, der ihre Untersuchung nach dem Zimmer leitete, in welches er in jener Nacht sich eingeschlichen hatte. Als er sich der Marmorplatte näherte, unter welcher er die von ihm selber entwendeten Sachen verscharrt hatte, ließ er absichtlich seinen eisenbeschlagenen Stock darauf niederfallen, so daß sie in Stücke zersprang. Als nun der Emir Chaled etwas Glänzendes darunter erblickte, rief er aus:
»Der Himmel selber hat unsere Schritte nach dieser Stelle geleitet; denn wir entdecken hier einen Schatz, der Euch gehört: kommet näher und sehet, worin er besteht.«
Alle Leute des Walis hatten sich um ihn versammelt, und als man die entwendeten Sachen erkannt hatte, wurde eine Verhandlung darüber aufgesetzt, welche besagte, daß diese Sachen in dem Hause Alaeddins Abulschamat verscharrt gefunden wären. Die Leute des Walis fielen hierauf über Alaeddin her, rissen ihm den Turban ab, und nachdem sie ihm die Hände auf den Rücken gebunden hatten, versiegelten sie alle seine Sachen.
Achmed Komakom verlor nicht das eigentliche Ziel seiner Unternehmung aus den Augen. Er stieg schleunig nach dem Zimmer der schönen Jasmin hinauf, entführte sie daraus mit Gewalt, obwohl sie schwanger war, und brachte sie zu seiner Mutter, der er befahl, sie auf der Stelle den Händen Chatums, der Frau des Walis, zu überliefern: was auch sogleich ausgeführt wurde.
Als Habdalum Besasa diejenige erblickte, in die er so sterblich verliebt war, fühlte er seine Kräfte sich herstellen und ließ die lebhafteste Freude blicken. Er wollte sich ihr nahen, um ihr sein Vergnügen über ihren Anblick kundzugeben; aber Jasmin, voll Unwillen, sagte zu ihm, wenn er sich nicht auf der Stelle entfernte, so stände sie nicht für die Folgen, welche sein Anblick ihr einflößte.
»Ich würde mich eher töten,« rief sie aus, »als einem solchen Ungeheuer angehören, wie du bist!«
»Schöne Jasmin,« sagte Habdalum am ganzen Leibe zitternd, »ich flehe Euch an, unternehmt nichts gegen ein Leben, das mir so teuer ist.«
Die Frau des Walis wollte auch die heftige Bewegung, worin sie Jasmin sah, besänftigen und sagte zu ihr mit Freundlichkeit:
»Duldet, schöne Sklavin, daß mein Sohn Euch ganz seine glühende Leidenschaft zu erkennen gebe, welche Ihr ihm eingeflößt habt; er kann nicht mehr leben ohne Euch.«
»Elender,« rief Jasmin aus, »kann ich denn zugleich zweien Herren gehören? Und seit wann durften die Hunde ungestraft die Wohnung des Löwen betreten?«
Habdalum Besasa sank vor Verzweiflung auf ein Sofa nieder und ließ mehr als jemals für sein Leben fürchten. Bei diesem Anblicke ging die Frau des Wali wutschnaubend auf die Sklavin los und sagte zu ihr:
»Elende, du willst mich also meines Sohnes berauben? Aber du sollst dich nicht lange meiner Langmut erfreuen: bald wird dein Alaeddin sein Leben schmachvoll an einem Galgen beschließen.«
»Wohlan,« rief Jasmin aus, »ich werde mich glücklich schätzen, ihm meine Liebe zu beweisen, indem ich ihm ins Grab Nachfolge.«
Chatun, bei diesen Worten vor Wut fast erstickend, warf sich über Jasmin her, riß ihr ihre reichen Kleider, Putz und Schmuck vom Leibe und ließ sie mit einem härenen Hemde und einem Rocke von grobem Tuche bekleiden. Sie verurteilte sie zum Küchendienst und versetzte sie unter ihre niedrigsten Sklavinnen und kündigte ihr an, daß fortan ihre Verrichtung wäre, Holz zu spalten, Zwiebeln und Hülsenfrüchte auszulesen und Feuer unter dem Kochtopf zu machen.
Jasmin antwortete ganz ruhig, daß sie auch die niedrigsten Verrichtungen und die härtesten Arbeiten immerdar dem verhaßten Anblick ihres Sohnes vorziehen würde.
Die Sklavinnen, deren Genossin die schöne Jasmin geworden, waren nicht unempfindlich bei ihrem Schicksale. Ihre Sanftmut, ihre Geduld und ihre Ergebung rührten ihr Herz dermaßen, daß sie miteinander wetteiferten, ihr den harten Dienst zu erleichtern, zu welchem sie verurteilt war.
Unterdessen führten der Wali und seine Leute, mit den entwendeten Sachen beladen, den unglücklichen Alaeddin Abulschamat hinweg und brachten ihn in den Diwan, wo der Kalif, von seinem ganzen Hofstaat umgeben, auf dem Throne saß.
Als der Wali ihm seinen Königsmantel und die übrigen Kleinodien darbrachte, fragte der Fürst ihn, wo sie dieselben gefunden hätten.
»Bei Alaeddin Abulschamat,« antwortete der Wali.
Der erzürnte Kalif, der das Päckchen geöffnet und seinen goldenen mit Edelsteinen besetzten Leuchter nicht gefunden hatte, warf bei diesen Worten einen grimmigen Blick auf Alaeddin und sprach zu ihm:
»Elender, wo ist mein Leuchter?«
»Herr,« antwortete Alaeddin mit Festigkeit, »ich kann heilig versichern, daß ich niemals die Sachen berührt habe, deren Entwendung man mich anklagt, und daß es mir also unmöglich ist, Euch Auskunft über irgend etwas davon zu geben.«
»Verräter,« sagte der Kalif zu ihm, »das also ist der Lohn für die Gunstbezeigungen, womit ich dich überhäuft habe? Ich hatte dir mein ganzes Vertrauen geschenkt, und du hast mich verraten!«
Der Kalif befahl hierauf dem Wali, Alaeddin aufknüpfen zu lassen und ihn auf der Stelle zur Hinrichtung abzuführen.
Der Wali und seine Leute führten Alaeddin ab und gingen mit ihm nach dem Richtplatze, voran ein Ausrufer, welcher in allen Straßen, durch welche sie zogen, folgendes kund machte:
»Sehet hier den Lohn derjenigen, die es wagen, die Kalifen aus dem Hause der Abassiden zu verraten!«
Alles Volk Bagdads drängte sich nach dem Platze, wo die Hinrichtung vor sich gehen sollte.
Unterdessen saß Achmed Aldanaf, der Alaeddin wie seinen Sohn liebte, ohne zu wissen, was vorging, ruhig in einem seiner Gärten, als einer der Schenkdiener des Diwans außer Atem ankam und ihm zurief:
»Herr, während Ihr hier ruhig sitzet, hat sich ein Abgrund unter den Füßen Eures besten Freundes aufgetan.«
»Was gibt es denn Neues?« fragte Achmed Aldanaf.
»In diesem Augenblicke wird Alaeddin zum Galgen geführt,« antwortete der Schenkdiener.
Nachdem Achmed sich nach dem ihm angeschuldigten Verbrechen erkundigt hatte, wandte er sich zu seinem Freunde, dem Hauptmann Hassan Schuman, und fragte ihn voll Unruhe, was er von diesem Handel hielte.
»Herr,« antwortete dieser, »ich will auf meinen Kopf wetten, daß Alaeddin unschuldig und daß dies alles nur eine teuflische List seiner Feinde ist, um ihn zu stürzen. Es ist kein Augenblick zu verlieren, um ihn zu retten; ich gehe, wenn Ihr wollt, Euch ein Mittel dazu zu verschaffen.«
In der Tat begab Hassan Schuman sich sogleich nach dem Gefängnisse und befahl dem Kerkermeister, ihm auf der Stelle einen der zum Tode verurteilten und seinem Gewahrsam anvertrauten Verbrecher zu überantworten. Glücklicherweise hatte der Verbrecher, welchen der Kerkermeister ihm übergab, einige Ähnlichkeit mit Alaeddin. Nachdem Achmed Aldanaf ihm den Kopf mit einem Schleier bedeckt hatte, nahm er ihn zwischen sich und einen seiner Wachen namens Ali Alsib ak Almisri und begab sich eiligst nach dem Platze, wo Alaeddin sollte hingerichtet werden. Er drängte sich durch die Menge und trat ungestüm dicht zu dem Henker hin.
»Herr,« sagte dieser zu ihm, »tretet ein wenig zurück und lasset mir Raum, mein Amt zu verrichten.«
»Elender,« sagte Achmed Aldanaf, »nimm den Verurteilten, den ich dir bringe, und richte ihn hin anstatt Alaeddin Abulschamats, der an dem ihm aufgebürdeten Verbrechen unschuldig ist. Bedenke, daß Isaak durch einen Widder ausgelöst wurde.«
Der Henker wagte nichts einzuwenden, bemächtigte sich des Menschen, den man ihm brachte, und knüpfte ihn anstatt Alaeddins auf.
Achmed Aldanaf und Ali Alsib ak Almisri führten Alaeddin mit sich hinweg, und nachdem sie unerkannt durch die Menge gekommen waren, gelangten sie glücklich nach dem Hause des ersteren. Als Alaeddin seinem Retter seine innige Dankbarkeit bezeigte, unterbrach ihn dieser und warf ihm heftig vor, eine so niedrige Handlung begangen zu haben. Alaeddin beteuerte ihm, er wäre unschuldig an dem ihm aufgebürdeten Diebstahle und wüßte nicht, wie diese bei ihm gefundenen Sachen dort verborgen worden.
»Verzeihet meine Heftigkeit,« sagte hierauf Achmed, »nur die Unruhe, in welche Eure Gefahr mich versetzt, hat mir Euer und meiner so unwürdige Vorwürfe eingeben können. Ich hatte gleich anfangs wohl gedacht, daß dieses alles nichts als eine abscheuliche Arglist, eine Anstiftung des Hasses und der Verworfenheit ist. Möge der Urheber dieser Treulosigkeit noch dereinst bestraft werden, wie er es verdient! Wie dem aber nun auch sei, mein lieber Alaeddin, so könnt Ihr vor der Hand doch nicht in Bagdad bleiben; denn die Könige widerrufen nicht gern das Urteil, welches sie einmal ausgesprochen haben, und es ist fast unmöglich, daß derjenige, dem sie nachtrachten, ihnen entgehe. Ich habe die Absicht, Euch nach Alexandrien zu führen: das ist ein sicherer und zugänglicher Ort, wo Ihr Euch leichtlich verbergen könnet.«
»Ich bin bereit, Euch zu folgen,« antwortete ihm Alaeddin, »und überlasse mich Euch gänzlich, ein Leben zu erhalten, welches Ihr soeben gerettet habt.«
Achmed Aldanaf wandte sich hierauf zu Hassan Schuman und sagte:
»Wenn der Kalif nach mir fragt, so antwortet ihm, ich sei abgegangen, um die Provinzen zu bereisen.«
Achmed Aldanaf und Alaeddin verließen noch denselben Augenblick Bagdad. In einiger Entfernung von der Stadt begegneten sie zween Juden, den Einnehmern des Kalifen in dieser Provinz, jeder auf einem Maultiere reitend. Achmed Aldanaf forderte ihnen im befehlshaberischen Tone die Einnahme ab, welche sie erhoben hätten. Sie weigerten sich anfangs, sie ihm zu geben; als er ihnen aber gesagt, er wäre der Obereinnehmer der Provinz, beeilten sie sich, ihm jeder hundert Goldstücke zu geben.
Achmed Aldanaf fürchtete jedoch, daß der Bericht, welchen die beiden Juden hiervon machen könnten, seine und Alaeddins Sicherheit gefährdete, und glaubte ihnen nicht das Leben lassen zu dürfen: er bemächtigte sich ihrer beiden Maultiere, bestieg das eine und gab das andere Alaeddin.
So gelangten sie nach dem Orte, wo sie sich einschiffen sollten, und brachten dort die Nacht in einer Karawanserei zu. Am folgenden Morgen verkaufte Alaeddin sein Maultier, und nachdem Achmed Aldanaf das seine dem Türhüter ihrer Nachtherberge anvertraut hatte, begaben sich beide nach dem Hafen Aïasse und bestiegen ein Schiff, das nach Alexandrien segelte, wo sie in kurzer Zeit anlangten.
Indem sie die Straßen dieser Stadt durchwanderten, hörten sie einen Ausrufer einen kleinen Laden an der Straße mit einem dazu gehörigen Warenlager ausbieten. Das letzte Gebot war gerade neunhundertfünfzig Drachmen. Alaeddin bot tausend, und der Handel wurde sogleich geschlossen; denn dieser Laden gehörte dem öffentlichen Schatze.
Als Alaeddin die Schlüssel des Ladens empfangen hatte, öffnete er ihn sogleich und war sehr zufrieden, als er ihn vollständig mit Gerät versehen sah. In dem Warenlager fand er alle Arten von Waffenstücken, Schilde, Säbel, Schwerter, Schiffsbemastung, Segel, Ballen von Hanftuch, Anker, Tauwerk, Felleisen, Säcke voll Muscheln und Steine, die zur Ausschmückung des Reitzeuges dienen, Steigbügel, Waffenkolben, Messer, Scheren und andere derlei Dinge; denn der verstorbene Inhaber des Ladens war seines Gewerbes ein Trödler gewesen.
Als Alaeddin den Laden und das Warenlager in Besitz genommen hatte, riet Achmed Aldanaf ihm, sich mit dem Handel zu beschäftigen und sich in den Willen Gottes zu ergeben. Nachdem er noch drei Tage bei Alaeddin geblieben war, nahm er am vierten Tage Abschied von ihm, um nach Bagdad zurückzukehren, und empfahl ihm, in diesem Laden zu bleiben, bis er wieder zu ihm käme, um ihm Nachricht und sicheres Geleit vom Kalifen zu bringen.
Er versprach ihm zu gleicher Zeit, sich Tag und Nacht damit zu beschäftigen, denjenigen zu entdecken, der ihm einen so treulosen Streich gespielt hatte. Und nachdem er ihm nochmals Lebewohl gesagt, schiffte er sich nach Aïasse ein, wo er mit günstigem Winde in kurzer Zeit wieder anlangte.
Achmed Aldanaf bestieg hier sein Maultier, begab sich eiligst nach Bagdad und kam wieder zu Hassan Schuman und seiner Abteilung der Leibwache. Da er häufig genötigt war, die entferntesten Provinzen des Reichs zu bereisen, so war der Kalif über seine Abwesenheit nicht verwundert gewesen. Er nahm jetzt seinen gewöhnlichen Dienst wieder ein und beschäftigte sich unablässig mit Nachforschungen, welche dazu führen konnten, den Urheber des Diebstahls zu entdecken und ihn in den Stand zu setzen, die Unschuld seines geliebten Alaeddin zu beweisen.
Aber wir müssen jetzt einen Augenblick zu dem Kalifen zurückkehren.
Als dieser Fürst sich am Tage der Hinrichtung Alaeddins mit Giafar allein befand, sagte er zu diesem Minister:
»Was sagst du, Wesir, zu der Tat Alaeddins? Ist es möglich, so viel Niederträchtigkeit und Treulosigkeit zu hegen?«
»Herr,« antwortete Giafar, »Ihr habt ihn bestraft, wie er es verdient, und Euer Majestät muß nicht mehr an den Elenden denken.«
»Gleichwohl,« sagte der Kalif, »hätte ich noch Lust, ihn am Galgen hangen zu sehen.«
Der Kalif begab sich also mit seinem Wesir nach dem Hinrichtungsplatze. Als er hier die Augen aufhob nach dem soeben Gehenkten, kam es ihm vor, als wenn das nicht Alaeddin wäre. »Wesir,« rief er aus, »was will das sagen? Der da ist nimmermehr Alaeddin.«
»Warum denn nicht, Herr?« fragte Giafar.
»Alaeddin war klein,« erwiderte der Kalif, »und der, den ich dort sehe, ist sehr groß.«
»Herr,« antwortete Giafar, »der Leib der Gehenkten verlängert sich immer etwas.«
»Aber,« fuhr der Kalif fort, »Alaeddin hatte eine sehr weiße Haut, und das Gesicht dieses Menschen ist ganz schwarz.«
»Unumschränkter Beherrscher der Gläubigen,« versetzte Giafar, »Ihr wißt wohl, daß der Tod die Menschen entstellt und den Leichen eine bleiche und schwärzliche Farbe gibt.«
Ungeachtet aller dieser Erklärungsgründe seines Wesirs befahl der Kalif dennoch, den Leichnam vom Galgen zu nehmen: man untersuchte ihn und fand auf seiner Brust die Namen der beiden Scheichs geschrieben.
»Wie nun, Wesir!« sagte der Kalif, »beharrest du noch in deiner Meinung? Du weißt, Alaeddin war Sunnit, und dieser Elende, wie du siehst, war ein Anhänger Alis.«
»Gott allein,« rief der Wesir aus, »weiß, was verborgen ist, und ich sehe wohl, daß es sehr schwer zu entscheiden ist, ob dieses der Leichnam Alaeddins oder eines andern ist.«
Nachdem der Kalif befohlen, der Leiche die letzte Pflicht zu erweisen, kehrte er in seinen Palast zurück: und die Sorge für die Angelegenheiten des Reichs verlöschte bald in seinem Herzen das Andenken Alaeddins. Wir wollen also Zusehen, was im Hause des Walis vorging.
Habdalum Besasa hatte keinen Gewinn von dem Verbrechen, welches die Sklavin Alaeddins in seine Gewalt gebracht hatte. Die Liebe und die Verzweiflung, seine Leidenschaft so wenig erwidert zu sehen, brachten ihn binnen kurzer Zeit ins Grab.
Die unglückliche Jasmin, als sie das Ziel ihrer Schwangerschaft erreicht hatte, gebar sie einen Knaben, so schön wie der Tag. Als ihre Genossinnen sie fragten, welchen Namen sie ihm geben wollte, antwortete sie: »Ach, wenn sein Vater noch lebte, würde er selber ihn benamen; weil er aber nicht mehr ist, so soll dieses teuere Kind Aslan heißen.«
Jasmin säugte selber den kleinen Aslan und spänte ihn nicht eher als nach Verlaufe von dritthalb Jahren, wo er sich schon auf seinen kleinen Händen umherschob und selbst schon anfing, ganz allein zu gehen.
Eines Tages, als Jasmin wie gewöhnlich in der Küche beschäftigt war, bemerkte der kleine Aslan, der überall umherkletterte, die Treppe, welche nach dem Saale führte, fing an, die Stufen, so gut er konnte, hinaufzusteigen, und kam so dahin, wo der Emir Chaled saß.
Der Wesir, verwundert über die Schönheit des Knaben und von seiner Anmut hingerissen, hob ihn aus und setzte ihn auf seine Kniee. Indem er aufmerksam seine Züge betrachtete, war er erstaunt über seine Ähnlichkeit mit Alaeddin Abulschamat.
Jasmin, beunruhigt, als sie ihren Sohn nicht um sich sah, suchte ihn anfangs in der Küche und aus den Höfen; da sie ihn aber nirgends fand, stieg sie auch hinauf zu dem Saal und war höchst verwundert, als sie beim Eintritte sah, wie der Emir Chaled ihn aus seinen Knieen hielt und sich ergötzte, mit ihm zu spielen, Als das Kind seine Mutter erblickte, wollte er zu ihr hinauf, aber der Wali hielt ihn fest in seinen Armen und fragte Jasmin, wem er angehörte.
»Es ist mein Sohn, Herr,« antwortete Jasmin zitternd.
»Wer ist denn sein Vater?« fuhr der Wali lebhaft fort.
»Es ist der unglückliche Alaeddin Abulschamat,« antwortete Jasmin. »Jetzt hat dieses Kind keinen andern Vater und keinen andern Beschützer als Euch.«
»Wie,« sagte der Wali, »ich sollte mich des Sohnes eines Verräters annehmen?«
»Ach, Herr,« rief Jasmin aus, »lernet besser meinen seligen Herrn und Gemahl kennen: Alaeddin war kein Verräter; er war einer der treuesten und eifrigsten Diener des Kalifen und dachte nie daran, das Vertrauen seines Herrn zu mißbrauchen.«
Der Wali, gerührt von dem Schicksale dieses Kindes, fühlte, daß seine beim ersten Anblicke für dasselbe gefaßte Liebe zunahm, und sagte zu der Mutter: »Wenn dein Sohn größer wird und dich fragt, wer sein Vater ist. so sag' ihm, es ist der Emir Chaled, Wali von Bagdad.«
Jasmin, hocherfreut über diese Worte, erzog ihren Sohn mit der größten Sorgfalt. Als er sieben Jahre alt war, ließ der Wali ihn beschneiden und gab ihm die geschicktesten Lehrmeister, welche sich um die Wette bemühten, seinen Geist auszubilden und ihn auf eine Weise zu unterrichten, wie sie dem Sohn eines der ersten Emire am Hofe des Kalifen gemäß war. Der Mali behielt sich selber vor, ihn im Reiten und Fechten zu unterweisen; und allemal, wenn er seine Soldaten künstliche Bewegungen machen ließ, nahm er ihn mit sich und bildete ihn so für alle kriegerische Übungen.
Im Alter von achtzehn Jahren war der junge Aslan ein vollkommener Ritter. Bei den vornehmsten Herren des Hofes, die ihn für den Sohn des Emirs Chaled ansahen und von seinem edlen und vornehmen Wesen eingenommen waren, fand er die schmeichelhafteste Aufnahme. Achmed Komakom war nicht der letzte, ihm den Hof zu machen; er wußte dermaßen sich in seine Gunst zu setzen, daß beide unzertrennlich wurden.
Eines Tages, als sie beisammen in der Schenke saßen, zog Achmed Komakom aus seinem Busen den goldenen mit Edelsteinen besetzten Leuchter, welchen der Kalif so sehr vermißt hatte; er stellte ihn vor sich hin, setzte sein Glas davor und ergötzte sich, den Glanz des Goldes und der Diamanten durch das Getränk blinken zu sehen. Er wiederholte diese Belustigung mehrmals, trank so mehrere Gläser aus und berauschte sich.
Aslan, selber von dem Anblicke eines so kostbaren Kleinods gereizt, bat Komakom, ihm ein Geschenk damit zu machen.
»Das ist mir unmöglich,« sagte darauf Komakom.
»Unmöglich? Warum denn das?« fragte Aslan neugierig.
»Ich kann ihn Euch nicht geben,« antwortete Achmed, »denn er ist schon Ursache an dem Tode eines Menschen gewesen.«
»Welches Menschen denn?« fuhr Aslan verwundert fort.
»Eines Fremdlings, der in dieses Land gekommen und von dem Kalifen zum hohen Range des Oberhauptes des hohen Rats der Sechzig erhoben war. Er nannte sich Alaeddin Abulschamat.«
»Aber wie ist dieser Leuchter Ursache an dem Tode dieses Menschen gewesen?« –
»Ihr hattet einen Bruder,« sagte nun Achmed Komakom mit leiser Stimme, »namens Habdalum Besasa. Als er in dem Alter war, zu heiraten, wollte Euer Vater, der Emir Chaled, ihm eine Sklavin kaufen ...« Und hieraus erzählte Achmed Komakom dem Aslan alles, was in Betreff der Sklavin Jasmin vorgegangen war, die unselige Leidenschaft des Habdalum Besasa, den Diebstahl bei dem Kalifen, die Hinterlegung der gestohlnen Sachen in dem Hause Alaeddins und die Hinrichtung des letzteren.
Aslan, äußerst erstaunt über diese Erzählung, fing an, die Wahrheit zu argwöhnen, und sagte bei sich selber: »Diese Sklavin Jasmin ist ebendieselbe, die mir das Leben gegeben hat, und mein Vater kann niemand anders sein als Alaeddin Abulschamat.«
Erfüllt von dieser Vorstellung, steht er unwillig auf und verläßt ungestüm den Achmed Komakom.
Indem er schleunig nach Hause zurückkehrte, begegnete er dem Hauptmann Achmed Aldanaf. Dieser, von der Haltung und dem Aussehen des Jünglings überrascht, stand still und sagte ganz laut:
»Mein Gott, wie gleicht er ihm!«
»Von wem redet Ihr denn?« fragte Hassan Schuman, der ihn begleitete. »Wer verursacht Euch eine solche Überraschung?«
»Dieser junge Mensch,« antwortete Achmed; »es ist unmöglich, mehr dem Alaeddin Abulschamat zu gleichen.«
Achmed Aldanaf näherte sich Aslan und bat ihn freundlich, ihm doch den Namen seines Vaters zu sagen.
»Mein Vater,« antwortete Aslan, »ist der Emir Chaled, Wali von Bagdad.«
»Und Eure Mutter,« fuhr Achmed Aldanaf fort, »wolltet Ihr nicht so gut sein und mir auch ihren Namen sagen?«
»Meine Mutter,« antwortete Aslan, »ist eine der Sklavinnen des Walis, namens Jasmin.«
»O Himmel,« rief Achmed aus, »Jasmin ist Eure Mutter? So wisset denn, wenn das ist, daß Euer Vater sicherlich Alaeddin Abulschamat ist. Übrigens, gehet hin zu Eurer Mutter und befraget sie selbst: sie wird Euch noch manches sagen, was Euch zu wissen nötig ist.«
Aslan, immer mehr und mehr erstaunt, ging hin zu seiner Mutter; und nachdem er sich allein mit ihr eingeschlossen hatte, bat er sie, ihm den Namen seines Vaters zu sagen.
»Dein Vater,« antwortete Jasmin mit Bewegung, »ist der Emir Chaled, Wali von Bagdad.«
»Nein, nein,« rief Aslan aus, »Ihr täuschet mich, es ist Alaeddin Abulschamat.«
Bei diesem mit Feuer ausgesprochenen Namen, der ihr so schmerzliche Erinnerungen hervorrief, zerschmolz Jasmin in Tränen und fragte ihren Sohn, wer ihm doch ein Geheimnis entdeckt hätte, welches sie so lange im Grunde ihres Herzens bewahrte.
»Das ist Achmed Aldanaf,« antwortete er. Und daraus erzählte er seiner Mutter alles, was soeben vorgegangen war.
»Mein Sohn,« sagte Jasmin, als Aslan seine Erzählung beendigt hatte, »die Wahrheit wird ohne Zweifel eines Tages ans Licht kommen und die Lüge gestürzt werden. Ja, mein geliebter Sohn, Alaeddin Abulschamat ist dein Vater, und der Emir Chaled, welcher dir bisher seine Stelle vertreten und dich mit so viel Sorgfalt hat erziehen lassen, ist nur dein Pflegevater.«
Aslan, über seine Abkunft gewiß, begab sich nun eilig zu Achmed Aldanaf. Er küßte ihm beim Eintritte die Hände und sagte zu ihm:
»Jasmin hat mir bestätigt, was Ihr mir zuerst verkündigt habt. Ihr Mund hat den Namen meines Vaters ausgesprochen, den Namen Alaeddin. Ich kenne die Anhänglichkeit, welche Ihr für ihn hattet, und ich komme, Euch zu bitten, daß Ihr mir seinen Tod rächen und seinen Mörder bestrafen helfet.«
»Wer ist sein Mörder?« fragte Achmed Aldanaf erstaunt.
»Es ist der verworfene Komakom,« antwortete Aslan.
»Wie denn, mein Sohn,« fuhr Aldanaf fort, »habt Ihr diese Entdeckung gemacht?«
»Ich habe,« sagte Aslan mit Heftigkeit, »ich habe in Komakoms Händen den goldenen mit Edelsteinen geschmückten Leuchter gesehen, welcher dem Kalifen gestohlen ist. Gereizt von dem Glanze dieses Kleinods, habe ich ihn darum gebeten, aber er hat ihn mir nicht geben wollen. »Dieser Leuchter,« sagte er, »hat schon jemand das Leben gekostet«, und er hat mir erzählt, auf welche Weise er ihn dem Kalifen nebst anderen Sachen gestohlen und sie in der Wohnung meines Vaters verscharrt hatte.«
»Mein Sohn,« sagte Achmed Aldanaf, »man muß bei diesem Handel mit Vorsicht zu Werke gehen und zuvörderst suchen, Euch dem Kalifen auf vorteilhafte Weise bekannt zu machen, ehe man ihm etwas entdeckt. Merket wohl, was ich Euch sage, wenn Ihr den Emir Chaled seine Amtskleidung anlegen und sich vollständig waffnen sehet, so bittet ihn, Euch ebenso kleiden zu lassen und Euch zu erlauben, ihn zu begleiten. Seid Ihr nun in Gegenwart des ganzen Hofes, so suchet Euch durch irgendeinen Zug der Tapferkeit oder durch sonst eine glänzende Handlung auszuzeichnen, welche Euch dem Kalifen bemerklich mache, wenn dieser Fürst nun zu Euch sagt: »Aslan, ich bin zufrieden mit dir; bitte dir eine Gnade von mir aus«, so flehet ihn an, Euch an dem Mörder Eures Vaters zu rächen. Getäuscht durch die allgemeine Meinung, wird er Euch antworten, daß Euer Vater ja noch wohlauf ist; dann aber unterrichtet ihn ohne Anstand, daß Ihr der Sohn Alaeddin Abulschamats seid und der Emir Chaled nur Euer Pflegevater ist, und erzählet ihm mit der größten Umständlichkeit Euer Abenteuer mit Achmed Komakom. Zum Beweise Eurer Aussage bittet ihn, auf der Stelle den Verbrecher durchsuchen zu lassen.
Aslan, mit diesen Verhaltungsregeln versehen, kehrte nach dem Hause des Emirs Chaled zurück; und als er ihn ganz gerüstet fand, um sich zur einer Musterung zu begeben, welche vor dem Kalifen gehalten werden sollte, bat er ihn, ihn ebenso kleiden zu lassen und mit zu der Musterung zu nehmen. Der Emir, der den jungen Aslan sehr liebte, als wenn er wirklich sein Sohn gewesen wäre, bewilligte gern seine Bitte.
Beide begaben sich auf eine Ebene außerhalb der Stadt, wo der Kalif Hütten und prächtige Gezelte hatte aufschlagen lassen. Der ganze Hof war hier versammelt und das Heer schon in Schlachtordnung aufgestellt.
Während der Musterung hielt Aslan sich beständig in der Nähe des Emirs Chaled. Nach einigen kriegerischen Übungen wollte man dem Fürsten das Schauspiel des Kolbenspieles geben. Es wurden Kugeln und Kolben gebracht, und mehrere Ritter begannen Beweise ihrer Geschicklichkeit abzulegen, indem sie sich gegenseitig die Kugeln zuschlugen.
Unter diesen Rittern befand sich ein heimlicher Abgesandter der Feinde des Kalifen, welcher in der Absicht gekommen war, ihn zu töten. Er ergriff eine Kugel und schlug sie aus allen seinen Kräften, indem er gerade auf das Antlitz des Fürsten zielte. Aslan, achtsam auf alles, was in der Nähe des Kalifen vorging, wandte den Wurf ab und schlug die Kugel mit solcher Gewalt auf den zurück, der sie ausgeschlagen hatte, daß er ihn mitten auf die Brust traf und ihn von seinem Rosse hinabstürzte.
Der Kalif erkannte die Gefahr, in welcher er geschwebt hatte, und sagte ganz laut:
»Gesegnet sei derjenige, dem ich das Leben verdanke!«
Das Spiel hörte sogleich auf; alle Offiziere stiegen vom Pferde, und als man Stühle gebracht hatte, befahl der Kalif, ihm den Verwegenen vorzuführen, der es gewagt, die Kugel auf ihn selber zu richten.
»Ritter,« sagte er zu ihm, »wer hat dich dazu verleitet, einen solchen Frevel zu verüben? Bist du Freund oder Feind?«
»Feind,« antwortete trotzig der Ritter, »und ich wollte dir ans Leben.«
»Weshalb?« fragte der Prinz. »Du bist also kein wahrer Muselmann?«
»Nein, nicht Muselmann, wie du es verstehst,« antwortete er; »aber ich rühme mich, ein Anhänger Alis zu sein.«
Bei diesen Worten befahl der Kalif, von Abscheu erfüllt, ihn auf der Stelle hinzurichten. Sodann wandte er sich zu Aslan und sagte: »Braver Jüngling, ich verdanke dir das Leben, erbitte dir von mir eine Gnade.«
»Unumschränkter Beherrscher der Gläubigen,« sagte Aslan, indem er sich ehrfurchtsvoll verneigte, »ich flehe Euch an, mich an dem Mörder meines Vaters zu rächen.«
»Aber da ist ja dein Vater,« erwiderte der Fürst, indem er aus den Emir Chaled zeigte, »und Gott sei Dank, er befindet sich wohl.«
»Ihr seid im Irrtume, Herr,« versetzte Aslan, »der Emir Chaled ist nur mein Pflegevater: ich bin der Sohn des unglücklichen Alaeddin Abulschamat.«
»Der Sohn eines Verräters!« sagte heftig der Kalif.
»Mein Vater,« antwortete Alaeddin, »war niemals ein Verräter, vielmehr der treueste und ergebenste Eurer Diener.«
»Hat er mir nicht meinen Mantel und meine kostbarsten Kleinodien gestohlen?« sagte der Kalif.
»Unumschränkter Beherrscher der Gläubigen,« sagte Aslan mit Selbstgefühl, »mein Vater war niemals ein Dieb. Ich bitte Euer Majestät, mir zu sagen, ob der goldene mit Edelsteinen geschmückte Leuchter sich unter den Kleinodien befand, welche man Euch wiederbrachte?«
»Ich habe ihn niemals wiedererlangen können,« antwortete der Kalif, verwundert über diese Frage.
»Wohlan, Herr,« fuhr Aslan fort, »ich habe diesen Leuchter in den Händen Achmed Komakoms gesehen. Ich habe ihn darum gebeten; aber er hat mir ihn nicht geben wollen. »Dieser Leuchter,« sagte er, »hat schon jemand das Leben gekostet.«
Hierauf erzählte nun Aslan dem Kalifen die Leidenschaft Habdalums, Lohns des Emirs Chaled, zu der jungen Sklavin Jasmin und seine Krankheit infolge derselben, auf welche Weise dann Achmed Komakom aus dem Gefängnisse gekommen, und wie er den königlichen Mantel, den goldenen Leuchter samt den übrigen Kleinodien gestohlen. »Herr,« fügte er hinzu, »ich beschwöre Euch also noch einmal bei allem, was heilig ist, mich an dem Meuchelmörder meines Vaters zu rächen!«
Der Kalif gab sogleich Befehl, den Achmed Komakom zu verhaften und ihm denselben vorzuführen. Als er diesen Verbrecher erblickte, wandte er sich zu seiner Leibwache und suchte Achmed Aldanaf mit den Augen. Da er ihn nicht sah, fertigte er jemand ab, ihn zu holen, und als er erschien, befahl er ihm, den Komakom zu durchsuchen.
Als Aldanaf mit der Hand in Komakoms Busen fuhr, zog er den goldenen mit Edelsteinen geschmückten Leuchter hervor. Bei diesem Anblicke rief der erzürnte Kalif aus: »Verräter, woher hast du dieses Kleinod?«
»Ich habe es gekauft,« antwortete Komakom mit frecher Stirne.
»Du bist ein Lügner,« sagte der Fürst mit Abscheu; »um Alaeddin Abulschamat, den treuesten meiner Diener, zugrunde zu richten, hast du einen solchen Frevel verübt.«
Der Kalif befahl sogleich, dem Komakom die Bastonade zu geben. Nach etlichen Streichen bekannte derselbe, er wäre der Urheber des Diebstahls, und wurde ins Gefängnis geworfen.
Der Kalif argwöhnte, daß der Emir Chaled mit Komakom im Einverständnisse wäre, und wollte auch ihn verhaften lassen.
»Unumschränkter Beherrscher der Gläubigen,« sagte der Wali, »ich bin unschuldig an dem Verbrechen, dessen Ihr mich in Verdacht habt: ich habe nur Euren Befehl vollzogen, als ich Alaeddin zum Tode führte, und ich schwöre Euch, daß ich keine Kenntnis von der gegen ihn angezettelten Verräterei habe. Achmed Komakom wird diese scheußliche List ersonnen haben, um sich der Sklavin Jasmin zu bemächtigen: aber ich habe durchaus keine Kenntnis davon.«
Der Wali wandte sich hierauf zu Aslan und sagte: »Wenn Ihr erkenntlich seid für die Liebe, welche ich Tuch bewiesen, und für die Sorgfalt, welche ich seit Eurer Kindheit bis auf diesen Tag für Euch gehegt habe, so kommt es Euch zu, sich für mich zu verwenden.«
Der Jüngling, gerührt von der Lage, worin er seinen Wohltäter sah, beeilte sich, die Gnade des Kalifen für ihn anzuflehen.
Der Fürst fragte, was aus Jasmin, der Mutter Aslans, geworden wäre. Als er vernahm, daß sie stets bei ihm geblieben, sagte er zu ihm:
»Befiehl deiner Gattin, sie dem Range gemäß, welchen ihr Gemahl einnahm, kleiden zu lassen und ihr auf der Stelle die Freiheit zu geben. Du selber geh hin und nimm die Siegel ab, welche du an Alaeddins Palast gelegt hast, und laß seinem Sohn all seine Habe und alle seine Reichtümer wiedergeben, welche er besaß.«
Der Wali vollzog pünktlich die Befehle des Kalifen. Er begab sich nach seinem Hause und gebot seiner Frau, Jasmin in Freiheit zu setzen und sie standesgemäß zu kleiden. Sodann ging er selber hin, die Siegel von allem Besitztume Alaeddins abzunehmen, und übergab alle Schlüssel des Palastes an Aslan.
Der Kalif, noch nicht zufrieden mit dieser Handlung der Gerechtigkeit, forderte Aslan nochmals auf, sich eine Gnade zu erbitten, welche er ihm auf der Stelle gewähren wollte.
Auf Aslans Antwort, daß er nur noch eins zu wünschen hätte, nämlich, seinen Vater wiederzusehen, sagte der Fürst mit Tränen in den Augen: »Ach, mein Sohn, dein Vater ist nicht mehr! Wie sehr wünschte ich selber, daß er noch am Leben wäre, und wie gern gewährte ich demjenigen, der mir diese gute Neuigkeit verkündigte, alles, was er von mir bäte!«
Bei diesen Worten hatte sich Achmed Aldanaf dem Kalifen zu Füßen geworfen und sagte:
»Unumschränkter Beherrscher der Gläubigen, darf ich ohne Furcht sprechen?«
»Du darfst es,« antwortete der Fürst.
»So wage ich, Eurer Majestät zu versichern, daß Alaeddin Abulschamat noch lebt und sich vollkommen wohl befindet.«
»Was sagst du?« rief der Kalif aus, indem er vor Erstaunen zurückfuhr.
»Herr,« fuhr Aldanaf fort, »ich schwöre bei Eurem geheiligten Haupte, daß ich die Wahrheit sage. Ich habe Alaeddin dem Tode entrissen, indem ich einen Verbrecher anstatt seiner hinrichten ließ, und ich habe ihn nach Alexandrien gebracht und ihm dort einen Laden gekauft.«
»Ich will ihn sehen,« sagte der Kalif entzückt vor Freuden, »eile sofort nach Alexandrien und führe ihn hierher.«
Achmed Aldanaf verneigte sich tief, indem er bezeugte, daß er bereit wäre zu gehorchen, und daß ihm kein angenehmerer Auftrag erteilt werden könnte. Der Fürst ließ ihm eine Börse mit tausend Goldstücken zustellen, und Achmed machte sich sogleich auf den Weg nach Alexandrien.
Alaeddin Abulschamat unterdessen beschäftigte sich damit, die mannigfaltigen Waren seines Ladens zu verkaufen. Er hatte schon eine große Menge davon angebracht, als er in einem ziemlich dunkeln Winkel einen kleinen Beutel von Leder bemerkte; er hob ihn aus, schüttelte ihn und sah einen kostbaren Stein herausfallen, der wohl so groß war, daß er die hohle Hand füllte, und an einer kleinen goldenen Kette hing. Dieser Stein hatte fünf Flächen, auf deren jeder Namen und magische Charaktere eingegraben waren, nicht unähnlich den Spuren, welche die Füße der Ameisen aus dem Sande zurücklassen. Alaeddin war überrascht, hier ein solches Kleinod zu finden, und erkannte bald, daß es ein Talisman wäre; aber er mochte die fünf Flächen reiben, so viel er wollte, kein Geist erschien zu seinen Befehlen. Verdrießlich, daß alle seine Versuche vergeblich waren, hängte er den Stein in seinem Laden auf und dachte über die Lage nach, in welcher er sich befand.
Ein fränkischer Konsul oder Handelsmann, der durch die Straße kam und das Kleinod bemerkte, welches Alaeddin ausgehängt hatte, näherte sich seinem Laden und fragte ihn, ob dieser Stein zu verkaufen wäre.
»Alles, was in meinem Laden ist, ist zu verkaufen, Herr,« antwortete Alaeddin.
»Wohlan,« sagte der Konsul, »ich biete Euch achtzigtausend Dukaten dafür.«
»Für diesen Preis ist er mir nicht feil.«
»Wollt Ihr hunderttausend dafür?«
»Ich nehme sie an,« sagte Alaeddin, von einem solchen Gebote verblendet.
»Gut verkaufen und richtig abliefern, ist alles, was ein Kaufmann tun kann: jetzt ist es an mir, Euch zu bezahlen.«
»Ich bin bereit, Euer Geld in Empfang zu nehmen,« antwortete Alaeddin.
»Ihr begreift wohl,« fuhr der Konsul fort, »daß ich Euch eine so große Summe nicht herbringen kann: Ihr wißt, daß die Stadt Alexandrien voll von Räubern und zügellosen Soldaten ist: wenn Ihr Euch aber mit mir nach meinem Schiffe bemühen wollt, so will ich Euch noch ein Stück Kamelot, ein Stück Seide, ein Stück Sammet und ein Stück Zeug nach Eurer Auswahl obenein in den Kauf geben.«
Alaeddin willigte in diesen Vorschlag, übergab den kostbaren Stein den Händen des Kaufmanns, schloß seinen Laden zu und vertraute die Schlüssel einem seiner Nachbarn mit der Bitte, sie ihm bis zu seiner Rückkehr aufzubewahren.
»Ich gehe,« sagte er, »mit dem Konsul nach seinem Schiffe, um den Preis eines Steins, welchen ich ihm verkauft habe, in Empfang zu nehmen. Wenn ich zufällig etwas länger ausbleiben und der Herr Achmed Aldanaf, der mich hierher gebracht und in diesen Laden eingesetzt hat, etwa während meiner Abwesenheit ankommen sollte, so bitte ich Euch, ihm die Schlüssel zu übergeben und ihn von der Ursache meines Ausganges zu unterrichten.«
Alaeddin folgte also dem Konsul nach seinem Schiffe. Sobald sie an Bord gekommen waren, setzte man ihnen Stühle hin; der Konsul ließ sein Geldkästchen bringen, nahm daraus die bedungene Summe und übergab sie Alaeddin, desgleichen die vier Stücke Zeug, welche er ihm versprochen hatte.
»Wollt Ihr nicht,« sagte er darauf, »mir das Vergnügen machen und einen Imbiß annehmen, um Euch zu erfrischen?«
»Ich würde gern eine Schale Sorbet annehmen, wenn Ihr welchen bei der Hand habt,« antwortete Alaeddin.
Der Konsul oder vielmehr der Schiffshauptmann, welcher sich als Kaufmann verkleidet hatte, um Alaeddin leichter zu betrügen, gab einem seiner Bedienten einen Wink, Sorbet zu bringen, er warf aber zuvor unvermerkt ein Schlafpulver hinein, dessen Wirkung Alaeddin auf der Stelle fühlte: denn er hatte nicht sobald die Tasse geleert, als er auf seinem Stuhle rücklings übersank.
Die Matrosen, die schon auf ihren Dienst abgerichtet waren, lichteten sogleich die Anker und spannten die Segel auf. Der Wind war ihnen günstig und brachte sie bald ins hohe Meer. Der Hauptmann hatte befohlen, Alaeddin vom Verdeck ins Schiff zu tragen, und ließ ihn hier ein Pulver einatmen, dessen Kraft die Wirkung des Schlafpulvers wieder aufhob.
Als Alaeddin die Augen ausschlug, fragte er mit Verwunderung, wo er wäre. Der Konsul, der sich in den Schiffshauptmann verwandelt hatte, antwortete ihm mit einem bittern Lächeln:
»Ihr seid gegenwärtig in meiner Gewalt.«
»Wer seid Ihr?« fragte Alaeddin.
»Ich bin der Hauptmann dieses Schiffes,« antwortete der Franke, »und ich bin ausdrücklich von Genua nach Alexandrien gekommen, um Euch zu entführen und Euch der Vielgeliebten meines Herzens zu bringen.«
Einige Tage darauf gewahrte man ein Kaufschiff mit vierzig Kaufleuten von Alexandrien. Der Hauptmann befahl sogleich, Jagd darauf zu machen. Als er es eingeholt, geentert und erobert hatte, ließ er es nachschleppen und setzte seine Fahrt nach Genua fort.
Ehe sie in den Hafen einliefen, ließ der Hauptmann sich ans Land setzen und ging allein nach einem Palaste, der am Ufer des Meeres lag. Eine junge Frau, die mit einem großen Schleier verhüllt war, so daß man ihre Züge unmöglich erkennen konnte, trat ihm entgegen und fragte ihn, ob er den kostbaren Stein brächte und auch den Besitzer desselben hergeführt hätte. Der Hauptmann meldete, daß er ihren Befehl glücklich ausgeführt hätte, und übergab ihren Händen den kostbaren Stein. Er kam sodann wieder aufs Schiff, welches siegprangend fröhlich in den Hafen einlief.
Als dem Könige des Landes die Ankunft des Schiffshauptmanns gemeldet wurde, begab er sich in Begleitung seiner Leibwache an Bord und fragte ihn, ob seine Reise glücklich abgelaufen wäre.
»Sehr glücklich,« antwortete der Hauptmann, »denn ich habe ein Kaufschiff erobert mit einundvierzig muselmännischen Kaufleuten.«
Der König befahl, sie ans Land zu setzen. Sie stiegen aus, je zwei aneinander gefesselt, durchzogen einen Teil der Stadt und wurden nach dem Diwan geführt. Der König folgte ihnen zu Pferde in Begleitung des Schiffshauptmanns und der vornehmsten Herren seines Hofes.
Als der König sich auf seinen Thron gesetzt und den Hauptmann zu seiner Rechten aus einem niedrigeren Stuhle hatte Platz nehmen lassen, befahl er, die unglücklichen Muselmänner vorzuführen, und fragte den ersten, der hervortrat, wer er wäre. Er hatte nicht sobald geantwortet, er wäre aus Alexandrien, als auf einen Wink des Fürsten der Scharfrichter ihm sogleich den Kopf von den Schultern fliegen ließ. Der zweite, der dritte und die folgenden bis zum vierzigsten hatten aus dieselbe Antwort alle dasselbe Schicksal.
Es war nur noch Alaeddin Abulschamat übrig, welcher, Zeuge dieses traurigen Schicksals seiner Gefährten, ihr gemeinsames Unglück beweinte und erwartete, daß die Reihe auch an ihn käme, indem er Gott anflehte, sich seiner zu erbarmen.
»Es ist um dich geschehen, armer Alaeddin!« sagte er bei sich selber; »in welcher unseligen Schlinge hast du dich fangen lassen!«
»Wo bist du her, Muselmann?« fragte der König ihn mit strengem Tone.
»Aus Alexandrien,« antwortete er.
»Scharfrichter, tue deine Pflicht!« rief der König. Schon hatte der Scharfrichter den Arm aufgehoben, um Alaeddin das Haupt abzuschlagen, als eine alte Nonne sich plötzlich an die Stufen des Thrones vordrängte und sich an den König wandte, welcher aufgestanden war, so wie die ganze Versammlung, aus Ehrerbietung.
»Herr,« hob sie an, »hatte ich Euch nicht gebeten, des Klosters zu gedenken, wenn der Schiffshauptmann etliche Gefangene mitbrächte, und davon einen oder zwei zum Dienste der Kirche zu bewahren?«
»Ihr kommt etwas spät, gute Mutter,« antwortete der König; »indessen hier ist noch einer übrig, der steht Euch zu Diensten.«
Die Nonne wandte sich zu Alaeddin und fragte ihn, ob er sich mit dem Kirchendienste befassen wollte, und fügte hinzu, wenn er sich dessen weigerte, so würde sie ihn hinrichten lassen wie seine Gefährten.
Alaeddin willigte ein, der Nonne zu folgen, welche mit ihm die Versammlung verließ und ihn sogleich nach dem Kloster führte.
Als sie im Vorhofe angelangt waren, fragte Alaeddin seine Führerin, welche Art Dienste sie von ihm forderte. »Mit Anbruche des Tages,« sagte sie, »nehmet Ihr fünf Maulesel, führet sie in den benachbarten Wald, und hier hauet und spaltet Ihr trockenes Holz, beladet sie damit und führet es in die Klosterküche. Sodann nehmet Ihr die Binsenmatten und Teppiche auf, klopfet und bürstet sie aus, und wenn Ihr den Fußboden der Kirche und die Marmorstufen des Altars gefegt und gebohnet habt, legt Ihr die Teppiche wieder an ihre vorige Stelle. Danach siebet Ihr zwei viertel Weizen, mahlet ihn, und wenn Ihr das Mehl geknetet habt, so backt Ihr daraus kleine Brote für die Mönche des Klosters; dann verleset Ihr vierundzwanzig Viertel Linsen und kochet sie; Ihr füllet die vier Becken voll von Wasser und ebenso die hundertundsechzig Steintröge, die im Hofe stehen. Wenn dieses getan ist, so reinigt Ihr die Gläser der Lampen, gießet diese voll Öl und versäumet ja nicht, sie bei dem ersten Glockenschlag anzuzünden; sodann bereitet Ihr dreihundertsechsundsechzig Näpfe, in welche Ihr die kleinen Brote schneidet, die Fleischbrühe mit Linsen daraus gießet und so jedem Mönche und jedem Priester des Klosters einen Napf bringet. Sodann ...«
»Ach, gute Frau,« rief Alaeddin aus, indem er sie unterbrach, »um Gottes willen, führet mich wieder zum Könige, damit er mich hinrichten lasse, wenn er will!«
»Beruhigt Euch,« sprach ihm die Nonne zu; »wenn Ihr pünktlich Eure Pflicht erfüllet, so verspreche ich Euch, daß alles gut gehen und es Euch nicht gereuen wird; wenn Ihr dagegen in Eurem Dienste nachlässig seid, so werde ich mich genötigt sehen, Euch wieder den Händen des Königs zu überliefern, der Euch auf der Stelle wird hinrichten lassen.«
Die Nonne verließ ihn mit diesen Worten, und Alaeddin setzte sich in einem Winkel nieder und dachte über seine traurige Lage nach.
Es befanden sich in diesem Kloster sechs arme blinde Krüppel. Einer von ihnen, der den Alaeddin gehen gehört hatte, bat ihn, ihm das Nachtgeschirr zu reichen. Und Alaeddin sah sich genötigt, ihm diesen Dienst zu leisten und das Geschirr dann wieder auszuleeren. »Gott segne,« sagte der Blinde, »den Diener dieses Klosters!«
Unterdessen war die alte Nonne zurückgekommen und fragte Alaeddin verdrießlich, warum er sich nicht all seiner Dienste entledigt hätte.
»Ei, gute Frau,« antwortete er, »und wenn ich hundert Arme hätte, so wäre es mir unmöglich, alles zu leisten, was man von mir fordert!«
»Warum denn, Ihr Schwächlinge, habe ich Euch hierher geführt? Geschah es nicht, um zu tun, was ich Euch befahl?«
Die alte Nonne besänftigte sich danach wieder etwas und sagte zu Alaeddin: »Mein Sohn, nehmet hier diesen Stab (es war ein Stab von Kupfer, an dessen Spitze ein Kreuz war); gehet damit aus dem Kloster, und wenn Ihr dem Wali dieser Stadt begegnet, so haltet ihn an und saget zu ihm: »Ich entbiete dich zum Dienste der Kirche: nimm diese fünf Maulesel und geh in den Wald, sie mit trockenem Holze zu beladen.« Wenn er sich weigert, so schlaget ihn auf der Stelle tot, ohne etwas zu fürchten. Wenn Ihr den Großwesir antrefft, so stoßet vor seinem Pferde mit diesem Stab auf den Boden und saget zu ihm:
»Ich fordere Euch auf im Namen des Messias, zu tun, was der Dienst der Kirche fordert!« So werdet Ihr den Wesir zwingen, das Korn zu sieben, es zu mahlen, das Mehl zu beuteln, es zu kneten und kleine Brote daraus zu backen. Und wer sich weigert, Euch zu gehorchen, tötet ihr auf der Stelle ohne Furcht; denn ich nehme alles auf mich.«
Alaeddin verfehlte nicht, gleich am folgenden Morgen die Weisung zu benutzen, welche die Alte ihm gegeben hatte. Keiner von allen, an die er sich wandte, wagte es, zu versagen, was er von ihnen forderte, und er sah sich dadurch der schwersten Arbeiten entlastet.
Auf solche Weise lebte er hier siebzehn Jahre lang, indem er nach seinem Belieben die Großen wie die kleinen zum Dienste des Klosters aufbot.
Eines Tages, als er beschäftigt war, den Fußboden der Kirche zu waschen und zu bohnen, trat die alte Nonne herein und befahl ihm ungestüm, sich zu entfernen.
»Wohin soll ich gehen?« fragte er sie.
»Mein Freund,« sagte die Alte, »Ihr müßt hinausgehen und die Nacht in einer Schenke oder bei einem Eurer Freunde zubringen.«
»Warum wollt Ihr denn,« versetzte Alaeddin, »daß ich die Kirche verlassen soll?«
»Weil,« antwortete die Alte, »die Tochter des Königs dieser Stadt heut abend hierher kommen will, ihr Gebet zu verrichten, und da es nicht erlaubt ist, daß sie jemand auf ihrem Wege antreffe, so sehe ich mich gezwungen, Euch für diese Nacht zu entlassen.«
Diese Rede erregte Alaeddins Neugierde, und indem er sich stellte, als gehorchte er dem Befehle der Nonne, sagte er bei sich selber:
»Ich werde mich wohl hüten, diese Kirche, in deren Diensten ich so lange gewesen bin, bei einem so wichtigen Ereignisse zu verlassen; ich will des Anblicks der Prinzessin genießen und sehen, ob die Frauen dieses Landes den unsern gleichen, oder ob sie dieselben an Schönheit übertreffen.«
Alaeddin suchte also, anstatt die Kirche zu verlassen, eine für seine Absicht bequeme Stelle und verbarg sich in einem Winkel, wo er alles gemächlich beobachten konnte.
Die Prinzessin säumte nicht, zu erscheinen. Alaeddin, von ihrer Schönheit geblendet, seufzte mehrmals und glaubte den Mond in seinem vollen Glanze aus dem Schoße der Wolken hervorgehen zu sehen. Nachdem er sie lange betrachtet hatte, wandte er seinen Blick auf eine Frau, welche sie begleitete, und hörte, daß die Prinzessin zu ihr sagte:
»Nun, meine liebe Sobeïde, fangt Ihr an, Euch an das Leben bei mir zu gewöhnen?«
Als Alaeddin den Namen Sobeïde aussprechen hörte, sah er diese junge Frau genauer an; aber wie groß war seine Überraschung, als er darin seine Gattin, seine geliebte Sobeïde, erkannte, welche er schon so lange Zeit tot wähnte!
Die Prinzessin nahm hierauf eine Laute, reichte sie Sobeïden und bat sie, zu singen und sich mit diesem Saitenspiele zu begleiten.
»Es ist mir unmöglich, zu singen, gnädige Frau,« antwortete Sobeïde, »bevor Ihr nicht das Versprechen erfüllt habt, welches Ihr mir vorlängst gegeben.«
»Was hab' ich Euch denn versprochen?« fragte die Prinzessin.
»Ihr habt mir versprochen, Gebieterin,« antwortete Sobeïde, »mich mit meinem Gatten, meinem getreuen Alaeddin Abulschamat, wieder zu vereinigen.«
»Höret auf, Euch zu betrüben, Sobeïde,« sagte die Prinzessin, »und überlasset Euch der Freude. Der Augenblick Eurer Wiedervereinigung mit dem, was Euch das Teuerste ist, ist vielleicht nicht mehr so fern, als Ihr wähnet. Singet uns denn eine muntere und fröhliche Weise, um dieses glückliche Wiedersehen zu feiern.«
»Wo ist er, wo ist er?« fragte lebhaft Sobeïde.
»Er steckt in diesem Winkel,« antwortete ganz leise die Prinzessin, welche Alaeddin bemerkt hatte, »und er verliert kein Wort von unserm Gespräche.«
Sobeïde, durch diese Worte aus dem Gipfel der Freude, konnte kaum ihr Entzücken zurückhalten und sang ein so zärtliches Lied und begleitete sich auf eine so hinreißende Weise, daß Alaeddin, außer sich, plötzlich auf sie zustürzte und sie an sein Herz drückte. Sobeïde und ihr Gatte vermochten nicht die stürmischen und leidenschaftlichen Bewegungen ihrer Herzen zu ertragen und sanken einander bewußtlos in die Arme.
Die Prinzessin und ihre Frauen bemühten sich, ihnen zu helfen, und als sie beide wieder zu sich selber gekommen waren, wünschte die Prinzessin ihnen Glück zu ihrer Wiedervereinigung.
»Gnädige Frau,« sagte Alaeddin zu ihr, »Ihr seid es, wie ich sehe, der ich mein Glück verdanke.« Sodann einen zärtlichen Blick aus seine Gattin werfend, sagte er zu ihr:
»Du lebst also noch, meine geliebte Sobeïde!«
»Niemals, geliebter Gatte,« antwortete sie mit bewegter Stimme, »habe ich aufgehört zu leben und nach dem Augenblicke zu seufzen, der uns wiedervereinen sollte. Ich wurde durch einen jener Geister, welche den Befehlen der Geister über ihnen gehorchen müssen, deiner Liebe entrissen und hierher versetzt. Die Gestalt, welche du für mich hieltest, war das Gebilde eines andern Geistes, der meinen Wuchs und meine Züge annahm und sich tot stellte. Als du ihn im Grabe beigesetzt hattest, stieg er sogleich wieder heraus und kam zurück zu seiner Gebieterin, der Prinzessin Husn Merim, meiner Wohltäterin, welche du hier vor dir siehst. Als ich die Augen aufschlug und sie an meiner Seite erblickte, fragte ich sie, warum man mich hierher entführt hätte.
»Das Schicksal hat mich bestimmt,« antwortete sie, »die Gattin Alaeddin Abulschamats zu werden: würdiget mich, edle Frau, sein Herz mit Euch zu teilen. Ich habe soeben durch die Macht meiner Kunst entdeckt, daß ein großes Unglück über seinem Haupte schwebt; und da es mir unmöglich ist, dasselbe abzuwenden, so habe ich Euch wenigstens den Anblick davon entziehen wollen und Euch hierher bringen lassen, um uns gegenseitig über eine Trennung zu trösten, welche nur eine bestimmte Zeit dauert: Eure Talente für die Musik werden uns die Weile verkürzen,« fügte sie verbindlich hinzu.
Ich bin also bei dieser liebenswürdigen Prinzessin bis zu dem Augenblicke geblieben, da ich dich hier in der Kirche wiederfinde.«
Husn Merim wandte sich hierauf zu Alaeddin und fragte ihn, ob er einwilligte, sie zur Gemahlin zu nehmen.
»Ach, gnädige Frau,« antwortete er, »ich bin Muselmann, und Ihr seid Christin!«
»Die Güte Gottes hat dieses Hindernis gehoben, Herr,« sagte die Prinzessin, »es sind schon achtzehn Jahre, daß ich Muselmännin bin; und durchdrungen von den Grundlehren des Islams, erkenne ich ihn für die einzig wahre Religion.«
»Ich wünschte,« sagte hierauf Alaeddin seufzend, »nach Bagdad zurückzukehren.«
»Herr,« fuhr die Prinzessin fort, »das ist auch der Wille des Schicksals, und bald werden Eure Wünsche erfüllt sein. Nachdem ich die Unglücksfälle entdeckt hatte, welche Euch bedrohten, und denen Euch zu entziehen mir nicht verstattet war, so wartete ich den Verlauf derselben ab. Nunmehr kann ich Euch Dinge sagen, welche Euch unbekannt sind, und die Euch mit Freuden erfüllen werden. Wisset denn, Herr, daß Ihr einen achtzehnjährigen Sohn namens Aslan habt, welcher Eure vormalige Stelle bei dem Kalifen einnimmt. Die Wahrheit ist in ihrem vollen Glanze erschienen, und die Gewebe der Bosheit und der Treulosigkeit sind vernichtet. Gott hat auf den Schuldigen die verdiente Strafe seines Verbrechens zurückfallen lassen. Man hat denjenigen entdeckt, der die Kleinodien des Kalifen gestohlen hat. Es ist der verruchte Achmed Komakom, der gegenwärtig mit Ketten belastet in einem dunklen Loche versperrt ist. Wisset, Herr, daß ich es bin, die Euch den kostbaren Stein, welchen Ihr in einem kleinen Lederbeutel in Eurem Laden gefunden habt, zukommen ließ. Ich bin es, die dem Schiffshauptmann Befehl gegeben, mir diesen kostbaren Stein wiederzubringen und Euch mit herzuführen. Dieser Hauptmann, eingenommen von den geringen Reizen, welche der Himmel mir zugeteilt hat, wollte mich heiraten; aber ich erklärte ihm, daß ich ihn nimmer zum Herrn meiner Person machen würde, wenn er mir nicht den Stein brächte und zugleich den Besitzer desselben herführete. Ich übergab ihm hundert Beutel, jenen wiederzukaufen, und ließ ihn, als Kaufmann verkleidet, hinreisen. Als der König, mein Vater, nach der Hinrichtung Eurer vierzig Landsleute auch Euch den Kopf wollte abschlagen lassen, da war abermals ich es, die diese alte Nonne abschickte, um Euch das Leben zu retten.«
»Ach, gnädige Frau,« rief Alaeddin aus, »wie viel verdanke ich Euch nicht! Das Geschenk Eurer Hand wird allen Euren Wohltaten die Krone aufsetzen.«
Nachdem die Prinzessin in Alaeddins Hände ihr Glaubensbekenntnis und ihre Anhänglichkeit an die Religion Mohammeds erneuert hatte, bat er sie, ihn mit den Eigenschaften des kostbaren Steines bekannt zu machen, und auf welche weise derselbe zuerst in ihre Hände gekommen wäre.
»Herr,« antwortete die Prinzessin, »dieser Stein ist ein wahrer Schatz. Er ist mit fünf Eigenschaften begabt, welche ich Euch will kennen lehren, und die uns zur gelegenen Zeit und Stunde dienlich sein werden. Die Mutter meines Vaters, des Königs, die, in allen Künsten der Zauberei unterrichtet, vollkommen die allerverwickeltsten Talismane zu lesen verstand und nach ihrem Gefallen zu den Schätzen aller Könige der Erde gelangen konnte, fand diesen Stein eines Tages zufällig in einem Schatze, wo er mit der größten Sorgfalt verwahrt wurde. Als ich erwachsen war und mein vierzehntes Jahr erreicht hatte, ließ man mich das Evangelium lesen; aber da ich den Namen Mohammeds (welchen Gott mit Gnaden und Segnungen überfüllen möge!) überall, in den heiligen Büchern des Pentateuchs, in den Evangelien, den Psalmen und im Koran wiederfand, so glaubte ich an ihn: ich ward Muselmännin und wurde innig überzeugt, daß man Gott, den Allerhöchsten, auf keine andere würdigere Weise anbeten kann als in der muselmännischen Religion, welche die einzig wahrhafte ist. Meine Großmutter gab mir, als sie krank ward, diesen kostbaren Stein und entdeckte mir seine fünf Eigenschaften. Da die Krankheit meiner Großmutter zunahm, besuchte mein Vater sie, als sie schon im Begriff war, den Geist aufzugeben, und bat sie noch, ihm vermöge ihrer Kunst sein eigenes Schicksal zu verkündigen und besonders, aus welche Weise er seine Laufbahn endigen würde.
»Mein Sohn,« sagte sie zu ihm, »es wäre besser für dich, die Zukunft nicht zu wissen, als daß du sie zu durchdringen trachtest; da du mich aber durch deine Bitten dazu nötigst, dir die Wahrheit zu sagen, so wisse, daß du durch die Hand eines Fremdlings sterben wirst, der aus Alexandrien kommt.«
Mein Vater schwor von Stund an, alle Einwohner von Alexandrien töten zu lassen, die seinen Untertanen in die Hände fielen. Er ließ den Schiffshauptmann kommen, der Euch hergeführt hat, und befahl ihm, alle muselmännischen Schiffe, denen er begegnete, anzugreifen und alle Gefangenen zu töten, die aus Alexandrien wären. Der unmenschliche Schiffshauptmann vollzog diesen blutigen Befehl nur allzu strenge; denn er hat schon so viele Muselmänner umgebracht, als er Haare auf dem Kopfe hat.
Nach dem Tode meiner Großmutter wollte ich erforschen, wer derjenige wäre, welchen der Himmel mir zum Gemahle bestimmte; und durch die Geheimnisse meiner Kunst erkannte ich, daß es Alaeddin Abulschamat, der Vertraute und Freund des Kalifen Harun Arreschid sein sollte. Die Zeiten sind erfüllt, Herr, und ich schätze mich glücklich, daß der Augenblick da ist, der alle meine Wünsche krönen soll.«
Alaeddin, erstaunt und gerührt von dieser Rede, bezeigte seine Freude darüber, der Gemahl einer Prinzessin zu werden, welche ihm so große Dienste geleistet und welche der Himmel so hoch begünstigt hatte; aber zugleich äußerte er sein lebhaftes Verlangen, nach Bagdad zurückzukehren.
Die Prinzessin sagte ihm, sie ginge hin, alles zu ihrer Abreise vorzubereiten, und bat ihn, ihr zu folgen. Sie führte ihn auf Wegen, welche ihr allein bekannt waren, in den Palast, verschloß ihn in eins der Zimmer ihrer Wohnung und begab sich zu ihrem Vater.
Dieser Fürst war damals gerade bei Tische. Er bezeigte große Freude über den Besuch seiner Tochter und lud sie ein, bei ihm zu bleiben und ihm Gesellschaft zu leisten. Husn Merim willigte ein, und der König entließ alle Gegenwärtigen und schloß sich allein mit ihr ein. Die Prinzessin benutzte die Gelegenheit und die gute Laune, worin sie ihn sah, und schenkte ihm so oft zu trinken ein, daß er sich berauschte. Als sie ihn so weit hatte, wie sie wollte, bot sie ihm eine Trinkschale dar, in welche sie ein Schlafpulver geschüttet hatte. Der König hatte es kaum geleert, als er schon bewußtlos rücklings übersank.
Die Prinzessin eilte sogleich nach ihren Zimmern, ließ Alaeddin aus seinem Versteck hervorkommen und erzählte ihm, was sie soeben vollbracht hatte. Alaeddin ließ sich alsbald in das Zimmer des Fürsten führen, band ihm die Füße und Hände fest zusammen und ließ ihn ein Pulver einatmen, welches die Wirkung des zuvor verschluckten Pulvers wieder aufhob.
Als der König wieder zu sich kam, war er höchst erstaunt, sich gefesselt zu finden und einen Fremdling zu sehen, welchen er nicht kannte.
Alaeddin nahm alsbald das Wort, warf ihm seine Grausamkeit gegen die Muselmänner vor und sagte ihm, das einzige Mittel, so viel Untaten zu sühnen, wäre, den Islam anzunehmen.
Der König verwarf diesen Antrag mit Abscheu und ließ sich zu Lästerungen gegen Mohammed hinreißen. Da konnte Alaeddin seinen Unwillen nicht länger zurückhalten, er zog seinen Dolch, durchbohrte ihm das Herz und streckte ihn tot zu seinen Füßen hin.
Alaeddin schrieb hierauf einen offenen Brief, in welchem er kürzlich die Begebenheiten auseinandersetzte, welche hier soeben stattgehabt, und auf welche wunderbare Weise Gott die Grausamkeit des Königs bestraft hätte. Er legte diesen Zettel auf die Stirn des Leichnams und kehrte zu der Prinzessin zurück.
Husn Merim hatte sich während der Zeit der größten Kostbarkeiten bemächtigt und dachte an nichts anders als an ihre Flucht. Sie nahm den kostbaren Stein, welchen sie so sorgfältig verwahrte, und zeigte Alaeddin ein Sofa, welches auf einer der Flächen eingegraben war: diese Fläche rieb sie nun ein wenig, und augenblicklich erschien ein Sofa vor ihnen. Sie setzte sich zuerst hinauf, ließ Alaeddin auf der einen und Sobeïde auf der andern Seite sitzen und sprach folgende Worte aus:
»Vermöge der Kraft der auf diesem Steine eingegrabenen Zaubercharaktere wünsche ich, daß dieses Sofa sich in die Luft erhebe!«
Auf der Stelle erhob sich das Sofa in die Luft und trug sie im Fluge über ein tiefes Tal hin. Als die Prinzessin nun die Fläche des Steins mit dem Bilde des Sofas gegen die Erde und die vier andern Flächen gegen den Himmel drehte, so senkten sie sich schleunig in das Tal hinab. Hierauf rieb die Prinzessin die Fläche, welche ein Zelt vorstellte: und sie sahen vor sich ein prächtiges Zelt aufgeschlagen, unter welches sie sich begaben.
Da das Tal, in welchem sie sich befanden, nur eine schauerliche Wüste war, in welcher es keinen Tropfen Wasser gab, so drehte die Prinzessin abermals vier Flächen des Steines gen Himmel und die fünfte, welche einen Strom vorstellte, nach unten und wünschte, ihn erscheinen zu sehen. Alsbald erblickten sie eine weite Wasserfläche, deren Wogen sich gegeneinander brachen und bis zu ihren Füßen hinrollten. Nachdem sie sich in diesem wunderbaren Wasser gewaschen und gereinigt hatten, verrichteten sie ihr Gebet und stillten ihren Durst.
Hierauf rieb die Prinzessin die Fläche des Steins, auf welcher eine vollständig besetzte Tafel vorgestellt war, und wünschte, daß sie erschiene. Alsbald stand eine mit den köstlichsten und erlesensten Gerichten besetzte Tafel vor ihnen; sie näherten sich und fingen an zu essen und zu trinken, indem sie sich von dem Glück unterhielten, dessen Genuß ihnen bald bevorstand.
Unterdessen, als der Sohn des Königs am folgenden Morgen in das Zimmer seines Vaters trat, schauderte er anfangs zurück, als er ihn in seinem Blute gebadet fand. Als er sich sodann näherte und den von Alaeddin geschriebenen Zettel bemerkte, hob er ihn auf und las ihn. Erfüllt von Erstaunen und Unwillen rannte er sogleich nach seiner Schwester; da er sie aber nicht fand, begab er sich schleunig nach der Kirche, um die alte Nonne zu befragen. Als er von ihr vernommen, daß sie seit gestern weder die Prinzessin noch Alaeddin gesehen hatte, versammelte er eine große Anzahl Soldaten, erzählte ihnen, was eben vorgegangen war, und befahl ihnen, auf der Stelle zu Pferde zu steigen, um die Flüchtigen zu verfolgen. Er setzte sich an ihre Spitze, und sie jagten ihnen so hurtig nach, daß sie in kurzer Zeit das Tal erreichten und von ferne das Zelt erblickten, unter welchem die Prinzessin, Alaeddin und Sobeïde sich ausruhten.
Husn Merim schlug gerade die Augen auf und erblickte eine dichte Staubwolke und erkannte bald ihren Bruder an der Spitze einer Schar Reiter, welche schrieen:
»Halt! Ihr Treulosen, ihr könnt uns jetzt nicht mehr entwischen!«
Da wandte sie sich zu Alaeddin und fragte ihn, ob er imstande wäre, allen diesen Leuten hier die Spitze zu bieten.
»Ach, Herrin,« antwortete Alaeddin, »ich habe niemals in meinem Leben gefochten; und wenn ich auch der tapferste Mann von der Welt wäre, so würde es mir doch unmöglich sein, so vielen zu widerstehen!«
Da rieb die Prinzessin eine Fläche des kostbaren Steines, welche ein Roß und einen Reiter vorstellte, und alsbald sah man aus dem Schoße der Erde einen vollständig gewaffneten Reiter emporsteigen, der mit solcher Wut auf den Prinzen und dessen Soldaten einstürzte, daß er sie in einem Augenblick zerstreute und in die Flucht schlug.
Bis das Mahl beendigt war, fragte die Prinzessin Alaeddin, wohin er nun wollte. Auf Alaeddins Antwort, er wünschte zuvörderst nach Alexandrien zu kommen, setzten sie sich wieder auf das Sofa, welches sie in einem Augenblick in eine Höhle in der Nähe dieser Stadt versetzte, wo sie anhielten. Alaeddin ging hin und holte große Schleier für die Frauen. Er führte sie hierauf in die Stadt und ging mit ihnen nach seinem Laden, wo sie Achmed Aldanaf fanden.
Achmed war hocherfreut, Alaeddin wiederzusehen. Er erzählte mit der größten Ausführlichkeit alle Begebenheiten, welche sich seit seiner gezwungenen Entfernung von Bagdad zugetragen hatten, und teilte ihm die Anordnungen des Kalifen in Ansehung seiner mit und das Verlangen seines Sohnes Aslan, ihn zu sehen. Alaeddin seinerseits setzte Achmed Aldanaf durch den Bericht von seinen Abenteuern in großes Erstaunen.
Nachdem er am folgenden Tage sich seines Ladens entledigt hatte, dachte er nur daran, seine Reise fortzusetzen. Obwohl er das größte Verlangen fühlte, seinen Sohn zu umarmen und sich den Wünschen des Kalifen zu fügen, der auf die Rückkehr an seinen Hof drang, so entschloß er sich nichtsdestoweniger, zuvor nach Kairo zu reisen, um seinen Vater und seine Mutter zu sehen. Sie setzten sich also alle zusammen auf das Sofa, welches sie in einem Augenblick in einer engen Straße von Kairo niederließ.
Als Alaeddin an die Türe des Hauses pochte, worin er seine Kindheit verlebt hatte, hörte er mit unaussprechlichem Vergnügen die Stimme seiner Mutter, welche fragte, ohne zu öffnen:
»Wer ist da? Was will man bei unglücklichen Eltern, welche das verloren haben, was ihnen das Teuerste auf der Welt war?«
»Es ist Euer Sohn Alaeddin,« rief er ihr zu. »Alaeddin,« sagte sie mit einem Seufzer, »ist lange tot!«
»Meine Mutter,« sagte er mit erhobener Stimme, »ich bitte Euch, öffnet mir, ich bin Euer Sohn Alaeddin.«
Auf diese Worte, welche ihr Herz mit der innigsten Freude durchdrangen, öffnete die arme Mutter hastig die Türe. Ihr Sohn warf sich in ihre Arme und riß sich nur aus ihnen los, um in die Arme seines Vaters zu sinken. Als die ersten Entzückungen der Freude und der Zärtlichkeit gestillt waren, stellte Alaeddin seinen Eltern seine beiden Gattinnen und seinen Freund Achmed Aldanaf vor.
Nach Verlauf von drei Tagen bezeigte Alaeddin seinen Eltern sein Verlangen, sich mit ihnen nach Bagdad zu begeben. Sie wollten ihn anfangs bereden, in Kairo zu bleiben; aber nachdem Alaeddin ihnen vorgestellt hatte, daß er verpflichtet wäre, an den Hof zurückzukehren, so willigten sie ein, ihm dahin zu folgen. Alaeddin ließ also alles zu seiner Abreise vorbereiten, und nach wenigen Tagen begab er sich mit seinem Vater und seiner Mutter, seinen beiden Frauen und Achmed Aldanas nach Bagdad.
Als Harun Arreschid von der Ankunft Alaeddin unterrichtet wurde, kam er ihm entgegen in Begleitung Aslans und der vornehmsten Herren seines Hofes und empfing ihn mit offenen Armen.
Danach ließ er den mit Ketten belasteten Achmed Komakom vorführen und sagte zu Alaeddin:
»Ich habe diesen Verbrecher nur deshalb bis jetzt leben lassen, damit du selber ihn bestrafen könntest.«
Alaeddin, bei dem Anblicke dieses Menschen, der schuld war an allen seinen Leiden, zog seinen Säbel und ließ ihm den Kopf von den Schultern fliegen.
Der Kalif wollte hierauf aus Alaeddins Munde die Erzählung der Abenteuer vernehmen, welche ihm seit dem verhängnisvollen Tage ihrer Trennung begegnet waren.
Alaeddin säumte nicht, ihm Genüge zu leisten.
Als er geendigt hatte, wünschte der Kalif ihm Glück zu seiner Vermählung mit der Prinzessin Husn Merim und wollte, daß der Heiratsvertrag in seiner Gegenwart vollzogen würde. Es gab bei diesem Anlasse Feste und Lustbarkeiten, welche sieben Tage hindurch währten. Alaeddin wurde von neuem mit Ehren überhäuft, und sein Sohn ward Oberhaupt des hohen Rats der Sechzig.
Die Unglücksfälle, welche der Günstling erlitten hatte, vermehrten die Anhänglichkeit seines Herrn für ihn. Er bewies ihm ein unbegrenztes vertrauen, welches in der Folge nichts mehr erschüttern konnte.
Alaeddin, so am Hofe durch die beständige Gunst des Kalifen beglückt, war es nicht minder in seiner ganzen Umgebung. Jasmin, deren Liebe sich so treu bewährt hatte, Sobeide und Husn Merim lebten alle drei in dem besten Einverständnisse und waren ihm alle gleich lieb.« Scheherasade hatte während ihrer Erzählung der Geschichte Alaeddin Abulschamats bemerkt, daß der Sultan besonders aufmerksam alles gehört hatte, was die Prinzessin Husn Merim, ihren Talisman und dessen außerordentliche Eigenschaften betraf: sie gedachte also, daß er mit nicht minderem Vergnügen die wunderbaren Abenteuer des Abu Muhammed Alkeslan hören würde, und säumte nicht, ihm dieselben anzukündigen. Der Sultan willigte gern ein, in der folgenden Nacht diese Erzählung zu hören.