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Der Abendwind regte sich in den Alleen des Parkes, und die Schatten der herbstlichen Baumkronen traten immer tiefer in den Gartensaal. Die Gräfin legte das Buch weg und trat an das Fenster.
»Befehlen Sie Licht?« fragte das Fräulein.
Die Gräfin schüttelte mit dem Kopf, öffnete das Fenster, schlug es wieder zu und trat an ein anderes.
»Der arme große Florentiner!« sagte das Fräulein in etwas parodischem Tone, das herabgefallene Buch auflangend; »hat er aufgehört, groß zu sein?«
»Wer kann jetzt im Dante lesen!«
»Soll ich vielleicht den Pastor Fido herunterholen?« fuhr die Gesellschafterin in demselben Tone fort.
»Wenn du ihn unseren Zietenschen Husaren vorlesen willst. – Es wird stürmisch.«
»Es wird sogar Nacht, aber Sie überhörten im Dorf den Zapfenstreich über die begeisterte Rede vom Patriotismus des cidevant exilierten Bürgers von Florenz. Dante ist ein großer Mann, daß er uns selbst über die preußische Einquartierung wegsetzt.«
»Setzte dich doch der Ärger über das geschlossene Opernhaus über die ganze Belagerung von Dresden; so bitterbös sah ich meine Freundin auf unseren eisernen Gouverneur.«
»General Schmettau war ein ungalanter Mann.«
»Nicht so schlimm als ihn die Dresdener Kaffeegesellschaften machten.«
»Hätte er es nun ausgeführt, meine Teuerste, und uns alle, die er ins Schloß zusammentrieb, mitsamt der königlichen Familie in die Luft gesprengt – was würden Sie da sagen?«
»Vermutlich nichts.«
»Es war ein eigenes Gefühl, über den hundert Pulverfässern zu stehen, die Bombardiere mit den Lunten die Schloßgasse umherreiten zu sehen und im fatalen Gesicht jedes österreichischen Parlamentariers lesen zu müssen, ob sein Feldherr im Sinne hatte, es auf unsere freiwillige Himmelfahrt ankommen zu lassen.«
»Schmettau war ein Mann.«
»Er hätte nur noch einen Ball geben sollen und unseren Hof zwingen über den Pulverfässern eine graziöse Polonaise zu tanzen, dann hätte er ganz Ihre Bewunderung. – Mich wundert,« fuhr die Gesellschafterin nach einer Pause fort, »daß keiner der preußischen Helden sich in Sie verliebte, denn bei allen Göttern des Krieges, Sie, Eugenie, waren die einzige, die nicht zitterte, in Ihrer Resignation lag etwas Martialisches, und Ihre Augen glühten, daß, wäre ich ein Mann gewesen, ich hätte mich Ihnen zu Füßen gestürzt. So, als ein furchtsames Mädchen, war mir bange, ein Funke von dem vielen Feuer könnte ins Pulver fallen.«
»Du wolltest Licht bringen.«
»Eben hatten Sie es mir verboten.«
»Sagte ich das? Der Wind würde es ausblasen.«
»Im Zimmer? Sie sind zerstreut.«
»Und du wenig gesprächig. Erzähle etwas.«
»Etwa eine Gespenstergeschichte! Die Dunkelheit ladet dazu ein. Sie sehen wieder aus dem Fenster just nach dem alten Brunnen, von wo der verwünschte Schloßverwalter seine mitternächtlichen Promenaden anstellen soll. Ich habe ihn zwar noch nie leibhaftig erblickt, aber da meine gnädigste Cousine letzthin die Möglichkeit von Geisternähe so warm verteidigte, warum sollte gerade der Schloßverwalter nicht spuken können.«
»Törin! Was machte dein Freund, Herr Rabener, als er dich letzt in Dresden besuchte.«
»Er sah die göttliche Komödie auf Ihrem Tisch und meinte, es wäre eine unpassende Lektüre für ein junges und liebenswürdiges Frauenzimmer.«
»Er soll seine Satiren so schreiben, daß ich sie darüber vergessen kann.«
»Um Ihnen zu gefallen, müßte er das halbe menschliche Geschlecht, nämlich die Frauen verlästern und die Männer dazu. Für beides ist Herr Rabener indessen ein viel zu wohlerzogener Mann.«
»Sie alle sind zu wohlerzogen für unsere Zeit. Ihre Poesie geht in seidenen Strümpfen.«
»Ob unsere Poeten alle seidene Strümpfe besitzen fragt sich!«
»Als ob kein Tropfen Blut ihnen ins Gesicht gespritzt wäre,« fuhr die Gräfin fort, »als ob sie kein Bombardement gehört hätten und die Rauchwirbel von tausend brennenden Dörfern ihnen keine anderen Ideen brächten als von Damon und Phyllis.«
»Verdenken Sie's den Leuten? – Wer versetzt sich heuer nicht gern aus Sachsen nach Arkadien! Und was wollen Sie denn? Flackert nicht die Begeisterung, welche Sie wünschen, bei unseren Feinden hell auf? Erst neulich lasen wir im Leipziger Wochenblatt zwei Oden vom Herrn Ramler auf den neuen Cäsar, und den Frühlingssänger Herrn von Kleist lernten Sie ja in unserer Villa im Plauenschen Grunde kennen.«
»Ein Frühling und wir –«
»Freilich,« lispelte die Gesellschafterin, »indessen die Kriegsjahre zählen nicht mit.«
Der Wind wurde heftiger, er warf sich in die hohen Ahornbäume der Allee und schüttelte die Jalousien der Fenster. Eugenie schien einen Gegenstand zu verfolgen, so unverwandt war ihr Blick nach einem Punkte gerichtet, als sie die Freundin durch die Frage erschreckte: »Glaubst du, daß der König von Preußen ins Fegefeuer kommt?«
»Was geht mich der König von Preußen an!« erwiderte die Gesellschafterin verwundert. »Wenn wir einmal ans Fegefeuer denken sollten, lassen Sie es uns lieber dem verwünschten Schloßverwalter gönnen, der wenigstens mit Ihrer Familie in Relation stand. Der König von Preußen hat noch weit bis dahin.«
»Wenn er nicht so weit hätte, als du meinst!«
»Um des Himmels willen keine Ahnungen, und den Dante verschließe ich Ihnen, denn aus seiner Hölle und aus seinem Fegefeuer steigen allein alle die trüben Gedanken auf, die allerwärts besser hin passen, als für unsere schon trübe Winterquartierung.«
»Besorge Licht,« sagte die Gräfin. Die Gesellschafterin verstand den Wink und verließ das Zimmer. Die Dame ging auf und ab. Der schwere Atlas ihres faltigen Kleides rauschte durch den weiten Saal, die Zugluft warf sich in die Damastgardinen der Fenster, sie weit aufbauschend, und die Schatten der gewichtigen Goldtroddeln spielten über das Täfelwerk hin und her. Aber die Geister der Dämmerung beschwichtigten nicht die Unruhe der Gräfin. Mit untergeschlagenen Armen an den Wandpfeiler gelehnt, blickte sie hinaus auf die bewegte Landschaft. Eine trübe gedämpfte Mondscheibe erhellte spärlich die Teiche und überschwemmten Wiesen. Wenn der Wind einen Augenblick schwieg, schallten von der fernen Dorfschenke preußische Soldatenlieder herüber. Eugenie zupfte die Blätter einer Aster. Ihre Äußerungen: »Wird« und »wird nicht,« deuteten auf ein Spiel, bis sie unwillig den entblätterten Stengel fortwarf: »Pfui, eine Blume und Blut!« Sie sah nach den Sternen; die wenigen wurden schnell von den vorüberziehenden Wolken bedeckt.
» Astra regunt homines, sed deus regit astra!« sprach sie dumpf vor sich hin und blickte noch eine Weile, in Gedanken vertieft, nach der dunkelsten Gegend des Parkes, als von der Stelle, welche die Freundin vorhin als den verschütteten Brunnen bezeichnete, sich etwas regte und näherte. Eugenie drückte ihr Gesicht an die Scheibe, eine Gestalt schwebte die verwachsene Allee herauf. In dunklen Umrissen, so lange sie sich im Schatten bewegte, mochte man es für ein Spiel des Windes in den bewegten Gesträuchen halten; wenn es über eine mondhelle Stelle ging, wurden die Formen eines Mannes deutlicher. »Ist es ein Spiel meiner Phantasie, oder wer, wenn nicht ein trunkener Husar, besucht um diese Stunde den verrufenen Ort? – Es ist Albernheit und doch – es soll nicht sein.« – Sie riß heftig das Fenster auf, aber in dem Augenblick warf eine vorüberziehende Wolke ihren Schatten auf den mondhellen Fleck, alles war verschwunden, keine Spur zu entdecken. »Ein Geist, der durch eine klirrende Fensterscheibe verscheucht wird, ist bedenklich!« rief sie und schellte. – Betroffen, etwas blaß, trat nach einer Weile die Freundin ein, das Wachs von den Kerzen des Armleuchters in ihrer Hand war heruntergeträufelt.
»Hast du auch gesehen?«
»So wissen Sie«.
»Was – sprich!«
»Der Kammerherr ist hier.«
»Der Kammerherr!« rief die Gräfin in raschem Übergange von gespannter Erwartung zu zürnender Gleichgültigkeit. »Was will der Kammerherr hier!«
»Ich glaube, das ist nicht schwer zu raten!« erwiderte die Gesellschafterin, das Licht niedersetzend. »Nur wie er herkam, war etwas seltsam. Wie ich über den Korridor aus der Küche kam – es war kein Domestik zu errufen gewesen – springt es mir zum Gartenfenster herein entgegen, daß ich, die ich doch aus langem Umgange etwas von Ihrem Mute abbekommen habe, zusammenfahre und mich kaum erhole. Aber er drückte so verständlich flehend den Finger gegen die Lippen, daß ich dem armen Corydon wenigstens für den Augenblick die Strafpredigt schenkte. Er bat mich himmelhoch, ihn nicht zu verraten, und, ehe ihn jemand sähe, zu Ihnen zu führen.«
»Daß der Mann noch nicht den Mut verliert,« sagte Eugenie. »Die Portion, die über die Erde davon verteilt ist, ist schon so gering, daß auf den einzelnen wenig genug kommt, aber sein ganzer Teil war von Geburt auf einen andern zugeschrieben.«
»Ich ersuche Sie, erlauben Sie diesmal, daß ich ihn einlasse. Er hat meiner Furcht das Versprechen erpreßt und Eugenie will doch nicht, daß eine ihres Geschlechts wortbrüchig wird und noch dazu vor einem Kammerherrn.«
»Er soll kommen.«
Der Angemeldete schlüpfte herein, in einer Kleidung, welche seinem Stande nicht entsprach, und ihn doch nicht verborgen hätte, denn aus dem Kittel blickte das Jabot, unter dem Ärmel die Manschette und aus der Pudelmütze, die er abzog, kam, wenn auch etwas verworren, die Frisur zum Vorschein. Im halben Tänzerschritt flog er auf die Gräfin zu und faßte, das Knie etwas beugend, ihre Hand zum Kusse.
»Was soll diese Mummerei, Herr von Kurz?«
»Ich bitte Sie, alles, nur meinen Namen nicht. Die Wände haben Ohren.«
»Mein Gott, wer kann Ihnen etwas abhören wollen.«
»Ich komme von Warschau.« –
»Kommen Sie vom alten Brunnen her durch die Allee?«
»Es ist nicht das erste Mal, daß ich dort über den Zaun sprang. Man hielt mich« –
»Für einen Geist! Sie taten sich doch keinen Schaden?«
»Nicht im mindesten. Aber ich beschwöre Sie, mir meine Maske zu lassen.«
»Wär' es mir nur im Traum eingefallen, Sie jetzt als Geist zu erblicken!«
»Geister pflegen, wenn sie einem Erdenkinde etwas vertrauen wollen, keine Zeugen zu wählen,« flüsterte er mit schlauer Miene.
Die Gesellschafterin blickte lächelnd auf die Komtesse.
»Ich wüßte nicht,« sagte diese, »was Sie mir mitzuteilen hätten, wo nicht meine Freundin zuhören könnte. Indessen habe ich noch keine Mitteilung von Geistern irgend einer Art gefürchtet.«
Ihre Bewegung gab dem Fräulein Erlaubnis, sich zu entfernen; ehe diese die Tür verließ, faßte der Kammerherr ängstlich ihre Hand: »Meine Gute: ich darf auf Ihre Verschwiegenheit rechnen.« –
»Es ist mir noch nie eingefallen, von Ihnen zu sprechen,« sagte die Gesellschafterin sich entfernend.
Die Gräfin hatte sich nachlässig auf dem Kanapee niedergelassen. Der Kammerherr ergriff ihre Hand und mit einer Bewegung sie ans Herz zu drücken begann er: »Sie werden erstaunen« – Eugenie entzog sie ihm. –
»Gab es neue Polonaisen in Warschau?«
»Man tanzte im Sommer nicht.«
»Sonderbar! Aber man ließ sich doch die italienische Oper nicht entgehen. Die Kastraten aus Dresden haben durch die Güte des Königs von Preußen Pässe erhalten und sind dem Hofe gefolgt.«
»Wir brauchen bald nicht mehr diese Güte!« sagte der Kammerherr, den Kopf bedeutungsvoll aufrichtend.
»Das wolle der Himmel!«
»Er wird es zur Abwechselung auch einmal wollen müssen, wenn er nicht freiwillig will.«
Die Gräfin, erweckt aus ihrer Gleichgültigkeit, blickte ihn forschend an.
»Ja, die Holdeste ihres Geschlechts, die, von den Grazien geschaukelt, von den Musen beschenkt, doch der Diana die Kühnheit, der Minerva die Weisheit, dem Mars seine Kraft beneidet, soll ihren untertänigsten Verehrer bald in einem anderen Lichte erblicken, als ihre mutwillige Laune ihn bisher sehen wollte. Ich komme als Mitwisser, Teilnehmer, ich darf mich mit Urheber von etwas nennen, das, wenn es gelingt –«
Eugenie, unruhig geworden, faßte, ihn unterbrechend, seine Hand: »Sie, Kammerherr« –
Der Kammerherr fuhr mit sicherer Stimme fort: »Der fürchterliche Krieg, der über die Welt entbrannt, und unser schönes Sachsen zu seinem wildesten, unglücklichen Tummelplatze erwählte, hat in den sieben großen Schlachten des vergangenen Jahres seine Kraft ausgetobt. Tage wie die bei Prag, Kollin, Roßbach, Breslau und Leuthen können nicht mehr in ein Jahr fallen. Die nächste große Bataille entscheidet, und die Welt erfährt, ob der Monarch an der Spitze der Potsdamer Wachtparade unüberwindlich ist, – und wenn er es ist, muß man sich in die Zeit schicken, und es ist Zeit, an seine Großmut zu appellieren, oder der Schlag fällt wider ihn aus und dann sind wir es, die die Schadenrechnung schreiben und die Großmut ist an uns.«
»Dasselbe hat man schon oft gesagt,« entgegnete die Gräfin in dem Tone bleierner Gleichgültigkeit von vorhin, »ich weiß nicht, wohin das führt und was es zwischen uns soll.«
Der Kammerherr lächelte: »Wenn man einem solchen entscheidenden Tag zuvorkäme, wenn geschickte Hände die Karten mischten vor der Bataille, wenn ein glücklicher Coup vorbereitet wäre, wenn – Ihre Augen glänzen, Ihre Lippen bewegen sich, Komtesse, Sie wissen mehr, als Ihr Vater mir vertraute, – wenn ich es nun wäre, der die Karten gemischt hätte, wenn ich dann vor Ihnen niederknien, diese schöne Hand an meine Lippen drücken und ausrufen könnte –«
»Halten Sie inne,« – rief die Gräfin aufspringend. Der Kammerherr, der schon halben Weges vor ihr auf ein Knie zu sinken gewesen, fuhr, sich ängstlich umblickend, drei Schritt zurück.
»Sie bemerkten doch nichts?« flüsterte er italienisch.
»Hat mein Vater Sie zum Vertrauten gemacht?« drang die Gräfin in ihn.
»So sind Sie bereits seine Vertraute,« war die Antwort.
Die Gräfin suchte einige Augenblicke in dem von gefühlter Wichtigkeit strahlenden Gesicht, dann forderte eine hastige Bewegung ihn auf, wieder neben ihr Platz zu nehmen.
»Zur Sache, Baron, was haben Sie mir mitzuteilen, was wissen Sie von Plauen?«
Vorsichtig sich umblickend fuhr der Kavalier in französischer Sprache fort, die er aber bei gefährlichen Stellen mit der italienischen vertauschte.
»Ihr Vater, Komtesse, dieser unermüdliche Geist in feinen Planen, der würdige Günstling, Schüler und Freund unseres erhabenen Ministers, ist seit vorgestern im Lager des Königs von Preußen.«
»So mußte ich vermuten; ich wünschte, er wäre nie dort gewesen.«
»Keine Sorge für seine teure Sicherheit! Sein Ansehen steigt im preußischen Feldkabinett, wie es in Warschau durch Brühls Freundschaft fest gesichert ist. Sein Name wird nie genannt; außer mir und einem weiß niemand um seine Teilnahme, bis es gelungen ist. Nun, und dann kann er dem Zorn des gewesenen Friedrich lachen. Aber ich beschwöre Sie, Komtesse, glaubte ich nicht die Perle Ihres Geschlechts so genau wie mich selbst zu kennen, ich möchte, wie Sie mich da so wild ansehen –«
»Was möchten Sie?«
»Meine Gnädigste, nur bescheiden zweifeln –«
»Zweifeln Sie, Baron, daß ich mein Vaterland liebe?« rief sie heftig. »Ich will nicht hoffen, daß jemand zweifelt! Mein Vater verschwieg mir, womit er umging, aber es handelt sich um Friedrichs Person. Ich weiß es; lernt euch besser verstellen, schafft euch biegsamere Larven an, ihr Meister und Jünger in der großen diplomatischen Kunst.«
»Was konnte vor Ihrem Scharfblick verborgen bleiben?« sagte der Kammerherr sich verbeugend. »So schwinden auch diese letzten Zweifel.«
»O zweifeln Sie, so viel Sie wollen, ich gebe Ihnen Erlaubnis, in Ewigkeit an mir zu zweifeln.«
Der Kammerherr ließ sich nicht stören. »Diese holde Laune sagt mir alles. Sie sind unsere Verbündete; ich darf Ihnen alles vertrauen. Ja, Komtesse, seit vorigem Winter arbeiten einige still Verbündete an einem Schlusse des Krieges, der Sachsen volle Genugtuung für alles Unglück, für das grausame Unrecht verspricht. Man weiß, wie Friedrich seine Person exponiert, er hält das unerhörte Glück für seine eiserne Leibwache. Wie leicht wäre es längst den ungarischen Parteigängern geworden, ihn zu fangen, hätte man Winke gehabt, und wäre unter den Österreichern noch ein Genie wie Trencks. Man hat mancherlei Verbindungen in Berlin und Potsdam, was konnten sie aber voraussagen, wohin es an dem und dem Tage dem König gefallen würde, auszureiten, wie viel er mitnehmen, wann er umkehren würde. Ein ganz zufälliger Umstand soll uns aber auf den feinsten Plan leiten. Unsere tätige Freundin in Dresden, das alte Fräulein Klinkauf, hat Freundschaften und Bekanntschaften, die bis in die äußersten Winkel des Souterrains des Berliner Schlosses dringen. Jede Äußerung des Königs im letzten Winter kam uns von da zu Ohren. Dürften wir durch die Flugschriften alles drucken lassen, von dem Nimbus des Helden würde manches verdunkelt werden.«
»Ganz gewiß,« schloß die Gräfin rasch, »wie Voltaire sagt, daß kein großer Mann es vor seinem Kammerdiener ist. Was schlägt das aus? Die Politik hat nichts mit Kammerdienern zu tun.«
»Doch, Gnädigste, ein Kammermädchen hat im Zimmer etwas zu tun, als der König mit seiner Schwester sich über eine Schilderei streitet. Es ist die Skizze eines Wandgemäldes im Brühlschen Schlosse ... Die Prinzessin Amalie behauptet, Kupido könne im Original nur im blauen Hintergrunde stehen, der König will auf grauem. Sie geraten in einige Heftigkeit, wobei die Prinzessin im Ärger das Schnupftuch auf die Erde wirft. Der König lacht und erinnert sie an eine Fabel von dem Herrn Gellert, die ihm am Mittagstisch erzählt worden, wo sich ein Mann und eine Frau streiten, ob ein Hecht blau gewesen oder nicht. Die Prinzessin springt auf und erklärt, sie wolle auch noch im Sarge behaupten, der Grund sei blau. Der König notiert sich etwas und sagt, das könne entschieden werden. Prinzeß Amalie entgegnet ihm spöttisch, das sei unmöglich, da er das Schloß niederbrennen lassen, etwas, woran Friedrich nicht gern erinnert ist. Er erwidert, die Mauern würden doch noch stehen und verläßt in einer Art Ärger das Zimmer. Das wußten wir schon im Dezember, doch nur ein phantastischer Kopf, wie unseres wunderbaren Marquis, konnte schon damals auf so schwachem Schattengrund eine Intrige bauen. Jetzt bin ich in Dresden, und steige die drei schweren Treppen zu der Klinkauf in die Höhe, als mir der kleine Marquis die Tür öffnet und um den Hals springt, daß ich ihn eine Weile tragen muß; denn ich versichere Ihnen, seine Beine reichten nicht auf den Boden, wie er mich umhalste. ›Er kommt, er kommt!‹ ›Wer kommt?‹ fragte ich. ›Friedrich kommt‹, war die Antwort. Ich denke, hat sich der Marquis anders besonnen, denn denselben Jubel hatte ich auf der Parade gehört, wo General Schmettau es so laut gerufen, daß jeder es hören mußte: ›Friedrich kommt?‹ und will er preußisch werden? Ich denke also schon an eine geschickte Retirade, als die Klinkauf mir zehn Tassen voll von Kaffeegrund zeigt und versichert, von allen Plänen, die wir nur je entworfen, lächle keinem so das Glück als dem jetzigen. Und genug, Sie wissen, Friedrich ist gekommen, und in seiner Riesenkeckheit steht er im Begriff, sich unter Dauns Kanonen zu lagern.«
»So kommt es zu der gefürchteten Schlacht,« unterbrach die Dame.
»Wenn nicht die Nacht es ändert. Was ermüde ich Sie, Holdeste, durch Aufzählung der hundert und aber hundert feinster Gespinste, durch die wir von jeder Bewegung des Königs Nachricht erhielten. Der Marquis schwebt in tausend Verkleidungen im preußischen Lager, Dauns Hauptquartier und Dresden. Auch hier könnten Sie ihn gesehen haben, so gut wie mich, wenn man uns nicht für Geister passieren lassen, um alle Aufmerksamkeit zu täuschen. Die Klinkauf schlief die ganze Zeit nicht, und ihre Boten durchstreifen das Land weit und breit, aber der König bekam keine Lust zu Exkursionen. Da begibt sich Ihr Herr Vater ins Lager, schon vorgestern wird er zur Tafel geladen, und stellen Sie sich unsere Überraschung vor, die erste Frage an den Grafen ist nach dem Wandgemälde im Schlosse ... Trotz der Retraite von Olmütz, trotz der blutigen Schlacht von Zorndorf hat der König den blauen Hecht nicht vergessen und fragt Ihren Vater, ob er sich aus seinem früheren Aufenthalt bei Brühl entsinne, ob der Kupido im Putzzimmer auf grau oder blau stehe? – Was der Graf geantwortet, mögen Sie denken, es käme auf den Augenschein an, eine Besichtigung wäre tunlich, wenn die österreichischen Piketts aus dem Parke verjagt würden, die Wände im Palais wären noch wohlerhalten. Der König antwortete, er habe nicht so heißes Blut und wolle lieber abwarten, bis sie sich freiwillig aus der Linie zurückgezogen, und der Marquis war schon am Nachmittage von allem unterrichtet. Jetzt, teuerste Komtesse, sendet mich Ihr Vater –«
»Die Piketts haben sich zurückgezogen!« rief Eugenie aufspringend.
»Freiwillig!« nickte schelmisch der Bote.
»Friedrich ist auf dem Wege nach ...!«
»Und wir auf dem Wege, unseres Todfeindes ledig zu werden. Eilboten sind zu Daun geflogen. Sollten sie ihn nicht erreichen, sind doch Kroaten und ungarische Husaren in der Nähe postiert. Während wir sprechen vielleicht –«
»Gott schütze ihn!«
»Jesus, Komtesse! Was ist das?« fuhr der Kammerherr auf und schwebte mehr auf den Zehen als auf den Füßen. Die rasche Bewegung, das Feuer in den schwarzen Augen der Gräfin brachten ihn aus Fassung und Besinnung, daß der Hofmann über ein Stuhlbein stolpernd gestürzt wäre, hätte ihn die Hand der schnell Gesammelten nicht rasch gehalten.
»Fallen Sie nicht, Baron!«
Er hielt sich an die vergoldete Stuhllehne. Die Gräfin lachte tief aus der Brust, sie durchschritt im Affekt das Zimmer. »Gott, und mein Vater!« rief sie plötzlich und bedeckte stillstehend mit den Händen das Gesicht.
Das verbannte Rot kehrte auf dem Gesicht des Kammerherrn allmählich zurück, seine Knie wankten nicht mehr, sein Körper richtete sich in der vorigen galanten Position. »Ihre Äußerung hatte mich etwas erschreckt, indem ich sie unüberlegterweise einem Motive zuschrieb, das der Tochter des Grafen Meroni immer fremd bleiben wird. Um Ihren Vater darf die Komtesse nicht sorgen, ich kann mir allein es zum Verdienst anrechnen, daß, wenn der Plan umschlägt, es uns nicht allein nicht stürzen, sondern noch heben soll. Sie erstaunen, aber der Graf ist auf alle Fälle gesichert. Man hat nämlich an einer schmeichelhaften Vorstellung für den preußischen König gearbeitet: wie das eroberte Sachsen seinen Erbländern einzuverleiben und die höchsten Kontributionen zu erpressen sein werden, ganz im Sinne des Monarchen. Ein Brouillon, von eigener Hand durchkorrigiert, trägt Ihr Herr Vater bei sich. Im schlimmsten Fall der Kompromittierung, und doch ist der kaum zu besorgen, zieht er, entrüstet über den Verdacht, die Vorstellung aus der Tasche, beweist sich dadurch als einen solchen Preußenfreund, daß er selbst sein Vaterland dafür zerstückeln will, und der König müßte bei einem noch schlaueren Macchiavell, als gegen den er geschrieben, in die Schule gegangen sein, wenn er hinter diesem Licht ein anderes wahrnähme.«
»Vortrefflich!« sagte die Gräfin und maß den Kammerherrn halb erstaunt, halb gleichgültig. »Haben Sie noch sonst etwas auszurichten?«
»Mein erster Auftrag vom Grafen war, Sie auf ein Ereignis vorzubereiten, das Sie überraschen könnte. Wenn ich mehr mitteilte, als ich sollte, schreiben Sie es meiner eigenen Überraschung zu, Sie unterrichteter zu finden, als ich hoffen durfte.«
»Wie dankbar ich meinem Vater bin, daß er Sie zu seinem Boten wählte.«
»Mein zweiter Auftrag lautet, Sie zu bewegen, die einquartierten Offiziere in seinem Namen heute zu einem Abendessen zu invitieren. Er befiehlt, die alternden Schätze seines Kellers nicht zu schonen. Man braucht irgend einen Vorwand, eine besondere ihm vom preußischen Monarchen widerfahrene Gnade, günstige Berichte aus Pommern, Friedensaspekte. Sollte es im ...schen Park zu einer Attacke kommen, liegt äußerst viel daran, die hiesige Besatzung einzuschläfern. Der Wind ist uns günstig. Und hörten wir auch Schüsse, dürfen doch die Offiziere nichts davon hören. Bei der Einladung im Namen Ihres Herrn Vaters verspricht er selbst vielleicht einzutreffen. Sie, Komtesse, entfernen sich nach der Bewillkommnung, und dem Durst der Marssöhne überlassen Sie das übrige.«
»Ich spiele nicht mit!«
»Wie! Ihr Vater, Komtesse!« –
»Die das Spiel angefangen, mögen auch ausspielen.«
»Komtesse, ich begreife Sie nicht. Es hängt ungemein viel davon ab, die Schwadronen der Zietenschen Husaren hier und das Freikorps zu beschäftigen.«
»O ich weiß, was davon abhängt, sogar Friedrichs Leben!«
»Auch das Ihres Vaters, der Graf ist in der Suite des Königs – Sie erblassen. – Um des Himmels willen, was tun Sie?« –
Die Gräfin schellte: das Fräulein trat ein. Sie sprach einige Worte leise mit ihr. Der Kammerherr wechselte die Farbe, er schwankte, sollte er dem Fräulein nacheilen, sich der Gräfin zu Füßen stürzen, selbst zur Tür hinausspringen!
»Was taten Sie?« stammelte er.
»Ich ließ die Offiziere herbescheiden.«
»Rätselhaftes Wesen! Ich lege es zum Guten aus, ich kenne Ihren Patriotismus, – aber wenn es nicht wäre, wenn –«
»Armer betrogener Mann!« redete ihn die Gräfin an, nachdem sie ihm eine Weile sprachlos ins bleiche Gesicht geblickt. »Da hüpfen Sie mit Tänzerschritten und sehen nicht den Abgrund, an den man Sie lockte. Wie ein so kluger Mann so leichtsinnig handeln kann! Vom flüchtigen Wort eines Weibes, von einer Silbe, die den Lippen eines Kindes entschlüpft, hängt Ihr Wohl und Wehe ab. Und an solchen Riesenplan haben Sie sich gewagt. – Wenn es mißglückt, wenn es herauskommt, – glauben Sie, daß Ihre Freunde in Warschau und Dresden einen Finger rühren werden, Sie aus den Klauen des Löwen zu reißen? Man hat an Wichtigeres zu denken. Unschuldig geopfertes Wesen, mit dem man sich so zu spielen erlaubte.«
Der Kammerherr war bei der halb feierlichen, halb persiflierenden Anrede blaß und rot geworden. Er atmete jetzt wieder auf, er fühlte, es war nichts, und ohne zu stocken, antwortete er: »Gräfin, Ihre Teilnahme ist mir schmeichelhaft, aber seien Sie versichert, ich handle nicht ohne nötige Vorsicht. Sollte es zum Ärgsten kommen, trage ich ein Dokument bei mir, eine vollständige Angabe der Dresdener Machinationen. Ich leugne keine meiner Schriften vor Friedrichs Gericht, aber was ich getan, tat ich auf die Gefahr, selbst kompromittiert zu werden, in seinem Interesse. – Einige werden geopfert, aber weder Ihr Vater noch ich. Der Marquis wahrscheinlich. Was gilt uns der Sonderling, wenn es vorbei ist, und, Sie werden mir zugeben, daß, wenn Schmettau auf meine Aussage die Klinkauf ein paar Stunden auf die Hauptwache bringen läßt, meine Rettung damit nicht zu teuer erkauft ist. Sie sehen, wie ich nach beiden Seiten gewaffnet bin.«
»Ihr Minister Brühl wird Ihnen dafür dankbar sein.«
»Komtesse! ich rede vom äußersten, lassen Sie uns sagen, vom schlimmsten Fall. Tritt dieser ein und Friedrichs Sonne soll über uns leuchten bleiben, dann wird der neue Monarch schwerlich den Grafen Brühl in sein Konseil rufen.«
»Friedrich wird einem so geschickten Unterhändler den Verdienstorden nicht verweigern.«
»Komtesse, Sie sind grausam!«
»Sie nannten mich eine Patriotin.«
»Bin ich es nicht auch?« Er senkte sich auf ein Knie, ihre Hand ergreifend. »Wenn der fürchterliche Feind gedemütigt ist, das gedrückte Vaterland triumphiert, wenn es dem aufrichtigsten Verehrer seiner glühendsten Patriotin einen Teil und nicht den kleinsten dieses Triumphes zuschreibt, darf der Glückliche dann hoffen –«
»Kein Liebhaber auf den Knien soll hoffen,« rief sie zurückweichend. »Selbst vor einem Friedrich, selbst vor einer Maria Theresia, auch nicht für das Vaterland soll der Mann knien.«
»Wie soll er vor der Dame erscheinen?« fragte er aufstehend.
»Den Küraß um den Leib, den Pallasch an der Seite, die Locken grau vom Pulverdampf, an der Spitze der treuen Sachsen, die unter Soubise fechten; wenn Sie so über die Bresche dringen in das wieder eroberte Dresden« –
Der Kammerherr zwang sich zu lächeln.
»Verstecken Sie sich, schnell, schnell; ich höre Fußtritte. Wollen Sie den Gästen begegnen? Amelie wird Sie verbergen, im Heuboden oder in der Garderobe, schnell von hinnen, denn beim Himmel, Ihnen wünsche ich kein Märtyrertum.«
Der Kammerherr zögerte keinen Augenblick, dem Winke zu folgen, und war fort wie der Wind, der galante Hofmann, ohne Abschied zu nehmen.