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Geschichte des reichen Mannes, der seine Tochter an einen armen Greis verheiratet hatte.

»Ein reicher Kaufmann hatte eine Tochter, die schön war wie der Vollmond. Als sie achtzehn Jahre erreicht hatte, nahm ihr Vater einen alten armen Mann zu sich, den er sehr gut aufnahm, dem er sein ganzes Zutrauen schenkte, und den er sogar zu seinem Trinkgenossen machte. Nach einiger Zeit eröffnete er ihm, daß er sich vorgenommen habe, ihn mit seiner Tochter zu verheiraten. Der Arme schlug es aber seiner Armut wegen ab. »Ich bin zu arm für sie,« sagte er, »und für dich bin ich zu gering.« Der Reiche aber drang in ihn, ohne indes von ihm eine andere Antwort erhalten zu können. Endlich aber willigte er doch mit dem Beding ein, daß er ihm die Ursache sagte, warum er eben ihn zum Schwiegersohn verlangte. »Finde ich, daß dein Grund richtig ist,« fügte er hinzu, »so nehme ich dein Anerbieten an; wo nicht, so geschieht es niemals.« Da antwortete ihm der Reiche: »Wisse, daß ich aus China gebürtig bin und in meiner Jugend ein schöner Mann war. Ich hatte viel Vermögen, konnte aber die Frauen im allgemeinen gar nicht leiden. Ich gelangte in die Jünglingsjahre; da träumte mir, ich wäre in einer Versammlung, wo jedem sein Teil von Glücksgütern zugeteilt und immer dabei ausgerufen wurde: »Das ist das Teil von dem, dieses von jenem.« Endlich hörte ich auch meinen Namen rufen, und zugleich wurde mir ein abscheulich häßliches Weib zugeführt. Ich erwachte ganz erschrocken und schwor, mich nie zu verheiraten, aus Furcht, einst ein so häßliches Weib zu bekommen. Hierauf reiste ich in dieses Land mit Waren, die ich mit vielem Vorteil verkaufte. Ich blieb hier die ganze Zeit, während welcher ich mir Freunde erwarb und mir Handlungsdiener der vielen Geschäfte wegen annehmen mußte.

 

Achthundertunddreiundneunzigste Nacht.

Eines Tages veränderte ich meine Kleider, steckte viel Geld zu mir und ging in der Stadt spazieren, als ich ein sehr schönes Haus erblickte. Wie ich es noch so betrachtete, erschien ein reizendes Mädchen am Fenster. Als sie mich erblickte, eilte sie davon und ließ mich ganz in Begeisterung zurück. Da trat ich zu einem Schneider herein, der in der Nähe wohnte, um mich nach dem Hause und dessen Besitzer zu erkundigen. »Das Haus gehört,« antwortete dieser, »dem Advokaten N... Hol ihn der Teufel.« Ich fragte weiter: »Ist denn dieser Mann der Vater des hübschen Mädchens?« Auf seine Bejahung eilte ich zu einem Manne, der mit mir viel Geschäfte machte, und sagte ihm, daß ich die Tochter des Advokaten N... heiraten und deshalb zu ihm hingehen wolle.

Mein Freund versammelte sogleich einige Freunde, mit denen wir uns zum Advokaten begaben. Nach den gewöhnlichen Grüßen trug ich ihm mein Gesuch um seine Tochter vor. Er indes antwortete: »Ich habe keine Tochter, die sich für dich ziemte.«

Da er auf meine wiederholten Gesuche sich fortwährend weigerte, sagten seine Freunde zu ihm: »Dieses ist ein achtungswerter Mann, der deine Tochter glücklich machen kann. Es wäre also unbillig, ihr diese Versorgung zu entziehen.« – »Sie taugt aber nichts,« erwiderte er, »denn meine Tochter ist im höchsten Grade häßlich und hat alle tadelnswürdigen Eigenschaften.« – »Wenn ich sie aber so annehme, wie du sagst, daß sie ist?« – Da sagte die ganze Versammlung einstimmig, er möge doch dieses Geschäft enden. »Dein Wille soll geschehen!« rief er nunmehr aus. »Ich verlange für sie viertausend Goldstücke.« – »Du sollst sie haben,« rief ich und beeilte mich, den Heiratskontrakt ausfertigen zu lassen. Ich veranstaltete sodann alsbald ein Fest, und als ich nach demselben meine Gattin betrachtete, sah ich das Häßlichste, was Gott geschaffen hatte. Da ich mir aber einbildete, daß ihre Familie mir dieses nur zum Schabernack antun könnte, so lachte ich darüber und erwartete, daß meine Gefährtin sich wieder entfernen würde. Allein zu meinem Erstaunen entfernte sie sich nicht. Als mir das zu lange dauerte und sich niemand außer ihr einfand, wäre ich vor Zorn und Wut beinahe geborsten.

Ich betete nun, daß ich von ihr doch befreit werden möchte, und als der Morgen anbrach, kam die Aufwärterin und fragte mich, ob ich kein Bad brauchte. Da ich es mit nein beantwortete, so erkundigte sie sich, ob ich morgen eins brauchen würde. Meine Antwort war wiederum nein, und so blieb ich drei ganze Tage mit meiner Frau, ohne daß ich das Geringste von Speise oder Trank genossen hätte. Als meine Gattin mich in diesem Zustande sah, sagte sie mir: »Lieber Mann, welcher Kummer drückt dich? Erzähle mir, was dich betrübt, und wenn ich kann, bei Gott, will ich dich retten.« Ich gab ihrer Rede Gehör in der Hoffnung, daß sie mir die Wahrheit sage, und erzählte ihr von dem Mädchen, das ich gesehn und welches mich bezaubert hatte. Sie antwortete mir darauf: »Wenn dieses Mädchen mir gehört, so wisse, daß sie, so wie alles, was mein ist, dir zu Diensten stehen soll. Gehört sie aber meinem Vater, so werde ich sie von ihm erbitten und sie dir überliefern.« Hierauf fing sie sogleich an, ein Mädchen nach dem andern herbeikommen zu lassen und sie mir vorzustellen, bis endlich die Geliebte erschien. Hier rief ich aus: »Das ist sie!« – »Sei unbesorgt,« rief meine Frau, »diese ist mein, und zwar ein Geschenk von meinem Vater, von nun an aber gehört sie dir. Sei also ruhig und frohen Mutes.« Gegen Abend begab sie sich zu dem Mädchen. Nachdem sie dieselbe geschmückt und mit Wohlgerüchen überströmt hatte, sagte sie zu ihr: »Sei gegen deinen Herrn nicht ungehorsam, was er auch von dir verlange.« Das Mädchen kam hierauf zu mir, und als ich mich schlafen legen wollte, dachte ich bei mir selbst: »Deine Frau ist wahrhaft edler wie du.« Überhaupt rührte mich dieser Zug von ihr so sehr, daß ich das Mädchen nicht berührte, sondern sie fortschickte, sogleich zu meiner Gattin ging und bei ihr schlief.

Wir lebten von nun an stets sehr glücklich, und nach einem Jahre beglückte sie mich mit einer Tochter, über deren Schönheit ich ganz entzückt war. Mit den Jahren entwickelte sich in ihr ganz der Verstand ihrer Mutter sowie auch die Schönheit ihres Vaters. Viele der vornehmsten Leute hielten um sie an, aber ich verheiratete sie nicht. Einst träumte mir wiederum, in derselben Versammlung zu sein, wo ich vor meiner Verheiratung im Traume war. Diesesmal wurden wieder einem jeden Lose des Geschicks zugeteilt. Männer wurden Weibern, Weiber wurden Männern bestimmt. Darauf sah ich auch dich, und mir wurde gesagt, dieser ist für deine Tochter bestimmt. Daraus schloß ich, daß Gott ihr keinen andern als dich zugedacht hatte, und es ist mir lieber, du heiratest sie bei meinen Lebzeiten als nach meinem Tode.« Als der arme Mann dieses hörte, erwachte in ihm die Sehnsucht nach dem Mädchen. Er heiratete sie, und sie beglückte ihn mit der zärtlichsten Liebe.

Doch diese Geschichte ist in keinem Vergleich mit derjenigen von dem weisen Manne und seinen drei Söhnen.

 


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