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An Gerdas Geburtstag fand ein kleines Familiendiner im Volckerschen Hause in der Rauchstraße statt. Nur wenige waren geladen und nicht durchweg die intimsten; die Familie fand sich selten zusammen. Hans war für eine größere Festlichkeit gewesen, aber Gerda hatte darauf gedrungen, Bertram und Steffens mit ihren Frauen einzuladen. Das waren Leute, deren man sich nicht zu schämen brauchte, und waren die nächsten Verwandten. Der alte Graf Dassel hatte sich schon in aller Frühe durch ein Telegramm angesagt, Etienne Vließen einen Rosenkorb geschickt. Gerda wehrte ab, als Hans anfragte, ob er Etienne noch eine telephonische Einladung zugehen lassen solle. Nein, heute nicht; Gerda war entschieden dagegen, und Hans war es recht: er mied Vließen, seit dieser seinen Anteil vom »Morgenblatt« gekündigt hatte und zum Feinde übergetreten war. Das war mehr als eine Rücksichtslosigkeit; es war eine Gemeinheit. Im Handumdrehen hatten sich Düren und Vließen gefunden, die erbittertsten Gegner von ehemals – und Nathansohn hatte den Vermittler gespielt. Hans Volcker ballte die Hände, wenn er daran dachte.
Dittmar Dassel schloß den Kreis der Gäste ab; der Tisch war für acht Personen gedeckt.
Hans war heute früher aus dem Geschäft nach Hause gekommen als sonst. Er war noch zum Juwelier gefahren, der das Angebinde für Gerda nicht rechtzeitig geliefert hatte. Nun war die Arbeit fertig: eine Gürtelschnalle mit Opalen und Türkisen, ein auserlesenes kleines Kunstwerk, über das sich Gerda aufrichtig freute.
»Ja, ich freue mich, Hans,« sagte sie und küßte ihn, »es ist vlämische Arbeit, das sehe ich wohl, und wie fein und geschmackvoll sind die Steine verteilt. Aber ist das Ganze nicht zu kostbar für mich? Hans, du bist ein großer Verschwender. Die Schnalle sieht so einfach aus, doch ich weiß schon, diese gediegene Einfachheit hat goldene Füße. Verbirg mir die Rechnung.«
»Soll geschehen,« entgegnete Hans lachend; »pfui, wer spricht von Rechnungen an einem Festtage! Festtag freilich – aber werden wir ihn auch festlich begehen können? Bertram in Ehren, doch Dorothee! Wenn sie das Gemüse mit dem Messer ißt, läuft es mir eiskalt die Wirbelsäule hinab. Und Steffens, der Brave. Er wird wieder auf die Zeitung schimpfen, die den Ruhm von E. M. Volcker verschlingt wie der Oger im Märchen die kleinen Kinder. Mußte das alles sein? Konnten wir uns gerade an deinem Geburtstage nicht gemütlicher vereinen?«
»Was nennst du gemütlich, Hans? Du hättest mir Inningen und den Kultusminister, Breesen und die Hundings und dazu ein paar Berühmtheiten eingeladen. Sei nicht so kleinlich. Man redet so viel vom Adelsstolz. Euer bürgerlicher Hochmut ist viel schlimmer. Thu mir die Liebe und sei nett zu den Verwandten. Dorothee hat auch nicht meines Herzens ganze Sympathieen; sie ist mir zu sehr Kaffeetischgenre und zu sehr seidenes Kleid. Aber sie ist deines Bruders Frau. Und er ist nicht glücklich in seiner Ehe, das habe ich längst gemerkt. Es wuchtet so etwas wie der Alp eines unerträglichen Philisteriums auf ihm.«
»Unter dem er längst selber zum Philister geworden ist, Gerda –«
»Sage das nicht, Hans. Er mag ein Pedant sein, aber das hindert nicht, daß in seiner Geschäftsnatur doch etwas Großzügiges steckt. Schade um ihn; vielleicht wäre er auch als Mensch ein andrer geworden, wenn er eine passendere Frau gefunden hätte.«
»Mag schon wahr sein. Die Frauen sind unsre Erzieherinnen.«
»Ach du lieber Gott – leider nicht immer!«
»O Gerda, das klingt fast beleidigend. Bin ich nicht Wachs in deinen lieben Händen, und hast du mich nicht nach deinem Gefallen zurecht geknetet, umgeformt und so modelliert, wie es dir passend erschien und gut? –«
Sie standen beide am Eßtische, auf dem Gerda noch die Blumen ordnete.
»Hans,« sagte sie, »heute ist mein Geburtstag. Da will ich mir nicht wehthun und auch dir nicht. Aber von meinem Einfluß auf dich sprich nicht. Du hast ihn beständig abgewehrt, und das Wort deiner Frau wog dir immer nur leicht. Ich glaube, ich bin niemals ein Backfisch gewesen. Ich bin aus der Kinderstube in das Leben getreten. Zarte Uebergänge gab es für mich nicht. Ich habe als Mädchen regiert, und meine Hände hielten die Zügel ziemlich fest. Frage in Uttenhagen nach. Aber als Frau habe ich nichts zu sagen, es müßte denn sein bei der Wäsche oder in der Kinderstube oder im Verkehr mit der Köchin. Da bin ich für dich plötzlich zum Backfisch geworden. Du liebst mich und küssest mich. Das ist mir zu wenig. Ich möchte mehr sein als dein Liebling. Ach, ich möchte deine Mitstreiterin sein!«
Hans steckte sich eine Knospe in das Knopfloch. Er lachte und haschte nach Gerdas Hand.
»Kameradin mußt du sagen, Gerda,« meinte er. »Das ist neueste Sitte und ein gut klingendes Schlagwort. Kameradin des Mannes! Liebste Maus, die Kameradschaft in Ehren, aber du würdest sehr bald genug haben, wenn ich dich mit den tausend Scherereien des geschäftlichen Lebens behelligen wollte. Schatz, nur nicht die unverstandene Frau spielen wollen! Das ist zwar noch immer modern, doch es wirkt nicht mehr – nicht einmal mehr auf der Bühne. Sei meine Königin, aber nicht meine Arbeitssklavin. Gewiß, auch der Fleiß deiner Hände ist mir nötig, so wie er es deinem Papa in Uttenhagen war. Nur bleibe in deinem Reiche. Das ist das Haus, nicht das Geschäft. Arbeitsteilung auch bei uns. Einen Kuß als Siegel auf diese Weisheit! …«
In der Entree hörte man ein Klingelzeichen. Die ersten Gäste meldeten sich an. Gerda spürte kaum den Kuß ihres Gatten. Nein, die unverstandene Frau der modernen Litteratur war sie nicht – und dennoch unverstanden. Sie wollte Brücken bauen, und er litt es nicht. Sie wollte ein Teil seiner Wesenheit werden, und er stieß sie von sich.
Hans merkte, daß sie seinen Kuß in kühler Gleichgültigkeit hinnahm. Das verstimmte ihn. Ein Riß in der Ehe war da – das fühlte er seit lange. Er dachte häufig an die kurze Unterredung mit der kleinen blonden Olga zurück, die ihn eigentümlich erregt hatte. Da hatte er mancherlei Vorsätze gefaßt; dies und das und jenes sollte anders werden. Aber es blieb alles beim alten. Was ihm unbequem war, löschte er gern in der Erinnerung.
Dittmar hatte seinen Vater auf der Straße getroffen. Beide traten voll guter Laune ein. Der alte Graf hatte vor wenigen Tagen im Parlament eine glänzende Redeschlacht geliefert und den sprachgewandtesten der Minister aus dem Sattel gehoben. Das war ihm eine Herzensfreude gewesen. Es war wie ein Sonnenstrahl durch ödes Wolkengrau. Denn daheim in Uttenhagen sah es böse aus. Es wollte nicht vorwärts gehen; es stockte überall im Getriebe; es fehlte eine starke Hand und ein überwachendes Auge. Der Graf sah es mit Schmerzen; aber er war kein Praktiker. Er war ein Mann des Worts, nicht der That, war ein überzeugender Theoretiker von großen Gaben und stand dem Leben wie hilflos gegenüber.
Das vornehme alte Gesicht glänzte heute auch in väterlichem Stolz. Sein Sohn war ihm zurückgegeben worden. Dittmar war durch eine Schule der Läuterung gegangen: aus dem leichtfertigen, verbummelten jungen Diplomaten war ein tüchtiger Schriftsteller geworden. Sein Roman »Die Liebeslügner« war vor einigen Wochen erschienen und hatte so gewaltiges Aufsehen erregt, daß bereits die vierte Auflage in Vorbereitung war. Dittmar selbst war die »Sensation«, die sein Werk erregte, unangenehm. Ein stillerer Erfolg wäre ihm lieber gewesen. Die Gunst, mit der Kritik und Publikum die »Liebeslügner« aufnahmen, hatte ihn mit einem Schlage in die Mode gebracht. Redaktionen und Verleger überschwemmten ihn mit verlockenden Anerbietungen; überall wurde sein Name genannt; in den Etalagen der Buchhandlungen waren die »Liebeslügner« im Verein mit den japanischen Reisebriefen reihenweise ausgelegt worden; ein paar illustrierte Blätter brachten das Porträt des über Tag und Nacht berühmt gewordenen Autors.
Mehr als Dittmar berauschte dieser laute Erfolg den alten Dassel. Er führte selbst eine gewandte Feder und wußte die Macht des gedruckten Worts zu schätzen. War sein Junge kein Held am grünen Tische der hohen Diplomatie geworden, so doch ein Held der Feder. Man sprach von den Dassels: von dem alten, der im Parlament der Opposition das Leben schwer machte, und von dem jungen, der am Himmel der deutschen Dichtkunst wie ein leuchtendes Meteor, aufgetaucht war. In einer Nacht hatte der Uttenhagener den Erstlingsroman Ditts gelesen. Er hatte mancherlei auszusetzen. Zu schonungslos war hie und da die Wahrheit gesprochen worden; das liebte er nicht. Als Politiker zog er es vor, die Hüllenlosigkeit der Wahrheit zu bekleiden und zu drapieren. Aber der scharfe Blick für die Daseinsäußerungen der Gesellschaft, den Dittmar in seinem Buche bekundete, sein verständnisvolles Eindringen in das seelische Leben mit allen seinen feinen Schwingungen, Widersprüchen und Rätseln und sein hinreißendes Darstellungsvermögen, alles das frappierte auch den alten Herrn. Es war unleugbar: aus dem Jungen konnte noch etwas werden. Die Prügel auf der Kegelbahn des deutschen Klubs in Tokio hatten gewirkt oder den Bann gebrochen. Die Schmach hatte ihm den Weg zum Ruhme gewiesen.
Das aber war es nicht allein. Ditt war auch als Mensch ein andrer geworden: ernster, ruhiger, gesetzter, männlicher. Nur sein Hang zur Spottsucht war geblieben; doch er hatte sich verfeinert, war gewissermaßen litterarischer geworden. Der Cynismus, der Welt und Menschen mit Vorliebe die Kehrseite der Persönlichkeit zuwendete, hatte sich in einen satirischen Zug gewandelt, mehr überlegen humoristischer als bitterer Art …
»Ratte, meine Ratte!« rief der alte Dassel beim Eintreten und schloß Gerda an seine Brust. »Wie alt wirst du heute? Ich muß nachrechnen. Nein, ich rechne lieber nicht. Es war immer meine schwache Seite, das verdammte Rechnen. Wie hübsch du aussiehst! Was macht der Bube?«
»Er erwartet den Großvater. Tappst schon hin und her und redet viel. Das ist Dasselsche Art. Auch politische Reife zeigt er bereits, denn greift er nach der Zeitung, so nur nach dem Hauptblatt, in dem die Leitartikel stehen und die Stenogramme aus dem Reichstag.«
»Pardon,« sagte Hans, »ich meine, das deutet auf Volckersches Blut. Die Zeitung ist eben die Zeitung. Er hat Interesse für gedrucktes Papier, sowohl für das ›Morgenblatt‹ rote auch für Bücher. Er entstammt einem Buchhändlerhause.«
»Gut,« meinte Gerda; »aber er ist lieber draußen im Freien als drinnen. Er schwärmt für Natur. Er entstammt einem Landadelshause.«
»Erlaubt,« sagte Dassel lachend, »er ist eine feine Mischung. Stadt und Land, Litteratur und Agrariertum, vornehmste Bildung und rustikale Offenheit – das vereint sich sozusagen in ihm. Darf ich ihn sehen?«
»Er wird zum Dessert herumgereicht, Papa,« erwiderte Hans. »Gerda hat das so eingeführt. Beim Dessert ist er auch am genießbarsten. Ich weiß das, da ich in die Geheimnisse der Wickelei so ziemlich eingeweiht bin. Weiter sage ich nichts …«
Steffens und Frau Malwine traten ein, und bald erschien auch Bertram mit Dorothee. Man ging rasch zu Tisch, um Stimmung in die Gesellschaft zu bringen. Frau Dorothee war wie gewöhnlich in ein enges Seidenkleid eingeschnürt, das nur in der Taille ein paar Falten schlug. Sie musterte sofort die elegante Ausstattung des Tisches und ließ heimlich den Saum ihrer Serviette durch die Finger gleiten, um die Feinheit des Gewebes zu prüfen. Und dann lächelte sie boshaft. Ihr Mann warf ihr einen scheuen Seitenblick zu. Er fühlte sich immer niedergedrückt und beengt, wenn er sie in der Nähe wußte. Vom ersten Jahre seiner Ehe ab hatte er unter dem Pantoffelregiment dieser robusten Frau gelitten, einer Stuttgarter Kaufmannstochter, deren mädchenhafte Frische ihn einst entzückt und gelockt hatte. Nach einer Reihe schrecklicher Scenen hatte er seinen Widerstand aufgegeben. Er war keine Kampfnatur. Er duckte sich und schwieg und lebte fortan nur noch seiner Arbeit.
Glücklich schienen die Steffens zu sein. Malwine hatte durchgesetzt, was sie wollte; hatte in späten Mädchenjahren noch ein liebendes und gutes Herz und einen treuen Gatten gefunden. Es machte ihr nichts, daß die Brüder den Prokuristen noch immer nicht so recht als Schwager anerkennen wollten, daß sie ihm gegenüber bei dem steifen »Sie« verblieben und jede intimere Annäherung an ihn vermieden. War das denn nötig? Malwine hatte sich durch alle Zeiten ihren praktischen Blick erhalten. Sie fühlte sich glücklich und zufrieden in ihrer Ehe; mehr verlangte sie nicht. Der Himmel hatte ihr bisher ein Kind versagt; ihr Gatte war tagsüber im Geschäft thätig; da war es ihr denn eine um so größere Freude, daß Dittmar Dassel in ihrem Hause wohnen geblieben war. Er hatte die Steffens gern, und sie ihn nicht minder. Besonders Frau Malwine schwärmte für ihn. Es war wirklich so eine Art Schwärmerei, und seit dem Erfolg der »Liebeslügner« war sie so stolz auf ihn, als wäre er ihr Sohn oder Bruder.
Geflissentlich vermied man anfänglich, die Unterhaltung auf das Geschäft zu bringen. Als aber der Fisch serviert wurde, ließ Steffens sich nicht mehr zurückhalten.
»Ja, ja,« sagte er, »das ist schon so 'ne Sache. Bei dem Einweihungsdiner, das der Düren gegeben hat, als er mit seinem ›Volksboten‹ in den neuen Palast eingezogen ist, soll es lukullisch zugegangen sein. Champagner in Strömen.«
»Der Wermut wird nachkommen,« bemerkte Hans. Doch Steffens schüttelte den Kopf.
»Ich glaube es nicht. Auch solch ein Blatt ist ein Bedürfnis. Meine Herren, mehr als das unsre. Wir vertreten Parteiinteressen – drüben der ›Volksbote‹ angelt nach allen Gruppen – und fischt sie auch. Ich wette, die Hälfte unsrer Leser hält den ›Volksboten‹ nebenbei. Diese unpolitischen Zeitungen sind ein wahres Unglück für den Buchhandel –«
»Aha, Steffens – Ihr Steckenpferd. Reiten Sie los!«
»Ach, lieber Herr Hans, ich wollte, ich könnte stoppen. Losreiten ja, wenn das was nützte! Ich sehe die Zeit kommen, da das Buch ganz totgeschlagen werden wird. Nicht heute, nicht morgen, aber in kommenden Tagen. Die Zeitungsflut wird das Buch verschlingen. Wozu denn noch Bücher, wenn die Tageslitteratur alles bringt. Als Ergänzung kommen die Zeitschriften dazu: die Wochenblätter und die Revuen. Das wächst an wie der Sand am Meer. Du lieber Gott, das Buch ist ja kaum noch vonnöten! …«
Das war nun einmal sein Lieblingsthema. Während er seinen Fisch aß, klagte er weiter. War es denn zu glauben! Im Jahre 1865 gab es in Deutschland etwa neunhundert Zeitungen. Jetzt zähle man deren an achttausend. Das zeitungsreiche England stehe hinter Deutschland um zweitausendfünfhundert Blätter zurück, Oesterreich um viertausendsiebenhundert. Deutschland werde mit Zeitungen erstickt. Das kleinste Nest im entlegensten Winkel des Reichs habe sein Blatt. Steffens hatte sogar Statistisches im Kopf: allein das Berliner Postzeitungsamt versende alljährlich zweihundertunddreißig Millionen Exemplare, also täglich im Durchschnitt an sechsmalhundertundvierzigtausend. Das seien Zahlen; Zahlen sind immer Beweise. Das Buch müsse langsam sterben …
Während Hans lächelnd zuhörte und Bertram ernst verblieb, nahm Dittmar das Wort zur Verteidigung der Zeitung. Man dürfe die wohlthuende Macht der Tagespresse nicht unterschätzen. Sie sei in der That einer der wichtigsten und bedeutungsvollsten Träger der Bildung geworden, denn sie dringe in alle Kreise. Schließlich und vor allem aber sei die große Presse das öffentliche Gewissen, das »Organ der öffentlichen Gerechtigkeit«, wie Weckherlin sich ausdrücke.
Nun wurden auch die andern Herren lebendig. Als die Gänseleberpastete kam, war die Unterhaltung bereits außerordentlich erregt. Der alte Graf Dassel hielt schon aus politischen Gründen ein weiteres Aufblühen der Presse für begrüßenswert, wetterte dabei aber energisch gegen die sogenannten parteilosen Zeitungen, die nur eine Unterstützung der Denkfaulheit und des nationalen Indifferentismus Michels seien. » Das ist der Krebsschaden unsrer Presse,« sagte er, »und deshalb, nur aus diesem Grunde, verurteile ich auf das entschiedenste spekulative Gründungen wie das Klatschblatt des Herrn Düren. Die Zeitung ist der Wecker des politischen Sinnes im Volke; das lehrt schon ihre Geschichte. Die ersten Ablaßbriefe, die Gutenberg auf Geheiß des Klerus gegen die drohende Türkengefahr druckte, waren im Grunde genommen nichts weiter als politische Streitschriften – und waren die Flugblätter der Reformationszeit etwas andres? Mit den Straßburger Relationen des Johannes Carolus begannen meines Wissens die wöchentlich erscheinenden Zeitungen. Das war um 1600 – und damit fing auch das politische Leben in weiteren Kreisen an; es verpflanzte sich in die Schichten des Volks – der Michel erwachte. Ein unpolitisches Volk ist ein Unding. Die Politik fördert die nationalen Interessen, die nur aus Kampf und Streit heraus zur Blüte treiben. Es ist meiner Ansicht nach unrichtig, lieber Herr Steffens, daß die Zeitung das Buch verdränge; die politische Presse thut das jedenfalls nicht, höchstens jene Afterpresse, die sich eine parteilose nennt und durch feuilletonistische Schaumschlägerei das ernste Wort zu ersetzen versucht. Das Buch wird immer zu recht bestehen; aber die wissenschaftliche und die schöne Litteratur wird das geistige Leben eines Volkes nie vollends ausfüllen. Denken Sie an die Friedericianische Zeit zurück! Sie war der Ausgangspunkt der deutschen Dichtung; aber da es uns gänzlich an politischer Reife gebrach, so hatte die Fremdherrschaft es leicht, sich bei uns einzunisten und auch unsrer Poesie die deutsche Eigenart zu nehmen. Nein, bester Herr Steffens – schelten Sie nicht auf die Presse. Sie ist uns so nötig wie das liebe Brot. Sie ist der große Kampfplatz, auf dem die Geister aufeinanderplatzen, und – sagen Sie, was Sie wollen – sie hat in bösen Tagen mitgeholfen, uns zu einen und zu einer Nation zu erheben …«
Steffens neigte den Kopf hin und her, schwieg aber. Er wollte nicht unhöflich sein. Es war ja doch nur ein unnützer Streit. Diese verdammte Politik kam dem Buchhandel überall in die Quere. In Zeiten politischer Erregung verödete der Büchermarkt. Steffens stand auf einem autokratischen Standpunkte: die Politik ist Sache der Regierungen, aber nicht des Publikums.
Dittmar warf ein Scherzwort ein. Man wurde heiterer, bis die Unterhaltung plötzlich wieder auf das »Morgenblatt« kam. Es war, als könne man sich von der »Geschäftssimpelei« nicht frei machen. Man war unter sich und konnte offen sprechen. Dassel fragte, ob es wahr, sei, daß Vließen und Nathansohn ihre Anteile gekündigt hätten. Bertram gab das ohne weiteres zu. Aber das sei kein Unglück, so lange das böse Beispiel nicht ansteckend wirke. Gewiß, das »Morgenblatt« habe bisher noch keinen Gewinn abgeworfen, habe nur Geld verschlungen. Doch das sei vorauszusehen gewesen. Erst das dritte Jahr sei das entscheidende. Und schon spüre man eine steigende Tendenz. Bertram glaubte allerdings nicht, daß der Abonnentenkreis sich erheblich vergrößern würde; dazu war die Partei, der das Blatt diente, zu klein und auch der Preis der Zeitung ein zu hoher. Aber die Inserate vermehrten sich. Das war ein günstiges Zeichen. Das »Morgenblatt« galt bereits als führendes Organ, und es wurde viel in den wohlhabenderen Adels- und Bürgerkreisen gelesen. Die verhältnismäßig kleine Auflage, durch die Papier und Druck gespart wurde, erhöhte die Einnahme durch die Inserate. Auch die Börse begann das Blatt zu beachten. Man hatte vor der strengen Rechtlichkeit, mit der die Finanzrevue redigiert wurde, Respekt bekommen.
»Die paar Anteilskündigungen stören mich nicht,« schloß Bertram, an seiner Brille rückend; »ich wünsche sogar lebhaft den Zeitpunkt herbei, an dem die Firma alleinige Eigentümerin des Blattes sein wird. Er wird kommen; heute weiß ich es. Ich gestehe, ich bin mit tausend Sorgen an die Begründung der Zeitung gegangen. Und hatte mir damals fest vorgenommen, auch bei diesem Unternehmen dem alten Wahlspruch unsres Geschäfts treu zu bleiben: Labore et Constantia. Selbst die verlockendste Spekulation war ausgeschlossen. Ruhig und stetig mußte das Blatt sich weiter entwickeln. Nun ja, es hat uns auch an Nackenschlägen nicht gefehlt – und sicher: einen glänzenden Gewinst wird das ›Morgenblatt‹ schwerlich je abwerfen. Aber es wird sich erhalten und bescheiden verzinsen, vielleicht sogar einmal ganz gut. Mehr verlange ich nicht. Sind wir erst so weit, dann wird das Blatt auch der Firma von Nutzen sein. Für ein so umfangreiches buchhändlerisches Institut wie das unsrige ist es immer ein Vorteil, ein publizistisches Organ zu besitzen, über das man verfügen kann. Steffens ist ein Rabe – ja, Steffens, das sind Sie. Aber der alte Rabe hätte auch recht behalten können, wenn wir dem › Labore et Constantia‹ weniger Beachtung geschenkt haben würden. Arbeit und Stetigkeit verlangen eine volle Konzentrierung der Kräfte – und gerade in einem Geschäft, das ununterbrochen mit neuen Publikationen auf den Markt tritt, dessen Stärke seine Vielseitigkeit ist, dessen Vielseitigkeit aber dabei nie zur Warenhauspraxis verflachen soll – gerade in einem solchen Geschäft führt eine nach außen hin ablenkende Zersplitterung unfehlbar zum Ruin …«
Er hatte das leichthin gesagt; aber Hans fühlte dennoch den Stich. Er errötete und bemerkte lachend: »Ich sehe, es nahet das Eisomelette. Das ist der Höhepunkt der Kochkunst Gerdas. Denn alles, was Kunst in der Küche heißt, hat sie erst der Köchin gelehrt. Laßt uns dies wahre und eigentliche Chaudfroid in Ruhe und mit Genuß verzehren, womit ich sagen will: sprechen wir einmal von etwas anderm als immer nur von der Zeitung.«
Die Damen erklärten sich einverstanden. Nur Gerda meinte: »So ist mein Mann. Es ist doch nur natürlich, daß ich mich für seine Unternehmungen interessiere. Ich zähle täglich die Annoncenseiten des Morgenblatts, und finde ich einmal ein Inserat, das eine ganze Seite einnimmt, also entsprechend hoch bezahlt wird, dann freue ich mich herzlich darüber. Ich glaube, der Instinkt für das Kaufmännische rührt noch von meiner Milchwirtschaft in Uttenhagen her. Ich hätte viel besser zu Bertram gepaßt.«
Sie lachte dabei. Aber Bertram erblaßte und wurde gleich darauf glührot. Er versuchte ebenfalls zu lächeln, doch sein Mund verzerrte sich nur. Es war gut, daß in diesem Augenblick der Diener fragte, ob der junge Herr gebracht werden könne.
Der erschien denn auch bald auf dem Arm der Kinderfrau: rosig, lachend und mit den Aermchen in der Luft umherfuchtelnd und sofort dem Großvater den Bart zerzausend, als er auf dessen Schoße niedergelassen wurde. In Gerda erwachte der Mutterstolz. Wenn sie den Jungen sah, vergaß sie die öden Wegstrecken in ihrer Ehe. Dann leuchtete das Glück aus ihren Augen, und es floß wie Mailicht über ihr Antlitz.
Der Bube blieb bis zur Aufhebung der Tafel. Während der Kaffee im Herrenzimmer gereicht wurde, brachte Gerda selbst ihren Kleinen in das Kinderzimmer zurück. Erst als sie dort war, merkte sie, daß Dittmar ihr gefolgt war.
»Willst du Studien in der Kinderstube machen, geliebter frère?« fragte sie heiter.
»Es könnte mich reizen. Aber vorderhand möchte ich dich einmal sprechen – auf ein paar Minuten und unter vier Augen. Ist es angänglich?«
Gerda sah ihn scharf an. Sie entdeckte etwas in seinem Gesicht, das sie an die schwere Zeit nach seiner Heimkehr aus Japan erinnerte. Eine heimliche Angst überfiel sie; sie wurde unruhig. Hatte er wieder einmal eine Dummheit gemacht? War ein Rückfall eingetreten? – Nein – das war unmöglich. Und wieder flog ein rascher Blick zu ihm hinüber. Seine Stirn lag in Falten. Aber er sah nicht sorgenvoll aus, sondern eher wie einer, auf dem schwere Zweifel wuchten.
»Komm,« sagte sie und ging voran in das anstoßende Boudoir, während der kleine Hans fröhlich zu krähen begann und, auf dem Teppich sitzend, mit beiden Fäustchen in die aufgeschichteten Steine des Baukastens hineinfuhr.
Dittmar schritt auf und ab. In der großen Psyche sah er, daß er blaß geworden war. Es zuckte nervös um seinen Mund. Der einladenden Bewegung Gerdas, Platz zu nehmen, wehrte er ab.
»Laß mich, Schwester,« sagte er, »ich bin zu unruhig. Die Tafelstunde war eine Tortur für mich.«
»Also was gibt es, Ditt? Aussprechen und ehrlich sein. Ich hab' dir oft genug helfen können –«
Da umarmte er sie. Er hielt sie fest und küßte sie. Seine Augen waren feucht geworden.
»Schwesterherz, Schwesterherz,« rief er voll tiefer Bewegung, »ach, was war alle deine Hilfe von einst gegen jetzt, da ich nur eines Rates bedarf und einer starken Hand und … Ich bin ein großer Thor, daß ich so scheu bin und schwanke. Ich weiß es: ich bin ein Narr. Bin auch ein Feigling, daß ich nicht über mich selbst hinauskomme und noch immer an tausend Vorurteilen hafte und –«
Nun hatte er ihre Hände gefaßt und schaute ihr in die Augen.
»Gerda,« fuhr er rasch atmend fort, »ich liebe! Bin nicht verliebt, wie ich es hundertmal gewesen – nein, ich liebe, liebe – ich kämpfe mit einer rasenden Leidenschaft, die mich wie sinnlos umhertreibt und mir den Frieden raubt – und die, die – mich tief unglücklich macht!«
Ein häßlicher Gedanke blitzte in Gerda auf.
»Großer Gott, Ditt,« sagte sie zitternd, »du – du liebst eine verheiratete Frau –?«
»Nein! …« Er stieß das schroff und scharf hervor, wie verärgert über diese Mutmaßung. Dann warf er sich in einen der niedrigen Sessel und sprach mit lautlos klingender Stimme: »Ich liebe Hella Nathansohn …«
Gerda nickte. Sie begriff plötzlich alles. Vließen hatte es an Anspielungen über den intimen Verkehr Dittmars im Hause Nathansohns nicht fehlen lassen; auch Hans hatte mehrfach davon gesprochen. Sie hätte vorbereitet sein können. Aber sie wußte: Ditt war ein Antisemit; er haßte die Juden nicht; es war ein instinktiver Widerwille, ohne Fanatismus und ohne Ueberlegung.
So war denn auch sie überrascht. Aber sie behielt ihre Ruhe bei. Sie setzte sich dem Bruder gegenüber.
»Laß uns vernünftig miteinander sprechen,« sagte sie. »Ich kenne Fräulein Hella nur oberflächlich. Ich kann nicht über sie urteilen –«
Doch da fuhr Dittmar empor. Es schlug wie Flammen aus seinen Augen, und wie eine Verklärung glänzte es über sein Gesicht.
»Nein, du kennst sie nicht, Gerda,« rief er. »Und sie ist nicht leicht auszukennen und nicht über eine Tischunterhaltung hinüber zu verstehen und zu begreifen … Als ich zum erstenmal mit ihr zusammentraf – auf eurer Hochzeit – war sie mir durchaus nicht sympathisch. Die Rassengegnerschaft sprach nicht allein mit. Ich hielt sie für oberflächlich und doch auch wieder vollgefüttert mit jener modernen Bildung, die alle Seelenregungen ausgleicht und das Gemüt unter Tinte setzt. Weißt du, für so eine höhere Tochter der Tiergartenstraße, die von Nietzsche spricht, ohne ihn zu verstehen, in alle Premieren läuft und unter schillernder Geistreichigkeit eine unsägliche geistige Armut verbirgt … Ich habe erst nach und nach in ihr inneres Leben eindringen können – und einen Zauber gefunden, wie ich ihn nie geahnt habe. Ja, einen Zauber, Gerda. Sie ist ein seltsames Mädchen. Ist wie ein Garten, den eine hohe Mauer umgibt, und drinnen blühen die Wunderblumen. Sie schließt ihre Seele von der Welt ab – aus Scheu vor der Welt, und ich glaube auch, aus Furcht vor ihrem Vater. Das ist merkwürdig. Sie liebt ihren Vater; aber er ist ihr dennoch ganz fremd. Ich bin der erste, dem sie sich aufgethan hat und – und, Gerda, sie ist so reich an Gemüt und Herz, wie sie klug und verständig ist. Sie ist – – mein Gott, sie ist das liebenswerteste Geschöpf – und so, so heiß liebe ich sie, daß ich wie ein Träumer umherlaufe und wie ein Narr; daß ich krank bin …«
Er hatte rasch gesprochen, wie vom Fieber gejagt, und brach nun plötzlich ab.
Gerda seufzte leicht auf und erschrak fast darüber. Warum seufzte sie? Sie gab sich keine Antwort. Der Bruder dauerte sie. Er stand im Bann einer großen Liebe, das war gewiß; sie hätte sich freuen können über diese reine und starke Neigung – und konnte es doch nicht. Sie war sehr ernst geworden.
»Habt ihr euch ausgesprochen?« fragte sie kurz.
»Ja. Sie liebt mich wie ich sie …«
Wieder schwieg Gerda kurze Zeit, während Dittmar sie fast ängstlich beobachtete.
»Und – was sagt ihr Vater?«
»Er weiß noch nichts. Hella sorgt sich freilich darum, daß er die Einwilligung versagen könne; aber das glaube ich nicht. Ich biete ihm ja doch schließlich mehr als nur meinen guten Namen.«
Gerda stand auf. »Noch eins, Ditt. Ich möchte ganz klar sehen. Die Religionsfrage hat auch mitzusprechen –«
»Ah ja – ich verstehe. Hella wird selbstverständlich zum Christentum übertreten. Sie hat sich auf eigene Hand vorbereitet … In unsern Unterhaltungen haben wir häufig auch Theologisches und Dogmatisches berührt. Das hat sie veranlaßt, sich – – – also, Gerda, sie wird Christin werden! Frage nicht, ob aus tiefinnerster Ueberzeugung oder aus Liebe zu mir – frage nicht! Hast du mich je ausgeforscht, ob ich gläubig bin? … Schwester, ich sehe: du sinnst und überlegst. Ich weiß, warum. Unsre Gedanken treffen sich. Es ruht ein Fluch auf dem Judentum. Ob berechtigt, ob nicht – wir werden die Frage nicht lösen. Aber der Fluch ist da, und gerade in unsern Kreisen ist die Verachtung für Juda groß. Kann die Liebe sie überbrücken? Ich fühle: ja. Ich liebe Hella so über alles, daß ich nicht nach ihrer Abstammung frage. Seltsam, von dem Augenblick ab, da sich mir ihre Seele erschloß und wir das erste Keimen der Liebe fühlten, war sie nicht mehr die Jüdin für mich. Sie hat auch nichts von jenem Typischen, das uns am Judentum unangenehm ist. Und – und – Herrgott, es klingt, als suche ich nach einer Verteidigung und nach Entschuldigungen für meine Liebe – und ich spüre dabei, wie häßlich das ist und wie erniedrigend für Hella … Schwester, kannst du in meinem Herzen lesen? Es ist wie zerfleischt – und so wund. So voll banger Seligkeit und voller Schmerzen … Ich kenne mich selbst nicht mehr. Ich bin ganz verzweifelt …«
Gerda legte ihre Hände auf seine Schultern.
»Bleib so,« sagte sie; »ich will dein Auge sehen. Armer Junge, du bist bös verstört. Ich verstehe alle deine Zweifel. Ginge es an, so würdest du deine Hella nehmen und mit ihr auf eine stille Insel flüchten oder in einen tiefen, tiefen Wald. Ist's so?«
Dittmar nickte schweigend.
»Aber wir leben in einer Welt, die du brauchst,« fuhr Gerda fort, »und auch du bist verpflichtet, ihr zu leben, denn sie nimmt Anteil an deinem Schaffen. Sieh, Ditt: wüßte ich, daß du nur eine ›Partie‹ machen wolltest, so würde ich dich allein lassen. Dann hätt' ich dir nichts mehr zu sagen. Nicht, weil ich prinzipiell gegen eine sogenannte Vernunftheirat bin, sondern weil ich es speziell in diesem Falle ganz bestimmt sein würde. Denn es handelt sich nicht allein um Vorurteile und um den fanatischen Haß einer künstlich verhetzten Meute, sondern um den Kampf gegen gesellschaftliche Anschauungen, die zweifellos ungeheuer stark sind – so stark, Ditt, daß in der That nur die Liebe sie besiegen kann. Du liebst Hella, und sie ist deiner Liebe wert. Da ich dies weiß, schweigt alles andre in mir. Schweigen meine Bedenken – ja, sie schweigen. Ich will dich glücklich wissen – und du wirst es werden, Ditt, dem Spott und den Anfeindungen und allen Lästerungen zum Trotz. Eure Liebe wird euch himmelhoch über das Urteil der Gesellschaft erheben, und trifft euch eine Bosheit, ihr werdet sie überwinden. Denn ihr habt euch lieb … Ditt, ich küsse dich, und mein ganzes Herz ist mit dir. Hör nicht nach rechts und nach links: laß nur deine Liebe sprechen und nur deine Liebe allein! …«
Sie umarmte den Bruder. Sie hielten sich fest umschlungen; sie waren guten Muts und gehörten zusammen und verstanden sich.
»Ich danke dir, Gerda,« sagte Dittmar, »danke dir aus tiefster Seele. So mußtest du sprechen; es konnte nicht anders sein – ich kenne meine Gerda. Nun bin ich beruhigt, bin fest und aller Zweifel ledig. Bleiben nur noch die Väter. Es wird besser sein, mich dem Papa erst anzuvertrauen, wenn ich mit Nathansohn einig bin …« Er lächelte. »Nathansohn. Die edlen Gänse zu Putlitz und die Riedesel und die Schweinichen führen auch keine poetischen Namen. Aber Nathansohn. Es ist merkwürdig, wie tief in uns die Antipathie sitzt gegen alles, was jüdisch anklingt. Doch du siehst, ich lächle. Ich denke an Hella, und da schrumpft alle Kleinlichkeit zu einem Nichts zusammen … Nun komm: Man soll nicht glauben, daß wir Geheimnisse miteinander haben …«
Sie gingen mitsammen in das Herrenzimmer. Dort hatte es eine kleine Scene gegeben. Frau Dorothee begann plötzlich über »Beklemmungen« zu klagen. Bertram kannte das; sie litt immer an Beklemmungen, wenn es ihr in der Gesellschaft nicht behagte und sie aufzubrechen wünschte. Aber er wollte nicht unhöflich sein, sehnte sich zudem nach einer guten Cigarre und einer Tasse Kaffee. So versuchte er, seine Frau zu beruhigen. Doch jetzt wurde sie giftig. Das Blut schoß ihr zu Kopf, und ihre Nasenflügel begannen zu zittern. Sie schoß wütende Blicke auf ihren Mann. So sei er immer, klagte sie Malwine; rücksichtslos, brutal und selbstsüchtig. Daheim sei es kaum noch auszuhalten mit ihm; ihre schwache Natur unterliege seiner Tyrannei. Dassel und Hans legten sich ins Mittel. Es half wenig. Mit einem Seufzer warf Bertram die eben angezündete Cigarre in den Aschenbecher, trank seinen Kaffee aus und erklärte sich bereit, nach Hause zu fahren.
In diesem Augenblick erschienen Gerda und Dittmar im Herrenzimmer. Dorothee schien nur darauf gewartet zu haben. Sie stieß einen Wehlaut aus und sank mit geschlossenen Augen auf das Sofa zurück. Gerda war aufrichtig erschrocken. Mit Hilfe Malwines brachte man Dorothee in die Fremdenstube, legte sie dort nieder und öffnete Taille und Korsett. Dorothee atmete schwer und that, als leide sie unsäglich. Während Malwine bei ihr blieb, eilte Gerda in ihr Boudoir, Eau de Cologne zu holen. Sie traf Bertram im Eßzimmer, schon im Paletot, den Hut in der Hand.
»Bemüh dich nicht, Schwägerin,« sagte er mit bitterem Lächeln. »Weder Eau de Cologne thut es, noch eine Medizin. Es währt ein paar Minuten. Es ist der Besuchskoller Dorothees; er tritt immer ein, wenn sie sich langweilt oder der Ansicht ist, daß man sie nicht genügend estimiere.«
Scharf und grimmig stieß er das hervor. Noch nie hatte Gerda den stillen Mann so erregt gesehen.
»Bertram, sei nicht ungerecht,« entgegnete sie bittend.
Er nahm ihre Hände.
»Ich bin es nicht, Gerda. Aber ich leide schwer. Und wenn ich sehe, wie du hier schaltest und waltest, wie der Sonnenschein vor dir herfliegt und deines Wesens Zauber überall Glück verbreitet, so packt mich ein rasender Neid. Gerda –«
Sie unterbrach ihn. Er kam ihr unheimlich vor mit seinen brennenden Augen. Mit rascher Bewegung entzog sie ihm ihre Hände.
»Bertram, ich wollte, es wär' so,« entgegnete sie. »Aber ich habe keine Feenhände. Ich kann nicht einmal Hans so an das Haus fesseln, wie ich wollte und wünschte. Ich bin ein schwaches Weib –«
»Und wärst besser ein starkes. Gerda, ich bin glückesarm. Ich habe mich längst meinem Schicksal gefügt; mein Glück ist nur noch meine Arbeit. Dich aber will ich glücklich sehen, weil – weil ich dich liebe … Still!« – Er faßte sie von neuem an den Handgelenken und hielt sie fest. Sie war wie erstarrt und schaute ihm mit großen Augen in das fahle Gesicht. Sie bewegte sich kaum. Wie war das entsetzlich. Sie standen am Büffett. In jedem Augenblick konnte der Diener kommen oder die Zofe oder einer der Herren das Zimmer betreten. Sie wagte kaum zu atmen. Sie dachte an Flucht; aber seine Hände umspannten ihre Gelenke.
»Erschrick nicht,« fuhr er fort, halblaut nur, und hinter seinen Brillengläsern sah sie seine schönen sammetbraunen Augen leuchten; »es kommt keine Erklärung und kein versuchter Ehebruch. Ich liebe dich, sagte ich – ja, aus tiefstem Herzen. Das kannst du mir nicht wehren. Jeder muß dich lieben, der dich kennen lernt – das ist keine Sünde. Und weil ich dich liebe, will ich dich auch geachtet wissen. Hans achtet dich nicht genügend: das ist die Wunde in eurer Ehe. Erzwinge dir diese Achtung, Gerda. Sei minder weich, sei strenger und herber zu ihm. Verlange und fordere und bitte nicht mehr. Du thust ein gutes Werk, nicht nur an dir und ihm – an uns allen, an E. M. Volcker, an unserm alten Hause. Gerda, es geht nicht so weiter. Laß uns Verbündete sein. Wenn du Hans mehr und inniger an dich und dein Heim fesselst, so wird er auch die hundert Narreteien lassen, die ihn ablenken und sein Vermögen zersplittern: den Sport, den Klub, die Politik. Er ist kein Sportsman und kein Politiker – er will es nur sein aus namenlos thörichter Eitelkeit … Gerda, sei klug! – Ich höre die Stimme Dorothees. Die fünf Minuten sind um. Hatte ich recht? Gott behüt dich, Gerda …«
Er küßte ihre Hand und ging.
Gerda blieb noch stehen. Sie schaute ihm wie verständnislos nach. Es war ja alles Wahrheit, was er gesagt hatte; aber sie fand die Brücken nicht von seinem heißen Geständnis zu der nüchternen Klugheit seines Rats. Sie sah noch immer seine blitzenden Brillengläser und dahinter seine tiefen braunen Augen, in denen so viel lag an stummem Leid und Resignation und unbeugsamer Thatkraft.
Im Korridor wurden Stimmen laut. Bertram verabschiedete sich von seiner Schwester. Gerda eilte hinaus. Dorothee war in Hut und Mantel.
»Verzeihe mir, Schwägerin,« sagte sie, »– meine unglückseligen Anfälle. O Gott, was ich ertragen muß! – Und hab schönen Dank für die Bewirtung. Es war alles so gut und fein. Nimm meinen Schirm, Bert. Sind denn Droschken hier in der Nähe?« –
Die Thüren klappten.
Malwine nahm Gerda unter den Arm.
»Man muß das nicht tragisch auffassen,« sagte sie. »Es ist alles Verstellung – und ganz zwecklose. Ich glaube nicht einmal, daß etwas Krankhaftes dabei mitspricht. Es ist einfache Ungezogenheit von Dorothee, die Unart eines kleinen Kindes, dem öfters die Rute gefehlt hat. Bertram müßte strenger sein; er bittet zuviel, statt zu befehlen. Wenn man sich in der Ehe nicht gegenseitig zu erziehen versteht, ist es immer schlimm …«
Nun traten sie wieder in das Herrenzimmer, und Gerda ersparte sich die Antwort. Ihre Gedanken wanderten. Sie verglich die gut gemeinten Worte Malwines mit dem Mahnruf Bertrams an sie und mußte unwillkürlich lächeln. Es lag ein bitterer Humor in diesem Weh des Lebens.