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Sechzehntes Kapitel.

Ende November fand im Konferenzsaal des Volckerschen Geschäftshauses wieder eine Aufsichtsratsitzung des »Morgenblatts« statt. An dem großen, grün überzogenen Tische fehlte von den Mitbegründern der Zeitung nur der Bankier Nathansohn. Sonst waren alle anwesend, die alten Freunde: der Kammerherr Graf Breesen, der seine schwarzlackierte Reisetasche, ohne die man ihn niemals sah, auf einen Stuhl gestellt hatte und noch immer so nervös zappelig war wie ehemals; ferner der Baron Hunding und neben diesem der Prinz Inningen mit dem Ungeheuern Monocle in dem leeren Gesicht; weiter der fanatische Bimetallist Doktor Bruno Pfeil und der Afrikaforscher Doktor Huhnholtz, der seine Pferde verkauft hatte, weil er nunmehr endgültig zu der längstgeplanten neuen Expedition rüstete – der Commis voyageur der Partei, Doktor Sensenschmidt, in wundervoll sitzendem offenen Gehrock und mit schön gestärkter schneeweißer Hemdbrust – und endlich Graf Dassel der Aeltere, sowie die beiden Volckers. Auch der Chefredakteur des Blattes, Doktor Rempler, war hinzugezogen worden.

Es herrschte allgemeine Unzufriedenheit. Baron Hunding beklagte sich, daß das »Morgenblatt« die Fühlung mit der Partei immer mehr verliere. »Immer mehr,« bestätigte Prinz Inningen und nickte. Es machten sich zuweilen Sondermeinungen geltend, die tief zu beklagen wären. Das ginge nicht an. Man müsse Farbe bekennen und bei der Fahne bleiben. Doktor Rempler antwortete. Er sprach sehr gewandt, ruhig und gemessen. Das »Morgenblatt« habe sich allerdings in den Dienst der Partei gestellt; aber er sei nicht der Partei willenloses Mundstück. Bei Beginn seines Engagements sei ihm die Zusicherung gemacht worden, daß er sich völlige Unabhängigkeit bewahren dürfe. »Meine Herren, ich stehe auf demselben politischen Boden wie Sie. Aber ich bin kein Reptil. Ich kann nicht Ansichten und Meinungen wiedergeben, die gegen mein Gewissen sprechen. Und ich freue mich, daß ich in meinem hochverehrten Mitarbeiter, dem Herrn Grafen Dassel, eine gleich empfindende Seele gefunden habe. Graf Dassel und ich sind die Leiter der Politik des ›Morgenblatts‹. Wir bemühen uns ehrlich und nach Kräften, der Partei dienstbar zu sein. Doch wir können das nur, wenn Sie uns keine Fesseln anlegen. Wir können das nur, wenn Sie uns auch einmal eine von den Beschlüssen des Parteivorstandes abweichende Meinung gestatten. Im andern Falle würde ich, wenn auch mit großem Bedauern, mein Amt niederzulegen gezwungen sein …«

Darauf schien Doktor Sensenschmidt nur gewartet zu haben. Er warf sich gewaltig in die Brust, so daß das pralle Vorhemdchen krachte, und donnerte los, als stehe er auf der Rednerbühne. Rücksichtslos zog er gegen Rempler und Dassel zu Felde. Das »Morgenblatt« sei als Parteiorgan gegründet worden; sonst hätte ihm die Partei von vornherein jedwede Unterstützung versagt. Man möge gefälligst auch nicht vergessen, daß im »Morgenblatte« große Kapitalien von Parteimitgliedern steckten. Die Phrase von der Unabhängigkeit der Presse sei in diesem Falle ganz deplaciert. Das »Morgenblatt« habe in seinem politischen Teile lediglich die Ansichten der Partei zur Geltung zu bringen. Aber freilich: weder Doktor Rempler noch der Graf Dassel – »pardon, Herr Graf, aber ich muß bei der Wahrheit bleiben« – ständen noch fest mit beiden Beinen auf dem Parteiboden. In hundert wichtigen, einschneidenden und maßgebenden Fragen wichen sie von den Beschlüssen der Leitung ab … Doktor Sensenschmidt wurde schärfer, je länger er sprach. Seine Ausfälle wurden bissig. Er rief Doktor Pfeil und den Baron Hunding zu Hilfe. Sei denn die letzte Polemik gegen die Zölle erhört gewesen? Und sei denn das schwächliche Eintreten für die Agrarier nicht geradezu belächelnswert? Dann citierte er wieder den Prinzen Inningen als Zeuge. Im Herrenhause habe man das »Morgenblatt« bereits zur Kuriositätenlitteratur geworfen. Man schwöre auf Bismarck – gut. Aber wenn der große Diplomat sich von der Partei abwende, so liege noch kein Grund vor, ihm auf seinen Sonderexkursionen zu folgen. Parteiblatt oder nicht; scharfe Scheidung. Rechts oder links! Doktor Rempler drohe mit seinem Austritt. Unter den obwaltenden Verhältnissen könne das dem Blatte wie der Partei nur förderlich sein. »Jawohl, meine Herren, das sage ich frank und frei!« –

Er schlug die Klappe seines Gehrocks zurück und setzte sich. Ein paar Minuten lang tönten die Stimmen durcheinander. Herr von Hunding stimmte dem Vorredner zu, im allgemeinen auch Graf Breesen. Doch hatte dieser auch noch andre Klagen auf dem Herzen. Seine Frau hatte ihm gesagt, der letztveröffentlichte Roman sei einfach unmöglich. Sie schnitte das Feuilleton heraus, um es nicht in die Hände ihrer Tochter fallen zu lassen. Er, der Graf, schaue ja nur zeitweilig in den Roman hinein; aber auch er müsse gestehen, die Dinge, die da geschildert würden, seien zum mindesten nicht alltäglich. Die Flucht einer jungen Engländerin mit einem Prinzen, ganz mutterseelenallein – und dann das Lager im Walde der einbrechender Nacht – das seien denn doch Dinge, die nicht in eine auch von Damen guter Stände gelesene Erzählung hineingehörten. Inningen war durchaus derselben Meinung. Ein Prinz pflege sich auf derlei gewöhnlich nicht einzulassen; die Engländerin in dem Roman sei überdies noch eine ehemalige Schauspielerin oder, irre er nicht sehr, sogar eine Kunstreiterin. Durch solche Erzählungen, würden total falsche Anschauungen über das Leben der höheren Kreise in das Volk getragen. Uebrigens fänden sich mitunter auch in der Gerichtschronik und in dem Vermischten skandalöse Sachen … Doktor Huhnholtz konstatierte mit Genugthuung die nationale Haltung des Blattes in Kolonialfragen. Aber man solle doch die Reklame für den Doktor Bernewitz lassen, den man gar nicht zu den Afrikaforschern rechnen könne. Ebensowenig den Doktor Loewen, und Herrn von Gröbner erst recht nicht. Dann schrie Doktor Sensenschmidt von neuem los und fand diesmal in Doktor Pfeil lebhafte. Unterstützung.

Da klopfte Graf Dassel mit einem elfenbeinernen Papieraufschneider auf den Tisch.

»Nur wenige Worte,« sagte er. »Sie alle, meine Herren, verkennen meiner Ansicht nach den Zweck des ›Morgenblatts‹ gründlich. Es ist kein offizielles Organ der Partei; ein solches besitzen wir bereits und haben nie die Absicht gehabt, ihm Konkurrenz machen zu wollen. Durchaus auf den Prinzipien unsrer Partei fußend, sollte das ›Morgenblatt‹ sich doch von Anbeginn an seine unabhängige Haltung bewahren. Und das hat es, den Herren Volcker und dem Doktor Rempler sei Dank dafür gesagt, auch redlich gethan. Es ist allezeit mit warmem Herzen für unsre Sache eingetreten, und wich es in dieser und jener Frage einmal von der ausgegebenen Parole ab, so geschah es mit Takt und ernsthafter Begründung. Meine Herren, seien wir doch froh, daß uns ein unabhängiges Organ zur Verfügung steht! Wenn es nach Herrn Doktor Sensenschmidt ginge, dann würde überhaupt nur noch der Parteivorstand existieren, und alle übrigen müßten sich gehorsam und unterthänigst den Ideen dieser gewaltigen Sieben fügen. Aber, meine Herren, so fördern wir nicht unsre politischen Pläne. Vom Anfang meiner parlamentarischen Thätigkeit an, und sie reicht ziemlich weit zurück, habe ich mich energisch gegen jedweden Parteiterrorismus gewehrt. Ich habe viel kämpfen müssen, doch auch meine Gegner sind meine Freunde geblieben. Ich habe zuweilen meine persönlichen Ansichten dem Gesamtwohl untergeordnet, aber doch immer nur da, wo ich in der That das Wohl der Gesamtheit vor Augen sah. Ich stehe fest und stehe nach wie vor mit beiden Füßen auf dem Boden unsrer Partei, mein verehrter Herr Doktor Sensenschmidt. Nur habe ich mich nie als Höriger des Siebenerausschusses gefühlt, sondern immer als freier Mann. Und so möchte ich auch unsrer Zeitung die Freiheit und die Freimütigkeit des Urteils gewahrt wissen. Die brauchen wir mehr als das Echo, das Sie aus ihr machen möchten …«

Eine leichte Erregung entstand im Aufsichtsrat. Sensenschmidt warf mit dem Schlagwort »Parteidisziplin« um sich; Graf Breesen und Doktor Pfeil wandten sich lebhaft gegen Dassel, und auch Huhnholtz schüttelte den Kopf und meinte: wenn man solche Ansichten bei Begründung des Blattes hätte laut werden lassen, so würden kaum so erhebliche Mittel zusammen gekommen sein. Schließlich erbat sich Bertram das Wort.

»Ich stehe durchaus auf dem Standpunkte des Grafen Dassel,« sagte er. »Es ist eine thatsächliche Verkennung der Verhältnisse, wenn Sie, meine Herren, der Ansicht sind, das ›Morgenblatt‹ sei lediglich zu dem Zwecke geschaffen worden, ein Sprachrohr der Parteileitung zu sein. Daß sie eines solchen bedarf, erkenne ich ohne weiteres an; sie besitzt aber bereits ihre Korrespondenzen und ihr offizielles Organ. Es würde sich meines Erachtens nach nicht mit dem Rufe unsrer Firma vereinigt, würde ganz gewiß nicht dem Sinne des Begründers unsres Hauses entsprochen haben, wenn wir uns in ein Abhängigkeitsverhältnis begeben hätten, dessen Druck sich mehr und mehr fühlbar gemacht haben würde. Sie haben uns heute schon den Beweis dafür erbracht, wie stark dieser Druck zu spüren ist. Herr Baron von Hunding, erinnern Sie sich, was Ihnen Fürst Bismarck seinerzeit gesagt hat, als Sie bei ihm waren, um mit ihm über das Inslebentreten des ›Morgenblatts‹ zu sprechen. Entsinnen Sie sich seiner Worte über die ›Parteischablone‹ und die ›parlamentarischen Condottiere‹ und über die Freiheit der Presse, die die einzige Korrektive gegenüber dem Terrorismus einzelner Führer sei; entsinnen Sie sich, Herr Baron, wie sehr sich der Fürst darüber beklagt hat, daß die Parteipresse immer mehr an Charakter verliere und zur Marionette in den Händen der Fraktionsleitung geworden sei? In unsern Fraktionen sei der Krystallisationspunkt nicht ein Programm, sondern eine Person – so ähnlich hat er sich auch mir gegenüber geäußert – und gerade deshalb begrüßte der Fürst unser Unternehmen so freudig, weil wir gewillt waren, uns nicht in die Schleppe dieses und jenes Führers nehmen, sondern auch einmal die eigene Meinung zu Worte kommen zu lassen. Die Presse erfüllt nur ihren Beruf, wenn sie unabhängig ist. Ich gestehe offen, daß ich von Anfang an gefürchtet habe, der Einfluß des Aufsichtsrats und des sogenannten Redaktionskomitees würde kein günstiger sein. Jede Beeinflussung ist vom Uebel. Sie werden es mir nicht zu Unrecht deuten können, meine Herren, wenn ich mich von diesen Einflüssen frei zu machen trachte. Ich stelle mich auf den Boden unsrer Abmachungen und werde mir erlauben, die noch in fremden Händen befindlichen Anteile zum ersten April zu kündigen. Dann ist das ›Morgenblatt‹ unbeschränktes Eigentum der Firma E. M. Volcker; dann erst ist es völlig unabhängig. Und, meine Herren, ich werde dafür Sorge tragen, daß ihm diese Unabhängigkeit gewahrt bleibe – im Geiste Bismarcks und auch im Geiste unsrer Partei, der wir nach besten Kräften dienen wollen, nicht nur als Mundredner, sondern auch von der Warte einer freimütigen Kritik aus …«

Er schwieg. Unter den Anwesenden war keiner, der durch die Erklärung Bertrams nicht sichtlich betroffen worden wäre. Am unerwartetsten kam sie Hans. Die Kündigung der Anteilscheine war erfolgt, ohne daß er befragt worden war. Bertram griff damit gewaltsam in seine Rechte ein. Hans war erblaßt; aber er erwiderte nichts. Das war ein Tag des Unglücks für ihn; in aller Morgenfrühe hatten die Aufregungen begonnen, und es schien, als sollten sie sich fortsetzen. Mit finsterer Stirn saß er auf seinem Platze und blätterte mechanisch in den vor ihm liegenden Papieren.

Auch Dassel war erstaunt. Er war immer der Ansicht gewesen, daß das »Morgenblatt« sich nur ohne Rücksichtnahme auf persönliche Wünsche und Empfindungen günstig fortentwickeln könne. Aber es gehörten große Mittel dazu, sich von dem Einfluß des Gründungskomitees frei zu machen. Hatte Bertram Volcker die nötigen Kapitalien beschaffen können? Es mußte wohl so sein, da er von einer Auszahlung der Anteile sprach. Dassel nickte erfreut. Daß man den Doktor Sensenschmidt abschütteln konnte, diesen sprachgewandten und heuchlerischen Lobredner der Partei, der in Politik reiste wie andre in Cigarren und Weinen, das war ihm ein besonderes Vergnügen.

Sensenschmidt war denn auch der erste, der Antwort auf die Erklärung Bertrams fand.

»Da sind wir ja unnötig,« sagte er und stand auf. »Ich werde mir erlauben, dem Parteivorstand Mitteilung von Ihrem Entschlusse zu machen, Herr Volcker. Die Irrung, als stehe das ›Morgenblatt‹ noch in irgend einer Verbindung mit der Fraktion, muß endgültig zerstreut werden. Es könnte sonst zu unliebsamen Mißverständnissen kommen …«

Nun erholten sich auch die übrigen Herren von ihrem Erstaunen. Huhnholtz sprach von einem Ueberfall aus dem Hinterhalt. Baron Hunding kam auf die Unterhandlungen mit Bismarck zurück und versuchte Bertram klar zu machen, daß der große Staatsmann von den Zeiten der sogenannten Wochenblattspartei ab immer seinen persönlichen Einfluß in der Presse zur Geltung gebracht habe. Er sprach wild durcheinander von Bethmann-Hollweg, Goltz, Pourtalès, Perrot und Wagner, den Deklaranten und Arnim, der »Reichsglocke« und der »Kreuz-Zeitung«, während der kleine Doktor Pfeil in den Grafen Breesen hineinredete, der vor Nervosität mit Armen und Beinen schlenkerte und ein Mal über das andre rief: »Also an die Luft gesetzt! Das ist toll! Das ist toll! An die Luft gesetzt – schlankweg an die Luft gesetzt …« Prinz Inningen hielt sich am ruhigsten. Doch konnte er sich nicht versagen, seine Hand auf die Schulter Bertrams zu legen und mit einem gewissen Wohlwollen zu äußern: »Sie werden uns wiederkommen, mein werter Herr Volcker. Sie werden überlegen und uns wiederkommen. Ich weiß es. Und wir werden Ihnen gern verzeihen …«

Aber Bertram blieb fest im Sturm des Aufruhrs. Nur einmal wurde er unruhig, als Huhnholtz Hans zurief: »Liebster, da sagen doch auch Sie einmal ein Wort! …« Doch Hans zuckte nur mit den Schultern und behielt seine finstere Miene bei.

Die Sitzung dehnte sich aus. Sensenschmidt war stürmisch davongeeilt; Doktor Huhnholtz folgte ihm, da er eine Verabredung mit einem Offiziere von den Gardekürassieren hatte, der ihm seine Jucker abkaufen wollte. Die übrigen blieben noch. Es gab ein langes Hin und Her. Prinz Inningen wurde immer väterlicher; Graf Breesen zappelte vor Nervosität; Baron Hunding ließ es an Versprechungen nicht fehlen: Lockvögel wie »Hofbuchhändler« und »Kronenorden« flatterten auf … Bertram blieb fest …

Der Sitzung folgte eine nicht minder stürmische Scene im Arbeitszimmer des ältesten Chefs. Hans war dem Bruder gefolgt; er war entschlossen, Rechenschaft von ihm zu fordern.

»Bin ich Mitbesitzer der Firma, Bert?« begann er. »Und hab' ich die gleichen Rechte wie du?«

»Beides, Hans,« erwiderte Bertram ruhig. »Ehe du heftig wirst, höre mich an. Setze dich da herüber – da hast du das Bild unsres Vaters vor Augen. Es wird wohl nötig sein, dir den Verewigten in das Gedächtnis zurückzurufen … Wie entstand das ›Morgenblatt‹ – weißt du es noch? Eine Gruppe Parlamentarier trat in Bismarcks Auftrag an uns heran. Du warst Feuer und Flamme; der Ehrgeiz wachte in dir auf und die liebe Eitelkeit. Das enge Haus in Leipzig genügte dir längst nicht mehr. Du wolltest hoch hinaus, wolltest nicht schrittweise vorwärts –«

»Sondern im Fluge. Es sind die alten Vorwürfe, Bert. Bleib bei der Sache.«

»Vorwürfe – ja. Aber auch Wahrheiten. Ich wäre ein gewissenloser Narr, wollte ich noch länger beschönigen, was nicht mehr zu beschönigen ist. Du weißt, wie sehr ich mich anfänglich gegen das Zeitungsunternehmen gewehrt habe. Schließlich gab ich nach; ich habe das Für und Wider reiflich erwogen. Zum mindesten konnte das Blatt uns auch einen moralischen Gewinn bringen, wenn es in die rechten Wege geleitet würde. Aber das Unglück war, daß wir von vornherein mit einem zu großen fremden Kapital arbeiteten und uns dadurch die Hände banden. Ich gestehe freimütig zu, daß ich diesen Fehler mitverschuldet habe. Der dort, unser Vater, hätte das nicht gethan. Er hätte den Plan fallen lassen, wenn die Mittel sein Können überschritten hätten. Auch wir haben uns das System autonomer Wirtschaft auf kapitalistischer Grundlage zu eigen gemacht, das heute vielfach im Buchgewerbe herrscht. Wir gehörten zu den ersten, die der Spezialisierung entgegen traten, und eine ganze Reihe von Betrieben in einer Hand vereinigten; der Ruhm unsrer Firma baut sich auf der Zusammenfassung von Produktion und Vertrieb auf, die unserm Geschäft seine riesige Ausdehnung gab. Aber wir haben immer mit eigenen Kräften gearbeitet und sind dadurch die Herren unsrer selbst geblieben. Das ist mit der Begründung des ›Morgenblatts‹ anders geworden. Von allen Seiten hat man uns in das Handwerk gepfuscht. Entsinne dich, welches Zetern sich erhob, als wir den Verlag des Reisewerks des Fürsten Turbetzkoi übernahmen. Ein unpolitisches Werk – aber man hat uns beschimpft und geschmäht, weil Fürst Turbetzkoi an der Spitze der antideutschen Bewegung in Petersburg steht! Man forderte, auch unser Verlag sollte sich gewissermaßen der Richtung unsres Blattes anbequemen. Und was hat man aus dem Blatte selbst machen wollen! – Hans, wir sind zu gut dazu, ein Reptil zu züchten, das aus dem Futterkorbe der Parteileitung gespeist wird. Hätte den alten Herrn da oben hören mögen, wenn man ihm das zugemutet haben würde! … Und da habe ich denn kurzen Prozeß gemacht. Nicht ohne Ueberlegung – o, ich habe nächtelang nicht geschlafen und habe reiflich bedacht, was ich vorhatte. Du kannst mich schelten, daß ich dich nicht in das Vertrauen gezogen –«

»Ich schelte nicht, aber ich warte noch immer auf genügende Aufklärung.«

»So kann ich sie dir nicht geben, wie du sie erwarten wirst. Zürne und wettre, Hans: ich habe allein gehandelt, weil ich der Ueberzeugung war, daß du mir widersprechen würdest. Denn die Ausführung meines Planes verurteilt dich zu einer vollkommen und von Grund aus veränderten Lebensführung. Wir werden unsre persönlichen Bedürfnisse auf das Geringste einschränken und werden an allen Ecken und Enden sparen müssen – oder wir werden zu Grunde gehen …«

Hans erhob sich langsam und kreideweiß im Gesicht.

»Bert,« sagte er heiser, »– das alles kommt nicht aus dir allein. Leugne es, wenn du kannst: du hast eine Genossin an meiner Frau!«

Da fuhr auch Bertram empor. Seine Wangen färbten sich dunkler. »An Gerda?« rief er. »Eine Genossin? – Vielleicht heimlich, vielleicht im stillen, vielleicht auch … Ja, Hans, eine Genossin hab' ich an ihr; da hast du recht. Eine Genossin in der Verurteilung deiner kindischen Eitelkeit, die dich zum Verschwender macht. Aber sonst – – Hans, was sollte die thörichte Aeußerung? …«

Hans stand mit gesenktem Kopfe vor ihm. Der große, elegante Mann fühlte sich wie ein Schuljunge gedemütigt.

»Bert – Bert, heute früh – da hatte ich daheim eine furchtbare Scene. Ein Unglücksfall gab den Anstoß. Mein ›Sonnabend‹ ist an der Maulsperre zu Grunde gegangen. Milton, der Schuft, trägt die Schuld – hat einen rostigen Nagel nicht rechtzeitig bemerkt, den sich der Gaul in den Huf getreten … Ganz gleich … Ich fluchte und schimpfte, war ärgerlich, vielleicht auch ein wenig rücksichtslos gegen Gerda – und da – kam es denn zu der Scene …«

Bertram hatte, an seinem Arbeitstische sitzend, die Hände gegen die hämmernden Schläfen gedrückt. Er dachte an Gerda und die unvergeßlichen Minuten von neulich, an ihrem Geburtstag, und die kurze Aussprache im Speisezimmer. War die »Scene« von heute morgen eine Folgewirkung seiner Mahnung gewesen? –

»Hat Gerda dir Vorwürfe gemacht?« fragte er.

»Ja. Genau wie du. Und genau wie du forderte auch sie eine ›von Grund aus veränderte Lebensführung‹.«

Bertram horchte auf. Das war in der That ein seltsames Zusammentreffen, und doch wieder ein verständliches.

»Hans – mein Wort darauf, daß Gerda von meinem Entschlusse, das ›Morgenblatt‹ in eigene Regie zu nehmen, keine Ahnung haben kann. Ich habe sie seit Wochen nicht gesehen und gesprochen. Aber ich begreife ihre Forderung. Ihr liegen andre Motive zu Grunde als der meinen; in der Wirkung sind beide gleich …« Er stand auf und nahm das Hauptbuch aus dem Arnheim: das große Heiligtum der Firma und ihr Geheimnis – und schlug es auf … »Sieh, Hans, hier ist unser Soll und Haben,« fuhr er fort. »Weißt du, welche Summe du im letztverflossenen Jahre aus dem Geschäft gezogen hast?«

Hans wurde verlegen. »Es ist viel geworden, Bert – ich hatte mancherlei Unglück – hatte –«

Und wieder verstummte er, mit scheuem Blicke nach rechts und links. Es war unerträglich, diese Schulmeisterei. Mußte er sich das denn gefallen lassen? – Und dennoch rührte er sich nicht.

»Viel geworden,« wiederholte Bertram. »Ja – es sind genau vierundneunzigtausendsechshundert Mark geworden. In einem Jahre, Hans!« – Er klappte das Buch wieder zu … »Das ist Wahnsinn; das ist unser Ruin. Ein Vermögen nur so aus dem Handgelenk auf die Straße geworfen. Auf die Straße – denn du bist nicht einmal ein Wüstling. Bist nur der Grandseigneur von Geblüt, dem das Gold zwischen den Fingern zerschmilzt wie Schneeflocken … Hans, es gilt Einkehr zu halten. Es ist bitterer Ernst geworden, verdammt bitterer. Schau den noch einmal an da oben, unsern Alten – und dann höre. Ich kann mit einer Viertelmillion die fremden Anteile am ›Morgenblatt‹ an mich bringen. Das Geld liegt bereit; auch Malwine hat wieder geholfen. Aber bedenke: es kommt eine neue Zeit des Kampfes für uns, denn Sensenschmidt und Konsorten werden eilen, uns bei der eigenen Partei zu verunglimpfen. Und Kampf kostet Geld. Wir müssen also zusammenhalten, was möglich ist, und dürfen dabei doch unsern Verlag nicht vernachlässigen. Das geht nur unter bestimmten Voraussetzungen. Ich habe mein Jahresbudget auf zwanzigtausend Mark festgesetzt; da lebe ich immer noch wie ein König. Bin ich König, so sollst du Kaiser sein. Setzen wir das Doppelte für dich fest, Hans – keinen Pfennig mehr. Wirst du mit vierzigtausend Mark deinen kärglichen Unterhalt bestreiten können? …«

Die Scham schlich sich in die Seele des andern. Er war ein Thor und ein Kind und ein Leichtfuß; aber war nicht schlecht. Und von der Wand herab schaute ein ernstes und liebes Gesicht, im Bilde nur, doch das Bild schien Leben zu gewinnen. Es glich auf ein Haar dem Gesicht Bertrams; und so wie Bertram, genau so würde der Alte gehandelt haben. Er war kein verknöcherter Kaufmann gewesen, sondern ein Mann mit weitem Blick. Nur ein Prinzip hatte er aus alten Zeiten ehrwürdig bewahrt: daß das Seine auch »sein« bleiben sollte. Er war ein Feind der großen Associationen, des Zusammenfließens fremder Kapitalien in eine Gesellschaftskasse zum Zweck verdoppelten und vervielfachten Erwerbs, und war ein Feind der Spekulation. Das konnte man ihm in Tagen schrankenlos gewordener Gewinnsucht und raffiniertester Ausnützung der Interessen als Kleinlichkeit vorwerfen; aber es war doch auch ein Schutzwall für ihn. Auf dem Grundsatz » Labore et Constantia«, dem alten Wahlspruch der Plantins zu Antwerpen, hatte E. M. Volcker zu bauen begonnen, und in der Stetigkeit der Arbeit war die Firma groß geworden; war groß geworden aus eigenem Fleiße und ohne die Beihilfe Fremder. In begreiflichem Stolze hatte der alte Herr denn auch in seinem Testamente die Bitte ausgesprochen, das Geschäft nicht gleich andern ähnlichen großen buchhändlerischen Firmen in ein Gesellschaftsunternehmen umzuwandeln. Das Haus E. M. Volcker sollte den Volckers verbleiben; die Volckers sollten es weiterführen, als Besitzer und Herren, nicht als Beamte eines vielköpfigen Komitees …

Bertram schaute seinen Bruder fragend an. Er wartete auf die Antwort. Hans überschlich ein Gefühl von Scham. Er konnte heftig und trotzig sein, war aber doch eine leicht lenkbare Natur. Einen Augenblick überlegte er: sollte er den Gekränkten und Beleidigten spielen – oder nachgeben? Die Klugheit erforderte Nachgiebigkeit, denn an dem »bittern Ernst« Bertrams war nicht zu zweifeln. So lächelte Hans denn – etwas überlegen und spöttisch – und erwiderte: »Ich kann alles, was sein muß, Bert. Du beliebst ein wenig ironisch zu sein. Sei es. Ich streite nicht ab, daß ich mich in meinem Verbrauch mehr hätte einschränken können. Aber – – nein, ich will mich nicht verteidigen. Wozu auch? Du erklärst mir: es muß anders werden – aus geschäftlichen Gründen. Gut, sage ich dir, so füge ich mich. Verständigen Auseinandersetzungen habe ich mich noch nie widersetzt. Und deshalb war es unrecht von dir, mir nicht von vornherein ganz offen deine Pläne und Absichten klarzulegen.«

Er richtete sich wieder hoch auf. Bertram brauchte nicht zu wissen, daß sich in der That eine leise Scham in ihm regte. Aber Bertram war klüger als er. Auch er gab nach.

»Ich bitte dich nachträglich um Verzeihung, Hans,« sagte er. »Und zugleich danke ich dir für dein Entgegenkommen. Es ermöglicht uns die Aufstellung eines neuen Budgets und schafft mir Vertrauen auf die Zukunft. Ich bin kein Prophet und meiner ganzen Veranlagung nach kein Optimist. Aber ich hoffe viel von der Zeitung, sobald sie sich aus kleinlichem Abhängigkeitsverhältnis frei gemacht hat. Dein Schwiegervater ist mir in politicis eine vorbildliche Erscheinung. Er vertritt nicht lediglich unsre Partei, vertritt sie jedenfalls nicht par ordre de Moufti, laut Befehl und Wunsch der paar an ihrer Spitze stehenden ›Condottiere‹, wie Bismarck sich ausdrückt. Er vertritt sie auf dem Boden des gesunden Menschenverstands. Und Gott sei Dank ist er keine Ausnahmeerscheinung; wie er, denken Zahllose. Begreift die Parteileitung nicht, daß unsre Aufgaben von heute wesentlich andre sein müssen als zur Zeit des Konflikts, so muß die Partei selbst dies den Führern klar zu machen suchen. Mit egoistischer Interessenpolitik dienen wir nicht der nationalen Sache. Das Wort Roons von der ›Partei des konservativen Fortschritts‹ kam aus dem Herzen eines grundehrlichen Mannes. Ich will keine Sezession und würde sie nie befürworten. Aber ich will in dem Blatte der Volckers die männliche Ehrlichkeit eines Roon zur Geltung bringen. Ich habe vorhin schon betont: die Abhängigkeit der Presse ist immer vom Uebel. Als die ›Spenersche Zeitung‹ in den letzten Zügen lag, ließ sie sich von Paris aus durch den Grafen Harry Arnim in das Schlepptau nehmen. Das war ihr gänzlicher Untergang. Wir können nur gewinnen, wenn wir uns von Zwang und Fesseln freihalten. Ich freue mich, Hans, daß du meine Ansichten teilst …«

Hans nickte; aber seine Zustimmung erschien ziemlich kühl und doch nur bedingt.

»Ich teile sie,« sagte er, »wenigstens in ihren großen Zügen. Ich sehe ein, daß wir nur reformierend wirken können, wenn wir uns unabhängig halten. An organisatorisch schöpferischen Geistern fehlt es unsrer Partei; da könnten wir einsetzen und Gutes schaffen. Ja, das könnten wir. Aber – aber denke gefälligst auch an meine persönliche Stellung zur Parteileitung. Wie soll ich mich als ihr Kandidat ihr gegenüber verhalten?«

»Du wirst zurücktreten,« erwiderte Bertram einfach.

Hans schüttelte heftig den Kopf.

»Das geht nicht. Das wäre ein Vertrauensbruch.«

»Meiner Ansicht nach keineswegs. Du figurierst so wie so nur als Zählkandidat. Ich habe mich von vornherein gegen deine Aufstellung erklärt, weil ich Konflikte voraussah. Im übrigen: willst du bleiben, so kann ich natürlich nichts dagegen thun. Du kommst dann möglicherweise nur in die Gefahr, dich in Widerspruch zu den Ansichten zu setzen, denen in dem Blatte deiner Firma Ausdruck gegeben wird. Möglicherweise sage ich. Ueberlege das, Hans …«

Hans wurde unwillig. »Ueberlegen – überlegen, das ist dein drittes Wort!« rief er ärgerlich. »Dabei gönnst du mir keine Ueberlegung, sondern setzest mir einfach die Pistole auf die Brust. Du hast mich überrumpelt, Bert!«

»That ich das, so geschah es zu unser aller Besten. Trotzdem – du bist noch immer frei in deinen Entschlüssen. Was auf dem Spiele steht, weißt du: nicht mehr und nicht weniger als die Ehre unsres Hauses … Nun verzeihe. Ich habe eine Konferenz mit unserm Papierlieferanten und muß nach der Behrenstraße. Bleibst du im Geschäft?«

»Bis sechs Uhr.«

»Das ist mir lieb. Es ist möglich, daß mich ein Vertreter von Riffarth & Co. zu sprechen wünscht. Ich bin spätestens in zwei Stunden zurück … Noch eins: dein neuer Schützling macht sich, wie es scheint.«

»Wer ist das?«

»Pawel. Er hat sich mit wahrer Begeisterung in die Arbeit gestürzt. Ein Idealist wie Eschwege, nur hat er mehr Pflichtgefühl. Ich bin sehr zufrieden mit ihm … Auf Wiederschau'n, Hans!«

Die Brüder reichten sich die Hände. Bertram hielt die Rechte des andern fest in der seinen und drückte sie stark. Es war wie das Zeichen eines neuen Bundes. Aber er hatte das Vertrauen verloren. Er fürchtete immer noch die Haltlosigkeit des Bruders und seine Charakterschwäche. Um diese schwankende Natur zu völliger Umkehr zu zwingen, bedurfte es starker Gewalten.

Bertram ging, die kampffreudige »Genossin« aufzusuchen. An der Ecke der Friedrichstraße nahm er sich eine Droschke. Aber er fuhr nicht zu seinem Papierlieferanten, sondern zu Gerda.


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