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Als Elias Goldenberg, Belkovitchs erster Zuschneider, sich mit Fanny Ferscht, der hübschesten aller Maschinennäherinnen, verlobte, freute sich der ganze Ghetto darüber, ausgenommen Sugarman, der Schadchen (der gegen alle Liebesheiraten war) und Goldenbergs verwandte, die Fanny für leichtfertig und putzsüchtig hielten.
»Deine Fanny hätte einen reichen Mann heiraten müssen,« sagte Goldenbergs Tante, bedenklich den mit der frommen Perücke geschmückten Kopf schüttelnd.
»Der, den Fanny heiratet, ist reich,« erwiderte Elias.
»Verpfände deine Haut, aber schaff dir 'ne Braut,« zitierte die alte Dame ärgerlich.
Was den Heiratsvermittler betrifft, der sich in seinen Rechten geschädigt glaubte, so protestierte er gegen die beabsichtigte Verbindung, als ob er ein verwandter gewesen wäre.
»Aber ich wollte keine durch andere vermittelte Heirat,« verteidigte sich Elias.
»Ich hätte ebensogut eine Liebesheirat für Sie arrangieren können,« antwortete Sugarman ärgerlich.
Elias selbst aber war sehr zufrieden mit seiner Wahl, denn Fanny blickte ihn mit zärtlichen Rügen an, und ihre Berührung versetzte ihn in Entzücken. Das Verdienst eines ganzen Monats war ihm nicht zu hoch erschienen, um ihre weiche kleine Hand mit einem Ringe zu schmücken, und Fanny verstand es in bezaubernder Weise, den Diamant funkeln zu lassen. Er erhellte die düstre Werkstätte wie ein Freudensignal. Selbst der über seine Bügeleisen gebeugte Belkovitch unterließ es manchmal, Fannys Geplauder zu rügen.
Es schien, als ob dem Einzuge des Pärchens unter den Ehebaldachin nichts entgegenstände – Fanny hatte schon den Gebetschal des Bräutigams gearbeitet, – als plötzlich ein Sturm losbrach. Zuerst war es nur ein kleines Wölkchen – so groß wie eines Mannes Hand – in der Tat war es die Hand eines Mannes. Elias entdeckte, wie diese Hand über den die beiden Maschinen trennenden Raum wegglitt, und wie Fannys Finger ihr entgegenkamen, während sie mit der anderen Hand fortfuhr, den Stoff unter der auf und nieder stechenden Nadel weggleiten zu lassen. Es war Elias, als durchbohre diese Nadel sein Herz. Selbst der Finger, den er mit einem kostbaren Ringe geschmückt hatte, lag gratis in der Pfote eines andern.
Das schamlose Geschöpf! Ach seine Verwandten hatten recht. Er schnappte wild seine Schere zu, daß sie klappte wie das Gebiß eines Drachens.
»Fanny, was tust du da?« fuhr er sie in jüdischem Dialekte an.
Fannys Antlitz wurde glühend rot; sie zog rasch das schuldbeladene Händchen zurück.
»Ich dachte, du wärest an der anderen Seite gewesen,« stammelte sie.
Elias aber schenkte dieser Ausrede keinen Glauben.
Sobald Sugarman hörte, daß die Verlobung aufgelöst war, eilte er mit weit aus seinem Rocke hängenden blauen Taschentuche zu Elias.
»Wenn Sie sich an mich gewandt hätten,« rief er, »dann hätte ich etwas Besseres für Sie gefunden. Indessen hat der Himmel geholfen und Ihnen eine neue Chance gegeben. Ein wohlgebildeter junger Mann, der seinen guten Verdienst hat, kann sogar die Tochter eines Gemüsehändlers beanspruchen.«
»Ich will überhaupt nichts mehr von den Frauen wissen.«
»Schtuß,« sagte der große Heiratsvermittler. »Drei Tage nach dem Versöhnungsfest kommt das Laubhüttenfest. Der Allmächtige – gesegnet sei er – der Licht und Dunkelheit schied, hat sowohl gehorsame tugendhafte Frauen wie vergnügungssüchtige Weiber erschaffen.« – Er putzte sich geräuschvoll die Nase mit seinem großen Seidentuche.
»Ja; aber sie will mir meinen Ring nicht wieder herausgeben,« klagte Elias.
»Was!« sagte Sugarman. »Dann betrachtet sie sich also immer noch als Ihre Verlobte?«
»Durchaus nicht, sie lacht mir ins Gesicht.«
»Hat sie Ihnen Ihr Versprechen zurückgegeben?«
»Mein Versprechen – ja. Den Ring – nein.«
»Und welchen Grund gibt sie dafür an?«
»Sie sagt, daß ich ihn ihr geschenkt hätte.«
Sugarman schnalzte mit der Zunge. »Ja, ja, das kommt davon. Es wäre besser gewesen, wenn wir den alten Sitten treu geblieben wären, nach denen es der Mann und nicht die Frau ist, die den Verlobungsring trägt.«
»Das Schlimmste ist,« fuhr Elias klagend fort, »daß ich in der Werkstätte immer auf den schimmernden Ring blicken muß. Jeder verspottet mich.«
»Ich würde ihn durch den Gerichtsboten holen lassen.«
»Das würde mir nur noch mehr Ausgaben machen. Ist es denn nicht wahr, daß ich ihr den Ring geschenkt habe?«
Sugarman runzelte die Stirn. Trotz seiner großen Erfahrungen wußte er nicht, was da zu machen sei. Er wußte keinen Fall, in dem ein Mädchen, wenn die Verlobung zurückgegangen, den Ring seines Klienten zurückgehalten hätte; sie hatten ihn eher ihrem bisherigen Bräutigam ins Gesicht geworfen.
»Das kommt von euern Liebesheiraten,« rief er streng. »Das nächstemal muß ein ordentlicher Kontrakt gemacht werden.«
»Das nächste Mal?« wiederholte Ellas. »Und wie könnte ich einen neuen Ring erschwingen? Fanny hat mich ruiniert. Sie wollte fortwährend Schokolade trinken und in das Parterre des Pavillontheaters gehen.«
»Ich bestehe auf meinem Honorar,« sagte Sugarman scharf.
Elias zuckte die Achseln. »Wenn Sie mir den Ring zurückbringen – –«
»Ich verhelfe meinen Kunden nicht zu alten Ringen, sondern zu neuen Mädchen,« erinnerte Sugarman ihn hochmütig. »Indessen, da Sie ein Kunde von mir sind« – Rasch davoneilend, ehe Elias Zeit fand, den Handel abzuschlagen: »Ich werde mich mit 5 % der Mitgift begnügen, die die Tochter des Gemüsehändlers Ihnen zubringt.«
Sugarman legte seine Sealskin-Weste an, um den Ferschts ordentlich zu imponieren, und stolperte dann die zu ihrer Wohnung führenden dunkeln Treppen hinauf. Fanny selbst öffnete ihm die Tür.
»Friede sei mit Ihnen,« rief er, »ich komme wegen Elias Goldenberg.«
»Das ist erfolglos. Ich will ihn nicht haben.« Sie war im Begriffe, die Tür wieder zu schließen.
Dieses Mißverständnis brachte Sugarman einigermaßen aus der Fassung. »Er will Sie auch nicht,« rief er dann, »er will nur seinen Ring wieder haben.«
Fanny machte ihm eine lange Nase und ließ dabei den Diamant ihres Ringes spottend spielen. Dann wandte sie sich kichernd ab. »Nun, sehen Sie sich doch wenigstens mal diese Photographie an,« rief Sugarman verzweifelt durch die schon halb geschlossene Tür.
Die Überraschung und die Neugierde über diese Worte veranlaßten sie, sich umzudrehen, um auf das ihr dargebotene Bild zu sehen. Sie blickte auf die dumm aussehenden Züge eines einen Gehrock tragenden Fremden.
»Vier Pfund wöchentlich, das ganze Jahr über, erster Zuschneider bei S. Cohn,« sagte Sugarman, seinen Vorteil wahrnehmend. »Eine gute alte englische Familie. Benjamin Beckenstein ist sein Name; er sehnt sich danach, in Elias' Schuhe zu treten.«
»Seine Füße sind zu groß.« Sie warf die Photographie mit ihrem diamantgeschmückten Händchen zu Boden.
»Aber warum den Verlobungsring verschwenden?«
»Welche Idee! Ein neuer Mann, ein neuer Ring.« Fanny schlug die Tür zu.
»Freches Ding! Sie wollen wohl einen Juwelenladen anlegen!« schrie der empörte Schadchen ihr durch die verschlossene Tür zu.
Dann kehrte er mißmutig zu Elias zurück.
»Nun?« fragte ihn dieser.
»O, über eure Liebesehen!« Sugarman schüttelte sich schaudernd.
»Sie will also nicht?«
»Nein, sie will nicht. Ach, welch ein Segen, daß Sie den Klauen dieses Satans entronnen sind. Die Tochter des Gemüsehändlers – –«
»Sprechen Sie mir nicht von einer anderen Partie. Ich riskiere keinen anderen Ring.«
»Ich werde Ihnen auf Abzahlung verschaffen –«
»Ein Mädchen?«
»Hüten Sie Ihre Zunge! Einen Ring natürlich.«
Elias schüttelte eigensinnig den Kopf. »Nein, ich muß den alten Ring zurück haben.«
»Das ist unmöglich – Sie müssen sie heiraten, wenn Sie darauf bestehen, ihn zurück zu haben. Ich werde diese Heirat schon ordnen.«
»Lassen Sie mich nun endlich in Ruhe! Der Himmel selbst hat mir die Augen geöffnet.«
»Begreifen Sie denn nicht, wie sparsam sie ist,« drängte Sugarman. »Ein Mädchen, das einen Ring so hartnäckig festzuhalten weiß, wird ganz gewiß nicht verschwenderisch mit Ihrem Gelde umgehen.«
»Sie haben es nicht gesehen, wie viele Mohrenköpfe sie verschlingen und wieviel Schokolade sie trinken kann. Genug davon. Mit der bin ich fertig.«
»Nein, noch nicht, ich habe immer noch einen Rat für Sie.« Sugarman sah ihn listig an. »Es gibt ein Mittel, den Ring zurückzubekommen.«
»Welches?«
»Wenn ich es Ihnen sage, wollen Sie es mir dann überlassen, über den Ring für das nächste Mal zu disponieren?«
»Ja, ja. Fahren Sie fort.«
»Sie müssen, wenn Sie morgen in die Werkstätte kommen, den ganzen Tag über, wenn sie nicht hinsieht, ihr verliebte Blicke zuwerfen. Wenn sie Sie dabei ertappt –«
»Aber sie wird nicht hinsehen –«
»O ja, sie wird hinsehen. Wenn sie Sie also dabei ertappt, müssen Sie erröten –«
»Ich kann nicht erröten, wenn ich es will,« protestierte Elias.
»Ich weiß, daß es schwierig ist. Nun, machen Sie einfach ein dummes Gesicht; das kann Ihnen unmöglich schwer werden.«
»Damit sie glaubt, Sie wären trotz allem, was vorgefallen, immer noch verliebt in sie.«
»Ich würde dumm sein, wenn ich es wäre.«
»Gewiß, das ist wohl so. Wenn sie dann abends die Werkstätte verläßt und an der Konditorei vorbeikommt, dann seufzen Sie und fragen, ob sie nicht in Erinnerung alter Zeiten noch einmal einen Mohrenkopf mit Ihnen essen wolle.«
»Das wird sie nicht wollen.«
»Warum denn nicht, sie ist immer noch verliebt.«
»In Mohrenköpfe,« sagte Elias höhnisch.
»In Sie natürlich.«
Elias errötete nun wirklich, und ohne sich Mühe zu geben. »Woher wissen Sie das?«
»Weil ich ihr erst gestern einen andern Mann angeboten habe und sie mir da die Tür vor der Nase zugeschlagen hat.«
»Sie – Sie boten ihr –« stotterte Elias ärgerlich.
»Nur um sie auf die Probe zu stellen,« sagte Sugarman besänftigend. Dann fuhr er fort: »Nun, wenn sie dann genug Kuchen gegessen und eine Tasse Schokolade dazu getrunken hat – denn man muß einen hohen Einsatz wagen, wenn man einen solchen Ring zu gewinnen hofft – dann müssen Sie neben ihr hergehen, bis Sie an ein verschwiegenes Eckchen kommen, dort ergreifen Sie ihre Hand und flüstern ihr zärtliche Worte zu: Mein Schatz oder mein Engel oder irgendeinen anderen Unsinn, mit dem ihr modernen jungen Männer euch bei jungen Mädchen einzuschmeicheln sucht – na, Sie sehen ja das Resultat! – Während sie dann Ihre schönen Redensarten genießt, als ob sie Schokolade wären, wird sie harmlos ihre Hand in der Ihrigen ruhen lassen – dann ein plötzlicher kleiner Ruck, und Sie streifen den Ring von ihrem Finger –«
Elias starrte ihn bewundernd an. »Sie sind so listig wie Jakob, unser Vorvater.«
»Nun, der Himmel hat eben nicht allen Menschen den gesunden Verstand versagt,« meinte Sugarman bescheiden. »Passen Sie aber nur auf, daß Sie ihre linke Hand ergreifen.«
Elias führte diesen fein ersonnenen Plan buchstäblich aus.
Es gelang ihm sogar, jedesmal vorschriftsmäßig zu erröten, wenn seine Schafaugen den Blicken Fannys begegneten. Er war selbst so überrascht darüber, daß er obendrein so dumm aussah, wie man es nur wünschen konnte.
Sie kamen langsam in der Konditorei an, und Elias versuchte seinen ganzen Mut zu sammeln, um den Schlußangriff zu bestehen. Er beschloß ihre Hand ganz festzuhalten und gleich den Ring vom Finger zu streifen. Das Kampfspiel sollte ein sehr kurzes sein.
Mittlerweile stieß das Pärchen mit den Schokoladentassen an und lächelte sich dabei freundlich zu.
»Die Schelmin,« dachte Elias erregt, »sie wird dem nächsten Manne, der ihr in den Weg läuft, ebensolche Augen machen.«
Er fuhr fort, sie vollzustopfen und jeder Mohrenkopf, den sie lächelnd verspeiste, vermehrte seine nervöse Aufregung. Ihre weißen Zähne bissen tapfer in den Kuchen und das ärgerte ihn so, daß er sie am liebsten auf die rosigen Wangen geschlagen hätte. Endlich konnte die kleine Dame wirklich nicht mehr essen, sie ging ihm voran aus der Konditorei. Elias folgte ihr, mit fieberhafter Heiterkeit plaudernd. Allmählich rückte er ihr etwas näher.
Sie waren nun in der ziemlich einsamen Fischerallee angekommen, die nur durch eine schlecht brennende Gaslampe erhellt war. Je näher der kritische Augenblick kam, um so erregter wurde Elias, er zitterte heftig. Er kam sich selbst vor wie ein Wegelagerer. Er blickte nach allen Seiten vorsichtig um sich, ob niemand in der Nähe sei. Aber – ging er auch an der rechten Seite? »Die linke Seite ist die rechte,« sagte er sich, zu lächeln versuchend, aber alle seine Pulse stockten, und in der Verwirrung seiner Gedanken und seines Herzens vermochte er die rechte Hand nicht mehr von der linken zu unterscheiden. Glücklicherweise erblickte er den durch das Dunkel schimmernden Diamanten, und mit festem Drucke schloß sich seine räuberische Hand darüber.
Aber als er dann plötzlich den warmen zärtlichen Druck ihres zarten Händchens empfand, da ergoß sich das alte köstliche Gefühl durch jede seiner Adern.
Er war ein Narr gewesen, daß er an dieser geliebten Hand gezweifelt hatte! Trug sie doch immer noch seinen Ring – sie konnte sich nicht davon trennen! O über seiner törichten Undankbarkeit.
»Mein Schatz! mein Engel!« flüsterte er ihr begeistert zu.