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Jene seltsame Episode, die sich im letzten Winter, als die Blattern ausgebrochen waren, in dem Londoner Ghetto zugetragen hat, ist der Aufmerksamkeit der Zeitungsschreiber entgangen, obwohl man sie in den Schulen noch in frischer Erinnerung hat. Aber selbst die Lehrer, die Inspektoren und Mitglieder des Schulkomitees, wissen nicht, welche Rolle die kleine Bloomah Beckenstein darin gespielt hat.
Um zu erklären, wie es kam, daß sie an jenem Tage nicht in der Schule war, müssen wir etwas zurückgreifen, um ihre Stellung in und außerhalb der Schule zu erklären.
Bloomah ist höchst wahrscheinlich von dem deutschen Worte Blume abgeleitet; aber sie hatte sich immer Bloomah genannt und geschrieben, und ihr Harne war auch so in das Schulregister eingeschrieben worden, denn selbst Lehrer an Gemeindeschulen haben nicht immer große Kenntnisse in den fremden Sprachen.
Man konnte übrigens sehr wohl verstehen, daß Bloomah in ihnen nicht den Begriff einer Blume erweckte, denn sie war ein ernst und traurig dreinblickendes Kind, das, obgleich erst zehn Jahre alt, tiefe, schwarze Ringe um die Augen hatte. Aber diese braunen Rügen waren ungewöhnlich groß und schön, und sie hatten einen sanften und herzgewinnenden Ausdruck.
Frau Beckenstein jedoch war durchaus nicht zufrieden mit den wirklich hervorragenden Herzenseigenschaften ihrer jüngsten Tochter, die, wie sie behauptete, ganz von der Schule beansprucht wurde und in ihren Schulpflichten aufging.
»In meiner Jugend,« sagte sie grollend, »kam zuerst Gott der Allmächtige, dann die Eltern und dann erst die Schule, heutzutage dreht sich alles um das ›rote Zeichen‹, dann erst kommen die Eltern. Und um Gott den Allmächtigen kümmert die Jugend sich überhaupt nicht.«
Dieses » rote Zeichen« war eine Anerkennung der Pünktlichkeit und wurde in dem Schulregister neben den Namen der Rinder eingeschrieben. Um es zu erlangen, mußten die Schülerinnen mit dem Glockenschlage neun auf ihrem Platze sein, wenn man nur einen Augenblick zu spät kam, dann hatte man einen schwarzen Strich zu befürchten, der, wenn man vier Minuten nach neun Uhr noch nicht am Platze war, unfehlbar von dem Racheengel, in diesem Falle der blassen, brillenbewaffneten Klassenlehrerin Bloomahs, in das Register eingetragen wurde.
Über es war das Banner, um das sich alles in der Schule drehte, das Bloomah in steter Aufregung erhielt, und über das ihre Mutter sich fortwährend ärgerte.
»Ich habe nichts von der Schule,« pflegte Frau Beckenstein ärgerlich zu sagen, »da gibt es keine Preise, keine Medaillen, nichts als rote Zeichen und das Banner.«
Das Banner war wirklich eine ganz neue Einrichtung. So etwas hatte es in Frau Beckensteins Jugendzeit nicht gegeben, und auch zu der Zeit, als Bloomahs verheiratete Geschwister noch zur Schule gingen, war von solchen Dingen nie die Rede gewesen.
Die würdige Matrone pflegte zu sagen:
»Da ist Jakob und Joseph Beckenstein, Briny und Benjamin Beckenstein, da ist die geborene Ada und die geborene Becky Beckenstein, Gott segne sie alle! Die sind doch auch alle zur Schule gegangen, haben Preise gewonnen und der Königin und ihrer Religion Ehre gemacht, ohne daß man je von dieser Meschugas (Verrücktheit) eines Banners gehört hätte.«
Frau Beckenstein meinte, daß alle diese albernen Neuerungen dadurch entstanden seien, daß so viele Fremde in die Schule eingedrungen seien. All diese aus Rußland, Polen und Rumänien gekommenen Juden, die, um den Verfolgungen zu entgehen, nach England geflüchtet waren, hatten die guten alten englischen Familien, zu denen sie die Beckensteins rechnete, in den Hintergrund gedrängt und neue Sitten eingeführt, wozu brauchen die Engländer Banner und derartigen Firlefanz?
Das Banner war eine Art von Trophäe, die derjenigen Klasse zuerteilt wurde, die sich am meisten durch Regelmäßigkeit und Pünktlichkeit ausgezeichnet hatte. Dieses Banner bestand in symbolischem Sinne ganz aus roten Zeichen. Und wirklich: seine Grundfarbe war purpurrot.
Das Banner war eine Wandertrophäe, und nur die Klasse, die bei der wöchentlichen Zählung die meisten roten Zeichen errungen hatte, gewann das Recht und die Ehre, für die nächste Woche die rote Flagge in dem Schulzimmer entfalte^ zu dürfen. Es war ein prächtiger Anblick, wenn das Banner mit seinen reich in Seide auf purpurrotem Grunde gestickten Emblemen auf der Wand zwischen der düstern Tafel und den vergilbten Landkarten befestigt wurde. Es erhellte das Schulzimmer, und man lernte noch einmal so gut und so leicht unter seinem Schutze. Es war, als wenn man fröhlich nach dem Takte lustiger Musik marschiere, anstatt mühsam und freudlos die Straße einherzuziehen.
Der Wunsch, diesen köstlichen Ehrenpreis behalten zu dürfen, wurde bei den Schülerinnen zur Leidenschaft; die kleinen Mädchen setzten das Äußerste daran, nur nie einen Augenblick zu spät zu kommen; aber ach, durch irgendeinen traurigen Zufall, der der einen oder der andern zustieß, ereignete es sich doch nur zu bald, daß sie der stolzen Auszeichnung verlustig gingen, und die goldgestickte Purpurflagge wanderte in eine andre, glücklichere Klasse. Man sah ihr traurig nach, wenn sie davongetragen wurde, und das Klassenzimmer erschien dann den Schülerinnen plötzlich ganz düster und freudlos zu sein.
Wehe der Mitschülerin, die durch ihr zu spätes Erscheinen den Besitz des Banners in Gefahr brachte. Das schwarze Zeichen in dem Klassenbuche war weiß wie eine Schneeflocke, im vergleiche mit dem düsteren Ausdrucke all dieser kindlichen Gesichter, versäumte aber ein Kind einmal den Schulbesuch, so wurde es von sämtlichen Mitschülern in einer weise empfangen, die so ungnädig war, daß es aus Furcht davor seine Abwesenheit verlängerte.
Nur einmal war es Bloomahs Klasse gelungen, die Trophäe zu gewinnen. Es war dies infolge eines dichten Nebels gewesen, von dem die Schülerinnen der andern Klasse zufällig schwerer betroffen wurden.
Bloomah war nämlich das schwarze Schaf, das immer wieder die Chancen der kleinen Herde verdarb – das schwarze Schäflein mit den schwarzen Zeichen!
Vielleicht waren die tiefen schwarzen Ringe um ihre Augen eine Folge dieser schwarzen Zeichen, denn die arme Kleine grämte sich ganz furchtbar, wenn sie notgedrungen ihre Schulpflichten verletzte.«
Dennoch war sie selbst ganz unschuldig daran, denn wenn Bloomahs Platz in der Schule leer blieb, so geschah dies nur, weil das arme Ding von ihrer Mutter zu irgendeiner andern Beschäftigung angestellt wurde, die dieser viel wichtiger erschien als die Schule.
»Die Familie Beckenstein kommt zuerst, dann die Werkstätte, und für die Schule ist überhaupt keine Zeit«, hätte Bloomah ihrer Mutter erwidern können.
Zu Hause war sie das Mädchen für alles. Sie hatte das Schlaf- und Wohnzimmer der Familie rein zu halten, sie mußte kochen und waschen, und wenn in der darüberliegenden Werkstätte jemand ausblieb oder die Arbeit drängte, wurde sie einfach dazu angestellt, Knopflöcher zu machen, ganz gleich, ob sie die Schule darüber versäumte oder nicht.
Außerdem war Bloomah das Laufmädchen des Geschäftes und hatte die Arbeit abzuholen und die fertigen Sachen nach S. Cohns Warenhaus in Holloway zu bringen; sie wurde ferner als Wachthund benutzt, wenn Frau Beckenstein ausging, um Einkäufe zu machen oder sich zu amüsieren.
»Ich soll das Haus abschließen?«, rief die Mutter ärgerlich, wenn Bloomah sie unter Tränen bat, sie von dieser Aufgabe zu dispensieren und ihr zu gestatten, in die Schule zu gehen. »Meine Sachen sind viel zu kostbar, als daß ich es riskieren könnte, einfach abzuschließen. Aber das weiß ich ja, du würdest es lieber sehen, daß ich meinen kostbaren Schmuck verlöre als ihr euer kostbares Banner.«
Wenn Frau Beckenstein neue Enkelchen bekam, und das war oft der Fall, dann wurde Bloomah sofort geschickt, um der verheirateten Schwester ihre Dienste zur Verfügung zu stellen. Bei solchen Gelegenheiten erschienen kurze Postkarten folgenden Inhaltes:
»Liebe Mutter!
Ein Sohn. Schicke Bloomah.
Briny.«
Manchmal kamen auch Trauerbotschaften, wie:
»Liebe Mutter!
Die arme kleine Rachel ist gestorben. Schicke sofort Bloomah zu Deiner tief betrübten
Becky.«
Gelegentlich sandte auch Frau Beckenstein Postkarten:
»Liebe Becky!
Schicke Bloomah nach Hause. Deine Dich liebende
Mutter.«
Die Sorge für ihren älteren Bruder Daniel war auch ein Teil der auf Bloomah ruhenden Pflichten; sie mußte ferner ein scharfes Auge auf seine Kameraden haben, denn seit er seine Eltern dadurch betrübte, daß er ein paar neue Stiefel stolz auf den Tisch gelegt hatte, konnte man ihn nicht mehr ohne Aufsicht lassen.
Nicht als ob er die Stiefel gestohlen hätte – es war viel schlimmer. Durch eine in hebräischer Sprache gedruckte Karte betört, hatte er den Abendklassen der Meschumodim beigewohnt, dieser abtrünnigen Juden, die es versuchen, auch ihre Brüder ihrem Glauben untreu zu machen und die das Schreckbild des Ghetto sind und wie der Auswurf der Juden betrachtet werden.
Daniel wurde zu Hause ungefähr so angesehen, wie ein Lamm, das aus der Höhle des Löwen entschlüpft war und dem immer noch nachgestellt wurde. Es war Bloomah, die man mit den Pflichten des Schäfers und Schäferhundes betraute.
Trotz all dieser verschiedenen Pflichten, die auf Bloomah lasteten, versuchte sie doch, wenn irgend möglich, zur Schule zu gehen und abends ihre Aufgaben zu machen. Sie murrte nicht gegen die Befehle ihrer Mutter, obwohl sie sie öfters bat, ihr doch zu erlauben, zur rechten Zeit in ihrer Klasse zu sein. Sie erkannte sehr wohl, daß die arme Frau gleichfalls überbürdet war und zwischen ihrem haushalte und dem Arbeitsraume mit den ewig klappernden Maschinen hin und her hetzte.
Nur war es sehr schwer für das Kind, alle diese Pflichten zu vereinigen. Sie mußte abends ebenso lange aufbleiben wie ihre Eltern und saß dann über ihren Büchern. Morgens wurde es ihr dann nicht leicht, früh genug aufzustehen, die ihr obliegende Hausarbeit zu vollenden und zu versuchen, rechtzeitig in der Schule zu erscheinen, um ein rotes Zeichen zu bekommen.
Ihre Lage war wirklich noch schlimmer als ihre Mutter wußte, denn manchmal wurde es zehn Minuten vor neun Uhr, ehe Bloomah dazu kam, selbst etwas zu frühstücken, und dann war die glühend heiße Tasse Tee, die ihre Mutter ihr reichte, ein schreckliches Hindernis. Wenn die gute Frau den Kopf wandte, schlich Bloomah sich rasch an die beiden großen, schmutzig aussehenden Eimer, von denen der eine, durch einen auf seinem Deckel stehenden Topf erkennbar, reines Wasser, und der andre schmutziges Wasser enthielt. In letzteren schüttete sie rasch die Hälfte des Tees und füllte die Tasse dann mit dem kalten Wasser auf.
Wenn ihr dieses kleine Manöver unmöglich erschien, dann verbrannte sie sich oft den Mund in ihrer fieberhaften Eile. Dann ergriff sie rasch ihre Schultasche und jagte davon, gleichviel, ob es regnete oder schneite, ob draußen ein Nebel alles verdüsterte, oder ob die Sonne brannte. Oft kam sie ganz atemlos in der Schule an, ohne daß es ihr gelang, früh genug dort zu sein, um das ersehnte rote Zeichen zu gewinnen. Während sie ganz zerknirscht die Augen ihrer Mitschülerinnen auf sich ruhen fühlte, empfand sie nicht nur Seitenschmerzen vom schnellen Laufen, sondern es ging ihr auch ein Stich durch das Herz.
Es reizte ihre Schulkameradinnen noch mehr gegen sie, daß Bloomah trotz all ihrer Unpünktlichkeit eine der besten Schülerinnen war, und daß es ihr nur ihres häufigen Zuspätkommens wegen nicht gelang, den ersten Platz einzunehmen.
Endlich kam einmal eine Woche, in der Bloomahs Familie sich überraschend ruhig und anspruchslos verhielt. Es sah beinahe so aus, als ob das Banner endlich wieder Einzug in die nüchterne Schulstube halten und die schwarze Tafel durch seinen romantischen Schimmer erhellen wolle.
Da passierte etwas sehr Fatales; eines der Mädchen hatte am Ende der vorhergehenden Woche die Schule verlassen, weil sie eine andre besuchen sollte, kam jedoch am Donnerstag zurück und erklärte, daß ihre Eltern beschlossen hätten, sie doch in der alten Schule zu lassen. Die ganze Klasse opponierte dagegen und rief:
»Fräulein, nehmen Sie sie nicht an.«
Bloomah aber rief ihr heftig und im befehlenden Tone zu: »Geh' fort, Sarah!«
Die armen Kinder glaubten nämlich, daß man die Tage, in denen Sarah nicht erschienen, als Schulversäumnis anrechnen würde. Es erwies sich auch, daß sie recht hatten. Sarah reduzierte die roten Zeichen um sechs – das Banner war verloren.
Indessen regte der Umstand, daß sie dem ersehnten Ziele so nahe gewesen, die Kinder dazu an, einen neuen Versuch zu machen, wieder war es am Donnerstag, daß ihre Hoffnungen zerstört wurden. Dieses Mal war die allgemeine Enttäuschung fast noch grausamer, denn alle die schürzentragenden kleinen Schülerinnen, auch Bloomah, waren zur rechten Zeit auf ihrem Platze und hatten sämtlich ein rotes Zeichen bekommen.
Da drang plötzlich Bloomahs Mutter in diese Gesellschaft von kleinen Heiligen, und ohne Notiz von der Lehrerin zu nehmen, deutete sie dramatisch mit dem Finger auf ihre Tochter und rief:
»Bloomah Beckenstein, komm nach Hause.«
Bloomahs Gesicht erglühte wie ein großes rotes Zeichen, während alle andern kleinen Mädchen erstaunt auf sie hinstarrten. Tränen der Demütigung und bitteren Kummers tropften über die ihre Augen umgebenden dunklen Hinge auf ihre Wangen herab, wenn sie gezwungen wurde fortzugehen, ohne an dem Unterricht teilzunehmen, würde sie wegen Schulversäumnis ein schlechtes Zeichen erhalten.
Die ganze Klasse war in Aufregung. »Faltet die Hände!« rief die Lehrerin in scharfem Tone, und die Mädchen nahmen alle die vorgeschriebene steife Haltung an. Bloomah folgte instinktiv dem Beispiele der andren.
»Bloomah Beckenstein, willst du mich zwingen, dich an den Haaren von hier fortzuziehen?«
»Frau Beckenstein, Sie dürfen hier wirklich nicht in solcher Weise auftreten«, sagte die Lehrerin in Höflicher weise.
»Sagen Sie das Bloomah«, antwortete Frau Beckenstein unbeirrt. »Sie ist ohne weiteres von Hause fortgelaufen, um hierher zu kommen. Dabei ist zu Hause niemand, der nach dem Rechten sieht, denn wir sind alle wie zerschlagen, da wir die halbe Nacht auf einer Hochzeit getanzt haben und erst gegen vier Uhr bei strömenden Regen nach Hause gekommen sind. Wenn Sie sich überzeugen wollen, Fräulein, so gehen Sie nur mit nach Hause, da werden Sie sehen, daß Benjamin noch im Bette liegt; er hat es aufgegeben, heute zur Arbeit zu gehen. Er muß seinen Schlaf haben; er verdient wöchentlich drei Pfund Sterling, denn er ist Zuschneider bei S. Cohn, da kann er es sich, Gott sei Dank, leisten, mal einen Tag im Bette zu bleiben. Also voran, Bloomah Beckenstein! Was? Lehrt man euch hier nicht, daß Ihr Vater und Mutter ehren sollt?«
Die arme Bloomah stand auf, sie hatte ein unbestimmtes Gefühl, daß Väter und Mütter ihre Kinder nicht in solch beschämende Lage bringen dürften. Mit hängendem Kopfe ging sie bis zur Tür und brach, sobald sich diese hinter ihr geschlossen, in leidenschaftliches Weinen aus.
Kurz darauf brach Frau Beckenstein das Bein und mußte wochenlang liegen, ohne sich bewegen zu können. Damit waren alle Chancen zur Erlangung des Banners für lange Zeit vollständig vorbei.
Die Last der nun auf Bloomah liegenden Pflichten drückte schwer auf das arme feinfühlige Kind, so daß es ordentlich davon gebeugt zu sein schien und nachts von dem Klassenbuche träumte, in dem hinter ihrem Namen ganze Reihen schlechter Zeichen aufmarschierten; ihre Zahl wuchs und wuchs bis in die Unendlichkeit. Sie blätterte vergebens Seite um Seite um, in der Hoffnung, ein rotes Zeichen hinter ihrem Namen zu entdecken, die kleinen schwarzen Striche aber wurden größer und größer, plötzlich schienen sie Leben zu bekommen und sich in grauenhafte, mit spitzen Stacheln bewaffnete Insekten zu verwandeln, die alle auf sie zu krochen.
Sie erwachte mit einem verzweifelten Angstschrei. Dann wieder träumte ihr, sie läge zitternd, in Angstschweiß gebadet, unfähig sich zu bewegen, von den Falten einer schwarzen Flagge umhüllt.
Zu alledem kam noch, daß ein Beamter des Schulaufsichtsrates überall herumschnüffelte und drohte sie vor Gericht zu laden.
Endlich aber kam doch die Zeit, wo es ihr möglich wurde, zu ihrer geliebten Schule zurückzukehren. Sie hatte sich darauf gefaßt gemacht, von allen Mitschülerinnen unfreundlich empfangen zu werden und atmete nun tief auf, daß dies nicht der Fall war. Gegensätze berühren sich, und ihre Abwesenheit hatte so lange gedauert, daß man sie bei ihrem endlichen Erscheinen freundlich willkommen hieß.
Bloomah verdoppelte nun ihre Anstrengungen. Die Hoffnung, nun doch das rote Banner zu gewinnen, erfüllte jede Brust. Aber die andren Klassen waren nicht weniger eifrig. Besonders die fünfte Klasse, in deren unbestrittenem Besitze sich das Banner schon einen ganzen Monat entfaltete, verteidigte hartnäckig ihre Ansprüche darauf; ihre sämtlichen Schülerinnen saßen regelmäßig und mit größter Pünktlichkeit auf ihren Plätzen.
Dann plötzlich hatten die Preisbewerber mit einem neuen traurigen Faktor zu rechnen. Im Ostend brach eine Blatternepidemie aus, von der, wie es sich gerade traf, bald eine Schülerin aus dieser und dann aus jener Klasse befallen wurde. Rote Zeichen, schwarze Zeichen, Medaillen und Preise – es hing doch alles nur von Glück und Zufall ab. Der Stolz der fünften Klasse wurde gedemütigt. Eine der Schülerinnen wurde von der Epidemie ergriffen, zwei andre von den Eltern aus Furcht vor Ansteckung zurückgehalten. Die ganze Schule wurde von einer gewissen nervösen Unruhe erfaßt. Nur Bloomahs Klasse, die den festen Entschluß gefaßt hatte, diesmal zu siegen, hielt sich tapfer und wankte nicht.
Die Epidemie griff weiter um sich. Im Ghetto sprach man davon, in den kleinen Synagogen Bittgebete einzuführen.
Während der Krisis, die durch die Epidemie verursacht wurde, hatten Bloomah und ihre Kameradinnen die besten Chancen, das Banner zu erringen. Sie legten Montag morgens los und waren sozusagen »alle an Deck«. Dienstag und Mittwoch vergingen, ohne daß das Klassenbuch durch ein schwarzes Zeichen verunziert wurde. Auch der Donnerstag, an dem früher sich öfter ein Unheil ereignete, verging ohne Mißgeschick, und wenn es nun nur gelang, glücklich durch den Freitag zu kommen, so war die Trophäe errungen.
Der Freitag aber war der leichteste Tag von allen, denn in Erwartung des nahenden Sabbaths wurde die Schule früher geschlossen. Die Kinder gingen nicht wie sonst um 12 Uhr nach Hause, um nachmittags wieder zu kommen. Es war nur eine kurze Mittagspause auf dem Spielplatze. Niemand durfte nach Hause gehen, und wer daher morgens dies rote Zeichen errungen hatte, war des zweiten Lobes ganz sicher.
An jenem ereignisvollen Wintermorgen war Bloomah schon lange vor Tagesanbruch aufgestanden; sie durfte es unter keiner Bedingung riskieren, heute zu spät zu kommen. Sie machte sich tapfer an die ihr übertragene Hausarbeit und dachte nur immer mit einer gewissen Angst daran, ob auch wohl keine ihrer Schulkameradinnen die Zeit verschlafen würde. Indessen vertraute sie doch darauf, daß alle so gewissenhaft sein würden, wie sie selbst es war. Allerdings war die drohende Gefahr der Blattern nicht wegzuleugnen. Sie betete inbrünstig, der Allmächtige möge alle kleinen Mädchen ihrer Klasse vor der Krankheit behüten und ihnen das Banner zuwenden.
Als sie beim Frühstück saß, brachte der Postbote ihrer Mutter eine Korrespondenzkarte. Bloomahs Herz klopfte zum Zerspringen, als Frau Beckenstein die Karte las. Sie glaubte, daß die Epidemie eines der Familienmitglieder erfaßt habe.
Die Mutter reichte ihr schweigend die Karte hin.
»Liebe Mutter!
Ich bin von einer furchtbaren Nuralgie geplackt. Schicke Bloomah, um den Fisch zu backen.
Becky.«
Bloomah erblaßte; das war kaum weniger tragisch.
»Die arme Becky«, sagte ihre Mutter.
»Es ist Zeit genug dazu, wenn die Schule vorüber ist«, stotterte Bloomah.
»Was,« rief Frau Beckenstein, »dann wird ja der Fisch nicht mehr ordentlich kalt werden. O, ich merke es schon, du denkst wieder an das rote Zeichen – ehe du das verlieren möchtest, würdest du es lieber sehen, daß deine Schwester heißen Fisch äße! Geh' sofort zu ihr, du unnatürliches Geschöpf, oder ich schlage dir die Bratpfanne um die Ohren. Das wird dir auch zu roten Zeichen verhelfen, ja, und auch zu schwarzen! Meine arme Becky hat mich niemals mit diesem elenden roten Banner geödet und sie hat doch mehr als zweimal soviel gelernt wie du.«
»Ach,« sagte Bloomah übellaunisch, »sie kann ja noch nicht mal ›Neuralgie‹ richtig buchstabieren – –«
»Wozu ist es denn nötig, ein solches Wort richtig buchstabieren zu können? Es ist schlimm genug, wenn man daran leidet, warte mal, bis du selbst kleine Kinder und Neuralgie hast, dann werden wir ja sehen, wie du es buchstabierst.«
»Sie kann noch nicht mal ›geplagt‹ richtig schreiben«, warf David ein.
Seine Mutter wandte sich ihm gereizt zu. »Freilich, sie ist ja auch nicht bei den Meschummodim in die Schule gegangen.«
Bloomah ergriff plötzlich ihre Schultasche.
»Wozu hast du die Bücher notwendig? Die brauchst du nicht, um Fisch zu backen.« Frau Beckenstein entriß ihr die Tasche und schleuderte sie auf den Boden.
Das Bleistiftskästchen fiel an der einen, der Fingerhut an der andern Seite heraus.
»Ich kann doch wenigstens für die Nachmittagsstunden in die Schule gehen – –«
»Unsinn! Während deine Schwester Schmerzen hat? Hast du denn gar kein Gefühl? Laß mich dein impertinentes Gesicht nicht vor Anbruch des Sabbaths sehen.«
Bloomah schlich sich traurig davon. Gewohnheitsmäßig wandte sie ihre Schritte der schmutzigen Straße zu, in der das Schulhaus aus roten Ziegeln stand. Der Anblick des großen Gittertores und der hindurch eilenden Kinder machte sie tief seufzen. Einen Augenblick zögerte ihr Fuß. Die Versuchung, einzutreten, wurde allzu mächtig in ihr.
Aber es war doch nur für einen Augenblick. Sie selbst legte kaum Wert darauf, ob man heißen oder kalten gebackenen Fisch bekäme, aber daß Becky den Sabbath feiern sollte, ohne Fisch dazu zu haben, das erschien ihrem kindlichen Geiste beinahe wie eine Gotteslästerung.
Von den Tagen ihrer ersten Kindheit an war sie daran gewöhnt, daß, wenn der Ruhetag anbrach, gebackener Fisch gegessen wurde, er war sozusagen ein Bestandteil des Sabbaths. Stets hatte die Mutter am Freitag Schollen und Zungen, oder, wenn das Geld knapp war, Stockfisch und Makrelen gebacken, und der Duft des gebackenen Fisches war für sie untrennbar mit dem Sabbathabend verknüpft.
Seufzend wandte sie ihre Schritte und eilte sich, so sehr sie konnte, der Versuchung zu entgehen.
»Bloomah, wohin gehst Du?« riefen ihre Klassenkameradinnen ihr erschrocken nach. Aber Bloomah hörte nicht darauf, und glühend vor Arger und Scham lief sie davon.
Als gegen Mittag Beckys Fisch knusprig und schön hell braun gebacken, mit Petersilie bestreut und verziert, auf der großen blauen Porzellanschüssel stand, um abzukühlen, erklärte Becky, vielleicht durch diesen angenehmen Anblick erheitert, daß es mit ihrer Neuralgie schon bedeutend besser ginge.
Als es 12 Uhr schlug, entließ sie daher Bloomah gnädigst, und diese machte sich sofort auf den Weg zur Schule in der verzweifelten Hoffnung, wenigstens noch rechtzeitig zu den Nachmittagsstunden anzukommen.
Der Londoner Himmel lag bleifarben über den mit Schmutz bedeckten Straßen, aber in ihrem Herzen glühte noch ein Hoffnungsfunken. Als sie die ihr so bekannte Straße erreichte, fiel es ihr auf, daß diese heute ein ganz besonderes Aussehen hatte. Die Leute standen in erregter Unterhaltung vor den Türen ihrer Häuser, als ob es da drinnen keine Sabbathmahlzeit zu bereiten gab; selbst mitten auf der Straße standen lebhaft miteinander sprechende Gruppen. Je näher sie der Schule kam, um so dichter wurde die Menge, so daß sie kaum hindurch konnte, vor dem eisernen Torweg der Schule aber hatte sich ein dichter Menschenknäuel zusammengerottet, der, heftig gestikulierend und durcheinander schreiend, den Eingang blockierte.
Die arme Bloomah, die ganz atemlos von dem raschen Laufen war, blieb erschrocken stehen; sie war dem Weinen nahe über ein so boshaftes Geschick und zerbrach sich vergebens den Kopf darüber, was denn wohl hier vorgegangen sein möge. Alles um sie weinte und wehklagte, die Frauen kreischten und rangen die Hände.
Der Volkshaufen bestand hauptsächlich aus Frauen, die erst kürzlich aus Rumänien und Rußland eingewandert waren, wie sehr leicht an ihren Perücken zu erkennen war, unter denen sie ihr Haar versteckten. Die vorn stehenden Weiber drängten gegen die Eisenstangen des verschlossenen Tores, schüttelten leidenschaftlich daran und schrien wild durcheinander.
Obgleich Bloomah – als Sprößling einer altenglischen Familie – nur wenig Jiddisch sprechen konnte, verstand sie, was die Frauen riefen:
»Ihr Mörder!«
»Gebt mir meine Rachel zurück!«
»Sie töten unsre Töchter, wie Pharao dereinst unsre Söhne getötet hat.«
»Gebt mir meine Kinder wieder, dann will ich nach Rußland zurückkehren.«
»Sie sind schlimmer wie die Russen, diese Giftmischer.«
»O Gott Abrahams, wie soll ich ohne meine Lea leben?«
An der andern Seite des Tores lärmten die Kinder, die während der Mittagspause im Schulhofe spielen durften; sie schrien, weinten und versuchten, zu ihren Müttern zu kommen. Einige heulten laut, sie hatten einen Ärmel aufgerollt, um ihren Oberarm zu zeigen.
»Seht, seht,« riefen die Weiber, »die roten Zeichen. O diese Giftmischer!«
Da ging Bloomah plötzlich ein Licht auf. Offenbar hatte der Schulvorstand Ärzte geschickt, um eine Zwangsimpfung sämtlicher Schülerinnen vorzunehmen.
»Ich will nicht sterben,« sagte ein dralles, goldhaariges Mädchen, »ich bin zu jung, um zu sterben.«
»Mein kleines Lamm stirbt«, klagte eine nahe bei Bloomah stehende Frau, deren kastanienbraunes Haar sich unter ihrer schwarzen Perücke hervordrängte, händeringend. »Ich höre sie immer und immer nur von dem roten Zeichen sprechen. Nun haben sie es ihr gegeben. Sie ist vergiftet, o mein kleiner Augapfel.«
»Ihrer Kleinen ist nichts geschehen,« sagte Bloomah beruhigend, »man hat sie nur geimpft.«
Die Frau hielt sich an das Wort, das sie verstanden. »Impfen, impfen«, wiederholte sie. Dann fiel sie in den jüdischen Jargon zurück, streckte die Arme gen Himmel und rief: »O, möchte sie alle ein jäher Tod treffen.«
Bloomah wandte sich verzweifelt um, in der Hoffnung eine Frau zu finden, die keine Perücke trug. Sie entdeckte eine solche neben sich.
»Können Sie es ihnen nicht erklären, daß die Arzte ihren Kindern wirklich kein Leid zufügen, wollen?« frug Bloomah.
»O, wollen sie das wirklich nicht? Lies nur mal, was hierauf steht.« Sie reichte ihr ein Flugblatt, das einen Aufruf enthielt, der auf der einen Seite in englischer und auf der andren Seite in jüdischer Sprache gedruckt war.
Bloomah las die englische Seite nicht ohne Bewegung.
»Ihr Mütter, habt acht auf eure Kinder! Die Schultyrannen haben den teuflischen Plan ersonnen, schmutzige Lymphe in ihre unschuldigen Adern einzuimpfen, haltet sie lieber ganz aus der Schule zurück, ehe ihr es zugebt, daß man sie vergiftet, um die Ärzte zu bereichern.«
Es folgten statistische Angaben, vor denen selbst Bloomah erschrak. Es war kein Wunder, wenn die Flüchtlinge der Länder, in denen man die Juden verfolgte, glaubten, daß sie vom Regen in die Traufe gekommen seien. Das Gerücht, daß die die gefürchtete Operation vollziehenden Ärzte mit ihren Instrumenten in die Schule gedrungen seien, verbreitete sich mit Windesschnelle durch das ganze Viertel und erregte die orientalische Phantasie seiner Bewohner bis zur halben Tollheit.
Während Bloomah las, war eine Frau, deren Kopf mit einem Tuche umhüllt war, ohnmächtig geworden, wodurch die allgemeine Aufregung noch gesteigert wurde.
»Aber ich bin doch selbst früher geimpft worden und bin doch ganz gesund dabei geblieben«, murmelte Bloomah, sich selbst Mut einsprechend.
»Mein Arm! Man hat mich vergiftet!« rief ein auf dem Schulhofe sich befindliches Kind und stürzte sich leidenschaftlich auf das Tor.
Die draußen stehenden Frauen beantworteten den Ruf mit einem dumpfen, zornigen Murren und rüttelten leidenschaftlich an dem festverschlossenen Tor.
Ein auf den Spielplatz gehendes Fenster der Schule wurde rasch in die Höhe gezogen, und die Oberlehrerin erschien daran und suchte sowohl die Kinder wie die draußen stehenden Mütter zu beruhigen; aber in dem allgemeinen Lärm hörte und verstand man ihre Worte nicht, und ein polnisches Weib drohte ihr mit der Faust.
»Du elende alte Jungfer – ohne Kinder – ohne Erbarmen.«
Schrille Pfeifentöne erklangen plötzlich von allen Seiten, und etwa acht kräftige Polizisten drängten die Belagernden zurück und versuchten sich zwischen die lärmenden Weiber und das Schultor zu schieben. Ein dicker und freundlich aussehender Polizist, der seinen Stab drohend erhoben hatte, kam an Bloomah vorbei.
»O, tun Sie den armen Frauen nichts,« bat ihn Bloomah, »sie glauben allen Ernstes, daß man ihre Kinder vergiften wolle.«
»Ich weiß, Fräuleinchen. Aber was läßt sich gegen solche Dummheit machen! Warum bleiben sie nicht in ihrem eigenen Lande? Ich bin selbst geimpft worden, und es ist kein Vergnügen, mit dem geschwollenen Arme in diesem Menschengewühle hin und her gestoßen zu werden.«
»Aber so zeigen Sie ihnen doch die roten Male, das wird sie beruhigen.«
Der Polizist lachte. Ein Polizist mit aufgekrempeltem Ärmel, das würde ihn seiner Würde und seines Ansehens berauben.
»Dann will ich ihnen die meinen zeigen«, sagte Bloomah entschlossen. »Sie sind freilich schon verblaßt und nicht sehr auffallend. Aber vielleicht wird es doch genügen. Bitte, nehmen Sie mich auf den Arm – ich meine, auf den nicht geimpften Arm.«
Ihr Ernst hatte so etwas Überraschendes, daß der Polizist sie ohne weiteres auf seine mächtige Schulter setzte. Diese Handlung zog plötzlich die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich; aller Augen wandten sich auf Bloomah.
»Ihr Narronim (Narren)«, rief sie, mit verzweifelter Anstrengung sich der ihr weniger geläufigen jüdischen Ausdrücke bedienend. »Eure Kinder sind ganz sicher. Ich bin selbst geimpft worden. Seht nur!« Sie rollte ihren Ärmel in die Höhe. »Der Polizist ist auch geimpft worden. Seht, es schmerzt ihn, wenn ich seinen Arm berühre.«
»Halloh, vorsichtig, Fräuleinchen«, sagt der Polizist, schmerzlich das Gesicht verziehend.
»Der König wurde geimpft«, fuhr Bloomah fort, »die Königin, der Prinz von Wales, ja und sämtliche Lehrer und Lehrerinnen. Es gibt da drinnen keine Teufel. Dieses Papier«, sie hielt das Flugblatt in die Höhe, »enthält nur Lügen und Falschheiten.« Sie zerriß es in viele Stücke.
»Nein, es ist so wahr wie das Gesetz Moses,« erwiderte ein Mann aus dem Volke.
»Wie das Gesetz Moses«, wiederholten die Frauen heiser. Da kam Bloomah ein rettender Gedanke, »Wie das Gesetz Moses! Pah! Seht ihr nicht, daß dies von den Meschummodim geschrieben ist?«
Die Frauen schienen bestürzt zu sein, und eine tiefe Stille verbreitete sich plötzlich unter ihnen, wenn dieser Aufruf wirklich von den Abtrünnigen ausging, konnte er ja nur satanische Lügen enthalten.
Bloomah wußte den Augenblick geschickt zu benutzen. »Geht nach Hause, ihr Narronim!« rief sie ihnen von ihrem seltsamen Sitze herab zu. Dann wandte sie sich an die hinter dem hohen Gittertor lärmenden Kinder. »So seid doch still, ihr albernen Schreihälse. Wirklich, Golda Benjamin, ich schäme mich deiner, wie kann ein Mädchen deines Alters sich so benehmen? Laß deinen Ärmel herunter, du kleines schreiendes Baby!«
Bloomah würde die Ehre des Tages gerettet haben, wenn nicht ihre Rede die Aufmerksamkeit der Polizisten so auf sich gezogen hätte, daß sie es darüber übersahen, wie einige der aufrührerischen Frauen ihre Männer von der Arbeit geholt hatten, um ihnen zu helfen, und wie diese sich mit Stemmeisen daran gemacht hatten, eine Seitentür des Spielplatzes zu erbrechen. Sie flog auf, und in demselben Augenblick stürzten die Weiber kreischend in den Schulhof, um ihre Kinder heraus zu holen.
Der Polizist setzte Bloomah schleunigst nieder und eilte so schnell er konnte, ebenfalls mit seinen Kameraden auf den Schulhof, weil sie fürchteten, daß man einen Angriff auf Fenster und Türen des Schulhauses machen würde.
Der große Spielplatz war ein wildes Durcheinander, erfüllt von Eltern, Kindern, den Polizisten und den Lehrern, die alle durcheinander gestikulierten und lärmten. Indessen verlief sich der Schwarm sehr rasch. Die Polizisten konnten die Eltern nicht daran hindern, ihre Kinder freudestrahlend an das Herz zu drücken und sich dann so rasch wie nur möglich mit ihnen davon zu machen. Die Kinder, deren Eltern nicht gekommen, um sie zu holen, benutzten die gute Gelegenheit schnell davonzulaufen ebenfalls, einige aus wirklicher Angst, andere, weil es sie amüsierte, und in wenigen Minuten lag der Schulhof leer und wie ausgestorben da.
*
Das Schulkollegium berief eine besondere Sitzung, um zu überlegen, was man diesem unerwarteten Zwischenfall gegenüber tun solle. Es wurde beschlossen, diesen Tag als einen Feiertag zu betrachten. Rote Zeichen – schwarze Zeichen galten nicht für diesen Tag. Die Schulwoche endete also mit dem Donnerstag.
Der nächste Montag sah Bloomah – die glücklichste ihrer vor Freude strahlenden Kameradinnen – auf ihrem gewohnten Platze in der Klasse. An der Wand des Schulzimmers leuchtete das rote Banner.