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Geschichte des Königs und seines Sohnes

Ein König wurde einst in seinem spätesten Alter noch Vater eines Sohnes, der mit den Jahren an Schönheit und Verstand alle seinesgleichen weit übertraf. Als er die Jünglingsjahre erreicht hatte, meldete ihm sein Vater, daß er ihm das Reich übergeben wollte, damit er es an seiner Statt verwalte. »Ich sehne mich nämlich,« fügte er hinzu, »nach der Zurückgezogenheit, in der ich mich Gott widmen, ein härnes Kleid anziehen und ein ganz religiöses Leben führen will.« – »Auch ich,« erwiderte der Sohn, »fühle keinen Beruf zum Herrschen, sondern im Gegenteil wie du Liebe zu der Einsamkeit.« – »Wohlan,« sprach der Vater, »komm, laß uns die Menschen meiden und uns in die Gebirge begeben, wo wir Gott dienen wollen.« Sie verschafften sich sogleich härne Kleider, legten sie an und begaben sich damit in die Wüste.

Als indessen einige Tage vergangen waren und sie schon Mangel an Lebensmitteln litten, wurden sie von Schwäche und Hunger überfallen und bereuten ihre Tat, als die Reue ihnen leider nichts mehr nutzte. Der Sohn beklagte sich beim Vater über seinen Hunger und seine Müdigkeit; der Vater aber sagte: »Ich habe, mein Sohn, meine Pflicht gegen dich erfüllt, indem ich dir das Reich anbot. Warum hast du mir nicht gefolgt? Nun ist keine Möglichkeit da, daß du je zu deinem früheren Zustand zurückkehren könntest; denn des Reichs hat sich schon ein anderer bemächtigt, welcher jeden, der darauf etwa Ansprüche macht, zurücktreiben wird. Ich werde dir aber etwas raten, wobei du mir willfahren mußt.« – »Was ist dies?« fragte der Sohn. – »Nimm mich bis in die nächste Stadt mit, führe mich da auf den Markt und verkaufe mich. Mit dem Gelde, das du für mich erhalten wirst, kannst du dann tun, was dir beliebt; ich aber werde dadurch wenigstens an jemanden gelangen, der mich versorgen wird.« – »Wer,« sprach der Sohn, »wird dich kaufen, da du schon so sehr alt bist? Verkauf mich lieber; denn nach mir wird man sich reißen.« Der König erwiderte: »Wenn du gekauft wirst, so wird man dich mit Arbeit überladen; nicht so aber ist es mit mir. Übrigens aber befehle ich dir, zu tun, was ich dir sage.«

Da gehorchte der Sohn und führte den Vater zu dem berühmten Sklavenhändler Annachas und sagte zu diesem: »Verkaufe doch diesen Greis.« – »Wer wird mir den abkaufen?« erwiderte der Händler, »er ist ja schon über achtzig Jahre alt. Was kannst du denn?« fragte er hierauf den König. – »Ich kann,« antwortete dieser, »das Wesen oder das vorzügliche in den Juwelen, in den Pferden, in den Menschen und in allem, was nur einigen Wert hat, erkennen.« Der Sklavenhändler trug ihn hierauf einigen Leuten an, die ihn aber nicht kaufen mochten. Nun kam auch Aarif, der Koch eines Fürsten, und fragte, was das für ein Mann wäre. – »Es ist ein Sklave, der verkauft werden soll.« Darüber wunderte sich der Koch und kaufte ihn der Seltenheit halber, nachdem man ihn von seiner Wissenschaft unterrichtet hatte, für zehntausend Drachmen. Er bezahlte den Preis und nahm ihn mit nach Hause.

Hier duldete er nicht, daß er mit Arbeiten geplagt würde, sondern setzte ihm etwas Bestimmtes aus, was für ihn hinreichend war. Indes nach einiger Zeit reute ihn dieser Kauf; denn er wußte nicht, was er mit dem Manne anfangen sollte.

Nun begab es sich, daß einst der Fürst Lust bekam, sich in seinen Gärten zu belustigen. Er befahl daher dem Koch, ihm zu folgen oder jemanden in der Stadt zurückzulassen, der für ihn die Speise besorgte, daß er sie bei seiner Rückkunft fertig fände. Der Koch dachte soeben darüber nach, wen er wohl zurücklassen sollte, als ihn der Greis in diese Gedanken vertieft fand und zu ihm sagte: »Vertraue mir doch, was dich bekümmert; vielleicht finde ich einen Ausweg.« Da erzählte ihm der Koch den ganzen Hergang der Sache. »Sei du deshalb nur ganz unbesorgt,« erwiderte der Alte; »vertraue mir bloß einige Diener an und gehe in Gottes Namen; ich werde dir schon alles zu deiner Zufriedenheit machen.«

Der Koch reiste hierauf mit dem Fürsten von dannen, nachdem er dem Greise die nötigen Gerätschaften und einen Mann zur Bedienung gegeben hatte. Dieser letztere wurde sogleich vom Greise beauftragt, die Gerätschaften der Küche zu waschen, und hierauf bereitete er eine ganz vorzügliche Speise.

Als nun der Fürst zurückkam, wurde ihm die Speise vorgesetzt, und dieser fand daran ein Wohlgefallen, das er noch an keiner andern Speise gehabt hatte. In seinem Befremden darüber fragte er nach dem Verfertiger der Speise. Man nannte ihm den Greis, den er sogleich vor sich fordern ließ und ihn deshalb befragte. Da ihn seine Antworten befriedigten, setzte er ihm einen Jahresgehalt aus und legte ihm die Verpflichtung auf, daß er zugleich mit dem Koche für ihn kochen solle. Diesem Befehle gehorchte denn auch der Greis. Nach einiger Zeit langten zwei Kaufleute bei dem Fürsten an, deren jeder ein vorzügliches Kleinod, nämlich eine kostbare Perle, besaß. Der eine forderte für seine Perle tausend Goldstücke. Der Fürst wollte sie schätzen lassen; allein niemand vermochte es. Da nahte sich der Koch dem Fürsten und erwähnte vor ihm, daß der Greis versichert habe, er verstehe die edelsten unter den Kleinodien zu erkennen. »Er hat ja schon bewiesen,« fuhr er fort, »daß er gut kochen kann, und wir haben ihn darin erprobt gefunden. Wie wäre es, wenn wir ihn nun rufen ließen und ihn auch wegen der Kleinodien befragten? Vielleicht würde sich sein Vorgeben auch hierin bestätigt finden.«

Der Greis wurde sogleich vor den Fürsten geführt und über die zwei Perlen, die man ihm vorzeigte, befragt. Er erwiderte sogleich: »Was diese Perle hier anbetrifft, so ist sie tausend Goldstücke wert.« – »So viel fordert auch ihr Besitzer,« unterbrach ihn der Fürst. – »Diese Perle aber hier ist nur fünfhundert Goldstücke wert.« – Da lachten die Leute und wunderten sich, und der Kaufmann sagte zornig zu ihm: »Wie kann denn das sein? Meine ist ja viel größer, viel reiner und besser gerundet; und sie sollte weniger als jene kosten?« Doch der Greis sprach: »Ich habe gesagt, was ich zu sagen habe.« – »Aber an äußerem Ansehn,« sagte hierauf der Fürst, »sind ja beide Perlen einander ganz gleich. Warum sollte sie denn nur halb so viel als jene wert sein?« – »Du hast ganz recht,« erwiderte der Greis, »aber in ihrem Innern ist ein Wurm.«

 

Achthundertundzweiundneunzigste Nacht.

Da unterbrach ihn der Kaufmann: »Willst du denn bei den Perlen ein Inneres und ein Äußeres annehmen?« – »Jawohl,« sprach der Greis; »in ihrem Innern ist ein Wurm, der sie aushöhlt; jene aber ist tadellos und kann nie zerbrochen werden.« – »Mache uns das deutlich,« sagte der Kaufmann, »und überhaupt, woran sollen wir erkennen, daß du die Wahrheit sagst?« – »Wir wollen sie zerbrechen,« erwiderte der Greis, »und wenn ich unrecht habe, so ist hier mein Kopf, habe ich aber recht, so ist die Perle für dich verloren.« – »Das gehe ich ein,« sprach der Kaufmann. Die Perle wurde hierauf zerbrochen, und es war, wie der Greis gesagt hatte, in ihrem Innern ein sie aushöhlender Wurm. Darüber erstaunte der Fürst und befragte ihn nach der Kunst, wodurch man dieses zu erkennen imstande sei. »Wisse, o Fürst!« antwortete der Greis, »daß diese Art Perlen in dem Innern eines Tieres entstehen, welches Almutabattel heißt. Ihr Entstehen ist ein Regentropfen. Hält man nun diese Perlen in der Hand, so zeichnen sie sich durch eine lange ausdauernde Kälte aus. Als ich aber diese in der Hand hielt und ihr schnelles Warmwerden bemerkte, urteilte ich, daß sie hohl sei, und daß sich in ihrem Innern ein Tier befinden müsse: denn den Tieren teilt sich die Wärme bald mit.« Der König, erfreut über diese Erklärung, vermehrte seinen Jahresgehalt.

Kurz darauf kamen zwei Kaufleute mit zwei Pferden. Der eine forderte für das seinige tausend Goldstücke, der andre fünftausend. Der Koch nahte sich nunmehr wieder dem Fürsten und sagte: »Wir haben von dem Greise schon einigemal uns guten Rat erholt. Meinest du, daß wir ihn rufen?« Als ihm der Fürst dazu Befehl erteilt und der Greis die zwei Pferde gesehen hatte, sprach derselbe: »Dieses hier ist tausend Goldstücke wert, jenes aber zweitausend.« – »Was?« sagten die Leute, »jenes da ist zwar offenbar ein guter Läufer; dieses aber ist jung, schneller noch, gedrungener an Gliedmaßen und hat ein feineres Gesicht, eine reinere Farbe und eine glättere Haut. Wie kannst du denn den Preis so niedrig bestimmen?« – »Alles, was ihr sagt, hat seine Richtigkeit; nur daß der Vater des ersteren ein sehr altes Pferd, dieses dagegen der Sohn eines jungen Pferdes ist. Wenn das erstere nach einer starken Anstrengung stehen bleibt, so kommt es nicht bald wieder zu Atem, und der Reiter würde aus ihm bald von seinem Verfolger ereilt werden. Dieses aber, der Sohn eines jungen Pferdes, wenn du es um die Wette laufen läßt und absteigst und dich wieder auf dasselbige setzest, kommt bald wieder zu Atem und läuft unermüdet weiter.« Da sagte der Kaufmann: »So verhält es sich auch wirklich. Dieser Greis ist ein vortrefflicher Kenner.« Der Fürst befahl sofort, ihm eine Vermehrung seines Jahresgehalts zu reichen. Als der Greis aber sich nicht fortbegab, sondern stehen blieb, fragte ihn der Fürst: »Warum gehst du nicht an deine Arbeit?« – »Meine Arbeit hält mich beim Fürsten zurück.« – »Was begehrst du?« – »Ich wünsche, daß du mich nach dem Wesen der Menschen fragst, wie du mich nach den Perlen und den Pferden befragt hast.« – »Diese Frage brauche ich nicht erst an dich zu tun,« entgegnete der Fürst. »Ich aber,« antwortete der Greis, »fühle das Bedürfnis, dich davon zu unterrichten.« – »Nun wohl, so sage es.« Da sprach der Greis: »Ich benachrichtige dich, daß du der Sohn eines Bäckers bist.« – »Wo hast du das gesehen?« – »Das habe ich in der Konstellation und in den Mansionen des Mondes gesehen.« Hierauf begab sich der Fürst sogleich zu seiner Mutter, welche ihn benachrichtigte, daß ihr erster Gemahl zwar König gewesen, daß sie aber nach dessen Tode heimlich einen Bäcker geheiratet habe, dessen Sohn er sei, daß sie ihn indes immer als Prinzen habe erziehen lassen aus Furcht, das Reich möchte aus ihrer Familie kommen. Der Fürst begab sich nunmehr zum Greise und sagte: »Du hast ganz recht, ich bin der Sohn eines Bäckers; aber zeige mir doch an, wie du dies vermuten konntest.« – »Ich sah wohl ein,« erwiderte der Greis, »daß, wenn du der Sohn eines Königs gewesen wärst, du mir Kostbarkeiten und Juwelen gespendet hättest. Wärest du aber der Sohn eines Kadi gewesen, so würdest du mich drachmenweise belohnt haben; wärest du der Sohn irgend eines Kaufmannes, so hättest du mich mit vielem Gelde beschenkt. Allein ich sah, daß du deine Wohltaten an mir durch Zulagen an Brot zu erkennen gabst; da habe ich denn gleich gemerkt, daß du der Sohn eines Bäckers sein müßtest.« Der Fürst sagte hierauf: »Du hast recht geurteilt«, gab ihm vieles Vermögen und überhäufte ihn mit Würden.«

Diese Geschichte gefiel dem König Schach Bacht sehr wohl; doch versicherte ihn der Wesir Arrachuan, daß sie nichts sei gegen die Geschichte des reichen Mannes, der seine schöne Tochter mit einem armen Greise verheiratet hatte. Der König wurde auf diese Geschichte neugierig, und er befahl dem Wesir, den andern Tag wiederzukommen.

 


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