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Neunhundertundzwölfte Nacht.

Geschichte von den beiden Schlauköpfen, die sich gegenseitig überlisteten.

In Bagdad lebte einst ein Mann namens Marusi, der für einen der größten Schlauköpfe galt und schon viele Leute durch seine List betrogen hatte. Einst trug er einen Sack voll Schafkot und hatte sich vorgenommen, nicht eher nach Hause zu kommen, als bis er ihn um den Preis der Zibeben verkauft hätte. In einer andern Stadt aber war ein Mann, der in demselben Rufe stand und Rasi hieß. Dieser trug einen Sack voll Ziegenkot, den er um den Preis der getrockneten Feigen zu verkaufen sich vorgenommen hatte. Mit diesem Vorsatz gingen sie beide ein jeglicher aus seiner Stadt, und so begegneten sie sich an einem Graben, wo sie sich scheinbar ihre ersonnene Not klagten, wo aber auch jeder zugleich beschloß, den andern zu betrügen. Da sagte Marusi dem Rasi: »Ich kaufe dir das ab, was du trägst, ohne es zu sehen.« – »Jawohl,« erwiderte Rasi, »wenn du mir das dafür gibst, was du trägst.« Der Handel wurde sehr bald abgeschlossen, weil jeder glaubte, der andere könnte nichts Schlechteres tragen als er selbst.

Als sie sich nun getrennt hatten und keiner den andern mehr sehen konnte, öffnete jeder seinen Sack, und sie fanden denn, was wir bereits wissen. Dies verdroß sie, und sie drehten sogleich um, um sich beiderseits aufzusuchen. Sie trafen sich auch sehr bald, und jeder mußte über den andern lachen.

Da sie sich hierdurch kennen gelernt hatten, so stifteten sie ein Bündnis untereinander, daß künftighin, was sie erwerben würden, ihnen gemeinschaftlich angehören sollte, und da sie der Stadt, in welcher Rasi wohnte, am nächsten waren, so nötigte dieser den Marusi, mit ihm zu kommen. Sobald Rasi in seinem Hause angelangt war, stellte er den Marusi seiner Frau, seinen Leuten und seinen Nachbarn als seinen Bruder vor, der sich viele Jahre in Chorassan aufgehalten hätte. So hatte er bereits drei Tage bei ihm zugebracht, als er am vierten zu ihm sagte, er hätte Lust, etwas vorzunehmen. »Und was denn?« fragte ihn Marusi. »Ich will mich tot stellen,« erwiderte jener. »Du aber gehe auf den Markt, miete Träger und eine Bahre.«

Als Marusi mit den Trägern vom Markte angekommen war, fand er seinen Freund auf dem Boden liegend, ganz bleich von Farbe und mit aufgeblasenem Bauche. Seine Glieder waren ganz schlaff und so, daß er ihn für wirklich tot hielt. Er schüttelte ihn daher, und da er noch immer nicht sprach, so kratzte er ihn mit einem Messer an die Fußsohle. Dieser bewegte sich aber nicht, sondern sagte ihm leise ins Ohr: »Du Narr, was machst du denn?« – »Ich dachte, du wärest wirklich tot,« erwiderte jener. – »Kümmere dich darum nicht,« sagte hierauf Rasi, »sondern laß mich auf den Platz vor das Haus des Statthalters tragen.« Dieser war ihm nämlich früher sehr gewogen gewesen.

Als der Statthalter ihn so ohne allen Schmuck ausgesetzt sah, als wäre er einer der ärmsten, wurde er unwillig und sprach: »Diesen Mann will ich auf meine Kosten begraben lassen und das Nötige besorgen.« Er befahl hierauf seiner Dienerschaft, ihn in sein Haus zu tragen und ein Grab zu graben. Sodann ließ er ihm ein Leichentuch kaufen und befahl, daß der Totenabwascher des Stadtviertels kommen möchte, um ihn abzuwaschen und die nötigen Gebete zu verrichten. Dieser kam, legte ihn auf eine Decke, wusch ihn und hüllte ihn ins Leichentuch. Nach Beendigung dieser Pflicht ging er hinaus, um selber seine gesetzlichen Abwaschungen zu verrichten und sich zum Leichenzuge vorzubereiten. Als sich der Tote allein sah, sprang er schnell auf, zog die Kleider des Mannes, der ihn gewaschen hatte, an, ergriff sogleich silberne Tassen und andre kostbare Gerätschaften, nahm das Leichentuch unter den Arm und ging davon. An der Pforte riefen ihm die Türsteher, die ihn für den Abwascher hielten, noch zu: »Bist du mit deiner Arbeit fertig, damit wir den Statthalter davon benachrichtigen können?« – »Jawohl,« rief er und eilte nach seiner Wohnung, wo er den Marusi fand, der soeben seiner Frau versicherte, daß sie ihren Mann nie wiedersehen würde, und daß man ihn in diesem Augenblicke wohl schon begraben haben würde. Zugleich fügte derselbe noch eine förmliche Liebeserklärung hinzu und sagte ihr die größten Schmeicheleien.

Als Rasi, der sie überrascht hatte, dieses hörte, sprach er bei sich selbst: »Dieser Schurke will meine Frau besitzen; es soll ihm aber teuer zu stehen kommen.« Darauf zeigte er sich ihnen, und Marusi, der außerordentlich erstaunt war, ihn zu sehen, fragte ihn: »Wie hast du dich denn retten können?« Jener erzählte ihm nun die angewandte List, und sie fingen nun an, sich gegenseitig Rechnung abzulegen über das Geld und die Kostbarkeiten, die sie durch ihre Betrügereien zusammengebracht hatten, welches eine bedeutende Summe betrug. Am Ende erklärte Marusi, daß er nun in sein Land zurückkehren wolle, indem er schon zu lange abwesend sei; zugleich wünschte er, daß sie das erworbene Gut teilen möchten, damit er seinen Teil empfinge, und bat ihn, er möchte mit in sein Land kommen, damit er ihm auch seine Streiche zeigen könnte, worauf ihn der andere aus den morgenden Tag beschied.

Marusi entfernte sich jetzt, und Rasi ging zu seiner Frau und sagte zu dieser: »Wir haben sehr viel Geld erworben, und dieser Narr verlangt die Hälfte? Das soll nun und nimmermehr geschehen. Denn seitdem ich ihn belauscht habe, wie er dir Süßigkeiten vorsagte, bin ich ganz anders gegen ihn gesinnt, und ich will eine List ersinnen, wodurch ich das ganze Geld für mich allein behalten kann. Du mußt mir aber beistehen. Ich will nämlich,« fügte er hinzu, »gegen Abend mich tot stellen. Da schreie du denn, wehklage und schneide dir die Haare ab. Es werden sich sofort die Leute um dich versammeln, werden mich tot erblicken, und du mußt dann mein Leichenbegängnis besorgen. Befürchte aber in Hinsicht meiner nicht das mindeste; denn ich kann recht gut zwei Tage im Grabe zubringen.«

Gegen Abend also band die Frau ihm den Bart zusammen, bedeckte den Mann mit einem Schleier und erhob ein so fürchterliches Geschrei, daß sich alsbald die Leute des Stadtviertels, alt und jung, Männer und Weiber, versammelten. Zur selben Zeit kam auch Marusi hin, um seinen Teil in Empfang zu nehmen. Als er dieses Getümmel sah, erkundigte er sich nach der Ursache. »Dein Bruder ist gestorben,« sagte man ihm. – »Ach,« sagte er bei sich selbst, »dieser verwünschte Betrüger will mich hintergehen, um das Geld allein davonzutragen. Aber ich will ihm etwas antun, was ihn schon auferwecken wird.« Hierauf zerriß er seine Kleider, entblößte sein Haupt und weinte, indem er rief: »Ach, mein Bruder, mein Herr!«, und jammerte so, als wenn er wirklich von seinem Tode überzeugt wäre. Sodann wandte er sich zu seiner Frau, um sie zu fragen, auf welche Art er denn gestorben wäre. Diese sagte ihm indes, daß sie davon nichts weiter wisse, außer daß sie ihn am Morgen tot gefunden habe.

 

Neunhundertunddreizehnte Nacht.

Marusi fragte sie ferner wegen des Vermögens und wegen der Gelder, auf welche Frage sie indes ebenfalls antwortete, daß sie von dem allen nichts wisse.

Nunmehr setzte er sich zu Häupten des Verstorbenen und sagte ihm ins Ohr: »Wisse, lieber Rasi, daß ich dich nicht eher als nach zehn Tagen verlassen und daß ich die Nächte hindurch bei dir wachen werde. Sei also kein Tor und stehe auf.« Rasi antwortete aber nicht. Da begann jener mit einem Messer an den Händen und Fußsohlen des Toten zu kratzen in der Hoffnung, er würde sich bewegen; indes er wurde bald müde und glaubte fast selber, daß der andre wirklich tot sei. Allein da fielen ihm die Streiche ein, die Rasi auszuüben pflegte, um Geld zu gewinnen, und sofort begann er nun sein Leichenbegängnis anzuordnen und ließ ihn zum Totenwäscher bringen. Dieser nahm den Toten sogleich vor, ließ Wasser kochen, bis es siedend und um ein Drittel schon eingekocht war, und goß es dann auf seine bloße Haut, daß sie rot wurde und Blasen zog. Der Tote rührte sich indes nicht. Sodann wickelten sie ihn in ein Leichentuch, trugen ihn auf den Begräbnisplatz, legten ihn in einen Sarg und überschütteten ihn mit Erde.

Hierauf gingen die Leute auseinander. Doch Marusi nebst der Frau des Verstorbenen setzte sich an sein Grab, und sie blieben daselbst bis zum Untergang der Sonne; da sagte die Frau zu Marusi: »Komm, wir wollen nach Hause gehn, denn das Weinen nützt uns nichts; auch bringt es uns den Toten nicht zurück.« – »Ich rühre mich nicht von der Stelle,« antwortete Marusi, »und sollte ich zehn Tage und zehn Nächte hier bleiben.« Als die Frau dies hörte, fürchtete sie sich sehr, daß, wenn er sein Wort hielte, ihr Mann umkommen würde. Gleichwohl schien es ihr am besten zu sein, wenn sie ginge; denn er würde es gewiß bald überdrüssig werden, allein zu bleiben, und würde ihr dann bald nachfolgen. Sie entfernte sich also, und Marusi blieb bis nach Mitternacht an jener Stelle. Da dachte er bei sich selbst: »Wie lange soll ich hier sitzen? Dieser Hund könnte wohl in der Tat sterben, und dann wäre das Geld verloren. Das beste ist, ich grabe ihn aus und überhäufe ihn mit Schlägen.« Dies führte er auch sogleich aus, brach einen starken Ast von einem Baume ab, entblößte ihn von seinen Blättern, band dem Manne die Füße und schlug ihn, so sehr er nur konnte. Der Tote indes bewegte sich nicht. Als ihm auch dies zu lange dauerte und er fürchtete, die Aufseher der öffentlichen Sicherheit möchten ihn bemerken, da der Kirchhof sehr nahe an der Straße lag, so trug er ihn von dannen und brachte ihn in den sehr abgelegenen Kirchhof der Magier oder Feueranbeter, trug ihn daselbst in eine Gruft und begann von neuem, ihn zu schlagen, und zwar so, daß ihm alle Kräfte ausgingen. Allein der Tote bewegte sich noch immer nicht. Er blieb also an seiner Seite sitzen, sammelte wieder neue Kräfte und begann nochmals sein Geschäft, allein ebenso erfolglos.

Als er sich nun eben wieder etwas erholen wollte, traten plötzlich Räuber in den Kirchhof, die gewohnt waren, ihre gestohlenen Sachen daselbst zu teilen. Es waren ihrer zehn Personen, und sie hatten viele kostbare Sachen bei sich. Da sie der Gruft näher traten, hörten sie, daß darinnen Schläge ausgeteilt wurden, und ihr Anführer sprach zu ihnen: »Sehet, hier ist ein Magier, den die Engel soeben quälen!« Sie gingen also hinein, und als Marusi sie erblickte, fürchtete er, es möchten Polizeidiener sein. Er ergriff also die Flucht und verbarg sich hinter andern Gräbern. Die Räuber aber näherten sich dem Orte und fanden den Rasi mit gebundenen Füßen und neben ihm eine große Anzahl zerschlagener Stöcke liegen. Sie waren hierüber außerordentlich erstaunt und sagten: »Das muß ein schändlicher Sünder gewesen sein; denn die Erde hat ihn aus ihrem Inneren ausgespieen. Er ist übrigens noch ganz frisch, und dies muß wohl seine erste Nacht sein. Da die Engel ihn jetzt soeben gepeinigt haben, so muß es bei Gott wohl etwas sehr Verdienstliches sein, wenn wir ihn ebenfalls peinigen. Wer also unter euch,« fuhr der Anführer fort, »Sünden zu bereuen hat, der schlage diesen hier gleichsam zum Sühnopfer vor Gott.« Da riefen alle: »Wir sind alle mit Sünden behaftet!«, und somit fingen sie an, auf ihn loszuhauen, wobei einige sagten: »Das nimm noch für die Sünden meines Vaters!«, andere sagten: »Für die meines Großvaters!« und noch andere: »Für die meines Bruders!« usw., und so fuhren sie so lange fort, bis sie müde waren. Alles dieses hatte der versteckte Marusi mit angesehen und in seinem Innersten herzlich darüber gelacht. Endlich aber schritten die Räuber zur Teilung des gestohlenen Gutes, worunter sich unter anderm auch ein kostbarer Säbel befand, über dessen Wert sie sich nicht einigen konnten. Da sagte ihr Anführer: »Wir wollen ihn probieren, und wenn er gut ist, so wollen wir seinen Wert bestimmen; ist er schlecht, so ist es nicht der Mühe wert, daß man um ihn zankt, probieret ihn gleich hier an diesem Toten; denn er ist noch ganz frisch.« Mit diesen Worten nahm der Anführer den Säbel, zog ihn aus der Scheide und holte aus.

 

Neunhundertundvierzehnte Nacht.

Da der Tote dies sah, glaubte er, er würde nun ganz gewiß sterben müssen, und dachte bei sich selbst: »Das Waschen habe ich ausgehalten, ebenso das Brühen mit heißem Wasser sowie auch das Kratzen mit dem Messer und die unbequeme Enge des Grabes, und Gott hat mich alles dieses ertragen lassen; allein dieser Schwerthieb ist ein Todesschlag.« Er sprang also schnell auf, ergriff einen großen Totenknochen und schrie mit lauter Stimme: »Ihr Toten, stehet auf und ergreifet sie.« Als dieses Marusi hörte, gesellte er sich zu ihm und schlug auf die Diebe los, welche sofort die Flucht ergriffen und das geraubte Gut zurückließen.

Als sie weit genug entfernt waren, machte Rasi mit Marusi wieder Freundschaft und wollte diesen Raub mit ihm teilen. Allein Marusi sagte: »Ich gebe dir von diesem hier keine Drachme, bis du mir meinen Teil von dem früheren Raube eingehändigt haben wirst.« Da indes der andere nicht einwilligen wollte, so entstand zwischen ihnen ein lebhafter Streit und ein heftiger Wortwechsel, daß die Räuber, die noch nicht entfernt genug waren, ihn hörten. Diese horchten auf und beschlossen, einen von ihnen heimlich hinzuschicken, der die Stimmen belauschen sollte. Dieser aber war ein furchtsamer Mann und glaubte, es wären wirklich auferstandene Tote, und meldete daher seinen Gefährten, daß er eine große Zahl derselben gesehen habe. Sie verzichteten daher auf ihren Raub. Rasi und Marusi versöhnten sich nun, schlugen diesen Raub zu dem alten Kapital und lebten fortan friedlich miteinander.

Doch diese Geschichte ist noch nichts gegen die von den Listigen, die den Geldwechsler betrogen.

 


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